Konzert für die Unerschrockenen - Bettina Spoerri - E-Book

Konzert für die Unerschrockenen E-Book

Bettina Spoerri

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Beschreibung

Wie ein Familienmythos zur Geschichte eines Menschen mit einem schwierigen Schicksal wird: Der Tod ihrer jüdischen Großtante, der Cellistin Leah, verändert für Anna nicht nur den Blick auf einen geliebten Menschen, sondern auch die Perspektive auf ihr eigenes Leben. Anna reist von Zürich nach London, um Abschied von ihrer Großtante Leah zu nehmen. Die Tagebücher der Verstorbenen bringen die wenigen Versatzstücke aus Leahs Leben und die Handvoll Schwarz-Weiß-Fotografien, die Anna bis dahin bekannt waren, in Bewegung, zeigen Widersprüche, füllen sich mit Geschichten, Bildern, Musik. Zerrissen zwischen ihren Rollen als Mutter, Geliebte und Künstlerin versuchte die jüdische Cellistin Leah ihren Weg zu gehen - unerschrocken und abenteuerlustig, aber auch hart geprüft von Flucht und Verlust. Im Spiegel von Leahs Aufzeichnungen, in Auseinandersetzungen mit ihrer Familie und in der aufkeimenden Liebe zu einem Mann gewinnt Anna einen neuen, befreienden Blick auf die Geschichte ihrer Familie, befragt ihre Ängste und Hoffnungen - und wagt endlich den Aufbruch. Die Geschichte von Anna hinterfragt, wie sehr wir von den Umständen geprägt sind, in die wir hineingeboren werden. Sind wir von familiären Wiederholungsmustern bestimmt oder können wir Grenzen durchbrechen und neue Wege einschlagen? "Konzert für die Unerschrockenen" ist die aufwühlende Erzählung eines leisen Erdbebens, das alte Verkrustungen aufbricht und aus der Vergangenheit eine Zukunft entstehen lässt.

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Seitenzahl: 489

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Bettina Spoerri

Konzert für die Unerschrockenen

Roman

Bettina Spoerri

Konzert für die

Unerschrockenen

Roman

Wir danken der Cassinelli-Vogel-Stiftung und Stadt Zürich Kultur für die Unterstützung.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Printed in Austria

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

1. Auflage 2013© 2013 by Braumüller GmbHServitengasse 5, A-1090 Wienwww.braumueller.at

Coverfoto: Fabius/photocase.comISBN der Printausgabe: 978-3-99200-096-8ISBN E-Book: 978-3-99200-097-5

Für Matthias, Bruno, Nik,Mischa, Wecki und Lore

Ich denke oft: Wie, wenn man das Leben von neuem anfangen könnte, dabei mit Bewußtsein? Wenn das eine Leben, das schon durchlebte, das Brouillon wäre, wie man sagt: „ins Unreine“, das andere aber: ins Reine! Dann würde sich jeder von uns, denk ich, bemühen, vor allem sich nicht zu wiederholen, würde sich wenigstens eine andere Umgebung schaffen, solch eine Wohnung mit Blumen einrichten, mit einer Menge Licht …

Anton Tschechow, Drei Schwestern

Ein schwarzes Hütchen keck seitlich in die Stirn geschoben, eine Handtasche unter dem Arm, steht sie im grellen Sonnenlicht der Wüste. Trotz der Hitze und der unpassenden Kleidung – ein Rock aus dickem Stoff, der bis zur Mitte ihrer Unterschenkel reicht, ein farblich abgestimmtes Jackett über einem Pullover, als käme sie eben aus dem Herbst einer europäischen Großstadt – schickt sie ein geübtes Lächeln in die Kamera. Ihren rechten Unterarm stützt sie auf einen riesigen Knauf. Er gehört zum Sattel eines Kamels, das neben ihr mit angewinkelten Beinen im Sand liegt. In der Haltung mischen sich das Bemühen, selbst unter widrigen Umständen ganz elegante Dame zu sein, und der Triumph einer Jägerin. Doch ihre Augen blicken auch ein wenig erschrocken über so viel Dreistigkeit, wie eine Eroberin zu posieren. Hier war ich, habe die Cheopspyramiden und die nasenlose Sphinx mit eigenen Augen gesehen. Vielleicht hätte sie sich nicht so hingestellt, wenn der Fotograf ihr nicht zugeredet hätte. Noch ein bisschen nach links, ja, danke. Perfekt. Die scharfen Außenkanten des Dreiecks hinter ihr grenzen ihre Gestalt von der gnadenlos hellen Himmelsfläche ab. Eine schöne Frau, schmeichelt er. Ihre Hand entspannt sich ein wenig, liegt nun wie auf der Sitzlehne einer bequemen Ottomane. Die Sonne brennt sich schmerzhaft in Leahs Nacken, ihre Ohren, ihre Wangen, doch sie lässt sich nichts anmerken, steht tapfer da, die glänzenden Schuhe mit den Verzierschnürsenkeln in den Wellen des glühenden Sandes artig aneinandergestellt.

1

Daniel hält die Augen auf die Straße gerichtet. Konzentriert, als zähle jetzt nur unsere rechtzeitige Ankunft. Den Schalthebel in seiner rechten Hand zieht und drückt er ruckartig, und ich versuche die Bewegungen seines Wagens vorauszuahnen, um nicht immer wieder unsanft nach vorn geworfen zu werden. Vielleicht fährt Daniel ja immer so, mit dieser harten, grimmigen Entschlossenheit. Der frische Gummi hier drin und die Polsterstoffe riechen penetrant nach Öl und chemischen Mitteln. Mir ist leicht übel. Meine rechte Hand am Griff über dem Fenster, die linke ins Sitzpolster verkrallt. Tief atmen. Schlucken. Was hast du mit deinem blauen Mini gemacht?, könnte ich Daniel fragen. Doch so ein Satz klänge in seinen Ohren wie ein Vorwurf, dass er einen Teil seiner Vergangenheit entsorgt hat. Jetzt also dieser familientaugliche Kombi. Einer von denen, die innen mehr Platz haben sollen, als man von außen ahnt.

Vor einer roten Ampel bildet sich eine Kolonne. Der Motor des Kombis schnurrt ruhig vor sich hin, durch die Kiemen der Heizanlage wird lauwarme Luft ins Wageninnere geblasen. Wir schweigen. Daniel weiß nichts zu sagen, und ich weiß nicht, wo anfangen. Wenn Leah nicht gestorben wäre, würden er und ich auch nicht hier nebeneinander sitzen.

Endlich erlöschen die roten Lichter am Heck des Wagens vor uns und Daniel gibt Gas. Wir stechen durch die Abgaswolke, die vor uns aufsteigt. Aber bevor wir die Ampel erreicht haben, wechselt ihre Lichtanzeige schon wieder auf Gelb. Daniel lehnt sich mit angespanntem Gesicht ein wenig nach vorne. Ich meine zu spüren, wie wir beide den Atem anhalten, der Schneefleck vor uns wird von der gewölbten Motorhaube verschluckt, ebenso eine dunkelgraue Delle im Asphalt, die Ampel schiebt sich schnell auf uns zu, ich hefte meinen Blick an die Rücklichter des Wagens vor uns, der eben in Richtung Autobahn einschwenkt – da spüre ich einen scharfen Schmerz an meinem Hals. Daniel ist im allerletzten Moment auf die Bremse getreten. Doch selbst jetzt sagt er nichts. Und ich verkneife mir eine Bemerkung.

Vor uns öffnet sich die nun leere Kreuzung, eine schimmernde Fläche, erleuchtet vom kühlen Licht der Straßenlampen. Wenige Augenblicke später schieben sich die vordersten Wagen rechts und links auf die Kreuzung zu. Vor uns eilt eine dunkle Gestalt mit gesenktem Kopf über den Fußgängerstreifen, versucht den Schneepfützen auszuweichen. Es ist kalt an diesem letzten Oktobertag und hier drinnen ist es noch nicht richtig warm geworden. Aus meinem Mund steigt ein beinahe durchsichtiger Hauch. Weit weg von hier liegt Leah, wahrscheinlich wurde sie bereits in einen Sarg gelegt. Nun ist also Wirklichkeit, was ich mir vorzustellen versucht habe: dass sie gestorben wäre und beerdigt würde. Eines Tages begriff ich, dass meine immer schon alte Großtante noch weiter altern und schließlich sterben würde. Und doch fühle ich mich jetzt, als hätte man mich mit einem groben Stoß in eine ferne Zukunft versetzt.

Auf einer Fotografie, die an einer der Wände in ihrem Haus hängt, sitzt Leah mit dem Cello allein vor einem Orchester, neben ihr der Dirigent, der gerade den Taktstock senkrecht in die Höhe hält. Ihnen gegenüber das Publikum in enger Konzertbestuhlung: Frauen in Abendkleidern, Männer in schwarzen Anzügen, ihre Augen aufmerksam auf das Geschehen auf dem Podium gerichtet. Der Moment eines Konzerts vor siebzig Jahren, in einem lautlosen Bild festgehalten. Der Klang erstickt, wie hinter einer dicken Glaswand. Was Leah und das Orchester den Zuhörern vorspielten? Ich habe nie gefragt. Leah mochte solche Fragen nicht – als bedeute die Erinnerung an das Konzertprogramm von damals die Schleuse zur Vergangenheit zu öffnen. Jetzt bereue ich, dass ich ihre Spielregeln akzeptiert habe, aus Angst, sie zu verärgern. Auf der Fotografie hatte jemand in der rechten unteren Ecke mit Tinte vermerkt: „Prag, Oktober 1937.“ Damals war Leah 27 Jahre alt, acht Jahre jünger als ich heute. Sie trägt ein weißes, langes Kleid, das bis über ihre Knöchel fällt. Ein Bein hat sie nach hinten unter den Stuhl gezogen, um das Cello in einem eleganten Damensitz bespielen zu können. Ihre leicht nach vorne gebeugte Körperhaltung erinnert an eine Galionsfigur, die der Wellengischt trotzt. Das Gesicht der jungen Frau, die Leah damals war, zeigt einen ernsten und in sich gekehrten Ausdruck. Wie sie dasitzt und den Bogen über die Saiten zieht – ich habe die Fotografie immer wieder betrachtet und mich gefragt, ob sie den Bogen gerade zieht oder nicht eher stößt, aber es scheint mir nicht zweifelsfrei zu bestimmen –, strahlt sie eine Anmut aus, die aus einer weit entfernten Zeit stammt. Eine Zeit, in der ich gerne gelebt hätte. Aber wahrscheinlich erscheinen einem vergangene Zeiten oft anziehender als die eigene Gegenwart. Zudem: 1937 in Prag, da fing gerade die Katastrophe an. Für Leah. Und ganz Europa. Hätte ich wirklich damals leben wollen?

In der räumlichen Distanz von mehreren hundert Kilometern hat Leah schon die meiste Zeit in meiner Vorstellung gelebt. Manchmal hat sie mir einen Brief mit einer Karte darin geschickt, auf der eine Fotografie der Blumen und Büsche in ihrem Garten klebte. Mit zunehmend unsicherer Schrift, in der die Großbuchstaben in Schnörkel ausliefen, schrieb sie dazu zwei, drei Sätze in Englisch. Ich habe Deutsch vergessen, hat sie oft gesagt, it sounds ridiculous, mit entschiedenem Ton. Wer ihr widersprach, wurde der Schmeichelei bezichtigt. Leahs Akzent im Deutschen war schwer zu definieren, und dieser Akzent prägte auch ihr Englisch, das so farbiger, härter und in den Konsonanten akzentuierter klang als das der gebürtigen Engländer.

Jetzt möchte ich direkt nach Highgate reisen, um an ihrer Haustür zu klingeln. Mit ihren schwachen Beinen würde Leah langsam die Treppe von der oberen Etage heruntersteigen, nach dreimaligem Umdrehen des klimpernden Schlüsselbunds die Türe öffnen und mich mit einem Lachen wie dunkle Perlen begrüßen.

Meine Oberarme drücken sich an meinen Körper. Daniel dreht den Wärmeregler im roten Bereich bis zum Anschlag, kontrolliert die anderen Schalter durch, wirft einen Blick auf die Digitalanzeige neben dem Lenkrad und vergleicht die Zeitangabe mit der auf seiner Armbanduhr.

„Ich möchte nicht in den großen Stau nach sieben Uhr kommen, wenn ich wieder in die Stadt fahre.“

Entschuldigung oder Vorwurf? Daniel starrt auf das Ampellicht, als könnte er es dazu bringen, schneller wieder auf Grün zu springen. Dabei sind wir doch noch früh dran. „Ich bin es gewohnt, vor sechs Uhr aufzustehen, ich kann dich fahren“, sagte er, als ich ihn anrief, um ihm zu erzählen, was passiert war. „Leah?“, fragte er. Er wusste zuerst nicht, wen ich meinte. Das überraschte mich nicht. Schon bevor er erwachsen war und von Zuhause auszog, begann Daniel alles, was mit unserer Familie zusammenhing, mit Vater, Mutter, mir, unseren Verwandten, als lästig zu empfinden.

Er verwandelte sich von einem mürrischen in einen wütenden Bruder, der sich heftige Wortwechsel mit der Mutter lieferte, die Tür seines Zimmers zuschlug und seine Musikanlage aufdrehte. Freddie Mercurys hohe Stimme hängt mir noch immer im Ohr, das Stakkato kühler Ska-Rhythmen, die Klangwogen der Balladen von Phil Collins. Das war die Musik, die man damals hören sollte, die richtig coole Musik, Daniels Musik. Die einzige Pop-Platte, die ich einmal besaß, war Madonnas „La Isla Bonita“. Extended Version. Zu soft, zu einfach, zu eingängig. Zum Mitträllern. Ich schämte mich dafür und war dennoch einen Sommer lang süchtig nach dem Geplätscher. Dass alle in meiner Klasse für Madonna schwärmten, bedeutete keine Erleichterung. Meine wahre, dauerhafte Liebe war hingegen total uncool: eine Schallplatte mit den Violinkonzerten von Johann Sebastian Bach. Eines in E-Dur und die anderen in a-Moll beziehungsweise d-Moll. Die Buchstaben der Tonarten haben sich in meinem Gedächtnis festgesetzt. Zwischen den anderen Schallplatten, dem Mozart-Requiem – „Deutsche Grammophon“: gelbgolden gerahmte Namen über einer bukolischen Szene – oder einer Hindemith-Aufnahme mit einer Kandinsky-Zeichnung auf dem Umschlag – die schwerste Platte meiner Sammlung, im Antiquariat aufgestöbert, mein Stolz –, wirkte dieses Bach-Cover ungewöhnlich poppig. Über einem knalligen Regenbogen grinsten einem drei Männer verwegen entgegen. Sie präsentierten sich mit leichtem Seitenprofil wie Bach auf einer jener berühmten Zeichnungen. Nur dass Perlman, Zukerman und Barenboim keine gepuderten Hofperücken trugen, sondern ihre eigene volllockige Haarpracht, erweitert durch mächtige Backenkoteletten. Das hätte eher zu einem Beatles-Album gepasst. Wahrscheinlich versuchte der Plattenvertrieb in den 1970er-Jahren mit dem Cover ein jüngeres Publikum für Klassik zu gewinnen. Immer wieder zog ich die glänzende Scheibe vorsichtig – Kratzer unbedingt vermeiden, sonst entstehen melodienverstümmelnde Loops – aus der knisternden Papierhülle und stülpte sie, den inneren Kreis auf dem Mittelfinger, den leicht nach außen gewölbten Plattenrand auf den Handballen gestützt, so wie man mir das beigebracht hatte, über den Dorn auf dem Gummiteller.

Erst einige Jahre später begriff ich, dass alle drei Namen jüdische waren und die Musiker noch in Palästina beziehungsweise später in Israel geboren oder aufgewachsen waren. Selbstverständlich schien mir aber damals, dass die Namen Perlman und Zukerman so ähnlich klangen, denn sie spielten, als gehörten sie untrennbar zusammen. Wie Zwillinge. Perlen und Zucker. Namen, aus einer Welt, in die ich gerne entschwunden wäre, einer Welt voller Farben, in der die Menschen so schöne Namen trugen und schweben konnten. Wenn Perlman und Zukerman die Bögen über die Saiten ihrer Instrumente zogen, mit kräftigen Strichen, die pralle Töne erzeugten, sich die Melodiebögen ineinanderschlangen und wieder voneinander lösten, sangen sie von einer unersättlichen Sehnsucht. Die beschwingten ersten Sätze, die aber von düsteren Vorahnungen durchblitzt werden, wühlten mich auf, die zweiten Sätze mit ihren Trauerklagen stießen mich in einen dunklen Strom. Dann folgte der dritte Satz, der so begann, als sei nichts geschehen, sich aber schließlich an den durchlittenen Schmerz erinnerte und mit zuversichtlichem Ton Trost spendete. Aber nichts würde mehr so sein wie zuvor.

Bei Daniel waren währenddessen The Kinks angesagt, auch einmal AC/DC, aber am längsten dauerte seine Queen-Phase. Jaulende Gitarren und jauchzende Geigen stürzten sich aufeinander, wenn wir die Türen unserer Zimmer öffneten. Mutter ihrerseits zog sich dann in ihr Schlafzimmer zurück und las. Oder sie legte einmal mehr die Dreigroschenoper auf. So saß jeder in seinem Zimmer mit seiner Musik. Drei Plattenspieler machten es möglich. Und wenn in seltenen Momenten eine gleichzeitige Klassik- und Pop-Stille eintrat, gab Lotte Lenya mit ihrer kehligen Stimme ihren ironischen Kommentar dazu.

Wenn unsere Mutter auf die Jahre, in der auch wir drei uns als familiäre Einheit auflösten, zu sprechen kommt, stellt sie sie als schwierige, aber letztendlich doch einigermaßen gut überstandene Phase dar. Aber ihr Lachen klingt nicht fröhlich, und in ihren Mundwinkeln hat sich eine Verbitterung eingenistet, die sie nicht überspielen kann. Als ob ihr Leben noch immer in diesen Jahren kulminiere. Von ähnlicher Mutwilligkeit, die er aber gegen die anderen richtete, war Daniels Revolte damals. Familie, erklärte er mir, seiner 12-jährigen Schwester, stinke muffelig. Er werde sich keine Grenzen setzen lassen und er ertrage Mutters ewige Klagen nicht mehr. Er werde ganz bald sein eigenes Leben beginnen, frei sein. Ich war beeindruckt von seinem entschlossenen Ton. Als er dann wirklich ging, fühlte ich mich im Stich gelassen. Wie jene Mitglieder der Südpol-Expedition, die wir im Geografieunterricht kennengelernt hatten: Sie mussten im Basislager bleiben, weil sie sich als zu wenig resistent erwiesen und den Erfolg des Unterfangens zu gefährden drohten. Für Daniel war ich nur ein hemmendes Gepäckstück beim Aufbruch in die weite Welt. Teil einer Familie, die er hinter sich lassen wollte.

Daniel hat seine Daumen rechts und links am Steuerrad eingehakt und klopft mit den Fingern auf das Kunstleder. Über das dumpfe Klopfen und leise Heulen der Heizung legt sich das regelmäßige Quietschen der Scheibenwischer. Die Schneeflocken, die aus dem schwarzen Nichts auftauchen, zuerst noch leicht torkelnd, dann von der Scheibenoberfläche wie von einem Magnet angezogen, werden von den Wischblättern zu matschigen Häufchen an den Scheibenrändern zusammengeschoben. Als die Ampel endlich auf Grün wechselt und Daniel anfährt, wird das halb gefrorene Wasser vom Fahrtwind weggefegt.

Vor drei Tagen rief mich Vater an. „Philip …“, hob er an und hustete ausgiebig den Belag auf seiner Stimme weg, während ich daran denken musste, dass er mir einmal gesagt hatte, Räuspern schade der Stimme; um die Kehle zu befreien, solle man stattdessen husten. „Philip“, sagte er, „du weißt: mein Cousin“, habe ihn angerufen und ihm mitgeteilt, Leah sei gestorben. Man habe sie am Morgen tot auf dem Boden ihres Schlafzimmers gefunden. Es sei kein Unfall gewesen, erzählte er weiter, Leah sei an den Folgen einer langwierigen Lungenentzündung gestorben, die sie nie ganz auskuriert habe. Seltsamerweise ist es gerade die genaue Angabe des Fundortes, die mich daran hindert, zu begreifen, dass Leah tatsächlich tot ist. Was trug sie, als sie dalag, bis man sie fand? Ich nehme an, es war ein Nachthemd. Leah schlief normalerweise morgens lange und zog sich erst gegen elf Uhr an. Sie muss schnell, ohne Ankündigung, gefallen sein, denn sonst hätte sie sich, stolz, wie sie war, noch auf den Sessel oder die Bettkante gesetzt. Ich sehe den alten, von ihrer Putzfrau regelmäßig gesaugten Spannteppich mit den ausgebleichten, wieder und wieder schaumbehandelten Flecken vor mir, wie er riecht und sich anfühlt. Doch die tote Leah sehe ich dort nicht liegen.

Von London kam die Nachricht nach Zürich, unser Vater war der Erste in der Schweiz, der es erfuhr. Und er bat mich, Daniel zu benachrichtigen. Ich frage mich, unter welchen Umständen er sich überwunden und seinen Sohn selbst angerufen hätte. „Niemand muss sich Vorwürfe machen“, sagte Vater zum zweiten Mal, nachdem er mir mitgeteilt hatte, wann die Beerdigung stattfinden würde. Erst wegen dieser Wiederholung begann ich mich zu fragen, wer denn welche Schuld an Leahs Tod trug. Sie lebte gerne allein und wollte keine Betreuung im Haus. Selbst als sie einmal krank war und ich bei ihr wohnte, lehnte sie fast jede Hilfe ab.

Leahs Reich war ein unscheinbares, zweistöckiges Reihenhaus. Eines von den tausenden, die gleich außerhalb der Londoner City viele Quadratkilometer in langen Linien überziehen. Eine einzige, wenn auch noch typenkonforme Großzügigkeit zeigte das Haus in der Fensterfront. Sechs Scheiben bildeten einen konvexen Bogen über die Breite des Wohnzimmers im Erdgeschoss, und denselben Grundriss wies auch das Zimmer darüber auf. Hier wohnte ich, wenn ich bei Leah zu Besuch war. Das Haus war eher karg eingerichtet. Unter den dünnen Spannteppichen knarrten die Böden, die Wände waren hellhörig und es gab keine ins Schloss fallenden Türen, sondern nur leichte Holzplatten, bestrichen mit weißer Ölfarbe, die selbst, wenn man ihnen einen entschiedenen Schubs gab, von Luftstau abgebremst wurden. In der engen Küche lag auf dem Tisch immer dasselbe vergilbte Wachstuch, und auf dem Fensterbrett war ein Transistorradio platziert, dessen Antenne Leah jeden Morgen mit Geduld nach dem besten Empfang ausrichtete. Vor dem Radio saß sie auch an Sonntagnachmittagen, um sich Live-Übertragungen klassischer Konzerte anzuhören.

Die Einrichtung in Leahs Haus strahlte etwas Provisorisches aus. Als habe die Bewohnerin nicht geplant, sich tatsächlich dauerhaft in dem Haus niederzulassen. Bewusst gestaltet wirkte nur der living room, wie ihn Leah auch mir gegenüber immer nannte. An seinen Wänden hingen ein Kelim und rund ein Dutzend gerahmte Schwarz-Weiß-Fotografien. Das wichtigste Möbelstück aber stand in der Ausbuchtung der Fensterfront und hierher blickte man, wenn man auf dem bordeauxfarbenen Sofa saß: ein eleganter schwarzer Konzertflügel mit goldenen Scharnieren. Sein Tastendeckel wie auch das matt lackierte Holzgehäuse um ihn herum glänzte speckig, abgegriffen von unzähligen Berührungen warmer Finger.

Daniel fährt die Strecke auf der Autobahn die meiste Zeit auf der linken Spur, überholt ein Auto nach dem anderen. Von der Seite versuche ich sein Profil möglichst unauffällig zu studieren. Er hat eine Nase wie ich: ein gerader Rücken, am Ende in einem sanften Schwung leicht nach unten gebeugt, einen eher dunklen Hautteint. Auch bei ihm sitzt dieser kleine braune Punkt nahe der Nasenspitze, allerdings auf der rechten Seite, bei mir links. Wie wenn zwischen uns eine Spiegelwand eingezogen wäre. Aber sonst gibt es zwischen uns wenig Ähnlichkeiten. Ich könnte Daniel jetzt fragen: Warum kommst du eigentlich nicht mit? Und wenn er sich hinter seiner Abwehrhaltung verschanzt, würde ich sagen: Sie war doch auch deine Großtante. Aber Daniel wird seine Frau und die Kinder vorschieben oder seine beruflichen Pflichten. Ich kann mir das nicht leisten, einfach so wegzufahren wie du, würde er sagen, und dann wäre es an mir, ein schlechtes Gewissen zu entwickeln. Es stimmt, dass ich fast jederzeit wegfahren kann. Niemand wird mich vermissen, wenn ich diese Woche nicht in dem Kunstgeschichte-Kurs auftauche, der Teil meines Zusatzstudiums ist. Und meine zwei Brotjobs, mit denen ich mich finanziell über Wasser halte – administrative Arbeit in einem Sekretariat und gelegentlich ein Artikel für eine Zeitung –, funktionieren mehrheitlich auf Abruf, und da sind für die nächsten Tage keine Aufträge zu erwarten. Ich fahre für ein paar Tage nach London, wie immer wieder in den letzten Jahren. Doch Leah ist nicht mehr, ihr Haus nicht mehr ihr Haus. Und meine Reise wird zu einem Tasten durch einen plötzlich dunklen Raum.

Daniel starrt weiterhin auf die Straße. Früher hing in den Bussen über der Frontscheibe ein Schild: „Bitte nicht mit dem Fahrer sprechen.“ Du darfst ihn nicht ablenken, sonst verursacht er einen Unfall oder überfährt jemanden, mahnte Mutter, wenn ich mich neugierig nach vorn beugte, um zu sehen, wie der Fahrer auf die farbigen Knöpfe drückte, am Steuerrad drehte und die Türen – das faszinierte mich am meisten – mit einem Kipphebel öffnete oder schloss. Wo wir auch waren, immer malte Mutter uns aus, was Schreckliches passieren konnte, wenn man nicht achtgab. Ihre Katastrophen-Bilder füllten den Spielplatz, das Schwimmbad, die Straße, die Küche. Und sie sind noch immer da. Ob Daniel das auch kennt? Oder ob ihn ihre Warnungen gar nicht beeindruckt haben?

„Die Abdankungsfeier findet übermorgen statt“, sagte Vater am Telefon. Und dann: „Wir fliegen hin. Kommst du auch?“ – „Wir?“, fragte ich und hatte schon begriffen. „Ja“, antwortete Vater mit angespannter Stimme und schwieg dann. Er schien zu warten, ob ich die Frage direkt stellen würde, was ich auch tat: „Du hast eine neue Freundin?“ Das „wieder“ ließ ich gerade noch rechtzeitig fallen, obwohl ich für einen Moment große Lust verspürte, es genau so zu sagen, wie ich es dachte. „Sie heißt Alexandra.“ Nun klang Vaters Stimme bemüht locker: „Du wirst sie mögen.“ Manchmal behilft er sich mit solchen Floskeln. Ich glaube aber, dass es ihn nicht wirklich interessiert, ob ich seine Frauen mag. Meistens lernte ich die neue Freundin gar nicht kennen, bevor er sich bereits wieder von ihr getrennt hatte. Für seine Begriffe sehen wir uns einfach zu selten. Trotzdem hat er offenbar das Bedürfnis, mich jeweils auf dem Laufenden zu halten. Dabei will ich es nicht immer so genau wissen. Und manchmal ahne ich, dass er mich nur deshalb heute mit Informationen versorgt, weil er damals für mehrere Jahre verschwand. Ich habe ihn nie nach jener Zeit gefragt. Als ich 17 Jahre alt wurde, war er wieder da. Als bedeute der Unterschied zwischen On und Off nur die graduelle Veränderung eines Zustands.

Daniel steuert den Wagen in eines der leeren Parkfelder vor dem Terminal. Er bleibt sitzen, als ich aussteige, und lässt die Scheibe auf der rechten Seite herunter, um mir noch kurz zuzuwinken, nachdem ich die Tasche ausgeladen habe. „Mach’s gut“, ruft er mir zu und lächelt, ich bin überrascht und lächle zurück, dann betätigt er den Blinker und fährt los. Ich blicke dem Kombi nach, der sich zwei anderen wegfahrenden Autos anschließt und nach wenigen Sekunden in der Betonkurve der Brücke verschwindet.

2

Aus dem Flüssigseifenspender im Damenklo dringt nur noch zischende Luft. Ich lasse mir warmes Wasser über meine Hände fließen, während mir im Spiegel ein noch immer leicht schlaftrunkenes Gesicht entgegenblickt. Der Grenzbeamte hat diesmal nur einen flüchtigen Blick auf Flugticket und Pass geworfen, sein Blick blieb indes kurz an meinen Haaren hängen. Doch dann schob er mir die Dokumente unter der Glasscheibe zurück und wünschte mir eine gute Reise. Ich versuche die Beklemmung abzuschütteln, die mich bei solchen Kontrollen immer befällt. Meine dicken, fast schwarzen Haare. Ich ziehe an ein paar widerspenstigen Strähnen, versuche sie glatt zu ziehen. Doch meine Haare werden sich wohl immer auf meinem Kopf durcheinanderwinden, wie es ihnen gerade passt. Meine Freundin Claudia ist neidisch auf meine „wilde Haarpracht“, wie sie sagt, sie würde gerne mit mir tauschen. Ich meinerseits wünsche mir ihre, denn die fallen wie ein feines Seidentuch über ihre Schultern.

Dieses Haar kommt aus der Familie deines Vaters, sagte Mutter immer, wenn ich mich beklagte. Einmal klang es mehr nach Zurechtweisung der unzufriedenen und das Erbe nicht genug würdigenden Tochter, ein anderes Mal – und immer öfter – nach „Vater ist schuld“. Sie selbst hat ziemlich dünne, aschfarbene Haare, die sie sehr kurz trägt. Neben ihr und Daniel mit seinem braunen Haar sehe ich wie ein Abkömmling aus einer fremden Familie aus, wie ein Kuckuckskind. Natürlich wies mein Bruder gerne auf diesen Umstand hin, um mich damit aufzuziehen. Leah aber mochte meine Haare. Einmal strich sie mit ihren Fingern durch das widerborstige Gebilde und meinte, das spräche für psychische Stärke. Diese Zuwendung machte mich stolz, aber schüchterte mich auch ein. Meine Haare forderten anderes – was ich nicht war und sein konnte. Und die wirklich Starke war sowieso Leah. Drei Ehen auf drei Kontinenten, so ein abenteuerliches Leben, hieß es immer bewundernd unter Verwandten. In die Faszination mischte sich aber auch Resignation, denn die herausragende Position Leahs bedeutete: Niemand von uns kann ihr das Wasser reichen. Ich erst recht nicht, die ich mit meinen 35 Jahren wieder allein bin und nie länger in einem anderen Land als der Schweiz gelebt habe. Ich komme nicht vom Fleck. Die zwei Monate vor sieben Jahren, als ich bei Leah wohnte, um meine erste Abschlussarbeit zu schreiben, gelten nicht.

Im täglichen Leben mit ihr unter einem Dach war ihr allerdings recht wenig von ihrer bewegten und von vielen bestaunten Vergangenheit anzumerken. Oder hatte ich falsche Vorstellungen, wie jemand sein sollte, der in der Welt herumgekommen ist? Es berührte und irritierte mich zugleich, wenn sie mit fremder Sprachmelodie in Hochdeutsch – Schweizerdeutsch sprach sie kaum mehr – fragte: „Ich habe gestern wieder einmal in dem kleinen Gemüseladen an der Hauptstraße oben – der ist ja wirklich very expensive! – eingekauft. Wie wäre es mit meat balls? Und zum Coffee gibt’s die neuen Hobnobs, die du von Sainsbury’s mitgebracht hast.“ Immer dieselben meat balls und die Kekse mit ihrem Namen, der aus einer Kindergeschichte hätte stammen können, immer dasselbe unspektakuläre Essen, dessen sie nie überdrüssig wurde. Ihre Häuslichkeit. Aber auch diese Sorgfalt und Konsequenz in den Vorlieben. Das Rezept für die meat balls hatte sie vor Jahren aus einer Illustrierten herausgeschnitten, die Kanten des Papiers waren gelb verfärbt und über den Buchstaben glänzten mehrere Fettflecke. Leah strich das Papier auf dem Wachstuch glatt, holte die Waage mit den bronzenen Gewichten aus dem Schrank, ordnete sie umständlich auf dem Tisch an und begann mit meiner Hilfe die Zutatenmengen abzumessen. Dabei versuchte sie jedes Mal das Resultat noch mehr zu perfektionieren: „Wenn man etwas weniger Mehl nimmt, werden sie saftiger“, meinte sie. Oder sie sagte: „Wir nehmen dafür besser nur das Eigelb.“ Die Knetmasse, die wir so unter ihrer Anleitung zubereiteten, war letztendlich immer zu großzügig bemessen, zu zweit hätten wir nie alle diese in Öl braun gebratenen Bälle essen können. Und sie sagte dann immer: „Ich stelle sie in den fridge. Die Kinder werden kommen und die meat balls essen. They love it!“ Mit „Kindern“ meinte sie ihre Enkel, die ungefähr alle zwei Wochen bei ihr vorbeikamen, von Philip oder seiner Frau mit dem Auto gebracht, meist sonntagmittags.

Noch diesen Sommer feierten wir ihren neunzigsten Geburtstag. Über vierzig Verwandte kamen von überallher angeflogen. Händeschütteln, Umarmungen, Küsse in die Luft, Geschenke, Kuchen, Ansprachen. Stammbäume und Verwandtschaftsverhältnisse wurden erörtert. Im Garten stand man mit Papptellern und Plastikbesteck, ein Familienfoto, oder besser: ein Sippenfoto wurde gemacht, wobei mehrere sich abwechselnd aus den Reihen lösten, um die anderen zu fotografieren, was jemand mit der Bemerkung kommentierte: Mindestens einer wird immer fehlen. Ich hörte Schweizerdeutsch, Englisch und Deutsch, ein anderer Verwandtschaftszweig sprach Französisch. Verlegen lächelten wir uns an: so viel Verwandtschaft und doch so wenig Vertrautheit. Im Visier mehrerer Videokameras und Fotoapparate bewegte sich die Familienmutter. Leah nahm die Geschenke und Glückwünsche entgegen und rief immer wieder: Wonderful! Entzückend! How lovely! Vielleicht hatte sie sich an dem hellen Sommertag von uns allen verabschiedet.

Mein Sitznachbar blättert die Seiten seiner Zeitung geräuschvoll um. Er trägt eine rosa Krawatte zu schwarzem Anzug und seine klobigen Hände lassen die fetten Schlagzeilen geradezu bescheiden aussehen. Ich drehe den Kopf zur Fensterluke. Weit entfernt sinken blinkende Lichter langsam vom Dämmerhimmel herab, als tauchten sie unter Wasser. Wie ein Saugnapf dockt die Brücke am Kopf der Nachbarmaschine an und Arbeiter in Overalls laden mit genau dosierten Ruderbewegungen Koffer und Kisten aus dem Flugzeugbauch.

Der Mann neben mir stößt einen leisen Fluch aus, als wir aus den pfeifenden Lautsprechern informiert werden, der Abflug unserer Maschine verzögere sich um rund zehn Minuten. Ich hole das Buch hervor, das mir für den Aufsatz weiterhelfen soll, den ich bis übernächste Woche nach Berlin schicken muss. Wegen dieses Textes habe ich auch einen späteren Rückflug gebucht und nach einem billigen Hotelzimmer in der City gesucht. So kann ich mir im Warburg Institute noch einige ältere Publikationen ansehen. Die Warburg-Sammlung in London ist einzigartig, sie umfasst seltene kunsthistorische Bände aus den 1920er-Jahren, die in keiner Schweizer Bibliothek vorhanden sind. Ende 1933 verließen zwei mit Büchern, Katalogen und Regalen beladene Frachter Hamburg in Richtung London und konnten so vor dem Zugriff der Nationalsozialisten gerettet werden; das Archivmaterial indes, das in Deutschland blieb, gilt bis heute als verschollen. Vielleicht finde ich dort noch eine Idee zu der Frage, von der ausgehend ich meinen Aufsatz schreiben möchte: Die Kunst und der Tod, ist mir aufgefallen, werden oft ähnlich beschrieben – als das Entzogene, Andere, Fremde. Die Philosophin Sarah Kofman nennt die Kunst gar eine Wiedergängerin. Was aber heißt das für die Sprache, mit der man über Kunst – und über den Tod – spricht? Und was bedeutet es, dass Sprache eigentlich immer schon die Abwesenheit dessen bedeuten muss, was man damit bezeichnet? Und was könnte bei meinem eher ungewöhnlichen Plan herauskommen, französische Philosophie des 20. Jahrhunderts nicht nur mit zeitgenössischen Texten und Bildern, sondern auch mit Todesdarstellungen des Spätmittelalters in Verbindung zu bringen? Ich mag mich nicht brav an die Konventionen halten, doch ich riskiere, dass schon der methodische Ansatz sehr fragwürdig ist. Und von dem Aufsatz hängt viel ab. Wenn er den Professor in Berlin überzeugt, werde ich dort einen Forschungsplatz in einem begehrten Graduiertenkolleg erhalten.

Da ist er wieder, dieser Klumpen in meinem Bauch, die Angst zu versagen. Und manchmal bin ich mir gar nicht so sicher, dass ich wirklich nach Berlin ziehen will. „Nur in Berlin kann man sein, was man möchte“, hat eine deutsche Studentin einmal gesagt, die ich bei einem Kongress kennengelernt habe. Sie wohnt in Berlin. Wie oft sie das zum Besten gab? Deswegen muss die Stadt nicht die richtige für mich sein. Aber es wäre vielleicht ein Anfang, ein Aufbruch, eine Veränderung. Eine andere Stadt, ein anderes Land.

Leahs Wahl war letztlich London. Zumindest hat sie dort die letzten vier Jahrzehnte ihres Lebens verbracht. Sich ein Haus gekauft. Und sich immer mit Vehemenz gegen medizinisches Betreuungspersonal gewehrt, wie es Philip organisieren wollte. Sogar den großen, wilden Garten hinter ihrem Haus hat sie noch lange fast allein gepflegt. Im Sommer leuchtete er bunt von all den Blüten. Leah fotografierte ihn oft. Erst die Lungenentzündung in diesem Frühjahr zwang sie für mehrere Wochen ins Bett. Nach einem kurzen Krankenhausaufenthalt war sie mehr als einen Monat bei allem auf Hilfe angewiesen gewesen. Eine Haushaltshilfe hatte sie drei Mal wöchentlich besucht und ihr Lebensmittel gebracht. Als ich sie wenig später, im Mai, besuchte und ihr einmal, weil ich ihr eine Freude machen wollte, das Frühstück zubereitete – warme Milch über besonders großflächigen oats, mit Honig gesüßt –, war Leah die Konsistenz des Gemischs aber zu flüssig. Sie warf einen skeptischen Blick auf den Teller, stocherte freudlos herum und hob den nur mit Milch gefüllten Hohlraum des Löffels ein wenig über die Oberfläche, um mir das ihrer Meinung nach unausgewogene Verhältnis vorzuführen: „Siehst du? Viel zu wenig Haferflocken!“ Da gab ich auf und ließ sie fortan die Zutaten in der Küche wieder selbst zusammenrühren. Sie wollte so wenig wie möglich abhängig von anderen sein. Aber ich erinnere mich an die Kränkung, die ich hinunterschluckte. Leah konnte sehr streng sein. Aber nicht gegen mich – nicht bis zu jenem Tag. Für sie war der Vorfall vielleicht nur eine Bagatelle, aber ich konnte die Szene nicht vergessen. In ihren Augen hatte ich versagt. Doch dann lächelte sie wieder erfreut, wenn sie mich sah, schien es zu genießen, dass ich da war. Aber von jenem Moment an dachte ich, dass es nicht reichte, mit ihr verwandt zu sein, dass sie mehr von mir erwartete.

Das Flugzeug setzt sich endlich in Bewegung. Das Deckenlicht wird ausgeschaltet und ein aufgeregtes Rascheln wandert durch die Sitzreihen. Während ich mich an den Armlehnen festhalte, muss ich daran denken, dass Start und Landung die anfälligsten Flugmanöver sind. Der Boden unter uns fliegt weg und ich kämpfe gegen ein wachsendes Schwindelgefühl an. 200 m. ü. M. meldet der Bildschirm vor mir. 500. 1000. 5 C°. –10. –20. Verbleibende Flugzeit: 47 Min. Die Maschine pendelt sich über einem dunkelgrauen Wattenmeer ein. Das helle Rauschen der Luftventile und das anhaltende Wummern der Motoren betäuben meine Ohren. Um mich abzulenken, schlage ich wieder das Buch auf, irgendwo in der Mitte beginne ich zu lesen, ein Satz springt mir ins Auge:

Der Tod verurteilt zum Schweigen.

Ein apodiktischer Satz. Eine banale Feststellung. Doch wen meint der Autor? Uns Weiterlebende?

Jede Leiche spottet der Sprache. Aber wir reden weiter, als würde uns der Stimmenlärm vor dem Tode schützen. Atemlos verwandeln wir unsere Lebendigkeit in Worte und Sätze, in Buchstaben und Schriften. Die Toten schweigen, und wir müssen reden, um zu beweisen, dass wir noch –

Ich klappe das Buch wieder zu. Meine kulturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Tod erscheint mir am heutigen Tag lächerlich.

Über die Toten in unserer Familie wird nicht viel geredet. Leahs Schwester, die Mutter unseres Vaters, starb vor zehn Jahren. Die Einzige, die ihren Namen nach der Beerdigung noch oft erwähnte, war Leah. Und wer wird in zehn Jahren von Leah reden? Ich versuche mir ihr Gesicht vorzustellen, doch ich bringe die weichen, kraftlos gewordenen Lippen, die bleiche Nase, die aufmerksamen, hellen Augen nicht in ein Ganzes. Und je mehr ich es festzuhalten versuche, desto mehr löst sich ihr Bild vor mir auf.

Ich nippe an dem Becher Orangensaft und blicke durch die kleine Luke hinaus. Manchmal öffnet sich für ein paar Augenblicke ein Loch in der Wolkendecke und ein Stückchen Erde ist zu erkennen, dunkelgrüne Waldflächen, graue Schlangenlinien, weiße Vierecke, dann nur noch Grau und Blau. Die Anzeige auf den Bildschirmen lässt erkennen, dass wir demnächst den Kanal überfliegen werden. Der Mann neben mir reißt die Packung Kekse auf, die mit den Getränken verteilt worden ist, und befördert gierig einen nach dem anderen in seinen Mund. Dann hält er die Stewardess zurück, um einen Kaffee zu bestellen.

Und schon wird der Anflug auf London angekündigt. Als hätte er auf diesen Moment gewartet, lächelt mir mein Sitznachbar erleichtert zu. Ich bin überrascht von seinen Augen, die in einer Reflexion des Sonnenlichts von draußen hellgrün aufleuchten und mich an Algenschlick erinnern. Unsere Augen bleiben einen Moment zu lang aneinander haften, einer von uns müsste jetzt etwas sagen. Im Gegensatz zu mir hat er eine unverfängliche Frage bereit: „Besuchen Sie London als Touristin?“

Nach seiner Aussprache zu urteilen ist er ein Österreicher. „Nein, ich war schon ein paar Mal in London“, antworte ich und denke gleichzeitig, dass ihn das gar nichts angeht. Trotzdem rutscht mir noch heraus: „Ich nehme dort an einer Beerdigung teil. Eine Verwandte.“

„Das tut mir leid“, sagt er schnell.

Diese geschliffene Umgangsform, ein seltsamer Kontrast zu seinem bisherigen Benehmen. Ich spüre, wie meine rechte Augenbraue zu zucken beginnt, ein Tick, der sich in letzter Zeit manchmal einstellt. Ich lege meinen Zeigefinger auf die Braue, um den Nerv zu beruhigen, und frage mich, warum ich überhaupt mit diesem fremden Mann rede. Sicher ist es ihm jetzt schon unangenehm, dass er überhaupt gefragt hat.

Doch er fährt mit Fragen fort: „Darf ich fragen, ob sie mit Ihnen nah verwandt war?“ Seine gewundene Art, sich auszudrücken, irritiert mich zwar sehr, und ich könnte jetzt irgendetwas sagen, ihn anlügen, es spielt keine Rolle. Aber ich sage nur: „Ja.“ Und postwendend erfüllt er die Konvention: „Mein Beileid.“ Das betretene Gesicht, das er nun aufsetzt, passt nicht zu seiner Krawatte. Ich drehe den Spieß um. „Und Sie?“, frage ich. „Sind Sie geschäftlich unterwegs in London?“ Er scheint erfreut über mein Interesse: „Ja. Aber ich treffe vor allem einen Freund, den ich seit Jahren nicht mehr gesehen habe.“ Er beginnt an einem seiner Manschettenknöpfe zu drehen – eine Geste, die an ihm erstaunlich kindlich wirkt. „Wir haben uns“, sagt er und blickt wieder zu mir herüber, „vor mehr als zwanzig Jahren aus den Augen verloren. Stellen Sie sich vor!“, fährt er fort und verschiebt sein Gesäß, soweit dies mit dem Sicherheitsgurt um seinen Bauch möglich ist, damit er sich mir mehr zuwenden kann, „Zwei Jahrzehnte … Das ist mehr als die Hälfte Ihres Lebens, nicht?“ Ich setze ein zurückhaltendes Lächeln auf und überlege nun meinerseits, wie alt er wohl sein mag. Ich schätze ihn auf Ende vierzig oder wenige Jahre älter. Ein paar tiefere Falten auf der Stirn und angegraute Schläfen. Er ist jedenfalls sicher nach dem Zweiten Weltkrieg geboren. „Da ruft er mich einfach an“, erzählt der Mann weiter. „Ja, Robert war schon immer findig. Schließlich ist er Journalist, und so einer muss gut recherchieren können.“ Er lacht gezwungen. Seine letzte Bemerkung hat leicht abschätzig geklungen, als sei gerade diese Fähigkeit seines alten Freundes Anlass für eine leise Verachtung. Jedenfalls scheint mir, dass es meinem Sitznachbarn eher unangenehm gewesen war, gefunden zu werden.

„Mal sehen“, er stößt einen Laut aus, der an ein Kichern erinnert, „ob wir uns wiedererkennen. Zumindest ich habe in den letzten Jahren ziemlich an Gewicht zugelegt …“ Und als habe er nur auf mein betretenes Schweigen gewartet, redet er schnell weiter, mit nun gedämpfter Stimme: „Robert war mein bester Jugendfreund. Wir wuchsen beide in Salzburg auf, saßen in derselben Klasse. Heute wohnt er in London.“

Seine Hände spielen mit dem Hebel, der die nach oben gekippte Tischfläche vor ihm sichert. Dann wandern sie zu den Hochglanzmagazinen, die im Kunststoffnetz darunter klemmen. „Mein Freund wurde nach der Schule Journalist, ich studierte Volkswirtschaft. Er schrieb bald für ‚Die Presse‘ – die kennen Sie wahrscheinlich?“ Ich schüttle den Kopf und beobachte, wie er das Duty-Free-Magazin zwischen seinen Händen immer enger zusammenrollt. „Er arbeitete bei der Zeitung in Wien zuerst als Auslandsredakteur und nur zwei Jahre später als Nahost-Korrespondent. Er zog nach Tel Aviv.“

Langsam beginnt mich die Geschichte doch zu interessieren. Dieser Robert muss um 1970 herum nach Israel gekommen sein. Worüber er wohl aus Israel berichtete? Schrieb er über Bewässerungsprojekte, Kibbuzim und Landwirtschaftserfolge? Direkt von einer Front des Jom-Kippur-Kriegs? Über die Flugzeugentführungen? Damals war Israel in Europa noch beliebt.

Der Österreicher lockert seinen festen Griff um das Magazin, das mit einem schlürfenden Geräusch aufspringt. Dann wiegt er es auf seinen Handflächen und beginnt schließlich, es von Neuem zusammenzurollen. „Ich zog nach Wien“, erzählt er weiter, „und begann in einer Bank zu arbeiten.“ Er verzieht seinen Mund zu einer Schnute und schlägt mit der Magazinrolle gegen seinen rechten Oberschenkel. „Später zog ich nach Basel, und vor vier Jahren kam ich nach Zürich, wo ich heute …“

Das ist der Moment, in dem sich eine Stewardess über uns beugt und darauf hinweist, dass die Sitzlehnen senkrecht gestellt werden müssen. „Jetzt geht es nicht mehr lange“, kommentiert mein Nachbar überflüssigerweise. Er schiebt das Magazin mit einer brüsken Geste ins Netz zurück; wie ein Raucher, der mit dem Rauchen aufhören will, die Zigarette für seine Sucht bestraft und sie, erst halb abgeraucht, etwas zu heftig im Aschenbecher zusammendrückt.

„Und jetzt sind Sie also wieder in Kontakt mit Ihrem Freund?“, versuche ich seine Erzählung anzuschieben.

„Ja. Vor zwei Wochen hat er mich angerufen. Er sei im Internet auf meinen Namen gestoßen. Und da ich sowieso nach London …“

Das Ende seines Satzes geht im Brummen der Motoren unter, das Flugzeug setzt zur Landung an. Schnell kommen die ausgedehnten Reihen niedriger Häuser näher, die sich unter dem Flugzeug zu ducken und ihre Unterseite auf den Boden zu pressen scheinen. Wie die Rücken versteinerter Reptilien ragen die Hausdächer zwischen den grauen Straßenfurchen empor. Schon kann ich die unterschiedlichen Rottöne und die kleinen Vorgärten erkennen. Ich sehe die Autos, die sich in den Kurven der Autobahneinfahrten winden, und begreife erst nach einigen Augenblicken, warum sie mir wie spiegelverkehrt erscheinen. Unsere Maschine wackelt und dröhnt, die Räder werden ausgefahren. Ich klammere mich fester an die Sitzlehnen und versuche tief durchzuatmen.

„Fühlen Sie sich nicht gut?“ Der Österreicher beugt sich nach vorne und sieht mir ins Gesicht. „Es geht schon“, versuche ich zu lächeln. Krampfhaft fixiere ich meine Knie, während ich im Rachen eine saure Flüssigkeit aufsteigen spüre. Endlich der Ruck, bevor das Dröhnen verebbt und die Maschine sich in nun beinahe gemächlichem Tempo dem Flughafengebäude nähert.

„Übrigens, ich heiße Kandl, Peter Kandl!“, sagt mein Nachbar mir ins Ohr.

„Anna Weiss.“

„Ein schöner Name.“ In seiner Bemerkung schwingt auch Erstaunen mit. So überrascht es mich nicht, als er mich nach kurzem Schweigen mit wieder gesenkter Stimme anspricht: „Darf ich fragen – verzeihen Sie, dass ich so neugierig bin … Sie müssen entschuldigen, aber: Sind Sie auch jüdisch?“

Warum auch jüdisch, frage ich mich und ertappe mich beim blitzschnellen Überprüfen verschiedener Faktoren: Name, Aussehen, Verhalten. Ich bin fast ganz sicher, dass dieser Kandl – oder doch Kandel? – damit nicht meint, er sei jüdisch. Auch wenn ein Kandel durch den Tausch eines einzigen Buchstabens zu einem Sandel werden könnte. Aber Stupsnasen … Ich weiß, das ist sehr heikel, so eine Argumentation mit der Physiognomie. Das eindeutigste Indiz ist aber sowieso nicht das Aussehen, sondern die Art und Weise, wie er gefragt hat – mit diesem unmerklichen Zögern vor dem letzten Wort und dem verschämten Dämpfen seiner Stimme, als könne er sich nicht entscheiden, ob dem Jüdisch-Sein etwas Ruchhaftes anhaftet oder ob es aus irgendeinem anderen Grund nicht vorteilhaft ist, solche Themen allzu laut in der Öffentlichkeit zu ergründen. Wenn ein Jude in Erfahrung bringen will – so habe ich dies etliche Male erlebt –, ob ein anderer Mensch auch jüdisch ist, ergründet er dies selten mit einer so plumpen, direkten Frage. Es sei denn, jemand hat das Judentum so selbstverständlich für sich gepachtet, dass er nichts dabei findet, andere ohne Umschweife nach ihrer Abstammung zu fragen. Die Rückfrage, ob sie denn jüdisch seien, ist ihrer Meinung nach völlig unangebracht. Ich habe schon oft geübt für solche Situationen und bin doch jedes Mal wieder überrumpelt worden. Insbesondere wenn dann auch der weitere, hinlänglich bekannte Fragenkatalog ohne Wimpernzucken abgespult wird. Name? Welcher Familienzweig? Ach ja – oder, nein, kenne ich nicht, wer ist denn das, ah, doch, dann sind Sie verwandt mit – nicht? Aber dann doch mit – nein? Ist denn Ihre Mutter nicht –? Ach so … Aber die meisten erkunden sich eben doch in etwas dezenterer Art und Weise. Sie ziehen aufgrund der Situation und des vorausgegangenen Gesprächs, das langsam in die Themenbereiche Familie, Migrationserfahrungen, Verwandtschaften gelenkt worden ist, ihre Schlüsse. Am Ende müssen sie die Frage nicht mehr stellen, sondern streuen ein paar Codes ein, um das Gegenüber auf seine Reaktionen abzutasten und dann das Erkennen zu signalisieren. Viel später beginnt dann wieder die Abstoßung, das Auseinanderdividieren – aber das ist ein anderes Thema.

Offenbar funktioniere ich nun auch schon so, dass ich die Menschen taxiere: Gehört er dazu oder gehört er nicht dazu? Dabei weiß ich doch selbst nicht, wo ich hingehöre und bin eine Außenseiterin, sitze zwischen Stuhl und Bank. Kandl-Kandel, nehme ich an, weiß wenig von solchen Problemen. Zumindest weist seine unverfrorene Frage an eine beinahe Unbekannte wie mich darauf hin. Wenn Kandl also nicht jüdisch ist, kann er mit seinem „auch“ nur gemeint haben, dass er vermutet, dass jener Robert und ich eben das gemeinsam haben.

Der Österreicher beobachtet mein Zögern und fügt in entschuldigendem Tonfall hinzu: „Oder ist Weiss kein jüdischer Name?“ Ich könnte jetzt lachen und sagen: „Ja, ja, ich weiß, Weiss kann auch ein jüdischer Name sein.“ Abstreiten wäre nicht ganz gelogen. Eine Halbwahrheit. Die eine halbe Lüge überdecken müsste.

Noch immer habe ich auf die Frage keine schlagfertige Antwort bereit. Ich hätte indes auch eine erfundene Version testen können, weil ich diesen Kandl wohl nie wiedersehen werde. Wie viele Passagiere schnellte er von seinem Sitz hoch, noch bevor die Warnsignale erloschen waren, stellte sich in die Reihe der Wartenden, nickte mir zum Abschied zu und verschwand.

Vor der Weiße des Meeres, dessen Horizont nicht zu erkennen ist, hebt sich ihre Gestalt dunkel ab, wie ein Scherenschnitt. Sie dreht der Kamera den Rücken zu. Vom Glockenhut fließt die senkrechte Linie der Silhouette bis in ihre Knie, wo der Wind den Stoff ihres Rocks aufwirbelt. Das eine Bein leicht angehoben, mit überkreuzten Fesseln, steht sie an der Reling, die Unterarme auf die Brüstung gelegt. Sie blickt in die Ferne. Vielleicht hält sie die Augen geschlossen, denn es gibt seit Wochen nichts anderes zu sehen als die endlose Fläche des Meeres. Zwei Drittel ihres Körpers werden von den Querstangen des Geländers durchschnitten, die im Gegenlicht sich scharf abzeichnenden Verstrebungen scheinen nahtlos in ihre Gestalt überzugehen. Ihre Fußspitzen berühren den äußersten Rand der Galerie, wo eine durchlöcherte Metallschiene emporschießendes Salzwasser auffängt und absickern lässt. Der nasse Boden unter Leah glänzt. Er spiegelt nicht nur ihre Beine wider, sondern auch die Metallverstrebungen und den robusten Rettungsring, der rechts neben ihr hängt.

3

Die U-Bahn rattert durch die engen Tunnel. Jemand hat das Fenster an der Verbindungstür zum vorderen Wagen aufgeschoben, und ein kühler Wind zerzaust die Haare der Frauen, wühlt im dünnen Papier der Zeitungen. Über den Köpfen der Passagiere, die mir gegenüber sitzen, zieht sich das dunkle Band der Strecke, ich lese wie immer alle Namen der Stationen. Hatton Cross. Hounslow. Boston Manor. South Ealing. Acton Town … Unter „Boston Manor“ stelle ich mir ein reiches Villenviertel vor, „Acton Town“ klingt eher nach einem amerikanischen Actionfilm, nach heruntergekommenen Fassaden und einem gesichtslosen Einkaufscenter. Polternd fährt die Bahn in Richtung City, doch von Stadt ist noch nichts zu sehen, nur mit Pflanzenranken überwachsene Schallmauern, ab und zu ein Stück lichter Wald oder ein Hinterhofgarten.

Mir gegenüber sitzt jetzt eine junge schwarze Frau, die ihre Tasche an sich drückt und mit leerem Blick auf den hellbraunen Kunstboden starrt, neben ihr ein älterer Mann in einem blauen, fleckigen Arbeitsoverall; er döst vor sich hin, schreckt aber bei jedem Halt auf und hält nervös nach dem Namen der Station Ausschau. Ein Inder oder Pakistaner steht im Eingangsbereich und hält sich mit einer Hand eine zitternde Zeitungsseite nah vor die Augen, während er mit der anderen Hand die Stange umklammert. Zwei Männer mittleren Alters versuchen miteinander zu reden und verstehen einander wegen des Ratterns des Zugs kaum – was sie nicht daran hindert, sich von Station zu Station weiter anzuschreien.

Gloucester Road, South Kensington, Knightsbridge. Die Kleider werden gepflegter und teurer, die Absätze der Frauenschuhe höher, die Aktenkoffer zahlreicher. Die Fahrten zwischen den Stationen verkürzen sich. Noch zwei Stopps. Jetzt kommt Hyde Park Corner. Einmal ist Leah mit mir, Daniel und Mutter durch den Hyde Park spazieren gegangen, mitten im Sommer. Die Wiesen und Bäume waren von einem so satten Dunkelgrün, wie ich es noch nie gesehen hatte. Mutter und Leah gingen langsam nebeneinander her und waren in ein Gespräch vertieft, während Daniel und ich vorausliefen. Er zeigte mir einen seltsam verformten Pilz und amüsierte sich über meinen Ekel, ich winkte ihn zu einem Platz nahe bei einem Bach heran, wo fünf kleine Enten herumtapsten. Wie immer provozierte er mich und machte sich über meine Entdeckungsfreude lustig. Halb war ich beleidigt, halb spielte ich die Beleidigte, so sehr war ich seine Neckereien gewöhnt. Einmal hielt mir Daniel ein kleines rotes Gemüse unter die Nase und sagte, diese Radieschen seien sehr gut und gar nicht scharf. Und als ich darauf beharrte, dass ich wisse, dass das weiße Innere dieser Kugel scharf wie Rettich sein konnte, versuchte er mich zu überzeugen: Du musst nur gleich das Ganze in den Mund nehmen, dann brennt es kein bisschen. Ich meinte: Dann brennt es doch nur noch mehr. Aber Daniel redete auf mich ein und nannte mich eine „Feiglingin“. Bis ich ein Radieschen in den Mund nahm und zubiss. Sogleich schossen mir wegen der Schärfe die Tränen in die Augen. Ich spuckte das Radieschen aus. „Ich habe dir sowieso nicht geglaubt!“, schrie ich. „So?“, höhnte er: „Und warum hast du’s trotzdem gemacht?“

Einmal schlossen wir eine Wette ab: Wer mehr Sirup trinken konnte, hatte gewonnen. Ich wollte es wagen, obwohl ich wusste, dass er wohl wieder gewinnen würde. Wir tranken und tranken, rülpsten und hielten uns die schmerzenden Bäuche. Dann wurde mir zuerst schlecht. Doch Daniel musste sich noch bis zum Abend mehrmals übergeben. Dieses eine Spiel wollte er später nicht mehr wiederholen.

Wir rauften, schlugen und stießen uns, schnappten uns gegenseitig Spielzeuge oder Essen von den Tellern weg. Diese Ungezwungenheit zwischen uns verschwand aber irgendwann. Damals wusste ich auch nicht, was Daniel beschäftigte, doch er war mir vertraut. Die Rollen waren festgelegt. Der große Bruder führte die kleine Schwester an der Nase herum und nutzte jede Gelegenheit, um seine Überlegenheit zu demonstrieren.

Out of order. Die Rolltreppe streckt ihre scharfen Metallzähne in die Luft. Die Menschen nehmen das ungerührt hin und steuern, ohne nur eine Sekunde zu zögern, auf die Treppe zu. Leah hat immer sehr ungehalten reagiert, wenn die Rolltreppe „ihrer“ U-Bahn-Station wieder einmal nicht funktionierte, weil es keinen Lift gab. „Das kommt einfach zu oft vor!“, schimpfte sie, „Die müssen die ganze Zeit irgendwelche Reparaturarbeiten an dieser U-Bahn machen – mal die Schienen, dann die Wände, und immer wieder die Rolltreppen.“ Jedes Mal wies sie darauf hin, dass die Station am Ende ihrer Straße die mit der längsten und steilsten Rolltreppe in ganz London sei. Tatsächlich sanken die Passagiere auf ihr in einen großen, unersättlichen Schlund. Ich hielt mich immer am Laufband fest, wenn ich auf ihr in die Tiefe fuhr. Stand die Rolltreppe still, musste Leah entweder zur Busstation gehen oder die Treppe hinuntersteigen. Sie setzte Fuß vor Fuß, hielt sich am Geländer fest, machte immer wieder Pausen. Einmal erzählte sie mir, wie sie damals mit dem schweren Cellokasten in der U-Bahn von Musikschüler zu Musikschüler gefahren war und Hunderte von diesen Treppen zu Fuß auf- und absteigen musste, weil immer irgendwo eine Rolltreppe out of order war. Auch über die englischen Krankenhäuser schimpfte Leah. Die Betreuung sei schlecht, das equipment primitiv. Und very dirty.

„Aber das hier ist eben nicht die Schweiz!“, pflegte sie zu sagen.

Einmal fragte ich Leah, ob sie denn nie in die Schweiz habe zurückkehren wollen. „Die Schweiz“, sagte Leah, „ist schön für die Ferien, für einen Besuch. Aber ich könnte da nicht mehr leben.“ Das sagte sie in einem entschiedenen Tonfall, der sich jede weitere Frage verbat.

Ich habe mir ein Spiel ausgedacht. Aus der U-Bahn-Station steige ich zum Piccadilly Circus auf, versuche mich von außen zu betrachten und frage mich, woran man mir ansehen könnte, dass ich hier fremd bin. Natürlich verrät die größere Tasche, die mir von der Schulter hängt, dass ich eine Reise vor oder hinter mir habe. Doch auch Londonerinnen reisen manchmal weg oder kommen gerade von einer Reise zurück. Verräterischer ist mein Blick, den ich jetzt suchend die Häuserfassaden entlang wandern lasse, um den Namen meines Hotels zu entdecken. Schließlich finde ich das „Regent Palace“, das sich in einer Seitenstraße des Circus befindet. Ein Gebäudekoloss, dessen Fassade von schwarzen Schlieren überzogen ist. Wie die letzten Schneereste an den Straßenrändern.

Meine Zimmernummer ist 783. Wenn jedes Stockwerk über achtzig Zimmer aufweist, überschlage ich schnell, muss das Haus bis zu tausend Zimmer haben. Ich gehe durch einen der mit braunem Spannteppich bezogenen Korridore und meine schon, mich verirrt zu haben, als ich plötzlich vor einer Türe mit meiner Nummer stehe.

Meine Tasche stelle ich auf das Bett, in dem sie gleich tief einsinkt. Ich versuche einen Blick aus dem offenen Fenster, sehe aber nur bis zur Zinne ein Stockwerk tiefer. Mit Mühe ziehe ich das Schiebefenster ganz zu, der Lärm der Auto- und Busmotoren ist dennoch als lautes Rauschen zu hören. Neben der Tür hängt ein Wandtelefon. Ein in Plastik eingeschweißtes Papier informiert, wie man vorgehen muss, wenn man duschen will. Beim ersten Versuch meldet sich niemand unter der angegebenen Nummer. Ich räume meine Tasche aus und wähle dann die interne Nummer noch einmal.

„Hello. How can I help you?“, fragt eine männliche Stimme leicht genervt.

„I – I would like to take a shower.“

„Okay“, sagt er nur, und dann ist die Verbindung schon wieder unterbrochen.

Nach zehn Minuten öffne ich die Tür und spähe den Korridor entlang. Ob man mich vergessen hat? Die schwere Türe fällt von selbst ins Schloss. Ich nehme den Hörer, zögere, hänge wieder ein. Das Hotel ist weitläufig, denke ich, und man muss lange auf den Lift warten, das kann schon dauern, bis jemand meine Tür erreicht. Oder soll ich gar nicht im Zimmer warten? Irgendwo auf meinem Weg zum Zimmer, erinnere ich mich, ging ich an einer Tür vorbei, auf der „Shower“ geschrieben stand.

Als plötzlich an die Tür geklopft wird, fahre ich erschrocken zusammen. Ein schwarzer Mann in einem blauen Overall steht im Korridor, mit mehreren zusammengefalteten weißen Frottiertüchern auf dem Arm, von denen er mir zwei entgegenstreckt. „Please!“ Er weist in den Korridor hinein, geht mit zügigem Schritt voran. Nach ungefähr zwanzig Zimmertüren und zwei Abzweigungen – ich versuche mir den Weg zu merken – bleibt er stehen und stemmt sich gegen eine Tür: „Please.“ Im ersten Duschraum putzt eine schwarze Frau den Boden. Sie sieht mich an und weist müde mit der Hand auf die zweite Tür: „Please.“ Ich fühle mich wie ein Schaf, das in ein Stallabteil geschleust wird.

Ich stelle mich unter die verrostete Brause. Das Wasser wird nur langsam warm. Da höre ich im Vorraum, ganz nah, laute Stimmen. Ich überprüfe den Sitz des Kipphebels, mit dem man von innen die Tür verschließen kann. Sein Schraubenende fällt beinahe aus der Verankerung. Ich ziehe mich hastig an.

Als ich den Duschraum verlasse, steht draußen eine Hotelangestellte, als warte sie schon die ganze Zeit, dass ich endlich wieder herauskäme. Ich sehe gerade noch, wie sie Lappen, Putzmittelflasche und Wischer nimmt und die Tür hinter mir wieder aufstößt. Mit nassen, ungebürsteten Haaren eile ich über den Flur und hoffe, dass nicht gerade jetzt jemand aus einem der Zimmer kommt. Ich habe schon meine Tür erreicht und versenke die Schlüsselkarte in den Schlitz, da höre ich in meinem Rücken ein Quietschen und einen krächzenden Ruf.

„Hello!“ Damit kann nur ich gemeint sein. Ich drehe mich um.

Eine Frau in einem verwaschenen hellblauen Morgenmantel und wirren roten Haaren steht im Türrahmen auf der gegenüberliegenden Seite. Doch sie blickt nicht mich an, sondern den Korridor hinunter, sie winkt und ruft immer wieder: „Hello!?“

„If you want to take a shower“, sage ich, „you –“

„No!“, winkt sie ungeduldig ab und fixiert mich jetzt mit ihren schwarz umrandeten Augen. „No!“, sagt sie mit Nachdruck und dann: „They took my bag! With all that was in it!“ Das „with all“ klingt dumpf und beunruhigend: „Uisoooollll.“ Dann streckt sie ihren Zeigefinger empor: „You have to be very careful! – Everything’s gone: My money, my credit cards, my passport – even my keys!“

„Here? In the hotel?“, frage ich und trete von einem Fuß auf den anderen. Von meinen nassen Haaren fallen immer mehr Tropfen auf meine Schultern, ich friere.

„No!“, bellt die Frau, „When I was out – yesterday!“

„Did you contact the police?“, frage ich und bin froh, dass die Rothaarige in der Türe stehen bleiben muss, damit diese nicht zuschnappt.

„You have to be very careful in London!“, hebt sie wieder mahnend den Finger.

Da erscheint ein indisch aussehender Hotelangestellter am Ende des Korridors. „Finally!“, bellt die Frau ihm entgegen. Er verzieht keine Miene, während er ohne Eile näher kommt und wortlos die Badetücher überreicht. „Finally!“, sagt die Frau noch einmal laut und beginnt den Mann mit einem Wortschwall einzudecken.

Ich schlüpfe in mein Zimmer. Das Heulen des Föns übertönt das laute Lamento meiner Zimmernachbarin. Als meine Haare trocken und endlich entwirrt sind, ist es im Korridor still geworden.

Als ich mein Zimmer verlasse, hängt an der Türklinke gegenüber das rote Schild Please, do not disturb! Zwei Hotelangestellte schieben einen Wagen mit quietschenden Rädern, auf dem sich weiße Laken bis über ihre Köpfe türmen, durch den Flur.

Im Pub in der Lobby wird Geschirr abgeräumt. Eines der Wandtelefone klingelt, eine dicke Frau stöhnt auf Deutsch: „Na endlich!“, erhebt sich, presst den Hörer an ihr fleischiges Ohr und beginnt so laut zu sprechen, dass ich auch noch am anderen Ende der Lobby jedes Wort verstehe. Ich verlasse das Hotel durch einen der weniger frequentierten Seitenausgänge, gehe die Coventry Street entlang am Trocadero vorbei. Das Swiss Centre am Rande des Leicester Square ist schon von Weitem zu sehen. Uhren, Schokolade, Plastikkühe, schneebedeckte Berge, Edelweiß. Die Reliquien einer Traumwelt.

Vater sitzt an einem Tisch am Fenster und blättert in einem Buch. Das werde ich schon finden, hatte er am Telefon gesagt, als ich dieses Café vorschlug, und ironisch fügte er hinzu: „Häagendazs ist doch überall ein beliebter Treffpunkt für Ortsunkundige.“ Vater ist ein Ästhet. Sicher würden sich in seinen Romanen die Figuren niemals in einem Häagendazs verabreden.

Als ich näher komme, setzt sich eine Frau neben ihn. Ihr dünnes, blondes Haar schwingt an ihre Ellbogen, als sie sich zu Vater beugt und ihm eine Hand auf die Schulter legt. Er lächelt scheu. Das ist seine Verliebtheit der ersten Wochen. Ich kenne die Abstufungen mittlerweile recht gut, die verschiedenen Phasen, die er durchläuft.

Er sieht nicht auf, als ich eintrete. Erst als ich zu dem Tisch trete, hebt er seine dicken Brauen und steht auf: „Da bist du ja!“ Er bleibt unschlüssig vor mir stehen und schiebt die Ärmel seines Pullovers zurück: „Magst du was trinken?“ Ohne auf meine Antwort zu warten, dreht er sich um und sagt laut: „Es beginnt um 13 Uhr, Alexandra, ja? – Anna, das ist Alexandra; Alexandra, das ist Anna.“ Er rudert einen kurzen Augenblick mit seinen Armen, dann hat er sich wieder unter Kontrolle.

Alexandra streicht ihr schwarzes Jackett glatt und streckt mir ihre rechte Hand hin, während sie nervös zwinkert. Um etwas zu sagen, frage ich Vater: „Wie war euer Flug?“ Er blickt auf seine Uhr. „Ganz okay, ganz okay“, winkt er ab. Und dann: „Diese Expresszüge in die Stadt sind ja sehr schnell.“

Er werde nur kurz in London bleiben, kündigte er schon am Telefon an. Er hasst es, seine Arbeit länger zu unterbrechen. Die wochenlangen Lesetourneen, schimpft er oft, reißen mich aus meinem Schreibrhythmus, danach kann ich wieder von vorne anfangen. Aber ich weiß, dass er Lesereisen im Grunde liebt. Er mag das Gefühl, dass Leute irgendwo in einer Stadt auf ihn warten und sich auf ihn stürzen, sobald er auftaucht. Wie etwa jene Frau nach einer Lesung in Basel. Ich absolvierte damals gerade ein Praktikum im Kunstmuseum, und Mutter hatte mich schon mehrmals gedrängt, endlich einmal eine von Vaters Lesungen zu besuchen. Sie wünschte sich, dass Daniel und ich den Kontakt zu ihm nicht verlören. Mir schien, dass sie ihn damit indirekt immer wieder an ihre Position in seinem Leben erinnern wollte. Die Mutter seiner Kinder. Ein in Fleisch geschnittenes, unauflösbares Band. Bis heute wartet sie auf ihn, während er schon längst mindestens drei andere Filme gesehen hat. Sie könnte wieder jemanden kennenlernen, aber sie zieht es vor, in unserer Phantomfamilie der Vergangenheit zu verharren. Warum sie sich freiwillig ein unsichtbares Gefängnis baut?