Körpermodifikationen – Interventionen der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) - Ute Backmann - E-Book

Körpermodifikationen – Interventionen der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT) E-Book

Ute Backmann

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Beschreibung

Körpermodifikationen verstehen und behandeln Beleuchtet Hintergründe: Sind Körpermodifiktationen z.B. »Lösungsversuche« für Traumatisierungen oder brüchiges Selbstwerterleben? Fokus: Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) mit Erwachsenen Ziel: Gesunde subjektive Leiblichkeit fördern Der Körper ist heute zur Bühne des subjektiven Selbst geworden. Die Autorin erläutert verschiedene Kategorien von Körpermodifikationen und ermutigt Körperpsychotherapeut:innen, zusammen mit ihren Patient:innen ein Bewusstsein für den Hintergrund der Modifikationen zu schaffen. Welche Rolle spielen Bindungsstile, Selbstwerterleben, Traumatisierungen, Körperwahrnehmung und Symbolisierungsfähigkeit? Backmann stellt dar, wie körperpsychotherapeutische Angebote der Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) hier heilsam tätig werden können. Die Praxisbeispiele beleuchten Körpermodifikationen psychodynamisch. Es wird deutlich, dass sie oft verbunden sind mit ausgeprägten perfektionistischen Vorstellungen, die im alltäglichen (Er-)Leben zu Konflikten, Schmerzen oder Einschränkungen führen können. Soziologische und kulturwissenschaftliche Betrachtungen runden das Wissen für Therapeut:innen ab.

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Seitenzahl: 334

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Dies ist der Umschlag des Buches »Körpermodifikationen – Interventionen der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT)« von Ute Backmann

Ute Backmann

Körpermodifikationen

Interventionen der Konzentrativen Bewegungstherapie (KBT)

Schattauer

Impressum

Ute Backmann

Heinrichstraße 1

64646 Heppenheim

[email protected]

www.kbt-heppenheim.de

Besonderer Hinweis

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe

Schattauer

www.schattauer.de

© 2024 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Gestaltungskonzept: Farnschläder & Mahlstedt, Hamburg

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung einer Abbildung von shutterstock/Dean Drobot

Gesetzt von Eberl & Koesel Studio, Kempten

Gedruckt und gebunden von Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg

Lektorat: Marion Drachsel

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani

ISBN 978-3-608-40178-3

E-Book ISBN 978-3-608-12274-9

PDF-E-Book ISBN 978-3-608-20663-0

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar

Inhalt

Vorwort

1 Einleitung

2 Konzentrative Bewegungstherapie

2.1 Methodisch-praktische Grundlagen

2.2 Geschichte und Entwicklung des Verfahrens

2.3 Theoretische Grundlagen

2.4 Diagnostik

2.5 Die Bedeutung der Gruppentherapie in der stationären psychosomatischen Behandlung

2.6 Die Bedeutung der Einzeltherapie im stationären und ambulanten Setting

3 Psychoanalytische Konzepte und Körper

3.1 Freud: Ich-Trieb und psychosexuelle Entwicklung

3.1.1 Stufen der psychosexuellen Entwicklung – Erstes bis sechstes Lebensjahr

3.1.2 Stufen der psychosexuellen Entwicklung – siebtes Lebensjahr bis Erwachsenenalter

3.2 Ich-Psychologie und Körperschema

3.2.1 Ich und Körper

3.2.2 Körperschema

3.2.3 Körperliche Bewegung und deren Wahrnehmung

3.3 Selbst-Psychologie und Körperselbst/Körperbild

3.3.1 Selbst und Körperselbst

3.3.2 Das verkörperte Selbst

3.3.3 Körperselbst/Körperbild

3.4 Objektbeziehungstheorien und Körpererleben

3.4.1 Körpererleben

3.4.2 Übergangsobjekte: Bezogenheit auf den anderen bei Getrennt-Sein

3.4.3 Der Körper als Übergangsobjekt und Übergangsphänomen

3.4.4 Der Trennungsprozess als Entwicklungsaufgabe

3.5 Verführungstheorien und Körperidentität

3.5.1 Körperidentität

3.5.2 Sexuelle Körperidentität

4 Optimierung, Perfektionierung und Körper

4.1 Körperkonjunkturen

4.2 Vergänglichkeit und Zeit verleugnen

4.3 Narzisstische Motive

4.4 Ausdruck eines (grausamen) Über-Ich

4.5 »Bin ich schön?« – Medialer Einfluss auf die Selbstoptimierung und Essstörung

5 Psychodynamische Begriffe und Körper

5.1 Körperliche (Gegen-)Übertragung

5.1.1 Körperliche Gegenübertragung und projektive Identifizierung

5.1.2 Körperliche Gegenübertragung als Gegenstand intersubjektiver Übertragungsinszenierungen

5.1.3 Gegenübertragungsreaktionen im stationären Therapie-Setting

5.1.4 Körperliche Gegenübertragung in der KBT

5.1.5 Körperkontakt und Berührung

5.1.6 Körperliche Veränderungen, Beeinträchtigungen und Erkrankungen der Körperpsychotherapeut:innen

5.1.7 Fazit

5.2 Symbolisierung und szenisches Verstehen in der KBT

5.2.1 Symbol

5.2.2 Symbolisierung

5.2.3 Die Entwicklung der Symbolisierungsfähigkeit

5.2.4 Symbolisierung mit Gegenständen und Spielen

5.2.5 Symptome und Symbolisierung

5.2.6 Szenisches Verstehen

5.3 Abwehr, Widerstand und Körper

5.3.1 Abwehr und Widerstand – eine Differenzierung

5.3.2 Abwehrmechanismen in den Phasen der Psychoanalyse

5.3.3 Abwehrmechanismen und ihre Auswirkungen

5.3.4 Körperliche Abwehrprozesse

5.3.5 Widerstandsphänomene

5.4 Konflikt, Struktur, Trauma und Körper

5.4.1 Konflikt und Körper

5.4.2 Struktur und Körper

5.4.3 Traumatisierung und Körper

5.4.4 Fazit

6 Der Körper als Austragungsort des psychischen Geschehens

6.1 Körpermodifikationen

6.1.1 Tätowierungen – auf und unter der Haut

6.1.2 Schönheitsoperationen

6.1.3 Schönheitschirurgische Eingriffe

6.1.4 Körpermodifizierende Maßnahmen im Verlauf transidentitärer Entwicklungen

6.2 Körperdestruktivität

6.2.1 Körperdestruktivität als Aggression gegen das Ich/Selbst

6.2.2 Differenzierung und Angleichungen: Körpermodifikationen und Körperdestruktivität

6.3 Hypochondrie, Körperdysmorphophobie, Körper-Integritäts-Identitäts-Störung

6.3.1 Hypochondrie

6.3.2 Körperdysmorphophobie

6.3.3 Körper-Integritäts-Identitäts-Störung

6.4 Essstörungen

6.4.1 Körperbild

6.4.2 Körperbildtherapie

6.4.3 Die Module in der Körperbildtherapie

6.4.4 Fazit

6.5 Traumatisierungen und Selbsterleben

6.5.1 Einzeltherapeutische KBT-Interventionen

6.5.2 Gruppentherapeutische KBT-Interventionen

6.6 Traumatisierungen und chronischer Schmerz

6.6.1 Schmerzgedächtnis und Selbstentfaltung

6.6.2 Das Schmerzgedächtnis als Interpretation des Anderen/der Traumatisierung

6.6.3 Schmerz im Kontext von Bindungserfahrungen

6.6.4 Konzentrative Bewegungstherapie bei Schmerzpatient:innen

7 Die Bedeutung der Berührung in der KBT

7.1 Die physische Berührung

7.1.1 Tastsinnessystem

7.1.2 Sensomotorische Entwicklung

7.1.3 Chemische Botenstoffe

7.1.4 Berührung, Gehirn, Emotion

7.1.5 Der metaphysische Berührungsraum – Resonanz

7.2 Funktionen und Formen der Berührung im therapeutischen Kontext

7.2.1 Die taktile Berührung als Element der Praxis

7.2.2 Funktionen von Berührung

7.2.3 Formen der Berührung

7.3 Die therapeutische »Haltung«

7.4 Ethische Aspekte

8 Zusammenfassung

Literatur

Sachverzeichnis

Vorwort

Gesellschaftliche und globale Zusammenhänge werden komplexer und bedrohlicher. Das Erleben von Krisen in der Corona-Pandemie oder im klimatischen Wandel, aber auch weltweite Kriege und nicht zuletzt der Ukraine-Krieg mitten in Europa mit seinen humanitären und wirtschaftlichen Folgen belasten uns Menschen. Psychische Erkrankungen mit ihren körperlichen Beeinträchtigungen nehmen zu. Die Fragilität von Lebenskonzepten und Entwürfen ist zumindest latent spürbar. Die in der westlichen Welt geltenden Imperative von Selbstbestimmung und Lebensoptimierung geraten ins Wanken. Unsicherheit, Ängste und Abhängigkeiten müssen in komplexen intrapsychischen Prozessen ausgehalten und ausgehandelt werden.

Demgegenüber schreiten die auf den Körper bezogenen Praktiken voran. Der eigene Körper erscheint möglicherweise noch als sicherster Garant für Verlässlichkeit, Selbstbestimmung und Optimierung. Vor diesem Hintergrund können die Ich-, Selbst- und Körperentwicklungen gelesen und verknüpft werden.

Ausgangs- und Bezugspunkt des vorliegenden Buches ist die Konzentrative Bewegungstherapie (KBT). Sie ist als Methode seit mehr als einem halben Jahrhundert in der psychosomatischen Medizin tradiert und zahlreiche Forschungen belegen ihre Wirksamkeit. Die KBT ist als körperpsychotherapeutisches Verfahren mit psychoanalytischen und psychodynamischen Theorien verknüpft und entwickelt vor diesem Hintergrund ihr diagnostisches und methodisches Vorgehen in den Therapien.

Der sperrige Name »Konzentrative Bewegungstherapie« ist als Marke geschützt und hat der gängigeren angloamerikanischen Wortschöpfung des »Embodiment« sowie der Vereinheitlichung unter dem Überbegriff der Körperpsychotherapie widerstanden.

Sperrig ist auch mein Ansinnen, Körpermodifikationen nicht nur als Zeitgeschehen anzuerkennen, sondern dieses Phänomen – zumindest in seinen starken Ausprägungen – auf einem KBT-spezifischen Hintergrund zu beleuchten. Körpermodifikationen werden in die Nähe zu körperdestruktivem Verhalten – zu dem auch die Essstörungen zählen – gerückt. Die postulierte Selbstbestimmung in den Körpermodifikationen wird so genauer betrachtet und manches Mal infrage gestellt.

Ein solches Vorgehen kann durchaus kritisch bewertet werden und zu Kontroversen führen. Ich möchte betonen, dass ich in der vorliegenden Arbeit keine allgemeinen und wertenden Kriterien zum Für und Wider von Körpermodifikationen aufstelle.

Aufgrund meiner Tätigkeit als Therapeutin der Konzentrativen Bewegungstherapie im stationären und ambulanten Kontext bin ich jedoch sehr an dem (körperlichen) Selbst- und Geworden-Sein meiner Patient:innen interessiert und möchte mit ihnen die Bedeutung der Objektverwendung ihres Körpers verstehen. Körperdestruktives Verhalten ist hingegen in der KBT in jedem Fall behandlungsbedürftig.

Deshalb gilt an dieser Stelle als Erstes den Patient:innen mein Dank für ihre Bereitschaft, sich auf ihre therapeutischen Prozesse in der KBT einzulassen.

Danken möchte ich auch meinen KBT-Kolleg:innen, die in den Gremien des Deutschen Arbeitskreises für Konzentrative Bewegungstherapie (DAKBT e. V.) die Methode in Theorie, Diagnostik, Lehre und Forschung kontinuierlich weiterentwickeln.

Frau Dr. Nadja Urbani und Frau Marion Drachsel vom Schattauer Verlag haben die Entstehung des Buches in kompetenter Weise begleitet. Auch ihnen gebührt mein Dank.

Mein besonderer Dank gilt meinen Kindern Gabriel, Louis Paul, Constantin und Lissy Susanna. Als einer jungen erwachsenen Generation angehörig, erleben und vertreten sie auf ihre je eigene Art differenzierte Sichtweisen zur Körperlichkeit, die zu manchen Kontroversen führen, jedoch auch zum Nachdenken anregen.

Heppenheim, im Herbst 2023

1 Einleitung

Die körperlichen Wandlungen und Änderungen des Erscheinungsbildes

»Das Ich ist vor allem ein körperliches, es ist nicht nur ein Oberflächenwesen, sondern selbst die Projektion einer Oberfläche.« (Freud 1993 [1923], S. 266)

Das Ich findet seine Bedeutsamkeit im gegebenen Körper (Bürgin 2022) und dort seine Sprache (Lemma 2018). Dennoch ist der Körper vielfach der stille Begleiter (Hirsch 1989a, b), dessen Botschaften erst durch Schmerz, Erschöpfung, Krankheit oder Alter Bedeutsamkeit erlangen.

Wie beständig, stark und eindeutig körperliche und psychische Entwicklungen lebenslang aneinander gekoppelt sind, wird in besonderen Prozessen und Lebensereignissen (wie Geburt, Erkrankungen, Unfällen oder Tod) sichtbar, ist wohl aber nicht durchgängig präsent.

Menschen sind an ihren Körper gebunden, der lebenslange Entwicklung und Veränderung erlebt und dies auch nach außen präsentiert. Die Individualität des Körpers zeigt sich nicht nur in der Einmaligkeit des genetischen Ausdrucks, sondern im gesamten Habitus. Mit dem Körper sind wesentliche Erfahrungen verbunden. Das Erleben von Vitalität und körperlichem Austausch in Beziehungen sind nur zwei von vielen Aspekten. Freudvolle und schmerzliche Erfahrungen sind im Körper repräsentiert und schreiben ihre ganz eigene Körpergeschichte. Diese körperliche Biografie zeigt unser individuelles subjektives menschliches Sein.

Körperliche Veränderungen und Wandlungen sind im psychoanalytischen Verständnis verbunden mit primären Beziehungserfahrungen, die ihre jeweilige Repräsentanz finden. Sie spiegeln sich wider in der Wahrnehmung des Körperschemas, des Körperbildes und zeigen sich im Körpererleben sowie in der Körperidentität.

Zunehmend scheint diese Körperlichkeit jedoch nicht mehr als gegeben akzeptiert zu werden. Mode, Schminke, Diäten oder sportliche Disziplinierungen sind veränderbare Variablen in der Körpergestaltung. Doch häufiger finden modifizierende – und damit irreversible – Veränderungen am Körper statt, die Körperlichkeit herstellen sollen. Der Körper wird in seiner Gestaltung zur Bühne des inneren und äußeren Geschehens und inszeniert, was er möglicherweise doch zu verbergen sucht.

Nun ist die körperliche Verwandlung ein Phänomen, das die Menschheit seit jeher beschäftigt. Tätowierungen und Verschönerungen am Körper durch Piercing oder andere Praktiken der Modifizierung einzelner Körperbereiche sind Jahrtausende alt. Sie sind verbunden mit religiösen Initiationsriten oder kultureller Identität.

In Europa dienten diese Praktiken wesentlich der Kennzeichnung und Identifikation zu bestimmten Subgruppen und Szenen (Pöhlmann et al. 2014). Gab es lange Zeit Vorbehalte gegenüber Personen, die ihren Körper aktiv verwandelten, so scheint dies – bis auf extreme Ausnahmen – heute keine Aufmerksamkeit mehr zu generieren.

Aus gesellschaftlicher historischer Sicht waren Körper, ihre Optimierung und Idealisierung immer schon verbunden mit Ansehen, Leistung und Disziplin. Normalität, Gesundheit und Schönheit – in den Vorstellungen des jeweiligen gesellschaftlichen Diskurses – waren und sind die (scheinbaren) Garanten für Identität (Backmann 2019; Möhring 2004; Wedemeyer-Kolwe 2004).

Das Streben nach körperlicher Optimierung, nach subjektiver Darstellung, körperlicher Selbstverbesserung oder gar Perfektionierung kann man als leitende Idee individueller und gesellschaftlicher Idealvorstellungen ansehen. Sie sind in viele Lebens- und Erfahrungsbereiche eingedrungen und können als mehr oder weniger verinnerlicht wahrgenommen werden (King et al. 2021a).

Die »Arbeit« am Körper und die damit einhergehende Lebensführung gelten heute allerdings eher als Gestaltung des subjektiven Selbst denn als Anpassung an eine gesellschaftliche Norm. Das Selbstbild soll den eigenen Vorstellungen des körperlichen Seins entsprechen. Der gegebene gesellschaftliche Imperativ, der Normen und Grenzen festlegt, tritt in den Hintergrund. So sind Menschen zunehmend selbstverantwortlich für ihren Körper. Schönheit und Individualität können selbstständig hergestellt werden und sind nicht mehr abhängig von genetischen oder krankheitsbedingten Vorgaben. Der perfekte Körper verspricht ein perfektes Leben.

Mit der Selbstoptimierung gehen zunehmend mehr – auf den Körper bezogene – Praktiken einher, die vielfach erst durch technische und medizinische Entwicklungen möglich werden. Körpermodifikationen haben stark zugenommen. Sie subsumieren Eingriffe am Körper, die auf langfristige oder dauerhafte Veränderungen abzielen (Borkenhagen und Brähler 2014).

Abgegrenzt, aber dennoch vielfach in Grenznähe zu Körpermodifikationen, ist destruktives Körperagieren zu verstehen. Die Verwendung des Körpers als Objekt, dem Selbstbeschädigungen zugefügt werden, steht zumindest bei den Essstörungen vordergründig häufig im Dienst der Disziplinierung und Schönheitsidee.

Soziologische Theorien, aber vor allem psychoanalytische Konzeptionen versuchen zum Verständnis von Körpermodifikationen und Körperdestruktionen beizutragen.

Dabei sind die psychologischen Konzeptionen von Ich und Selbst in der Entwicklung der Persönlichkeit bedeutsam. In den psychoanalytischen Theorien sind sie insbesondere bei Freud (1993 [1915]) in der Triebtheorie als Grenzbegriffe zwischen Psychischem und Somatischem zu verstehen. Trieb bezieht sich als ein psychosomatisches Konzept auf die wechselseitige Wirkung von Psyche und Soma aufeinander. Der körperlichen psychosexuellen Entwicklung kommt eine besondere Bedeutung zu. Schrittweise wird es in der Entwicklung von Ich und Selbst möglich, andere als differenzierte, vom Selbst unabhängige Personen zu erkennen. Sie können als Objektrepräsentanzen verinnerlicht bzw. das Objekt der Vorstellung sein. In der Konstanz verlässlicher Objekte entwickelt sich die Fähigkeit zur Symbolisierung. Sie ist Grundlage von Erinnerung, Fantasie, Erwartung und Vorstellung. Letztlich ist die Fantasie eng mit der Affekt- und Sprachentwicklung gekoppelt. Die Internalisierung von Objektrepräsentanzen sowie die Stufe der Symbolisierungsreife münden in Konzepte von Übertragung und Gegenübertragung. Abwehrformen und Widerstand gegenüber Veränderungsprozessen schützen vor unaushaltbaren Affekten (Storck 2021).

In diesem Buch soll den Phänomenen der Körpermodifikationen und der Körperdestruktivität nachgegangen werden.

Inwiefern Körpermodifikationen und Optimierungen Ausdruck des subjektiven Selbst oder innerer destruktiver behandlungsbedürftiger Zustände sind, wird anhand psychoanalytischer Konzepte beleuchtet. Übergangsphänomene und Symboliserungsprozesse stellen vertiefte Entwicklungsphasen dar und können als Rahmen für die diagnostische Einordnung verwendet werden.

Die Konzentrative Bewegungstherapie sucht – stärker als die reinen Gesprächstherapien – die Geschichte des subjektiven Körpers zu verstehen. Psychosomatische Krankheitsbilder oder Störungsmuster stehen im Fokus der Behandlungen. Körpererfahrungen und Körpererinnerungen sind maßgeblich für die Anamnese. Auf dieser Grundlage werden psychodynamisch und phänomenologisch Behandlungskonzepte entwickelt, die es den Patient:innen ermöglichen, sich in einem grundlegenden und sorgfältigen Prozess selbst zu verstehen und anzunehmen. Der Körper wird in Ruhe, Bewegung und Ausdruck als einzigartig angesehen.

Die KBT widmet dem Phänomen der Körpermodifikation und Körperdestruktivität besondere Aufmerksamkeit im behandlungs- und störungsspezifischen Kontext. Als körperpsychotherapeutisches Verfahren ist die KBT in vielen psychosomatischen, psychiatrischen und psychotherapeutischen Kliniken oder in ambulanten Praxen vertreten. Insofern schauen Therapeut:innen der KBT aufgrund ihrer Ausbildung und des Tätigkeitsbereiches eher auf die psychischen Hintergründe, Auswirkungen und Störungen der Versuche, den Körper zu nutzen.

Hier soll jedoch auch der gesamtgesellschaftliche Kontext mitgedacht werden. Ob und warum Menschen mit dem Wunsch nach Körpermodifikation eher in der schönheitschirurgischen Klinik oder in der (körper-)psychotherapeutischen Behandlung ankommen, ist nicht unerheblich. Dies soll keineswegs in Abrede stellen, dass bestimmte Formen der Körpermodifikationen subjektives Körper- und Selbsterleben steigern oder erhalten können. Doch grundsätzlich wird dieses Phänomen im Folgenden kritisch, differenziert und aus psychodynamischer Sicht betrachtet. Der sich beschleunigenden Selbstoptimierung wird die weitaus entschleunigende Sicht auf das Selbst-Sein gegenübergestellt.

Psychoanalytische Konzeptionen dienen als Basis KBT-spezifischer Theoriebildungen und sind handlungsleitend für den Aufbau körperpsychotherapeutischer Behandlungen. Das Verständnis für körperliche Entwicklungen basiert auf körperlich-analytischen Theorien. Den verschiedenen psychologisch-analytischen Theorien können KBT-spezifische Begriffe zugeordnet werden, welche die Ansätze der Konzentrativen Bewegungstherapie fundieren.

Im folgenden Kapitel 2 wird zunächst die Konzentrative Bewegungstherapie in ihren Grundzügen dargestellt.

Anschließend werden in Kapitel 3 die psychoanalytischen Konzeptionen von Trieb, Ich-Psychologie, Selbst-Psychologie, Objektbeziehungstheorien und Verführungstheorien im Kontext von körperlicher/leiblicher Entwicklung abgehandelt. Dabei werden psychoanalytische Theorien mit KBT-spezifischen Terminologien verbunden. Sowohl die unausgereifte Entwicklung als auch die Regression auf frühe körperliche Zustände werden im Kontext von Körpermodifikationen, Essstörungen und destruktivem Körperagieren untersucht. Ebenso wird die Bedeutung von Traumatisierungen auf das Erleben und die Beschädigungen des Körpers beleuchtet.

In Kapitel 4 werden soziologische Annahmen zu Körpermodifikationen mit analytischen Theorien verbunden. Körper sind immer auch durch die gesellschaftlichen Vorgaben geprägt. Dieser Aspekt darf im Zeitalter medialen Konsums nicht außer Acht gelassen werden.

Kapitel 5 vertieft die KBT-spezifischen behandlungsleitenden theoretisch-methodischen Aspekte. Diese beziehen sich auf die körperliche (Gegen-)Übertragung, die Symbolisierung, auf Abwehrmechanismen und Widerstandsphänomene sowie auf die diagnostische Differenzierung zwischen Konflikt, Struktur und Trauma.

In Kapitel 6 werden körperpsychotherapeutische Aspekte der Sicht auf Körpermodifikationen und Körperdestruktionen anhand von Praxisbeispielen erläutert. Insgesamt erhebt die KBT den Anspruch, das körperliche Selbst – den Menschen in seiner Gesamtheit – zu sehen, zu verstehen und subjektive Leiblichkeit zu fördern. In diesem psychodynamischen Sinne, ergänzt durch soziologische und kulturwissenschaftliche Aspekte, soll mit den Klient:innen und Patient:innen ein Bewusstsein für den Hintergrund oder das Unterbewusste der Körpermodifikationen und besonders der Körperdestruktivität geschaffen werden. Bindungsstile, Selbstwerterleben, Traumatisierungen, Körperwahrnehmung und Symbolisierungsfähigkeit sind nur einige Begriffe, die erklärt und mit heilenden körperpsychotherapeutischen Angeboten in Verbindung gebracht werden. Dabei wird dem verkörperten Selbst und dem Leib-Körper-Dualismus, letztendlich den leiblichen Erfahrungen unter psychodynamisch-psychosomatischen Aspekten besondere Aufmerksamkeit geschenkt. KBT-spezifische Konzeptionen für die Behandlung von Patient:innen mit (komplexer) Posttraumatischer Belastungsstörung, mit Essstörungen und chronischem Schmerzerleben wurden von mir ausgearbeitet und sind hier dargestellt. Insbesondere erfolgt die Sicht auf die Essstörungen an dieser Stelle im spezifischen Kontext von Traumatisierungen und körperaggressivem Verhalten. Damit unterscheide ich mich in meinen Ausführungen von jenen Konzepten, welche die Bindungs-, Entwicklungs- und Mentalisierungsstörungen in den Fokus rücken (Zeek und Euler 2023).

Kapitel 7 stellt die Besonderheit und Notwendigkeit der körperlich/leiblichen Berührung für die KBT als behandlungsleitend heraus. Therapeutisch heilende Erfahrungen können (nur) in der direkten Berührung stattfinden, um so das subjektive körperliche Selbst-Sein zu stärken. Dieser besondere KBT-spezifische Behandlungsaufbau wird ausführlich beschrieben und durch die Darstellung zahlreicher KBT-Angebote vertieft.

Letztlich stellt sich die Frage, welche inneren und äußeren Motive Körpermodifikationen, körperdestruktives Verhalten und Essstörungen begünstigen. Im Zusammenhang psychotherapeutischer bzw. psychosomatischer Behandlungen ergeben sich daraus sowohl diagnostische Kriterien als auch Leitlinien zum therapeutischen Vorgehen in der KBT.

2 Konzentrative Bewegungstherapie

2.1 Methodisch-praktische Grundlagen(1)

Die Konzentrative Bewegungstherapie (KBT) ist ein körperorientiertes, psychotherapeutisches Verfahren, das Wahrnehmung und Bewegung als Grundlage von Erfahrung und Handeln nutzt.

Dieses Prinzip basiert auf der Gestaltkreislehre(1), die von Viktor v. Weizsäcker (1986 [1940]) entwickelt wurde. Das Erleben von Bewegung, das äußerliche und damit auch das innerliche Bewegt-Sein, das »Auf-dem-Weg-Sein« entfalten ihre Wirkung im therapeutischen Raum und in der Begegnung mit anderen Menschen:

»Das bedeutet, dass Patient:innen sich schrittweise entfalten bei der Überwindung tatsächlicher und/oder phantasierter äußerer oder innerer Hemmnisse.« (Jahresprogramm DAKBT 2023, S. 9)

Unmittelbare Sinneserfahrungen werden mit psychoanalytisch und psychodynamisch orientierter verbaler Bearbeitung verbunden. Durch die konzentrierte Hinwendung auf das eigene Erleben werden Erinnerungen belebt, die sich körperlich in Haltung, Bewegung und Verhalten ausdrücken. Das Körperliche bildet die Grundlage und das Beziehungsfeld für individuell-eigengesetzliche, physische, psychosomatische und psychische Abläufe. Die Problematik wird »begreifbar«. Dies kann durch die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Körpererfahrung oder durch verbale Bearbeitung des Erlebens geschehen, das aus der bewussten und vorbewussten Lebensgeschichte auftaucht (DAKBT 2023).

In der Aufforderung zur Wahrnehmung und Bewegung können sich die Patient:innen in ihrer (körperlichen) Subjektivität erleben. Sie werden konsequent darin unterstützt, einen wachen, erfahrbereiten Bewusstheitszustand zu erreichen. In der KBT-Gruppentherapie wird ein Spiel-, Handlungs- und Erfahrungsraum geschaffen, in dem die Beziehungsfähigkeit zu sich selbst, zum eigenen Körper, zu Affekten, zu Gegenständen, zu Raum und Zeit (Umwelt) sowie zu anderen Personen gefördert wird.

In der strukturierten Leibarbeit erleben sich die Patient:innen liegend, sitzend, stehend und gehend. Sie werden angeleitet, sich tastend und spürend zu erforschen. Die Differenzierung der Körperlandschaft entfaltet sich im therapeutischen Prozess. Auf dieser Ebene können frühe Traumatisierungen wiedererinnert und in der Folge bearbeitet werden. Die Verbindung zwischen vegetativen Reaktionen, Affekten und kognitiver Bearbeitung wird unmittelbar erlebt. Affekte werden als aktive Tätigkeit der Hinwendung zur inneren Bewegung verstanden. Neue selbstbestimmte positive Erfahrungen werden möglich. Körperbezogenes Erleben wie Sinneswahrnehmung, Bewegung, Interaktion mit belebten und unbelebten Objekten wechseln sich mit verbalen Phasen ab.

Als Gegenstand kann prinzipiell jedes Objekt des Alltags und der Natur verwendet werden. Typische Gegenstände der KBT sind beispielsweise Bälle, Stäbe, Seile, Decken, aber auch Holzkugeln, Muscheln oder Murmeln. Die Ebenen der Arbeit mit den Gegenständen sind die Real- und Sinneserfahrung des Objektes, die Wahrnehmung des Körpers mithilfe des Gegenstandes, die intermediäre Erfahrung in einer Beziehung sowie die Symbolisierung.

Am Beispiel des Holzstabes kann zunächst dessen Struktur in Material, Form und Temperatur erfasst werden. Gleichzeitig lassen sich in diesem Prozess bereits Erinnerungen auslösen. In der Wahrnehmung des Körpers durch den Stab werden die Strukturen der Knochen, der Muskeln, des weichen Körpergewebes und der Haut erlebbar. Gleichzeitig werden die Körpergrenzen bewusst. Die Beziehungsaufnahme mit dem Stab zu anderen Personen kann spielerisch, behutsam, aber auch hart oder kräftig initiiert werden. Der Stab kann haltgebend und stützend erlebt werden, aber auch bedrohlich. In aller Regel reinszenieren sich in dem Erleben Eigen- und Objektwahrnehmungen, die affektiv besetzt sind. Aufgrund der Analogie des Geschehens in der frühkindlichen Entwicklung und des therapeutischen KBT-Prozesses eröffnet sich ein Zugang zu abgewehrten frühkindlichen Konflikten, der so in den rein verbalen Therapieformen nicht möglich ist.

Die Gestaltung und Reflexion der Beziehung zu anderen Personen sind wesentliche Grundlagen der Konzentrativen Bewegungstherapie. Die KBT hat sich als gruppentherapeutisches Verfahren entwickelt. Positive oder negative Beziehungserfahrungen spiegeln sich unmittelbar in der therapeutischen Situation wider.

Beispielsweise wird im Umgang mit einem Ball sofort sichtbar, ob Patient:innen positive, lebendige, spielerische frühe Erfahrungen verinnerlicht haben. Sie sind dann in der Lage, schnell eine kreative Kontaktaufnahme zu anderen zu initiieren, während andere Patient:innen unlebendig wirken oder sogar schreckhaft vor der Energie eines Ballkontaktes zurückweichen.

Die therapeutische Beziehung ist geprägt durch eine emotionale Anteilnahme, die Einleitung eines subjektiven Verstehensprozesses, aber auch durch die Förderung neuer Möglichkeiten des Handelns und der Beziehungsaufnahme. Das Erproben im geschützten Raum sowie das Lernen am Modell sind bedeutende Gruppenwirkfaktoren.

2.2 Geschichte und Entwicklung(1) des Verfahrens

Die Anfänge der KBT sind im Kontext der Lebensreformbewegung(1) und der mit ihr einhergehenden Körperkulturbewegung(1) (Wedemeyer-Kolwe 2004) anzusiedeln, die als gesellschaftliche Phänomene dem Körper, seiner Gestaltung und Selbstkontrolle, aber auch der Einheit von Körper, Geist und Seele besondere Aufmerksamkeit schenkten.

Die Aufwertung des Körpers kann unter verschiedenen Aspekten verstanden werden: Zum einen gingen die Anhänger der Körperkulturbewegung davon aus, dass die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Industrialisierung ihren Körper schwächten und degenerierten. Dagegen wurde das antiindustriell aufgewertete reformerische Körperbild der Körperkultur mit Natürlichkeit, Authentizität und Individualität verknüpft. Zum anderen galt die Annahme, dass durch die Ausbildung eines gesunden Körpers auch gesellschaftliche und soziale Probleme gelöst werden können. Ziel der Praktiken der Körperkultur war nicht die Leistung durch den Körper, sondern die gesamthafte Ausbildung des Körperbildes (Möhring 2004).

Während der Lebensreformbewegung im beginnenden 20. Jahrhundert entwickelten sich die Ansätze der Psychoanalyse entscheidend weiter. Diese stellten die rationalen, wissenschaftsgläubigen, vernunftorientierten Denkmuster der Aufklärung infrage und beschrieben ein Menschenbild mit archaischen Wahrnehmungs- und Sinnbildungsfähigkeiten mit schwer vorhersehbaren Wirkungen. Das (kollektive) Unbewusste bekam eine besondere Bedeutung. Die in der KBT vorgenommene Verknüpfung des freiheitlichen Körpererlebens mit der Psychoanalyse ist somit auch aus historischer Sicht konsequent (Backmann 2019).

Elsa Gindler (1885–1961) entwickelte eine Form der Gymnastikarbeit, welche die »Konzentration« auf die Selbstwahrnehmung und das Selbsterleben in den Fokus rückte. Dabei ging es darum, einen subjektiven körperlichen Ausdruck zu erlangen, der dem inneren (psychischen) Ausdruck entsprach (Arps-Aubert 2010).

Während der Zeit des Nationalsozialismus schlossen sich viele Schulrichtungen der Rhythmischen Gymnastik dem Deutschen Gymnastik-Bund an. Viele Lehrer:innen mussten aufgrund ihrer jüdischen Herkunft emigrieren oder arbeiteten zurückgezogen von der Öffentlichkeit weiter, so auch Elsa Gindler (Backmann 2019).

Gertrude Heller (1892–1984), eine ihrer Schülerinnen, arbeitete mit den erworbenen Kenntnissen in einer schottischen Klinik mit psychisch kranken Patient:innen und entwickelte daraus einen pädagogisch therapeutischen Ansatz, indem sie bereits das Wahrnehmungs- und Bewegungserleben mit psychodynamischen Ansätzen verband. Im Kontakt mit Dr. Helmut Stolze fand dieses Konzept zwischen 1959 und 1962 erstmals Eingang bei den Lindauer Psychotherapiewochen (Schreiber-Willnow 2016). Miriam Goldberg setzte diese Tradition fort.

In den folgenden Jahren bewährte sich die KBT in den psychosomatischen Kliniken. Zu den klinischen Pionieren gehörten Christine Gräff und Dr. Ursula Kost. Zusammen mit weiteren KBT-Kolleg:innen wurde die KBT durch ein experimentelles Erproben zur »Methode«. Ihren sperrigen, aber dennoch treffenden Namen erhielt sie durch Dr. Helmut Stolze. Auf Initiative von Dr. Ursula Kost wurde 1977 der »Deutsche Arbeitskreis für Konzentrative Bewegungstherapie« gegründet, unter dessen Dach bis heute die Weiterbildung und Forschung durchgeführt und weiterentwickelt wird. Inzwischen hat sich die Methode im europäischen Raum unter dem Dachverband des »Europäische Arbeitskreises für Konzentrative Bewegungstherapie« etabliert.

Dr. Helmut Stolze und Dr. Hans Becker sahen die KBT im psychotherapeutischen Kontext und gaben ihr eine psychodynamische/psychoanalytische theoretische Fundierung (Becker 2019; Stolze 1989).

2.3 Theoretische Grundlagen(1)

Historisch gesehen entwickelte die KBT ihre Ansätze und Vorgehensweisen aus der Bewegungsschulung, die auf Elsa Gindler zurückgeht (Arps-Aubert 2010). Die subjektive Menschenbildung stand im Fokus. Die wissenschaftlichen Grundannahmen wurden anhand der Methodik reflektiert.

Ausgehend von der Gestaltkreislehre (von Weizsäcker 1986 [1940]) werden Bewegung und Wahrnehmung als Vorstufe und Bedingung von Denken und Sprechen in einer beständigen Wechselwirkung verstanden (Stolze 2005). Entwicklungspsychologisch ist vor allem die Phasenlehre zur Entwicklung der Intelligenz (Paluselli 2006; Piaget 1992 [1947]) von Bedeutung, in der die frühen Entwicklungsphasen der sensomotorischen Intelligenz und des vorbegrifflich-symbolischen Denkens grundlegend für formales Denken gesehen werden. Die KBT unterstützt durch die Förderung der Sensomotorik damit grundlegend den Denkprozess, der für die rein verbalen Psychotherapien Voraussetzung ist. Ausgehend von den phänomenologisch-philosophischen Grundlagen des subjektiven Leibes (Fuchs 2020; Merleau-Ponty 1974; Waldenfels 2016) entwickelt die KBT ihre Angebote zwischen leiblicher Wahrnehmung, Wahrnehmung und Gestaltung des zwischenleiblichen Raumes und persönlichem subjektivem Ausdruck (Backmann 2021). Frühe körperliche und psychische Erfahrungen haben Einfluss auf die Hirnentwicklung, auf die Verarbeitung von Stress und die Bedeutung emotionaler Reaktionen (Grawe 2004; Hüther 2013; Müller 2022). Der Körper ist das Fundament des bewussten Geistes. Selbststrukturen sind unauflöslich mit dem Körper verbunden. Ursprüngliche Gefühle, die für die Erfahrung des eigenen lebendigen Körpers sorgen, sind das elementarste Produkt des Selbstbewusstseins (Damasio 2013, 2017). Tiefenpsychologische Fundierung (Becker 2019), Objektbeziehungstheorien (Bowlby 2016; Kernberg 1992; Klein 1994; Spitz 1988; Winnicott 1989) sowie die Säuglingsforschung (Dornes 1992; Stern 1992) fokussieren die Bedeutung der Bindung zu frühen Primärpersonen. Durch die unmittelbare Berührung können frühe Formen des Selbstempfindens erinnert und der Verbalisierung zugänglich gemacht werden. Der KBT liegt eine wissenschaftliche klinische Evidenz zu Grunde (Schreiber-Willnow 2010, 2016; Seidler et al. 2020).

2.4 Diagnostik(1)

Die KBT orientiert sich mit ihrer Diagnostik im Wesentlichen an der ICD-10/11-Klassifikation1 (Dilling und Freyberger 2019) sowie der OPD-3 (Arbeitskreis OPD 2023). Während in der OPD-3 für die Konfliktachse jeweils ein Item »Körper/Sexualität« ausgeführt wird, bleibt der Körper auf der Strukturachse weitgehend außen vor. Lediglich in der Kategorie der »Emotionalen Fähigkeit: Kommunikation nach innen« wird das »Körperselbst« als Unterpunkt angeführt. Vor dem Hintergrund der »Operationalen Psychodynamischen Diagnostik« (OPD) hat die KBT eine spezifische diagnostische körperpsychotherapeutische Leitlinie entwickelt, die sowohl zusätzliche Aspekte wie »Körperselbst und Körperphänomene« und »Symbolisierungsfähigkeit« als auch die strukturellen Fähigkeiten der OPD-3, Achse IV, anhand körperlicher Phänomene beschreibt (DAKBT/ÖAKBT 2016)

2.5 Die Bedeutung der Gruppentherapie(1)(1) in der stationären psychosomatischen Behandlung(1)

Die Konzentrative Bewegungstherapie ist fester Bestandteil im multimodalen Setting psychosomatischer Kliniken. Dies ist in der Richtlinie zur Personalausstattung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (2021) beschlossen worden.

Die KBT nutzt die körperliche Wahrnehmung, um die psychischen Belastungen zu verstehen. Durch das körperlich erlebende Verfahren wird ein basaler Zugang zur Selbst- und Affektwahrnehmung geschaffen, der als Grundlage psychotherapeutischen Arbeitens angesehen werden kann. In der KBT wird kontinuierlich die Möglichkeit eröffnet, vor- und außersprachliches Geschehen in Worte zu fassen. Erinnerungen werden häufig über das körperliche Gedächtnis belebt und damit einer weiteren Bearbeitung zugänglich, die – je nach erinnerten Inhalten – sowohl in der KBT-Gruppe als auch in den Einzeltherapien vertieft verstanden werden können. Der Körper wird grundsätzlich als der Ort des psychischen Geschehens verstanden. Durch jede bewusste Wahrnehmung werden Körper und Psyche gesamthaft als Einheit angesprochen.

»In der gruppendynamischen Gruppe leitet der Therapeut die Gruppe bei der Ausführung der Aufgaben an, ihr eigenes Verhalten zu beobachten und daraus zu lernen.« (Mattke et al. 2011, S. 107)

Insgesamt ist davon auszugehen, dass sich im interaktionellen Raum aktuelle und frühere Beziehungsgestaltungen überlagern und dass intrapsychische Erfahrungen die Beziehungsdynamiken steuern. Die Gruppe bietet dabei eine Vielzahl von Objektwechseln in den Übertragungsprozessen, sodass die sich entwickelnden Affekte sowohl emotional als auch kognitiv-selbstreflexiv verarbeitet werden müssen, um eine konstruktive Gruppenatmosphäre zu schaffen, in der alte Beziehungsformen verstanden und neue Beziehungsformen reflektiert werden können (Mattke et al. 2011).

Die KBT hat sich als gruppenpsychotherapeutisches Verfahren in den psychosomatischen Kliniken in einem tiefenpsychologisch-analytischen Kontext entwickelt (Carl 2016). Dazu sind szenisches und phänomenologisches Verständnis notwendig (Lorenzer 2002). In der Konzentrativen Bewegungstherapie erfolgt Psychotherapie durch die Gruppe. Konsequent werden leibliche interaktionelle Erfahrungen angeregt und verbal reflektiert. Neue Formen der Beziehungsgestaltungen können unmittelbar handelnd erprobt werden.

Neben den beschriebenen allgemeinen Wirkfaktoren der psychodynamischen Gruppentherapien (König 2012; Mattke et al. 2011; Strauß und Mattke 2012; Yalom 2015) gelten für die KBT darüber hinaus weitere Aspekte (Backmann 2021; Carl 2016; Schreiber-Willnow 2012):

Durch die Betonung der körperlichen Dimension der Erfahrungen werden Abwehrmechanismen wie Rationalisierung und Intellektualisierung eingeschränkt.

Die Möglichkeit des »Für-sich-Seins« in der Gruppe fördert die Selbstwahrnehmung bei gleichzeitigem Eingebunden-Sein und damit atmosphärisches Erleben, das in vorsprachliche Bereiche des impliziten Gedächtnisses zurückführen kann.

Der ständige Wechsel zwischen leiblicher Wahrnehmung, Symbolisierung und verbaler Reflexion ermöglicht ein Verständnis für das ganzheitliche subjektive Selbst.

Der Wechsel zwischen Selbst- und Objektwahrnehmung in KBT-Angeboten mit Partner:innen oder in der Gruppe verstärkt die Objektübertragungen, die Spiegelphänomene und die Mentalisierung.

Das aktive Spielen ermöglicht (sensomotorische) Nachreifung.

Die Gestaltungs- und Symbolisierungsprozesse (im Umgang mit Gegenständen) ermöglichen sowohl die Auseinandersetzung mit inneren Anteilen als auch die Distanzierung und deren Neustrukturierung.

Die Therapeut:innen der KBT beeinflussen mit ihren Interventionen und ihrem Leiblich-zur-Verfügung-Stehen aktiv das Gruppengeschehen.

Durch das »Abschauen« ergeben sich neue Sichtweisen, die handelnde Lösungen ermöglichen.

Auf der Grundlage der vorherrschenden Gruppendynamik muss ein KBT-Angebot entwickelt werden, das je nach Strukturniveau der Gruppe sehr frei oder unter engmaschiger verbaler Anleitung erfolgt. Ausgehend von der körperlichen Wahrnehmung können Affekte, Impulse, Fantasien oder Erinnerungen aufgegriffen werden. Wesentlich ist in diesen Gruppentherapien die Hilfestellung zur Übersetzung von Körper- und Beziehungswahrnehmung, von Symptomen und Phänomenen in die verbale Sprache. Der körperpsychotherapeutische Prozess soll entängstigend wirken und neugierig machen auf das eigene (körperliche) Selbst und auf die Objektwelt. Damit werden häufig erst einmal die Grundlagen zur psychotherapeutischen Behandlung geschaffen (Backmann 2021)

2.6 Die Bedeutung der Einzeltherapie(1)(1) im stationären und ambulanten Setting(1)

Im stationären und ambulanten Setting wird die KBT auch in Einzeltherapien durchgeführt. Sie dient damit zum einen der Erweiterung der Gruppentherapien, zum anderen als multimodaler Baustein, um die körperlichen psychosomatischen Aspekte stärker zu behandeln. Die Einzeltherapien haben sich in der KBT vor allem im Zusammenhang mit der Behandlung von Traumafolgestörungen etabliert. Dafür wurden Ansätze zur körpertherapeutischen Arbeit entwickelt. In den Einzeltherapien besteht verstärkt die Möglichkeit, auf die zumeist über den Körper erfahrenen Traumatisierungen einzugehen.

Im ambulanten Setting werden die Einzeltherapien als eigenständige Therapieform der KBT angeboten oder als Ergänzung zu den Gesprächstherapien von den Patient:innen genutzt.

3 Psychoanalytische Konzepte(1) und Körper(1)(1)

Die psychoanalytischen Konzepte und die damit einhergehenden Phänomene werden an dieser Stelle in ihrem Bezug zum Körper dargestellt. Dabei haben die entwicklungspsychologischen Konzepte der Psychoanalyse (Staats 2021) eine hohe Relevanz für das Verstehen der Entwicklung psychosomatischer Störungen. Zusammen mit der gängigen medizinischen und psychodynamischen Diagnostik (ICD-10, OPD-3) und den störungsspezifischen Modellen bilden sie die Grundlagen für die Konzentrative Bewegungstherapie sowie spezifische therapeutische Behandlungsmaßnahmen und begründen somit das methodische Vorgehen. Im Fokus steht das Interesse an Beziehungen und deren Entwicklung, die sich im gruppen- und einzelspezifischen Kontext auf der körperlichen Ebene zeigen. Das Verstehen des intra- und interpersonellen Beziehungsgeschehens bildet die Grundlage für Bearbeitung und Überwindung teils sehr früher Störungsmuster.

Zum einen werden über die Körperwahrnehmung Erinnerungen geweckt, die ressourcenorientiert genutzt werden können, zum anderen lassen sie Störungsmuster und Traumatisierungen erkennen. In diesem Sinne können sichtbar gewordene Themen der therapeutischen Bearbeitung zugänglich gemacht werden. Patient:innen verstehen ihre körperlichen Reaktionsweisen und können einen Zusammenhang zu psychischem Erleben herstellen.

Zum anderen werden auf der Grundlage phänomenologischer und diagnostischer Beschreibungen gezielt körperpsychotherapeutische Anwendungen (Angebote) ausgewählt, die Möglichkeiten bieten, die Störungen zu überwinden und den Körper (wieder) selbst zu besetzen.

Im Folgenden soll dargestellt werden, wie die psychoanalytischen Konzepte als Grundlage der Konzentrativen Bewegungstherapie verstanden werden können. Diese Konzepte werden mit körperbezogenen Begriffen verknüpft sowie anhand KBT-spezifischer Angebote dargestellt und vertieft. Dabei habe ich folgende Systematisierung angenommen:

Ich-Trieb und psychosexuelle Entwicklung

Ich-Psychologie und Körperschema

Selbst-Psychologie und Körperselbst/Körperbild

Objektbeziehung und Körpererleben

Verführungstheorie und Körperidentität

In der Triebtheorie und der mit ihr einhergehenden psychosexuellen Entwicklung werden die auf den Körper bezogenen Anforderungen beschrieben. Die Ich-Psychologie wird in ihrer funktionalen Annahme des Körpers beschrieben und mit der Entwicklung des Körperschemas, also den perzeptiv-kognitiven Möglichkeiten der Selbstwahrnehmung, verknüpft. Die Selbst-Psychologie wird auf die Entwicklung des Körperselbst/Körperbildes bezogen. Die Qualität der körperlichen Beziehung mit ihren Auswirkungen auf das Körpererleben wird den Objektbeziehungstheorien zugeordnet. Letztlich wird in Verknüpfung zu den Verführungstheorien von Laplanche (2017b) auf die (sexuelle) Körperidentität fokussiert.

3.1 Freud: Ich-Trieb(1) und psychosexuelle Entwicklung(1)

Bei Freud ist die Verwendung der Begriffe Ich und Selbst eher einheitlich (Storck 2022a). Jedoch beschreibt er die Bildung von Ich und Selbst in einer körperlich psychosexuellen Entwicklung (Freud 1993 [1923]). Körperliche Empfindungen (Interozeptionen wie Schmerz oder Hunger), aber auch Berührungserfahrungen lassen den eigenen Körper als Wahrnehmungswelt erleben. Zugleich wird die Berührung als Erfahrung der Körpergrenze – in der Umgrenzung sowie in der Trennung – erlebt:

»Der eigene Körper und vor allem die Oberfläche desselben ist ein Ort, von dem gleichzeitig äußere und innere Wahrnehmungen ausgehen können. Er wird wie ein anderes Objekt gesehen, ergibt aber dem Getast zweierlei Empfindungen, von denen die eine einer inneren Wahrnehmung gleichkommen kann.« (Freud 1993 [1923], S. 265 f.)

Freuds psychoanalytisches Triebmodell(1) (Freud 1991 [1905]) basiert auf den beiden Facetten Sexualität und Aggression/Destruktivität. Dem Trieb(1) gehört das Konstante oder eine kontinuierliche Kraft an, die Beständigkeit aufweist und sich dadurch von Instinkten, Motiven oder Wünschen unterscheidet (Storck 2018). Das »Triebschicksal« ist der mächtigste Organisator für die Entstehung und Selbstkategorisierung sexueller Identität (Freud 1991 [1905]). Freud hat seine Konzepte zur Triebtheorie vielfach überarbeitet. Er stellt jedoch als grundlegenden Sachverhalt heraus, dass das Begehren konflikthaft angelegt und dem Bewusstsein weitgehend entzogen ist (Quindeau 2014). Der Trieb kann aber auch als psychosomatisches Konzept verstanden werden, da dieser zwischen Psychischem und Körperlichem steht. Der Trieb wird als psychische Repräsentanz der aus dem Körperinnern stammenden, in die Seele gelangenden Reize formuliert. Triebquellen sind Körperbereiche oder Organe, an denen sich Erregung oder Beruhigung ereignet. Daraus entwickelt sich das Konzept der erogenen Zonen. Die erogenen Zonen(1) sind in der Kindheit besonders leitend, da die infantile Sexualität sich gesamthaft auf das Lust- und Unlustempfinden am Körper bezieht und nicht eingegrenzt ist auf genital-sexuelle Körperbereiche. Zum einen ist das Triebmodell somatisch (biologisch-instinkthaft) verankert, zum anderen ist die Befriedigung der (körperlichen) Grundbedürfnisse mit sinnlichen Erfahrungen in einer Beziehung verbunden (Storck 2018). Das Lustvolle oder auch das Versagende ist prägend für die Psychosexualität.

Rudolf (2020) beschreibt analog zur triebbezogenen Psychoanalyse die basalen Grundbedürfnisse, deren Befriedigung oder Frustration zu Konflikten führt. Dabei benennt er die Gewissheit von guten versorgenden Beziehungen oder deren schmerzhaftem Fehlen (orale Phase), die Gewissheit der eigenen Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeit oder dem hilflosen Ausgeliefertsein (anale Phase) sowie die Gewissheit der eigenen psychosexuellen und sozialen Identität oder deren Uneindeutigkeit (ödipal genitale Reifung).

Das Triebmodell bezieht sich als psychosomatisches/psychoanalytisches Konzept auf die Entwicklungsstufen sexueller Reifung.

Nachfolgend werden die Stufen der psychosexuellen Entwicklung kurz skizziert (→Mertens 1994a, b; in Anlehnung an Freud 1991 [1905]) und mit KBT-Angeboten verknüpft.

3.1.1 Stufen der psychosexuellen Entwicklung(1) – Erstes bis sechstes Lebensjahr

Erstes Lebensjahr: Orale Phase(1)(1)

Die erste Trennungs- und Individuationsphase ist die Differenzierungsphase mit der Entwicklung des Körperschemas. Das Explorieren – die Lust auf neue Erfahrungen – hängt sehr mit dem Vertrauen und der Verfügbarkeit der Mutter zusammen. Es entwickelt sich ein Gefühl des eigenen Selbst. Das »körperliche Handlungsgedächtnis«, in dem die sensomotorischen und affektiven Erfahrungen gespeichert werden, ist im ersten Lebensjahr besonders wichtig. Diese Phase ist geprägt durch die Interaktionen bei der Nahrungsaufnahme, den Stillvorgang, das Füttern, die Entdeckung der Mundhöhle mit der Zunge, das Erkunden der Welt mit dem Mund und erste lallende und brabbelnde Töne. Die erogenen Zonen sind die Lippen, die Zunge und die Mundschleimhäute. Sie sind verbunden mit psychischen Repräsentanzen des Aufnehmens und »In-sich-Haltens«.

ÜBUNG KBT-Angebot: Mundraum(1)

Bitte nehmen Sie das Öffnen und Schließen des Mundes wahr. Spüren Sie beim Öffnen des Mundes, wie sich die Kiefergelenke bewegen? Versuchen Sie, die Zahnreihen in unterschiedlichen Qualitäten zu öffnen und zu schließen. Nehmen Sie wahr, wie sich die Lippen voneinander lösen und sich wieder berühren. Bemerken Sie, wie die Zunge in der Mundhöhle ruht. Sie können mit der Zunge auch den gesamten Mundraum ertasten. Suchen Sie nach einer Form, wie Sie den gesamten Mundraum entspannt und gelöst wahrnehmen können. Können Sie Feuchtigkeit und Wärme spüren? Vielleicht nehmen Sie auch Ihren Schluckreflex wahr.

Bitte bemerken Sie, wie Sie durch den Mund ein- und ausatmen können.

Versuchen Sie, mit Mund und Lippen verschiedene Formen auszuprobieren, und achten Sie dabei auf Ihre Gesichtsmuskulatur.

Welche Geräusche können Sie mit den Zähnen und durch die Lippen entstehen lassen?

Theoretisch-methodische Reflexion

Durch das bewusste und selbstbestimmte Erkunden des Mundraumes kann eine libidinöse (Neu-)Besetzung erfolgen. Öffnen und Schließen, Aufnehmen und Verweigern, das Oszillieren von Innen und Außen kann wahrgenommen werden. Der Mund ist als erogene Zone mit sexuellen Erfahrungen verbunden. Haut und Schleimhaut sind mit besonders vielen Rezeptoren besetzt. Eine Sensibilisierung fördert Sinnlichkeit. Gleichzeitig besteht in diesem Angebot die Gefahr/oder die Möglichkeit, dass orale körperliche und sexuelle Traumatisierungen reaktiviert werden können. Diese müssen dann in Einzeltherapien bearbeitet werden.

Der Mundraum ist jedoch nicht nur mit (frühen) Erfahrungen der Nahrungsaufnahme und Erkundung der Welt verbunden, sondern auch mit der Formung von Tönen, die zu Sprache und verbaler Kommunikation befähigen. Das Aussprechen innerer Prozesse, Töne und Worte finden sind wesentliche Entwicklungsaufgaben in der KBT.

Dieses Angebot ist für alle Formen der Essstörungen(1) bedeutsam: die Verweigerung der Nahrungsaufnahme bei Anorexia nervosa, das unkontrollierte Verschlingen von Nahrung bei der Binge-Eating-Störung(1), das kompensatorische Erbrechen bei Bulimia nervosa(1) sowie bei Dysphagie (Schluckstörung).

Zweites Lebensjahr: Anale und urethrale Phase(1)(1)(1)

Mertens (1994a, b) spricht hier schon von einer frühen genitalen Phase. Es ist die »Übungsphase«, in der das Kind mehr und mehr Kontrolle über die körperlichen Funktionen gewinnt. Es gibt eine Verliebtheit in die Welt, in die eigene Größe und Allmacht – ein erstes Erleben einer von der Mutter getrennten Existenz. Die Fähigkeit zum symbolischen Spiel beginnt zwischen dem 15. und 18. Lebensmonat mit dem vorbegrifflich-symbolischen Denken (Piaget 1992 [1947]). Im zweiten Lebensjahr beginnt die Entwicklung der Sprache und reift die Erkenntnis, dass ein anderer Mensch »mich« erkennen kann. Das ist der Beginn des Umgangs mit besitzanzeigenden Fürwörtern. Die Kern-Geschlechtsidentität wird eingeordnet. In der Subphase der Wiederannäherung mit der Erkenntnis der Abhängigkeit von der Mutter und der Angst vor Liebesverlust entwickelt sich nun auch eine erste Geschlechtsrollenidentität.

ÜBUNG KBT-Angebot: Festhalten und Loslassen – Spannung und Entspannung(1)

Bitte nehmen Sie sich eine Handvoll Kastanien und spüren Sie, wie sich diese in Ihrer Hand/Ihren Händen anfühlen. Wie viele Kastanien passen in Ihre Hand? Wie fühlen sich die Kastanien in den Zwischenräumen der Finger und auf dem Handrücken an? Wie spielerisch können Sie mit den Kastanien umgehen und welche Geräusche entstehen?

Haben Sie Kindheitserfahrungen mit Kastanien gemacht, an die Sie sich erinnert fühlen?

Welche Strukturen können Ihre Hände ertasten, begreifen?

Was sagen die Kastanien über Ihre Hände aus? Haben Sie große oder kleine Hände? Können Sie zart tasten, streicheln und kräftig zupacken?

Nehmen Sie nun eine Kastanie in die Hand und schließen Sie die Hand, so fest Sie können. Wie können Sie die Anspannung in Ihrer Hand, in Ihrem Arm, im Rücken bis hinunter in die Beine spüren? Lösen Sie jetzt langsam die Anspannung und geben Sie der Entspannung Raum. Können Sie entspannen, ohne zu erschlaffen? Bitte probieren Sie es auch mit der anderen Hand.

Nun versuchen Sie, Ihre Hand so weit zu öffnen, dass die Kastanie zu Boden fallen kann, und spüren Sie diesem Geschehen nach. Sie können mit der Idee des Festhaltens und Loslassens experimentieren.

Falls Sie mögen, können Sie sich auch auf die Kastanie stellen und Ihre Kraft erproben. Wie viel Widerstand nehmen Sie wahr? Haben Sie den Eindruck, dass Sie die Kastanie zerbrechen können? Achten Sie auf diesen Prozess.

Entscheiden Sie nun, ob Sie die Kastanie behalten und mitnehmen oder ob Sie sie zurücklegen möchten.

Theoretisch-methodische Reflexion

Durch dieses Angebot werden phasenspezifische Themen wie Festhalten – Loslassen, Widerstand – Hingabe, Anspannung – Entspannung, Dosierung von Kraft, Impulswahrnehmung und Regulierung körperlich erfahren. Dies ist verbunden mit der Idee der Ich-Leistungen und der Möglichkeit zerstörerischer Aggression. Das Angebot richtet sich ebenfalls an Patient:innen mit Essstörungen(2), insbesondere mit Bulimia nervosa(2). Es ermöglicht, Spannungszustände wahrzunehmen und anders als durch Erbrechen zu regulieren. Ebenso ist es bedeutsam für Patient:innen mit destruktivem Körperagieren, da es die Möglichkeit bietet, Impulse wahrzunehmen und zu regulieren.

Drittes und viertes Lebensjahr: Präödipale genitale Phase(1)(1)