Krimi Dreierband 3195 - Chris Heller - E-Book

Krimi Dreierband 3195 E-Book

Chris Heller

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Commissaire Marquanteur geht undercover in die Hölle (Martin Barkawitz, Chris Heller) Trevellian und der Gangsterkrieg in Manhattan (Pete Hackett) Trevellian und die Rache des Gangsterbosses (Pete Hackett) Bomben im Grand Central, Zeitungshändler werden bedroht, ein Bekennerschreiben deutet auf islamistischen Terror hin. Doch die FBI-Agents Trevellian und Tucker vermuten, dass der Verbrecher Agostino noch aus dem Gefängnis heraus die Fäden zieht. Das FBI muss Beweise suchen, für die eine oder andere Theorie – und die Täter müssen gefasst werden. Aber bis dahin sollen die Agenten längst tot sein!

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Seitenzahl: 356

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Pete Hackett, Martin Barkawitz, Chris Heller

Krimi Dreierband 3195

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Inhaltsverzeichnis

Krimi Dreierband 3195

Copyright

Commissaire Marquanteur geht undercover in die Hölle

Trevellian und der Gangsterkrieg in Manhattan

Trevellian und die Rache des Gangsterbosses

Krimi Dreierband 3195

Pete Hackett, Chris Heller, Martin Barkawitz

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Commissaire Marquanteur geht undercover in die Hölle (Martin Barkawitz, Chris Heller)

Trevellian und der Gangsterkrieg in Manhattan (Pete Hackett)

Trevellian und die Rache des Gangsterbosses (Pete Hackett)

Bomben im Grand Central, Zeitungshändler werden bedroht, ein Bekennerschreiben deutet auf islamistischen Terror hin. Doch die FBI-Agents Trevellian und Tucker vermuten, dass der Verbrecher Agostino noch aus dem Gefängnis heraus die Fäden zieht. Das FBI muss Beweise suchen, für die eine oder andere Theorie – und die Täter müssen gefasst werden. Aber bis dahin sollen die Agenten längst tot sein!

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2025 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Commissaire Marquanteur geht undercover in die Hölle

Martin Barkawitz & Chris Heller

Commissaire Marquanteur geht undercover in die Hölle: Frankreich Krimi

Krimi von Martin Barkawitz & Chris Heller

Lautlos ließ sich Leon Maréchal an der Holzleiter hinabgleiten. Die mondlose Nacht war sein Verbündeter. Außerdem – niemand würde vermuten, dass sich ein Beamter der FoPoCri in dieser so unscheinbaren Scheune umschauen würde.

Jedenfalls dachte er das.

Mit Hilfe von Steigeisen war er von außen an der Holzwand der Scheune hinaufgeklettert, dann war er durch eine kleine Luke eingedrungen. Der Commissaire hielt eine winzige Taschenlampe mit abgeblendetem Lichtkegel in der Faust. Für das, was er vorhatte, spendete sie genügend Helligkeit.

Ein Geräusch ließ ihn zusammenfahren.

Was war das gewesen? Ein Tier vielleicht? Oder der stürmische Wind, der draußen durch die Baumwipfel am Waldrand brauste. Oder? Leon Maréchal verharrte, die Hand auf dem Griff seiner Dienstwaffe …

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Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Alles rund um Belletristik!

1

Musée de l'Evolution nennt sich das neue Naturkundemuseum in Marseille. Man kann da alles mögliche bestaunen. Unter anderem auch Saurierknochen und Fossilien. Mein Interesse an diesen Dingen war allerdings nur mäßig. Und das lag nicht daran, dass mich Saurier nicht interessiert hätten. Ganz im Gegenteil.

Es war einfach so, dass ich aus beruflichen Gründen hier war. Und nicht etwa zu privaten Bildungszwecken.

Beruflich bedeutete in meinem Fall, dass es in irgendeiner Weise mit dem organisierten Verbrechen zu tun hatte.

Mein Name ist Pierre Marquanteur.

Ich bin Commissaire und Teil einer Sonderabteilung mit dem wirklich sehr griffigen Namen Force spéciale de la police criminelle, kurz FoPoCri. Wir sind hier in Marseille angesiedelt und beschäftigen uns mit den wirklich schwierigen Fällen.

Und das hier hatte die Chance, so ein Fall zu werden.

Ich war nicht wegen der Saurier hier, ich glaube, das erwähnte ich schon. Und auch nicht wegen all der anderen schönen und interessanten Dinge, die man hier bestaunen kann.

Nein, ich war hier, um mich mit jemandem zu treffen.

Jemandem, der uns angeblich Informationen über das organisierte Verbrechen geben wollte.

Ein Insider, so hatte er zumindest in der Nachricht behauptet, über die er den Erstkontakt hergestellt hatte.

Vielleicht handelte es sich nur um einen Spinner oder Wichtigtuer. Das war durchaus möglich. Andererseits waren wir natürlich verpflichtet, Hinweisen aus der Bevölkerung nachzugehen. Ob dann auch was dran war, musste sich herausstellen.

Ich beobachtete eine Schulklasse. Die Lehrerin hatte alle Mühe, die Jugendlichen zu bändigen. Die schätzungsweise vierzehn- bis fünfzehnjährigen Teenager schienen sie einfach nicht Ernst zu nehmen. Mit dünner Piepsstimme gab sie ihre Anweisungen, die allerdings so schrill und unklar waren, dass man beim besten Willen nicht erwarten konnte, dass sie auch befolgt wurden. Die Chaos-Truppe bewegte sich auf die Paläontologie zu.

»Guten Tag, Monsieur Marquanteur«, sprach mich in diesem Moment ein Mann von der Seite an. Es handelte sich um einen sehr unscheinbar wirkenden Mittvierziger.

Ich hatte ihn zuvor bereits bemerkt. Aber ich wäre ehrlich gesagt nie auf den Gedanken gekommen, dass es sich bei ihm den Mann handeln könnte, mit dem ich mich hier treffen wollte. Er wirkte eher wie ein biederer Familienvater.

Nicht wie einer, der Informationen über die inneren Strukturen des organisierten Verbrechens weitergeben konnte, weil er sie aus eigener Erfahrung kannte und vielleicht sogar selbst eine Rolle darin gespielt hatte.

So konnte man sich eben täuschen.

Ich drehte mich zu ihm herum.

»Bonjour«, sagte ich.

»Ich kenne Ihr Gesicht«, sagte er.

»Woher – wenn ich das fragen darf?«

Er lächelte dünn. Sehr dünn und sehr schmallippig. Vielleicht hätte ich diese Frage nicht stellen sollen. Sie schien irgend etwas bei ihm ausgelöst zu haben, wovon ich noch nicht wusste, was es war.

Ich beschloss, in Zukunft bei ihm etwas vorsichtiger zu sein.

Es gibt Menschen, die sind eher mit Vorsicht zu genießen, wie man so schön sagt. Und wenn man nicht vorsichtig genug ist, dann sind die beleidigt oder ticken aus. In diesem Fall war es dann vielleicht so, dass plötzlich keine Lust mehr bestand, sich mit mir zu unterhalten. Und das wollte ich natürlich nicht riskieren. Zumindest nicht, bevor ich nicht wusste, ob er mir am Ende nicht doch etwas sehr wichtiges mitzuteilen hatte.

Aber ob das, was er mir zu sagen hatte, wichtig war, das wusste ich ja noch nicht.

»Ich habe mich einfach im Vorfeld gut informiert«, sagte er.

»Okay.«

»Ich informiere mich immer sehr gut, bevor ich irgend etwas anfange.«

»Dann haben wir zumindest eine Sache gemeinsam.«

»Sie überlassen die Dinge auch nicht gerne dem Zufall.«

»Das stimmt.«

»Das ist mir sympathisch.«

»Wie soll ich Sie nennen?«

»Ist das so wichtig?«

»Sie kennen meinen Namen. Wäre es da nicht zumindest fair, wenn ich wenigstens einen Teil Ihres Namens erfahren würde?«

»Nennen Sie mich einfach Monsieur X«, sagte er.

»In Ordnung», sagte ich. »Monsieur X, weshalb haben Sie sich an unsere Abteilung gewandt?«

»Weil ich etwas mitzuteilen habe.«

»Ich bin sehr gespannt darauf. Schießen Sie ruhig los. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen, wenn ich mir zwischendurch ein paar Notizen mache.«

»Nein, dagegen habe ich nichts«, versicherte er. »Haben Sie es übrigens schon gemerkt?«

»Keine Ahnung, wovon Sie sprechen.«

»Wir werden beobachtet. Sie beobachten, was wir tun. Sie beobachten uns bei unserem Gespräch. Und sie hören zu. Sie haben ein sehr feines Gehör und außerdem technische Möglichkeiten, von denen Sie und Ihre Abteilung nur träumen können.«

»Wer sind sie?«, fragte ich. »Von wem sprechen Sie?«

»Von Reptiloiden. Sie waren schon auf der Erde, als es noch keine Menschen gab. Und sie leben immer noch unter uns. Unerkannt.«

»Die Reptiloiden?«

»Angehörige einer fremden Spezies, die lange vor der Menschheit eine hochentwickelte Zivilisation begründete. Sie stehen mit anderen Welten des Kosmos in Verbindung und versorgen die Dealer auf den Straßen unserer Städte mit Drogen.«

»Das ist eine fantastische Geschichte.«

»Es ist die Wahrheit. Und ich bin froh, dass ich sie endlich jemandem erzählen kann.«

»Ja, das glaube ich Ihnen.«

»Sehen Sie!«

»Ich weiß nur nicht, ob ich wirklich der Richtige bin, dem Sie diese Geschichte erzählen sollten.«

Jetzt sah er mich an.

Ich hatte es vorsichtig formuliert.

Er hatte es trotzdem natürlich gleich begriffen.

»Sie glauben mir nicht«, stellte er fest.

»Nun, ich bewerte Ihre Geschichte nicht.«

»Bericht! Es ist ein Tatsachenbericht.«

»Meinetwegen. Wenn Sie es einen Bericht nennen wollen. Aber ich bin eigentlich für so etwas nicht zuständig.«

»Nicht die richtige Abteilung?«

»Nein.«

»Dann …«

»Ich werde Sie an jemanden vermitteln, der …«

»Sie sprechen aber nicht zufällig vom sozialpsychologischen Dienst, oder? Hören Sie, ich bin nicht verrückt!«

»Ich habe nicht gesagt, dass Sie verrückt sind. Ich habe nur gesagt, dass jemand anderes für Ihr Problem besser qualifiziert ist.«

Er schüttelte den Kopf.

Dann entfernte er sich ein paar Schritte.

Verzweiflung spiegelte sich in seinem Gesicht.

Eine Art von Verzweiflung, wie ich sie selten zuvor gesehen hatte.

Ich machte einen Schritt auf ihn zu.

Ein Fehler.

Er geriet jetzt vollkommen in Panik. Er stolperte davon und rief laut: »Ein Agent der Reptiloiden! Ein Gestaltwandler! Ein Alien!«

Ein paar Leute drehten sich um. Er lief davon.

Er drängte sich durch eine Gruppe von Museumsbesuchern, und dann sah ich ihn nicht mehr.

Einen Grund, ihn zu verfolgen, hatte ich ohnehin nicht.

In diesem Land herrscht Glaubensfreiheit.

Man darf auch an Unsinn glauben. Das nennt man nun mal Freiheit.

»Was ist los?«, meldete sich mein Kollege über den Knopf, den ich im Ohr trug.

»Ich glaube, das Gespräch ist zu Ende«, sagte ich. »Sieht so aus, als wäre es kein Erfolg geworden.«

*

Fünf Minuten lang rührte er sich nicht, hatte aber die kleine Stablampe vorsichtshalber ausgeschaltet. Nichts. Erleichtert knipste er die Taschenlampe wieder an.

Wie ein riesiges Ungeheuer aus einem Science-Fiction-Film ragte ein roter Mähdrescher vor ihm auf. Kein ungewöhnlicher Anblick auf einem Betrieb der Landwirtschaft.

Doch der Commissaire suchte nicht nach harmlosen landwirtschaftlichen Geräten. Hinter der monströsen Maschine waren einige Heuballen gestapelt. Maréchal hatte einen vagen Verdacht. Er wuchtete einige der Heuballen zur Seite.

Leise pfiff er durch die Zähne. Sein Instinkt hatte ihn nicht getrogen.

Unter dem Heu waren Kisten verborgen gewesen.

Der Commissaire schob die Klinge seines Messers unter den Deckel einer der Kisten, öffnete den Deckel mühsam, der festgenagelt war.

Drinnen lagen Waffen, sorgsam in Ölpapier eingewickelt.

Ich hatte recht, dachte der Commissaire. Die Kollegen müssen sofort anrücken. Der Mann mit dem Codenamen >Monsieur Point d'Interrogation< ist kein anderer als …

Leon Maréchal konnte den Gedanken nicht mehr zu Ende bringen. Denn in diesem Moment wurde er von einem großkalibrigen Geschoss in den Rücken getroffen.

Er war sofort tot!

2

An diesem Morgen hatte ich wieder mal die Nase voll von Marseille. Okay, Marseille ist meine Stadt, doch schon oft habe ich die große Stadt am Meer verflucht. Nicht nur wegen der Verbrechen, die hier tagtäglich geschehen, obwohl Marseille angeblich inzwischen mit die sicherste Großstadt von Frankreich sein soll, woran man allerdings als Beamter der FoPoCri manchmal zweifeln möchte. Als Beamter der FoPoCri Marseille tue ich mein Bestes, um gegen Terror, Gewalt und Unrecht anzugehen.

Aber das war es an diesem Morgen nicht, was meine Laune in den Keller getrieben hatte. Mir stinkt oft die Gleichgültigkeit, mit der meine Mitbürger einander behandeln. Ich weiß natürlich, dass diese Coolness häufig nur Selbstschutz ist. Aber sie nervt mich trotzdem, und manchmal glaube ich, daran verzweifeln zu müssen.

Während ich im Aufzug in die Tiefgarage meines Wohnblocks hinunterfuhr, dachte ich wehmütig an meine Kindheit und Jugend zurück. Dem Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Als ich meinen Wagen bestieg, glaubte ich fast, den Duft von frisch gemähtem Heu zu riechen. Und nicht den Gestank von Abgasen, der sich in der Tiefgarage festgesetzt hatte.

Ich fuhr den Flitzer nach oben, fädelte ihn in den fließenden Verkehr ein. War es nur Einbildung, oder waren die anderen Autofahrer an diesem Morgen wirklich ebenfalls mieser gelaunt als sonst während der Marseiller Rushhour?

Wie immer erwartete mich mein Kollege Commissaire François Leroc an unserer gewohnten Ecke.

»Hallo, Partner!«, grüßte mich mein Freund und Kollege.

»Bonjour.«

»Schlechte Laune?«

»Sehe ich so aus?«

»Keine Ahnung. Bei dir weiß man nie …«

»Ach, komm!«

»Ist doch wahr!«

»Jetzt steig ein.«

Als ich den Blinker setzte und von der Bordsteinkante abfahren wollte, schnitt mich ein schwarzer Audi, dessen Fahrer wild gestikulierte und mir den Stinkefinger zeigte.

Ich hieb mit dem Handballen auf die Hupe.

»Blöder Idiot!«, fluchte ich. »Werd doch glücklich mit der Zehntelsekunde, die du jetzt gewonnen hast!«

François hob die Augenbrauen.

»Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen, Pierre?«

Ich schielte in den Rückspiegel und gab Gas.

»Ach, mir geht unsere Stadt auf den Zeiger! Immer diese Hektik, diese Hetze! Die Menschen sind unfreundlich, benutzen die Ellenbogen, haben kein einziges freundliches Wort füreinander. Auf dem Land ist das ganz anders.«

»Ach so!« François lachte auf. »Das kann ich als Großstadtpflanze natürlich nicht beurteilen. Ich vergesse ja immer wieder, dass Monsieur Pierre Marquanteur zwischen Kuhfladen und Gänseblümchen aufgewachsen ist. Was für ein Jammer, dass die FoPoCri nicht auch ein Präsidium im nächsten Dorf betreibt. Den Laden könntest du dann ganz allein schmeißen. Und würdest dich zu Tode langweilen, weil da nie ein Verbrechen passiert.«

»Hast ja recht.« Ich musste grinsen. Mein Freund und Dienstpartner hatte mich mit seiner Flachserei aus meiner trüben Stimmung gerissen. »Aber in einem Punkt irrst du dich. Es gibt sehr wohl Kriminalität in Dörfern. Da war zum Beispiel der legendäre Postraub …«

»Ein Raubüberfall auf das Postbüro?«, fragte François Leroc interessiert.

Ich sagte:

»Nicht ganz. Es war mehr der Einbruch in den Briefkasten. Fünfundsiebzig Briefe und neun Postkarten wurden gestohlen.«

Mein Partner grinste.

»Jetzt verstehe ich deine Sehnsucht nach dem Landleben. Manchmal wünschte ich mir auch, wir würden solche Fälle bearbeiten müssen. Und uns nicht mit dem organisierten Verbrechen und durchgedrehten Serienmördern rumschlagen müssen …«

Inzwischen hatten wir das Präsidium in La Villette erreicht. Ich lenkte den Wagen in die Tiefgarage.

Wir konnten beide zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass wir schon bald in einem abgeschiedenen Dorf landen würden.

Um dort dem Tod ins Auge zu blicken!

3

Fast zärtlich strich die riesige Pranke des Mannes über die Waffe. Vor wenigen Stunden hatte er einen Commissaire der FoPoCri kaltblütig und feige von hinten ermordet.

So sah er selbst die Sache natürlich nicht. Für ihn war das Auslöschen dieses Menschenlebens nicht mehr gewesen als das Verscheuchen einer lästigen Stechmücke. Für den Mann zählten nur seine geliebten Waffen. Und jeder, der ihn von ihnen fernhalten wollte, war des Todes.

Gun Crazy – Waffenvernarrt lautete der Titel eines Films, den er vor vielen Jahren gesehen hatte. Eine Abenteuerstory mit Jonathan Dali und Peggy Cummins als verrücktem Kunstschützenpaar, das durch seine Waffenleidenschaft zu Verbrechern wird.

Er wusste, dass er selbst inzwischen auch gun crazy war. Und es wurde immer schlimmer. Aber das störte ihn nicht, im Gegenteil, er genoss es.

Er hob eine der Waffen aus der Kiste, hielt nun einen 223er Maschinenkarabiner LR 300 in den Händen. Ein Schmuckstück seiner Sammlung, das ursprünglich für die amerikanische Elitetruppe Delta Force bestimmt gewesen war, dann aber unter mysteriösen Umständen abhanden kam. Er hatte die LR 300 auf dem Schwarzmarkt erstanden. Die anderen Modelle hatte er weiterverkauft, aber diese Waffe hatte er behalten.

Es handelte sich um eine Weiterentwicklung des Colt M4 Carabine. Ausgestattet mit Trijicon-Leuchtvisier, seitlichem Klappschaft wie bei der israelischen Galil. Die LR 300 wog leer 3,2 Kilo.

Er verließ die Scheune und visierte die Zielscheibe an, die er links neben der Scheune aufgestellt hatte. Er zog den Abzug durch, und die automatische Waffe ratterte los, spuckte mit 650 Schuss pro Minute Tod und Verderben. Er beherrschte die LR 300 mit traumhafter Sicherheit.

Zufrieden stellte er das Feuer ein.

In diesem Moment vibrierte das Handy in der Tasche seiner Jägerweste. Er zog das Mobiltelefon hervor und meldete sich.

»Ja, hier Monsieur Point d'Interrogation!«

4

Auf meinem Schreibtisch fand ich eine Notiz. François und ich sollten uns sofort nach unserem Eintreffen beim Chef melden. Also begaben wir uns zu Jean-Claude Marteaus Büro. Ich kann nicht behaupten, dass wir die Akten und Vernehmungsprotokolle unserer letzten Fälle ungern erst mal liegenließen.

»Guten Morgen, Pierre. Guten Morgen, François«, begrüßte uns Melanie, die attraktive dunkelhaarige Sekretärin des Commissaire général de police.

Mein Freund und Partner schnupperte.

»Was rieche ich da? Herrlichen frischen Kaffee?«

Melanie lachte.

»Ja, ich wusste ja, dass ihr gleich kommen würdet, und habe deshalb auch sofort neuen Kaffee aufgesetzt. Ich weiß doch, was ihr beide morgens als Erstes braucht.«

»Was wären wir ohne unsere Droge?«, scherzte ich.

Jedem von uns drückte Melanie einen Becher ihres köstlichen Gebräus in die Hand, dann aber betraten François und ich eiligst das Büro unseres Chefs, denn die Notiz auf meinem Schreibtisch zeigte an, dass eine dringliche Angelegenheit auf uns wartete.

Monsieur Marteau blickte auf, als wir sein Büro betraten, nachdem ich höflich angeklopft hatte. Seine Miene wirkte ernster als sonst. Es musste etwas passiert sein, das ihn auch persönlich berührte. Er erhob sich. Ebenso sein Gast, mit dem er in der Besprechungsecke seines Büros gesessen hatte.

»Sehr gut, dass Sie da sind«, begrüßte uns der Chef der Marseiller FoPoCri. »Den Kollegen Hervé Notrisse kennen Sie ja.«

Wir nickten und gaben nacheinander dem untersetzten Mann mit dem kleinen Clark-Gable-Schnurrbart die Hand. Er war der Leiter der FoPoCri von Rians das noch zum Wirkungsbereich der FoPoCri Marseille gehört. Sein Rang entsprach dem von Monsieur Marteau.

»Sagt Ihnen der Begriff Monsieur Point d'Interrogation etwas?« fragte uns der Mann aus Rians.

» Monsieur Point d'Interrogation – das Fragezeichen! So nennt sich ein unbekannter Waffenfanatiker« , erwiderte ich grimmig. »Eine Art Spitz- oder Geheimname, der vor einiger Zeit durch die Marseiller Presse ging. Monsieur Point d'Interrogation wurde verantwortlich gemacht für den illegalen Import von Scharfschützengewehren.«

»Direkt aus dem Bosnien-Krieg«, ergänzte François gallig. »Mit eingeritzten Originalkerben für jedes Opfer dieser feigen serbischen Heckenschützen.«

»Richtig, der Name beziehungsweise die Bezeichnung Monsieur Point d'Interrogation fiel im Zusammenhang mit dieser üblen Geschichte«, sagte Monsieur Marteau. »Stéphane Caron und Boubou Ndonga haben damals die Ermittlungen geführt, aber sie haben nicht in Erfahrung bringen können, wer sich hinter der Bezeichnung Monsieur Point d'Interrogation verbirgt. Dieser große Unbekannte bleibt ein Fragezeichen, wie es der Name schon zum Ausdruck bringt.«

»So ist es leider«, knurrte Hervé Notrisse grimmig. Man sah ihm an, dass ihn dieser Fall bewegte, aber ich fragte mich, warum. Doch die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. » Monsieur Point d'Interrogation hat sein Operationsgebiet in Marseille und im 13. Departement, meine Herren. Und vor wenigen Tagen ist ihm einer meiner Männer zum Opfer gefallen.«

Jetzt verstand ich. Es ist immer besonders hart, wenn es einen Kollegen erwischt. Nicht, weil wir die besseren Menschen wären. Das nicht, doch ein Verbrecher, der einen Bundespolizisten ermordet, worauf zwangsläufig lebenslängliche Haft steht, beweist damit, dass er völlig hemmungslos agiert, keinerlei Rücksichten nimmt, weder auf sich noch auf andere.

»Hat der Kollege eine konkrete Spur verfolgt?«, wollte ich wissen, nachdem wir den Schock verdaut hatten.

Hervé Notrisse nickte.

»Commissaire Leon Maréchal war undercover tätig. In einem Dorf mit dem idyllischen Namen Vallon de Patron. Wir haben Grund zu der Annahme, dass Monsieur Point d'Interrogation dort sein Hauptquartier hat.«

»Warum?«

»Es ist uns gelungen, eine Nachricht seiner Organisation zu entschlüsseln, Monsieur Leroc. Dort war die Rede von einem Brüdertreffen in Vallon de Patron. Einige Wochen später kam noch eine zweite Botschaft durch, die wir abfangen konnten. Wieder war von Vallon de Patron die Rede. Und von einer großen Lieferung, die verteilt werden sollte. Danach herrschte Funkstille. Wir vermuten, dass die Bande Verdacht geschöpft und ihren Code geändert hat.«

»Was wissen wir bisher über diese Organisation?«

»Sehr wenig, Monsieur Marquanteur. Es ist ein überregionaler Zusammenschluss von Waffenfanatikern, die zudem mit illegalen Waffen handeln. Und was das Schlimmste ist: Diese Kerle veranstalten Schießübungen auf Menschen! Menschen, nach denen keiner fragt. Obdachlose, illegale Einwanderer und so weiter.«

»Diese Teufel!«, knirschte François und ballte die Hände zu Fäusten.

»Monsieur Maréchal muss ganz nahe am Ziel gewesen sein«, fuhr der Mann aus Rians fort. »Er hatte einen Job als Aushilfe im Dorfladen von Vallon de Patron angenommen. Bei seinem letzten Zwischenbericht machte er einen ziemlich aufgeregten Eindruck. Redete von Beweisen gegen Monsieur Point d'Interrogation, die er schon bald in Händen haben würde. Vierundzwanzig Stunden später war er tot.«

Ich nickte grimmig.

»Wir werden alles tun, um Ihnen zu helfen. Obwohl ich noch nicht ganz verstanden habe, worin unsere Aufgabe besteht.«

Der Commissaire général de police aus Rians zog ein Foto aus seiner Jacketttasche und reichte es mir.

François starrte zuerst auf das Foto, dann sah er mich an.

»Pierre, wann hast du dir denn die Haare blond gefärbt? Das steht dir ja ausnehmend gut.«

»Ich färbe mir die Haare nicht blond. Dann würde ich ja aussehen wie du. Und wer will das schon?«, gab ich zurück, aber ich betrachtete weiterhin das Bild des Mannes, das Hervé Notrisse mir gegeben hatte. Abgesehen von der Haarfarbe sah mir der Blonde tatsächlich zum Verwechseln ähnlich.

»Wer ist das?«, fragte ich den schnurrbärtigen Kollegen.

»Dieser Mann heißt Guillaume Jarre. Er ist ungefähr so alt wie Sie, Pierre. Mitte Dreißig. Und wie Sie sehen, ist er Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten. Das ist auch der Grund, warum ich heute hier bin.«

»Ich glaube, ich verstehe«, murmelte ich. »Wer genau ist dieser Guillaume Jarre?«

»Lassen Sie mich etwas weiter ausholen, Monsieur Marquanteur, bevor ich Ihnen eine Antwort auf diese Frage gebe. Wir haben überlegt, warum unser Kollege Leon Maréchal sterben musste. Und ich glaube, der entscheidende Grund dafür war, dass es unglaublich schwer für einen Polizisten ist, in einem so kleinen Dorf wie Vallon de Patron undercover zu arbeiten. Denn ein Fremder bleibt ein Fremder, auch wenn er sich nicht als Commissaire zu erkennen gibt. Und in so einer kleinen Ortschaft misstraut man nun mal jedem Fremden.«

»Sie wollen damit sagen …«

»So ist es, Monsieur Marquanteur – Guillaume Jarre ist ein Einheimischer«, bestätigte der Mann aus Rians. »Er hat den größten Teil seines Lebens in Vallon de Patron verbracht. Wenn Sie an seiner Stelle in dieses verdammte Waffenfanatiker-Nest zurückkehren, wird kaum einer Ihnen mit Misstrauen begegnen, denn als Guillaume Jarre gehören Sie einfach dazu.«

»Und was ist mit dem echten Guillaume Jarre?«, wollte François wissen. »Er hat Dreck am Stecken, richtig? Deshalb ist er der Polizei auch bekannt, stimmt’s?«

Hervé Notrisse schüttelte den Kopf.

»Nein, nicht direkt. Jarre ist mal Zeuge bei einem Kokain-Deal gewesen und hat gegen die Dealer ausgesagt. Wir mussten ihn damals durchleuchten, um seine Glaubwürdigkeit zu checken. Damit der Anwalt der Dealer-Bande ihn nicht vor Gericht auseinandernimmt. Aber unser Guillaume Jarre ist eine ehrliche Haut. Und das Beste: Er wird uns garantiert nicht in die Quere kommen. Er arbeitet nämlich in der Erdölbranche. Auf einer Bohrplattform im Nordatlantik.«

»Der echte Guillaume Jarre ist bereits informiert«, ergänzte Monsieur Marteau. »Es freut ihn, dass er der FoPoCri helfen kann. Es besteht keine Gefahr, dass er Sie auffliegen lässt, Pierre. Sie werden also in Ihr Heimatdorf Vallon de Patron zurückkehren. In Ihrer Begleitung ein gewisser François Leroc, den Sie bei der Arbeit auf der Ölplattform kennengelernt haben.«

François und ich waren einverstanden.

»Wir werden mit dem größten Vergnügen diesen sauberen Herrn Monsieur Point d'Interrogation und seine Gang auffliegen lassen«, knurrte ich.

5

Das Signal der Lokomotive dröhnte so laut, dass die Verkleidung des Güterwaggons zu vibrieren schien. Bruno Wallones störte der Lärm nicht. Er hatte gelernt, selbst beim größten Krach ungestört weiterzuschlafen. Diese Fähigkeit gehörte zu den wichtigsten Künsten eines Schienentramps.

Und als ein solcher war der Mittfünfziger mit den Gesichtszügen eines Siebzigjährigen schon fast ein Jahrzehnt unterwegs. Er kannte alle Eisenbahnstrecken Europas in- und auswendig. Von Küste zu Küste war er bereits gereist. Immer ohne Fahrschein. Denn in den zugigen Frachtwaggons ließ sich kein Ticketkontrolleur blicken. Dafür umso öfter die ruppigen Burschen von der Bahn-Security, die mit ihren Gummiknüppeln die Habenichtse vertrieben. Aber das war eine ermüdende und frustrierende Arbeit. Für jeden Tramp, den die Wachen verjagten, sprangen auf der unbeobachteten Seite des Schienenstrangs zehn neue auf den Zug. Irgendwann gaben die Security-Leute dann jedes Mal entnervt auf. Man musste bloß aufpassen, dass man nicht in die Reichweite ihrer Schlaginstrumente kam. Aber auch damit kannte sich Bruno Wallones aus.

Das Morgengrauen und sein leerer Magen hatten den Tramp aus dem Schlaf gerissen, nicht das schrille Signal der Lok. Er hob seinen struppigen Kopf und blickte durch die offen stehende Schiebetür des leeren Güterwaggons nach draußen. Wälder – und am Horizont die Lichter eines Dorfes.

Bruno Wallones sagte sich, dass er ein Frühstück vertragen könnte. Günstigerweise fuhr der Güterzug gerade fast Schritttempo.

»Adios, Freunde!«, rief der altgediente Herumtreiber seinen Mitreisenden zu. Ihr Risiko bei den illegalen Trips war noch viel größer als seines. Wenn die Polizisten sie aufgriffen, würde man sie schneller in ihre Heimat abschieben, als sie Baguettes sagen konnten.

Eine solche Gefahr bestand bei Bruno Wallones nicht. Er war ein waschechter Franzose, und er hatte sogar seinen Arsch fürs Vaterland hingehalten. Nur hatte man ihm das schlecht gedankt. Nach der Rückkehr von seinem Auslandseinsatz war ein bürgerliches Leben für ihn nicht mehr möglich gewesen. Wie für so viele seiner Kameraden auch, dafür hatten sie zu viel gesehen und miterlebt.

Der Tramp sprang mit routinierten Bewegungen von dem fahrenden Zug und ließ sich die Böschung hinabrollen. Es war noch kalt. Bodennebel wallte. Das störte Bruno Wallones nicht. Da hatte er schon ganz andere Temperaturen erlebt. Bei seinen Touren durch Schweden und Norwegen … Ihn fror schon beim bloßen Gedanken an diese Zeit, und er spürte dabei ein unangenehmes Kribbeln in den Zehen. Aber seltsamerweise in jenen Zehen, die er nicht mehr hatte, denn ein paar waren ihm im hohen Norden abgefroren.

Eine Weile stapfte der Mann ohne Heimat den Schienenstrang entlang. Dann gelangte er auf einen Feldweg. Durch die dicht stehenden Bäume eines Waldes sah er wieder die Lichter des Dorfes schimmern. Sie schienen ihm nun schon viel näher.

Bruno Wallones pfiff eine Melodie vor sich hin. Ein Country-Song. King of the road. So kam er sich auch oft vor, wie der König der Landstraße. Er bereute nicht, dass er nach seiner Zeit in Kambodscha nicht mehr ins Arbeitsleben zurückgekehrt war. Was brauchte er denn schon, um glücklich zu sein? Nicht mehr als ’nen Platz zum Pennen und eine Büchse Bohnen. Daher auch sein Spitzname Haricot.

Keuchend kämpfte sich der Tramp einen leicht ansteigenden Hügel empor, dann durchquerte er den Wald, hinter dem das Dorf liegen musste. Die Vögel waren schon aufgewacht und hatten mit ihrem Morgenkonzert begonnen. Doch ihr Gezwitscher verstummte, als es plötzlich grell krachte.

Ein Hochgeschwindigkeitsgeschoss schlug unmittelbar neben Wallones in den Stamm eines Baumes.

Schlagartig waren die alten Reflexe wieder da, die den ehemaligen Soldaten damals am Leben gehalten hatten. Er sprang zu Boden, rollte sich geschickt ab und verschwand einen Herzschlag später im Unterholz.

Und dann hörte er sie kommen. Das Rascheln und Knacken von Zweigen. Halblaut gebellte Befehle …

Aber diesmal waren es nicht eine Armee und deren verbündete Milizen, die ihm ans Leben wollten. Diesmal waren es seine eigenen Landsleute, denen offenbar seine Nase nicht passte. Und die sich deshalb entschlossen hatten, sie mit einer Kugel zu zertrümmern!

Bruno Wallones arbeitete sich vor. Er kannte das Spiel. Wenn sie ihn erst eingekreist hatten, war er verloren. Und diesmal hatte er keinen Funker in der Nähe, der Helikopterunterstützung anfordern konnte, um die Teufel der Feinde zum Teufel zu jagen. Nein, diesmal war er ganz auf sich gestellt.

Und – verdammt! – niemand würde sich darum scheren, wenn wieder mal ein Herumtreiber den Löffel abgab, da gab sich der Tramp keinen Illusionen hin.

Eine weitere Kugel jagte in seiner Nähe durch die Zweige. Wallones kannte sich aus. Seine unsichtbaren Feinde mussten über Nachtsichtgeräte verfügen. Denn noch war es zu diesig und dämmerig, um wirklich gutes Schusslicht zu haben.

Der Landstreicher sprang auf und hetzte los. Seine einzige Hoffnung war das Dorf. Er musste es erreichen, bevor ihn diese verdammten Hinterwäldler eingekreist hatten. Diese dreckigen Mörder! Er gönnte ihnen den Triumph nicht, ihn krepieren zu sehen.

Wallones erreichte gerade noch rechtzeitig einen Baumstamm, als eine Garbe aus einer automatischen Waffe heranjagte. Sie fräste in das Holz des Stammes. Der Gejagte hielt sich nicht lange auf, glitt zu Boden und bewegte sich auf Ellenbogen und Knien weiter.

Er kannte den Sound dieser MP. Es war das AK-47-Sturmgewehr aus der russischen Kalaschnikow-Produktion. Eine Waffe, mit der man schon auf der ganzen Welt nicht nur auf amerikanische Soldaten geschossen hatte.

Und jetzt sogar hier auf dem Land!, dachte der Tramp mit bitterer Ironie, während er sich weiter auf die Lichter des so idyllisch daliegenden Ortes zubewegte. Und sich nichts sehnlicher wünschte, als jetzt seine alte Schnellfeuerknarre bei sich zu haben. Um sich hier nicht wehrlos abschlachten lassen zu müssen.

Verdammt – dafür hatte er diesen Scheiß-Krieg damals schließlich nicht überlebt!

Wieder flogen ihm die Kugeln um die Ohren. Diesmal schossen sie aus mehreren Rohren. Sein geübtes Gehör unterschied den Sound von mindestens drei verschiedenen Knarren, Gewehre und MPs, die sich auf ihn eingeschossen hatten.

Wallones sprang nun auf, lief geduckt, änderte dann überraschend die Richtung. Diese Arschlöcher würden es noch bereuen, sich mit ihm angelegt zu haben. Er wusste zwar noch nicht genau, wie er’s diesen Hunden besorgen sollte, aber sie würden erfahren, dass man sich besser nicht mit ihm anlegte. Sie würden …

»Aaaah!«

Ein Schmerzensschrei gellte über seine aufgesprungenen Lippen, als eines der Geschosse in sein linkes Ellenbogengelenk schlug.

Der Schmerz ließ ihn erkennen, dass er nicht unverwundbar war, und plötzlich flammte helle Panik in ihm auf.

Weg hier!, rief eine innere Stimme. Raus aus diesem Todeswald!

Und dann sah er die ersten Häuser des Ortes, und dieser Anblick mobilisierte seine letzten Kraftreserven. Laut brüllend stolperte er auf die Straße.

»Hilfe! Mörder! Zu Hilfe!«

Sein Gebrüll war laut genug, um ein ganzes Heer der Armee nach dem Freitagabend-Besäufnis aus dem Schlaf zu reißen. Sein ehemaliger Ausbilder hätte ihn um diese Kasernenhof-Stimme beneidet.

Doch nichts regte sich in diesem üblen Kaff. Niemand schien ihn zu hören – oder hören zu wollen!

»Aaaaah!«

Als eine weitere Kugel in seinen Oberschenkel einschlug, drohten ihm die Sinne zu schwinden. Er torkelte wie ein Betrunkener über die Dorfstraße und schrie jetzt wie am Spieß. Um diese Tageszeit war noch kein Fahrzeug unterwegs. Die Ampel an der einzigen Kreuzung des Ortes blinkte nur gelb.

Da! Die kleine Polizeistation! Trotz seiner schweren Verletzungen hatte Bruno Wallones noch nicht aufgegeben. Die Polizei musste ihm helfen! Er musste einfach!

»Polizei!«, brüllte der Tramp mit einer heiseren, fast unmenschlich klingenden Stimme. »Polizei – Hilfe! Hilfe, verdammt!«

In diesem Moment schlug eine weitere Kugel genau zwischen die Schulterblätter in seinen Rücken. Bruno Wallones spuckte Blut.

Dann fiel sein toter Körper auf die staubige Straße!

Die drei feigen Mörder näherten sich dem Toten, ihre noch rauchenden Waffen in Händen.

»Ein Meisterschuss, Monsieur Point d'Interrogation!«, sagte einer der gemeinen Killer zu ihrem Anführer, und der Angesprochene nickte geschmeichelt.

In diesem Moment öffnete sich die Tür der Polizeistation, und der Ordnungshüter von Vallon de Patron trat nach draußen, während er seinen Revolvergurt schloss. Er warf erst einen Blick auf den toten Obdachlosen mitten auf der Dorfstraße, dann sah er die Männer an, die den armen Kerl auf dem Gewissen hatten.

Er grinste und drohte ihnen scherzhaft mit dem Zeigefinger.

7

Der Kollege François Leroc und ich stiegen am Busbahnhof in Marseille in einen Linienbus mit dem Ziel Rians. Der einmal am Tag verkehrende Bus stellte die einzige Verbindung Vallon de Patrons zur Außenwelt dar.

Der Bus war halb leer, denn die meisten gebrauchten ihr eigenes Verkehrsmittel – das Auto. Wir hatten überlegt, ob wir nicht lieber einen Wagen aus dem FoPoCri-Fuhrpark nehmen sollten. Aber dann hatten wir uns aus Gründen der Tarnung für den Bus entschieden. Kein Ex-Bohrinsel-Arbeiter würde sich in Marseille einen Wagen kaufen, wenn er seinen Heimatort in der tiefsten Provinz ansteuert. Erstens sind Autos auf dem Dorf viel billiger, und zweitens hält sich unter Hinterwäldlern das hartnäckige Gerücht, in Marseille beim Gebrauchtwagenkauf über den Tisch gezogen zu werden. Ein Gerücht, das – zugegeben – wie so viele andere einen wahren Kern hat.

François und ich glichen uns an diesem Morgen ziemlich stark. Für meine Tarnung als Guillaume Jarre hatte ich mir natürlich von unserem Maskenbildner Taquine die Haare blond färben lassen. Und beide trugen wir selbstverständlich nicht dezente dunkle Anzüge, wie man es von Commissaires erwartet, sondern Jeans, Karohemden und abgewetzte Lederjacken. François hatte seine Kluft noch mit einer Baseballkappe von Olympique Marseille komplettiert. Und jeder von uns hatte einen Seesack in das Gepäckfach des Busses gewuchtet.

»Auf Wiedersehen, geliebtes Marseille!«, seufzte mein Freund und Partner theatralisch, als wir in unseren Polstern zurückgelehnt saßen und sich der Bus Richtung Norden in Bewegung setzte.

»Nun übertreib mal nicht«, brummte ich. »Schließlich verlassen wir noch nicht mal den Boden unseres Heimatlandes!«

»Du weißt eben nicht, wie das ist, Pierre«, behauptete François. »Ich als Großstadtkind mitten zwischen Kuhfladen und Milchkannen! Du wirst mich an der Hand nehmen müssen. Ich habe mich auf dem Land noch nie zurechtgefunden.«

»Dann müssen wir den Fall schnell lösen«, raunte ich ihm zu. »Damit du endlich wieder deine geliebten Taxis und miefenden U-Bahnschächte genießen kannst.«

»Dafür wäre ich dankbar«, gab der naturblonde Commissaire übertrieben ernsthaft zurück. »Wenn ich allein an die vielen Maulwurfshügel denke, über die man stolpern kann …« Er grinste. »Aber für dich als Landjungen ist die Tarnung als Guillaume Jarre natürlich perfekt.«

Er spielte auf meine Herkunft an, denn ich war auf dem Dorf aufgewachsen.

»Wollen wir’s hoffen«, erwiderte ich. »Gestern habe ich noch auf Staatskosten ein langes Ferngespräch mit dem echten Jarre geführt. Er hat mir von den wichtigsten Persönlichkeiten in Vallon de Patron erzählt. Und mit wem er früher so rumgehangen hat.«

»Hat unser fleißiger Ölprinz eigentlich noch Familie?«, erkundigte sich François.

Ich schüttelte den Kopf.

»Seine Eltern sind vor Jahren bei einem Autounfall getötet worden. Es gibt noch eine Großtante, aber die ist fast blind und ziemlich taub. Also wohl keine Gefahr für unsere Tarnung.«

»Auch das wollen wir mal hoffen«, erwiderte mein Partner und warf einen schicksalsergebenen Blick auf das Schild, das die Stadtgrenze von Marseille anzeigte. »Denn du weißt selbst, dass wir in Vallon de Patron ganz auf uns allein gestellt sein werden.«

Allerdings, das wusste ich. Und ich kannte auch das Risiko, das wir mit unserer Unternehmung eingingen.

Wir waren sozusagen auf dem Weg undercover in die Hölle!

8

Monsieur Point d'Interrogation – das Fragezeichen – hatte seine Leute voll im Griff. Ein knapper Befehl hatte gereicht, und der tote Tramp war beseitigt worden. Irgendwo im Wald wurde er verscharrt. Kein Hahn würde jemals nach ihm krähen.

In der unmenschlichen Logik des feigen Mörders waren Leute wie Bruno Wallones nur lebende Ziele. Über deren Schicksal musste man sich keine Gedanken machen. In dieser Beziehung hatte der Waffenfanatiker keine Probleme, seine schwarze Seele kannte da keine Reue oder Gewissensbisse.

Nur dieser Commissaire bereitete ihm Kopfzerbrechen. Monsieur Point d'Interrogation hatte schon länger befürchtet, dass die FoPoCri hinter ihm her war. Und wie viele andere nicht gesetzestreue Franzosen hatte Monsieur Point d'Interrogation einen höllischen Respekt vor der Sûreté und ihrer Sonderabteilung, die mit als die wohl beste Polizeitruppe der Welt gilt.

Ausgerechnet jetzt!, dachte der Anführer des Waffenclans, als er seine neuesten Informationen, die er über Internet erhielt, studierte. Er hatte sich erfolgreich um tragbare Raketengeschosse bemüht, wie sie von den muslimischen Widerstandskämpfern in Afghanistan gegen die russischen Invasoren eingesetzt worden waren. Und zwar mit verheerenden Wirkungen für die Sowjet-Hubschrauber.

In wenigen Tagen würde ihm die illegale Fracht geliefert werden. Wenn dann die FoPoCri hier in Vallon de Patron herumschnüffelte …

Missgelaunt schlürfte Monsieur Point d'Interrogation seinen Kaffee.

Es klopfte an die Tür.

»Herein!«

Ein Mann in einer Khakiuniform schob seinen massigen Körper in das Büro.

Commissaire Harry Thoreau.

Seines Zeichens oberster Gesetzeshüter von Vallon de Patron. Und dem waffenvernarrten Mörder genauso hörig und ergeben wie fast alle anderen hier im Ort.

Monsieur Point d'Interrogation blickte auf. »Gibt es Neuigkeiten von den Commissaires?«

Thoreau grinste schmierig.

»Die Schlipsträger aus Rians halten sich bedeckt. Ich habe auf offiziellen Kanälen noch nicht mal eine Nachricht darüber erhalten, dass es einen von ihnen beim Schnüffeln hier erwischt hat.«

Monsieur Point d'Interrogation lehnte sich in seinem Bürosessel zurück.

»Ob die was ahnen?«

Der Mann im Uniformhemd und mit dem Doppelkinn zuckte mit den fetten Schultern.

»Diese Typen sind immer große Geheimniskrämer. Glauben Sie mir, ich kenne diese Brüder. Aber wir haben trotzdem immer noch gute Karten.« Er warf sich in seine Brust. Obwohl man besser hätte sagen können: In seinen Bauch. »Schließlich bin ich hier in Vallon de Patron das Gesetz! Und an mir kommt so leicht keiner vorbei. Dieser Commissaire, dieser Leon Maréchal, war mir vom ersten Tag an verdächtig. Deshalb habe ich Sie ja auch sofort gewarnt. Ich habe in meinem linken großen Zeh gespürt, dass der Typ ein getarnter Bulle war!«

Und er blickte an sich herab, als ob er seine Füße unter der gewaltigen Bauchwölbung tatsächlich noch würde sehen können.

»Du musst jedenfalls die Augen offenhalten«, sagte Monsieur Point d'Interrogation und warf dem Beamten einen warnenden Blick zu. »Ich bezahle dich nicht aus purer Nächstenliebe so erstklassig. Wenn irgendeine verdächtige Figur hier auftaucht, dann muss sie kaltgestellt werden. Und zwar, ohne dass ein Verdacht auf uns fällt. Kapiert?«

»Klar, Chef!« Ein selbstzufriedenes Grinsen erschien auf dem Mondgesicht des Ordnungshüters. »Aber dann müssen Sie selbst auch ein wenig bei Ihren Schießübungen aufpassen.«

Monsieur Point d'Interrogations Kopf lief rot an. Er liebte es nicht, wenn ihn jemand kritisierte. Ganz egal, wer es war.

Deshalb beeilte sich Thoreau unterwürfig hinzuzufügen: »Ich meine, solange Sie sich solche Penner wie den heute früh als Zielscheibe suchen, ist alles okay. Denen weint keiner eine Träne nach.«

9

Es war kurz vor Mittag, als unser Bus langsam über die Dorfstraße von Vallon de Patron rollte. Die mächtigen Druckluftbremsen zischten, und der Bus kam an der kleinen Haltestelle zum Stehen.

Der Busfahrer stieg aus, um uns den Gepäckraum zu öffnen. Wie sich zeigte, waren François und ich die einzigen Passagiere, die hier aussteigen wollten.

»Vallon de Patron, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen«, murmelte der Busfahrer. »Wenn Sie Ruhe suchen – die werden Sie hier finden.«

Da irrte er sich total, wie sich schon sehr bald zeigen sollte.

»Ich weiß, Mann«, erwiderte ich. Dabei bemühte ich mich, meine Rolle als Guillaume Jarre überzeugend zu spielen. »Vallon de Patron ist meine Heimat. Ich bin hier geboren und aufgewachsen.«

»Oh, ist das wahr? Dann nichts für ungut!«

Und damit machte der Busfahrer, dass er wieder auf seinen Sitz kam. Die Tür schloss sich, und außer einer Staubwolke blieb nichts zurück von dem langgestreckten Geschoss.

François gähnte und streckte sich. Wir beide waren ziemlich schlapp vom Sitzen in dem schaukelnden Bus. Nichts für action-gewohnte Commissaires. Mein Freund blickte die Dorfstraße hinauf und hinunter.

Vallon de Patron unterschied sich in nichts von Zehntausenden anderer Dorf-Idyllen im Norden Frankreichs. Es gab einen kleinen Supermarkt und eine weiß gestrichene Kirche. Gegenüber von dem Gotteshaus befand sich ein winziger Park mit einer steinernen Skulptur einer Frau. Ein Stück weiter wies eine Neonreklame auf eine Gaststätte hin. Der Treffpunkt der Dorfjugend. Samstagabends hingen sie hier rum und tranken verbotenerweise Bier. Und das alles unter den Augen der Polizei, der praktischerweise sein Büro gleich nebenan hatte.

Ich kannte mich aus. Schließlich bin ich ja selbst in einem Dorf aufgewachsen.

»Und was machen wir jetzt, Guillaume?« fragte François. Wir hatten vereinbart, dass er mich nur noch Guillaume nennen würde, sobald wir in Vallon de Patron angekommen waren.

»Na, was schon?«, erwiderte ich. »Wir suchen uns Arbeit, François! Die gebratenen Tauben werden uns hier nicht in den Mund fliegen!«

Wir nahmen unsere Seesäcke auf und machten uns breitbeinig auf den Weg Richtung Norden. Wie zwei Cowboys. Ich hatte mich in Marseille so ausgiebig wie möglich über die Geographie des Dorfes schlau gemacht. Daher wusste ich, dass sich ein Stück weiter das Bürgermeisteramt befand, wo neben vielen anderen offiziellen Services auch freie Jobs angeboten wurden. Eine spezielle Arbeitsvermittlung gab es in einem solchen kleinen Ort nicht.

»Und als Nächstes halten wir nach einer Bude Ausschau«, kündigte ich an. »An der Parkstraße gibt es eine kleine Wohnhaussiedlung, wo wir …«

Weiter kam ich nicht. Denn in diesem Moment schoss ein muskulöser Arm durch die offene Tür von Charly’s Bar, an der wir gerade vorbeigehen wollten, und eine riesige Faust traf mich mit voller Wucht am Kopf.

10

»Sieht nach Regen aus«, meinte Charly und tauchte ein Bierglas ins Abwaschwasser. Dabei reckte sich der kleine Gastronom und stellte sich auf seine Zehenspitzen. Als ob er dadurch den schweren Himmel über der kleinen Stadt besser sehen könnte. Die Aussicht durch die offene Tür seiner Bar bot ohnehin seit zwanzig Jahren denselben Ausblick. Den Teil der Dorfstraße zwischen der Bushaltestelle und der Schule.

Herbért Belaski rutschte mit seinem schweren Körper auf dem Barhocker hin und her. Er machte sich noch nicht mal die Mühe zu antworten. Das sechste Budweiser dieses Tages war gerade dabei, ihm angenehm den Schädel zu vernebeln. Langsam fiel der Stress von ihm ab, den er in den vergangenen drei Wochen aufgestaut hatte, als der Polier bei der Fertigstellung eines Rohbaus seine Maurer durch die Baustelle hatte prügeln müssen, um den Termin einzuhalten. So manches Mal war dem temperamentvollen Vorarbeiter die Hand oder vielmehr die Faust ausgerutscht. Aber irgendwie hatte er seine Jungs immer wieder zur Räson bringen können. Und der Auftrag war termingerecht abgeschlossen worden.

»Mein bester Mann!«, hatte der Architekt über Herbért Belaski gesagt. Und bei diesen Worten war der untersetzte Sohn polnischer Einwanderer innerlich um mindestens zehn Zentimeter gewachsen.

Und nun saß er in seinem Heimatdorf an seiner Lieblingstheke und feierte den Erfolg auf seine Art. Indem er sich volllaufen ließ. Er hatte noch eine ganze Woche Zeit, bis ihn sein nächster Job nach Marseille führen würde.

Charly, der Besitzer der Bar, gab sich keine große Mühe, das Gespräch in Gang zu halten. Wie die meisten seiner Mitbürger kannte er Herbért Belaski seit früher Kindheit. Deshalb wusste er, dass der kraftstrotzende Polier alles andere als ein genialer Entertainer war. Überhaupt ein Zeitgenosse, dem man besser nicht auf die Nerven ging. Denn wenn Belaski einmal richtig ausrastete, dann flogen die Fetzen.

Wie eine Geisterstadt lag das Dorf vor den Fenstern der fast leeren Bar. Nichts rührte sich.

Aber dann passierte doch etwas. Der Bus aus Marseille rauschte fahrplangemäß an Charly’s Bar vorbei. Der kleine Barkeeper kletterte auf die untere Verstrebung seines Hockers. Er wollte sehen, ob jemand ausstieg. Viel mehr Abwechslung hatte er nicht zu erwarten, bis um sechs Uhr nachmittags im Sägewerk die Feierabendsirene dröhnte und die durstigen Arbeiter von den Maschinen an seine Theke wechselten, wie jeden Abend.

Tatsächlich stiegen zwei Männer hier in Vallon de Patron aus dem Bus.

»Sieh mal!« Erneut versucht der Kleine die Aufmerksamkeit seines gelangweilten Gastes zu erregen. »Ist das nicht Guillaume Jarre, der da gerade aus dem Bus geklettert ist?«

Sofort bereute der Wirt seine Worte. Denn ihm fiel die alte Eifersuchtsgeschichte zwischen Herbért Belaski und Guillaume Jarre wieder ein. Wie oft hatten sich die beiden Männer deswegen gegenseitig die Visage poliert.

Oft genug jedenfalls in seiner Bar. Zwar waren sie hinterher brüderlich für den Schaden aufgekommen, aber er, Charly, hatte trotzdem den Ärger gehabt mit der kaputten Einrichtung und den Lieferschwierigkeiten seines Gastronomie-Großhändlers für die zerschlagene Zapfanlage.

Am liebsten hätte sich Charly die Zunge abgebissen. Doch dafür war es nun zu spät.

In den kleinen tückischen Augen des Poliers blitzte es aggressiv auf. Er wandte seinen mächtigen Schädel wie ein Raubsaurier auf der Kinoleinwand. Wie die meisten hatte Charly natürlich Jurassic Park von Steven Spielberg gesehen. Lange genug gelaufen war der Streifen ja im einzigen Kino, das sich in der nächstgelegenen Kleinstadt von Vallon de Patron befand. Und so unberechenbar wie die Urzeit-Bestien kam ihm sein Gast in diesem Moment vor. Wie ein Tyrannosaurus Rex auf Raubzug.

»Guillaume Jarre«, wiederholte Herbért Belaski mit fast schon träumerischer Brutalität. »Er ist also zurückgekehrt. Dieser Arsch weiß wirklich nicht, was gut für ihn ist.«

Der Barkeeper schluckte trocken. Ihm persönlich war es herzlich egal, wenn sich Jarre und Belaski gegenseitig die Schädel einschlugen. Nur möglichst nicht in seiner Bar. Er überlegte fieberhaft, wie er dieses Unheil abwenden konnte, ohne dass sein Gast sofort bemerkte, dass es ihm nur um die Einrichtung ging.

»Gib mir noch ’n Bier!«, kommandierte Belaski.

Eilfertig kam Charly der Aufforderung nach und fischte eine eisgekühlte Flasche aus dem Kühlschrank.

»Viel …vielleicht solltest du ihn jetzt gleich begrüßen, Herbért«, stammelte der Barkeeper. »Damit er sofort schnallt, dass er hier nicht willkommen ist.« Ihm selbst war Guillaume Jarre genauso recht wie jeder andere Gast auch. Aber das sagte er dem cholerischen Polier natürlich nicht.

Belaski grinste, wobei er zwei fast vollständige Reihen mit gelben Hauern sehen ließ.

»Gute Idee, Charly!«

Mit diesen Worten packte er die Bierflasche und stürzte ihren Inhalt mit einem Zug hinunter. Danach umfasste er mit seiner großen Pranke ihren Hals, zerschlug die Flasche an der Theke. Der Kleine kniff die Augen zusammen, als ihm die Scherben um die Ohren flogen.

Die abgebrochene Flasche ragte aus der Faust des Poliers wie ein Dreizack des Todes. Triumphierend hielt er sie dem Barkeeper unter die Nase.

»Hier siehst du einen guten Grund, warum dieser Hurensohn Jarre samt seinem Kumpel gleich wieder in den nächsten Bus steigen wird!«

Charly schluckte trocken. Ihm stand der Angstschweiß auf der Stirn.

Sein Gast glitt vom Hocker und stapfte zur offen stehenden Tür.

Inzwischen waren Guillaume Jarre und der unbekannte andere blonde Mann schon fast auf der Höhe der Bar angelangt.

Zähneknirschend glotzte Belaski auf den zackigen Flaschenhals in seiner linken Hand. Doch irgendetwas schien ihn davon abzuhalten, die gemeine Waffe sofort einzusetzen.

Er stellte sich neben dem Türstock in Positur. Unsichtbar für die beiden Männer, die soeben an Charly’s Bar vorbeigehen wollten.

Als der vermeintliche Guillaume Jarre auf Armeslänge herangekommen war, drosch der Polier zu.

11

Der Fausthieb traf mich völlig unerwartet. Riss mich von den Beinen. Für einen Moment tanzten feurig-rote Gluträder vor meinen Augen. Der Schlag hätte einen ausgewachsenen Stier umhauen können. Aber zum Glück habe ich durch meinen Job als Commissaire genug Training, wenn es darum geht, Faustschläge zu verdauen. Wie oft hatte man mich schon in düsteren Seitengassen oder schummrigen Hinterhöfen zusammengeschlagen? Da lernt man mit der Zeit, einiges einzustecken. Das muss man, oder man geht unter.

Aber zunächst segelte ich der Länge nach auf die Fahrbahn der Dorfstraße. Zum Glück kam gerade kein Auto vorbei.

Nun war auch der Mann aus der Bar getreten, zu dem die Faust gehörte, die mein Gesicht so liebevoll geküsst hatte. Sofort wollte sich mein Freund auf den Schläger stürzen.

»Lass das, François!«, rief ich, während tausend kleine Zwerge mit ihren Hämmerchen die Zerstörungsarbeit in meinem Hinterkopf aufnahmen. »Das ist eine Sache zwischen Herbért und mir!«

Denn als ich meinen unbekannten Gegner mit der abgebrochenen Flasche in der Hand anrollen sah, wurde mir klar, dass dieser Typ niemand anderes als Herbért Belaski sein musste. Der Erzfeind von Guillaume Jarre.

Vor dem müssen Sie sich in Acht nehmen, Marquanteur, hatte mich mein Doppelgänger gewarnt.