Körperliche Aktivität und Krebs - Hermann, Delbrück Delbrück - E-Book

Körperliche Aktivität und Krebs E-Book

Hermann, Delbrück Delbrück

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Beschreibung

Laut Deutschem Krebsforschungszentrum in Heidelberg (WHO) stehen etwa 6% aller in Deutschland neu diagnostizierten Karzinome mit körperlicher Inaktivität im Zusammenhang. Andere internationale Institutionen gehen in Europa sogar von 10 - 14 % aus. Körperliche Inaktivität soll neben Rauchen und Übergewicht an der Spitze der vermeidbaren Krebsrisiken stehen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hält starkes Übergewicht und Bewegungsarmut für das weltweit am schnellsten wachsende Gesundheitsproblem. Sie spricht von einer Epidemie. Gelinge es nicht, dieses nach dem Tabakkonsum größte Krebsrisiko einzudämmen, so erwarte uns in den nächsten Jahren "ein Tsunami" an Krebsneuerkrankungen. In diesem Band 8 der Buchreihe zur "Personalisierten Krebsvorsorge und Früherkennung" geht es speziell um die Bedeutung der körperlichen Aktivität. Bei den 25 häufigsten Krebserkrankungen werden die wichtigsten Erkrankungsrisiken aufgezählt und bei ihnen der Einfluss von körperlicher Aktivität auf die Entstehung, den Verlauf, die Therapie und die Prognose kommentiert. Der Autor geht von der Hypothese aus, dass nahezu jeder Mensch Krebsgene hat, bei denen der Einfluss von körperliche Aktivität je nach Art und individuell angepasster Intensität, aber auch je nach Stadium der Krebsentwicklung unterschiedlich groß ist. Er belegt, dass Bewegung und Sport nicht nur bei bestimmten Krebserkrankungen vorbeugend wirkt, sondern auch das Fortschreiten einer bereits bestehenden Krebserkrankung vermeidet. Das Risiko von Rückfällen würde reduziert und die Lebensqualität verbessert. Das Buch steht somit im Widerspruch zu dem ehemaligen Dogma, dass Krebskranken sich körperlich grundsätzlich schonen sollen. Wie in den vorherigen Bändern der Buchreihe misst auch dieser Band nicht der Krebsfrüherkennung, sondern der Krebsverhinderung Priorität in der Krebsvorsorge bei.

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www.tredition.de

Prof. Dr. Hermann Delbrück

Körperliche Aktivität und Krebs

Empfehlungen zu Sport und Bewegung als Krebsvorbeugung

Personalisierte Krebsvorsorge und Früherkennung

herausgegeben von Hermann Delbrück

Band 8

Copyright: 2020 Prof. Dr. med. Hermann Delbrück

[email protected]

https://www.krebs-rat-hilfe.de/uber-den-autor

Verlag und Druck: tredition GmbH, Halenreie 40 -44,22359 Hamburg

ISBN

Paperback: 978-3-347-28878-2

Hardcover: 978-3-347-28879-9

E-Book: 978-3-347-28880-5

Lektorat: Dirk Bittner

Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verbreitung in elektronischen Systemen.

Die deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http:dnb.ddb.de>abrufbar.

Körperliche Aktivität und Krebs.

Empfehlungen zu Sport und Bewegung als Krebsvorbeugung

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zu Bd. 8 “Körperliche Inaktivität und Krebs“

Sport und Gesundheit – ein historischer Überblick

Körperliche Inaktivität als Risiko für Erkrankungen

Negative gesundheitliche Auswirkungen von Bewegungsarmut

Positive gesundheitliche Auswirkungen von körperliche Aktivität und Sport?

Zur Bedeutung von Bewegung und Sport in der Medizin

Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die Krebsentwicklung

Ungeklärte Fragen zum Einfluss körperlicher Aktivität auf die Krebsentwicklung

Statistischer Hintergrund

Kritische Kriterien für die Beurteilung von Studien zu körperlichen Aktivität und Krebs

Klassifizierung und Kommentierung von klinischen Studien

Tücken (Pitfalls) in Studien zur körperlichen Aktivität und Krebs

Seriosität und Glaubwürdigkeit von Gesundheitsinformationen im Internet

Körperliche (In)Aktivität und ihr Einfluss auf die Entwicklung spezieller Krebserkrankungen

Mundhöhle und Rachen (Oropharynxkarzinome)

Kehlkopfkrebs

Speiseröhrenkrebs

Magenkrebs

Bauchspeicheldrüsenkrebs

Leberkrebs

Gallengangskarzinom (Cholangiokarzinom)

Gallenblasenkarzinom

Darmkrebs

Schilddrüsenkarzinom

Brustkrebs

Eierstockkrebs

Gebärmutterhalskrebs (Zervixkarzinom)

Gebärmutterkrebs (Endometriumkarzinom)

Schamlippenkrebs (Vulvakrebs)

Lungenkrebs

Nierenkrebs

Harnblasenkrebs

Prostatakrebs

Hodenkrebs

Peniskarzinom

Hautkrebs

Akute Leukämien

Lymphome, Myelome

Zur Bedeutung von Genanalysen in der Krebsprävention

Hypothesen zur Krebsförderung bei körperlicher Inaktivität

Hypothesen zum Krebsschutz bei körperlicher Aktivität

Hypothesen zur Krebsprävention durch körperliche Aktivität

Schützender Einfluss auf den „Krebsrisikofaktor“: Übergewicht?

Schützender Einfluss auf den „Krebsrisikofaktor“: Immunabwehrschwäche?

Schützender Einfluss auf den „Krebsrisikofaktor“: Übermäßiges Körperfett?

Schützender Einfluss auf den „Krebsrisikofaktor“: Metabolisches Syndrom?

Schützender Einfluss auf den „Krebsrisikofaktor“: weibliche Geschlechtshormone

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“ hoher Cholesterinspiegel?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: Insulin?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: Typ-2-Diabetes?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: Insulinresistenz?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: Vitamin- D3-Mangel?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: chronische Entzündungen?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: chronisch obstruktive Atemwegserkrankungen?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: Tabak- und Alkoholkonsum?

Schützender Einfluss auf die Komplikationsrate bei Krebsoperationen

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: Dysbiose?

Schützender Einfluss von körperlicher Aktivität auf den „Krebsrisikofaktor“: chronischer Dysstress?

Schützender Einfluss auf Fatigue-Beschwerden

Schützender Einfluss auf Altersbeschwerden?

Zusammenfassung möglicher Wirkmechanismen von körperlicher (In)Aktivität auf die Krebsentwicklung

Sport und Bewegung in den verschiedenen Phasen der Krebsentwicklung

Wirkungen von Sport und Bewegung in der ersten Phase (Phase der Gesundheit)

Wirkungen von Sport und Bewegung in der zweiten Phase (Phase der Gesundheitsvorsorge)

Wirkungen von Sport und Bewegung in der dritten Phase (prähabilitative Phase):

Einige prähabilitative Maßnahmen und Ziele vor Krebsbehandlungen

Wirkungen von Sport und Bewegung in der vierten Phase (Therapiephase)

Effekte von körperlicher Aktivität, gleichzeitig mit der Akuttherapie

Wirkungen von Sport und Bewegung in der fünften Phase (Kurative Nachsorge Phase)

Wirkungen von Sport und Bewegung in der fünften Phase (Rehabilitative Nachsorge)

Wirkungen von Sport und Bewegung in der sechsten Phase (Palliative Nachsorge)

Messmethoden zur Bestimmung der körperlichen Leistungsfähigkeit

Bestimmung des Energieverbrauchs (Energie- und Ruheumsatz)

Bestimmung des Energiebedarfs und des Leistungsumsatzes bei körperlicher Aktivität

Subjektive Messmethoden zur Bestimmung der Intensität und Leistung (Leistungsdiagnostik)

Objektive Belastungsuntersuchungen zur Bestimmung von Intensität und Leistung (Leistungsdiagnostik)

Fitnessbänder und Apps

Allgemeine Empfehlungen zur Krebsvorbeugung durch Bewegung und Sport

Allgemeines

Empfehlungen bei Aufnahme sportlicher Aktivitäten

Empfehlungen verschiedener, internationaler Krebs-Institutionen zur Krebsvorbeugung durch körperliche Aktivität

Spezielle Empfehlungen zur Krebsvorbeugung durch Bewegung und Sport

Dynamisches Sitzen zur Reduzierung des „Krebsrisikofaktors: sesshafter Lebensstil“

Sport zur Gewichtabnahme

Ernährung und Sport

Energiebedarf bei sportlicher Aktivität

Ernährung bei Freizeitsport

Ernährung bei Leistungssport

Ernährung bei Krafttraining

Nahrungsergänzungsmittel und Vitamine

Orientierende Messungen zur Risikoermittlung und zur Evaluation von körperlichen Aktivitätsmaßnahmen beim Risikofaktor Übergewicht

Einteilung des Gesundheitsrisikos je nach dem Body-Mass-Index (BMI)

Körperfett

Bauchumfang

Messung der Taille

Bestimmung der Insulinresistenz und –sensitivität

Ausdauertraining. Was leistet Ausdauertraining (Cardio-Training) für die Gesundheit, speziell für die Krebsvorbeugung?

Allgemeines

Effekte von Ausdauersport auf die Gesundheit

Ausdauertraining im Vergleich zum Krafttraining bei Krebs

Allgemeine Empfehlungen für Ausdauer- Aktivitäten zur Krebsvorbeugung

Die häufigsten Ausdauersportarten mit ihren Vor-und Nachteilen - unter besonderer Berücksichtigung der Krebsvorbeugung

Walken, Nordic Walking

Laufen und Jogging

Schwimmen

Radfahren

Golfsport

Tennis

Skilanglauf

Tanzen

Springseil (Rope Skipping)

Yoga

Krafttraining: Was leistet Krafttraining für die Gesundheit, speziell für die Krebsvorbeugung?

Allgemeines

Gesundheitliche Effekte und Ziele von Krafttraining

Krafttraining zur Krebsvorbeugung

Krafttraining in den verschiedenen Krankheitsphasen

Hypothesen zur Krebsvorbeugung durch Krafttraining

Trainingsgeräte für Krafttraining zu Hause

Elektro-Muskel-Stimulationstraining (EMS)

Vibrationstraining, Powerplate

Kriterien, die bei der Wahl eines Fitnessstudios zu berücksichtigen sind

Kriterien eines geeigneten Fitnessstudios

Online (Virtuelles) Fitnesstraining

Vorsichtmaßnahmen bei sportlichen Aktivitäten vor, bei und nach Krankheit, speziell Krebs

Öffentliche Maßnahmen zur Reduzierung der Bewegungsarmut

Allgemeines

Bisherige Maßnahmen der Bundesregierung zur Reduzierung der Bewegungsarmut

Das deutsche Präventionsgesetz 2015

Maßnahmen der deutschen Wirtschaft

Maßnahmen der Gesetzlichen Rentenversicherungen (DRV)

Maßnahmen der Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV)

Bereiche, in denen die gesetzlichen Krankenkassen Präventionskurse unterstützen

Leistungen der privaten Krankenkassen

Leistungen der Ärzteschaft

Nationale Dekade gegen Krebs

Maßnahmen der Deutsche Krebshilfe und Deutsches Krebsforschungszentrums (DKFZ)

Rehabilitationssport, Leistungen für Behinderte

Glossar

Nützliche Internetadressen

Weiterführende Literatur und Quellen

Adressen

Bücher aus der Reihe „Krebsvorbeugung und Krebsvorsorge/Früherkennung“ von Prof. Dr. H. Delbrück

Vorwort zur Buchreihe „PERSONALISIERTE KREBSVORSORGE UND FRÜHERKENNUNG“

Jeder zweite Mensch erkrankt im Laufe seines Lebens an Krebs. Jeder Vierte stirbt daran. Mit einem weiteren Anstieg der Krebserkrankungen wird allgemein gerechnet. Die Weltgesundheitsorganisation spricht von einer Epidemie und dem am schnellsten wachsenden Gesundheitsproblem. Gelinge es nicht die Entwicklung einzudämmen, so erwarte uns in den nächsten Jahren „ein Tsunami“ an Krebsneuerkrankungen.

Diese Entwicklung zu bremsen, ist eine Herausforderung. Dabei machen die Einschätzungen der IARC (International Agency for Research on Cancer) und des DKFZ (Deutschen Krebsforschungszentrums) jedoch etwas Mut, dass wir dieser Herausforderung nicht völlig machtlos gegenüberstehen. 37,4 % aller Krebserkrankungen in Deutschland lassen sich allein auf einen ungesunden Lebensstil zurückführen und sind somit vermeidbar, sagen sie. Nach aktuellen Berechnungen können Vorbeugung und Früherkennung zusammengenommen die Krebssterblichkeit um 50 bis 75 Prozent senken (Behrens et al 2018, Baumann 2018).

Bei der Krebsbehandlung gibt es beeindruckende Fortschritte. Onkologika sind mit 7 Milliarden Euro und einem durchschnittlichen Kostenanstieg von 8,3 % im Jahr inzwischen die umsatzstärkste Indikationsgruppe der forschenden Pharmaindustrie. Ihre „Pipeline“ ist voll mit vielversprechenden Krebsmedikamenten. Deren Wirksamkeit kann man heute - dank dem besseren Verständnis der molekularen Ursachen von Krebserkrankungen und der Entwicklung prädiktiver molekularer Marker - besser vorhersagen. Die Entdeckung gezielt behandelbarer Treibermutationen hat das therapeutische Vorgehen bei Krebserkrankungen revolutioniert. Sie erhöhen die Wirksamkeit der Medikamente bei gleichzeitig besserer Verträglichkeit. Die innovativen Krebstherapien können allerdings nicht die Zunahme der Neuerkrankungen drosseln. Letztendlich sind sie nur eine Art von Reparaturmedizin. Allein die Vorbeugung kann die Anzahl der Krebskranken reduzieren. Es fließen etwa 6,5% der Gesundheitsaufwendungen in die Krebsbewältigung. Davon wird wenig bis nichts für die Vorsorge verwendet, sondern der Großteil für die Behandlungskosten.

Die vorliegende Reihe befasst sich nicht mit der Therapie, sondern mit der Vorsorge. Sie kommentiert bei ihr auch lediglich den Stellenwert der Krebsfrüherkennung und legt dafür den Schwerpunkt auf der Verursachung von Krebs und dessen Vermeidung.

Krebsvorsorge wurde in Deutschland bislang vornehmlich mit der Krebsfrüherkennung gleichgesetzt. Dem lag die Vorstellung zugrunde, je früher man den Krebs erkenne, desto höher seien die Heilungschancen. Ein „Dogma“, das zumindest der kritischen Kommentierung bedarf. Nicht etwa, weil mit besseren Heilungschancen die Gesamtzahl der lebenden Krebskranken wächst. Schwerwiegender ist der Vorwurf einer Zunahme von Überdiagnosen. Überdiagnosen sind Krebsdiagnosen bei Menschen, die nie Symptome oder Schäden erfahren hätten, wenn bei ihnen der Krebs unentdeckt und unbehandelt geblieben wäre. Je höher die Empfindlichkeit eines Diagnostikums, desto größer ist die Gefahr einer Überdiagnose.

Dank der besseren Bildgebung, empfindlicherer Tumormarker, Genanalysen, der Analyse von zirkulierender Tumor-DNA im Blut (liquid biopsy) und der DNA-Sequenzierung können wir Krebsgewebe heute zwar wesentlich früher als ehedem erkennen, doch wissen wir nicht, ob alle vorzeitig entdeckten „Frühkarzinome“ klinisch relevant sind und zu Erkrankungen führen, die die Lebenszeit verkürzen und/oder Lebensqualität beeinflussen. Würde man alle vorzeitig endeckten Krebserkrankungen behandeln, könnten auch „gesunde Menschen“ zu Patienten werden, denn viele der dank Früherkennung entfernten „bösartigen“ Tumoren hätten nie Probleme bereitet. Laut einer großen australischen Studie geht man davon aus, dass etwa 20 % aller bislang gestellten Krebsdiagnosen das Ergebnis von Überdiagnosen sind (Glasziou et al 2019). Kritiker der Krebsvorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen behaupten, der durch die derzeit in Deutschland praktizierte Krebsvorsorge verursachte Schaden sei wesentlich größer als ihr Nutzen.

Der pauschalen Kritik und Ablehnung von Früherkennungsmaßnahmen stimmt die Buchreihe zwar nicht zu, sie warnt allerdings vor systematischen Vorsorge-Untersuchungen bei Gesunden ohne Erkrankungsrisiko. Sie schlägt stattdessen Screening-Untersuchungen nur bei Gefährdeten vor, wobei Gefährdete gesund aussehen und sich körperlich fit fühlen können, aber schon sterbenskrank sein können. Wer ein Erkrankungsrisiko hat und wie groß dies Risiko ist, nimmt in der Buchreihe viel Platz ein. Die Buchreihe empfiehlt einen Paradigmenwechsel hin zu einer risikoadaptierten Krebsvorsorge. Nur im Falle eines Erkrankungsrisikos sollten Vorsorge-Früherkennungs-Untersuchungen durchgeführt werden, die dann aber mit wesentlich empfindlicheren (sensitiveren) und aussagekräftigeren (spezifischeren) Untersuchungsmethoden als mit den die derzeitigen Stuhl- und Tast-Untersuchungen sowie Marker Bestimmungen oder Röntgen vorgenommen werden.

Die Aufzählung und Kommentierung von Krebs Erkrankungsrisiken, die zur Aktivierung latenter Krebsgene und Krebszellen führen, macht einen Schwerpunkt dieser Reihe aus. Hierbei stützt sie sich auf Schätzungen und Untersuchungen nationaler und internationaler Krebsforschungszentren, nach denen diagnostizierte Karzinome auf einige wenige – aber weit verbreitete Lifestyle-Risiken zurückführbar und vermeidbar sind.

Zahlen und Anteile der durch vermeidbare Krebsrisikofaktoren bedingten Krebsfälle in Deutschland 2018. (Behrends, G. et al 2018)

Die Bedeutung und Möglichkeiten der Krebsvorbeugung werden unterschätzt. Es herrscht weitgehende Unwissenheit über ihre Effektivität. So ist die Häufigkeitsabnahme des Gebärmutterhalskrebses nicht etwa nur auf die Früherkennung und präventiven Entfernung von Krebsvorstufen zurückzuführen, sondern auch eine Folge der besseren Sexualhygiene – und neuerdings der HPV-Impfung. Gewichtsabnahme und mehr Bewegung und nicht etwa gynäkologische Vorsorge-Untersuchungen führen bei übergewichtigen Frauen zur Reduzierung von Gebärmutterkrebs. Nicht die Krebsvorsorge-Früherkennung, sondern der abnehmende Tabakabusus und die geringere Asbestexposition haben zum Rückgang von Lungenkrebserkrankungen geführt. Dass die Anzahl der Darmkrebs-Neuerkrankungen gesunken ist, verdankt man zwar auch der Früherkennung von Polypen, weit mehr aber deren präventiver Entfernung. Der signifikante Rückgang von Magenkarzinomerkrankungen ist eine Folge der besseren Ernährung, der wirksameren Konservierung von Lebensmitteln und der Helicobacter Eradikation, nicht aber der Früherkennung. Der Rückgang von Leberkrebserkrankungen ist eine Folge der Hepatitis-Impfung und der Hygiene, nicht der Krebs-Früherkennung.

Der Herausgeber dieser Reihe verkennt nicht Vorteile der Krebsfrüherkennung, plädiert jedoch für ihre risikoadaptierte Individualisierung. Dies Plädoyer schließt die Aufforderung an die forschende Industrie mit ein, Diagnose- und Behandlungsmethoden zu entwickeln, die passgenau den Risiken der einzelnen Patienten entsprechen. Es schließt auch die Aufforderung an die Konsumindustrie ein, bei der Herstellung, dem Vertrieb und der Werbung stärker die Krebsrisiken zu berücksichtigen, die man dank der Forschung erkannt hat.

Die vorliegende Reihe verdankt ihre Entstehung der zunehmenden Kritik an der derzeit praktizierten Krebsvorsorge-Früherkennung, deren Nutzen in der Gesundheitspolitik, der Bevölkerung, aber auch der Ärzteschaft deutlich überschätzt wird. Hingegen werden die Fortschritte und Möglichkeiten der Vorbeugung (primäre Prävention) unterschätzt.

Prof. Dr. med. H Delbrück, Wuppertal

Arzt für Hämatologie und Onkologie,

Arzt für physikalische und rehabilitative Medizin

Arzt für Sozialmedizin

Arzt für Tropenmedizin

Vorwort zu Bd. 8 “Körperliche Inaktivität und Krebs“

Sich nicht körperlich anstrengen zu müssen, galt lange als ein erstrebenswerter Zustand, verband man doch hiermit Muße, Wohlstand, Gesundheit, einen angenehmen Gemütszustand und Ansehen. Diese Vorstellung ist nicht mehr zeitgemäß. Bewegungsarme Menschen haben heute mit zahlreichen körperlichen und gesundheitlichen Nachteilen zu kämpfen. Zu ihnen gehört auch ein höheres Risiko für Krebs.

Die zunehmende Bewegungsarmut zählt zu den großen Herausforderungen des öffentlichen Gesundheitswesens. Weltweit finden daher viele Bemühungen zur Eindämmung der „Epidemie Bewegungsarmut“ statt. Die WHO (Weltgesundheitsorganisation) sieht im starken Übergewicht und in der Bewegungsarmut das weltweit am schnellsten wachsende Gesundheitsproblem. Sie spricht von einer Epidemie, die ebenso energisch bekämpft werden müsse wie die Infektionskrankheiten. Gelinge es nicht, dieses - nach dem Tabakkonsum - größte Krebsrisiko einzudämmen, so erwarte uns in den nächsten Jahren „ein Tsunami“ an Krebsneuerkrankungen. Langfristig zahle sich die Reduzierung von Übergewicht und Inaktivität auch in ökonomischer Hinsicht aus, sagt das Deutsche Krebsforschungszentrum (Baumann 2018, Heikenwälder et al 2019).

Körperliche Inaktivität und Übergewicht begünstigen die Entstehung, hemmen die Therapie, verschlechtern die Prognose, behindern die Nachsorge und erschweren die Rehabilitation. Das Wohlbefinden und die Teilhabe des Menschen werden negativ beeinflusst. Bewegung und Sport hemmen auf direktem und indirektem Wege die Entwicklung von Krebs. Muskelenzyme (Myokine) schaffen eine entzündungshemmende Umgebung. Sie hemmen das Wachstum von Krebszellen. Bewegung und Sport wirken wie Medikamente. Sie reduzieren Therapienebenwirkungen und tragen zu einer wesentlichen Verbesserung der Lebensqualität bei. Sport und Bewegung verdienen eine größere Aufmerksamkeit als bislang in der Krebsprävention, der Behandlung und der Nachbetreuung. Erfreulicherweise setzt sich in der breiten Öffentlichkeit das Bewusstsein durch, mit gezielten sportlichen Übungs- und Trainingsmaßnahmen körperliche und geistige Leistungseinbußen verhindern und dabei selbst an Anerkennung und Ansehen zu gewinnen. Der Gesundheitsmarkt boomt. Das Geschäft mit Angeboten zur Verbesserung der körperlichen Fitness blüht. Fitnessstudios schießen aus dem Boden. Nicht alle sind geeignet. Private und gesetzliche Krankenkassen, Unfall- und Rentenversicherungen werben mit Gesundheitsprogrammen zur Förderung von Sport und Bewegung. Nicht alle erfüllen die Vorstellungen des Präventionsgesetzes, in dem ein Paradigmenwechsel von der Verhaltensprävention zur Verhältnisprävention vorgesehen ist. Nicht die Folgen, sondern die Ursachen von Übergewicht und Bewegungsarmut sollen angegangen werden. Dieses Buch soll einen Beitrag zu dieser Entwicklung leisten.

Danksagung

Bei Dr. med. Jan Dirk Rating, Facharzt für Radiologische Diagnostik und Dr. med. Jan Tomaschoff, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, möchte ich mich dafür bedanken, dass sie den - eher trockenen -Text des Buches mit Cartoons angereichert haben.

Prof. Dr. med. H. Delbrück, Wuppertal 2021

Facharzt für Hämatologie-Onkologie und Sozialmedizin

Facharzt für physikalische Therapie und rehabilitative Medizin

Arzt für Sozialmedizin

Arzt für Tropenmedizin

Sport und Gesundheit – ein historischer Überblick

Sportliche Aktivitäten gibt es seit Menschengedenken, aber erst in jüngster Zeit werden sie mit Gesundheit im Zusammenhang gebracht.

Sollte sich der Neandertaler sportlich betätigt haben, so geschah dies wahrscheinlich eher aus Spaß am Spielen als der Gesundheit wegen.

Sport, besonders das Bogenschießen, war bei den alten Ägyptern ein Privileg des Adels. Es diente zur Selbstdarstellung. Auf zahlreichen erhaltenen Darstellungen präsentieren sich Pharaonen und Adlige als unüberwindliche Kriegshelden dar. Gesundheitliche Aspekte sind nicht erkennbar!

Dass die Azteken vor mehr als 500 Jahren begeistert Pelota spielten, beweisen zahlreiche, von Archäologen in Mexiko ausgegrabene Spielfelder, die heute von Touristen besichtigt werden können. Ein Ball musste durch einen, im Mittelteil des zentralen Spielfeldbereichs, in einer Höhe (2,50 bis 3,50m) angebrachten Ring geworfen werden. Ob dies dem Zeitvertreib diente oder Bestandteil religiöser Rituale war, bleibt unklar. Vieles spricht für religiöse Handlungen zu Ehren der Götter. Zur Förderung der Gesundheit dienten die Spiele mit Sicherheit nicht. Im Gegenteil, sie endeten fast immer mit blutigen Menschenopfern, wobei sich die Historiker uneinig sind, ob Sieger oder Verlierer des „Ballspiels“ geopfert wurden!

In der griechischen und römischen Antike gehörten sportliche Wettkämpfe zum religiösen und kulturellen Alltag. Möglicherweise gab es Berührungspunkte mit dem Thema Gesundheit, obwohl der Spruch „Mens sana in corpore sano“ dies – entgegen der allgemeinen Vorstellung - nicht bestätigt (Kyle 2007). Der Verfasser dieses Ausspruchs, der römische Satiredichter JUVENAL (ca. 60 140 n. Chr.), sagt nämlich: “orandum est ut sit mens sana in corpore” (“Beten solle man dafür, dass ein gesunder Geist in einem gesunden Körper sei”). Juvenal wollte damit sagen, dass man sich nicht mit törichten Gebeten und Fürbitten an die Götter wenden, sondern vielmehr um Gesundheit und klaren Kopf bitten soll

Im Mittelalter war sportliche Betätigung ein Mittel der aristokratischen Selbstdarstellung. Die Teilnehmer der Ritterspiele kämpften um Ruhm, materiellen Gewinn und die Gunst schöner Frauen. Gesundheitliche Aspekte sind nicht erkennbar!

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstand in Deutschland die Sport- und Turnbewegung. Sie war eng mit den Vorstellungen ihres Initiators Friedrich Ludwig Jahn (auch „Turnvater Jahn“ genannt) für die „Vaterländische Sache“ verbunden. Die Jugend sollte sich auf den Kampf gegen die „Feinde der Freiheit“, d. h. die napoleonische Besetzung sowie auf eine Erneuerung Preußens vorbereiten. Als Turner sollte man nicht nur sportliche Übungen beherrschen, sondern sich auch für politische und gesellschaftliche Ziele einsetzen (Jahn 1810). Der Turnvater Jahn vertrat die Ansicht, Deutschland sei allen anderen Nationen überlegen und deshalb habe die deutsche Jugend die Pflicht, „die Erde als Heiland zu segnen und den Völkern Menschlichkeitskeime einzupflanzen“ (Wehler 1987). Man kann den in Deutschland nach wie vor verehrten Turnvater demnach auch als einen der „Väter“ des Nationalismus, des Imperialismus, des Militarismus bezeichnen.

Die körperliche Ertüchtigung von Körper und Geist diente in den folgenden Jahren weitgehend der militärischen Ertüchtigung. „Gesund ist, was hart macht“ hieß es. Hindernisläufe, Robben auf den Unterarmen, Springen über Gräben, Weitsprung sowie Weit- und Zielwerfen waren wesentliche Bestandteil der sportlichen Erziehung in Preußen.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert war die sportliche Ertüchtigung allgemein ein wesentlicher Bestandteil der Erziehung. Die Initiative kam aus England. Die Leibesübungen sollten das Konkurrenz- und das Leistungs-Prinzip fördern. Sie sollten auf das spätere Arbeitsleben, den „Wettkampf im täglichen Leben und im Beruf“ vorbereiten. Gesundheitliche Aspekte spielten kaum eine Rolle.

Pierre de Coubertin, der maßgeblich für eine Wiederbelebung der Olympischen Spiele eintrat und 1894 das Internationale Olympische Komitee gründete, sah das Ideal eines Sportlers im “débrouillard” (Draufgänger), der Widerstände überwindet und durch Sport auf ein Leben als Führungskraft vorbereitet werden soll. Erst später (1918) verkündete Coubertin, dass die Olympiade „Nationale Egoismen überwinden und zum Frieden und zur internationalen Verständigung beitragen soll“. 1936 sagte er allerdings auch: „Das Wichtigste ist, dass sie (die olympischen Spiele) grandios gefeiert werden. Dabei ist es egal, ob man sie, wie 1932, als Tourismuswerbung für Südkalifornien oder, wie 1936, als Werbung für ein politisches System verwendet“ (Krüger, A 2004).

Körperliche Ertüchtigung war ein Grundpfeiler der nationalsozialistischen Erziehung. Sport sollte der „Volksgesundheit“ dienen und eine „züchterische Auslese“ ermöglichen. Unter Volksgesundheit verstand man allerdings nicht die Gesundheit des Einzelnen, vielmehr die Gesundheit der „Volksgemeinschaft“. Der Sport diente zur Körperertüchtigung. Er wurde unter dem Leitspruch „mens sana in corpore sano“ als Vorbeugung gegen den „Niedergang des Genmaterials des eigenen Volkes“ propagiert. Der Reichsjugendführer Baldur von Schirach formulierte die Ziele der sportlichen Ertüchtigung in einer Grundsatzrede: „Körperliche Erziehung ist keine Privatsache des Einzelnen. Dein Körper gehört Deiner Nation, denn ihr verdankst Du Dein Dasein; du bist ihr für Deinen Körper verantwortlich.“ Der Sport diente zur Vorbereitung auf den Krieg (Bahro 2013).

In der „Deutschen Demokratischen Republik“ (DDR) wurde der Leistungssport intensiv gefördert. Er war eingebunden in ideologische Vorgaben und Zielsetzungen. Spitzensportler sollten „Diplomaten in Trainingsanzügen“ sein, weil man über Sporterfolge internationales Ansehen zu gewinnen hoffte. Sie sollten durch ihre sportlichen Erfolge die Überlegenheit des Sozialismus demonstrieren und das Selbstbewusstsein der DDR-Bürger stärken. Dem sportlichen Erfolg zuliebe nahm man das Risiko gesundheitlicher Schäden bewusst in Kauf. Doping gehörte zur Tagesordnung. 20 % aller damaligen Leistungssportler sollen damals irreversible gesundheitliche Schäden davongetragen haben.

In Westdeutschland rückte die Gesundheit des Individuums erstmalig in den 60er Jahren in den Mittelpunkt. In den 1970er Jahren initiierte der Deutsche Sportbund die „Trimm-Dich-Bewegung“. Mit Unterstützung der Politik, den Krankenkassen und der Wirtschaft wurde dem Übergewicht und den zunehmenden Kreislauferkrankungen der Kampf angesagt. Körperliche Inaktivität und Bewegungsarmut identifizierte man als wesentliche Ursache für chronische Erkrankungen. Diesen galt es vorzubeugen, denn sie hemmten die Produktivität, und somit den wirtschaftlichen Aufschwung. Die Initiative für mehr Gesundheit durch Sport kam somit aus der Wirtschaft und erst viel später von den Sozialversicherungen, den Gewerkschaften und der Krankenversicherung. In den 1990er Jahren entstand der kommerzialisierte Freizeit- sowie Gesundheitsmarkt. Die Kommerzialisierung von Trendsporten durch Sportartikelhersteller und Sponsoren steht seitdem in Konkurrenz mit dem der Gesundheit und Fitness orientiertem Freizeitsport.

2007 startete die Bundesregierung (mit aktiver Unterstützung von Krankenkassen, der Wirtschaft und den Medien) die Aktion „Gesunde Ernährung und Bewegung“, kurz danach abgelöst von der Aktion „IN FORM - Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung. Die Bürger wurden zu einer gesünderen Ernährung und mehr Bewegung angehalten. Die gesetzlichen Krankenversicherungen – bis dahin lediglich für die Behandlung von Krankheiten zuständig – wurden in den achtziger Jahren zur Durchführung vorbeugender gesundheitlicher Leistungen ermächtigt. In Aufklärungs- und Informationskampagnen klärten sie die Bevölkerung auf, was gesund und ungesund ist. Kurse zur körperlichen Ertüchtigung wurden finanziell unterstützt. Bald kam es allerdings - auch infolge einzelner Wettbewerbsauswüchse der Krankenkassen („Bauchtanzdebatte“) – zu einer kritischen Auseinandersetzung und erneuten Streichung vieler gesundheitsfördernder Leistungen zur Förderung der Gesundheit durch Sport. Interessanterweise zählten die Ärzteverbände eher zu den Kritikern und Opponenten der Krankenkassen-Aktivitäten. Sie propagierten die Vorsorge-Früherkennungs-Maßnahmen zur Gesundheitsvorsorge. Die Präventionsleistungen der Krankassen konzentrierten sich fortan auf Gesundheitschecks, auf die Krankheitsfrüherkennung, die zahnmedizinische Prophylaxe, Schutzimpfungen und auf die Verhütung arbeitsbedingter Erkrankungen; also auf ärztliche Leistungen. Seit dieser Zeit versteht die Öffentlichkeit in Deutschland unter der Krebsprävention Krebs-Vorsorge-Untersuchungen und nicht Vorbeugung.

In den neunziger Jahren kam es innerhalb der von den Rentenversicherungen dominierten medizinischen Rehabilitation zu einer Verlagerung passiver Anwendungen hin zu „aktivierenden Maßnahmen zur Gesunderhaltung“. Der Bewegungstherapie wurde ein hoher Stellenwert zur Wiederherstellung der Arbeitskraft eingeräumt. Zuvor hatten passive Anwendungen, wie Bäder, Trinkkuren, Diäten und Massagen, im Vordergrund gestanden (Delbrück/Haupt 1998). 2015 wurde das Leitmotiv „Prävention vor Rente“ erweitert in „Prävention vor Rehabilitation und Rente“. Nun wurden auch Maßnahmen gefördert, die bei den Ursachen für gesundheitliches Fehlverhalten ansetzten, also bei Übergewicht, Bewegungsarmut, ungesunder Ernährung, Alkohol- und Tabakkonsum und nicht bei den Folgen. Sport und Bewegung in der Kita, der Schule, am Arbeitsplatz und im Pflegeheim gewannen an Bedeutung. Sich nicht erst dann sportlich zu betätigen, wenn man unter den Folgeerkrankungen von gesundheitlichem Fehlverhalten leidet, lautet heute die Devise. Kindern soll man bereits im Grundschulalter Freude an der sportlichen Aktivität vermitteln, um der Bewegungsarmut frühzeitig entgegenzuwirken. Der Arzt kann heute Sport auf Kosten der gesetzlichen Kassen per Rezept verschreiben.

Die Sportmedizin – die sich früher fast ausschließlich mit der Vorbeugung und Behandlung von Sportverletzungen befasste – beschäftigt sich heute verstärkt mit den gesundheitlichen Auswirkungen des Bewegungsmangels. Gemeinsam mit den Sozialversicherungen entwickelt sie Programme zur Förderung von Sport und Bewegung, um chronischer Erkrankungen zu verhindern. Lagen die Schwerpunkte und Ziele der Arbeits- und Sozialmedizin früher in der Verhinderung, Beseitigung, Wiederherstellung und Kompensation berufsbedingter, körperlicher Einschränkungen, so gewinnt heute die nachhaltige Verbesserung des Bewegungs- und Ernährungsverhaltens an Bedeutung.

Interesse an sportlicher Betätigung findet man zunehmend in der Bevölkerung. Man will etwas für seine physische und psychische Fitness tun, dadurch resistenter gegen Stress werden, private, soziale und berufliche Kontakte schließen, sich mit Freunden treffen und zu messen, die eigene Attraktivität steigern. Hinzu kommt die Sorge um die eigene Gesundheit. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Industrie, die sich bei ihrem Marketing gerne der Aura von Sport bedient, um das Image ihrer Produkte zu steigern.

Körperliche Inaktivität als Risiko für Erkrankungen

Negative gesundheitliche Auswirkungen von Bewegungsarmut

Bis ins 19. Jahrhundert galt körperliche Arbeit als lästig, aber notwendig, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Inaktivität konnten sich nur wenige Privilegierte leisten. Mit der Industrialisierung änderte sich dies. Bewegungsarme Tätigkeiten mit geringem Energiebedarf dominieren. Geistige Kompetenzen, weniger der körperliche Einsatz, bestimmen heute das Arbeitsleben. Sie entscheiden über den beruflichen Erfolg, den Wohlstand und die soziale Anerkennung. Bürojobs und „home office“ überwiegen. Viele Tätigkeiten im Alltagsleben, die einst lange Wege erforderten, lassen sich heute im Internet und per Telefon erledigen. Stundenlanges Sitzen am Arbeitsplatz, im Auto sowie in der Freizeit – vor dem Computer oder Fernseher – bestimmt den Tagesablauf. Maschinelle Hilfen erleichtern den körperlichen Aufwand im Haushalt.

Entsprechend haben sich das Krankheitsspektrum sowie die Art und Häufigkeit chronischer Erkrankungen geändert. Folgeerkrankungen von Bewegungsarmut und Übergewicht haben zugenommen. Typ-2-Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Einschränkungen des Bewegungsapparates und - nicht zuletzt - Krebs überwiegen (Vainio et al 2002).

Kindern und Jugendlichen fehlen Bewegungsvorbilder in der Familie, aber auch Bewegungsräume. Sie haben sich zu „Bewegungsmuffeln“ entwickelt und bewegen sich fast nur noch virtuell in Computerspielen. Übergewicht und „Alterskrankheiten“ nehmen daher zu. Beschwerden am Bewegungsapparat - selbst Typ-2-Diabetes - sind bei Kindern in Deutschland heute keine Seltenheit mehr. Dies trifft besonders auf Kinder aus einkommensschwachen Familien zu.

Zahlreiche epidemiologische Untersuchungen gehen von einer Senkung des Herz-Kreislauf- und des Krebsrisikos aus, würde sich die Bevölkerung körperlich stärker betätigen.

Kommentar und Empfehlungen für die Praxis: Standen früher belastungsbedingte Störungen des Bewegungs- und Stützapparates sowie die Unterernährung im Vordergrund chronischer Erkrankungen, so dominieren heute Auswirkungen von Bewegungsmangel und Überernährung. Dies ist bei Krebserkrankungen der Fall.

Negative gesundheitliche Auswirkungen von Bewegungsarmut

• Geringere körperliche Leistungsfähigkeit

• Einschränkungen des Bewegungsapparates (z. B. Rückenschmerzen, Arthrosen)

• Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z. B. Koronare Herzerkrankung, Herzinfarkt, Herzinsuffizienz)

• Bluthochdruck (z. B. Schlaganfall, Arteriosklerose)

• Stoffwechselerkrankungen (z. B. metabolisches Syndrom, Typ-2-Diabetes, Gicht, Übergewicht, Fettstoffwechselstörungen)

• Verschlechterung der Schlafqualität

• Psychosomatische Störungen

• Krebserkrankungen

• Aggressiverer Verlauf bestimmter Viruskrankheiten (z. B. von COVD-19)

• Augenerkrankungen

• Gerinnungsstörungen (z. B. Thrombosen)

• vorzeitiger geistiger Verfall (?)

• Größere Operationsrisiken und häufigere Therapiekomplikationen

Positive gesundheitliche Auswirkungen von körperlicher Aktivität und Sport?

Körperliche Aktivität ist ein Oberbegriff für sämtliche Körperbewegungen durch Muskelkontraktionen, die zu einem zusätzlichen Energieverbrauch führen. Ihr Nutzen geht über die körperliche Fitness hinaus. Er wirkt auf der körperlichen Ebene (Erhalt bzw. Wiederherstellung und Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Vorbeugung und Vermeidung von Krankheiten und körperlichen Beschwerden), auf der psychischen Ebene (Bekämpfung von Angst und Depressionen, Freude, Wohlbefinden), auf der sozialen sowie der beruflichen Ebene (soziale Integration, Partizipation, berufliche Wiedereingliederung). Körperliche Aktivität bedeutet einen Gewinn für die Lebenszeit und die Lebensqualität.

Es kommt zu vorbeugenden Effekten bei einer Vielzahl akuter und chronischer Krankheiten. In der Krankheitsphase können Medikamente eingespart werden, ja sogar operative Eingriffe verhindert werden. In der Nachbetreuung kommt es zu einer rascheren Regeneration und Leistungsfähigkeit, auch in beruflicher Hinsicht.

Kommentar und Empfehlungen: Es gibt Bestrebungen, körperliche Aktivität wie ein Medikament zu verschreiben. Schließlich würden Bewegung und Sport ja die gleichen Kriterien wie ein Medikament erfüllen, sagen Sportmediziner.

Medizinstudenten lernen heute im Studium, die Möglichkeit der Bewegungstherapie bei Therapieüberlegungen mit einzubeziehen (Löllgen 2011 und 2012).

Positive Auswirkungen von regelmäßiger Bewegung auf die Gesundheit (Schlussfolgerungen aus Beobachtungsstudien)

• Verbessert die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit

• Verbessert die Beweglichkeit

• Verbrennt überflüssige Kalorien und reduziert Übergewicht.

• Senkt einen hohen Blutdruck

• Stabilisiert den Fettstoffwechsel. Reduziert das LDL-Cholesterin und erhöht den HDL-Cholesterinspiegel

• Reduziert eine Insulinresistenz. Senkt den HbA1c-Wert.

• Reduziert entzündungshemmende Botenstoffe im Blut.

• Beeinflusst die Tumorgenexpression.

• Reguliert das Wachstum menschlicher Krebszellen

• Stärkt Reparaturgene

• Reduziert Fatigue-Beschwerden

• Wirkt antidepressiv

• Stabilisiert das Gerinnungssystem

• Stärkt die Muskulatur, entlastet das Stützskelett.

• Wirkt schmerzlindernd

• Erhöht die Knochenmineralisierung und –dichte.

• Stärkt die Immunabwehr

• Baut Stress und Anspannung ab. Stärkt die Stressresistenz.

• Verbessert die Koordination, Kraft und Ausdauer

• Verbessert die Schlafqualität

• Verlangsamt den Alterungsprozess

• Fördert die motorische, kognitive, psychosoziale und emotionale Entwicklung

• Verbessert die Gedächtnisleistung, verzögert eine Demenz.

• Verhindert die Isolation, verbessert die Kommunikation, erleichtert die Partizipation

• Höhere Arbeitsleistung, weniger Fehlzeiten im Arbeitsleben

Zur Bedeutung von Bewegung und Sport in der Medizin.

In der Inneren Medizin wirken sich eine angepasste Ernährung und Sport günstig auf sämtliche chronische Erkrankungen des internistischen Krankheitsspektrums aus. Körperliche Aktivität schützt zwar nicht vor einer Infektion mit SARS-CoV-2- Viren, aber schwächt den Krankheitsverlauf ab. Entzündungsfaktoren werden reduziert.

In der Kardiologie ist die Bewegungstherapie ein Eckpfeiler in der Prävention, bei der Behandlung und in der Rehabilitation. Eine Fülle von Interventionsstudien hat nachgewiesen, dass bei regelmäßiger körperlicher Aktivität das Erkrankungsrisiko geringer ist.

In der Pneumologie ist körperliche Aktivität - selbst bei Patienten mit starker Atemnot - ein Teil der Therapie. Bei COPD-Patienten und Asthmapatienten wirkt sich Bewegung positiv aus.

In der Orthopädie nutzt man Bewegungstraining zur Schmerzlinderung, zur Entlastung und zur Verbesserung der Gelenkbeweglichkeit. Schont sich ein Arthrose-Patient, wird weniger Gelenkflüssigkeit produziert, die Knorpel werden rau und spröde, was zu mehr Verschleiß und Schmerzen führt.

In der Rheumatologie schätzt man Bewegung wegen der günstigen Auswirkungen auf die Mobilität und Schmerzen. Wassergymnastik ist besonders wirksam.

In der medizinischen Onkologie wirken Sport- und Bewegung krebspräventiv. Studien zeigen, dass Erkrankungswahrscheinlichkeit und Krebssterblichkeit abnehmen. Therapiebedingte Nebenwirkungen werden verhindert, zumindest gelindert. „Sport nach Krebs“ verbessert die Lebensqualität und erhöht die Chance einer Partizipation. Das Rückfallrisiko soll bei „geheilten“ Brustkrebspatientinnen geringer sein.

In der Diabetologie sind Bewegung und Sport Grundpfeiler der Prävention und Therapie. Sie bewirken bei Übergewicht eine Gewichtsabnahme und die Reduzierung des Typ-2-Diabetes-Risikos. Die Insulinresistenz wird verhindert. Gefäßkomplikationen sind seltener. Antidiabetika können eingespart werden; möglicherweise kann man sogar ganz auf sie verzichten. Schon ein zweieinhalbstündiger, aktiver Spaziergang verringert bei gesunden Menschen das Diabetesrisiko um 30 %. Er hilft Menschen, die bereits an Diabetes erkrankt sind, ihren HbA1c-Wert um 0,5 bis 0,7 % zu senken (Umpierre et al 2011).

In der Nephrologie wirkt Bewegung und Sport unterstützend. Regelmäßiger Sport kann dabei helfen, den Blutdruck zu senken und die Muskulatur zu erhalten. Selbst während einer Dialyse-Sitzung kann man sich sportlich betätigen(indem man z. B. in die Pedale eines sogenannten Bettfahrrads tritt.

In der Neurologie sind Geh- und Balanceübungen ein wichtiger Bestandteil der Parkinsontherapie und der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten.

In der Psychiatrie ist regelmäßiges Ausdauertraining in Verbindung mit Entspannungsverfahren eine wirksame Alternative zur medikamentösen Therapie. (Muster und Zielinski 2006, Pedersen und Saltin 2006). Studienergebnisse zeigen, dass Menschen mit einer Depression, die an Bewegungsprogrammen teilnehmen, weniger Beschwerden haben.

Studien in der Psychosomatik bestätigen, dass regelmäßige Bewegung bei seelischen Problemen hilft (Muster und Zielinski 2006). Körperliche Aktivität und Sport werden in psychosomatischen Kliniken im Rahmen eines multimodalen Behandlungskonzepts eingesetzt.

In der Geriatrie nutzt man die Erfahrung, dass Bewegung und Fitnessprogramme die kognitive Leistungsfähigkeit sowie die Gedächtnisleistung verbessern. Das Balancetraining gehört zum Standardprogramm bei Senioren in Altersheimen. Die Sturzgefährdung wird reduziert, dementielle Entwicklungen verzögern sich, Altersdepressionen nehmen ab (Middleton et al 2011). Spazierengehen und Tanzen können die Hirnalterung hinauszögern, heißt es (Müller 2018). Eine Vielzahl von Studien belegen, dass körperliche Bewegung eine wirkungsvolle „Anti Aging Medizin“ ist (Finger Studie 2015, Ngandu et al 2015).

In der Angiologie stellt die Bewegungstherapie eine sehr effektive Behandlung bei einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit dar. Gehtraining kann interventionelle oder gar operative Eingriffe bei einer peripheren Verschlusskrankheit verhindern. Die schmerzfreie Gehstrecke wird länger.

Pädiater behaupten, körperliche Inaktivität in der Kindheit sei die Basis für viele Krankheiten im Alter.

Auswirkungen von körperlicher Aktivität auf die Krebsentwicklung

1985 berichteten Frisch et al. in den USA von einer geringeren Brustkrebshäufigkeit bei ehemaligen College-Sportlerinnen (im Vergleich zu ihren inaktiven Kommilitoninnen) und wiesen damals erstmals öffentlich auf den Sport als möglichen Schutzfaktor vor Brustkrebs hin. Husemann zählte in Deutschland zu den Ersten, die auf die körperliche Inaktivität und sitzende Tätigkeit als mögliche Ursachen für Darmkrebs bei Büroangestellten (white collar workers) hinwiesen (Husemann et al 1980). Seitdem haben sich viele Epidemiologen mit möglichen Zusammenhängen von Bewegungsmangel und Krebs befasst und die Vermutungen von Frisch und Husemann bekräftigt. Sie alle bestätigten, dass sowohl das Erkrankungsrisiko, der Krankheitsverlauf, das Wiedererkrankungsrisiko als auch die Sterbewahrscheinlichkeit bei körperlicher Aktivität günstig beeinflusst werden. Relevante krankheits- und therapiebedingte Belastungen lassen sich durch gezielte bewegungstherapeutische Interventionen reduziere oder sogar ganz verhindern. Dabei ist es unwesentlich, ob man körperlich arbeitet, Gartenarbeit verrichtet oder gezielt Sport treibt (Thune et al 1996, Adamietz 2010, Halle und Schoenberg 2009, Steindorf 2012, Baumann et al 2013, Christensen et al 2018).

Weitgehend unklar sind noch die biologischen Mechanismen, die zu der Beeinflussung der Krebsentwicklung führen. Dazu gibt es zahlreiche Hypothesen. Übereinstimmung herrscht darin, dass körperliche Aktivität keine strukturellen Veränderungen bei den Krebsgenen verursacht. Vermutlich stellen Lifestyle-Verhaltensweisen, wie Bewegung und Sport, epigenetisch wirkende Einflussfaktoren dar, die u. a. die Expression von Genen beeinflussen.

Sicher ist, dass Krebsrisiken, wie Diabetes mellitus Typ II, hohe Fettwerte und eine ungünstige Fettverteilung, bei körperlicher Aktivität abnehmen und dass Bewegung dem Abbau der Knochendichte und der Muskulatur vorbeugt. Sicher ist auch, dass der Schutzeffekt von körperlicher Aktivität je nach Krebsart, Alter und Geschlecht, Krankheitsstadium und Intensität, unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Bei Brust-, Darm-, Gebärmutter-, Nieren- und Lungenkrebs ist der Einfluss relativ stark, bei bösartigen Blut- und Lympherkrankungen eher gering.

Experten behaupten, dass sportlich aktive Menschen ihr Krebserkrankungsrisiko durchschnittlich um 20 bis 30 Prozent reduzieren. Auch das Rückfallrisiko sei geringer. Bei Brustkrebspatientinnen soll die Risikoreduktion (im Vergleich zu normal bewegungsaktiven Menschen), je nach Studie und Alter, Hormonstatus und sozioökonomischen Verhältnissen sowie Intensität der Aktivität zwischen 20 und 80 % betragen. Bei Darmkrebs beträgt sie, je nach Lokalisation und Alter, bis zu 70 %. Nicht nur die Krankheitsentstehung, auch der Krankheitsverlauf und die Prognose werden beeinflusst (Ballard-Barbash 2012, Meyerhard 2006).

Hypothesen zum Wirkmechanismus von körperlicher Aktivität auf die Krebsentwicklung

• Aktivierung von Reparaturgenen bzw. Inaktivierung von Tumorgenen

• Verringerung des Körperfetts und Abnahme krebsfördernder Fetthormone

• Verringerung der Insulinresistenz. (Die Sensitivität der Muskulatur wird erhöht. Einem Typ-2-Diabetes wird vorgebeugt)

• Auswirkungen auf den Vitamin-D-Spiegel. (Die natürliche Vitamin-D-Aufnahme bei Aktivitäten im Freien führt zu einem sicheren Anstieg des Vitamin-D-Spiegels)

• Reduzierung chronischer Entzündungsfaktoren. (Körperliche Aktivität wirkt entzündungshemmend)

• Produktion von krebshemmenden Muskelenzymen (Myokine)

• Einfluss auf Geschlechtshormone und Wachstumsfaktoren. (Bei Aktivität sinkt der Östrogenspiegel)

• Abwehr von oxydativem Stress und DNA-Schäden

• Einflüsse auf die lokale und systemische Immunabwehr. (Bewegung stimuliert die Natural Killer Cells, Makrophagen und zytotoxischen T-Zellen

• Einflüsse auf den Lipidstoffwechsel (Leptin, Adiponektin)

• Einflüsse auf den Tabak- und Alkoholabusus. (Sportler wissen, dass Tabak- und Alkoholabusus ihre körperliche Fitness beeinträchtigen)

Ungeklärte Fragen zum Einfluss körperlicher Aktivität auf die Krebsentwicklung.

• Unklar bleibt, ob die körperliche Aktivität selbst vor Krebsschützt oder „lediglich“ die gesündere Lebensweise sportlich aktiver Menschen der Grund für eine bessere gesundheitliche Fitness ist.

• Unklar sind die biochemischen Wirkmechanismen?

• Gibt es unterschiedliche Auswirkungen von Kraft- und Ausdauertraining, bzw. von aerobem und anaerobem Training?

• Werden bestimmte Organe mehr oder weniger beeinflusst?

• Kommt es zu unterschiedlichen Auswirkungen in der Jugend und im Erwachsenenalter?

• Gibt es eine Dosis-Wirkung-Beziehung? Wenn ja, wo ist die Schwelle?

• Haben Hochleistungssport und Freizeitsport bzw. aerobe und anaerobes Training unterschiedliche Auswirkungen?

• Bei welcher Intensität kommt es zu einem optimalen Schutzeffekt?

• Welchen Einfluss haben Begleiteffekte und Interaktionen?

Statistischer Hintergrund

Den Berechnungen des DKFZ zufolge (Deutsches Krebsforschungszentrum) sollen 2018 etwa 6 % aller Krebserkrankungen im Zusammenhang mit körperlicher Inaktivität gestanden haben (Behrens et al 2018). Nach der WHO-Definition liegt körperlicher Inaktivität dann vor, wenn das Minimum von 150 Minuten Bewegung pro Woche oder 75 Minuten Sport pro Woche nicht erfüllt wird. Berechnungen anderer internationaler Institutionen gehen davon aus, dass 10 – 14 % aller Krebstodesfälle in Europa mit körperlicher Inaktivität assoziiert sind (Behrens et al 2018).

42 Prozent der Deutschen bewegen sich angeblich nicht genug (44 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer). Deutschland gehört laut WHO neben Brasilien, Bulgarien, den Philippinen und Singapur zu den Ländern, in denen die Bewegungsarmut am stärksten angestiegen ist. Damit belegt Deutschland einen Spitzenplatz unter den Industrieländern (Guthold et al. 2018). Zwischen 2001 und 2016 ist die Häufigkeit der körperlichen Inaktivität in Deutschland um mehr als 15 % gestiegen.

Besorgniserregend ist die Situation bei Kindern und Jugendlichen. 2019 veröffentlichte die WHO eine Studie, wonach sich 81 Prozent der Jugendlichen weniger als eine Stunde pro Tag bewegen. Auch in Deutschland kommen Vorschulkinder oft nicht auf die drei Stunden körperliche Bewegung am Tag. Nach den Ergebnissen der aktuellen Befragungswelle der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KiGGS) des Robert Koch-Instituts toben sich nur 40 – 50 % der drei- bis sechsjährigen Kinder mindestens 60 Minuten pro Tag aus, von drei Stunden ganz zu schweigen.

Dass sich der Anteil extrem dicker Kinder und Jugendlicher in den vergangenen vierzig Jahren weltweit vervierfacht hat, soll auch eine Folge der veränderten Lebenswelt sein (WHO 2017). Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit und Bewegungsaktivität haben von 1975 bis 2000 um durchschnittlich 10 % abgenommen. Die von der HBSC-Studie (“Health Behaviour in School-aged Children“) 2019 durchgeführten Untersuchungen zeigen in allen 45 untersuchten Länder, dass weniger als einer von fünf Jugendlichen die Empfehlungen der WHO für körperliche Betätigung erfüllt. Auch in Deutschland halten sich Jugendliche selten an die WHO-Empfehlung von 60 Minuten täglicher körperlicher Betätigung. International schneidet Deutschland – was Bewegung anbetrifft - eher schlechter ab.

Laut einer vom Bundesministerium der Justiz und Verbraucherschutz im Auftrag gegebenen Studie zur Gesundheitskompetenz sind 10,4 % der deutschen Bevölkerung nahezu täglich körperlich aktiv. Etwa 29,3 Prozent bewegen sich zumindest einige Mal in der Woche, 26,5 % mehrfach im Monat. 16,8 Prozent der Deutschen mit hoher Gesundheitskompetenz sind beinahe täglich körperlich aktiv. Bei den Befragten mit inadäquater Gesundheitskompetenz sind es allerdings lediglich 4,2 Prozent. 15 % der Befragten mit geringer Gesundheitskompetenz (Health Literacy) sollen sich hingegen fast gar nicht bewegen. Umgekehrt ist das nur bei etwa 1 % der Befragten mit sehr guter Gesundheitskompetenz der Fall (Universität Bielefeld 2016, Scheffer, D et al 2017).

Im Rahmen der weltweiten, prospektiven PURE-Studie (Prospective Urban Rural Epidemiologic study) wurden in 17 Ländern 130.843 gesunde 35 - bis 70-Jährige zu ihrer körperlichen Aktivität ("International Physical Activity Questionnaire" (IPQA) befragt. Ihr weiterer Werdegang wurde in den nachfolgenden 7 Jahren nachverfolgt (DOI: http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(17)31634-3). Nach dieser Studie soll moderate körperliche Aktivität (150 bis 750 Minuten pro Woche) das Sterberisiko um 20% - im Vergleich zu einem geringen Bewegungspensum (das heißt < 150 Minuten) - senken. Bei stärkerer körperlicher Aktivität (>750 Minuten pro Woche) sinkt die Gesamtsterblichkeit um 35% (die Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen allein um 25%).

Kommentar: Die westlichen Industriestaaten stehen infolge der steigenden Ausgaben für die Gesundheit vor großen Herausforderungen. Die Auswirkungen von Bewegungsarmut und Übergewicht spielen dabei eine nicht unbeträchtliche Rolle. 6 % der Gesamtausgaben von Sozialversicherungen standen in Deutschland (2017) im Zusammenhang mit den Folgen von Übergewicht und Bewegungsarmut. Nicht nur inDeutschland, sondern weltweit gibt es daher Bestrebungen, die Tendenz zu Übergewicht und körperlicher Inaktivität zu stoppen.

Kritische Kriterien für die Beurteilung von Studien zur körperlichen Aktivität und Krebs

Während sich der Erfolg einer Krebsvorsorge-Früherkennung bzw. der einer Chemo- oder Hormontherapie relativ einfach feststellen lässt, ist dies im Falle der körperlichen Aktivität wesentlich schwieriger. Das liegt an der Vielschichtigkeit von Lifestylefaktoren und der Komplexität der Entstehungsursachen von Krebs mit einer manchmal bis zu Jahrzehnten dauernden Einwirkungszeit. Viele andere endogene und exogene Einflüsse finden in der Zwischenzeit statt, die berücksichtigt werden müssen. Die Qualität vieler Untersuchungen zum Einfluss körperlicher Aktivität auf das Krebsgeschehen hält daher wissenschaftlichen Ansprüchen häufig nicht stand.

Viele Empfehlungen zum Einfluss körperlicher Aktivität basieren auf Ergebnissen methodisch unterschiedlicher Studien, die sich nur schwer vergleichen lassen. Teilweise widersprechen sie sich. Häufig wird bei ihnen nicht zwischen lokalisierten und ausgedehnten Tumoren sowie zwischen latenten und aggressiven Karzinomen unterschieden. Art und Intensität, Kraft- und Ausdauertraining werden sehr unterschiedlich definiert und bewertet. Oft wird die körperliche Aktivität nur punktuell erfasst, obgleich sich das Lifestyleverhalten im Laufe der Zeit ändert. So haben Bewegungsarmut und Übergewicht in der Jugend und im jugendlichen Erwachsenenalter einen wesentlich größeren Einfluss als im Erwachsenenalter (Giovannucci et al 1997, Brown et al 2009).

Unzulässig ist die eingeschränkte Übertragbarkeit von Daten aus Laborexperimenten mit Zellkulturen und Versuchstieren auf den Menschen. So manche Antitumoreffekte gelten nur unter speziellen Laborbedingungen. Die Tumorzellen liegen im menschlichen Körper - im Gegensatz zu den Zellexperimenten - nicht frei vor, sondern sind von zahlreichen äußeren Einflüssen umgeben, z. B. von Immun- und Bindegewebszellen.

Viele Studien sind schon vom Konzept her ungeeignet, da in ihnen fälschlich davon ausgegangen wird, dass Krebs ausschließlich die Folge einer einzelnen Ursache ist. Tatsächlich handelt es sich bei Krebs um ein multikausales Geschehen, damit es zum Krankheitsausbruch kommt. Körperliche Aktivität ist – wenn überhaupt - nur ein Einflussfaktor unter vielen (Pan et al 2009)!

In der Regel handelt es sich um Beobachtungsstudien. Diese können aber nur darauf hinweisen, dass zwei Ereignisse miteinander zusammenhängen. Im Optimalfall können sie Korrelationen, nicht aber Kausalitäten nachweisen. Sie sind bestenfalls Grundlage für eine Hypothese, die mit weiteren Untersuchungen erhärtet werden muss. Statistisch gesehen ist es z. B. eindeutig, dass sportlich inaktive Menschen häufiger an bestimmten Krebsarten erkranken. Das ist allerdings noch kein Beweis für eine Kausalität ist, denn Bewegungsarmut geht häufig mit anderen krebsfördernden Einflüssen einher (so etwa mit Übergewicht und/oder einem Typ-2-Diabetes).

In der Regel basieren Schlussfolgerungen aus Beobachtungsstudien auf Angaben von Fragebögen. Diese sind oft subjektiv gefärbt. Ihr Wahrheitsgehalt lässt sich nur schwer nachprüfen. Mitunter beziehen sie sich lediglich auf einen begrenzten Zeitraum, manchmal sogar nur auf die letzten Jahre vor der Krebserkrankung, obwohl die Zeitspanne von der Entstehungsursache bis zur manifesten Erkrankung meist viele Jahre, ja Jahrzehnte, beträgt.