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Die Christen wollen Frieden auf Erden, doch für Rom bedeuten sie Gefahr - der Krieger Roms in seinem zweiten großen Abenteuer
Römisches Reich, 256 n. Chr.: Nach dem Fall von Arete kehrt Ballista nach Antiochia zurück. Bald erkennt er, dass man ihn und seine Männer am Hofe des Imperators lieber tot als lebendig sehen möchte. Vor allem ein Gegner scheint Intrigen gegen ihn zu spinnen. Aber wer? Schneller als gedacht wartet zudem eine neue Mission auf Ballista: Er wird nach Ephesus geschickt, um sich um die Christen zu "kümmern", die das Imperium mehr und mehr als Gefahr ansieht. Auch für ihn sind sie zunächst Ungläubige, Feinde des Imperiums und eine Plage ...
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Seitenzahl: 646
Veröffentlichungsjahr: 2021
Die Christen wollen Frieden auf Erden, doch für Rom bedeuten sie Gefahr – der Krieger Roms in seinem zweiten großen Abenteuer Römisches Reich, 256 n. Chr.: Nach dem Fall von Arete kehrt Ballista nach Antiochia zurück. Bald erkennt er, dass man ihn und seine Männer am Hofe des Imperators lieber tot als lebendig sehen möchte. Vor allem ein Gegner scheint Intrigen gegen ihn zu spinnen. Aber wer? Schneller als gedacht wartet zudem eine neue Mission auf Ballista: Er wird nach Ephesus geschickt, um sich um die Christen zu »kümmern«, die das Imperium mehr und mehr als Gefahr ansieht. Auch für ihn sind sie zunächst Ungläubige, Feinde des Imperiums und eine Plage …
Harry Sidebottom wuchs in den Rennställen von Newmarket auf, wo sein Vater als Trainer arbeitete. Dennoch entschied er sich für eine Laufbahn als Historiker – er promovierte in Alter Geschichte in Oxford und lehrte an verschiedenen Universitäten, unter anderem in Oxford. Nach einem gefeierten Sachbuch über antike Kriegsführung und zahlreichen Fachartikeln veröffentlichte er diverse Abenteuerromane aus dem antiken Rom. Jagd durch Rom – XXIV ist sein erster historischer Thriller.
H A R R Y S I D E B O T T O M
Historischer Roman
Aus dem Englischen vonRainer Schumacher
Vollständige E-Book-Ausgabe
des in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Deutsche Erstausgabe
Für die Originalausgabe:
Copyright © 2009 by Dr. Harry Sidebottom
Titel der englischen Originalausgabe:
»Warrior of Rome: King of Kings«
Originalverlag: Penguin Books Ltd., London
The author has asserted his moral rights.
All rights reserved.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Rainer Delfs, Scheeßel
Titelillustrationen: © elegeyda/shutterstock | © Collaboration JS/Arcangel
Umschlaggestaltung: Massimo Peter-Bille
eBook-Produktion: hanseatenSatz-bremen, Bremen
ISBN 978-3-7517-0384-0
www.luebbe.de
www.lesejury.de
In Liebe für meine Mutter, Frances,und in Erinnerung an meinen Vater, Hugh Sidebottom
Doch weit niedriger ist der andere Felsen, Odysseus,Und dem ersten so nahe, dass ihn dein Bogen erreichte.Dort ist ein Feigenbaum mit großen laubigen Ästen,Drunter lauert Charybdis, die wasserstrudelnde Göttin.
Homer, Odyssee
Sie ritten um ihr Leben. Am ersten Tag in der Wüste waren sie so schnell geritten, wie sie konnten, doch ohne die Pferde zu quälen. Völlig allein hatten sie keine Spur von Verfolgern gesehen. An diesem Abend, im Lager, hatte man bei den gedämpften, müden Gesprächen sogar einen Hauch von Optimismus heraushören können, doch damit war es am Morgen wieder vorbei.
Als sie auf einen kleinen Hügelkamm ritten, lenkte Marcus Clodius Ballista, der Dux Ripae, sein Pferd neben den Pfad und ließ die anderen dreizehn Reiter sowie das Packpferd vorbei. Dann schaute er in die Richtung zurück, aus der sie gekommen waren. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch die ersten Strahlen vertrieben bereits die Nacht. Und dort, im Zentrum des immer größer werdenden Halbkreises aus gelbem Licht, genau dort, wo in wenigen Augenblicken die Sonne über den Horizont steigen würde, da war eine Staubwolke zu sehen.
Ballista beobachtete sie eingehend. Es war eine einzelne dichte Staubwolke. Sie stieg schnurgerade in die Höhe, bis eine Brise sie erfasste und nach Süden trieb, wo sie sich schließlich auflöste. In der ebenen, konturlosen Wüste konnte man Distanzen nur schwer abschätzen. Vermutlich war die Staubwolke vier, fünf Meilen entfernt, in jedem Fall zu weit, als dass man hätte erkennen können, was sie verursachte. Doch Ballista wusste es auch so. Das war ein Trupp Männer. Hier draußen in der Wüste mussten sie außerdem beritten sein, egal ob mit Pferden, Kamelen oder beidem. Auch war die Entfernung zu groß, um die Zahl der Reiter einzuschätzen, doch der Größe der Staubwolke nach zu urteilen, waren es vier- bis fünfmal so viel wie die Männer, die Ballista begleiteten. Dass die Staubwolke nicht nach links oder rechts wanderte, sondern gerade nach oben zu steigen schien, deutete zudem darauf hin, dass die Reiter ihnen folgten. Mit einem schlechten Gefühl im Bauch akzeptierte Ballista das als das, was es war: Der Feind jagte sie. Ein großer Trupp sassanidischer Reiterei war ihnen dicht auf den Fersen.
Ballista schaute sich um und sah, dass seine Begleiter angehalten hatten. Ihre Aufmerksamkeit wanderte zwischen ihm und der Staubwolke hin und her. Ballista verdrängte sie aus seinen Gedanken. Die offene Wüste, welliges Land. Sand mit einer dicken Schicht aus kleinen, scharfkantigen Felsbrocken. Genug, um Myriaden von Schlangen und Skorpionen zu verbergen, doch keinen Mann, ganz zu schweigen von vierzehn Reitern und fünfzehn Pferden.
Ballista drehte sich um und ritt im Schritt zu den beiden Arabern inmitten seiner Männer.
»Wenn wir die Pferde so hart wie möglich antreiben – wie lange brauchen wir dann bis zu den Bergen?«
»Zwei Tage«, erwiderte das Mädchen ohne Zögern. Bathshiba war die Tochter eines Karawanenbeschützers. Mit ihrem verstorbenen Vater war sie schon auf dieser Strecke gereist. Ballista vertraute ihrem Urteil. Trotzdem schaute er auch noch zu dem anderen Araber.
»Heute und morgen«, bestätigte Haddudad, der Söldner.
Mit klirrendem Halfter zügelte Turpio sein Pferd neben ihnen, der einzige römische Offizier unter Ballistas Kommando, der aus dem ursprünglichen Trupp überlebt hatte.
»Zwei Tage bis zu den Bergen«, verkündete Ballista.
Turpio zuckte vielsagend mit den Schultern. »Sofern die Pferde wollen – und der Feind und die Götter …«
Ballista nickte. Er richtete sich im Sattel auf und ließ seinen Blick über die Reiter schweifen. Er hatte ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
»Die Echsen sind hinter uns her, und es sind viele. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass sie uns auch schnappen werden. Sie sind mindestens fünf Meilen hinter uns, und in zwei Tagen sind wir in der Bergen und damit in Sicherheit.« Ballista fühlte förmlich Turpios unausgesprochenen Widerspruch und den der beiden Araber. Warnend funkelte er sie an. »Zwei Tage, und wir sind in Sicherheit«, wiederholte er noch einmal und ließ erneut den Blick über die Reiter schweifen. Niemand sagte ein Wort.
Mit einstudierter Ruhe ritt Ballista im Schritt an die Spitze des Trupps. Dann hob er die Hand zum Zeichen, weiterzureiten, und kurz darauf gingen sie wieder in den leichten Galopp über.
Hinter ihnen stieg die Sonne über den Horizont. Jede noch so kleine Anhöhe in der Wüste schimmerte golden, und jede noch so kleine Mulde war ein schwarzes Loch. Die Schatten der Reiter flackerten vor ihnen, als wollten sie fliehen.
Die kleine Kolonne war noch nicht weit gekommen, als es zur Katastrophe kam. Jemand schrie, verstummte aber sofort wieder. Dann folgte ein Knall.
Ballista drehte sich im Sattel um. Ein Soldat und sein Pferd waren zu Boden gegangen. Mensch und Tier hatten sich in Zaumzeug und Gepäck verfangen, und das Pferd schlegelte mit den Beinen. Der Mann rollte sich zur Seite weg. Das Pferd hörte auf zu schlegeln. Der Soldat richtete sich auf und hielt sich den Kopf, während das Tier aufzustehen versuchte. Mit einem fast schon menschlichen Schrei fiel es jedoch wieder zurück. Eines seiner Vorderbeine war gebrochen.
Ballista zwang sich, nicht zur Staubwolke ihrer Verfolger zurückzublicken, und bellte eine Reihe von Befehlen. Er sprang vom Pferd. Da das Durchhaltevermögen des Tiers von außerordentlicher Bedeutung war, musste er dessen Rücken entlasten, wann immer es ging. Maximus, der Sklave aus Hibernia, der Ballista seit nunmehr fünfzehn Jahren als Leibwächter diente, half dem gestürzten Pferd geradezu zärtlich, wieder auf die Beine zu kommen. Sanft redete er in seiner Muttersprache auf es ein, sattelte es ab und führte es vom Pfad herunter. Vertrauensvoll humpelte das Tier ihm auf seinen drei gesunden Beinen hinterher.
Ballista wandte sich ab und schaute zu seinem Leibsklaven Calgacus, der gerade das Packpferd ablud. Der alte Kaledonier war schon von Ballistas Vater versklavt worden. Seit Ballistas Kindheit in den Wäldern des Nordens war Calgacus an seiner Seite. Jetzt erschien ein mürrischer Ausdruck auf dem hässlichen Gesicht des Kaledoniers, während er so viel Proviant wie möglich unter den Reitern verteilte. Er murmelte vor sich hin und legte das, was er nicht mehr verteilen konnte, auf einen ordentlichen Haufen neben den Weg. Kurz betrachtete er den Haufen, dann hob er die Tunika, zog die Hose runter und pisste ausgiebig auf den Proviant, den sie zurücklassen mussten.
»Ich hoffe, die sassanidischen Wichser haben Spaß daran«, verkündete er. Obwohl sie völlig erschöpft und voller Angst waren – oder vielleicht gerade deshalb –, lachten die Männer.
Maximus ging zurück. Er sah sauber und gefasst aus. Er schnappte sich den Militärsattel, warf ihn dem Packpferd auf den Rücken und zog sorgfältig die Riemen fest.
Ballista ging zu dem gestürzten Reiter. Der Mann hatte sich inzwischen aufgesetzt, und Demetrius, der junge Sklave, tupfte ihm die Platzwunde auf der Stirn ab. Ballista fragte sich, ob sein junger, griechischer Sekretär wohl auch so sorgsam gewesen wäre, wenn der Soldat nicht so gut ausgesehen hätte, doch er schob den Gedanken rasch wieder beiseite. Gemeinsam zogen Ballista und Demetrius den Soldaten wieder hoch, dann halfen sie ihm auf das ehemalige Packpferd, nachdem er gesagt hatte, dass es ihm wieder gut ginge.
Ballista und die anderen saßen ebenfalls auf. Diesmal konnte Ballista der Versuchung nicht widerstehen und blickte zu der Staubwolke zurück. Sie war deutlich näher gekommen. Ballista gab das Zeichen, und sie setzten ihren Weg fort, vorbei an dem am Boden liegenden Pferd. Auf der immer größer werdenden dunkelroten Pfütze aus Blut war ein hellrosa Schaum zu sehen, verursacht von den verzweifelten Versuchen des Tieres, durch die durchtrennte Luftröhre zu atmen.
Größtenteils galoppierten sie verhältnismäßig schnell, doch wann immer die Pferde ausgepumpt waren, rief Ballista einen Befehl, und sie saßen ab und gaben ihren Tieren etwas zu saufen, aber nicht zu viel. Anschließend fütterten sie die Pferde mit einer Handvoll in Wein aufgeweichtem Brot. Dann gingen sie ein Stück zu Fuß und führten die Pferde, bis sich die Tiere weit genug erholt hatten, und schließlich schwangen die Männer sich erneut in die Sättel. So ging das den ganzen Tag. Dabei schwebten sie ständig in der Gefahr, dass es aufgrund von Müdigkeit zu einem weiteren Unfall kam. Doch trotz all ihrer Mühen war die Staubwolke jedes Mal ein Stück näher gekommen, wann immer sie zurückschauten.
Bei einem der Streckenabschnitte zu Fuß führte Bathshiba ihr Pferd neben Ballista. Als dann auch noch Haddudad auf der anderen Seite erschien, überraschte ihn das nicht. Der Gesichtsausdruck des arabischen Söldners war zwar nicht zu deuten, doch Ballista dachte: Eifersüchtiger Bastard.
Schweigend ritten sie eine Zeit lang nebeneinanderher. Ballista schaute zu Bathshiba. Sie hatte Staub auf ihren hohen Wangen und in ihren langen schwarzen Haaren. Aus den Augenwinkeln beobachtete Ballista ihre Bewegungen, sah, wie sich ihre Brüste bewegten. Offensichtlich wurden sie unter der Männertunika, die sie trug, von nichts gehalten. Ballista dachte an das eine Mal zurück, da er sie gesehen hatte. Er dachte an ihre Rundungen, die olivfarbene Haut und die dunklen Brustwarzen. Allvater, langsam drehe ich wirklich durch, dachte Ballista. Wir reiten in dieser dämonischen Wüste um unser Leben, und ich denke nur an die Titten dieses Weibs. Aber das sind ja auch geile Titten.
»Entschuldigung, was?« Ballista bemerkte plötzlich, dass jemand etwas zu ihm gesagt hatte.
»Ich habe gefragt: Warum hast du deine Männer angelogen?« Bathshiba sprach leise. Über das Klirren des Geschirrs, die schweren Schritte und das ebenso schwere Atmen von Mensch und Tier hinweg konnten nur sie drei sie hören. »Du bist doch schon durch dieses Land gereist. Du weißt, dass wir auch in den Bergen nicht sicher sein werden. Es gibt nur einen Weg durchs Hochland. Man könnte uns nicht leichter folgen, wenn wir einen Faden hinter uns abspulen würden.«
»Manchmal bedingt eine Lüge die Wahrheit erst.« Ballista grinste. Ihm war seltsam schwindlig. »Ariadne hat Theseus das Fadenknäuel gegeben, als er in das Labyrinth gegangen ist, um den Minotaurus zu erschlagen. Mithilfe des Fadens sollte er wieder herausfinden. Und er hat ihr versprochen, sie zu heiraten, doch dann hat er sie auf der Insel Naxos zurückgelassen. Hätte er sie nicht angelogen, dann hätte Ariadne später nicht Dionysos geheiratet, Theseus hätte keinen Sohn mit Namen Hippolytos gehabt und Euripides hätte keine Tragödie dieses Namens schreiben können.«
Weder Bathshiba noch Haddudad erwiderten etwas darauf. Beide schauten sie Ballista nur verwirrt an. Ballista seufzte und erklärte: »Hätte ich den Männern die Wahrheit gesagt – nämlich, dass die Perser uns vermutlich noch vor den Bergen einholen und töten werden, und dass sich auch nichts daran ändern wird, wenn wir wirklich die Berge erreichen –, dann hätten sie wahrscheinlich aufgegeben, und alles wäre vorbei gewesen. Ich habe ihnen Hoffnung gegeben, damit sie weitermachen. Und wer weiß – vielleicht haben wir doch noch eine Chance, wenn wir erst einmal in den Bergen sind.«
Ballista musterte Haddudad aufmerksam. »Wenn ich mich recht entsinne, führt die Straße durch mehrere Schluchten hindurch.« Der Söldner nickte nur. »Eignet sich eine davon für einen Hinterhalt?«
Haddudad ließ sich mit der Antwort Zeit. Ballista und Bathshiba schwiegen. Der arabische Söldner hatte Bathshibas Vater lange Zeit gedient. Ballista und Bathshiba wussten, dass sie sich auf Haddudads Urteil verlassen konnten.
»Die Hörner von Ammon, nicht weit in den Bergen – das ist ein guter Platz für einen Hinterhalt.«
Ballista winkte den Männern, wieder aufzusitzen. Nachdem er selbst seinen müden Leib in den Sattel gewuchtet hatte, beugte er sich nach vorn und sagte leise zu Haddudad: »Sag mir Bescheid, wenn die Hörner des Ammon nicht mehr weit weg sind – falls wir überhaupt so weit kommen.«
Nacht senkte sich über die Wüste. In einem Moment stand die Sonne noch hoch am Himmel, und im nächsten verschwand sie außer Sicht. Plötzlich waren Ballistas Gefährten nur noch schwarze Schatten, und die Dunkelheit breitete sich rasch aus. Der Mond war noch nicht aufgegangen, und obwohl die Pferde noch nicht gänzlich erschöpft waren, war es viel zu gefährlich, im Sternenlicht weiterzureiten.
Direkt neben dem Pfad schlugen die Flüchtlinge ihr Lager in nahezu vollkommener Dunkelheit auf. Auf Ballistas Befehl brannten nur drei Abblendlaternen. Sie waren nach Westen ausgerichtet, weg von den Verfolgern, und sobald die Pferde versorgt waren, würden sie gelöscht werden.
Ballista rieb sein Tier ab und flüsterte dem grauen Wallach sinnlose Zärtlichkeiten ins Ohr. Ein Jahr zuvor hatte er das Pferd in Antiochia gekauft. Der Wallach hatte Ballista gut gedient, und er mochte das Tier mit dem großen Herzen. Der Geruch des verschwitzten Pferdes war für Ballista genauso gut wie der von Gras kurz nach dem Regen, und das Gefühl der kraftvollen Muskeln unter dem glatten Fell beruhigte ihn.
»Dominus.« Die Stimme eines Soldaten, der mit seinem Pferd zu ihm trat, riss Ballista aus seinen Gedanken. Mehr sagte der Soldat jedoch nicht. Das war auch nicht nötig. Das Pferd des Mannes lahmte. Wie schon so oft traten Maximus und Calgacus aus der Dunkelheit. Wortlos nahm der Kaledonier Ballistas Wallach, und der Leibwächter schaute sich zusammen mit Ballista das andere Pferd an. Sie führten es herum, ließen es traben und untersuchten die Hufe. Es war hoffnungslos. Das Tier konnte nicht mehr weiter. Mit einem knappen Nicken befahl Ballista Maximus, es wegzuführen.
Der Soldat rührte sich nicht. Er wartete. Nur seine Augen verrieten seine Furcht.
»Wir werden dem Brauch der Wüste folgen.« Als Reaktion auf Ballistas Worte atmete der Mann tief aus. »Sag allen, sie sollen sich versammeln.«
Ballista holte seinen Helm und einen tönernen Weinkrug und legte beides auf den Boden neben eine der Laternen, die er anschließend vollständig öffnete. Der kleine Trupp bildete einen Kreis und hockte sich in den Staub. Die Laterne warf ein hartes Licht auf die angespannten Gesichter und betonte jede noch so kleine Falte. Irgendwo bellte ein Wüstenfuchs. Dann kehrte wieder Stille ein.
Ballista nahm den Weinkrug, zog den Stopfen heraus und trank einen kräftigen Schluck. Der Wein war rau in seiner Kehle. Dann reichte er den Krug an den Mann neben sich weiter, der ebenfalls trank, bevor er ihn weitergab.
Maximus kehrte zurück und hockte sich zu den anderen.
»Das Mädchen macht nicht mit.« Ballistas Stimme klang selbst für ihn laut.
»Warum nicht?«
Ballista schaute zu dem Soldaten, der gefragt hatte.
»Ich habe hier das Sagen. Ich bin derjenige mit Imperium.«
»Wir werden tun, was uns befohlen wird, wir sind bereit, jede Anweisung auszuführen.« Der Soldat senkte den Blick, als er die rituellen Worte emotionslos intonierte.
Bathshiba stand auf und ging.
Als der leere Krug wieder an Ballista zurückgegeben wurde, ließ er ihn vor sich auf den Boden fallen. Dann hob er den rechten Stiefel und trat zu. Der Krug zersplitterte mit lautem Krachen. Ballista schaute sich an, was er getan hatte, dann trat er noch drei-, viermal zu, bis nur noch winzige Splitter von dem Krug übrig waren. Schließlich hockte er sich hin und suchte dreizehn ungefähr gleich große Stücke heraus, die er in einer Reihe auslegte. Er nahm sich zwei von ihnen. Mit dem einen kratzte er einen griechischen Buchstaben auf den anderen: Theta. Zu guter Letzt hob er die dreizehn Splitter wieder auf und ließ sie in seinen Helm fallen, die zwölf leeren und den einen markierten. Schließlich schüttelte er sie durch.
Mit dem Helm in der Hand stand Ballista wieder auf. Alle starrten den Helm an, als hause eine tödliche Natter in ihm, und in gewissem Sinne stimmte das auch. Ballistas Herz schlug ihm bis zum Hals. Seine Hände schwitzten, als er sich umdrehte und den Helm dem Mann zu seiner Linken anbot.
Es war der Schreiber aus Nordafrika, der, den sie Hannibal nannten. Er zögerte nicht. Er schaute Ballista fest in die Augen und steckte die Hand in den Helm. Seine Finger schlossen sich. Er zog seine Faust wieder heraus, drehte sie und öffnete die Hand. Auf der Handfläche lag ein Splitter – unmarkiert. Emotionslos ließ Hannibal ihn auf den Boden fallen.
Nun war Demetrius an der Reihe. Der griechische Jüngling zitterte. Die Verzweiflung war ihm deutlich anzusehen. Ballista wollte ihn trösten, doch er wusste, dass er das nicht konnte. Demetrius schaute in den Himmel hinauf. Seine Lippen bewegten sich zu einem stummen Gebet. Dann steckte auch er die Hand in den Helm, unbeholfen, und fast schlug er ihn Ballista aus der Hand. Die zwölf Splitter klapperten, während der Junge mit den Fingern darin herumrührte und seine Wahl traf. Mit einem Ruck riss Demetrius die Hand zurück. Er hielt einen Splitter ohne Markierung in den Fingern. Demetrius schnappte nach Luft. Fast hörte es sich wie ein Schluchzen an, und Tränen traten ihm in die Augen.
Der Soldat links von Demetrius hieß Titus mit Namen. Fast ein Jahr lang hatte er unter Ballista bei der Reitergarde gedient, den Equites Singulares. Ballista kannte ihn als ruhigen, fähigen Mann. Ohne zu zögern, zog Titus eine Scherbe aus dem Helm. Er öffnete die Faust. Theta. Titus schloss die Augen. Dann schluckte er, öffnete die Augen wieder und riss sich zusammen.
Ein Seufzen ging durch den Kreis wie ein Windhauch durch ein Weizenfeld. Bemüht, sich ihre Erleichterung nicht anmerken zu lassen, verschmolzen die anderen mit der Nacht. Nur Titus blieb bei Ballista, Maximus und Calgacus.
Titus lächelte schwach. »Damit ist meine Arbeit wohl getan. Ich kann genauso gut die Waffen ablegen.« Er zog seinen Helm aus und ließ ihn auf den Boden fallen. Dann zog er sich das Wehrgehänge über den Kopf, löste den Schwertgürtel und warf auch das beiseite. Schließlich fummelte er an den Riemen seines Kettenhemdes herum. Wortlos gingen Maximus und Calgacus ihm zur Hand.
Unbewaffnet und ohne Rüstung stand Titus einen Moment lang einfach nur da. Dann beugte er sich vor, hob sein Schwert wieder auf und prüfte Schneide und Spitze mit dem Daumen.
»Das muss nicht sein«, sagte Ballista.
Titus lachte verbittert. »Es ist ja nicht so, als hätte ich eine Wahl. Wenn ich weglaufe, werde ich verdursten. Wenn ich mich verstecke, werden die Echsen mich finden, und ich habe gesehen, was sie mit Gefangenen machen. Wenn ich schon sterben muss, dann wenigstens mit intaktem Arsch. Die römische Art ist immer noch die beste.«
Ballista nickte.
»Hilfst du mir?«
Ballista nickte erneut. »Hier?«
Titus schüttelte den Kopf. »Können wir ein Stück gehen?«
Die beiden Männer verließen den Lichtkreis. Kurz darauf blieb Titus stehen. Er nahm den Weinschlauch, den Ballista ihm anbot, und setzte sich. Dann trank er einen kräftigen Schluck und gab den Schlauch Ballista zurück, der sich neben ihn gehockt hatte. Im Lager erloschen die Laternen, eine nach der anderen.
»Tyche, das Glück ist eine Hure«, seufzte Titus, nahm Ballista den Schlauch wieder ab und trank noch einen Schluck. »Als die Stadt gefallen ist, habe ich gedacht, ich würde sterben. Dann habe ich gedacht, ich könnte fliehen. Verdammte Hure.«
Ballista schwieg.
»In der Stadt hatte ich eine Frau. Sie ist inzwischen sicher tot oder versklavt.« Titus löste die Börse vom Gürtel und reichte sie Ballista. »Das Übliche – teile es unter den Männern auf.«
Schweigend saßen sie beisammen und tranken, bis der Schlauch leer war. Titus schaute zu den Sternen hinauf. »Scheiße – bringen wir es hinter uns.«
Titus stand auf und reichte Ballista sein Schwert. Dann zog er die Tunika hoch und entblößte Bauch und Brust. Ballista stellte sich dicht vor ihn. Titus packte Ballista an den Schultern. Das Heft des Schwertes in der rechten Hand, legte Ballista die Klinge auf die linke Hand. Sanft führte er die Klinge bis auf die Haut knapp unter Titus’ Brustkorb und legte die linke Hand auf den Rücken des Soldaten.
Ballista schaute Titus weiter in die Augen. Schweißgeruch brannte in seiner Nase, und beide atmeten sie rasselnd im Takt.
Titus’ Finger gruben sich in Ballistas Schultern. Ballista nickte kaum merklich, und Titus versuchte, einen Schritt nach vorne zu machen. Ballista half ihm mit der linken Hand und legte all seine Kraft in den Stoß mit der rechten. Kurz, ganz kurz, war ein Widerstand zu spüren, dann drang das Schwert mit Übelkeit erregender Leichtigkeit in Titus’ Bauch. Titus schnappte qualvoll nach Luft und griff instinktiv nach der Klinge. Ballista spürte das Blut im selben Augenblick auf seiner Hand, als der metallische Geruch in seine Nase drang. Eine Sekunde später kam der Gestank von Pisse und Scheiße hinzu, als Titus Darm und Blase leerte.
»Euge – gut gemacht«, stöhnte Titus auf Griechisch. »Bring – bring es zu Ende.«
Ballista drehte die Klinge, zog sie raus und stieß wieder zu. Titus’ Kopf flog nach hinten, als Krämpfe seinen Körper schüttelten. Seine Augen trübten sich, seine Beine gaben nach, und er sackte weg. Ballista ließ das Schwert los, um Titus mit beiden Händen auf den Boden zu helfen.
Kniend zog Ballista das Schwert aus der Leiche. Eingeweide glitten an der Klinge hinab. Glänzend und ekelhaft weiß stanken sie wie rohes Gekröse. Ballista ließ die Waffe fallen und schloss dem Toten mit der blutigen Hand die Augen.
»Möge die Erde leicht auf dir liegen.«
Ballista stand auf. Seine Kleidung und Haut waren voller Blut des Mannes, den er getötet hatte.
Maximus führte mehrere andere aus der Dunkelheit. Sie hatten Hacken und Schaufeln dabei und machten sich sofort daran, ein Grab zu schaufeln. Calgacus legte den Arm um Ballista und führte ihn weg. Leise tröstete er ihn wie ein Kind.
Vier Stunden später war der Mond aufgegangen, und der Trupp war wieder auf dem Weg. Ballista war überrascht, dass er tief und fest geschlafen hatte, nachdem Calgacus ihn ausgezogen und gewaschen hatte. Jetzt trug er neue Kleider, seine Rüstung war poliert, und er saß wieder auf seinem Pferd und führte die Flüchtlinge nach Westen.
Einer nach dem anderen erloschen die Sterne, und als die Sonne wieder aufging, lagen die Berge noch immer in weiter Ferne. Und hinter den Flüchtlingen war die Staubwolke ihrer Verfolger zu sehen. Sie waren deutlich näher gekommen, vielleicht noch zwei Meilen entfernt.
»Ein letzter Ritt.« Im selben Augenblick, da Ballista diese Worte sprach, erkannte er, wie zweischneidig sie waren. Rasch sprach er in Gedanken ein Gebet an Wodan, den höchsten Gott seiner Heimat. Allvater, Schimmelreiter, lass meine achtlosen Worte nicht auf mich zurückfallen, und lass die Pferde wieder zu Atem kommen. Und laut rief er noch einmal: »Ein letzter Ritt!«
Da er an der Spitze der Kolonne ritt, gab Ballista auch das Tempo vor, einen gleichmäßigen Galopp. Im Gegensatz zum vorherigen Tag hatten sie nun keine Zeit mehr, abzusitzen, damit die Pferde sich erholen konnten. Während die Sonne immer höher in den Himmel stieg, ritten sie gnadenlos nach Westen.
Es dauerte nicht lange, da zeigten die Pferde erste Anzeichen von Erschöpfung. Sie blähten die Nüstern, ihre Mäuler standen offen, und Speichel flog den Reitern in die Gesichter. Sie ritten den ganzen Morgen durch, und die Berge kamen Stück für Stück näher. Irgendein Gott musste seine schützende Hand über sie halten. Der Pfad war rau, voller Löcher und steinig, doch wie durch ein Wunder passierte nichts. Weder lahmte plötzlich ein Tier noch stürzte es in den Staub. Und dann, beinahe unbemerkt, waren sie da. Der Pfad führte einen Hang hinauf, und die Steine rechts und links wurden immer größer, bis sie schließlich zu Felsen geworden waren. Sie waren im Vorgebirge.
Bevor der Pfad den Hang hinauf abbog und bevor ihnen die Sicht versperrt wurde, zügelte Ballista sein Pferd und schaute zurück. Da waren die Sassaniden, eine schwarze Linie ungefähr eine Meile hinter ihnen. Dann und wann funkelte das Sonnenlicht auf den Helmen und Rüstungen. Ballista sah, dass es sich ausschließlich um Reiter handelte, keine Fußtruppen. Aber das hatte er bereits gewusst. Er schätzte, dass es mindestens fünfzig waren. Irgendetwas war jedoch seltsam an ihnen, aber Ballista hatte keine Zeit, sie eingehender zu beobachten. Er trieb sein Pferd wieder an.
Je höher sie kamen, desto langsamer ging es voran. Die Pferde hatten schwer zu kämpfen, doch sie waren noch nicht lange im Hochland, als Haddudad verkündete: »Die Hörner von Ammon!«
Sie bogen nach links in einen Hohlweg ab. Der Pfad war schmal, an keiner Stelle breiter als zwanzig Schritte. Gut zweihundert Schritte weit führte er zwischen den Felsvorsprüngen hindurch, die dem Ort seinen Namen gaben. Die Hänge waren steil, doch der rechts nicht ganz so sehr. Vermutlich konnte man dort hochklettern, auch mit einem Pferd, und sogar wieder hinunterreiten.
»Am anderen Ende, dort, wo der Weg nach rechts abbiegt, führt der Pfad hinter den Hügel und damit außer Sicht«, sagte Haddudad. »Bring rechts Bogenschützen in Stellung, um das Ende des Hohlwegs zu halten. Das ist ideal für einen Hinterhalt – zumindest, wenn wir nicht allzu sehr in der Unterzahl sind.«
Während sie den Hohlweg hinaufritten, versank Ballista immer mehr in Gedanken, plante und traf Entscheidungen. Als sie noch gut fünfzig Schritte vom Ende des Hohlwegs entfernt waren, hielt er an und gab Befehle. »Ich werde mit Maximus, Calgacus und dem Mädchen den Hügel hinaufreiten. Mit dem Bogen ist sie genauso gut wie ein Mann. Der Griechenjunge kommt auch mit. Er kann sich um die Pferde kümmern. Und du …«, er deutete auf einen der beiden letzten verbliebenen Zivilisten, allerdings nicht auf den afrikanischen Schreiber, »… du wirst meine Befehle weiterleiten.« Er hielt kurz inne und schaute zu Haddudad und Turpio. »Damit bleibt ihr zwei mit fünf Männern unten auf dem Pfad. Wartet hinter der Ecke, außer Sicht, bis ihr meinen Befehl bekommt. Dann stürmt mitten zwischen die Echsen. Wir werden uns von oben auf sie stürzen, um ihnen in die Flanke zu fallen.«
Haddudad nickte, und Turpio grinste spöttisch. Die anderen starrten Ballista nur erschöpft und mit leeren Augen an.
Ballista löste den schwarzen Mantel, den er zum Schutz vor der Sonne über der Rüstung getragen hatte, und ließ ihn fallen. Er landete in einer Staubwolke mitten auf dem Pfad. Dann nahm er die Börse des armen Titus vom Gürtel und öffnete sie. Da waren jede Menge Münzen drin. Die Ersparnisse eines ganzen Soldatenlebens. Ballista verstreute sie hinter dem Mantel. Schließlich nahm er auch noch seinen Helm mit dem charakteristischen Federbusch ab und warf ihn ebenfalls in den Staub.
Haddudad grinste. »Gerissen wie eine Schlange«, bemerkte er.
»Bei deinem Volk gilt das vermutlich als Kompliment«, erwiderte Ballista.
»Nicht immer«, sagte der Araber.
Ballista hob die Stimme, sodass alle ihn hören konnten. »Seid ihr zum Kampf bereit?«
»Allzeit!«
Dreimal rief Ballista, und dreimal erhielt er eine Antwort, doch den Männern war ihre Erschöpfung deutlich anzuhören, und die Rufe verhallten in den Hügeln.
Turpio lenkte sein Pferd neben Ballista. Leise rezitierte er ein griechisches Gedicht.
Weine nicht
Um die glücklichen Toten.
Weine um jene,
die den Tod fürchten.
Ballista lächelte und winkte den Männern, auf Position zu gehen.
»Wir werden tun, was uns befohlen wird, wir sind bereit, jede Anweisung auszuführen.«
Ballista lag auf dem Hügelkamm, auf den Schultern eine alte graubraune Decke. Er hatte sich ein paar Handvoll Sand in Haar und Gesicht geschmiert. Zwanzig Pfeile steckten neben seinem Kopf im Boden. Sie sahen aus wie ein Büschel Wüstengras. Seine Begleiter ruhten sich hinter dem Hügel noch ein wenig aus.
Lange Zeit in strahlendem Sonnenschein auf etwas zu starren hatte etwas Narkotisierendes an sich. Land und Luft waberten, verschoben sich. Leblose Objekte begannen sich zu bewegen. Zweimal hatte Ballista schon geglaubt, der Moment sei gekommen, doch dann hatte er erkannt, dass seine Augen einer Täuschung erlegen waren. Es war nicht weit nach Mittag. Sie hatten sich einen guten Vorsprung herausgearbeitet. Die Sassaniden mussten am Fuß der Hügel gerastet haben, was aus ihrer Sicht kein Problem darstellte, denn sie waren sicher davon überzeugt, ihre Beute bald einzuholen.
Ballista blinzelte den Schweiß aus den Augen und verlagerte leicht sein Gewicht in dem flachen Loch, das er in den steinigen Untergrund gegraben hatte. Er bezweifelte stark, dass das helfen würde. Zehn Kämpfer und das Mädchen gegen mindestens fünfzig. Seltsamerweise hatte er jedoch nicht wirklich Angst. Er dachte an seine Frau und seinen Sohn, und er empfand eine überwältigende Traurigkeit, weil er sie vermutlich nie wiedersehen würde. Er stellte sich vor, wie sie sich fragten, was wohl mit ihm geschehen war. Sie würden auf ewig mit dem Schmerz leben müssen, es nie zu erfahren.
Endlich sah er eine Bewegung. Die sassanidischen Reiter galoppierten in den Hohlweg, und Ballistas Herz setzte einen Schlag lang aus. Dann sah er auch den Grund dafür, warum ihm die Kolonne schon aus der Ferne so seltsam vorgekommen war: Jeder Sassanide führte zwei Ersatzpferde mit sich. Deshalb hatten sie die Distanz zu ihrer Beute auch so rasch verringern können. Es waren sechzig Pferde, aber nur zwanzig Reiter. Also waren sie den Römern in Wahrheit nur zwei zu eins überlegen, und so der Allvater wollte, könnte Ballista das rasch zu ihren Gunsten ändern.
Der Sassanide an der Spitze der Kolonne deutete nach vorn, rief etwas über die Schulter und trottete voraus. Kurz darauf erreichte er die Sachen, die auf dem Pfad lagen, und stieg ab. Es bereitete dem Mann sichtlich Mühe, die Zügel von gleich drei Pferden zu halten, während er sich bückte, um die Sachen aufzuheben.
Ballista grinste. Die anderen Reiter hatten nicht angehalten. Stattdessen trotteten sie weiter und blieben erst direkt hinter dem Mann zu Fuß stehen. Ihr Narren, dachte Ballista, wer so dämlich ist, der hat den Tod verdient.
Ballista schüttelte die Decke ab, packte seinen Bogen und stand auf. Als er einen Pfeil auflegte, hörte er, wie seine Gefährten sich ebenfalls erhoben. Ballista spannte den Bogen, spürte, wie die Sehne in seine Finger schnitt und sich die Spannung im Horn, Holz und in seinem Bauch langsam erhöhte. Die Sassaniden wiederum konzentrierten sich nach wie vor auf ihren Fund und hatten ihn noch nicht bemerkt.
Ballista wählte den Mann, der der Anführer der Reiter zu sein schien. Er zielte über die rote Hose und unter den gelben Hut, genau auf die schwarz-gelbe Tunika. Er schoss.
Sekunden später fiel der Mann von seinem Pferd. Ballista hörte erschrockene und ängstliche Rufe, und er hörte, wie auch seine Gefährten schossen. Er legte einen weiteren Pfeil ein und schoss mitten zwischen die Reiter. Er zielte tief, denn er hoffte, wenn er die Reiter verfehlte, dann würde er zumindest ein Pferd treffen. Ballista schoss noch fünfmal, ohne darauf zu achten, wo seine Pfeile einschlugen.
In dem Hohlweg herrschte das reinste Chaos. Männer und Tiere sprangen wild herum. Einzelne Pferde hatten sich losgerissen und krachten gegen jene, die die Reiter noch immer unter Kontrolle hatten. Ballista zielte auf den hinteren Teil der feindlichen Kolonne. Sein erster Schuss verfehlte das Ziel, doch sein zweiter traf ein Pferd in die Flanke. Das Tier stieg und warf den Reiter nach hinten ab. Die anderen beiden Pferde, die der Mann geführt hatte, gingen durch und galoppierten davon.
»Haddudad! Turpio! Jetzt! Demetrius! Die Pferde!«, brüllte Ballista über die Schulter hinweg. Er schoss noch ein paar Pfeile ab, während er hinter sich schnelle Schritte auf dem lockeren Gestein hörte.
Als der Griechenjunge mit Ballistas Pferd erschien, ließ Ballista den Bogen fallen und schwang sich in den Sattel. Mit seinen Schenkeln lenkte er das Tier zum Abhang herum. Von oben wirkte der Hang weit steiler als von unten, übersät mit ockerfarbenen, grauen und braunen Brocken und durchsetzt mit tückischem Gestrüpp.
Ballista lehnte sich in den Sattelrücken, lockerte die Zügel und überließ es dem Pferd, einen sicheren Weg hinab zu finden. Er hörte, wie die anderen ihm folgten. Weiter unten sah er, wie die sieben römischen Reiter mit Haddudad und Turpio an der Spitze bereits in den Hohlweg stürmten.
Als Ballista das Schwert zog, stolperte sein Tier. Fast wäre ihm das Spatha, das Langschwert der römischen Reiterei, aus der Hand gefallen. Ballista fluchte, hielt die Waffe im letzten Moment fest und zog die Schlaufe am Heft über sein Handgelenk. Haddudads Reiter hatten bereits eine Lücke in die Sassanidenkolonne gerissen. Tatsächlich hatten sie schon drei, vier Perser niedergestreckt, doch die Enge des Hohlwegs und die schiere Übermacht des Feindes hatten sie zum Stehen gebracht. Überall liefen herrenlose, persische Pferde umher. Staubwolken quollen den gegenüberliegenden Hang hinauf.
Obwohl sie überrascht und nun führerlos waren, waren die Sassaniden doch auch mutige Krieger. Sie waren noch nicht zur Flucht bereit. Ein Römer aus Haddudads Trupp fiel aus dem Sattel. Ein Pfeil zischte an Ballista vorbei, und ein weiterer prallte genau vor ihm von einem Stein ab. Es war noch nichts entschieden.
Als Ballista sich dem Grund des Hohlwegs näherte, steckten die beiden Sassaniden, die ihm am nächsten waren, ihre Bögen wieder weg und rissen die Schwerter heraus. Der Kampf stand auf Messers Schneide. Ballista bewegte sich schnell, und diesen Vorteil wollte er nutzen. Im letzten Augenblick riss er sein Pferd zu dem Krieger zu seiner Rechten herum. Der tapfere kleine Wallach krachte Schulter an Schulter in das Pferd des Persers. Die Wucht des Aufpralls warf Ballista im Sattel nach vorn. Doch das feindliche Pferd wurde auf die Hinterbeine zurückgeworfen, sodass sich der Reiter an der Mähne festhalten musste, um nicht herunterzufallen. Ballista hingegen fand sein Gleichgewicht nahezu sofort wieder und schlug über den Hals seines Tieres hinweg zu.
Bei den Sassaniden, mit denen sie es zu tun hatten, handelte es sich um leichte Reiterei. Nur wenige von ihnen trugen Rüstungen, und so drang die Klinge dem Mann tief in die Schulter.
Ballista riss sein Schwert wieder heraus und zog an den Zügeln, um sein Pferd hinten um das des Gegners herum und auf den nächsten Feind zu lenken. Bevor ihm das jedoch gelingen konnte, stürmte ein dritter Sassanide von rechts auf ihn zu. Ballista fing den Hieb mit seinem Schwert ab und stieß nach dem Gesicht des Mannes. Doch der Sassanide wich dem Angriff aus, und Ballista spürte einen stechenden Schmerz in seinem linken Bizeps, als seine Klinge harmlos durch die Luft schnitt.
Jetzt war er zwischen zwei Sassaniden gefangen. Ohne Schild oder auch nur einen Mantel, um seine linke Seite zu schützen, musste Ballista versuchen, beide Angriffe zugleich mit seinem Schwert zu parieren. Er drehte und wand sich wie ein von Hunden in die Enge getriebener Bär. Stahl prallte auf Stahl, und die Funken flogen. Ein mächtiger Schlag von rechts traf Ballista am Brustkorb. Mit seinem Angriff hatte der Perser ein, zwei Kettenringe bei Ballista zerbrochen, und die Klinge war bis in Ballistas Fleisch vorgedrungen, allerdings nicht sehr tief.
Trotz der Schmerzen zwang Ballista sich, aufrecht im Sattel zu bleiben, und er schwang sein Schwert, doch nicht nach dem Mann, sondern nach dem Kopf des Pferdes. Zwar verfehlte er sein Ziel, aber das Tier trippelte erschrocken zur Seite. Ballistas Brust schmerzte bei jedem Atemzug. Er parierte einen Hieb von links, trat zu und traf das Pferd des Persers in den Bauch. Auch dieses Tier wich zurück. Ballista hatte sich ein paar Sekunden Zeit verschafft.
Ballista hob den Blick. Er konnte nirgends hin. Vor ihm liefen vier, fünf Pferde herum und versperrten ihm den Weg. Wieder kamen die dunklen, wilden Gesichter näher, und erneut wand sich Ballista im Sattel wie ein Tier. Doch er wurde immer langsamer. Sein linker Arm pochte, und seine Rippen schmerzten immer mehr.
Genau in dem Augenblick, da es so aussah, als könne das nur auf eine Art enden, erschien Maximus. Einem geschickten, blitzschnellen Hieb folgte eine Blutfontäne, und der Krieger zu Ballistas Linker fiel aus dem Sattel. Maximus ritt sofort weiter, und Ballista richtete all seine Aufmerksamkeit auf den verbliebenen Gegner.
Nach einer Weile wichen Ballista und sein Feind je ein, zwei Schritte zurück, als hätten sie stillschweigend eine Vereinbarung getroffen. Beide atmeten schwer und warteten darauf, was der Gegner als Nächstes tun würde. Der Kampflärm hallte von den Felswänden wider, und Staub stieg vom Boden empor. Um Ballista und seinen Gegner tobte eine wilde Schlacht, doch ihre Welt beschränkte sich auf die Reichweite ihrer Schwerter. Ballistas linker Arm war steif, fast nutzlos. Das Atmen schmerzte ihn immer mehr. Dann bemerkte Ballista einen weiteren Reiter hinter seinem Gegner, und er erkannte ihn.
»Anamu!«
Ballista hatte ihn erst vor wenigen Tagen zum letzten Mal gesehen, als der Karawanenbeschützer Anamu bei der Verteidigung seiner Heimatstadt Arete vorübergehend als römischer Offizier gedient hatte.
»Anamu, du Verräter!«
Der Mann aus Arete wandte sein langes, schmales Gesicht Ballista zu. In den weit auseinanderliegenden Augen war keine Überraschung zu sehen. »Es ist nicht meine Schuld!«, rief der Mann auf Griechisch. »Sie haben meine Familie. Ich musste sie hinter dir her führen.«
Als er sah, dass Ballista abgelenkt war, stürmte der Sassanide vor, doch instinktiv schlug Ballista die persische Klinge beiseite.
Anamu warf den Kopf zurück und brüllte auf Persisch: »Jeder für sich allein! Flieht! Rettet euch!« Er trat seinem Pferd die Fersen in die Flanken, und das Tier sprang sofort los. Über die Schulter hinweg rief Anamu Ballista wieder auf Griechisch zu: »Es ist nicht meine Schuld!«
Der Sassanide, der Ballista gegenüberstand, wich erneut zurück, diesmal vier, fünf Schritte. Dann riss er an den Zügeln, wendete sein Pferd und folgte Anamu.
Plötzlich war die Luft von persischen Rufen erfüllt. Hufgetrappel hallte von Ammons Hörnern wider. Wie ein Mann versuchten die Perser, sich aus dem Kampf zu lösen und zu fliehen. Der Kampf war vorbei.
Ballista beobachtete, wie die sassanidischen Reiter im Hohlweg verschwanden. Seine eigenen Männer waren bereits aus den Sätteln gesprungen, um den verletzten Feinden die Kehlen durchzuschneiden und sie nach den Reichtümern zu durchsuchen, von denen es hieß, die Perser trügen sie stets bei sich.
»Lasst einen leben!«, rief Ballista. Doch es war zu spät.
Haddudad und Turpio ritten zu ihm und verkündeten ihm das blutige Ergebnis. Zwei ihrer Männer waren tot und zwei weitere verwundet, Turpio eingeschlossen, der eine böse Wunde am linken Oberschenkel erlitten hatte. Ballista dankte ihnen, und alle drei ließen sie sich steif aus den Sätteln gleiten.
Ballista untersuchte sein Pferd. Es hatte einen Kratzer an der linken Schulter und eine kleine Wunde an der rechten Flanke, doch ansonsten schien der Wallach keinen Schaden davongetragen zu haben. Calgacus kam mit Wasser und einem sauberen Tuch. Er begann, Ballista den Arm zu verbinden. Dabei fluchte er wortreich, während sein Patient sein Pferd streichelte.
Schließlich trabte Bathshiba heran. Ballista hatte das Mädchen ganz vergessen. Sie sprang aus dem Sattel, rannte zu Haddudad und schlang die Arme um seinen Hals. Ballista wandte sich ab.
Etwas funkelte auf dem Boden, und das erregte seine Aufmerksamkeit. Es war der Helm, den er zu Beginn des Kampfes weggeworfen hatte. Ballista ging zu ihm und hob ihn auf. Er war verbeult. Ein Pferd war darauf getreten. Der Federbusch war außer Form, doch das konnte man reparieren.
Sehet, die Erde wird das dunkle Blut vieler Männer trinken.
Denn dies wird die Zeit sein, da die Lebenden die Toten gesegnet nennen.
Sie werden sagen, es sei gut zu sterben.
Doch der Tod wird vor ihnen fliehen.
Und was dich betrifft, verdammtes Syrien, so weine ich um dich.
Die Sibyllinischen Bücher XIII, 115–119
Ballista wollte ein guter Römer sein. Allvater Wodan wusste das. Aber es war schwer, und in Zeiten wie diesen war es sogar nahezu unmöglich. Wie konnten die Römer nur diese dummen Regeln und lächerlichen Rituale ertragen, die alles erstickenden Hemmnisse der Zivilisation? Wenn ein Verwundeter nach neunzehn Tagen nahezu ununterbrochener Reise von Kopf bis Fuß verstaubt zum kaiserlichen Palast in Antiochia ritt, leicht wankte, nachdem er abgestiegen war, und wenn er Neuigkeiten über den furchtbaren persischen Feind brachte, dann hätte man doch annehmen sollen, dass die Höflinge ihn augenblicklich zum Augustus bringen würden.
»Es tut mir wirklich außerordentlich leid, Dominus, aber ich darf nur jene hereinlassen, die ausdrücklich zum heiligen Consilium des Kaisers Valerian Augustus geladen sind.« Der fette Eunuch blieb knallhart.
»Ich bin Marcus Clodius Ballista, Dux Ripae, Oberbefehlshaber der Flussufer, Vir Egregius und römischer Ritter. Ich bin ohne Rast vom Euphrat hierher geritten, und ich bringe Neuigkeiten über die feindlichen Sassaniden – Neuigkeiten, die der Kaiser hören muss!« Ballistas Stimme hatte etwas Drohendes an sich.
»Ich kann gar nicht genug betonen, wie leid es mir tut, edler Dux, aber das ist unmöglich.« Der Eunuch schwitzte stark, aber er hatte Eier – bildlich gesprochen natürlich – und blieb standhaft.
Ballista spürte den Zorn in sich aufkeimen. Er atmete tief durch. »Dann melde dem Kaiser, dass ich draußen bin und mit ihm und seinen Beratern sprechen muss. Dringend!«
Der Eunuch breitete verzweifelt die Hände aus. »Ich fürchte, das liegt nicht in meiner Macht. Nur der Ab Admissionibus kann so etwas veranlassen.« Prächtige Ringe funkelten an den fetten Fingern des Mannes – Gold, Amethyst und Granat.
»Dann sag dem Ab Admissionibus, er soll Valerian eine Botschaft übermitteln.«
Ein ehrlich schockierter Ausdruck erschien auf dem rundlichen Gesicht. Bei Hofe wagte es niemand, auch nur davon zu träumen, den Kaiser bei nur einem seiner Namen zu nennen. »O nein – der Ab Admissionibus ist nicht hier.«
Ballista schaute sich auf dem Hof um. Dichter Ziegelstaub hing in der Luft. Irgendwo hämmerte jemand. Am Fuß der Treppe standen vier Silentarii, deren Titel perfekt zu ihrer Aufgabe passte. Niemand sollte die heilige Ruhe der kaiserlichen Gedankengänge stören. Ein Dutzend Prätorianer oben an der großen Tür deckten den Silentarii den Rücken. All das machte es Ballista unmöglich, sich den Weg zum Kaiser zu erzwingen. Er lauschte auf das Hämmern. Auch wenn es fast auf den Tag genau ein Jahr her war, dass Ballista zum ersten Mal im neuen Kaiserpalast in Antiochia gewesen war, war er noch immer nicht fertig. Trotzdem hatte sich viel verändert. So war es eher unwahrscheinlich, dass Ballista einen unbewachten Weg hinein finden würde. Dazu kam, dass die Müdigkeit allmählich an Ballistas Geduld nagte. Als er sich wieder zu dem Diener umdrehte, der ihm den Weg versperrte, sagte der Eunuch:
»Es sind noch nicht alle Mitglieder des Consiliums hier. Der Ab Admissionibus wird jeden Moment erwartet, Dominus. Vielleicht kannst du ja mit ihm reden.« Der Eunuch lächelte beschwichtigend. Sein Gesicht glich dem eines Hundes, der Schläge fürchtet und deshalb die Zähne fletscht.
Auf Ballistas Nicken hin drehte sich der Eunuch rasch um und watschelte davon.
Ballista schaute in den Himmel hinauf und schloss die Augen, als sich ihm vor lauter Müdigkeit der Magen umdrehte. »Verdammte Scheiße«, knurrte er in seiner germanischen Muttersprache.
Ballista öffnete die Augen wieder und schaute sich abermals im Hof um. Der große, staubige Platz war voller Menschen aus allen Ecken des römischen Imperiums. Da waren Männer in römischen Togen, Griechen in Tuniken und Mänteln und Gallier und Keltiberer in Hosen. Andere Gruppen wiederum kamen offenbar von außerhalb der römischen Grenzen. Ballista sah Inder mit Turbanen, Skythen mit hohen, spitzen Hüten und Afrikaner in bunten Gewändern. Wo auch immer der Kaiser hinging, das Imperium folgte ihm in Form von unzähligen Gesandten. Gesandte von Gemeinschaften innerhalb des Imperiums warteten darauf, ihm ihre Bitten vorzutragen, seien es Steuererleichterungen, die Stationierung von Truppen oder auch symbolische Gesten wie das Verteilen von Ehrentiteln an verschiedene Mitglieder der örtlichen Führungsschicht. Dazu kamen Gesandtschaften von weiter weg, von sogenannten »befreundeten Königen«, die entweder auf Hilfe gegen ihre Nachbarn oder finanzielle Unterstützung hofften. Vor allem Letzteres wollten sie eigentlich immer: Geld. Doch jetzt wankte das Imperium. Es wurde an allen Grenzen angegriffen, und in einer Provinz nach der anderen brachen Aufstände aus.
»Bitte entschuldige.« Ballista war erschöpft. Er hatte gar nicht bemerkt, wie der Mann näher gekommen war.
»Ich habe dich in unserer Sprache sprechen hören.« Der Mann lächelte wie jemand, der sich freute, einen Landsmann weit weg von der Heimat zu finden. Sein Akzent deutete auf südgermanische Stämme hin, auf irgendein Volk an der Donau oder dem Schwarzen Meer. Ballistas Misstrauen war geweckt.
»Ich bin Widerich, Sohn von Fritigern, dem König der Boraner. Ich bin als Gesandter meines Vaters hier.«
Schweigen folgte diesen Worten. Ballista richtete sich zu seiner ganzen beeindruckenden Größe auf.
»Ich bin Dernhelm, Sohn von Isangrim, dem Kriegsherrn der Angeln. Die Römer kennen mich als Marcus Clodius Ballista.«
Widerichs Gesichtsausdruck veränderte sich dramatisch. Instinktiv wanderte seine Hand zur Hüfte, wo für gewöhnlich sein Schwert hing. Doch genau wie Ballista hatten die Prätorianer auch ihm die Waffen am Tor abgenommen.
Zwei weitere Boraner erschienen rechts und links neben Widerich. Die drei Krieger funkelten Ballista an. Sie sahen sich sehr ähnlich. Alle drei waren große, kräftige Männer mit schulterlangen, blonden Haaren und Goldringen an den Armen.
»Du Bastard!«, spie Widerich. Ballista zeigte keine Regung. »Du verdammter Bastard!«
Ballista schaute die drei wütenden Männer an. Seine eigenen Männer, Maximus und die anderen, hatte er in die Kaserne geschickt. Er war allein. Doch eine unmittelbare Gefahr drohte ihm nicht. Die Prätorianer neigten nicht gerade dazu, Kämpfe unter jenen zu dulden, die in der Hoffnung gekommen waren, den Kaiser zu sehen.
»Letztes Jahr in der Ägäis – zwei Langschiffe voller Krieger der Boraner –, und du hast nur gut ein Dutzend verschont, um sie als Sklaven zu verkaufen.« Alle Farbe wich Widerich aus dem Gesicht.
»Im Krieg sterben Männer. So ist das nun mal«, erklärte Ballista in ruhigem Ton.
»Du hast sie einfach abschießen lassen, als sie sich nicht haben wehren können.«
»Sie wollten sich nicht ergeben.«
Widerich trat vor. Einer der anderen Boraner legte ihm die Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten. Widerich funkelte Ballista verächtlich an. »Und deshalb sind wir Boraner jetzt hier, um unseren Tribut von den Römern einzusammeln, während du …«, ihm fielen nicht gleich die rechten Worte ein. Dann lachte er und schnaubte spöttisch: »… während du hier wie ein Sklave auf deine Befehle wartest. Vielleicht wird dein römischer Herr dich ja empfangen, nachdem er uns sein Gold gegeben hat.«
»Hoffnung ist mein Leben«, erwiderte Ballista.
»Eines Tages werden wir uns wiedersehen, und dann werden keine Römer da sein, um dich zu beschützen. Zwischen uns herrscht Blutfehde.«
»Wie ich gesagt habe – Hoffnung ist mein Leben.« Ballista kehrte den Boranern den Rücken zu und ging in die Mitte des großen Hofs. Wo auch immer du hingehst, sinnierte er, alte Feinde finden dich.
Ein tiefes, metallisches Geräusch ertönte am inneren Tor. Ballista drehte sich wieder um. Überall um ihn herum verstummten die Gespräche, als alle es ihm gleichtaten und zum Tor starrten. Hoch oben im zweiten Stock stand die vergoldete Statue eines nackten Mannes. In der rechten Hand hielt die Statue einen langen Stab. Neun große, goldene Sphären hingen an der Spitze des Stabs, und drei weitere waren am Fuß befestigt. Trotz seiner Müdigkeit erregte die Wasseruhr Ballistas Aufmerksamkeit. Offensichtlich glitt jeweils eine der Sphären alle zwölf Stunden nach unten. Jetzt hatte sie die dritte Stunde des Tages geschlagen. Traditionell endete um diese Zeit die Salutatio, die Zeit, um Besucher zu empfangen, und der Hof setzte sich zusammen. Doch die absolute Macht der Kaiser hatte solche Traditionen schon vor langer Zeit verwässert.
Während der Ton verhallte, nahmen die Wartenden ihre Gespräche wieder auf. Die Wasseruhr war neu. Vor einem Jahr war sie zumindest noch nicht da gewesen. Der Ingenieur in Ballista nahm sich vor herauszufinden, wie sie funktionierte. Schließlich wandte er sich wieder von ihr ab und ließ seinen Blick abermals über den Hof schweifen. Vor den hohen, festungsähnlichen Mauern mit den eingebauten korinthischen Säulen sahen die Menschen geradezu winzig aus. Die Boraner standen nahe dem inneren Tor und starrten noch immer offenen Mundes zur Uhr hinauf. Ballista ging langsam in Richtung Außentor.
Eine kleine Gruppe von Bauern, hagere Männer in geflickten Hemden, traten zur Seite, als Ballista sich auf den Boden setzte. Der große Mann aus dem Norden richtete sich aufs Warten ein. Die Ellbogen auf den Knien und den Kopf in den Händen schloss er die Augen. Die Sonne schien warm auf seinen Rücken. Die Bauern begannen, leise miteinander zu sprechen. Ballista kannte ihre Sprache nicht. Er vermutete allerdings, dass es sich um Syrisch handelte.
Ballistas Gedanken gingen auf Wanderschaft. Erneut sah er vor seinem geistigen Auge, wie das Feuer die Stadt verschlang und die Flammen im starken Südwind gen Himmel schossen, während die Dächer im Funkensturm zusammenbrachen. Arete war tot. Die Stadt, die zu verteidigen seine Aufgabe gewesen war.
Dann wandte sich Ballista in Gedanken unweigerlich wieder der albtraumhaften Flucht aus der brennenden Stadt zu, der höllischen, gnadenlosen Jagd durch die Wüste. Zum wiederholten Mal sah er, wie sein Schwert Titus den Bauch aufschlitzte. Er sah, wie der Soldat seinen letzten Atemzug aushauchte, und den blutigen Kampf an den Hörnern des Ammon. Dann waren sie zwei Tage lang durch die Berge geritten. Erschöpft hatten sie in den Sätteln gehangen, und der Hunger hatte an ihnen genagt, bis sie an nichts anderes mehr hatten denken können. Quälend langsam hatten sie sich von einem brackigen Wasserloch zum nächsten vorgekämpft.
Ballistas Gedanken wanderten weiter. Endlich war es wieder von den Bergen hinab gegangen. Das erste von den Römern gehaltene Dorf. Sauberes Wasser, Essen, ein Bad und die Neuigkeit, dass Kaiser Valerian mit seinem Hof nach Antiochia gekommen war. Dann waren sie über eine breite römische Straße in die Karawanenstadt Palmyra geritten. Dort hatte Ballista Bathshiba und Haddudad zurückgelassen. Es war ein kurzer, schneller Abschied. Vieles war unausgesprochen geblieben. Sie hatten keine Zeit gehabt, und Ballista hatten auch die Worte gefehlt. Er hatte nicht gewusst, was er hätte sagen sollen.
Der Rest der Reise war körperlich eher einfach gewesen. Die ganze Strecke waren sie über gute römische Straßen geritten. Von Palmyra aus war es dann nach Westen zur nächsten großen Karawanenstadt, Emesa, gegangen. Der weitere Weg hatte nach Norden geführt, das üppige Tal des Orontes hinauf.
Jetzt, im Hof des Kaiserpalastes, fühlte Ballista noch einmal die Bewegungen des Pferdes unter ihm, als er über die saftig-grünen Wiesen in Richtung Antiochia getrottet war, um heute den Bericht zu erstatten, den er erstatten musste. Die Stadt ist gefallen. Die Sassaniden haben sie erobert. Ich habe versagt.
Klack, ein Schlurfen und ein Schritt. Klack, ein Schlurfen und ein Schritt …
Die Geräusche weckten Ballista auf. Macrianus humpelte unter dem hohen Bogen des Außentors hindurch. Das Klacken rührte von seinem Gehstock, das Schlurfen von seinem lahmen und der Schritt von seinem gesunden Fuß. Klack, ein Schlurfen und ein Schritt.
Die Menge teilte sich, als Macrianus den Hof betrat. Ein paar Schritte hinter ihm folgten zwei Männer in Togen. In jeder Hinsicht außer einer waren sie Macrianus’ jüngeres Ebenbild. Sie hatten die gleiche lange, gerade Nase, das gleiche flache Kinn und die gleichen Tränensäcke. Doch im Gegensatz zu ihrem Vater hatten Macrianus’ Söhne keine Probleme beim Gehen. Tatsächlich hatte ihr Gang etwas Leichtes, Selbstbewusstes an sich. Ballista hatte die Söhne noch nie zuvor gesehen, doch Macrianus hatte er schon ein-, zweimal getroffen.
Marcus Fulvius Macrianus mochte alt und lahm sein, und seine niedere Geburt war weithin bekannt, doch man durfte ihn nicht unterschätzen. Als Comes Sacrarum Largitionum, als Verwalter der Heiligen Großzügigkeit, war er für die Bekleidung bei Hofe, in der Armee und im Beamtenapparat zuständig. Ihm unterstanden die kaiserlichen Färbereien. Außerdem kontrollierte er Abgaben im Reich, die Gold- und Silberminen, die Münze, und am wichtigsten von allem: Er zahlte den Sold der Soldaten und die Gehälter der Beamten aus sowie nicht selten auch weitere Zuwendungen, besonders an die Armee. Als Praefectus Annonae, der für die Getreideversorgung zuständig war, ernährte er überdies die Stadt Rom und den kaiserlichen Hof. Er hatte Vertreter und Depots in allen Provinzen des Imperiums. Oder mit anderen Worten: Er war des Kaisers Augen und Ohren.
Macrianus war hoch aufgestiegen. Jetzt glitzerte er förmlich im Sonnenlicht. Seine Toga glänzte weiß, und der goldene Kopf Alexanders des Großen auf seinem Gehstock funkelte. Klack, ein Schlurfen und ein Schritt. Weder Macrianus noch seine Söhne schauten nach rechts oder links, während sie zum inneren Tor und dem kaiserlichen Consilium gingen.
Ballista rappelte sich steif auf.
»Ave, Comes. Ave, Marcus Fluvius Macrianus.«
Klack, ein Schlurfen und ein Schritt. Der lahme Mann schenkte ihm keine Aufmerksamkeit.
»Macrianus.« Ballista trat vor.
»Aus dem Weg, du dreckiger Barbar. Wie kannst du es wagen, den Comes Sacrarum Largitionum und Praefectus Annonae anzusprechen?« Die Verachtung in der Stimme des Sohnes war nicht gespielt.
Ballista ignorierte ihn. »Macrianus, ich muss mit dir sprechen.«
»Sprich nur, wenn du dazu aufgefordert wirst, du barbarisches Stück Scheiße.« Der Jüngling trat auf Ballista zu.
»Macrianus, ich bin’s.«
Der lahme Mann setzte seinen langsamen Weg fort, aber er schaute auch zu dem langhaarigen, verdreckten Barbaren, der ihn da angesprochen hatte. Zuerst schien er Ballista nicht zu erkennen.
»Macrianus, ich bin’s, Ballista, der Dux Ripae. Ich bringe Neuigkeiten von den Sassaniden. Sie …« Ein Schlag gegen seine linke Schläfe unterbrach Ballista mitten im Satz. Er taumelte ein paar Schritte nach rechts.
»Das soll dir eine Lektion sein.« Der Jüngling stapfte weiter nach vorn, bereit, noch einmal zuzuschlagen. Ballista duckte sich und hielt die Hand vor die Schläfe. Langsam drehte er sich zu dem Angreifer um, als wäre er benommen.
Als der Jüngling dann nah genug gekommen war, schlug Ballista hart und schnell mit der Rechten zu, genau in die Eier. Der Jüngling klappte zusammen und hielt sich den Sack mit beiden Händen. Schmerzerfüllt taumelte er drei Schritte zurück. Die Toga war ein zeremonielles Kostüm, ihre Unbrauchbarkeit ihr Sinn. Die Römer trugen sie an besonderen, formellen Tagen, wenn sie weder körperlich arbeiten noch kämpfen mussten. Jetzt hing die Toga des Jünglings auf seinen Beinen. Er sackte auf den Hintern.
Ballista richtete sich wieder auf und drehte sich zu Macrianus um.
»Macrianus, ich bin es, Marcus Clodius Ballista, der Dux Ripae. Du musst mich mit ins Consilium nehmen.«
Macrianus war stehen geblieben. Er starrte Ballista an. Nicht nur Erkennen zeigte sich in seinen Augen, sondern auch Berechnung, als habe er nicht erwartet, Ballista wiederzusehen.
»Es ist von außerordentlicher Bedeutung, dass ich mit dem Kaiser spreche.« Ballista hörte Männer rennen. Mit Nägeln beschlagene Stiefel hallten durch den Hof. Andere sprangen aus dem Weg. Ballista hielt den Blick jedoch weiter auf Macrianus gerichtet. Ein schwaches Lächeln erschien auf dem Gesicht des Comes Sacrarum Largitionum.
Ein Prätorianer warf sich mit voller Wucht gegen Ballista. Ballista stürzte und riss den Prätorianer mit sich zu Boden. Sofort rollte sich der Gardist wieder von Ballista herunter und sprang auf. Ein weiterer Prätorianer erschien und rammte Ballista die stumpfe Seite des Speers in den Rücken. Trotz des Übelkeit erregenden Schmerzes versuchte der Germane, sich wieder aufzurappeln.
»Gut so! Schlagt das Barbarenschwein zusammen! Er hat den Comes Sacrarum Largitionum bedroht und Quietus angegriffen, meinen Bruder. Schlagt ihn grün und blau, und werft den Hund dann auf die Straße!«, kreischte der andere Jüngling.
Ballista hatte sich zusammengerollt und drückte sein Gesicht auf die Pflastersteine, während er versuchte, sich vor den Schlägen zu schützen. Doch schon nach kurzer Zeit hörten die Schläge auf, und Ballista hörte Macrianus’ Stimme.
»Mein Sohn, Macrianus der Jüngere, hat recht. Jetzt werft ihn auf die Straße.«
Kräftige Hände packten Ballista und zerrten ihn in Richtung Tor. Ballista drehte den Kopf, doch das brachte ihm nur einen Schlag hinter die Ohren ein. Aber er sah, wie Macrianus und seine beiden Söhne ihren so grob unterbrochenen Weg zum kaiserlichen Consilium fortsetzten.
»Macrianus, du Bastard, du weißt, dass ich der Dux Ripae bin!« Obwohl er das gehört haben musste, wurde Macrianus noch nicht mal langsamer. Klack, ein Schlurfen und ein Schritt. Er verschwand die Stufen hinauf und im inneren Tor.
Fast sanft versetzte einer der Prätorianer Ballista einen Schlag gegen den Kopf.
»Pass auf, was du sagst, wenn du mit Edelleuten sprichst, Barbarenarsch.«
Ballista hörte auf, sich zu wehren, und ließ den Kopf hängen. Die Stiefel wurden über den Boden geschleift. Das sind teure Stiefel, dachte er sinnlos. Das wird ihnen nicht guttun.
»Halt!« Die Stimme war Gehorsam gewöhnt. Die Prätorianer blieben stehen. »Lasst mich ihn sehen.«
Die Prätorianer ließen Ballista los, der daraufhin auf dem Pflaster zusammenbrach.
»Helft ihm hoch. So kann ich nichts erkennen.«
Beinahe vorsichtig packten ihn die groben Hände und zogen ihn in die Höhe. Als sie sahen, wie der Germane wankte, stützten die Prätorianer ihn.
Verschwommen erschien ein langes, schmales Gesicht vor Ballistas Augen. Es kam ihm sehr nahe, und die großen Augen blinzelten. Vor allem eines kam Ballista reichlich seltsam vor: Er war so benommen vor Müdigkeit, dass er nicht wirklich Schmerz empfand. Blut lief über seine Stirn aus einer Wunde am Haaransatz. Er versuchte, es mit der linken Hand wegzuwischen, doch stattdessen verschmierte er es nur.
»Bei den Göttern der Unterwelt, bist du das wirklich unter all dem Dreck? Ballista?«
Ballista starrte den Mann an. Das lange, schmale Gesicht war irgendwie asymmetrisch, aber auch vertraut.
»Cledonius – lange her …« Ballista lächelte, und auch das tat ihm kaum weh. Obwohl Cledonius kein enger Freund war, so war er, der Ab Admissionibus, doch so etwas wie Ballistas Verbündeter am Kaiserhof.
»Was in Hades’ Namen ist denn mit dir passiert?« Cledonius klang ehrlich besorgt.
»Du meinst, bevor die Prätorianer mich zusammengeschlagen haben?«
Cledonius wirbelte zu den Prätorianern herum. »Wer hat euch das befohlen?«
Die Prätorianer nahmen Haltung an. »Der Befehl kam vom Verwalter der heiligen Großzügigkeit, Dominus.«
Cledonius’ Gesichtsausdruck verriet nichts. Im Palast war es nicht gerade förderlich, das Herz auf der Zunge zu tragen. Cledonius drehte sich wieder zu Ballista um.
»Als ich das letzte Mal von dir gehört habe, warst du der Dux Ripae.« Cledonius öffnete den Mund, als wolle er noch mehr sagen, doch er hielt inne. Ballista sah förmlich, wie es im Kopf des Mannes arbeitete. Du bist zum Dux Ripae ernannt worden.Du hattest den Befehl, Aretegegen die Sassaniden zu verteidigen. Und jetzt bist du hier, Hunderte von Meilen entfernt in Antiochia, verletzt und verdreckt. Die Stadt ist gefallen. Du hast versagt.
»Wir sollten dich wohl erst einmal waschen. Dann kannst du dem Kaiser berichten, was passiert ist.« Jetzt war Cledonius’ Gesichtsausdruck nicht viel anders als der von Macrianus vorhin: berechnend. Am Hof eines Autokraten konnte Vorwissen leicht in einen Vorteil verwandelt werden, doch bisweilen war es auch gefährlich, allzu eng mit dem Überbringer einer Nachricht verbandelt zu sein.
Cledonius machte eine knappe Geste mit dem Arm. Die beiden Prätorianer ließen Ballista los, und gemeinsam machten er und Cledonius sich auf den Weg über den Hof. Die Menge teilte sich. Obwohl sein Kopf schmerzte und Schultern und Rücken steif waren, stellte Ballista fest, dass er ganz normal gehen konnte. Als sie sich dem inneren Tor näherten, sah er, wie die drei boranischen Krieger ihn anfunkelten. Auf den Stufen traten die Silentarii beiseite. Die Prätorianer salutierten und öffneten die großen Doppelflügel.
Cledonius und Ballista gingen über einen weiteren Hof. Dieser war lang und schmal, verglichen mit dem anderen. Eine Kolonnade aus frei stehenden korinthischen Säulen verband Bögen auf beiden Seiten. Das Tor schloss sich hinter ihnen.
