Konklave - Hubert Wolf - E-Book

Konklave E-Book

Hubert Wolf

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Stellvertreter Christi: Die Besetzung dieses einzigartigen Postens ist geheimnisumwittert. Hubert Wolf erzählt, was hinter den verschlossenen Toren des Vatikan geschieht. Er erläutert, wie die Regeln und Rituale entstanden sind, und macht deutlich, welche Traditionsbrüche, gerade auch in jüngster Zeit, sich hinter der Fassade der uralten heiligen Handlung verbergen.
Keine andere Wahl wird weltweit von so großer Anteilnahme begleitet wie die Wahl des Papstes. Doch die Zuschauer sehen immer nur die Außenseite: den Einzug der Kardinäle ins Konklave, den Schornstein der Sixtinischen Kapelle, aus dem schwarzer oder endlich weißer Rauch aufsteigt, die Präsentation des Gewählten mit den Worten "Habemus papam". Dieses Buch erklärt, was wirklich passiert: wie die Wahl im Detail abläuft, von welchem Moment an der Gewählte Papst ist, warum das Konklave erfunden wurde und wie die Kardinäle zu den einzigen Wählern und schließlich auch zu den einzig Wählbaren wurden. Zur Sprache kommt auch der Papstrücktritt, der zur Regel werden und die Aura des Amtes beschädigen könnte. Besonderes Augenmerk gilt den Neuregelungen Johannes Pauls II., durch die die Wahl noch sakraler, noch weniger weltlich und noch geheimer geworden ist. Am Ende seines höchst anschaulich erzählten Buches zeigt Hubert Wolf, wie eine zeitgemäße Wahl ablaufen könnte, die zugleich den Ursprüngen des 2000 Jahre alten Amtes gerecht wird.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Hubert Wolf

Konklave

Die Geheimnisse der Papstwahl

C.H.Beck

Zum Buch

Stellvertreter Christi, unfehlbar: Die Besetzung dieses einzigartigen Postens ist geheimnisumwittert. Der renommierte Kirchenhistoriker Hubert Wolf erzählt, was hinter den verschlossenen Toren des Vatikans geschieht. Er erläutert, wie die Regeln und Rituale entstanden sind, und macht deutlich, welche Traditionsbrüche, gerade auch in jüngster Zeit, sich hinter der Fassade der uralten heiligen Handlung verbergen. Hubert Wolf erweist sich in diesem Buch erneut als Meisterdetektiv im Vatikan: Wer schon immer ein Konklave beobachten wollte, während die Welt auf weißen Rauch wartet, der sollte dieses fesselnd geschriebene Buch lesen.

Über den Autor

Hubert Wolf ist Professor für Kirchengeschichte an der Universität Münster. Er wurde mit dem Leibnizpreis der DFG, dem Communicator-Preis und dem Gutenberg-Preis ausgezeichnet, war Fellow am Historischen Kolleg in München und ist derzeit Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt die Bestseller «Die Nonnen von Sant’Ambrogio» (4. Aufl. 2013) sowie «Krypta. Unterdrückte Traditionen der Kirchengeschichte» (2015).

Inhalt

Wie Weihnachten: Das Mysterium der Papstwahl

1. Wer wählt den Papst?

Jesus übergibt die Schlüssel

Die Erfindung der apostolischen Sukzession

Klerus, Volk und Kaiser

In der Hand römischer Clans

Die Geburt der päpstlichen Kurie

Das Dekret von 1059 und das Wahlrecht der Kardinäle

Das Konstanzer Modell: Ein Konzil wählt den Papst

Hinter der Fassade der Tradition: Die Wahlordnung von 1996

2. Wer kann überhaupt Papst werden?

Die Leichensynode von Rom

Tausend Jahre Ehebruch

Warum es doch keine Päpstin gab

Selbstverständlich nur Kardinäle

3. Wo wird der Papst gewählt?

Die Erfindung des Konklaves

Die Regeln für das Konklave von 1274

Von Viterbo bis zur Sixtina: Der Ort des Konklaves

Die Sakralisierung des Konklaves durch Johannes Paul II.

Von der Beugehaft zum Mysterienspiel

4. Wie wird der Papst gewählt?

Die Adorationswahl Gian Angelo de’ Medicis

Vom Mythos der Einmütigkeit

Das Dekret von 1179 und die Zweidrittelmehrheit

Kronkardinäle und die Waffe der Exklusive

Die Reform von 1621 und das Gewissen der Wähler

Die Transsubstantiation des Kardinals

Keine Kompromisse bitte: Die Reform von 1996

5. Was macht den Papst zum Papst?

Die Krönung mit der Tiara

Vom Lateran zum Vatikan: Wo der Papst zum Papst wird

Erst Bischof von Rom, dann Papst

Die Inthronisation und das byzantinische Kaiserzeremoniell

Tiara und Pallium als mobile Hoheitszeichen

Das Drama und seine Akte seit 1488

Vergottesdienstlichung im zwanzigsten Jahrhundert

Papstnamen als Wiedergeburtszeichen

Die Inszenierung des Geheimen seit 1996

6. Wie geheim sind Papstwahlen wirklich?

Ein verbotenes Konklave-Tagebuch

Top Secret: Regeln für die Geheimhaltung

Informationen über die Hintertreppe

Neue Geheimnisse seit Johannes Paul II.

7. Wie funktioniert ein Papstrücktritt?

«Dagegen-Papst»: Der Rücktritt Benedikts XVI.

Der Papa emeritus als zweiter Papst

Ein historisches Rücktrittsmodell

Entzauberung des Papsttums

Regelungen für einen Rücktritt

Geheime Vorsorgevollmacht für den Fall eines dementen Papstes

Wenn Weihnachten und Pfingsten zusammenfallen: Die Papstwahlordnung von 2059

Anhang

Nachwort

Anmerkungen

Wie Weihnachten: Das Mysterium der Papstwahl

1. Wer wählt den Papst?

2. Wer kann überhaupt Papst werden?

3. Wo wird der Papst gewählt?

4. Wie wird der Papst gewählt?

5. Was macht den Papst zum Papst?

6. Wie geheim sind Papstwahlen wirklich?

7. Wie funktioniert ein Papstrücktritt?

Wenn Weihnachten und Pfingsten zusammenfallen: Die Papstwahlordnung von 2059

Zum Weiterlesen

Quellen

Übersichtsliteratur

Wie Weihnachten: Das Mysterium der Papstwahl

1. Wer wählt den Papst?

2. Wer kann überhaupt Papst werden?

3. Wo wird der Papst gewählt?

4. Wie wird der Papst gewählt?

5. Was macht den Papst zum Papst?

6. Wie geheim sind Papstwahlen wirklich?

7. Wie funktioniert ein Papstrücktritt?

Wenn Weihnachten und Pfingsten zusammenfallen: Die Papstwahlordnung von 2059

Bildnachweis

Personenregister

Wie Weihnachten: Das Mysterium der Papstwahl

Die Wahl eines neuen Papstes fasziniert die Menschen, egal ob sie katholisch sind oder nicht. Eine Milliarde Zuschauer weltweit verfolgten 2005 an den Bildschirmen die Beisetzung Johannes Pauls II. und die Wahl Joseph Ratzingers zum Papst. Dessen Rücktritt als Benedikt XVI. 2013 schlug ein wie eine Bombe, denn nach sechshundert Jahren hatte zum ersten Mal wieder ein Oberhaupt der katholischen Kirche von dieser im Kirchenrecht prinzipiell gegebenen Möglichkeit Gebrauch gemacht. Und wieder einmal starrte wenig später die ganze Welt wie gebannt auf ein Kupferrohr auf dem Dach der Sixtinischen Kapelle, in der sich die Kardinäle zum Konklave versammelt hatten.

Habemus Papam: Wenn wie hier bei der Wahl Pius’ XII. am 2. März 1939 weißer Rauch aus dem Kamin der Sixtinischen Kapelle aufsteigt, haben die Kardinäle im Konklave einen neuen Papst gewählt.

Aus dieser Wahl ging Jorge Mario Bergoglio als Papst hervor, der sich als erster Nachfolger des Apostelfürsten Petrus nach dem Armen aus Assisi Franziskus nannte. Die eingeschlossenen Papstwähler kommunizierten wieder einmal nur durch Rauchzeichen mit den gespannt wartenden Gläubigen und sonstigen Neugierigen draußen: Schwarzer Rauch bedeutet einen Wahlgang ohne Ergebnis, weißer Rauch hingegen kündigt eine erfolgreiche Papstwahl an. Mehr Informationen dringen nicht nach außen. Zu twittern oder eine SMS zu schreiben, ist den Eminenzen ausdrücklich verboten. PCs, Laptops oder Tablets sind tabu. Die Kardinäle dürfen auch keine Tageszeitungen oder sonstige Journale lesen, sie dürfen weder Radio hören noch fernsehen, geschweige denn im Internet surfen.

Die Papstwahl soll eine wirklich geheime Wahl sein, vielleicht die einzige geheime Wahl auf der Welt, die diesen Namen verdient: die Wähler allein mit sich und ihrem Gott versammelt unter Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtina. Auch wenn das Gemälde seit der letzten Restaurierung in Pastellfarben leuchtet und nicht mehr ganz so bedrohlich dunkel wirkt wie zuvor, macht es jedem Kardinal, der seine Stimme abgibt, doch deutlich: Christus wird den strafen, der seine Entscheidung aus eigennützigen Gründen trifft. Die ewige Verdammnis droht denen, die nicht den zum Papst wählen, den Gott haben will. Ewige Seligkeit wird dagegen den Kardinälen sichtbar vor Augen geführt, die Gottes Willen folgen. Deshalb schreitet ein Kardinal nach dem anderen in der Reihenfolge der Ernennung, den ausgefüllten Stimmzettel in der rechten Hand hochhaltend, von seinem Platz aus auf den Altar unter Michelangelos Fresko zu und sagt, bevor er sein Votum in die Wahlurne wirft: «Ich rufe Christus, den Herrn, als Zeugen an, der mein Richter sein wird, dass ich denjenigen wähle, dem ich nach dem Willen Gottes meine Stimme geben muss.»[1]

Aber wie stellen die Kardinäle fest, was Gott gefällig ist und seinem Urteil entspricht? Wie können sie sicher sein, den Richtigen zum Papst zu wählen? Reden sie miteinander darüber? Oder sprechen sie im Gebet ausschließlich mit Gott? Wird hier, wie bei jedem anderen Wahlakt auch, politisch taktiert, koaliert, intrigiert und bestochen? Oder ist die Papstwahl doch im Letzten ein frommer Akt, ein einziger Gottesdienst, eine fast endlose Folge von Heiligen Messen, Psalmgebeten und Gesängen mit Wahleinlagen?

Wer wäre nicht gerne dabei und würde sich den Blick in das große Geheimnis einiges kosten lassen? Wer würde nicht gerne Mäuschen spielen, wenn mit dem Ruf «Extra omnes!» alle hinausmüssen, die nicht dazugehören, die Türen der Sixtina verschlossen werden und die Kardinäle schließlich unter sich sind? Wer würde nicht gerne wissen, welcher Kardinal welchen Kandidaten in welchem Wahlgang gewählt hat und wie sich die Stimmenverhältnisse der einzelnen Prätendenten im Verlauf des Konklaves entwickelt haben? Immerhin sind die draußen Gebliebenen durch den Kamin auf dem Dach der Sixtina über die Zahl der Wahlgänge informiert, denn nach jedem zweiten Wahlgang werden Rauchzeichen gegeben. Die Stimmzettel werden im Kanonenofen der Sixtinischen Kapelle verbrannt, zusammen mit allen möglichen Aufzeichnungen der Kardinäle. Nichts soll die Geheimhaltung der Wahl gefährden. Nichts soll später den Historikern Gelegenheit geben, offizielle Unterlagen einer Papstwahl einzusehen. Die geheimste aller geheimen Wahlen soll ein Geheimnis bleiben, auch in tausend Jahren – so will es die derzeit geltende Papstwahlordnung.

Im Kaminofen der Sixtina werden nach jedem zweiten Wahlgang die Stimmzettel und alle anderen Wahlunterlagen verbrannt.

Wir hätten gerne gewusst, ob Jorge Mario Bergoglio wirklich schon 2005 eine Chance auf die Mehrheit gehabt hätte, es aber nicht auf eine langandauernde Kampfabstimmung mit Joseph Ratzinger ankommen lassen wollte. Höchst interessant wäre auch, ob es während der Beerdigungsmesse, die Joseph Ratzinger als Kardinaldekan auf dem Petersplatz für Johannes Paul II. zelebrierte, tatsächlich einen Schlüsselmoment gab, als der Wind oder vielleicht doch der Hauch des Heiligen Geistes das Evangelienbuch aufblätterte, das auf dem schlichten Holzsarg des verstorbenen Papstes lag. Die Skepsis vieler Kardinäle gegenüber dem gefürchteten obersten Glaubenswächter soll in diesem Moment in sich zusammengebrochen sein. Ratzinger schien plötzlich nicht nur zum scharfen Hirtenhund zu taugen, sondern auch zum Hirten.

Wir hätten gerne gewusst, ob die Kardinäle in einem Augenblick frommer Anwandlung mit Bergoglio wirklich einen Reformer zum Papst wählen wollten, beeindruckt durch die tiefe Krise, in die Vatileaks, Vatikanbankaffäre, Missbrauchsskandal und nicht zuletzt der Rücktritt Benedikts XVI. Kirche und Papsttum gestürzt hatten, und in der Hoffnung, ein Mann vom anderen Ende der Welt werde endlich Ordnung schaffen im Chaos der Römischen Kurie. Oder war der Argentinier für viele Wähler doch bloß ein schon betagter Herr und deshalb ein geeigneter, weil voraussichtlich nur kurz regierender Übergangspapst? Dann hätten die Kardinäle die Entscheidung über den richtigen Weg der Kirche in die Zukunft wieder einmal nur vertagt, wie schon so oft in der Kirchengeschichte. Aber wie der Pontifikat Johannes’ XXIII. gezeigt hat, sind gerade vermeintliche Übergangspäpste für Überraschungen gut. Sie bewegen in fünf Jahren mitunter mehr als andere in fünfundzwanzig. Das hat die Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils durch Johannes XXIII. im Jahr 1959 eindrücklich vor Augen geführt, und damit konnte bei seiner Wahl wirklich niemand rechnen.

Die Antworten auf all diese Fragen bleiben Spekulation, auch wenn immer wieder der eine oder andere Kardinal absichtlich oder nebenbei Details aus dem Konklave ausplaudert und damit Gefahr läuft, Geheimnisverrat zu begehen, der die Exkommunikation zur Folge hätte, den Ausschluss aus der Gemeinschaft der Kirche. Und selbst wenn etwas nach außen dringt: Objektiv überprüfbar sind diese Informationen meistens nicht. Aber genau das macht Papstwahlen so interessant. Während moderne Medien alles in die Öffentlichkeit zerren und mitunter selbst Top-Secret-Informationen der Geheimdienste im Internet bequem nachzulesen sind, entzieht sich das Konklave dem Trend zur Transparenz. Geschickt wird die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Verborgene gelenkt. Es ist die gelungene «Inszenierung des Geheimen» schlechthin, wie es Günther Wassilowsky treffend formuliert hat.[2] Denn gerade das, was verborgen und keusch bedeckt ist, regt die Fantasie an und bietet eine einmalige Projektionsfläche für Verschwörungstheorien und Wunschträume, für Thriller und Hollywood-Filme.

Die Papstwahl ist ein festgefügter Ablauf von symbolischen Handlungen, der nicht nur im Hinblick auf die gespannte Erwartung der Bescherung mehr mit Weihnachten zu tun hat, als man zunächst vermutet. Doch wann es zur Bescherung kommt, ist in diesem Fall völlig unklar. Und die Anzahl der schwarzen Rauchzeichen sagt nichts darüber aus, ob sich die Kardinäle womöglich gerade schon im letzten Akt befinden. Erst der weiße Rauch zeigt, dass dieser Teil des Theatrum sacrum, des heiligen Theaters, zu einem Ende gekommen ist.

Wer Papst geworden ist und welchen Namen er angenommen hat, wissen wir dann immer noch nicht. Wir müssen demütig weiter warten, bis sich endlich auf der mittleren äußeren Loggia der Peterskirche eine Tür öffnet. Im «Drehbuch» der Papstwahl, dem Ordo Rituum Conclavis, steht, dass das gläubige Volk auf dem Petersplatz freudig applaudiert, wenn ihm der neue Pontifex maximus präsentiert wird. Eine Akklamation als Zeichen der Zustimmung ist schön, aber nicht notwendig für die Gültigkeit der Wahl, denn wir können nichts mehr ändern: In dem Moment, in dem der Gewählte die Wahl annimmt, ist er der Papst, ohne weitere Rituale, Weihen und Segnungen. Electio facit Papam, die Wahl macht den Papst, und Ende. Auch wenn alle eisig schwiegen, änderte das nichts mehr. Wer wäre aber nicht freudig bewegt in diesem Augenblick? Wer könnte sich der frommen oder weniger frommen Gruppendynamik in der einmaligen Atmosphäre des Petersplatzes zwischen Berninis Kolonnaden entziehen? Es steckt an, wenn alle jubeln.

Endlich ist es so weit: Der Kardinalprotodiakon als der Dienstälteste aus der Statusgruppe der Kardinaldiakone tritt auf den mittleren Balkon der Petersbasilika. Er hat natürlich auch die Bischofsweihe und nicht nur die Diakonenweihe – wer kann diese Logik höchster Kirchenämter wirklich verstehen? Die Tür geht auf, und er spricht den erwarteten und erlösenden Satz: «Habemus Papam.» Wir haben einen Papst. Dann kommt eine kleine Kunstpause, ein retardierendes Moment, bevor er «alta voce», mit erhobener Stimme, das Geheimnis lüftet.[3] Er nennt zunächst den Tauf- und Geburtsnamen des Gewählten, dann den Namen, den der neue Papst künftig tragen wird. Gestaltungsspielraum oder Gelegenheit zu einem persönlichen Wort hat der Kardinalprotodiakon trotz seines monumentalen Titels nicht. Er rezitiert wie in der Liturgie eine feststehende Formel, in die er nur die aktuellen Namen einfügt.

Bei der letzten Papstwahl trat Jean-Louis Kardinal Tauran am 13. März 2013 um 20.13 Uhr vor die Menge und verkündete die erfolgreiche Wahl Kardinal Bergoglios zum Papst, der sich den Namen Franziskus zugelegt hatte. Dann brandete nach einem Moment des Zögerns – hatte man den Namen des Gewählten richtig verstanden: Jorge Mario wie? Doch wieder ein Italiener? Nein, nein, der Argentinier! – Beifall auf.

Es folgt der entscheidende Augenblick. Der neue Papst tritt auf die Loggia des Petersdoms. Er ist der einzige, dem das strenge Ritual einen gewissen Spielraum gibt. Er ist schließlich der Papst, unfehlbar, Inhaber des universalen Primats in der Kirche und damit auch oberster Herr über Ritus und Liturgie. Fest steht nur, dass er am Schluss seines ersten öffentlichen Auftritts den großen Segen spenden muss: «Urbi et orbi», der Stadt und dem Erdkreis. Franziskus kommt anders als Benedikt XVI. ganz in Weiß, ganz schlicht, ohne die Monzetta, den purpurroten Schulterumhang. Er sagt ganz weltlich Buonasera, Guten Abend, statt einen feierlichen liturgischen Gruß zu entbieten. Er winkt nicht wie ein Sieger, ist nicht huldvoll wie ein Triumphator, sondern verneigt sich demütig vor seinem Volk und bittet es um sein Gebet, bevor er für das Volk um Gottes Segen bittet. Dann ist es nach wenigen Sätzen mit dem Gestaltungsspielraum auch schon wieder vorbei. Jetzt greift das Ritual: «Et benedictio Dei omnipotentis …»[4] – es segne Euch der Allmächtige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist, und schon verschwindet der neue Papst wieder hinter der Tür der Mittelloggia. Der Auftritt dauerte nur wenige Minuten, aber diese haben sich gelohnt: Man war Teil eines gewaltigen, uralten Rituals. Man war mittendrin, spürte in diesem Moment vielleicht den Hauch der Ewigkeit – einen Augenblick, in dem Gott Weltgeschichte schreibt.

Und dann erinnert man sich plötzlich an den Satz, den der Kardinalprotodiakon vor dem «Habemus Papam» gesagt hat: «Annuntio vobis gaudium magnum.»[5] Das kennt man doch aus dem Weihnachtsevangelium, in dem Lukas von der Geburt Jesu im Stall von Bethlehem erzählt. Hier spricht der Verkündigungsengel jenen bedeutungsschweren Satz: «Ich verkündige Euch eine große Freude», genau wie der Diakon auf der Loggia. Was der Kardinal nicht mehr sagt, geht bei Lukas so weiter: «… eine Freude, die dem ganzen Volk zuteilwerden soll. Denn Euch ist heute in der Stadt König Davids der Retter geboren, der Erlöser, der Herr.»[6] Das klingt auf dem Balkon des Petersdoms zumindest mit an, auch wenn es nicht ausdrücklich formuliert wird.

Und jetzt wird klar, was da gerade auf der Loggia des Petersdoms eigentlich inszeniert worden ist. Heute ist der Welt ein neuer Christus geschenkt worden, lautet die Botschaft. Der Papst ist nach der Lehre der katholischen Kirche der «alter Christus», der neue Christus. Und lautet nicht sein wichtigster Titel «Vicarius Christi», Stellvertreter Jesu Christi auf Erden? Dahinter steht ein ungeheurer Anspruch: Wer den Papst hört, der hört Christus. Die Rituale der Papstwahl sollen die Verheißung erneuern, die mit der Geburt Christi verbunden ist. Sie stellen über alle Krisen und Brüche hinweg symbolisch Kontinuität und Sicherheit her und verheißen Hoffnung und Heil. Das Papsttum als Amt lebt ewig, auch wenn der einzelne Papst als Person sterben muss: Das sind die zwei Körper des Papstes, ebenso wie die zwei Körper des Königs, von denen in der historischen Wissenschaft seit Ernst Kantorowicz so viel die Rede ist.

Dieser Ewigkeitswert des Papsttums soll durch die scheinbare Unveränderlichkeit von Verfahren und Symbolen der Papstwahl sowie der Amtseinsetzung des Vicarius Christi und Nachfolgers des Apostelfürsten Petrus dargestellt werden. Die Rituale vermitteln in der Tat erfolgreich den Anschein von Ewigkeit, sodass nicht wenige auf dem Petersplatz und zu Hause vor dem Fernseher glauben, ein zwei Jahrtausende altes Ritual miterlebt zu haben.

Gegen die voranschreitende «Entzauberung der Welt» (Max Weber) wird so ein starker Gegenimpuls der Verzauberung gesetzt, auch wenn dieser möglicherweise nur von kurzer Dauer ist. «In dieser Symbiose archaisch erscheinender Rituale und modernster Kommunikationsformen ist die anziehende Wirkung, profaner gesprochen der hohe Nachrichtenwert, begründet, den das Papsttum gegenwärtig bis weit über die Grenzen der katholischen Kirche ausübt», wie der Historiker René Schlott in einer Studie über die Medialisierung des Papsttodes feststellt, deren Ergebnisse ohne Weiteres auf das Thema Papstwahl und Konklave übertragen werden können.[7]

Heute scheinen eine ganze Reihe von Elementen wesensmäßig zur Papstwahl zu gehören: Der Papst wird im Konklave gewählt, die Kardinäle sind die einzigen Papstwähler, gewählt wird stets in Rom, gewählt wird immer ein Kardinal, der neue Papst gibt sich stets einen neuen Namen, die ideale Bühne für dieses heilige Schauspiel ist der Vatikan oder genauer: die Sixtinische Kapelle, die Loggia der Petersbasilika, das Petrusgrab unter dem Papstaltar und der Petersplatz. Das Einzige, was sich wirklich geändert hat, ist die Nationalität der Päpste: Bis 1978 wurden so gut wie immer Italiener gewählt. 1978 war es zum ersten Mal ein Pole, dann 2005 ein Deutscher und jetzt 2013 sogar ein Lateinamerikaner, aus römischer Sicht: ein Mann vom Ende der Welt.

Warum es 1978 nach über viereinhalb Jahrhunderten zur Wahl des ersten Nichtitalieners gekommen ist, darüber kann man wieder nur spekulieren. Da es keine historisch zuverlässigen Quellen über die letzten Papstwahlen gibt, die genau beschreiben, was hinter den verschlossenen Pforten der Sixtinischen Kapelle wirklich geschah, bleibt den Neugierigen im Grunde nur noch eine Möglichkeit: ein Blick auf die Regeln einer Papstwahl. Es liegen nämlich sehr differenzierte rechtliche und liturgische Vorschriften dazu vor, wie diese abzulaufen hat, sowohl was das technische Verfahren als auch was das Zeremoniell beziehungsweise den gottesdienstlichen Ritus betrifft.

Die derzeit geltende Papstwahlordnung findet sich in der Apostolischen Konstitution Universi Dominici gregis, die Johannes Paul II. am 22. Februar 1996, dem Fest der Cathedra Petri, erlassen hat. Dazu kommen die liturgischen Ausführungsbestimmungen zu dieser rechtlichen Verordnung, die sich in drei Ritualbüchern finden. Im Heiligen Jahr 2000 erschien zunächst der Ordo exsequiarum Romani Pontificis. Hierbei handelt es sich um die Totenliturgie, die von den Zeremonien im Sterbezimmer des Papstes über die Aufbahrung seines Leichnams in der Petersbasilika und die neuntägigen Totengebete bis zum Requiem auf dem Petersplatz und zur Beisetzungsliturgie in der Krypta von Sankt Peter reicht. Im selben Jahr wurde auch der Ordo Rituum Conclavis veröffentlicht, der Verfahren und Zeremoniell des Konklaves von der Messe, in der die Kardinäle um den Beistand des Heiligen Geistes bitten, über den Einzug der Wähler ins Konklave und die Eidesleistung bis zu den eigentlichen Wahlgängen und zur Präsentation des neu gewählten Papstes auf der Loggia des Petersdoms regelt. Unmittelbar nach seiner Wahl zum Papst setzte Benedikt XVI. im April 2005 den noch von seinem Vorgänger in Auftrag gegebenen Ordo Rituum pro ministerii Petrini initio Romae Episcopi in Kraft. Hier finden sich die liturgischen Bestimmungen zur eigentlichen Amtseinsetzung des Papstes, insbesondere zur Einführungsmesse auf dem Petersplatz.

Die rechtlichen Vorschriften von Universi Dominici gregis wurden von Papst Benedikt XVI. in den Jahren 2007 und 2013 noch einmal geringfügig verändert und präzisiert. Bezeichnenderweise gibt es bislang weder rechtliche noch rituelle Vorschriften zum Rücktritt eines Papstes, obwohl diese Möglichkeit theoretisch immer bestanden hat. Weil ein solcher Schritt jedoch sechs Jahrhunderte lang nicht vorgekommen ist, hielt man es in Rom offenbar nicht für notwendig, nähere Regelungen zu erlassen. Ob ein Hubschrauberflug in die päpstliche Sommerresidenz Castel Gandolfo in den Albaner Bergen künftig zu den Ritualen des Amtsverzichts eines Papstes gehören wird, bleibt abzuwarten.

Überraschenderweise hat mit Ausnahme Benedikts XV. (1914–1922) und des Dreiunddreißig-Tage-Papstes Johannes Paul I. (1978) jeder der Päpste des zwanzigsten und einundzwanzigsten Jahrhunderts Anlass gesehen, eigene Bestimmungen für die Wahl seines Nachfolgers zu erlassen, während vorher Modifizierungen meist nur alle paar Jahrhunderte notwendig erschienen und dann auch oft mit größeren zeitlichen Verzögerungen vorgenommen wurden. Der Ewigkeitscharakter der Papstwahlen, der bei der Inszenierung des «Habemus Papam» auf dem Petersplatz entstehen sollte, bekommt durch diese schlichte, leicht recherchierbare Tatsache einen ersten Dämpfer.

Johannes Paul II., hier bei einer Aufnahme im Berliner Olympiastadion 1996, erließ in diesem Jahr seine neue Papstwahlordnung «Universi Dominici gregis».

Johannes Paul II. begründete im Jahr 1996 seine umfassende Reform mit der ungeheuren Dynamik der modernen Zeit, die unbedingt eine stetige Anpassung der Normen der Papstwahl verlange, um «den Anforderungen der jeweiligen besonderen historischen Situation zu entsprechen».[8] Der Papst beschwor zwar eine ungebrochene Kontinuität in der «Substanz und den Grundprinzipien» der Papstwahlordnung und versprach, in seiner Konstitution «nicht von der Linie der weisen und bis zum heutigen Tag geltenden verehrungswürdigen Tradition abzuweichen»,[9] sah aber zugleich im «Bewusstsein der veränderten Situation, in der die Kirche heute lebt», die Notwendigkeit und sogar die Pflicht zur «Überarbeitung» der Gesetze, die «die Besetzung des Bischöflichen Stuhles in Rom regeln».[10]

Damit räumte der Papst, für dessen Pontifikat in Glaubens- und Sittenfragen eher «ewige Wahrheiten» eine entscheidende Rolle spielten, dem Entwicklungsgedanken in der katholischen Kirche einen überraschend breiten Raum ein: Die historischen Veränderungen verlangten seiner Ansicht nach geradezu eine Anpassung der kirchlichen Vorschriften. Das ist keineswegs selbstverständlich. Nicht selten wurden in der Kirchengeschichte Reformen mit dem Argument, dass es schon immer so war, abgelehnt oder sogar grundsätzlich für unmöglich erklärt. Jesus Christus selbst habe die Kirche so gegründet, wie sie heute ist.

Dabei ist es in der Forschung umstritten, ab wann man den Bischof von Rom überhaupt als Papst bezeichnen und deshalb von einer Papstwahl sprechen darf. Ursprünglich stammt der Titel «Papst» aus dem östlichen Teil des Römischen Reiches und wurde von zahlreichen Äbten und Bischöfen verwendet. Seit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts wurden auch der Bischof von Rom und die Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem als Papst bezeichnet. Diese fünf bildeten gemeinsam die Spitze der Gesamtkirche und wurden deshalb als Pentarchie, als Fünferherrschaft, bezeichnet. Im Verlauf des fünften Jahrhunderts beanspruchte der römische Bischof den Titel Papst für den Bereich der westlichen Kirche exklusiv, aber erst im Verlauf des elften Jahrhunderts setzten sich dann papa und papatus, also Papst und Papsttum, neben anderen Titeln wie Pontifex Romanus, Apostolicus oder Vicarius Christi für den Bischof von Rom als Alleinstellungsmerkmal durch. In evangelischer Perspektive kann «im Sinn der Definition von Papsttum als Anspruch der römischen Bischöfe … als Nachfolger und Erben des Petrus auf die Leitung und den Jurisdiktions- und Lehrprimat in der Gesamtkirche … von Papsttum im eigentlichen Sinne erst seit dem Mittelalter und nur für das lateinische Abendland gesprochen werden; für die Alte Kirche handelt es sich um die Geschichte des römischen Bischofsamtes und der christlichen stadtrömischen Gemeinde».[11] Diese begrifflichen Klarstellungen gilt es zu bedenken, wenn im Folgenden vereinfachend von «Papst» und «Papstwahl» die Rede ist.

Dieses Buch widmet sich der Spannung zwischen Veränderung und Beharrung, zwischen Anpassung an die neue Zeit und Festhalten an der verehrungswürdigen Tradition, die auch Johannes Paul II. in seiner Papstwahlordnung von 1996 benannt hat. Dazu werden die am häufigsten gestellten Fragen zur Papstwahl beantwortet: Wer wählt den Papst und verfügt damit über das aktive Wahlrecht? Wer kann überhaupt Papst werden? Wo wird der Papst gewählt? Wie wird der Papst gewählt? Was macht den Papst zum Papst? Wie geheim sind die Papstwahlen wirklich? Wie funktioniert ein Papstrücktritt und welchen Status hat ein Papst, der dem Petrusamt entsagt hat? Was ist dran an den Gerüchten um ein Geheimgesetz für den Fall, dass ein Papst dement wird? Und schlussendlich: Wie könnten Papstwahlen der Zukunft aussehen?

Ein Blick in zwei Jahrtausende Papst- und Kirchengeschichte wird bei jeder Frage zeigen, inwieweit sich Johannes Paul II. tatsächlich an die «verehrungswürdige» Tradition gehalten hat und wo und aus welchen Gründen er davon abgewichen ist.

1. Wer wählt den Papst?

Jesus übergibt die Schlüssel

In der Nähe der Stadt Caesarea Philippi, knapp fünfzig Kilometer nördlich des Sees Genezareth, fragte Jesus im Jahr 33 seine Jünger: «Für wen halten die Leute den Menschensohn? Sie sagten: Die einen für Johannes den Täufer, andere für Elija, wieder andere für Jeremia oder sonst einen Propheten. Da sagte er zu ihnen: Ihr aber, für wen haltet ihr mich? Simon Petrus antwortete: Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes! Jesus sagte zu ihm: Selig bist du, Simon Barjona; denn nicht Fleisch und Blut haben dir das offenbart, sondern mein Vater im Himmel. Ich aber sage dir: Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Mächte der Unterwelt werden sie nicht überwältigen. Ich werde dir die Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf Erden binden wirst, das wird auch im Himmel gebunden sein, und was du auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöst sein.»[1]

Nach katholischer Vorstellung begründet die Übergabe der Schlüssel des Himmelreiches durch Jesus Christus an den Apostel Petrus das Papstamt, das in ununterbrochener Sukzession bis heute von Papst zu Papst weitergegeben wird. Perugino verewigte die in Matthäus 16,18 f. beschriebene Szene 1482 im Rahmen eines Zyklus zum Leben Jesu auf der Nordwand der Sixtina.

Wer den ersten Papst gewählt hat, das wissen zumindest katholische Christen ganz genau. Er wurde nicht in einem Konklave hinter den Mauern des Vatikan von rotgewandeten Kardinälen gewählt, sondern ganz öffentlich von Jesus Christus, dem Herrn, selbst eingesetzt. Dabei bekam er gleich noch einen neuen Namen, wie das auch heute bei Papstwahlen üblich ist: Aus Simon, dem Sohn des Jonas, wurde Petrus, der Fels. Und von diesem wurde das Papstamt in einer ununterbrochenen Reihenfolge von einem Nachfolger zum anderen bis zum heutigen Papst Franziskus weitergegeben. Eine lückenlose Sukzession sichert die Tradition.

Das steht jedenfalls so in der dogmatischen Konstitution Pastor aeternus, die das Erste Vatikanische Konzil am 18. Juli 1870 verabschiedet hat. Sie enthält das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes und von seinem Jurisdiktionsprimat über die ganze Kirche, das alle Katholiken, wollen sie katholisch sein, genauso wie die Geschichte des Petrus aus dem Matthäusevangelium zu glauben haben. Die Argumentation in diesem Dokument erfolgt in vier Schritten: 1. Christus, der Herr, hat den Primat über die ganze Kirche «unmittelbar und direkt dem seligen Apostel Petrus verheißen und übertragen». 2. Der Primat des Petrus dauert in den römischen Päpsten fort: «Wer immer Petrus auf diesem Stuhl folgt, erhält gemäß der Stiftung Christi den Primat des Petrus über die gesamte Kirche.» 3. Dem Papst als «wahrem Stellvertreter Christi» sind alle Bischöfe und Gläubigen in allen Glaubens- und Sittenfragen, aber auch in allen Disziplinar- und Leitungsfragen «zur hierarchischen Unterordnung» und «zu echtem Gehorsam» verpflichtet. 4. In Glaubens- und Sittenfragen ist der Papst, wenn er ex cathedra – wörtlich: vom Lehrstuhl herab – spricht, unfehlbar. «Daher sind solche Definitionen des römischen Bischofs aus sich, nicht aber aufgrund der Zustimmung der Kirche unabänderlich.»[2]

Historisch gesehen ist es jedoch nicht ganz so einfach. Petrus war zweifellos ein entscheidender Mann in der christlichen Urgemeinde. Daran besteht in der exegetischen Forschung kein Zweifel. Er stammte aus Bethsaida in Galiläa, und Jesus hat ihn, zusammen mit seinem Bruder Andreas, als ersten Jünger berufen. Simon Petrus war den Evangelien zufolge nach Jesu Tod am Kreuz auch einer der ersten Zeugen der Auferstehung. Ob der Satz mit der Schlüsselübergabe, der sich in dem um das Jahr 80 entstandenen Matthäusevangelium befindet, tatsächlich von Jesus Christus stammt oder erst in eine spätere Phase der frühchristlichen Überlieferung gehört, ist bis heute insbesondere zwischen Protestanten und Katholiken umstritten. Aber ganz unabhängig davon, ob die Petrusverheißung auf den historischen Jesus selbst zurückgeht oder später entstanden ist, lässt sich aus ihr vielen Interpreten zufolge nicht ableiten, dass sie sich auch auf mögliche Nachfolger und ein mit ihnen im Zusammenhang stehendes Papstamt bezieht.

Die Erfindung der apostolischen Sukzession

Folgt man dieser Lesart, dann wäre das Thema Papstwahl und aktives Wahlrecht bereits zu Ende, bevor es überhaupt richtig begonnen hat. Dann hätte es allenfalls einmal die Designation des Simon Petrus zum Felsengrund der Kirche gegeben. Jesus Christus wäre dann der einzige «Papstwähler» der ganzen Kirchengeschichte.

Wenn man in der Verheißung des Matthäusevangeliums dagegen doch die Grundlegung eines Petrusdienstes in der Kirche sieht, dann wären die einzig legitimen Papstwähler die jeweiligen Amtsinhaber, die ihre Nachfolger noch zu Lebzeiten durch Designation zu bestimmen hätten, so wie Jesus den Petrus. Dann müsste nur noch eine Brücke übers Mittelmeer geschlagen werden von Caesarea Philippi beziehungsweise Jerusalem nach Rom. Denn einen Papst gab es in der Jerusalemer Urgemeinde definitiv nicht. Vielmehr ist dieses Amt theologisch, historisch und kirchenrechtlich untrennbar mit der Funktion eines Bischofs von Rom verbunden.

Die theologische Lösung dieses Problems sieht so aus: Petrus wird zum Gründer der römischen Gemeinde, zumindest jedoch zum ersten Bischof der Hauptstadt des Römischen Reiches erklärt, der wiederum «Linus als den ersten in der fortdauernden Reihe seiner Nachfolger» einsetzte.[3] Damit wäre auch die zweite Papstwahl der Kirchengeschichte ganz nach biblischem Vorbild durch Designation erfolgt.

Diese Sicht auf den Beginn der Papstwahlen basiert auf drei Voraussetzungen: Erstens, dass Petrus tatsächlich in Rom war, zweitens, dass er auch Bischof dieser Gemeinde war, und drittens, dass er den Linus noch zu seinen Lebzeiten zum Nachfolger bestimmte. All diese drei Voraussetzungen sind aber in der kirchenhistorischen Forschung umstritten. Dass Petrus nach Rom kam und unter Kaiser Nero im Jahr 64 oder 67 den Märtyrertod erlitt, lässt sich historisch zwar nicht sicher beweisen, ist aber doch als wahrscheinlich anzusehen. Dass sich sein Grab tatsächlich unter der heutigen Petersbasilika befindet, wird ebenfalls infrage gestellt. Schriftliche Quellen dazu fehlen. Der archäologische Befund der Ausgrabungen weist lediglich darauf hin, dass sich hier das Grab eines wichtigen Christen aus dem ersten Jahrhundert befindet, das sich rasch zu einer Stätte der Verehrung entwickelte. Allerdings haben in den ersten Jahrhunderten des Christentums die vielen Gegner der römischen Kirche, auch die innerkirchlichen, den Ort des Petrusgrabes nie angezweifelt – dabei wäre das doch ein naheliegendes Argument gewesen, um die wachsenden römischen Machtansprüche zurückzuweisen. Das spricht sehr dafür, dass der vatikanische Hügel tatsächlich der Ort ist, an dem Petrus beigesetzt wurde.

Aber Petrus hat die römische Gemeinde mit größter Wahrscheinlichkeit nicht gegründet. In der Hauptstadt des Römischen Reiches, diesem zentralen Umschlagplatz von Waren, Meinungen und religiösen Ideen, hatte das Christentum rasch Fuß gefasst, ohne dass die genauen Ursprünge historisch greifbar wären. Wahrscheinlich brachten Händler aus dem Osten auch ihre religiösen Überzeugungen mit. Als der Apostel Paulus im Jahr 56 seinen Brief an die Römer schrieb, existierte die römische Christengemeinde längst. Paulus will sie besuchen und endlich kennenlernen, er will die Christen in der Hauptstadt auch um Unterstützung für seine geplante Missionsreise nach Spanien bitten. Petrus, der sonst in den Paulusbriefen durchaus eine Rolle spielt, taucht im Römerbrief bezeichnenderweise nicht auf.