Kopernikus - John Freely - E-Book

Kopernikus E-Book

John Freely

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Beschreibung

Elegant erzählt John Freely das wechselvolle Leben eines der bedeutendsten Gelehrten der Renaissance. Dieses Buch vereinigt Biographie und spannende Wissenschaftsgeschichte. Die wohl wichtigste wissenschaftliche Entdeckung der Neuzeit, dass die Erde und die Planeten um die Sonne kreisen und die Erde einmal in 24 Stunden um ihre Achse rotiert, verdanken wir Kopernikus (1473-1543). Er war einer der größten Universalgelehrten aller Zeiten: Sprachwissenschaftler, Rechtsanwalt, Arzt, Diplomat, Politiker, Mathematiker, Naturwissenschaftler, Künstler, Geistlicher und Astronom. Zugleich vereinigte er die Erkenntnisse der Antike, der mittelalterlich-islamischen Welt wie auch der neuzeitlichen Naturwissenschaften. In seiner neuen Biographie schildert John Freely das bewegte Leben des Kopernikus, erklärt seine Theorien, vergegenwärtigt die atemlose Epoche der frühen Neuzeit und der Renaissance und zeigt, was es heißt, im "Kopernikanischen Zeitalter" zu leben.

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Seitenzahl: 542

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JOHN FREELY

KOPERNIKUS

REVOLUTIONÄR DES HIMMELS

Aus dem Englischenvon Enrico Heinemann

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Celestial Revolutionary. Copernicus, the Man and His Universe.«

im Verlag I.B.Tauris & Co Ltd, London 2014

© 2014 by John Freely

© 2015 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Fotomechanische Wiedergabe nur mit Genehmigung des Verlags

Lektorat: Ulf Müller, Köln

Umschlag: Rothfos & Gabler, Hamburg

Umschlagfotos: Nicolas Copernicus 1575. © akg-images/Erich Lessing und Sonnensystem © destina/fotolia.com

Datenkonvertierung: Dörlemann Satz, Lemförde

Printausgabe: ISBN 978-3-608-94917-9

E-Book: ISBN 978-3-608-10841-5

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen NationalbibliothekDie Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Meinen geliebten Schätzchen

Inhalt

Einführung

1»In diesem sehr entlegenen Winkel der Erde«

2Ein neues Zeitalter

3Die Krakauer Jagiellonen-Universität

4Die italienische Renaissance

5Das Bistum Ermland

6Der kleine Kommentar

7Der Brief gegen Werner

8Die Frauenburger Weiber

9Der erste Schüler

10Der erste Bericht

11Die Vorbereitung der »Kreisbewegungen«

12Über die Kreisbewegungen der Weltkörper

13Die Kopernikanische Wende

14Diskussion um die Kopernikanischen und Ptolämischen Modelle

15Die Newtonsche Synthese

Epilog: Auf der Suche nach Kopernikus

Anhang

Anmerkungen

Bibliografie

Bildnachweis

Register

Abbildung 1. Nikolaus(1) Kopernikus(2) auf der Titelseite der Pariser Ausgabe von Pierre Gassendis(1) Biografie über ihn aus dem Jahr 1554. Das Bildnis beruht wahrscheinlich auf dem Selbstporträt, das dem holländischen Maler Tobias Stimmer(1) als Vorlage diente.

EINFÜHRUNG

Diese Biografie handelt von dem polnischen Astronomem Nikolaus Kopernikus(3) (1473–1543), der in der Frührenaissance die bahnbrechende Hypothese aufstellte, wonach die Erde und die übrigen Planeten die Sonne umkreisen(1). Damit brach er mit der geozentrischen Kosmologie, die seit der Antike das Weltbild(1) bestimmt hatte.

Kopernikus(4) veröffentlichte seine sogenannte heliozentrische Theorie kurz vor seinem Tod im Jahr 1543. Sein Band De revolutionibus(1)orbium coelestium libri VI (Sechs Bücher zu den Umschwüngen der himmlischen Kreise) hatte als wahrhaft revolutionäres Werk Auswirkungen, die weit über die Astronomie(1) hinausreichten. Wurde Kopernikus’ neue heliozentrische Astronomie(2)(3)(4) im ersten Jahrhundert nach ihrer Veröffentlichung von nur wenigen Astronomen – vor allem von Kepler(1) und Galileo(1) – akzeptiert, so befeuerte sie im 17. Jahrhundert eine wissenschaftliche Revolution, die im neuen Weltbild(2) Isaac Newtons,(1) dem Beginn der modernen Naturwissenschaften, gipfelte.

Trotz seiner großen Bedeutung erschien De revolutionibus(2) nur in zwei Ausgaben 1543 und 1566. Erst 1952, als ich begann, meinen Lebensunterhalt als Physiker zu bestreiten, erschien eine englische Übersetzung.1 Obwohl als »Buch, das niemand gelesen hat«,1 bezeichnet, veränderte dieses Werk auf Dauer unser Bild vom Universum. Es sprengte die Grenzen des endlichen, geozentrischen Kosmos der Antike und öffnete den Blick zu dem unbegrenzten und sich immer weiter ausdehnenden Universum des neuen Jahrtausends.

1

»In diesem sehr entlegenen Winkel der Erde«1

Der päpstliche Sekretär Sigismondo de’ Conti notierte in seiner Chronik im Frühjahr 1500: »Alle Welt war in Rom(1)«.2 Wenige Tage vor Weihnachten 1499 hatte Papst Alexander(1)VI. Borgia das kommende Jahr zum Jubeljahr ausgerufen. Laut dem Edikt Papst Pauls II. von 1471 sollten jedes 25. Jahr der christlichen Zeitrechnung alle Pilger in Rom(2) einen Sonderablass erhalten, wenn sie dort die vier Hauptkirchen besuchten, angefangen mit dem Petersdom. Dessen Pforten blieben während des gesamten Jubeljahres Tag und Nacht geöffnet. So drängten sich an diesem Ostersonntag schätzungsweise 200000 Pilger auf dem Petersplatz, um den päpstlichen Segen zu empfangen. Diese Massen beflügelten den »frommen Kamaldulenser« Petrus Delphinus zu dem Ausruf: »Gelobt sei Gott, der so viele Zeugen des Glaubens herbeibringt.«3

Unter den Pilgern befand sich ein junger Student namens Nikolaus Kopernikus(5). Er war im Herbst 1496 von Polen nach Italien gereist und hatte sich an der juristischen Fakultät der Universität Bologna(1)(1) eingeschrieben, zu einer Zeit, als die italienische Renaissance in voller Blüte stand. So erlebte er ein Rom(3) auf dem Höhepunkt seines Glanzes. Im folgenden Jahr kehrte er in seine polnische Heimat zurück, reiste aber im selben Jahr erneut nach Italien, wo er zwei Jahre lang an der Universität Padua(1) Medizin studierte und in Ferrara(1) schließlich einen Doktortitel in Kirchenrecht erwarb. Danach zog er in »diesen sehr entlegenen Winkel der Erde« zurück, wie er seine Heimat, das heutige Nordpolen, später nannte. Dort verbrachte er den Rest seines Lebens.

Im Jahr 1654 erschien über Kopernikus(6) eine der ersten Biografien, ein etwas unzuverlässiges Werk in Lateinisch, das der französische Philosoph und Astronom Pierre Gassendi(2) verfasst hatte. Sein Name erscheint darin als »Nicolai Copernici«(1)(1), eine von zahlreichen Varianten, die in den verschiedenen Quellen und sogar in Kopernikus’ Briefwechsel auftauchen. Im Deutschen ist »Nikolaus Kopernikus« heute die gebräuchlichste Form.

Kopernikus kam am 19. Februar 1473 in einem Haus in der Sankt-Anna-Straße in Thorn(1) (dem heutigen Torun´) zur Welt, einer Stadt an der Weichsel knapp 180 Kilometer südlich von Danzig(1) (Gdansk) und ebenso weit nordwestlich von Warschau. Damals gehörte sie zum Königlichen Preußen, einer Region des Königreichs Polen. Bei der Taufe erhielt Kopernikus den Namen seines Vaters Niklas Koppernigk(1)(1), den er aber später, wie in akademischen Kreisen üblich, l(2)atinisierte, zu Nicolaus Copernicus.

Die Familie Koppernigk(1) stammte aus dem deutschsprachigen Raum. Sie war im 13. Jahrhundert nach Osten in die Provinz Schlesien ausgewandert und hatte sich in der Stadt Koperniki, wie sie nun heißt, im heutigen Südostpolen nahe der tschechischen Grenze niedergelassen. Um 1350 siedelte die Familie nach Krakau(1) über, in die Hauptstadt des Königreichs Polen. Dort wurde Niklas Koppernigk(1)(1), der Ururgroßvater des Astronomen, 1396 Bürger der Stadt. In den Annalen taucht Nikolaus’ gleichnamiger Vater(2)(2) erstmals 1448 als ein wohlhabender Kaufmann auf, der vornehmlich Kupfer in die polnische Hafenstadt Danzig(2) an der Weichselmündung verkaufte. Um 1458 zog er von Krakau(2) nach Thorn(2) und heiratete dort einige Jahre später Barbara(1), die Tochter Lucas Watzenrodes des Älteren, eines reichen Kaufmanns und Stadtrats(3)(3).

Die Watzenrodes(1) stammten ebenfalls aus Schlesien. Ihren Namen verdankten sie ihrem Heimatdorf Weizenrodau bei Schweidnitz, von wo aus sie nach 1360 nach Thorn(3) übergesiedelt waren. Lucas Watzenrode(1) der Ältere kam 1400 in Thorn(4) zur Welt und heiratete 1436 Katherina von Rüdiger, die Witwe des Thorner(5) Stadtrats Heinrich Peckau. Deren gemeinsamer Sohn Johann Peckau(1) sollte für den jungen Nikolaus Kopernikus zu einer Art Onkel werden.

Bei seinem Tod 1462 hinterließ Lucas Watzenrode(2) der Ältere drei Nachkommen: Barbara, später die Mutter des Kopernikus, Christina, die 1459 den wohlhabenden Kaufmann Tiedeman Van Allen heiratete, der im letzten Viertel des 15. Jahrhunderts acht Jahre lang Thorn(6) als Bürgermeister diente, sowie Lucas Watzenrode(1) den Jüngeren, den späteren Fürstbischof von Ermland. Das Ermland in Nordpolen, zwischen Pommern und Masuren gelegen, sollte später zu einer der vier Provinzen des Herzogtums Preußen werden. Westlich lagen die Gebiete von Königlich Preußen und südlich das Königreich Polen. Die Watzenrodes(2) hatten in wohlhabende Bürgerhäuser in Krakau(3), Danzig(3) und Thorn(7) sowie in bedeutende Adelshäuser in Königlich Preußen eingeheiratet.

Thorn(8) war auf einer alten polnischen Siedlung der Deutschritter gegründet worden, die dort 1230 eine Burg errichtet hatten. Drei Jahre später unterzeichnete Hermann von Salza(1), der Hochmeister des Deutschen Ordens, mit Landmeister Hermann von Balk(1) Gründungsurkunden für Thorn(9) und das nahe gelegene Kulm(1) (Chelmno). Diese Siedlungen gehörten zu den rund siebzig Niederlassungen in Preußen, die der Deutsche Orden gegründet und mit einer Schutzburg versehen hatte. Auch wurde in vielen von ihnen eine Kirche errichtet. Durch ihre Wehrhaftigkeit zogen sie Bauern aus der Umgebung an und wuchsen so bald zu Städten mit Handwerkern und Kaufleuten heran. Alle waren von Wehrmauern umgeben und untereinander durch Straßen verbunden.

Der Deutsche, Deutschherren- oder Deutschritterorden war – neben den Tempelrittern und dem Orden vom Spital des heiligen Johannes von Jerusalem (Hospitaliter oder Johanniter) – der dritte Orden, der während der Kreuzzüge gegründet worden war, um christliche Pilger im Heiligen Land zu unterstützen. Sie errichteten dort Herbergen und Hospitäler, beteiligten sich mit den Kreuzrittern aber auch an Kampfhandlungen. Das Ordenszeichen der Deutschritter war ein schwarzes Kreuz auf weißem Grund – im Unterschied zum roten Kreuz auf weißem Grund der Templer und dem weißen Kreuz auf rotem Grund der Hospitaliter.

Gegründet worden war der Deutsche Orden Ende des 12. Jahrhunderts in Akkon. In der Bucht von Haifa gelegen, war diese Stadt von der Armee des Dritten Kreuzzugs 1191 nach einer denkwürdigen Belagerung erobert worden. Nach der Niederlage der christlichen Streitkräfte in der Levante zog sich der Orden 1211 nach Transsylvanien zurück, um die Verteidigung Ungarns gegen den turksprachigen Stamm der Kumanen zu unterstützen. 1226 rief Herzog Konrad I. von Masowien(1) den Hochmeister Hermann von Salza(2) und seine Ritter in die Baltenregion, um diese zu erobern und dort die sogenannten Altpreußen zu christianisieren. Zu einem Kreuzzug gegen diese hatte bereits Papst Honorius III. aufgerufen, war damit aber gescheitert. Herzog Konrad(2) bot den Deutschrittern im Kulmerland, der Region um Kulm, nun ausgedehnte Ländereien und sämtliche Gebiete an, die sie erobern würden, und unterstellte sie allein der Oberhoheit des Heiligen Stuhls.

Die Deutschritter töteten oder versklavten die Altpreußen und nahmen ihr Land in Besitz. Mitte des 14. Jahrhunderts kontrollierten sie fast das gesamte nördliche Drittel des heutigen Polen. Durch Einfälle von ihnen und anderen Mächten territorial deutlich verkleinert, erlebte das Königreich Polen allerdings einen Wiederaufstieg unter Kasimir(1)III. dem Großen (reg. 1333–1370), dem letzten König der Dynastie der Piasten, die seit Ende des 10. Jahrhunderts regiert hatte.

Kasimir(2) hatte ein entvölkertes und wirtschaftlich daniederliegendes Land geerbt, das durch die ständigen Kriege verwüstet war. Bei seinem Tod hinterließ er ein prosperierendes Königreich, dessen Ausdehnung er durch territoriale Zugewinne in der heutigen Ukraine verdoppelt hatte. Er hatte die Institutionen des Königreichs reformiert, ein Gesetzbuch verfasst, zahlreiche Burgen errichten lassen und mit Genehmigung Papst Urbans(1) V. in Krakau(4) ein Studium generale gegründet, Polens erste höhere Bildungsanstalt. Als Teil seiner Bemühungen zur Wiederbevölkerung des Reichs holte er zahlreiche Juden ins Land und unterstellte sie als »Volk des Königs« seinem Schutz. So führen noch heute rund siebzig Prozent der aschkenasischen Juden ihre Ursprünge auf das Polen Kasimirs(3) des Großen zurück.

Da er keine legitimen Söhne hatte, sorgte Kasimir(4) dafür, dass seine Schwester Elisabeth, die Königinwitwe von Ungarn, und ihr Sohn, König Ludwig von Ungarn, seine Nachfolge antraten. Nach seinem Tod 1370 wurde Ludwig zum König von Polen proklamiert. Seine Mutter agierte bis zu ihrem Tod 1380 hinter den Kulissen. Nach Ludwigs Tod 1383 trat Maria, die ältere seiner beiden noch lebenden Töchter, seit 1382 Königin von Ungarn, seine Nachfolge an. Allerdings stemmte sich der polnische Adel gegen die Personalunion mit Ungarn, weshalb am 15. Oktober 1383, kurz nach ihrem zehnten Geburtstag, Marias jüngere Schwester Hedwig in Krakau(5) zur Königin Jadwiga(1) von Polen gekrönt wurde. (Ihr offizieller Titel »König« anstatt »Königin« machte deutlich, dass sie nicht Königsgemahlin, sondern Herrscherin war.)

Zwei Jahre später wurde Jadwiga(2) mit Großherzog Jogaila von Litauen verlobt, einem damals ungefähr 24-jährigen heidnischen Analphabeten. Jogaila hatte sich bereiterklärt, zum Christentum überzutreten und Polen Gebiete zurückzugeben, die ihm seine Nachbarn »gestohlen« hatten. Jadwiga(3) hatte Bedenken gegen die Heirat, da ihr Jogaila als ungewaschener, bärenhafter und grausamer Barbar geschildert worden war. So schickte sie Ritter Zawisza den Roten los, um in Erfahrung zu bringen, ob ihr Verlobter auch wirklich ein Mensch sei. Zawisza meldete ihr, Jogaila sei rasiert, sauber und zivilisiert. Obwohl ein ungebildeter Heide, scheine er der christlichen Kultur große Wertschätzung entgegenzubringen. Am 4. März 1386, zwei Wochen nach Jogailas Taufe in der Wawel-Kathedrale von Krakau(6), fand die Hochzeit statt. Wenig später krönte Erzbischof Bodzanta Jogaila zum König Władysław(1)II. Jagiełło von Polen. Władysławs(2) Herrschaft, die 48 Jahre dauern sollte, begründete die ruhmreiche Dynastie der Jagiellonen, die bis 1572 als Könige von Polen und Großherzöge von Litauen regieren sollten.

Władysław(3) und Jadwiga(4) herrschten als Koregenten. Obwohl Jadwiga(5) wenig reale Macht besaß, beteiligte sie sich höchst aktiv am politischen und kulturellen Leben Polens. Mit nur 13 Jahren führte sie 1387 zwei Expeditionen nach Ruthenien und gewann Land zurück, das unter der Herrschaft ihres Vaters an Ungarn abgetreten worden war. Drei Jahre später nahm sie persönlich Verhandlungen mit den Deutschrittern auf. Am 22. Juni 1399 brachte sie eine Tochter zur Welt. Aber innerhalb eines Monats starben Mutter und Kind.

Jadwiga(6) war für ihre wohltätigen Werke und religiösen Stiftungen bekannt gewesen, derentwegen sie der polnische Papst Johannes Paul II. 1997 heilig sprach. In ihrem Testament verfügte sie die Wiederherstellung von Krakaus(7) Studium generale, die sogenannte Krakauer(8) Akademie, ein Vermächtnis, das König Władysław getreu erfüllte. Seine wiedergegründete Akademie ist heute als Jagiellonen-Universität Krakau(1) bekannt.

Mit der Schlacht von Tannenberg 1410 brach eine polnisch-litauische Armee die Macht der Deutschritter. Der Krieg endete im Februar 1411 mit dem Ersten Frieden von Thorn(10). Laut dem Vertrag behielten die Deutschritter den Großteil ihrer Gebiete, die sie dank ihrer befestigten Städte kontrollierten, auch wenn ihre Untertanen unter dem strengen Regiment des Ordens zusehends aufbegehrten.

Im nächsten Vierteljahrhundert bekämpfte die polnische Krone die Deutschritter in drei aufeinanderfolgenden Kriegen. Preußen wurde verwüstet, ohne dass der Deutsche Orden Gebietsverluste hinnehmen musste. 1440 schloss sich der Adel von Thorn(11) mit weiteren Städten zum Preußischen Bund zusammen. Dieser führte 1454 einen Aufstand gegen die Deutschritter und entfachte damit den Dreizehnjährigen Krieg. Unterstützt wurde er dabei von Kasimir(1)IV. Jagiellon, dem König von Polen und Großherzog von Litauen. Zunächst erstürmte das Volk von Thorn(12) die Burg der Ritter, metzelte die Verteidiger nieder und nahm die Überlebenden gefangen. Die Rebellion endete am 19. Oktober 1466 mit dem Zweiten Frieden von Thorn(13). Mit ihm kam der Westteil der Ordensgebiete – mit Thorn(14) und Danzig(4) – entlang der unteren Weichsel als sogenanntes Königliches Preußen oder Preußen Königlichen Anteils unter polnische Oberherrschaft. Das wohlhabende Bistum Ermland wurde ein eigenes Herrschaftsgebiet, das mit seinem regierenden Bischof der polnischen Krone unterstand.

Der Deutsche Orden behielt lediglich das Hinterland der Hafenstadt Königsberg(1), an das im Südwesten das Ermland angrenzte. Bestätigt wurde der Frieden von Thorn(15) am 8. April 1525 durch den Vertrag von Krakau,(9) der dem Hochmeister der Deutschritter die Gebiete des Ordens – das Herzogtum Preußen – als erblichen Besitz in Form eines Lehens der polnischen Krone zusprach.

In dieser geopolitischen Landschaft um den »sehr entlegenen Winkel der Erde« war Kopernikus zur Welt gekommen, und hier sollte er auch den Großteil seines Lebens verbringen. Im Dreizehnjährigen Krieg gegen die Deutschritter war sein Vater nach Thorn(16) übergesiedelt und hatte der Stadt Geld geliehen für die Soldaten der Krone, die sie verteidigten, und zum Bau einer Brücke über die Weichsel. Später dient er als Richter und Ratsherr. Lucas Watzenrode(3) der Ältere, Kopernikus’ Großvater mütterlicherseits, hatte im Dreizehnjährigen Krieg gegen die Deutschritter gekämpft und war verwundet worden. Das Thorner(17)Bürgerbuch, das Bürgerverzeichnis der Stadt, wies ihn als Grundbesitzer, Geschäftsmann, Richter und Stadtrat aus, als den Typ Bürger, der den Kern des Widerstands gegen die Deutschritter gebildet hatte.

Thorn(18) gehörte zur Hanse,(1) einem Bündnis von Kaufmannsstädten und ihren Zünften, das in Nordeuropa über ein Handelsmonopol in einem vom Baltikum bis an die Nordsee reichenden Gebiet verfügte. Begonnen hatten die wirtschaftlichen Aktivitäten, die zur Gründung dieses Bundes führten, 1159 in der norddeutschen Hafenstadt Lübeck,(1) die Heinrich der Löwe, der Herzog von Sachsen, wiederaufgebaut hatte. Lübeck,(2) die »Königin der Hanse«,(2) wurde zu einem Stützpunkt von Kaufleuten in Sachsen und Westphalen, die an den Küsten von Nord- und Ostsee und entlang der Flüsse im Hinterland mit Städten wie Thorn(19) und Krakau(10) Handel trieben. In Verbünden wie der Hanse(3) verpflichteten sich die beteiligten Städte zu gegenseitiger Unterstützung mit Schiffen und bewaffneten Männern. Offiziell gegründet wurde die Hanse(4) 1356 in Lübeck(3) bei einer Versammlung von Vertretern der Mitgliedsstädte im Rathaus. Dort ratifizierten sie die Gründungsurkunde der ersten Tagfahrt (Hansetag).

Lübeck(4) und andere Hansestädte richteten Handelsposten, sogenannte Kontore, an so weit entfernten Orten wie dem russischen Inlandshafen Nowgorod, dem norwegischen Bergen oder in London ein. Das 1320 gegründete Londoner Kontor lag westlich der London Bridge nahe der Upper Thames Street am Standort des heutigen Bahnhofs Cannon Street. Wie die übrigen Kontore der Hanse(5) wuchs auch dasjenige in London zu einer ummauerten Ansiedlung mit Lagerhäusern, einer Stadtwaage, Verwaltungsräumen, Wohnhäusern und einer Kirche heran. Neben den Kontoren verfügten alle Häfen der Hanse(6) über ein Lagerhaus, das von einem Vertreter des Bundes betrieben wurde – in England etwa waren dies Bristol, Boston, Bishop’s Lynn (das heutige King’s Lynn), Hull, Ipswich, Norwich, Yarmouth (das heutige Great Yarmouth) und York. In der Hanse(7) vertreten waren auch Krakau(11), Thorn(20) und Danzig,(5) das dank seiner Kontrolle über den polnischen Getreideexport zur größten Stadt unter den dreien aufstieg. Anfang des 16. Jahrhunderts hatte Danzig(6) 35000 Einwohner, während in Krakau,(12) der Hauptstadt des Königreichs Polen, nur rund 20000 und in Thorn(21) um 10000 Einwohner lebten.

Ein Chronist des 15. Jahrhunderts beschreibt das Thorn(22) zur Zeit des Kopernikus mit folgenden Worten: »Thorn(23) mit seinen schönen Bauten und Dächern aus glänzenden Ziegeln ist so prachtvoll, dass an die Schönheit und den Glanz seiner Lage fast keine Stadt heranreicht.«4 Heute ist Thorns(24) Einwohnerzahl verglichen mit dem 15. Jahrhundert auf das Zwanzigfache angewachsen. Aber die ummauerte Altstadt am rechten Weichselufer blieb fast wie durch ein Wunder erhalten: Ihre zahlreichen, durchweg in Backsteingotik errichtete Bauten sind von einem mittelalterlichen Netz aus engen Straßen durchzogen. Die um den gepflasterten Hauptplatz herum angelegten Häuser werden noch immer von dem alten Rathaus beherrscht, das 1274 erbaut und Ende des 16. Jahrhunderts erweitert wurde. Von der Weichsel aus betrachtet, erscheint das Stadtbild heute fast noch immer so wie auf einer Lithographie Christoph Hartknochs von 1684. Nur die Lastkähne fehlen, die einst vor den Stadtmauern von und zu den Docks fuhren und für den jungen Kopernikus ein alltäglicher Anblick gewesen sein müssen.

Nikolaus Kopernikus war das jüngste von vier Geschwistern. Als er sieben Jahre alt war, zogen seine Eltern mit ihm, seinem Bruder Andreas(1) und den beiden Schwestern Barbara und Katharina aus der Sankt-Anna-Straße in ein größeres Haus am Thorner(25) Altstadtmarkt um. Damals besuchte Nikolaus bereits die angesehene Pfarrschule der nahe gelegenen Kirche Sankt Johann, die Schüler aus ganz Polen anzog. Dort lernte er Mathematik und Latein, das nicht nur universelle Gelehrtensprache Europas war, sondern auch in der Liturgie der Kirche Sankt Johann verwendet und von den reisenden Kaufleuten der Hanse(8) in Thorn(26) gesprochen wurde.

Im Jahr 1485 erhielt Thorn(27) Besuch von Kasimir(2)IV. und seinem Hofstaat. Unter dem Jubel des gesamten Volkes entstieg der König neben dem Haupttor der Stadt seiner Prachtbarke. Kasimir(3) verbrachte sechs Wochen in Thorn(28) und speiste abwechselnd in den Häusern der Honoratioren. Da zur Familie Koppernigk(2) und ihren Verwandten die einflussreichsten Leute der Stadt zählten, begegnete der König wahrscheinlich auch mehrmals dem jungen Nikolaus.

Niklas Koppernigk(4), Nikolaus’ Vater, starb irgendwann zwischen dem 18. Juli 1483 und dem 19. August 1485. Auf den zuerst genannten Tag ist der letzte Eintrag im Verzeichnis seiner Finanzen datiert, während er unter dem zweiten Datum erstmals als verstorben genannt wird. Beigesetzt wurde Niklas in der Kirche Sankt Johann. Das Grabmal mit seinem Bildnis ist noch heute zu sehen: Eine große schlanke Gestalt mit Schnurrbart und langem schwarzen Haar kniet mit betenden Händen nieder. Sein Sohn Nikolaus, der sicher auch unter den Trauergästen weilte, hatte seinen Vater noch vor seinem zehnten Lebensjahr verloren.

Die verwitwete Barbara Koppernigk wohnte mit ihren Kindern bis zu ihrem Tod zwischen 1495 und 1507 weiter in dem Haus am Altstadtmarkt. Ihre älteste Tochter Barbara trat in ein Benediktinerkloster in Kulm ein. Die jüngste, Katharina, heiratete den Krakauer(13) Kaufmann Bartholomaeus Gertner, der nach Thorn(29) gezogen und dort Stadtrat geworden war. Die Gertners übernahmen das Haus der Koppernigks, in dem Katharina dann fünf Kinder zur Welt brachte, und wohnten dort bis mindestens 1507.

Nach dem Tod ihres Vaters kamen Nikolaus und sein ältester Bruder Andreas(2) in die Obhut ihres Onkels Lucas Watzenrode,(2) der sich um ihre Ausbildung kümmerte. Lucas hatte ab 1463/64 an der Jagiellonen-Universität in Krakau(14)(2) studiert, in Köln(1) einen Magistertitel erworben und seine Ausbildung 1473 in Bologna(2)(2) als Doktor des kanonischen Rechts abgeschlossen.

Nach seiner Rückkehr nach Thorn(30) trat er eine Stelle als Lehrer an. An der Schule ging er mit der Tochter des Rektors, die ein zeitgenössischer Chronist als »fromme Jungfrau«5 bezeichnete, eine Affäre ein, aus der ein illegitimer Sohn hervorging. Dieser Philipp Teschner(1) wurde später Bürgermeister im ostpreußischen Braunsberg(1) (Braniewo) und ein prominenter Unterstützer der Reformation.

Lucas schied vor der Geburt seines unehelichen Sohnes aus der Schule aus, gab seine Lehrtätigkeit auf und schlug eine kirchliche Laufbahn ein. Im darauffolgenden Jahr wurde er Domherr in Kulmsee (Chełmz˙a(1)) bei Thorn(31). In den Jahren 1477–1488 arbeitete er eng mit Sbigneus Olesnicki dem Jüngeren zusammen, dem Neffen von Kardinal Sbigneus Olesnicki dem Älteren, der nach König Kasimir(4)IV. der mächtigste Mann Polens war. Lucas nahm seinen Wohnsitz bei Sbigneus dem Jüngeren in Gnesen, gut 96 Kilometer südwestlich von Thorn(32). In dieser Zeit sicherte er sich dank seiner einflussreichen Beziehungen weitere Pfründe und Einkünfte: 1478 als Domherr in Wladyslaw, 1479 im Ermland und 1485 in Gnesen. 1487 empfing er schließlich die Priesterweihe.

Mit dem Zweiten Frieden von Thorn(33) 1466 wurde das Ermland der Kontrolle der Deutschritter entzogen und unterstand nunmehr als Teil der Provinz Königliches Preußen der polnischen Krone. Privilegien sicherten dem Ermland unter seinem Fürstbischof allerdings eine gewisse Autonomie. Im Folgejahr wählte das Domkapitel des Ermlands Nikolaus von Tüngen – gegen den Wunsch Kasimirs(5)IV. – zum Bischof. Der neue Fürstbischof verbündete sich mit den Deutschrittern und König Matthias Corvinus(1) von Ungarn. Mit dem Einmarsch der Armee der polnischen Krone ins Ermland brach 1478 der sogenannte Preußische Pfaffenkrieg aus. Braunsberg(2) wurde belagert, hielt aber stand, worauf mit dem Vertrag von Piotrków Trybunalski der Krieg beendet wurde. Kasimir(6) erkannte von Tüngen als Fürstbischof an und gestand dem ermländischen Domkapitel das Recht zu, seine Bischöfe künftig selbst zu wählen. Diese brauchten allerdings die Zustimmung des polnischen Königs und mussten ihm den Treueeid schwören.

Am 31. Januar trat von Tüngen aus gesundheitlichen Gründen zurück. Das Domkapitel wählte Lucas Watzenrode(3) zum Bischof von Ermland, mit der Unterstützung Papst Innozenz VIII. und erneut gegen den Widerstand König Kasimirs(7), der das Bistum für seinen Sohn Friedrich vorgesehen hatte. Doch Watzenrode konnte sich durchsetzen. Nach Kasimirs(8) Tod 1492 bestätigte sein Sohn und Nachfolger Johann I.(1) Albrecht die Unabhängigkeit des Ermlands.

Fürstbischof Lucas war eng mit zahlreichen humanistischen Gelehrten befreundet, mit Schlüsselfiguren der Renaissance, insbesondere mit Jan Długosz(1), Conradus Celtis(1) und Filippo Buonaccorsi. Alle hatten an der Krakauer(15)(3) Jagiellonen-Universität einen Abschluss erworben oder dort gelehrt. Der junge Nikolaus Kopernikus dürfte sie wie weitere gebildete Freunde seines Onkels kennengelernt haben. So kam er schon sehr früh mit der humanistischen Bewegung(1) in Berührung.

Jan Długosz(2) (1415–1480) war Kanonikus in Krakau(16), später Erzbischof von Lemberg und ein Protegé von Kardinal Sbigneus Olesnicki dem Älteren, über den er eine Biografie verfasste. Er unterrichtete als Hauslehrer die Kinder Kasimirs(9)IV., von denen Johann I(2). Albrecht (reg. 1492–1501), Alexander (reg. 1501–1506(1)) und Sigismund(1) I. (reg. 1506–1548) ihrem Vater als Könige von Polen nachfolgten. Kasimir(10) entsandte Jan Długosz(3) auf diplomatische Missionen an den Heiligen Stuhl und den Hof des römisch-deutschen Kaisers. Während des Dreizehnjährigen Krieges war er an den Verhandlungen des Königs mit den Deutschrittern beteiligt und handelte anschließend den Friedensvertrag mit aus. Besonders bekannt wurde Długosz durch seine Annales seu cronicae incliti Regni Poloniae (Annalen oder Chronik des ruhmreichen Königreichs Polen) und seine Historiae Polonicae librii XII (Polnische Geschichte in 12 Büchern). Im ersten Werk behandelt Długosz neben den Ereignissen in Polen auch die Entwicklungen in anderen Teilen Europas von 965 bis zu seinem Tod 1480. Dabei vermischt er historische Fakten mit Legenden und möglicherweise auch Fiktionen.

Conradus Celtis(2) (1459–1508) kam in Wipfeld am Main zur Welt, unter dem Namen Konrad Bickel, den er zu Beginn seines Studiums in Köln(2) und später Heidelberg(1) latinisierte. Nach dem Studium hielt er humanistische Vorlesungen in Mitteleuropa und später in Rom,(4) Florenz,(1) Bologna(3) und Venedig.

Als sein erstes Werk erschien 1486 seine Poetik Ars versificandi et carminum (Die Kunst des Verseschmiedens und Dichtens). Bei seiner Rückkehr nach Deutschland wurde Kaiser Friedrich III(1). auf ihn aufmerksam und krönte ihn zum Poeta laureatus. Danach verlieh ihm die Universität Nürnberg(1)(1) einen Doktortitel. Nach einer Vorlesungsreise durch das Heilige Römische Reich kehrte er nach Krakau(17) zurück und lehrte an der Jagiellonen-Universität Mathematik, Astronomie(5) und Naturwissenschaften. In Krakau(18) gründete er mit weiteren Dichtern nach dem Vorbild der römischen Akademie die Sodalitas Litterarum Vistulana (gelehrte Gesellschaft der Weichsel). Ableger dieser Gesellschaft rief er in Ungarn, Österreich und Deutschland ins Leben. In Heidelberg(2) wurde Celtis zum Professor berufen. 1497 holte ihn Kaiser Maximilian(1) I. nach Wien und ernannte ihn zum »ordinierten Lektor« für Poetik und Rhetorik mit kaiserlichen Privilegien – das erste Mal, dass er diese Auszeichnung verlieh. In Wien lehrte er die Werke der griechischen Antike und die lateinischen Schriftsteller. 1502 gründete er dort das sogenannte Poetenkolleg, das Collegium poetarum et mathematicorum. Er wurde zum Leiter der von Maximilian(2) gegründeten Kaiserlichen Bibliothek ernannt und sammelte zahlreiche griechische und römische Handschriften. Seine bedeutendste Entdeckung in dieser Funktion war die Tabula Peutingeriana oder Peutingersche Tafel, die einzige erhaltene Straßenkarte des Römischen Reichs, die für Reisende gedacht war. Celtis arbeitete an ihrer Veröffentlichung, starb aber am 4. Februar 1508 in Wien an Syphilis. Die Krankheit war damals als »morbus gallicus«, als »Franzosenkrankheit« bekannt. Angesteckt hatte er sich wahrscheinlich bei seiner Vorlesungsreise durch Italien. Am nachhaltigsten beeinflusste Celtis die Geschichtswissenschaft, indem er als Erster überhaupt die Geschichte der Welt als Ganzes lehrte.

Filippo Buonaccorsi (1437–1496) kam im toskanischen San Gimignano zur Welt. Nach seinem Umzug nach Rom(5) 1462 trat er auch unter der latinisierten Form seines Namens Callimachus auf und wurde Mitglied der Accademia Romana, die der Humanist Julius Pomponius Laetus(1) gegründet hatte. Wegen ihrer heidnischen Sichtweisen und ihrem zügellosen Lebensstil ließ Papst Paul(1)II. 1467 sämtliche Akademiemitglieder verhaften. Ein Gnadengesuch brachte alle bald wieder auf freien Fuß. Nach einem missglückten Attentat auf den Papst, an dem er sich 1468 mit anderen Mitgliedern beteiligt hatte, floh Buonaccorsi nach Polen. Bei einer Durchsuchung der Akademie stießen Agenten des Papstes auf Verse mit homosexuellem Inhalt, die Buonaccorsi dem Bischof von Segni geschrieben hatte. Die Verfolgung der Gelehrten endete abrupt, als Paul(2)II. am 26. Juli 1471 einem Schlaganfall erlag. Angeblich soll er beim Analverkehr mit einem Pagen verschieden sein.

Als Buonaccorsi in Polen eintraf, fand er zunächst eine Anstellung bei Gregor von Sanok, dem Erzbischof von Lemberg. Später engagierte ihn König Kasimir(11)IV. mit Jan Długosz(4) als Hauslehrer für die Königskinder. 1474 wurde er zum königlichen Sekretär berufen. Anschließend diente er als Botschafter bei der Hohen Pforte in Istanbul und vertrat den König in Venedig. Mit Conradus Celtis(3) war Buonaccorsi an der Gründung der Krakauer(19) Sodalitas Litterarum Vistulana beteiligt. Für den Rest seines Lebens lehrte er an der Krakauer(20)(4) Jagiellonen-Universität und verfasste lateinische Gedichte und Prosa. Seine bekanntesten Werke sind Biografien des Königs Władysław III., des Kardinals Sbigneus Olesnicki des Älteren und des Erzbischofs Gregor von Sanok, die alle seine Gönner waren.

Der Dom der Diözese Ermland stand in Frauenburg(1) (Frombork), einer Hafenstadt gut 160 Kilometer östlich von Danzig(7). Etwas weiter nördlich lag das kleinere Braunsberg(3), in dem Philipp Teschner(2) nach der Wahl seines Vaters Lucas Watzenrode(4) zum Fürstbischof von Ermland Bürgermeister wurde. Lucas hatte sich zu seinem illegitimen Sohn stets bekannt und dürfte dessen Wahl zum Bürgermeister wohl eingefädelt haben.

Der Bischofspalast stand in Heilsberg (Lidzbark(1) Warmin´ski), 225 Kilometer nordöstlich von Thorn(34). Lucas kehrte möglichst oft nach Thorn(35) zurück, um seine Familie zu besuchen und sich um seine Neffen Andreas(3) und Nikolaus zu kümmern. Seinen Plänen nach sollten sie in seine Fußstapfen treten, zunächst als Kanoniker in seinem Domkapitel in Frauenburg, damit er sie dank seiner einflussreichen Position und guten Verbindungen an die Spitze der katholischen Hierarchie Polens befördern konnte. Vor allem in Nikolaus setzte er anscheinend große Erwartungen.

Lucas(5) schickte Nikolaus mit fünfzehn Jahren in die Kathedralschule nach Włocławek(1) (Leslau), knapp fünfzig Kilometer die Weichsel aufwärts, damit er sich auf sein Studium vorbereitete. Die meisten Lehrer an der Schule waren an der Universität von Krakau(21)(5) ausgebildet worden. Der angesehenste unter ihnen, Dr. Nicolaus Abstemius,(1) der seinen ursprünglichen Namen Wodka latinisiert hatte, war auf gnomonische Projektion spezialisiert, also auf das Studium des Schattenwurfs, den der Gnomon genannte Stab einer Sonnenuhr erzeugte. Bei Abstemius e(2)rhielt Nikolaus wahrscheinlich Unterricht in Astronomie(6). Einer Überlieferung nach soll Kopernikus mit Abstemius(3) die Sonnenuhr an der Südseite des Maria-Himmelfahrts-Doms in Włocławek(2) konstruiert haben.

Nachdem Andreas(4) die Kathedralschule abgeschlossen hatte, schickte ihn sein Onkel Lucas mit Andreas an seine Alma Mater, die Jagiellonen-Universität in Krakau.(22) So machten sich die beiden(5) im Herbst 1491 aus Thorn(36) zu einer Reise auf, die am Ende eine geistige Revolution(3) herbeiführen und das seit der Antike herrschende Weltbild(2) umstürzen sollte.

2

Ein neues Zeitalter

Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts markiert den Übergang vom ausgehenden Mittelalter zur Neuzeit, die mit der Renaissance in Westeuropa beginnt. 1453, zwanzig Jahre vor Kopernikus(7)’ Geburt, eroberten die Türken Konstantinopel(1), die Hauptstadt des Byzantinischen Reichs, das unter christlichen Vorzeichen die Nachfolge des Römerreichs angetreten hatte. Zwei Jahre später wurde die erste Gutenberg-Bibel gedruckt. Als Kopernikus(8) 19 Jahre alt war, entdeckte Christoph Kolumbus Amerika und öffnete so zu Beginn eines neuen Zeitalters den Blick auf eine neue Welt.

Die Renaissance in Europa stellte den Gipfelpunkt einer tausendjährigen Entwicklung dar, die mit dem Untergang der griechisch-römischen Kultur begonnen hatte. 330 n. Chr. verlegte Konstantin der Große seine Hauptstadt nach Byzanz am Bosporus. Er benannte sie in Konstantinopel(2) um und legte damit den Grundstein zur Teilung des Römischen Reichs. 480 ging das weströmische Reich unter, als sein letzter Kaiser Julius(1) Nepos in seiner Zuflucht, der Provinz Dalmatia, einem Mordanschlag zum Opfer fiel. Der Kaiser in Konstantinopel(3) herrschte fortan allein über die Überbleibsel des Römerreichs.

Gegen Ende des 5. Jahrhunderts bestand dieses Reich nur noch aus dem vorwiegend griechischsprachigen Osten, in dem das Christentum rasch die antiken griechisch-römischen Götterkulte verdrängte. Sein Kernland bildete nun Kleinasien, in dem ein Grieche eher Rhomaios, Römer, als Hellene hieß, da diese Bezeichnung inzwischen gleichbedeutend mit »Heide« gebraucht wurde. Die Einwohner Konstantinopels(4) nannten sich selbst Byzantini, Byzantiner, und waren Christen. Moderne Historiker sehen am Ende des 5. Jahrhunderts einen Wendepunkt in der Geschichte des Imperium Romanum, das von da an allgemein anstatt als Römisches als Byzantinisches Reich bezeichnet wird.

Seine Blütezeit erlebte dieses Byzanz unter Justinian(1) I. (reg. 527–565), der zahlreiche verlorene Gebiete zurückeroberte und so das Mittelmeer wieder zu einem römischen Gewässer machte. 529 verbot Justinian(2) I. per Erlass Heiden die Lehre und brach damit die letzte direkte Verbindung zur antiken Vergangenheit ab. Die platonische Akademie(1) in Athen(1) wurde nach über neun Jahrhunderten ihres Bestehens geschlossen. Ihre Lehrer zogen sich in den Ruhestand zurück oder gingen ins Exil.

Gegen Ende des 8. Jahrhunderts bestand das Reich nach mehreren aufeinanderfolgenden Invasionen von Persern, Arabern und Slawen fast nur noch aus Kleinasien und wenigen Enklaven in Griechenland, Italien und Sizilien. Athen(1) war um 590 von den ostgermanischen Herulern vollständig zerstört worden und blieb in den darauffolgenden Jahrhunderten praktisch unbesiedelt. 639 nahmen die Araber Alexandria ein, in dem schon zwei Jahrhunderte zuvor ein Mob aus christlichen Fanatikern die berühmte Bibliothek vernichtet hatte. Die großen Zentren der griechisch-römischen Kultur waren untergegangen. Konstantinopel(5) blieb als bedrängte letzte Bastion der christianisierten Reste antiker Zivilisation zurück.

Die Bibliothek von Alexandria hatte die Schriften sämtlicher griechischer Schriftsteller seit Homer verwahrt. Mit ihrer Zerstörung gingen sämtliche Originalwerke der griechischen Philosophie und Naturwissenschaften unter, auch wenn von zahlreichen Abschriften erhalten blieben, die auf unterschiedliche Weise über verschiedene Ketten von Übersetzungen den Weg nach Westeuropa fanden.

Die ersten griechischen Naturphilosophen waren im 6. Jahrhundert v. Chr. aufgetaucht: in den griechischen Kolonien an der ägäischen Küste Kleinasiens, auf den vorgelagerten Inseln sowie in Magna Graecia, den griechischen Städten in Süditalien und auf Sizilien. Bekannt wurden sie unter der Bezeichnung physikoi, »Physiker«, abgeleitet aus dem griechischen Wort physis für »Natur« im weitesten Sinn, weil sie die Phänomene erstmals auf natürlicher Grundlage zu erklären versuchten anstatt durch übernatürliche Ursachen. Diesen Präsokratikern, als die man die Anhänger dieser Richtung heute bezeichnet, gehörten Thales(1), Anaximander, Anaximenes, Pythagoras(1), Xenophanes(1), Heraklit(1), Parmenides(1), Empedokles(1) und Anaxagoras(1) an.

Anaxagoras(2), einer der letzten Präsokratiker, kam um 500 v. Chr. in Klazomenai zur Welt, einer griechischen Stadt in Kleinasien an der Ägäis. Mit ungefähr zwanzig Jahren siedelte er nach Athen(2) über, das nach Ende der Perserkriege 479 v. Chr., dem Beginn der klassischen Periode in der griechischen Geschichte, zum politischen und geistigen Zentrum der hellenischen Welt aufstieg. Anaxagoras(3) ließ sich als einer der ersten Philosophen in Athen(3) nieder und unterrichtete dort unter anderem Perikles(1). Dieser ehrte mit seiner berühmten Gefallenenrede 431 v. Chr. jene Athener, die im ersten Jahr des Peloponnesischen Krieges in der Schlacht gefallen waren. Er erinnerte seine Mitbürger daran, dass sie eine freie und demokratische Welt verteidigten. »Unsere Stadt verwehren wir keinem«, so Perikles(2), »wir lieben den Geist«, weshalb ihre Stadt zur »Schule von Hellas« geworden sei.1

Perikles(3) meinte die berühmten Philosophenschulen Athens, von denen die beiden angesehensten allerdings erst im folgenden Jahrhundert gegründet wurden: die Akadémeia Platons(1) (427–347 v. Chr.), der ein Schüler des Sokrates(1) (469–399) gewesen war, sowie das Lykeion des Aristoteles(1) (384–322 v. Chr.), der an Platons(2) Akademie(2) seine Ausbildung erhalten hatte.

Die meisten bedeutenden Philosophen und Naturgelehrten der klassischen Periode unterrichteten in Athen(4). Die wichtigsten Ausnahmen waren Hippokrates(1) von Kos (460–um 347 v. Chr.), der Vater der Medizin, und Demokrit(1) von Abdera (um 470–um 404), der mit seinem Lehrer Leukipp den Atomismus begründete.

Platon(3) sah Mathematik als Voraussetzung für das dialektische Vorgehen an, das künftigen Staatslenkern das für ihre Herrschaft notwendige philosophische Rüstzeug vermitteln sollte. Zum Studium der Mathematik gehörten die Arithmetik, die Geometrie der Ebene und des Raumes, die Harmonik und die Astronomie(7). Zur Harmonik zählten die Physik der Töne und das Studium der mathematischen Beziehungen, das die Pythagoreer(1) bei ihren Untersuchungen zur Musik entwickelt haben sollen. Astronomie(8) studierte man nicht nur um ihrer praktischen Verwendung willen, sondern auch, weil sie Aufschlüsse über die »wahren Zahlen« und »wahren Figuren« hinter den sichtbaren Bewegungen(1) der Gestirne geben konnte.2

Für Platon(4) sollten Philosophen das Studium der Natur, insbesondere der Astronomie(9), als geometrische Übung angehen. Durch eine idealisierte geometrische Betrachtung der Natur ließen sich Beziehungen ermitteln, die auf einem ebenso sicheren Fundament standen wie die der Geometrie. Wie Sokrates(2) in Der Staat bemerkt: »[L]assen wir Astronomie(10) wie Geometrie uns angelegen sein, mit dem Sternenhimmel wollen wir uns aber weiter nicht abgeben.«3 Als Hauptproblem befasste sich die griechische Astronomie(11) damit, die scheinbaren Bewegungen(2) der Fixsterne, der Sonne, des Mondes und der fünf sichtbaren Planeten zu erklären. Alle Himmelskörper umrunden dem Augenschein nach täglich einen Punkt am Himmel, den Himmelspol, ein Eindruck, der sich aus der Drehung der Erde um die eigene Achse in gegenläufiger Richtung ergibt. Die Sonne geht zwar jeden Tag im Osten auf und im Westen unter, weicht aber scheinbar mit jedem Tag um einen Grad von West nach Ost zurück und durchwandert so im Jahresverlauf die zwölf Tierkreiszeichen. Diese scheinbare Bewegung(1) entsteht durch den Umlauf der Erde um die Sonne.

Die scheinbare Bahn der Sonne durch den Tierkreis(2) (d.h. die Ekliptik) verläuft in einem Winkel von ungefähr 23,25 Grad schräg zum Himmelsäquator, der Projektion des Erdäquators in den Weltraum. Dies rührt daher, dass die Erdachse zur Senkrechten der Bahnebene um ungefähr 23,25 Grad geneigt ist. Diese Schräge ist für den Zyklus der Jahreszeiten verantwortlich.

Alle Planeten ziehen am Nachthimmel auf Bahnen nahe der Ekliptik zusammen mit den Fixsternen scheinbar von Ost nach West, wandern aber in bestimmten Nächten über den Tierkreis langsam von West nach Ost zurück. Diese scheinbare Rückwärtsbewegung, die allen gemeinsam ist, erscheint als eine Schleife, wenn man sie auf einer Himmelskugel abbildet. Sie kommt dadurch zustande, dass die Erde bei ihrem Lauf um die Sonne die langsameren äußeren Planeten(1) überholt und ihrerseits von den schnelleren inneren überholt wird. In beiden Fällen sieht es dann so aus, als wandere der Planet vor den Fixsternen in Gegenrichtung zurück.

Simplikios(1) (um 490–um 560) zufolge stellte Platon(5) den Himmelsforschern die Aufgabe zu zeigen, »mit welchen Hypothesen sich die Phänomene [also die scheinbaren Rückwärtsbewegungen] der Planeten durch gleichförmige und geordnete Kreisbewegungen erklären lassen«.4

Die erste Lösung des Problems lieferte Eudoxos(1) von Knidos (um 400–um 347 v. Chr.), ein jüngerer Zeitgenosse Platons(6) an der Akademie. Eudoxos(2) war einer der bedeutendsten Mathematiker der klassischen Periode. Ihm wurden einige Lehrsätze zugeschrieben, die später in Werken des Euklid(1)(2) und des Archimedes(1) auftauchten. Zudem war er ein führender Astronom seiner Zeit, der an seiner Sternwarte in Knidos an der Südwestküste Kleinasiens genaue Beobachtungen(1) der Himmelskörper anstellte. Eudoxos(3) stellte die Hypothese auf, dass die Bahnen der fünf Planeten(1) das Ergebnis gleichförmiger Bewegungen(1) von jeweils vier miteinander verbundenen Kugelschalen seien, in deren Zentrum die Erde stehe. Allerdings bewegten sich diese mit gegeneinander geneigten Achsen und unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Planeten säßen am Äquator der innersten Kugelschale, während sich die Fixsterne mit der äußersten Schale drehten. Die Bewegungen von Sonne und Mond würden von jeweils drei Sphären hervorgerufen, während für die tägliche Rotation der Fixsterne eine einzige genüge. Daraus ergaben sich für den Kosmos 27 Sphären. Weiter ausgearbeitet wurde Eudoxos(4)’ Modell(1)(1)(2), die sogenannte Theorie der homozentrischen Sphären, von Kallippos(1) von Kyzikos (geb. um 370 v. Chr.), der für Sonne und Mond jeweils zwei und für Merkur(1), Venus(1) und Mars(1) eine weitere Sphäre hinzufügte, was insgesamt 34 Kugelschalen ergab. Diese Theorie übernahm im Anschluss Aristoteles(2) als physikalisches Modell(2)(3) für seinen geozentrischen Kosmos, wobei er von 55 Sphären und einer weiteren für die Fixsterne ausging.

Aristoteles(3)’ Werk ist enzyklopädisch angelegt – mit Schriften zur Logik, Metaphysik, Rhetorik, Theologie, Politik, Wirtschaft, Literatur, Ethik, Psychologie, Physik, Mechanik, Astronomie(12), Meteorologie, Kosmologie, Biologie, Botanik, Naturgeschichte und Zoologie. Die wichtigsten Merkmale seiner Theorie des Stofflichen und seine Kosmologie entstammen älterem griechischen Gedankengut, das zwischen der unvollkommenen und vergänglichen irdischen Welt unter der Mondsphäre und der vollkommenen und ewigen Himmelsregion über ihr unterscheidet. Von Thales(2), Anaximander und Anaximenes übernahm er die Idee einer Grundsubstanz in der Natur und brachte sie mit Empedokles(2)’ Konzept der vier irdischen Elemente – Feuer, Wasser, Luft und Erde – in Einklang. Von Anaxagoras(4) übernahm er als weiteres Element den Äther als Quintessenz oder Grundsubstanz der Himmelsregion.

Abbildung 2. Die scheinbare Bewegung(1)(2)(3) der Sonne (oben) und des Mars (unten) durch die Sternbilder Widder und Stier.

Laut Aristoteles(4) ist der irdische Urstoff, den er protyle nannte, vollkommen undifferenziert. Erhält dieser verschiedene Eigenschaften, wird er zu einem der vier irdischen Elemente, die durch weitere Veränderungen die Form der sichtbaren Dinge in der Welt annehmen. Aristoteles(5) beschrieb dies als die Gestalt annehmende Materie. Sie sei der Rohstoff, während die Form die Summe aller Eigenschaften sei, die dem Ding seinen besonderen Charakter verliehen. Beide Aspekte des Seins – Materie und Form – seien untrennbar miteinander verknüpft und könnten nur in Verbindung miteinander bestehen.

In seiner Kosmologie ordnete Aristoteles(6) die vier Elemente nach ihrer Dichte. Die stillstehende Erdkugel im Mittelpunkt war umgeben von konzentrischen Schalen aus Wasser (dem Ozean), Luft (der Atmosphäre) und Feuer, zu dem neben den Flammen auch Erscheinungen über dem Boden wie Blitze, Regenbögen und Kometen gehörten. Die vier irdischen Elemente streben ihrem natürlichen Ruhezustand entgegen, weshalb Boden, den man anhebt, nach dem Loslassen in gerader Linie wieder auf die Erde fällt. Entsprechend steigen Luft in Wasser und Feuer in Luft nach oben. Diese geradlinige Bewegung(3) der irdischen Elemente ist nur vorübergehend, denn sie endet, sobald sie ihren Ruhepunkt erreicht haben. Laut Aristoteles(7) fallen schwerere Gegenstände schneller als leichtere. Auch sei die Existenz eines Vakuums unmöglich. Beide Hypothesen des Aristoteles(8), von denen wir heute wissen, dass sie falsch sind, prägten die Physik noch maßgeblich bis ins 17. Jahrhundert hinein.

Laut Aristoteles(9) beginnt die Himmelsregion jenseits des Mondes. Hinter diesem schließen sich, eingebettet in Kristallsphären, die um eine stillstehende Erde kreisen, die Sonne, die fünf Planeten(2) und die Fixsterne an. Alle Himmelskörper bestehen aus Äther, dessen natürliche Bewegung(3) kreisförmig und mit konstanter Geschwindigkeit verläuft. Deswegen führen die Gestirne im Gegensatz zu den irdischen Dingen unveränderliche und ewige Bewegungen(1) aus.

Herakleides Pontikos(1) (um 390–nach 322 v. Chr.), benannt nach seinem Geburtsort Herakleia am Pontos (dem Schwarzen Meer), studierte als Zeitgenosse des Aristoteles(10) ebenfalls bei Platon(7) an der Akademie. Seine Kosmologie weicht in mindestens zwei grundlegenden Punkten von der aristotelischen ab – wohl deshalb, weil er nach seiner Zeit an der Akademie offenbar bei den Pythagoreern(2) studierte. Erstens hatte der Kosmos für ihn keine endliche, sondern eine unendliche Ausdehnung. Zweitens führte er die sichtbare Kreisbewegung der Sterne um den Himmelspol nicht auf deren eigene Bewegung, sondern auf die Rotation der Erde(1) um ihre eigene Achse in Gegenrichtung zurück. In einem Kommentar des Simplikios(2) zu Aristoteles(11) heißt es dazu: »Herakleides ging davon aus, dass die Erde im Mittelpunkt steht und sich dreht, während der Himmel stillsteht, und glaubte durch diese Annahme die Phänomene zu retten [d.h. zu erklären].«5

Zu seinem Nachfolger als Leiter des Lykeions bestimmte Aristoteles(12) seinen Schüler und Freund Theophrast(1) (um 371–um 287 v. Chr.), dem er auch seine gewaltige Bibliothek, darunter die Abschriften seines eigenen Gesamtwerks, vermachte. Theophrast(2) leitete das Lykeion 37 Jahre lang, reorganisierte und erweiterte es und gilt deshalb als dessen zweiter Begründer.

Ebenso wie Aristoteles(13) war Theophrast(3) ein enzyklopädischer Schriftsteller. Laut Diogenes Laërtios soll er 227 Werke verfasst haben, von denen die meisten allerdings verschollen sind. Zwei erhaltene Schriften, die Naturgeschichte der Gewächse und Über die Ursache des Pflanzenwuchses, trugen ihm den Namen »Vater der Botanik« ein. Seine Schrift Von den Steinen gilt als Grundstein der Geologie und der Mineralogie. In seiner Schrift Charakterbilder, Studien zum menschlichen Verhalten, beschreibt er auf packende Weise die Menschentypen, die im Athen(5) seiner Zeit lebten und die man noch heute in der Stadt antreffen kann.

Gegen Ende des vierten vorchristlichen Jahrhunderts wurden in Athen(1) zwei weitere Philosophenschulen gegründet. Anders als die Akademie und das Lykeion waren es keine offiziellen Einrichtungen, sondern lose organisierte Gruppen, die sich zu philosophischen Diskussionen trafen. Die eine, der sogenannte »Garten«, wurde von Epikur(1) von Samos (341–270 v. Chr.) gegründet, die andere, die Stoa, von Zenon(1) von Kition (um 335–236 v. Chr.). Die erste hat ihren Namen daher, dass Epikur(2) im Garten seines Hauses unterrichtete. Die zweite verdankte ihren Namen der Stoa Poikíle, der bemalten Säulenhalle an der Agorà, wo sich Zenon(2) und seine Schüler, die Stoiker, zum Unterricht trafen. Epikur(3) wie Zenon(3) erstellten ein umfassendes philosophisches System, das aus den drei Teilen Ethik, Physik und Logik bestand. Die beiden zuletzt genannten Disziplinen unterstanden der Ethik, die darauf abzielte, das menschliche Glück zu sichern.

Epikur(4) gründete seine Physik auf die atomistische Lehre und erweiterte diese um ein neuartiges Konzept, wonach ein Atom im Vakuum jederzeit von seiner Bahn »abtreiben« könne. Auf die Art überwand er den absoluten Determinismus im ursprünglichen Atomismus Leukipps und Demokrits,(2) der für all jene inakzeptabel gewesen war, die wie die Epikureer(5) an einen freien Willen glaubten. Dagegen lehnten Zenon und seine Schule die Lehre vom Atom und vom Vakuum ab, da sie sämtliche Aspekte der Natur – Raum, Zeit und Materie – sowie die Ausbreitung und Abfolge physikalischer Erscheinungen als ein Kontinuum begriffen. Beide Schulen mit ihren gegensätzlichen Anschauungen – die Epikureer(6) mit ihren Atomen im Vakuum versus die Stoiker mit ihrem Kontinuum – rivalisierten seit der Antike miteinander und tun dies noch heute. Die jeweiligen Sichtweisen der physischen Realität waren offenbar nicht miteinander vereinbar.

Nach dem Tod Alexanders(1) des Großen 323 v. Chr., dem Beginn der hellenistischen Periode, verlagerte sich das geistige Zentrum von Athen(6) nach Alexandria. Von Alexander(2) am Westrand des Nildeltas gegründet, stieg dieser Ort zur Hauptstadt eines mächtigen Reiches unter Ptolemaios(1)(2) I. (reg. 305–280 v. Chr.) auf. Die Dynastie der Ptolemäer, die dieser Herrscher begründete, regierte Ägypten fast drei Jahrhunderte lang.

Seinen Aufstieg zu einem kulturellen Zentrum verdankte Alexandria weitgehend dem Museion, einer Forschungsstätte, die den Musen geweiht war. Gegründet worden war das Museion mit seiner berühmten Bibliothek von Ptolemaios I., dessen Sohn und Nachfolger Ptolemaios(1)II. (reg. 283–225 v. Chr.) beides weiter ausbaute. Per Gesetz musste die Bibliothek von jedem in der griechischen Welt verfassten Werk eine Abschrift erhalten. Zur Zeit Ptolemaios’ III.(1) sollen seine Bestände über eine halbe Million Pergamentrollen umfasst haben, darunter sämtliche Schriften seit Homer.

Eratosthenes(1) von Kyrene (um 275–um 195 v. Chr.) leitete diese Bibliothek als erster Naturgelehrter. Auch zeichnete er erstmals auf der Grundlage von Längengraden und Breitenkreisen eine Karte der bekannten Welt. Dank dieses Systems und anhand von Beobachtungen mit einer Sonnenuhr gelangte er zu einer präzisen Einschätzung des Erdumfangs.

Eratosthenes(2) war mit Archimedes(2) (um 287–212 v. Chr.) befreundet, der ihm seine berühmte Abhandlung Über die Methode widmete. Archimedes(3), der aus Syrakus auf Sizilien stammte, studierte wahrscheinlich in Alexandria bei Schülern des Euklid(3) (wirkte um 295 v. Chr.) und zitierte daher häufig aus den Elementen(4), Euklids(5) bedeutendem Werk zur Geometrie.

In seinem Werk Die Sandzahl erwähnt Archimedes(4) eine revolutionäre astronomische Theorie, die sein älterer Zeitgenosse Aristarch(1) von Samos (um 310–287 v. Chr.) aufgestellt hatte. Darin heißt es:

Aristarch von Samos gab die Erörterung gewisser Hypothesen heraus, in welchen aus den gemachten Voraussetzungen erschlossen wird, dass der Kosmos ein Vielfaches der von mir angegebenen Größe sei. Es wird nämlich angenommen, dass die Fixsterne und die Sonne unbeweglich seien, die Erde sich um die Sonne, die in der Mitte der Erdbahn liege, in einem Kreise bewege, die Fixsternsphäre aber, deren Mittelpunkt im Mittelpunkt der Sonne liege, so groß sei, dass die Peripherie der Erdbahn sich zum Abstande der Fixsterne verhalte wie der Mittelpunkt der Kugel zu ihrer Oberfläche.6

Der letzte Satz ist besonders wichtig. Er erklärt nämlich, warum in Aristarchs(2) heliozentrischer Theorie keine Sternparallaxe, also keine erkennbare Verschiebung der Sterne, auftritt, wenn die Erde auf ihrer Umlaufbahn die Sonne umkreist. Selbst die nächsten Sterne sind verglichen mit dem Radius der Umlaufbahn der Erde um die Sonne so weit entfernt, dass ihre Parallaxe mit bloßem Auge nicht zu erkennen ist. Dieses Phänomen ließ sich jedoch erst ab Mitte des 19. Jahrhunderts beobachten, als Teleskope mit ausreichend hoher Auflösung zur Verfügung standen.

Die Abhandlung, in der Aristarch(3) seine heliozentrische Theorie darlegt, blieb sicher deshalb nicht erhalten, weil sie der Vorstellung vollkommen widersprach, wonach die Erde das ruhende Zentrum des Kosmos sei. Zudem war Aristarch(4) offenbar davon überzeugt, dass sich die Erde nicht nur um die Sonne, sondern auch um ihre eigene Achse drehe. Seine Zeitgenosse Kleanthes von Assos, so heißt es bei Plutarch, soll sich dafür eingesetzt haben, Aristarch(5) wegen Gottlosigkeit anzuklagen, »weil er den Herd der Welt umstürze: sintemal dieser Mensch, darauf ausgehend, den Augenschein zu retten, die Vermutung aufstelle, dass der Himmel unbeweglich bleibe, und nur die Erde es sei, die sich durch den schiefen Zirkel des Tierkreises bewege, während sie sich um die Achse dreht«.7

Von Aristarch(6) ist lediglich die Schrift Von den Größen und Entfernungen der Sonne und des Mondes erhalten. Darin bestimmte er die Radien der beiden Himmelskörper im Verhältnis zum Erdradius und berechnete geometrisch anhand von drei astronomischen Beobachtungen(2) ihre Entfernungen in Erdradien. Er gelangte dabei zu dem Schluss, dass die Sonne von der Erde ungefähr 19 Mal so weit entfernt sei wie der Mond und sie dessen Größe um das 63⁄4-Fache übertreffe, während der Mond nur 1⁄3 der Größe der Erde habe. Auch wenn er nur grobe Beobachtungen(3) anstellen konnte und daher alle seine Werte kleiner sind als die tatsächlichen, hatte er geometrische Methoden sinnvoll in der Astronomie(13) eingesetzt. Sein Ergebnis, wonach die Sonne größer als die Erde war, gab ihm möglicherweise den Anstoß, eine heliozentrische Theorie zu formulieren.

Mit Euklid und Archimedes(5) ebenfalls vergleichbar ist der hellenistische Mathematiker Apollonios(1) von Perge, der unter Ptolemaios III(2). und Ptolemaios IV(1). (reg. 221–203 v. Chr.) in Alexandria und unter Attalos I. (reg. 241–197 v. Chr.) in Pergamon wirkte. Als sein einziges größeres Werk ist seine Abhandlung Die Kegelschnitte erhalten. Sie stellt die erste umfassende systematische Untersuchung zu den drei Typen von Kegelschnitten dar, der Ellipse (mit dem Kreis als Spezialfall), der Parabel und der Hyperbel.

Apollonios(2) wird auch das Verdienst zugeschrieben, erstmals mathematische Theorien zur Erklärung der rückläufigen Bewegung(1) der Planeten formuliert zu haben. Nach einer dieser Theorien bewegt sich ein Planet auf einem sogenannten Epizykel(1), einer Kreisbahn, deren Mittelpunkt sich ihrerseits auf einer größeren Kreisbahn, dem sogenannten Deferenten, bewegt, die die Erde zum Mittelpunkt hat. Nach der zweiten Theorie wandert der Planet auf einer exzentrischen Kreisbahn um die Erde, also auf einer Bahn, deren Mittelpunkt außerhalb der Erde liegt. Apollonios(3) zeigte zudem, dass die Epizykel-(2)(3) und die Exzentertheorie äquivalent sind, so dass beide Modelle die rückläufige Bewegung(2) der Planeten erklären können.

Neben den bedeutenden Theoretikern des Hellenismus machten drei geniale Erfinder von sich reden: zunächst Ktesibios(1) von Alexandria (wirkte um 270 v. Chr.), dessen Schriften untergingen, von dem aber durch seinen Nachfolger Philon(1) von Byzanz und durch Heron von Alexandria (wirkte um 62 n. Chr.) Gedanken und Erfindungen überliefert sind. Heron(1) selbst wurde wegen seiner Dampfmaschine bekannt, einer seiner thaumata oder »staunenerregenden« Apparate, die er in seinen Abhandlungen Automata (Automatentheater) und Pneumatika behandelt. Die ersten Kapitel des zuletzt genannten Werks beschreiben, weitgehend in Rückgriff auf Philon(2), Experimente, mit denen er nachweist, dass sich entgegen der aristotelischen Lehre zumindest ein Teilvakuum erzeugen lässt. Weiterhin verfasste Heron(2) eine Abhandlung zur Reflexion des Lichts, die Katoptrik, die für die Entwicklung der ersten europäischen Untersuchungen zur Optik noch eine wichtige Rolle spielte.

Hipparch(1)(2) von Nikaia (wirkte um 147–127 v. Chr.) war der bedeutendste beobachtende Astronom der Antike, dessen Ergebnisse später Claudius Ptolemaios (ca. 100–170 n. Chr.) verarbeitete. Von Hipparch(3)(4) ist lediglich sein erstes Werk erhalten, ein Kommentar zu den Phainomena des Aratos(1) von Soloi (um 310–240 v. Chr.). Dieses griechische Lehrgedicht, in dem die Sternbilder(1) beschrieben sind, diente dazu, die Namen der Sterne und Sternbilder bekannt zu machen; viele davon sind noch heute in Gebrauch. Das Gedicht enthält einen Katalog von 850 Sternen, zu denen Hipparch(5) jeweils die Himmelskoordinaten angab, darunter die einer »Nova«, eines neuen Sterns, der 134 v. Chr. im Sternbild(1) Skorpion aufgetaucht war. Hipparch(6) klassifizierte zudem die Helligkeit der Sterne in »Größen«, wobei er die Leuchtkraft mit Werten von 1 für die hellsten bis 6 für die dunkelsten Sterne angab. Dieses System wird noch heute in der Astronomie(14) benutzt.

Hipparch(7)(8) entdeckte zudem die Präzession der Äquinoktien, also die langsame Verschiebung des Frühlings- und des Herbstpunktes, der Schnittpunkte zwischen dem Himmelsäquator und der Ekliptik. Dieses Vorrücken wird durch die langsame Kreiselbewegung der Erde verursacht. Hipparch entdeckte dieses Phänomen bei einem Vergleich seines Sternkatalogs mit Beobachtungen, die der Astronom Timocharis 128 Jahre zuvor durchgeführt hatte. Nach seinem Ergebnis schritt die Präzession mit einer Geschwindigkeit von 45,2 Bogensekunden pro Jahr voran.

Hipparch(9) gilt zudem als glanzvoller Mathematiker, insbesondere auf dem Gebiet der sphärischen Trigonometrie, die er auf astronomische Probleme anwandte.

Theodosios(1) von Bithynien (um 160–100 v. Chr.), ein jüngerer Zeitgenosse Hipparchs, ist für seine Sphaerica (Kugellehre) bekannt, eine Abhandlung, in der er die sphärische Geometrie auf die Astronomie(15) anwendet. Ins Arabische und später ins Lateinische übersetzt, benutzte man sie bis ins 17. Jahrhundert.

Ihren Höhepunkt erreichte die griechische mathematische Astronomie mit dem Werk des Klaudios Ptolemaios(1), dessen Name häufiger mit Ptolemäus wiedergegeben wird. In der Mitte des 2. nachchristlichen Jahrhunderts wirkte er in Alexandria. Seine einflussreichste Schrift ist die Mathematische Syntaxis, besser bekannt unter ihrem arabischen Namen Almagest. Sie ist das umfassendste erhaltene Werk zur Astronomie(16) aus der Antike.

Die 13 Bücher des Almagest handeln ihre Themen in logischer Folge eines nach dem anderen ab. Buch I beginnt mit einer allgemeinen Darstellung der Astronomie mit Ptolemaios(2)’ Auffassung von einer Erde, die reglos in der »Mitte des Himmelsgewölbes« steht. Das übrige Buch I sowie das gesamte Buch II sind hauptsächlich der sphärischen Trigonometrie gewidmet, einer notwendigen Grundlage zum Verständnis der gesamten Schrift. Die Bücher III und IV behandeln die Bewegung(1) erst der Sonne, dann des Mondes, was mit der Besprechung der Sonnen- und der Mondparallaxe in Buch V. weiter ausgeführt wird. Buch VI handelt von Finsternissen, während sich die Bücher VII und VIII mit den Fixsternen befassen. Die Bücher IX bis XIII behandeln schließlich die Planeten.

Ptolemaios(3)’ Trigonometrie und sein Sternkatalog gehen auf Hipparchs(10) Forschungen zurück. Seine Theorie der Epizykeln und Exzenter stammt von Apollonios(4). Als bedeutendste Neuerung bewegt sich bei ihm der Mittelpunkt des Epizykels(4) gleichförmig in Bezug auf den sogenannten Äquanten, einen Punkt, der nicht mit dem Mittelpunkt des Deferenten übereinstimmt. Dieser Kunstgriff sollte in späteren Diskussionen noch für Zündstoff sorgen.

Zu Ptolemaios(4)’ umfangreichem Werk zählen weiter die astronomischen Schriften Handliche Tafeln, Hypothesen der Planeten, Phasen der Fixsterne, Analemma und Planisphaerium sowie das astrologische Werk Tetrabiblos und Abhandlungen zur Optik, Geographie und Harmonik, von denen die zuletzt genannte die Musik behandelt.

Abbildung 3. Epizykel-Modell zur Erklärung der scheinbaren Rückwärtsbewegung der Planeten (oben); Ptolemaios(5)’ Äquanten-Modell (unten).

Galen(1) (130–um 204 n. Chr.), der im mittelalterlichen Europa als »König der Ärzte« galt, war in Pergamon in Kleinasien geboren worden. Seine medizinische Ausbildung absolvierte er in seiner Geburtsstadt am Heiligtum des Asklepios. Bei der Behandlung verletzter Gladiatoren eignete er sich beispiellose Kenntnisse der menschlichen Anatomie, Physiologie und Neurologie an. Später unternahm er ausgiebige Reisen und studierte in zahlreichen Städten wie Smyrna, Korinth und Alexandria, bevor er sich schließlich 161 in Rom(6) niederließ. Dort wirkte er während seines restlichen Lebens als Leibarzt dreier Kaiser. Galens Schriften wurden ins Arabische und Lateinische übersetzt und bildeten bis ins 17. Jahrhundert die Standardwerke zur menschlichen Anatomie und Physiologie.

In Alexandria studierte zudem Pedanios Dioskurides(1) (wirkte 50–70 n. Chr.), der aus Anazarbos im südwestlichen Kleinasien stammte. Später diente er unter den Kaisern Claudius (reg. 41–54) und Nero (reg. 54–68) in der römischen Armee. Dioskurides(2), der als Begründer der Pharmakologie gilt, wurde berühmt für seine Schrift De materia medica, eine systematische Beschreibung von rund sechshundert Heilpflanzen und fast tausend Arzneimitteln.

Der letzte bedeutende Mathematiker der Antike war Diophant(1) von Alexandria, der um 250 n. Chr. wirkte. Diophant(2) leistete in der Algebra und Zahlentheorie das, was Euklid(6)(7) in der Geometrie vollbrachte. Sein Werk war die Grundlage für einen Teil der modernen Mathematik, wo es noch heute in Form der »Diophantischen Gleichungen«(3) Verwendung findet.

Theon von Alexandria (um 335–um 405), der in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wirkte, ist unter den Gelehrten des Museions und der Bibliothek bekannt für eine Passage, die sich in seinem Kommentar zu einem Werk des Ptolemaios(6) findet: Darin schreibt er, dass »gewisse ältere Astrologen« glauben, der Frühlings- und der Herbstpunkt auf der Ekliptik würden vor und zurück wandern und sich dabei in 640 Jahren um 8 Grad bewegen.8 Diese irrige Anschauung übernahmen arabische Astronomen in Gestalt der sogenannten »Trepidationstheorie«. In verschiedener Form hielt sie sich so bis ins 16. Jahrhundert, bevor sich schließlich Kopernikus mit ihr befasste und sie widerlegte.

Nachdem Kaiser Justinian(3) 529 die Platonische Akademie(3) in Athen(7) geschlossen hatte, gingen sieben ihrer Gelehrten ins Exil. Ihnen gewährte 531 der persische König Chosroes I. Asyl und berief sie an die Medizinschule von Gondischapur. Unter den Gelehrten befanden sich auch Simplikios(3) von Kilikien sowie Damaskios und Isidor(1) von Milet, die beiden ehemaligen Leiter der Akademie. Im darauffolgenden Jahr durften alle aus der Verbannung zurückkehren. Isidor(2) ließ sich in Konstantinopel(6) nieder, die anderen gingen nach Athen(8) zurück.

Justinian(4) betraute Isidor(3)(4) und dessen Kollegen Anthemios(1) von Tralleis mit dem Bau der Hagia Sophia in Konstantinopel(7). Dieses 537 vollendete Meisterwerk byzantinischer Baukunst hat die Zeit bis heute beinahe unversehrt überdauert. Isidor und Anthemios(2) waren die letzten mathematisch orientierten Physiker der Antike. Beide verfassten Kommentare, die zu wichtigen Bindegliedern für die Überlieferung der Schriften Archimedes’(6) wurden.

Bekannt ist Simplikios(4) wegen seiner Kommentare zu Aristoteles(14), dessen Gedanken er gegen die Angriffe seines Zeitgenossen Johannes Philoponos(1) verteidigte. Dabei ging es insbesondere um die Frage, warum sich ein Geschoss wie beispielsweise ein Pfeil weiter fortbewegt, nachdem es seinen Anfangsimpuls erhalten hat. Philoponos(2), einer der letzten Leiter der Platonischen Akademie, wies die aristotelische Lehre zurück, wonach der abgeschossene Pfeil durch die von ihm verdrängte Luft angetrieben werde – mittels des angeblichen Effekts der Antiperistasis. Stattdessen vertrat Philoponos(3) die Ansicht, dass der Pfeil beim Abschuss eine »immaterielle Bewegkraft« empfange, ein wichtiges Konzept, das im mittelalterlichen Europa in Gestalt der »Impetustheorie« fortlebte.

So entspann sich in der Spätantike eine wichtige Debatte um ein Grundproblem der Naturwissenschaft, zu einer Zeit, in der das letzte Licht der klassisch griechisch-römischen Zivilisation erlosch und sich die Dunkelheit des Frühmittelalters auszubreiten begann.

Der Großteil des philosophischen und naturwissenschaftlichen Schrifttums, das aus der griechischen Antike überliefert ist, fand seinen Weg über hellenisierte syrischsprachige Christen aus Mesopotamien in die islamische Welt, nachdem der Abbasidenkalif al-Mansur (reg. 754–775) 762 Bagdad(1) als seine neue Hauptstadt gegründet hatte. Unter ihm und seinen drei Nachfolgern al-Mahdi(1) (reg. 775–785), Harun ar-Raschid (reg. 786–809)(1) und al-Ma’mun (reg. 813–833)(1) stieg Bagdad z(2)u einem bedeutenden kulturellen Zentrum auf. Dem Geschichtsschreiber al-Masudi (gest. 956)(1) zufolge ließ al-Mansur(1) als »erster Kalif Bücher aus einer fremden Sprache ins Arabische übersetzen«, darunter Werke »des Aristoteles(15) zur Logik und zu anderen Themen sowie weitere alte Bücher aus dem klassischen Griechisch, dem byzantinischen Griechisch, dem Pahlavi, dem Neupersischen und dem Syrischen«.9 Die Übersetzungen entstanden im berühmten Bait al-Hikma, dem »Haus der Weisheit(1)«, einer Bibliothek, die in der Frühphase der Abbasidenherrschaft in Bagdad(3) gegründet worden war.

Dieses Übersetzungsprogramm dauerte bis Mitte des 11. Jahrhunderts fort, sowohl im Orient als auch im islamischen Spanien. Am Ende war ein Großteil der bedeutenden Erkenntnisse griechischer Naturwissenschaft und Philosophie in arabischen Übersetzungen verfügbar. Hinzu kamen Kommentare zu den Übersetzungen und eigene Abhandlungen islamischer Gelehrter, die in der Zwischenzeit entstanden waren. Durch ihren Kontakt mit den benachbarten Kulturen erlangten die Arabisch schreibenden Gelehrten so eine führende Stellung in den Naturwissenschaften und der Philosophie. Indem sie sich das Wissen der Griechen aneigneten und ihm eigenes hinzufügten, stießen sie eine islamische Renaissance an, deren Errungenschaften schließlich nach Westeuropa gelangten.

Fragmente antiker Werke blieben auch im römisch geprägten Europa erhalten. Dazu gehörten Schriften römischer Autoren, insbesondere die des Lukrez (um 94–50 v. Chr.), etwa sein brillantes Lehrgedicht De rerum natura (Von der Natur der Dinge), das auf dem Atomismus Demokrits(3) beruhte. Es fand im Mittelalter weithin Verbreitung und führte so zu einem Wiederaufleben des Atomismus im 17. Jahrhundert.

Im Frühmittelalter herrschte unter christlichen Gelehrten die Auffassung, das Studium der Natur sei überflüssig: Zur Rettung der eigenen Seele müsse man nur an Gott glauben, wie der Kirchenvater und Heilige Augustinus(1) von Hippo (354–430) in seinem Enchiridion schrieb: »Für den Christen ist es genug, wenn er den Grund alles Geschaffenen, sei es im Himmel oder auf der Erde, sei es Sichtbares oder Unsichtbares, in gläubiger Gesinnung nirgends anderswo sieht als in der Güte des Schöpfers, welcher der eine und wahre Gott ist, und wenn er glaubt, dass es keine Wesenheit gibt, die [Gott] nicht entweder selbst ist oder die nicht von ihm stammt.«