Korsika - Ferdinand Gregorovius - E-Book

Korsika E-Book

Ferdinand Gregorovius

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Beschreibung

Nur wenige Historiker des 19. Jahrhunderts waren so meisterhafte Erzähler wie Ferdinand Gregorovius, der vor allem durch seine berühmte «Geschichte Roms im Mittelter» unsterblich geworden ist. Auch Korsika hat er ein hinreißendes Buch gewidmet, in dem er von seinen Wanderungen auf der Insel erzählt und mit vielen Episoden und Anekdoten deren oft abenteuerliche Vergangenheit zu neuem Leben erweckt. Michael Krüger hat die schönsten in einer Auswahl zusammengestellt und ein bezauberndes Nachwort beigesteuert. Eine wunderbare Urlaubslektüre für jeden Korsikaliebhaber.

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Ferdinand Gregorovius

KORSIKA

Orte und Geschichten

Ausgewählt und herausgegebenvon Michael Krüger

C.H.BECK textura

Zum Buch

«Wer Korsika und seine Bewohner verstehen will, kommt auch heute nicht an dem klassischen Buch «Korsika» von Ferdinand Gregorovius vorbei. Auch wenn der immer noch anschwellende Tourismus eine Fülle von zum Teil erstklassigen Reiseführern hervorgebracht hat und die literarischen Bücher über die Insel nicht mehr an einer Hand abzuzählen sind, hat doch keiner die Intensität der Darstellung erreicht wie der aus Königsberg stammende, den größten Teil seines Lebens in Rom lebende Ferdinand Gregorovius.»  Michael Krüger

Über die Autoren

Ferdinand Gregorovius, geboren 1821 in Neidenburg (heute: Nidzica) in Masuren, studierte in Königsberg Theologie und Philosophie und ging mit 31 Jahren als Privatgelehrter und Journalist nach Rom, wo er seine bis heute berühmte «Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter» und seine «Wanderjahre in Italien» schrieb. 1875 zog der Ehrenbürger von Rom nach München. Bei C.H.Beck sind u.a. erschienen «Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter», 4 Bde., 21978 und «Wanderjahre in Italien» 51997.

Michael Krüger, geboren 1943 in Wittgendorf, Kreis Zeitz, war bis 2013 Lektor, Verleger, Zeitschriftenherausgeber und Schriftsteller in München; dann sechs Jahre Präsident der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Jetzt lebt er als freier Autor (und Münchner Ehrenbürger) in Allmannshausen.

Inhalt

Die Stadt Bastia

Gegend um Bastia

Über die Flora

Bracciamozzo, der Bandit

Die Vendetta

Die nächste Umgebung des Kap Corso

Von Brando nach Luri

Pino

Der Turm des Seneca

Gedanken einer Braut

Vescovato und die korsischen Geschichtsschreiber

Rousseau und die Korsen

Joachim Murat

Gastliches Familienstilleben in Oreto

Ein Ritt durch das Land Orezza nach Morosaglia

Aus dem Heimatsort der Paoli

Klemens Paoli

Durch das Land Nebbio nach Isola Rossa

Strandidylle von Isola Rossa

Von Isola Rossa nach Calvi

Calvi und seine Männer

Ein Meistersängerfest

Die korsischen Totenklagen

Durch die Balagna nach Corte

Die Stadt Corte

Unter den Ziegenhirten des Monte Rotondo

Der Berggipfel

Von Corte nach Ajaccio

Ajaccio

Die Casa Bonaparte

Zwei Särge

Umgegend von Ajaccio

Die Stadt Sartene

Umgegend von Sartene

Die Stadt Bonifazio

Andere Erinnerungen Bonifazios und ein Fest

Die Meerenge

Die Höhlen von Bonifazio

Aleria, die Kolonie Sullas

Mariana und Rückkehr nach Bastia

Editorische Notiz

Nachwort (von Michael Krüger)

1

2

3

4

5

Fußnoten

Mittwegs auf unsres Lebens Reise fand

In finstren Waldes Nacht ich mich verschlagen,

Weil mir die Spur vom graden Wege schwand.

Wie hart ists, ach, von diesem Walde sagen.

Wie wild und rauh und dicht sein Dickicht droht:

Dran denken nur macht noch auf neu mich zagen.

Dante, Göttliche Komödie; Erster Gesang

Die Stadt Bastia

Die Lage Bastias ist, wenn auch nicht ausgezeichnet, doch immer überraschend. Die Stadt liegt im Amphitheater um den kleinen Hafen; das Meer bildet hier keinen Golf, sondern nur einen Landungsplatz, eine Gala. Die rechte Seite des Hafens sperrt ein gigantischer schwarzer Felsen, vom Volk Leone genannt, weil er einem Löwen ähnlich sieht. Über ihm steht das finstere genuesische Fort, der Donjon. Links läuft der Kai in einen Molo aus, der auf seiner Spitze einen kleinen Leuchtturm trägt. Über dem Hafen nun steigt die Stadt in Terrassen auf, hohe Häuser eng zusammen, turmartig, mit vielen Balkonen: über die Stadt weg ragen die grünen Berge mit einigen verlassenen Klöstern und schönen Olivenhainen; auch Fruchtgärten von Orangen, Zitronen und Mandeln gibt es da in Fülle.

Bastia hat seinen Namen von der Bastei, welche die Genuesen dort bauten. Die Stadt ist nicht alt, weder Plinius noch Strabo oder Ptolemäus nennen einen Ort auf ihrer Stelle. Ehemals stand dort die kleine Marina des Ortes Cardo, der in der Nähe liegt. Darauf ließ im Jahre 1383 der genuesische Gouverneur Lionello Lomellino den Donjon oder das Kastell erbauen, um das bald ein Stadtteil, die Terra Nuova, entstand; der ursprüngliche, untere Teil hieß nun die Terra Vecchia. Beide Quartiere bilden noch heute zwei getrennte Kantone. Die Genuesen verlegten hierauf den Sitz ihrer korsischen Regierung von Biguglia nach Bastia, und hier residierten auch die Fregoso, die Spinola, die Doria – elf Doria regierten Korsika in mehr als 400 Jahren –, die Fiesco, Cibba, die Giustiniani, Negri, Vivaldi, Fornari und so viele andere Edle berühmter Familien Genuas. Als Korsika unter französischer Herrschaft im Jahre 1797 in zwei Departements geschieden wurde, die nach den Flüssen des Golo und des Liamone genannt wurden, blieb Bastia der Hauptort des Golodepartements. Im Jahre 1811 vereinigte man beide Teile wieder, und nun wurde das kleinere Ajaccio die Landeshauptstadt. Noch heute kann Bastia es nicht verschmerzen, daß es einst das Haupt der Insel war und jetzt zu einer Souspräfektur herabgesunken ist, aber ohne Zweifel ist es durch Industrie, Handel und Intelligenz noch immer das Haupt Korsikas. Die gegenseitige Eifersucht der Bastinesen und der Bürger Ajaccios ist beinahe komisch und würde als lächerliche Kleinstädterei erscheinen, wenn man nicht wüßte, daß die Scheidung Korsikas in das Land diesseits und jenseits der Berge uralt historisch ist; und so ist auch der Charakter der Bewohner beider Landeshälften grundverschieden. Jenseits der Berge, die Korsika von Nord nach Süd teilen, herrscht bei weitem mehr Wildheit; alles geht dort bewaffnet; diesseits der Berge ist mehr Kultur, mehr Ackerbau, mehr mildere Sitten.

Die Terra Vecchia von Bastia ist jetzt eigentlich zur Terra Nuova geworden, denn sie enthält die besten Straßen. Die ansehnlichste ist die erst wenige Jahre alte Via Traversa, eine nach dem Meere hingebogene Straße von sechs- und siebenstöckigen Häusern, die noch fortgebaut wird. Ihre Lage erinnert mich an die schönste Straße, die ich noch irgend sah, die Strada Balbi und Nuova in Genua. Aber die Häuser, obwohl palastartig, haben nichts von Kunst noch von edlem Material an sich. Korsika hat die edelsten Steinarten in kaum glaublicher Fülle, Marmor, Porphyr, Serpentin, Alabaster, Granite köstlichster Art, doch werden sie kaum verwendet. Die Natur liegt hier überall verwahrlost, sie ist eine schöne, verzauberte Prinzessin. (…)

Das bei weitem größte Interesse hatte für mich in Bastia das Leben im Hafen, das freilich nicht groß ist, und das Treiben auf den Märkten.

Da ist der Fischmarkt. Ich unterließ es nicht, jeden Morgen den Meerestieren meinen Besuch zu machen, und wenn die Fischer etwas Absonderliches gefangen hatten, so zeigten sie es mir freundlich und sagten: «Dies, Signore, heißt eine murena, und dies ist die razza und das der pesce spada und der pesce prete, und die triglia, die so schön rot ist, und der capone und der grongo.» Da im Winkel, wie nicht zünftig, sitzen die Teichfischer; die Ostküste Korsikas hat große Teiche, die durch schmale Nehrungen vom Meere getrennt sind und mit ihm in Verbindung stehen. Die Fischer fangen dort in Binsenreusen große und schmackhafte Fische, Aale in Menge, dann mugini, die ragni und die soglie. Der schönste aller Fische ist die Murene; sie gleicht einer Schlange, aus dem edelsten Porphyr gebildet. Sie verfolgt den Seekrebs (legusta), in den sie sich hineinsaugt, die Legusta frißt wieder die Scorpena und die Scorpena wiederum die Murena. Da haben wir also das scharfsinnige Witzspiel von Wolf, Lamm und Kohlkopf, und wie diese über einen Fluß zu bringen seien. Ich bin zu wenig Diplomat, um diesen verkreuzten Krieg der drei Fische zu schlichten; die Fischer fangen oft alle drei in einem und demselben Netz. Man fängt in den Golfen Korsikas viel Thunfische und Sardinen, besonders bei Ajaccio und Bonifazio. Die Römer mochten keine Sklaven aus Korsika, weil sie zu trotzig waren, aber die Fische Korsikas prangten auf den Tischen der Großen, und selbst Juvenal weiß sie zu rühmen.

Der Markt am Platze Favalelli gewährt des Morgens einen frischen, bunten, lebhaften Anblick. Dort sitzen nämlich die Gemüse- und Obsthändlerinnen mit ihren Körben, aus denen die schönen Früchte des Südens lachen. Man braucht nur auf diesen Markt zu gehen, um zu lernen, was die Natur Korsikas an Früchten hervorbringt; da sind Birnen und Äpfel, Pfirsiche und Aprikosen, Pflaumen jeder Art, hier grüne Mandeln, Orangen und Limonen, Granatäpfel, daneben Kartoffeln, wieder Blumensträußchen, dort grüne oder blaue Feigen und die unvermeidlichen Pomi d’oro (pommes d’amour), da die köstlichsten Melonen; mit dem August finden sich auch die Muskatellertrauben vom Kap Corso ein. Aus den Dörfern in der Nahe Bastias kommen in voller Morgenfrühe die Frauen und Mädchen herab, die Früchte nach der Stadt zu tragen. Manche schöne Gestalt sieht man unter ihnen. Eines Abends wanderte ich am Meere entlang nach Pietra Nera zu und traf ein junges Mädchen, das den leeren Fruchtkorb auf dem Kopfe nach ihrem Dorfe zurückging. «Buona sera.» «Evviva siore.» Nun gab’s eine lebhafte Unterhaltung. Die junge Korsin erzählte mir mit der größten Unbefangenheit die Geschichte ihres Herzens; ihre Mutter zwingt sie, einem jungen Menschen die Hand zu geben, den sie nicht mag. «Warum magst du ihn nicht?» «Weil mir sein ingegno nicht gefällt, ah madonna!» «Ist er eifersüchtig?» «Come un diavolo, ah madonna!» «Ich wollte schon nach Ajaccio entfliehen.» – Indem wir so fortredeten, kam ein Korse uns entgegen, der mit dem Krug in der Hand zur Wasserquelle ging. «Wenn Ihr Wasser trinken wollt», sagte er, «so wartet ein wenig, bis ich herabkomme, und du, Paolina, komme nachher zu mir, ich habe dir wegen deiner Heirat etwas zu sagen.»

«Sehet», sagte mir das Mädchen, «das ist einer aus meiner Sippschaft, sie sind mir alle gut, und wenn ich des Weges gehe, so bieten sie mir einen guten Abend und keiner will es zugeben, daß ich den Antonio heirate.» Wir waren nun ihrem Hause nahgekommen. Paolina wandte sich plötzlich sehr ernst zu mir und sagte: «Siore, jetzt müssen Sie umkehren, denn komme ich mit Ihnen zusammen in mein Dorf, so werden die Leute schlecht über mich reden (faranne mal grido): Kommen Sie aber morgen, wenn Sie wollen und seien Sie Gast bei meiner Mutter, und dann wollen wir auch zu unseren Verwandten schicken, denn wir haben Freundschaft genug im ganzen Kap Corso.» Ich kehrte um, und im Anblick des unsäglich schönen Meeres und der schweigsam stillen Berge, auf denen die Ziegenhirten ihre Feuer anzuzünden begonnen, wurde mir recht homerisch zu Sinne, so daß ich der alten gastlichen Phäaken und der Nausikaa gedenken mußte. (…)

Die Frauen tragen in Korsika alle Lasten auf dem Kopf, und es ist kaum glaublich, welche Lasten sie zu tragen vermögen; so beschwert, halten sie oft noch die Spindel in der Hand und spinnen im Gehen. Sehr malerisch sieht es aus, wenn die Frauen in Bastia die ehernen zweihenkeligen Wassergefäße auf dem Kopf tragen. Diese gleichen fast antiken Weihkesseln; ich sah sie nur in Bastia; jenseits der Berge schöpft man das Wasser in steinernen Krügen von rohen, aber doch noch an das Etrurische streifenden Formen.

Gegend um Bastia

Ich stieg über Bastia in die nächsten Berge hinauf. Dort ist die Aussicht auf die Stadt, das Meer und die Inseln erfreuend. Wein- und Olivengärten, Orangen, kleine Landhäuschen in den bizarrsten Formen, hie und da eine Fächerpalme, Grabkapellen unter Zypressen, von Efeu ganz erstickte Ruinen, das liegt dort zerstreut. Die Stege sind mühsam und beschwerlich; man wandert über Steingeröll und an Mauern, zwischen Brombeerhecken und Efeugewinden und wildem Distelgewucher. Der Blick nach der Südküste Bastias überraschte mich. Dort treten die Berge, wie fast alle Berge Korsikas von den schönsten Pyramidenformen, weiter zurück und senken sanft eine lachende Ebene nieder. Dort liegt malerisch der große Teich von Biguglia, von Schilf umkränzt, tot und still, kaum von einem schmalen Fischerkahn durchschnitten. Die Abendsonne ging eben unter, als ich diesen Blick genoß. Der Teich erschimmerte rosenrot, die Berge desgleichen, und das Meer war voll vom Abendglanz, ein einzelnes Schiff glitt darüber hinweg. Die Stille einer großen Natur beruhigt die Seele. Zur linken Hand sah ich das Kloster San Antonio unter Olivenbäumen und Zypressen; zwei Geistliche saßen vor der Halle, und eben traten aus der Kirche schwarzverschleierte Nonnen. Ich sah einst ein Bild, das eine sizilianische Vesperstunde darstellte und erinnerte mich augenblicklich dessen, da ich es hier wiederfand.

Nun zur Landstraße hinuntersteigend, kam ich auf den einen Weg, der nach Cervione führt; Hirten trieben gerade ihre Ziegenherden heim und Reiter auf roten Pferdchen jagten an mir vorüber, alle die phrygische Mütze auf dem Kopf, das schwarzbraune korsische Wams aus Schafwolle übergeworfen, die Doppelflinte umgehängt, wilde Kerle mit bronzenen Gesichtern. Ich sah ihrer oft zwei hintereinander auf demselben Pferdchen, oft Mann und Weib hintereinander und in der Sonnenglut niemals ohne den großen Sonnenschirm über sich aufgespannt zu halten. Der Sonnenschirm ist hier unentbehrlich; ich sah häufig Männer wie Frauen am Ufer im Meer sitzen, die Frauen bekleidet, die Männer nackt, und so saßen sie ruhig im Wasser und hielten über sich den Sonnenschirm, und ihnen war kannibalisch wohl. Die Frauen reiten hier wie die Männer und sind flink auf dem Tier. Der Mann hat immer die Zuzza, die runde Kürbisflasche, übergehängt, oft auch einen kleinen Ziegenschlauch, Zaino, um den Leib aber die Carchera, einen ledernen Gurt, worin die Kartuschen stecken.

Vor mir her schritten viele Männer, die von der Feldarbeit nach der Stadt zurückkehrten. Ich schloß mich an sie an und erfuhr von ihnen, daß sie nicht Korsen, sondern Italiener vom Festland seien. Jährlich kommen nämlich von der Terra Firma Italiens, besonders aus Ligurien, aus der Gegend von Lucca und Piombino mehr als 5000 Arbeiter auf die Insel, um für die faulen Korsen die Feldarbeit zu verrichten. Die Korsen haben sich den wohlbegründeten Ruf der Arbeitsscheu bewahrt und darin sind sie anderen tapferen Bergvölkern, wie den Samniten, durchaus unähnlich. Jene fremden Arbeiter heißen hier allgemein Lucchesi. Ich habe mich selbst davon überzeugen können, in welch gründlicher Verachtung diese armen und fleißigen Menschen bei den Korsen stehen, weil sie ihre Heimat verlassen haben und im Schweiß ihres Angesichtes, der Fieberluft ausgesetzt, arbeiten, um für die Ihrigen eine kleine Lohnersparnis mit nach Hause zu bringen. Oftmals hörte ich das Wort Lucchese als Schimpfwort gebrauchen, und besonders ist alle Feldarbeit in den Bergen des Inneren verhaßt und als eines freien Mannes unwürdig angesehen. Nach der uralten Sitte der Väter ist der Korse ein Hirte, begnügt sich mit seinen Ziegen, mit dem Mahl seiner Kastanien, mit dem frischen Trunk seiner Quelle und mit der Jagdbeute.

Ich erfuhr zu gleicher Zeit, daß Korsika der Aufenthalt vieler italienischer Demokraten war, die nach der mißglückten Revolution sich auf diese Insel flüchteten. Es gab ihrer im Sommer ungefähr hundertfünfzig, über die Insel zerstreut, Männer aus allen Ständen; die meisten lebten in Bastia. Ich hatte Gelegenheit, die angesehensten dieser Flüchtlinge kennenzulernen und sie auf ihren gemeinschaftlichen Spaziergängen zu begleiten. Es war eine Gesellschaft, bunt wie das politische Italien, Lombarden, Venetianer, Neapolitaner, Römer, Florentiner. Ich machte die Erfahrung, daß in einem kulturlosen Lande Italiener und Deutsche sich sofort gegenseitig anziehen und auf neutralem Boden ein heimisches Gefühl für einander haben; auch hat die Allgemeinheit der Völkerschicksale vom Jahre 1848 viele Schranken niedergerissen und gewisse Lebensanschauungen und Theorien erzeugt, worin der Einzelne, mag er einer Nation angehören, welcher er wolle, auf gleiche Weise zu Hause ist. Ich fand unter den Exilierten auf Korsika Männer und Jünglinge aus allen Schichten, wie sie eine gleiche Gesellschaft auch bei uns zusammenbringt, exaltierte und sanguinische Köpfe, andere wieder positiv erfahrene Männer mit lebenskräftigen Grundsätzen und hellem Verstande. (…)

Korsika erfüllt an diesen armen Verbannten Italiens mehr noch als seine geheiligte Religion der Gastlichkeit, auch die der Dankbarkeit. Denn in früheren Jahrhunderten haben die verbannten Korsen in allen Ländern Italiens die gastliche Aufnahme gefunden, und die politischen Flüchtlinge Korsikas sah man in Rom, in Florenz, in Venedig und in Neapel. Die französische Regierung hat ihre Gäste auf der Insel bisher in liberaler Weise geduldet. Die Abgeschiedenheit der Insel zwingt die Verbannten zu einem beschaulichen und würdigen Stilleben. Sie mögen eben deshalb immerhin glücklicher daran sein als ihre Leidensbrüder auf Jersey oder in London.

Über die Flora

Auf einem Umkreise von wenig Schritten, welche Fülle von Pflanzen nebeneinander! Da ist Rosmarin und Citisus, hier der wilde Spargel, daneben ein hoher Busch lilablütiger Erika, wieder hier die giftige Euforbia, die den milchweißen Saft ausströmt, wenn man sie bricht, und hier das sympathische Helianthemum mit schönen gelben Blüten, die nach und nach und allgesamt abfallen, wenn man einen einzelnen Zweig abgerissen hat. Da steht wieder fremd und bizarr wie ein maurischer Heide der stachlichte Kaktus, daneben der wilde Ölstrauch, die Korkeiche, der Lentiscus, die wilde Feige, und zu ihren Füßen blühen die wohlbekannten Kinder meines Vaterlandes: die Scabiosa, das Geranium, die Malve. Wie schön, durchdringend, stärkend sind diese Wohlgerüche, die all das blühende Kraut aushaucht, Raute Lawendel und Mente und all diese Labien. Sagte nicht Napoleon auf Sankt Helena, da seine traurigen Gedanken wieder zu seiner schönen Heimatsinsel zurückkehrten: «Alles war dort besser, bis auf den Duft des Bodens; am Wohlgeruch allein würde ich mit geschlossenen Augen Korsika erkennen.» (…)

Korsika ist die zentralste Provinz des großen Pflanzenreiches der mittelländischen Zone; eines Reiches, das charakteristisch ist durch die Überfülle der duftigen Labien und der graziösen Caryophylleen. Diese Pflanzen bedecken alle Teile der Insel und durchduften zu jeder Jahreszeit ihre Luft.

Wegen dieser zentralen Lage verbindet sich die korsische Pflanzenwelt mit der aller anderen Provinzen jenes ungeheuren Pflanzenreiches. Durch das Kap Corso verbindet sie sich mit den Pflanzen Liguriens, durch die Ostküste mit denen Toskanas und Roms, durch die West- und Südküste mit der Pflanzenwelt der Provence, Spaniens, der Berberei, Siziliens und des Orients, und endlich durch die sehr gebirgige und sehr hohe Region des Innern mit dem Pflanzenwuchs der Alpen und der Pyrenäen. Welch ein wunderbarer Reichtum und welche überraschende Mannigfaltigkeit also in der korsischen Vegetation! Das ist ein Reichtum und eine Mannigfaltigkeit, welche die Schönheit der Gegenden dieser Insel, die schon durch die Natur und den Boden so malerisch sind, unendlich erhöhen.

Einige ihrer Forsten auf den Abhängen der Berge sind so schön wie die herrlichsten Europas; die beiden vorzüglichsten sind die von Aitone und von Vizzavona. Außerdem sind viele Provinzen Korsikas mit unermeßlichen Kastanienhainen bedeckt, deren Bäume ebenso gewaltig und fruchtbar sind als die schönsten der Apenninen oder des Ätna. Olivenpflanzungen, umfangreich gleich Forsten, umkränzen die Hügel und die Täler, die nach dem Meere sich hinziehen oder seinen Einflüssen offen liegen. Überall, selbst auf den rauhen und zackigen Seiten der hohen Berge schlingen sich die Weinreben um Fruchtbaumgärten und breiten dem Blick ihre grünen Blätter und ihre purpurnen Trauben aus. Fruchtbare Ebenen, golden von reichen Ernten, dehnen sich an den Küsten der Insel hin; und der Weizen wie der Roggen schmücken hie und da die Berghänge mit ihrem frischen Grün, das mit dem tieferen Grün der Buschwälder und mit den kalten Tönen der Steine und der nackten Felsen so malerisch kontrastiert.

Der Ahorn und der Walnußbaum gedeihen wie die Kastanie fröhlich in den Tälern und auf den Höhen Korsikas; die Zypresse und die Meerpinie lieben die minder hohen Gegenden; die Forsten sind voll von Korkeichen und immergrünen Eichen; der Arbutus, die Myrte wachsen zu Bäumen auf. Der Pyrus und besonders der wilde Oleaster bedecken weite Strecken auf den Höhen. Der immergrüne Alatern, der Ginster Spaniens und Korsikas sind mit mannigfaltigen, aber immer gleich schönen Heiden vermischt; man unterscheidet unter diesen die Erika, die oft eine ungemeine Höhe erreicht.

In den Strichen, die durch Austreten der Ströme und Bäche bewässert werden, wachsen der Ginster vom Ätna mit seinen schönen goldgelben Blüten, die Cisten, Lentisken, die Terebinthen überall da, wo die Erde nicht von der Menschenhand berührt wird. Tiefer unten, gegen die Ebenen, gibt es keinen Hohlweg noch Tal, das nicht von der graziösen Lorbeerrose umschattet wäre, deren Zweige gegen die Seeküsten hin sich mit denen der Tamarinden verschwistern.

Die Fächerpalme wächst auf den Felsen am Meeresstrande, und die Dattelpalme, wahrscheinlich aus Afrika hergebracht, auf den geschütztesten Stellen der Küsten. Die Cactus opuntia und die amerikanische Agave wachsen überall an warmen, felsigen, dürren Orten.

Was soll ich von den prächtigen Kotyledonen sagen, von den schönen Hülsengewächsen, den großen Verbazeen, den herrlichen gepurpurten Digitalen, die die Berge der Insel zieren? Und von den Malven, den Orchideen, Liliazeen, Solaneen, den Zentaureen und den Disteln, Pflanzen, die die sonnenheißen, kühlen oder schattigen Gegenden, in denen ihre natürlichen Sympathien sie wachsen lassen, so wohl verzieren?

Die Feige, die Granate, der Weinstock geben in Korsika gute Früchte, selbst wenn der Landmann sie nicht pflegt, und das Klima wie der Boden der Küsten dieser schönen Insel sind der Limone und der Orange und den anderen Bäumen derselben Familie so günstig, daß sie hier wahre Wälder bilden.

Die Mandel, die Kirsche, die Pflaume, der Apfelbaum, der Birnbaum, der Pfirsich und die Aprikose und im allgemeinen alle Obstbäume Europas sind hier gemein. In den heißesten Strichen der Insel kommen die Früchte des Johannisbrotbaumes, des Mispelbaumes mehrerer Arten, des Brustbeerbaumes zu vollkommener Reife.

Endlich könnte der Mensch, wenn er es wollte, nach den verschiedenen Gegenden und ohne viel Mühe das Zuckerrohr, die Baumwolle, den Tabak, die Ananas, den Krapp und selbst den Indigo mit Erfolg anpflanzen; mit einem Worte, Korsika könnte für Frankreich das Klein-Indien des Mittelmeeres sein.

Diese überaus herrliche Vegetation der Insel wird durch das Klima begünstigt. Das korsische Klima hat drei bestimmte Temperaturzonen, die sich nach der Bodenerhebung abstufen. Die erste klimatische Zone steigt vom Spiegel des Meeres bis zur Höhe von 580 Meter auf, die zweite von da bis zur Höhe von 1950 Meter, die dritte bis zum Gipfel der Berge.

Die erste Zone, also überhaupt die Meeresküste, ist warm wie die parallelen Striche Italiens und Spaniens. Sie hat eigentlich nur zwei Jahreszeiten, den Frühling und den Sommer, selten fällt das Thermometer hier ein oder zwei Grade unter Null und nur für wenige Stunden. Auf allen Küsten ist die Sonne selbst im Januar warm, aber die Nächte und der Schatten kühl, und das in allen Jahreszeiten. Der Himmel bewölkt sich nur für Pausen; der einzige Wind von Südost, der schwere Schirokko, bringt anhaltende Nebeldünste, die der heftige Südwest der Libeccio wieder vertreibt. Auf die gemäßigte Kälte des Januar folgt bald eine Hundstagshitze für acht Monate, und die Temperatur steigt von acht Graden zu achtzehn und selbst zu zwanzig Graden im Schatten. Es ist ein Unglück für die Vegetation, wenn es dann nicht im März oder April regnet, und dieses Unglück ist häufig, doch haben die Bäume Korsikas allgemein harte und zähe Blätter, die der Dürre widerstehen, wie der Oleander, die Myrthe, der Cistus, der Lentiscus, der wilde Ölbaum. In Korsika wie in allen heißen Klimaten sind die Niederungen, die wasserhaltigen und schattigen Gegenden fast pestaushauchend; man wandelt da nicht abends, ohne sich lange und schwere Fieber zu holen, die, wenn man nicht gänzlich die Luft verändert, mit Wassersucht und Tod endigen.

Die zweite klimatische Zone der Insel kommt dem Klima von Frankreich, namentlich von Burgund, Morvan und Bretagne, gleich. Da dauert der Schnee, der sich im November zeigt, bisweilen zwanzig Tage; aber er tut merkwürdigerweise dem Ölbaum nicht Schaden bis zur Höhe von 1160 Meter, sondern macht ihn noch fruchtbarer. Die Kastanie scheint der eigentliche Baum dieser Zone zu sein, denn sie endigt in der Höhe von 1950 Meter und weicht dann den grünen Eichen, den Tannen, Buchen, Buxusbäumen und Wachholdern. In diesem Klima wohnt auch der größere Teil der Korsen in zerstreuten Dörfern auf Berghängen und in Tälern.

Das dritte Klima ist kalt und stürmisch wie das Norwegens während acht Monate im Jahre. Die einzigen bewohnten Orte in dieser Zone sind das Niolo und die beiden Forts von Vivario und von Vizzavona. Über diese bewohnten Orte hinaus erblickt das Auge keine Vegetation mehr als Tannen, die an grauen Felsen hängen. Dort wohnt der Geier und das Waldschaf, und dort ist das Vorratshaus und die Wiege der vielen Ströme, die ins Land hinunterrauschen.

Man kann also Korsika als eine Pyramide betrachten, die in drei horizontalen Stufen sich aufstuft, von denen die unterste warm und feucht, die oberste kalt und trocken ist, und die mittlere an beiden Beschaffenheiten teilhat.

Bracciamozzo, der Bandit

Che bello onor s’acquista in far vendetta

Dante

Am zweiten Tage nach meiner Ankunft in Bastia weckte mich gegen Abend ein entsetzlicher Lärm in meiner Locanda in der Straße der Jesuiten. Es war nicht anders, also sollten die Lapithen und die Zentauren handgemein werden. Ich springe an die Türe, da gab’s im Speisezimmer folgende Szene: der Wirt, furios und schreiend, hat die Flinte auf einen Menschen angelegt, der vor ihm auf den Knien liegt, andere schreien dazwischen und beschwichtigen. Jener bittet um Gnade: man wirft ihn aus dem Hause hinaus. Es war ein junger Mensch gewesen, der sich in der Locanda für einen Marseiller ausgegeben, den vornehmen Herrn gespielt hatte und am Ende nicht bezahlen konnte.

Am zweitfolgenden Tage danach ging ich in der Morgenfrische über den Platz San Nicolao, den öffentlichen Promenadenplatz der Bastineser, um ein Bad im Meere zu nehmen. Die Henker errichteten eben die Guillotine neben dem Tribunale, und wenn auch nicht in der Mitte, so doch immer auf dem Promenadeplatz selbst. Carabiniers und Volk umstanden diese grausige Szene, wozu das lachende Meer und die friedlichen Olivenhaine im schneidendsten Kontrast standen. Die Luft war dumpf und schwer vom Schirokko. Am Kai standen gruppenweise Marinari und Arbeiter, schweigsam ihre Kalkpfeifchen rauchend und den roten Pfahl anstarrend, und mancher von ihnen in seinem spitzen Barretto, die braune Jacke halb übergehängt, die braune Brust offen, ein rotes Halstuch nachlässig umgeknüpft, sah aus, als hatte er mit der Guillotine mehr zu tun als sie zu betrachten. Und in Wahrheit möchte nicht einer unter dem Volkshaufen stehen, den nicht dasselbe Schicksal treffen konnte, das den Banditen erwartete, wenn nämlich der Zufall es wollte, daß die geheiligte Sitte der Blutrache ihm zum Morde und der Mord zum Banditenleben zwang.

Wen wird man richten?

Den Bracciamozzo (Stümmelarm). Er ist erst 23 Jahre alt. Die Sbirren haben ihn in den Bergen gefangen; wie ein Teufel hat er sich gewehrt; sie haben ihm einen Arm zerschossen, den Arm haben sie ihm abgenommen und er ist geheilt.

Was hat er verbrochen?

Dio mio! Er hat zehn Menschen umgebracht!

Zehn Menschenleben! Und warum?

Aus Capriccio.

Ich eilte schnell ins Meer, mir durch ein Bad wohl zu tun und dann in meine Locanda zurück, um dem Zug nicht mehr zu begegnen. Die Eindrücke waren so gräßlich, daß mich in dieser wilden Einsamkeit ein Schauer überfiel. Ich nahm den Dante hervor; mir war zumute, als sollte ich eine seiner wilden Phantasien aus der Hölle lesen, wo die Pechteufel die armen Seelen mit Harpunen hinunterstoßen, so oft sie auftauchen wollen, Luft zu schnappen. Meine Locanda lag in der engen und düsteren Straße der Jesuiten. Eine Stunde war verflossen, da rief mich ein dumpfes Murmeln und Pferdetrott ans Fenster – Bracciamozzo wurde vorbeigeführt, geleitet von den Totenbrüdern in ihren Kaputzmänteln, die vom Gesicht nichts frei lassen als die Augen, die gespenstisch durch die Augenlöcher heraussehen – leibhaftige Dämonengestalten, dumpf vor sich hinmurmelnd, schauerlich, wie aus der Danteschen Hölle in die Wirklichkeit gesprungen. Der Bandit ging festen Schrittes zwischen zwei Priestern, von denen der eine ihm ein Kruzifix vorhielt. Es war ein junger Mann mittlerer Größe, ein schöner bronzener Kopf mit rabenschwarzen krausen Haaren, das Gesicht erblaßt und die Blässe noch gehoben durch einen feinen Schnurrbart. Der linke Arm war ihm auf den Rücken gebunden, der andere war ein Stummel. Sein Auge, wohl feurig wie das eines Tigers, wenn ihn die Mordlust durchzuckte, war still und ruhig. Im Gehen murmelte er, wie es schien, Gebete. Sein Schritt war sicher und seine Haltung aufrecht. Voran ritten dem Zug Gendarmen, die Schwerter bloß; hinter dem Banditen gingen paarweise die Totenbrüder; den Zug schloß der schwarze Sarg; ein weißes Kreuz war daraufgepinselt und ein Totenkopf. Vier Barmherzige trugen ihn. Langsam zog der Zug durch die Jesuitenstraße, gefolgt von der murmelnden Menschenmenge, und so führten sie den Vampir mit dem zerschossenen Flügel nach dem Blutpfahl. Ich habe niemals eine schauerlichere Szene mit Augen gesehen, und wenige, die sich bis auf die kleinsten Züge wider meinen Willen in mein Gedächtnis so eingegraben haben.

Man sagte mir danach, daß der Bandit ohne Zagen gestorben sei, und daß seine letzten Worten waren: Ich bitte Gott und die Welt um Verzeihung, denn ich erkenne, daß ich viel Böses getan habe.