Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen? - Johannes Erdmann - E-Book

Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen? E-Book

Johannes Erdmann

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Beschreibung

Segeln mit Humor: Geschichten aus dem Logbuch eines Charterskippers Eine Seefahrt, die ist lustig – und wer jahrelang im Chartergeschäft tätig ist, weiß viel zu erzählen. Tausende Touristen buchen jährlich eine Charterreise und sorgen bei ihren Gastgebern oft genug für Schmunzeln, Staunen und verzweifeltes Haareraufen. In "Könnt ihr mal das Segel aus der Sonne nehmen?" erzählt Autor und Segelredakteur Johannes Erdmann vom schmalen Grat zwischen Skipperdasein und Animateurskunst. An Bord seines 13 Meter langen Katamarans bereist er die Bahamas und erlebt mit seinen Gästen die skurrilsten, liebenswertesten und witzigsten Storys. Entstanden ist daraus ein kurzweiliges Segelbuch, das ebenso liebevoll wie komisch beide Seiten des Charterbusiness beleuchtet. • Amüsante Erzählungen des bekannten Yacht- und boote-Redakteurs Johannes Erdmann • Anekdoten über das Abenteuer Yachtcharter und die Kunst, es allen recht zu machen • Segeln in einem der schönsten Reviere der Welt: Mit dem Katamaran auf den Bahamas! • Ein originelles Geschenk für Segler und Charterfans Ein Buch über das Segeln in der Karibik und die Herausforderung, alle glücklich zu machen Johannes Erdmann schipperte bereits als Abiturient allein über den Atlantik und setzte später mit Freundin Cati Trapp zu einer weiteren Atlantiküberquerung unter Segeln an. Doch seine jüngsten Erfahrungen als Charterskipper sind mit nichts vergleichbar. Unterhaltsam und mit charmanter Ehrlichkeit erzählt er von Gästen, die zum ersten Mal eine Segelyacht chartern und sich über den Schatten des Segels wundern, von vermeintlichen Experten, die alles besser wissen und von Familien, die kurzerhand die Bordvorräte plündern. Eines der amüsantesten Bücher für Segler und solche, die es werden wollen!

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JOHANNES ERDMANN

KÖNNT IHR MAL DAS SEGELAUS DER SONNE NEHMEN?

SKURRILE ERLEBNISSEEINES CHARTERSKIPPERS

»Für Cati. Die gute Seele unseres Schiffes – und die Backstagsbrise in meinem Leben.Danke, dass du meine verrückte Idee mitgemacht hast.Deine herzliche und positive Art mit den Gästen war es, die das Experiment ›Charterboot‹ zum Erfolg gemacht hat.«

INHALT

PROLOG

WIR HATTEN MAL EINEN GAST, …

… der wollte uns Business-Tipps geben

… der hat die ganze Kabine neu lackiert. Mit Mückenspray!

… der wollte die ganze Reise über Karten spielen

… der wollte doch lieber eine Cola

… der wunderte sich über meine vielen Nickerchen

… der war froh, dass er mal ein paar Tage offline ist

… der hat sich die Füße von unten mit Sonnencreme eingeschmiert

… der hat sich nie die Hände gewaschen

… der wollte jeden Tag ein neues Badehandtuch

… der wollte Müll trennen

… der bräuchte eigentlich Untertitel

… der hat jede Schüssel leer gemacht

… der hat alle Lichter brennen lassen

… dem war das Segel ständig in der Sonne

… der hatte ein Problem mit dem Bordklo

… der die Nacht im Trampolin verbringen wollte

… der hat sich verlobt

… mit dem waren wir den halben Urlaub lang eingeweht

… der hat über Bord gepinkelt

… mit dem haben wir die Bahamas neu kartografiert

… der wies mich auf fliegende Kakerlaken hin

… der hat seine Zigarettenasche getrunken

… der hatte das »so nicht gebucht«

… der hat gehört, dass Nassau eine Tradition hat

… der hat uns fast Löcher in die Kloschläuche gebrannt

… der wurde von einem schwimmenden Schwein gebissen

… der war ziemlich seekrank

… der sollte einen Daumen annähen

… der hatte für jedes Ausrüstungsstück an Bord eine bessere Lösung

… der war total verständnisvoll, dass wir nicht jeden Tag Alkohol trinken wollen

… der war James-Bond-Fan

… der glaubte, Kolumbus hätte auf den Bahamas gewohnt

… der stahl die Bahamas. Stück für Stück

EPILOG

DANKE AN …

PROLOG

Segeln und damit Geld verdienen. Wer träumt davon nicht? Und in der Theorie klingt es auch sehr verlockend: Das Leben unter Palmen, als Skipper und Crew einer tollen Yacht. Statt im Winter zu Hause Schnee zu schippen, lassen wir uns lieber vom warmen Passatwind in den Segeln von Insel zu Insel treiben. Mit an Bord: nette Gäste, gutes Essen, kalte Drinks. Jede Woche dann am Ende der Reise in strahlende Gesichter blicken. Natürlich wird es auch mal nicht so nette Gäste und Rückschläge geben, das gehört dazu. Doch wer erinnert sich schon lange an so etwas? Das nimmt man doch gern in Kauf für solch ein traumhaftes Leben. Erst recht, wenn man den Vergleich zu einem tristen Büroalltag in einer grauen Großstadt hat. Ein Leben, dem die meisten unserer Gäste zumindest für zehn Tage entfliehen (… und dafür viel Geld ausgeben), um eine Zeit lang mit uns zu segeln. Das alles ist an Bord weit entfernt. Zehn Tage lang. Dann müssen sie wieder nach Hause. Und wir? Wir bleiben im Paradies.

Doch was die Gäste nicht sehen (und was wir vor ihnen auch tunlichst zu verbergen versuchen), ist die Kehrseite: Unser Zeitplan ist eng gesteckt. Ausfälle wegen notwendiger Reparaturen, Krankheit oder schlechtem Wetter darf es nicht geben. Die Gäste haben gebucht und wollen alle Highlights der Bahamas sehen, die wir so schön auf unserer Website präsentiert haben. »Vor dieser Insel können wir heute leider nicht ankern, weil es bei der vorherrschenden Windrichtung keinen Schutz vor Wellen gibt«, wird eher selten verstanden.

Von November bis Mai sind wir voll gebucht. Kein Urlaub, keine freien Tage. Unsere Planung zwingt uns zudem häufig zum Auslaufen, auch wenn das Wetter nicht optimal ist und wir ohne Gäste definitiv im Hafen geblieben wären. Ist nicht gerade ein Sturm angesagt, dann segeln wir. Jeden Tag. Komme, was wolle.

Natürlich geht das bei einem 17 Jahre alten Boot nicht ohne Schäden und technische Ausfälle. Unser Katamaran ist in einem Alter, in dem zahlreiche Erneuerungen fällig werden. Wir überholen die Maschinen, tauschen viel Elektronik, kaufen sogar einen neuen Satz Segel und einen Wassermacher. Gleich in der ersten Saison verlieren wir einen Kiel auf einem nicht kartografierten Riff und müssen die ankommenden Gäste überreden, statt durch die wundervollen Inseln erst mal für vier Tage mit uns in die Werft zu gehen. Von den Chartereinnahmen geht die Hälfte für die monatlichen Raten für das Boot drauf, die andere für laufende Kosten und Reparaturen. Ein Gehalt zahlen wir uns nie. Um unsere Krankenversicherungen und Kosten in der Heimat zu decken, arbeiten wir in der Hurrikansaison, wenn das Boot an Land steht, als freier Journalist und als Sekretärin.

Obwohl sich auf den Chartertouren mit der Zeit durchaus Routine einstellt, gibt es immer wieder Rückschläge und Probleme. Dazu ständig Engpässe bei der Verpflegung in den Supermärkten auf der Insel. Zwischen den 10-Tages-Touren gleicht mein Job dem eines Fahrers, denn ich verbringe jeweils zwei Tage auf Nassau damit, alle nötigen Nahrungsmittel und Ersatzteile für die nächste Tour zu besorgen und Gäste zu chauffieren. Unser Terminplan ist so eng getaktet, dass meist nur 20 bis 24 Stunden Zeit zwischen den Touren liegen. Sehr knapp für eine komplette Grundreinigung, Reparaturen, Einkäufe und den Transport der Gäste vom und zum Flughafen. Mal einen Monat – oder auch nur eine Woche – auszusetzen und zu verschnaufen ist kaum möglich, denn wir müssen die Segelsaison nutzen, und die ist finanziell betrachtet irgendwie immer zu kurz. Charter ist ein Saisongeschäft, und auch wenn die MAVERICK XL keine Einnahmen einfährt, müssen wir unsere monatliche Rate ja trotzdem zahlen.

Im Normalfall haben wir im Monat drei Tage gästefrei, eben jene (maximal) 24 Stunden zwischen den drei Touren, die wir mit der Schiffspflege und Vorbereitungen verbringen. Sind Gäste an Bord, haben wir eine halbe Stunde Privatsphäre am Morgen, mit dem Kaffee im Bett, dann eine halbe Stunde am Abend, bis wir todmüde in die Koje fallen. Ein knochenharter Job, bei dem die Romantik des »Geldverdienens unter Segeln« schnell abhandengekommen ist.

Was das Leben unter Segeln trotz aller Mühen so lebenswert macht, sind die Menschen, die zu uns an Bord kommen. Unsere People-Skills wachsen mit jeder Tour. Wir lernen nicht nur, die Gäste zu beherbergen und zu bewirten, sondern auch Teambuilding, Kommunikation, Stärken und Schwächen in Menschen zu erkennen, die Stärken zu fördern, die Schwächen zu überbrücken … all das, was im Büroleben an Land auch wichtig ist, aber selten so schnell erlernt wird wie hier auf See.

Und wir lernen, die Gäste zu beschäftigen, sie einzubinden, sie zu motivieren. Und natürlich: sie zu unterhalten. Sowohl auf den langen Seestrecken als auch nach dem Abendessen, wenn wir noch beim Cocktail zusammensitzen. Meist wollen sie dann Geschichten von unseren Reisen hören. Mit der Zeit perfektionieren wir unsere Witze und Anekdoten bis ins Detail, sodass jede Pointe sitzt.

Doch auch auf den Chartertouren erleben wir so viele Geschichten, dass wir immer mehr beginnen, unseren Gästen Anekdoten von anderen Gästen zu erzählen.

»Wir hatten da mal einen Gast, …«, beginnen diese Erzählungen meist, berichten anonym die Geschichte eines Mitseglers, den Zusammenhang zu unserem Leben hier auf dem Schiff, eine Einordnung und letztlich eine witzige Begebenheit.

Viele Nächte lang unterhalten wir Scheherazade-like die Gäste mit diesen Geschichten, die zuweilen recht amüsant sind. Doch nicht immer sind es die Geschichten von Fremden. Ab und zu zeigen wir ihnen in Gleichnissen auch ihre eigenen Verhaltensweisen auf, in der Hoffnung, dass sie den Wink mit der Relingsstütze verstehen und sie ändern. Was überraschenderweise so gut wie nie passiert. Schlimm? Nein. Denn wir alle haben uns zumindest amüsiert – das ist doch was! Deshalb hoffen wir, dass nun auch die Leser dieser Sammlung von Geschichten genauso lachen und sich darüber freuen können wie unsere Gäste an Bord – und dass sich möglichst niemand darin wiedererkennt oder gar beleidigt ist, weil wir die Geschichte hier nun erzählen.

Zugleich soll dieses Buch Einblicke geben in ein Leben, von dem viele Segler träumen, doch von dem sich wohl kaum einer so richtig vorstellen mag, wie es sich wirklich anfühlt – neun Monate pro Jahr »beruflich« auf dem Boot zu sein und sieben Monate davon permanent Gäste an Bord zu haben. Und natürlich dafür alle Elemente des Landleben aufzugeben: Freunde, Familie, Karriere, Sicherheit. Sie stattdessen gegen die Ungewissheit zu tauschen: Wird es klappen? Werden wir Gäste haben? Können wir die monatlichen Raten für das Boot berappen? Wird sich das Geschäft rentieren?

Ein Schritt ins Ungewisse. Denn trotz gut kalkuliertem Geschäftsplan, Vorbereitung und Werbung kann einem niemand sagen, ob es funktionieren wird. Denn das Geschäft des Crewed Charter hängt nicht nur von Zahlen ab, sondern auch von vielen Variablen, die nicht vorherzusehen sind. Interessiert die potenziellen Kunden unser Revier? Mögen sie uns als Menschen, um zehn Tage mit uns zu reisen? Ist ihnen unsere Ansprache im Netz sympathisch? Wie wird sich das Jahr entwickeln, wird es viele Hurrikans oder schlechtes Wetter geben? Solche schrecklichen Ereignisse wie die Corona-Pandemie, die viele Crewed-Charter-Boote in den Ruin getrieben hat, sind erst recht nicht abzusehen.

Ein Leben in ständiger Ungewissheit und Sorge. Trotzdem: ein Leben, das wir um nichts auf der Welt missen möchten.

Viel Freude beim Lesen.

Johannes Erdmann

WIR HATTEN MAL EINEN GAST, …

… DER WOLLTE UNS BUSINESS-TIPPS GEBEN

Wir sind beide keine Geschäftsleute. Alles, was wir zum Aufbau unseres Chartergeschäfts auf den Bahamas wissen mussten, haben wir uns – wie bei unserer Generation so üblich – im Internet zusammengelesen. Das war gar nicht so einfach, denn dort gibt es keinen fertigen »Ratgeber zum Aufbau eines Charterunternehmens in den Bahamas mit einem Segelboot unter deutscher Flagge«. Es gibt zwar in der Karibik schon so einige Vercharterer, die unter deutscher Flagge mit dem eigenen Schiff Gäste transportieren. Aber die konnten wir nicht wirklich fragen, wie sie es angestellt haben. Auf der einen Seite, weil viele dann gleich »Konkurrenz« wittern – oder aber, weil sie es so gemacht haben, wie die meisten deutschen Charterboote im Ausland: Entweder haben sie ausgeflaggt oder fahren illegal. Und das wollten wir auf keinen Fall tun.

Dabei ist die Idee eines Charterbetriebs so schlicht und genial: Wir kaufen ein Boot, fahren in die Tropen und bieten dort an, Leute mitzunehmen. Doch die meisten karibischen Inseln sind heute nicht mehr das, was sie früher in den 60ern mal waren. Der Tourismus wuchs damals schon und wurde zur wichtigsten Einnahmequelle für Länder, die außer Stränden, türkisfarbenem Wasser und Regenwäldern wenig Bodenschätze zu bieten haben. Vor allem lebt dort niemand, der gewillt wäre, sie abzubauen.

Segler haben lange diese Lücke genutzt, um mit dem eigenen Boot Touristen zu befördern. Aber nachdem selbst die kleinen Inseln der Karibik heute organisiert sind wie europäische Länder, geht das nicht mehr so einfach. Hier würde ja schließlich auch kein Spanier auf die Idee kommen, mit einem klapprigen Linienbus seine eigene Buslinie aufzumachen. Dafür braucht es Genehmigungen, Abnahmen, Fahrlizenzen, und natürlich muss man Steuern zahlen.

Doch viele Segler versuchen, diese Regelungen, Papierkram und vor allem die Abgaben zu umgehen. »Das merken die doch nicht«, ist die allgemeine Meinung. So segeln sie »unter dem Radar«. Aber es wirkt nicht wirklich seriös, wenn die im Internet mit schönen Serviceversprechungen und jahrelanger Erfahrung als Charterskipper angeworbenen neuen zahlenden Gäste dann an Bord kommen und als Erstes vom Skipper begrüßt werden mit den Worten: »Ach, und wenn einer fragt: Wir sind kein Charterboot, ihr seid nur Freunde.«

Seriöse Charterskipper haben wir auf unseren zwei Jahren Reise zuvor mit der MAVERICK TOO selten getroffen. Für uns allerdings kam solch ein Dasein nicht infrage. Dafür sind wir dann doch »zu deutsch«. Wir wollten von Beginn an alles richtigmachen, nach den Regeln spielen.

Nach unserer Rückkehr von der Atlantikrunde hatte ich nur gut zweieinhalb Monate Zeit, um unser neues Leben auf den Bahamas vorzubereiten. Für ein deutsch geflaggtes Boot gehört als Erstes dazu, dass auch der Skipper eine deutsche Lizenz hat. Den Yachtmaster hätte ich gern gemacht, aber der wurde von der BG-Verkehr leider nicht akzeptiert.

Wir wussten nicht so recht, wohin uns die Charterei führen würde. Würden wir nur auf den Bahamas bleiben oder im Sommer im Mittelmeer und im Winter in den Bahamas segeln? Könnte passieren. Dafür bräuchte ich den Sporthochseeschifferschein und Cati den Sportseeschifferschein. Der Sporthochseeschifferschein basiert jedoch auf dem Sportseeschifferschein. Beide waren in der kurzen Zeit nicht zu machen. Also sollte für mich erst mal der Sportseeschifferschein der Schein der Wahl sein. Damit konnten wir uns mit den Gästen 25 Seemeilen von jeder Küste entfernen, was für die Bahamas völlig ausreichend ist. Atlantiküberquerungen oder sonstige Langstrecken mit zahlenden Gästen, die viele Charterboote anbieten, weil sie ziemlich lukrativ sind (4.000 Euro pro Person), können wir damit aber erst mal vergessen.

Leider werden die zugehörigen Kurse immer über den Winter angeboten. So lange konnten wir nicht warten. Also kaufte ich mir die passenden Bücher und brachte mir alles im Eigenstudium bei, meldete mich privat zu den Prüfungen an und bestand im ersten Anlauf. Die Ausbildungstörns waren leider im Herbst auch schon alle ausgebucht. Normalerweise fährt man in einer Gruppe von sechs Schülern und einem Ausbilder eine Woche lang durch die Ostsee, übt alle Manöver, und am Ende kommt ein Prüfer an Bord. Stattdessen charterte ich kurzerhand eine Dufour 40 für zwei Tage. Den ersten Tag übten Cati und ich Mann-über-Bord-Manöver, bis Cati keine Winschen mehr kurbeln konnte. Den zweiten Tag kam ein Prüfer an Bord. Um ein Haar wäre ich noch durchgefallen, obwohl ich das Schiff zweimal perfekt neben der Person, beziehungsweise dem Rettungsring, zum Stehen gebracht habe. Cati ist es allerdings nicht gelungen, den flach im Wasser schwimmenden Ring mit dem Bootshaken aufzupicken.

Bange Sekunden vergingen, bis wir die Entscheidung des Prüfers verkündet bekamen. Im Kopf hatte ich schon versucht, die ganzen nächsten Monate umzuplanen: Das Schiff auf die Bahamas überführen, dann noch mal nach Deutschland fliegen, die Prüfung ein zweites Mal ablegen … Aber zum Glück lief alles gut. »Wir haben beschlossen, dass es kein Skipper-Fehler, sondern ein Crew-Fehler war. Prüfung bestanden.«

Zwei Tage später ging unser Flieger zum neuen Schiff.

Das Boot musste nach deutschem Standard durch einen Gutachter der BG-Verkehr als sogenanntes Segeltrainingsboot abgenommen werden – Charterboote sind erst gar nicht vorgesehen. Dafür bekamen wir eine lange Liste mit Kriterien, die es zu erfüllen galt. Ein Umbau von einigen zigtausend Euro. Erschwerend kam hinzu, dass viele der geforderten Ausrüstungsstücke in den USA gar nicht zu bekommen waren und aus Europa bestellt werden mussten. Auch für einen Gutachter der BG-Verkehr, der in Deutschland mal eben zum Hafen gekommen wäre, war das Schiff auf der anderen Atlantikseite zu weit weg. Also mussten wir einen Gutachter finden, der von einer Gesellschaft zertifiziert und zugelassen wurde, die mit der BG-Verkehr kooperiert. Das American Bureau of Shipping schickte uns einen ihrer Gutachter hinunter zum Boot und berechnete dafür gut 2.500 Dollar.

Die Liste hatte er vorab bekommen und wies uns bei Beginn der Begutachtung darauf hin: »Ich hoffe, ihr seid gut vorbereitet und es ist euch klar, dass eine teure Nachprüfung erforderlich ist, falls irgendetwas an Bord nicht den Regeln entspricht.« Natürlich war uns das klar. Deshalb haben wir ja auch wochenlange Arbeit hineingesteckt, Ausrüstung gekauft und überarbeitet.

Für das Funkgerät musste beispielsweise ein Umschalter auf eine eigene Notbatterie vorhanden sein. Mit der Batterie ist es aber nicht getan, denn natürlich musste auch ein Ladegerät installiert werden. Zudem durften die Schaugläser der Wasserabscheider am Dieselfilter nun nicht mehr aus durchsichtigem Plastik sein, weil sie dann im Brandfall schmelzen können, sondern aus Stahl. Für die Fahrtkategorie A (weltweit) war es außerdem nötig, Thermoschutzanzüge zu kaufen, die in den USA dreimal so viel kosten, wie in Deutschland.

Nach unendlich vielen kleinen oder größeren Ausbesserungen wurde uns irgendwann klar, warum so viele Yachten die Abnahme umgehen wollen. Zusätzlich machten uns auch noch Übersetzungsfehler in der Liste der BG-Verkehr das Leben schwer. Dort stand zum Beispiel die Frage: »Ist die Maschinenraumtür mit einem Selbstschließer versehen?«. Eine Frage, auf die ich ganz klar mit »Ja« antworten konnte, denn das Luk fällt dank der Schwerkraft zu und wird dabei augenblicklich verriegelt. Der Gutachter verstand die englische Übersetzung jedoch so, dass ein hydraulischer Verschließmechanismus installiert sein muss und schrieb »Nein«. Den negativen Punkt konnte ich jedoch zum Glück der Behörde erklären.

Erst als das Schiff, die Funkanlage und die Gasanlage abgenommen waren, durften wir von deutscher Sicht her Gäste transportieren.

Seitens der Bahamas gab es jedoch auch noch einige Regeln zu beachten. Als wir mit der Charterei begannen, hat man sich zu unserem Glück in den Bahamas entschieden, Segeltourismus zu unterstützen und zu vereinfachen. Deshalb mussten ausländische Charterboote damals lediglich einer jährlichen kurzen Inspektion unterzogen werden, bei der darauf geachtet wurde, dass genug Rettungswesten, Feuerlöscher und ein funktionierendes Funkgerät an Bord sind. Für knapp 1.100 Dollar plus 300 Dollar für das Cruising-Permit pro Jahr hatte man dann »freie Fahrt«. Mittlerweile sind die Regeln allerdings angepasst und verschärft worden.

Diese ganzen länderspezifischen Vorschriften aus der Ferne zu recherchieren, stellte sich als knifflige Aufgabe heraus. Deshalb entschieden wir uns, zumindest in der ersten Saison in den Bahamas zu bleiben. Die Regeln sind von Land zu Land ein wenig unterschiedlich – und unsere Erfahrung zeigte, dass zumindest die bahamaischen Ämter grundsätzlich auf keine E-Mail antworten. Es vergeht viel Zeit, die das Schiff im Hafen liegt, Geld kostet und keines einfährt, bis man dort alles geregelt hat.

AGB für die Charterei kopierten wir uns von allerlei anderen Charterseiten zusammen und fanden dort für uns den Mittelweg. Wir erstellten unseren Fragebogen an die Gäste, der ständig optimiert werden musste, entwickelten Packlisten, Bordregeln … und Lösungen für Probleme, mit denen wir früher oder später konfrontiert werden würden. Zum Beispiel: Wie gehen wir damit um, wenn Leute auf See anfangen zu saufen? Klar, es gibt einige, die gerne zum Frühstück schon ein Bier haben wollen. Wenn sie sich auf einer Überfahrt einen antrinken, kann es allerdings schnell gefährlich werden. Aber kann man Alkohol auf See auf einem bezahlten Törn grundsätzlich verbieten? Natürlich kann man. Aber gibt das dann Ärger? So mussten wir in vielen Dingen abwägen, um den feinen Grat zwischen »er hat viel Geld dafür bezahlt, hier die Sau rauslassen zu dürfen« und »das kann ich als Kapitän nicht zulassen« zu finden.

In vielerlei Punkten wäre es gut gewesen, wenn wir jemanden Erfahrenen gehabt hätten, den wir hätten fragen können. Nicht nur speziell für die Charterei, sondern auch dazu, wie man grundsätzlich ein Geschäft aufbaut. Doch wir konnten uns keinen Experten leisten. Als wir das Chartergeschäft begannen, hatte ich nur 1.400 Euro auf dem Konto. Glücklicherweise bekamen wir während der Umbaumaßnahmen eine kleine Finanzspritze in Form einer Zahlung für die Vermarktung unserer letzten Reise. Doch als wir auf den Bahamas startklar für die Gäste lagen, waren wir abermals pleite. Aber das Schlimmste daran war: Wir konnten überhaupt nicht einschätzen, ob das Chartergeschäft anlaufen würde oder nicht, denn in den ersten zwei Monaten hatten wir nur drei Gäste.

Und noch eine Frage, die wir uns stellen mussten: Was darf so eine Reise kosten?

Aus Europa waren uns hauptsächlich Kojenchartertörns bekannt, bei denen jeder reihum kocht, und die deshalb entsprechend günstiger sind. Wenn wir uns von den Gästen bekochen lassen, haben wir zwar ein entspannteres Leben, verdienen aber auch kein Geld mit diesem Service. Abzüglich der Werftzeiten und der Hurrikansaison ist unsere Chartersaison ja ohnehin recht kurz, von Mitte November bis Anfang Mai. Also entschieden wir uns dafür, Fullservice-Sorglos-Reisen anzubieten.

Um für die Törns Preise und einen Leistungsumfang festzusetzen, haben wir uns vor allem an amerikanischen Booten orientiert, die auf den Bahamas zuhauf und legal unterwegs sind.

Doch schnell lernten wir, dass es ein Fehler wäre, den Preis einfach zu kopieren, denn Amerikaner mit durchschnittlich nur 20 Urlaubstagen im Jahr verdienen viel mehr Geld und geben auch deutlich mehr für einen Urlaub aus als Deutsche. Sollten wir also lieber Amerikaner an Bord nehmen? Sprachbarrieren gäbe es keine, wir würden uns vollkommen zutrauen, mit englischsprachigen Leuten unterwegs zu sein. Amerikanische Boote gab es allerdings bereits genug, jedoch kaum deutsche. Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Also sollten deutschsprachige Gäste unsere Zielgruppe sein. Zumal uns unsere Versicherung auch davon abriet, Amerikaner an Bord zu nehmen. »Die verklagen euch bloß, wenn sie sich beim Schnorcheln verletzen.«

Nach ausgiebigen Recherchen fanden wir also unseren Preis etwa mittig zwischen dem, was Amerikaner ausgeben, und dem, was Deutsche für einen Selberkochen-Trip berappen würden. Unter den deutschen Booten in den Bahamas hatten wir das höchste Preis-, aber auch sicher das höchste Serviceniveau.

Weil die Vorbereitungen, Abnahmen usw. zu lange dauerten, hatten wir wenig Vorlauf und die Buchungen in der ersten Saison waren ziemlich mau. Das verstanden wir sogar, denn so einen teuren, umständlichen und langen Urlaub will und muss man ja eine Weile vorher planen. Statt regulärer Buchungen versuchten wir also, das Boot mit Freunden, Bekannten oder ehemaligen Mitschülern aufzustocken, denen wir die Koje für weniger als den halben Preis anboten.

»Freunde habt ihr dann plötzlich viele, wenn ihr Charter auf den Bahamas fahrt«, hatte uns vorher jemand gewarnt, nicht zu viele Rabatte zu geben. Völlig zu Recht. Denn so schön es auch ist, den Leuten eine tolle Reise zu bescheren – wir haben uns ja schließlich mit dem Bootskauf hoch verschuldet und müssen nun auch Geld einfahren.

Aber als wir nun ohne Gäste waren, nutzten wir eigentlich jede persönliche Beziehung aus, um vermeintlichen »Freunden« vorzurechnen, was für einen tollen Vorteil sie daraus ziehen würden, dass wir uns irgendwie einmal kennengelernt hatten. In Wirklichkeit waren wir dankbar für jeden Euro, der reinkam. Hauptsache die Kojen sind voll und wir fahren irgendwie Geld ein, denn wir müssen ja trotzdem unsere monatliche Rate von 4.333,33 Euro überweisen, um das Boot abzubezahlen.

Ich glaube, es kann uns auch niemand Vorwürfe machen, dass wir sie auf die Bahamas gelockt haben. Denn was sie bei uns erlebt haben – da waren sich alle einig – war phänomenal.

Als die Freunde auf Facebook und per E-Mail nicht mehr auf unsere Nachrichten reagierten, versuchten wir es mit Last-Minute-Rabatten für die laufende Saison und Frühbucher-Rabatten für die nächste. Schon während der ersten Saison begannen sich die bereits gefahrenen Touren bezahlt zu machen, es meldeten sich Freunde von ehemaligen Gästen. Natürlich auch immer wieder mit der Frage »Ich kenne jemanden, der schon bei euch mitgefahren ist. Bekomme ich dafür Rabatt?« Bis zehn Prozent konnten wir geben, das hatten wir sogar einkalkuliert. Aber das war dann natürlich auch immer Geld, das wir uns selbst aus der Tasche nahmen. Es half, uns das immer vor Augen zu halten, um nicht zu viele Rabatte zu geben.

Die günstigen Freunde-Touren ließen uns in der ersten Saison überleben und halfen, das Geschäft am Laufen zu halten. Aber wir waren auch überrascht, wie anstrengend die Touren mit manchen Freunden waren. Denn einige, die für den halben regulären Preis an Bord kamen, erwarteten deshalb nicht unbedingt weniger Service oder halfen etwa mal beim Abwaschen. Manch ein Freundesgast machte sogar mehr Mühe als ein Fremder.

In der zweiten Saison versuchten wir deshalb, den Freunde-Bonus nur noch in äußersten Notfällen anzuwenden und Rabatte nur noch zu geben, wenn uns jemand vorweinte, dass er so gern kommen würde, aber es sich nicht leisten könne. Ein bisschen baff waren wir dann allerdings, wenn wir uns mal wieder zu einem Rabatt breitschlagen ließen und dann erfuhren, dass die »Freunde« für das gesparte Geld noch eine Woche in Miami oder Key West drangehängt hatten.

Was das Business angeht, stolperten wir aber auch immer wieder über Probleme. Etwa als eine ganze Reise wegen eines Todesfalls storniert wurde. Bei einem Todesfall verzichteten wir sogar freiwillig auf den Einbehalt einiger Prozente Anzahlung, wie in den AGBs festgeschrieben. Wir hatten die Hoffnung, dass wir die Kabinen noch voll bekommen, und tatsächlich auch Erfolg. Als jemand jedoch eine Woche vor der Reise wegen schwerer Grippe absagen musste und die Koje leer blieb, durften wir 65 Prozent der Anzahlung behalten. Aber wie setzt man korrekt eine Stornorechnung auf?

»Wie stellt man es an, sein eigenes Charterunternehmen zu gründen?«, wurde ich in den vergangenen Jahren immer wieder gefragt. Meist von Träumern, die sich das einfach und reizvoll vorstellen, mit dem Segeln Geld zu verdienen. Aber auch regelmäßig von den Gästen an Bord. Auf jeder Reise brachte jemand das Thema auf. Dazu viele Hintergrundfragen: »Seid ihr nun vollständig ausgewandert?« – »Habt ihr noch eine Wohnung an Land oder wohnt ihr nun dauerhaft auf dem Katamaran?« (Das können sich die meisten Gäste erstaunlicherweise überhaupt nicht vorstellen.) »Müsst ihr hier GEZ zahlen?« (Tatsächlich, ja! Das müssen wir. Obwohl Filme aus der ARD-Mediathek nicht zu öffnen sind, wenn wir uns im Ausland befinden.) Und viele weitere Dinge, auf die wir keine pauschalen Antworten geben können. Nur eben erklären, wie wir es gemacht haben.

Irgendwie schaffen wir es während der Zeit auf den Bahamas, alle geschäftlichen und organisatorischen Hindernisse zu umschiffen, die das Leben in Selbstständigkeit uns vor den Bug setzt.

Eines Abends gegen Ende einer Tour sitzen wir wieder gesellig mit wirklich tollen Gästen beim Sundowner im Cockpit. Die Tour war ein voller Erfolg. Wir haben viel gesehen, hatten tolles Wetter und viele Highlights. Alle sind braun gebrannt und glücklich. Und »etwas neidisch« auf unser Leben hier unter Palmen. Also kommt wieder einmal das Thema Chartergeschäft ins Gespräch. Wir erklären, erläutern, rechnen vor, geben Beispiele für Hindernisse.

Irgendwann klinkt sich ein Gast ein, der die ganze Zeit gespannt gelauscht hat. »Das ist nun zufällig genau mein Fachgebiet – und wenn ihr wollt, würde ich euch sehr gern ein paar Business-Tipps geben, damit ihr nicht nur eine tolle Zeit hier habt, sondern auch noch ein wenig Geld mit nach Hause nehmen könnt.« Dann nimmt er kurz einen Schluck von seinem Cocktail, der in der tief stehenden Sonne goldrot glänzt und ergänzt: »Denn eines ist mir klar geworden, wenn ich an die fantastische Woche bei euch zurückdenke: Ihr seid viel zu billig für das, was ihr bietet.«

Da müssen Cati und ich in uns hineingrinsen und zustimmend nicken. Über Business-Tipps wären wir gerade zu Beginn wirklich dankbar gewesen. Wir haben alles auf die harte Tour lernen müssen.

Aber wir amüsieren uns vor allem aus einem anderen Grund: Zufällig waren gerade die Preisverhandlungen mit seiner Frau so zäh, wie keine anderen. Die Buchung war kurzfristig, zwei Monate vorher, es waren kaum noch Flüge zu bekommen, da die Reise über Weihnachten stattfinden sollte. Also haben wir irgendwann nachgegeben und für einen Törn, bei dem andere Charterunternehmen bis zu 25 Prozent Weihnachtsaufschlag verlangen, den allerhöchsten Nachlass aller Zeiten für Nicht-Freunde gegeben: 38 Prozent!

Von daher kann ich gut verstehen, dass es wirkt, als wären wir »zu billig« ;-)

… DER HAT DIE GANZE KABINE NEU LACKIERT. MIT MÜCKENSPRAY!

Für keinen unserer Gäste ist das Bordleben so selbstverständlich wie für uns. Selbst wenn es sich um alte Salznacken handelt, die schon ihr Leben lang segeln: Kein Boot gleicht dem anderen und immer gibt es ein paar Besonderheiten zu beachten.

Wenn unsere Gäste nach 15 oder mehr Stunden Anreise zu uns an Bord kommen, sind sie von der langen Reise und den vielen neuen Eindrücken meist erst mal völlig überfrachtet. Deshalb lassen wir sie behutsam ankommen und weisen sie am ersten Tag nur in die nötigsten Dinge ein: Wo sie schlafen, wie das Klo funktioniert und dass Toilettenpapier nicht in die Schüssel kommt. Über den Abend stellen sie dann natürlich selbst immer noch einige Nachfragen zum Schiff und zu den Abläufen, aber den größten Teil behandeln wir erst am nächsten Morgen, wenn sie ausgeschlafen und aufnahmebereit sind.

Kurz vor dem Auslaufen folgt als Höhepunkt der Instruktionen die Sicherheitseinweisung. »Wir kommen jetzt zum einzigen ernsthaften Teil der Reise«, leite ich sie meist ein. Obwohl ich es auch dabei für gewöhnlich nicht lassen kann, ein paar Witze einzubauen. »Falls wir überraschend absaufen: Stellt euch einfach aufs Dach oder auf eine Saling, denn die Wassertiefe beträgt hier im Schnitt nur drei Meter.«

Obwohl das Boot sehr sicher ist, gibt es natürlich einiges zu beachten. Zum einen, damit niemand an Bord Schaden nimmt – zum anderen aber auch, damit sie nichts am Boot kaputt machen. Denn das geht schnell, wenn man unachtsam ist, und Ersatzteile sind auf den Bahamas schwer zu bekommen.

Unsere Einweisung soll natürlich nie klingen wie: »Das dürft ihr nicht. Und wenn ihr denkt, dann mache ich stattdessen das …, das dürft ihr erst recht nicht.« Doch ein paar Regeln müssen sein. Mit der Zeit haben wir so viel Erfahrung gesammelt, dass wir in dem etwa 20-minütigen Vortrag eigentlich alle wichtigen Dinge ansprechen. Trotzdem ist es für manche Leute zu viel auf einmal, und sie bekommen nur die Hälfte mit. Dann kommt später gerne mal der Kommentar: »Das hättet ihr aber mal sagen können.«

Obwohl wir die Regeln so einfach wie möglich halten wollten, werden sie im Laufe unserer Zeit auf den Bahamas immer zahlreicher. Schon in der ersten Saison dachten wir, dass wir den Regelkatalog optimiert haben, aber es kommen immer wieder Menschen an Bord, die uns verblüffen. Salopp gesagt: »Manchmal kann man gar nicht so blöd denken.«

Sonnencreme-Spray ist bei uns an Bord verboten. Darüber werde ich später noch mehr erzählen, und schon in der Packliste, die wir den Gästen vor Reisebeginn zusenden, steht groß der Hinweis: Bitte kein Spray. Das Zeug landet überall, nur nicht auf der Haut. Das mussten wir natürlich auch auf die harte Tour herausfinden.

Eines Morgens sitze ich nach der ersten Gallone Kaffee in unserem Rumpf auf dem Einzylinder. Der Handyempfang ist zwischen den Inseln nicht gut, also wandert mein Blick statt auf den Screen meines Smartphones über die Innenwände unseres GFK-Örtchens. Blank, langweilig. Um einen spannenderen Ausblick zu haben, raffe ich das Rollo, das wir auf unserer Seite des Schiffes vor der Notausstiegsluke montiert haben, ein wenig hoch. Gegenüber auf dem anderen Klo ist ebenfalls eine Notausstiegsluke montiert. Tagsüber spiegelt die Oberfläche und man kann nicht in das Innere hineinschauen. Und das ist auch gut so. Doch abends, wenn in einem Klo das Licht brennt, kann man vom anderen genau beobachten, was der Nachbar treibt. Diese Erkenntnis war dann für uns der Anreiz, bei Ikea in Miami ein Rollo zu kaufen. Eines auf unserer Seite reicht ja.

Der Nachteil daran ist, dass wir vom Klo aus nicht mehr in das tolle, türkisfarbene Wasser unter dem Schiff schauen können. Manchmal sieht man dort im klaren Wasser sogar Fische. Heute möchte ich also mal wieder rausschauen, und als ich das Rollo hochschiebe, glaube ich meinen Augen nicht zu trauen. Denn ich sehe, wie die Notausstiegsluke im anderen Rumpf offen zur See steht und immer wieder zu einem Drittel in die anlaufenden Wellen eintaucht. Das Luk ist nur etwa 20 Zentimeter über dem Wasser montiert, und mit einem offenen Luk ist nicht zu spaßen. Es sind schon einige Katamarane durch kaputte Notluken gesunken.

Ich kann gar nicht so schnell meinen Hintern abwischen, wie ich die Treppe hinauf in den Salon springen möchte. Aber halt, freundlich sein, es sind zahlende Gäste. »Sagt mal, wer hat denn das Luk da drüben bei euch auf dem Klo aufgemacht?« – »Das war ich, ich musste mal lüften.« – »Dafür gibt es doch das kleine Luk an Deck.« – »Ja, aber ich dachte, so kommt mehr Luft hinein.«

Den dicken Aufkleber auf dem Luk, der über die ganze Breite geht, kann man dabei – zugegeben – auch fehldeuten. Denn da steht nur »Nicht während der Fahrt öffnen.« Hätten die da mal draufgeschrieben »Auch wenn es nach dem Kacken noch so sehr stinkt – das Ding bleibt zu!«

Das wirklich Ärgerliche daran ist aber, dass das Luk seit dem Bootskauf ständig am Lecken war. Es wird beim Segeln ja häufig von Wellen überspült, und nach jeder etwas raueren Überfahrt stand wieder etwas Wasser auf dem Boden des WC-Raums, und der Teppich war nass. Also haben wir in der letzten Werftzeit das Luk demontiert, übergroße Dichtungen in den Rahmen geklebt und den Deckel mit vereinten Kräften in die Dichtung gepresst. Endlich war es dicht.

Gezwungen freundlich erkläre ich dem Gast also meinen Frust.

»Ich hab mich ehrlich gesagt schon ein bisschen gewundert, dass es so schwer aufging«, antwortet er mir, »Als ob es ewig nicht offen gewesen wäre.«

Auf die Liste der Regeln wurde nach diesem Erlebnis also aufgenommen, die Gäste darauf hinzuweisen, die Notausstiegsluken niemals zu öffnen, wenn das Schiff nicht gerade auf dem Kopf liegt.

Dann war da der Gast, der morgens kurz nach Sonnenaufgang mit dem Kajak an Land fahren wollte.

Wir liegen noch in der Koje, hören im Halbschlaf das Poltern an Deck über uns (denn das Kajak hängt an Steuerbord an der Reling). Irgendwann ist das Poltern vorbei und wir hören, wie das Wasser am Kajak gluckst. »Hat also alles geklappt«, denke ich, »dann kann ich ja liegen bleiben.«

Plötzlich durchdringt ein schrilles Kreischen die morgendliche Ruhe. Zwei Sekunden, drei. Dann ist es wieder weg. »Merkwürdig«, denke ich, »das klang ziemlich nah dran.« Kurz darauf kommt es wieder, kürzer diesmal. Kreisch, kreisch, kreisch. Wie eine Kreissäge. »Eine Kreissäge?« schrecke ich auf. »Ach du Scheiße!« Mit einem Sprung stehe ich aufrecht neben dem Bett, sprinte die Treppe hinauf in den Salon, weiter ins Cockpit. Und tatsächlich, dort stehen unsere Gäste unter dem kreischenden Geräusch, schauen überrascht nach links und rechts, und versuchen herauszufinden, woher das Geräusch kommen könnte … während über ihnen ein Paddel des Kajaks mit jeder suchenden Körperdrehung immer wieder kurz in die rotierenden Blätter des Windgenerators taucht, wie ein Stück Holz in die Säge.

»Uppsi, das tut mir aber leid«, sagt der Gast, als auch der Rest der Crew die Ursache des Geräusches entdeckt hat.

Ich bin gespannt, welcher der beiden Gegenstände Schaden genommen hat, und tippe auf das Paddel, das aus simplem Spritzplastik gefertigt ist, die Blätter des brandneuen Generators hingegen aus Kohlefaser. Am Paddel kann ich auch gleich sehen, dass eine mehrere Millimeter tiefe Kerbe eingefräst worden ist. Die Blätter des Generators drehen sich bei etwa drei Windstärken so schnell, dass ich sie erst bei der nächsten Flaute gefahrlos inspizieren will. Ich stelle fest, dass die Blätter zwar heil geblieben sind, aber der edle, hellblaue Lack ist ab, und bei wenig Wind wird fortan eine signifikante Unwucht zu merken sein. Eine Unwucht, die sich darin bemerkbar macht, dass dann nicht nur der Generatormast deutlich vernehmbar vibriert – sondern auch die Wand an unserem Kopfende. 379 Euro für neue Blätter. Grrr …

Bei der nächsten Gästeeinweisung steht also auf der Liste: »Bitte tragt die Paddel von Kajak und SUP immer waagerecht, nie senkrecht.«

Und dann war da der Gast, dem ich unser Schlauchboot anvertraute, um auf eigene Faust eine Expedition nach Shroud Cay zu machen. Eine Insel, die vollkommen von Mangroven über- und von Kanälen durchzogen ist.

Man kommt sich vor wie in einem Nebenarm des Amazonas. Nur fallen die Kanäle leider zeitweise trocken oder verfügen über wirklich, wirklich flaches Wasser. Die Flachwasser-Fahrstellung des Motors habe ich dem Gast vor der Abfahrt noch gezeigt. »Wenn du den Motor so weit hoch klappst, spuckt er hinten zwar viel Wasser nach oben, aber du kannst auch in ganz flachem Wasser fahren.« Als wir das Boot am Nachmittag wiederbekommen, ist unten am Motorschaft der Lack bis aufs Alu weggeschmirgelt. Nein, eigentlich eher: sandgestrahlt. »Der muss sich mit dem Motor in unterster Fahrstellung durch den gesamten Kanal gebuddelt haben«, erzähle ich Cati am Abend. Den Gast spreche ich aber nicht darauf an, sondern denke mir, dass ich es vielleicht doch genauer hätte erklären müssen.

Auf der nächsten Tour brauchen wir trotzdem keine neuen Hinweise zu geben. Es bekommt nämlich einfach nie wieder jemand das Boot!

Grundsätzlich geht auf fast jeder Tour etwas kaputt. »Das ist völlig normal«, sagen wir den Gästen ab der zweiten Saison immer wieder nachdrücklich, als wir feststellen, dass uns einige Gäste Schäden verschweigen.

Zum Beispiel hat irgendwann ein Gast zu sehr an der Leselampe gerissen und die Halterung kaputt gemacht. Mehrere Touren hintereinander müssen alle Gäste die Lampe immer wieder vorsichtig zurück auf das Fundament gesteckt haben, anstatt dass mal einer etwas sagt. Vermutlich weil sie denken, sie müssten das dann bezahlen. Wir merken erst, dass die Lampe kaputt ist, als Cati beim Putzen zufällig dagegenstößt und sie abfällt. Innerhalb von zehn Minuten habe ich dann eine neue montiert, die wir als Reserve an Bord haben. Keine große Sache.

»Bitte sagt es uns« wird fortan auch Teil der Einweisung. Denn wir selbst bemerken Schäden oft nur zufällig, und sonst denken die nächsten Gäste, dass wir unser Schiff schlecht in Schuss haben. Und schließlich wir können ja schlecht in der kurzen Liegezeit zwischen den Gästen alle Elemente an Bord ausprobieren.