Kommissar Jörgensen und
die Endabrechnung: Mordermittlung Hamburg Kriminalroman
Krimi von Peter Haberl und Chris Heller
Als der Senator seine Geliebte aufsucht, wird er vor ihrem
Haus ermordet.
Trotz Warnung lässt es sich der Bundespräsident nicht nehmen,
an der Beisetzung des Senators teilzunehmen. Obwohl sämtliche
Vorsichtsmaßnahmen, die der Polizei zur Verfügung stehen, für den
Bundespräsidenten getroffen sind, wird auf ihn geschossen.
Auch Kommissar Stefan Czerwinski wird angeschossen.
Wer sollte eigentlich das Ziel des Killers sein? Czerwinski
oder der Bundespräsident?
Die Hamburger Kommissare Uwe Jörgensen und Roy Müller machen
sich auf die Suche nach dem Killer und seinem Auftraggeber.
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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress
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Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
Prolog 1: Schatten über St. Pauli
Hamburg, das war mehr als Hafen, mehr als Fischmarkt, mehr als
Elbe und Alster. Hamburg, das war ein Versprechen – und eine
Drohung. Wer nachts durch St. Pauli lief, der wusste, dass die
Stadt zwei Gesichter hatte: Eines, das im Licht der Reklamen
lachte, und eines, das im Schatten lauerte, wo die Geschichten
begannen, die keiner erzählen wollte. Hier, wo das Pflaster klebrig
war vom Bier der letzten Nacht und dem Blut der vorletzten, wo die
Luft nach Hoffnung und Verzweiflung roch, nach billigem Parfum,
kaltem Rauch und dem Salz der nahen See.
Es war ein Mittwochabend, der Regen hatte vor einer Stunde
aufgehört, und die Straßen glänzten noch nass. Ein paar Touristen,
die sich verlaufen hatten, drückten sich aneinander vorbei, die
Blicke nervös, als könnten sie hinter jeder Ecke das nächste
Abenteuer erwarten – oder das nächste Unglück. Doch die, die hier
lebten, kannten die Regeln. Und sie kannten die Gesichter.
Da war zum Beispiel „Kalle Kippe“, der mit seinem klapprigen
Fahrrad durch die Seitenstraßen fuhr, die Taschen voller
Zigarettenschachteln, die nie jemand in einem Laden gesehen hatte.
Kalle war ein kleiner Fisch, aber einer, der wusste, wo das Wasser
tief war. Er hielt an der Ecke zur Davidstraße, wo die Neonlichter
der „Roten Laterne“ ein schmutziges Rosa auf das Pflaster warfen.
Er zwinkerte der blonden Frau im Schaufenster zu – sie lächelte
müde zurück, ein Lächeln, das mehr über die Nacht wusste als jedes
Polizeiprotokoll.
Im „Blauen Peter“, einer Bar, die schon bessere Tage gesehen
hatte, polierte Mehmet die Gläser. Mehmet war einer, der alles
hörte und nichts vergaß. Seine Bar war Treffpunkt für die, die
lieber nicht gesehen werden wollten. Heute Abend saß am Tresen ein
Mann mit zu teurem Anzug und zu billigen Schuhen. Er hieß Herrmann,
aber alle nannten ihn „den Makler“. Herrmann vermittelte Wohnungen,
aber nicht an Familien. Seine Klientel waren die, die ein diskretes
Zimmer suchten – für ein paar Stunden oder ein paar Tage. Er trank
seinen Whisky in kleinen Schlucken und beobachtete die Tür, als
würde er auf jemanden warten. Vielleicht wartete er auf einen neuen
Deal. Vielleicht auf das nächste Problem.
Am Fenster der Bar stand Tanja, eine Stripperin aus dem „Pink
Flamingo“. Sie rauchte, obwohl sie es sich abgewöhnen wollte. Ihre
langen Beine steckten in Netzstrümpfen, die schon bessere Nächte
gesehen hatten. Tanja kannte die Männer, die hierher kamen, und sie
wusste, wie sie sie lesen musste. Sie sah, wie ein junger Typ
vorbeiging, die Hände tief in den Taschen, den Blick auf den Boden
gerichtet. Sie kannte ihn – das war „Fips“, ein Taschendieb, der so
aussah, als könnte er keiner Fliege etwas zuleide tun. Fips war
schnell, und er hatte ein Talent dafür, ausgerechnet die zu
bestehlen, die es am wenigsten merkten.
In einer dunklen Ecke der Bar saßen zwei Männer, die sich
leise unterhielten. Der eine war groß und breit, mit einem
tätowierten Schädel, der andere schmal, mit einer Narbe über der
Lippe. Sie gehörten zu den „Nordmännern“, einer Rockergruppe, die
seit Jahren versuchte, ihr Revier gegen die „Südstern“-Gang zu
verteidigen. Es ging um Schutzgeld, um Drogen, um Respekt. Die
beiden tranken Bier und warfen ab und zu Blicke zur Tür, als
könnten jederzeit Feinde hereinkommen.
Draußen, auf dem Kiez, stand „Big Mike“, der Türsteher vom
„Paradiso“. Mike war ein Hüne, aber seine Augen waren freundlich.
Er kannte die meisten, die hier arbeiteten, und er wusste, wann er
eingreifen musste – und wann nicht. Heute Abend hatte er einen
Streit zwischen zwei Prostituierten geschlichtet, die sich um einen
Stammkunden gestritten hatten. Jetzt stand er da, die Arme
verschränkt, und beobachtete die Straße. Er sah, wie ein schwarzer
Mercedes langsam vorbeifuhr, die Scheiben getönt. Mike wusste, wem
der Wagen gehörte: Ali, ein Clan-Chef, der seine Finger in jedem
Geschäft hatte, das auf dem Kiez lief. Ali war selten selbst zu
sehen, aber seine Männer waren überall.
In einer Seitengasse, hinter dem „Schattenreich“, saß „Lissy“,
die Obdachlose. Sie hatte einen alten Hund bei sich, der auf den
Namen „Fiete“ hörte. Lissy war früher mal Kellnerin gewesen, dann
war sie gefallen, tief und schnell. Jetzt lebte sie von dem, was
andere wegwarfen, und von dem, was sie sich erbettelte. Aber sie
sah mehr als die meisten. Sie wusste, wer wann wo war, wer mit wem
redete, wer verschwand. Und manchmal, wenn sie Glück hatte, gab ihr
einer der Dealer ein paar Euro, damit sie die Augen
zudrückte.
Ein paar Meter weiter, vor dem „Club Royal“, stand „Sascha der
Schwabe“. Sascha war kein echter Schwabe, aber er hatte den Akzent
perfektioniert, weil die Touristen ihn mochten. Er verkaufte
Kokain, Ecstasy, manchmal auch härteres Zeug. Seine Kunden waren
Banker, Studenten, manchmal auch Kollegen aus der Szene. Sascha war
vorsichtig, aber nicht ängstlich. Er wusste, dass es gefährlich
war, aber er liebte das Spiel – und das Geld.
Im „Goldenen Reiter“, einem Nachtclub für die, die das Geld
hatten und die Diskretion schätzten, saß „Madame Elise“ in ihrem
Büro. Sie war eine Legende auf dem Kiez, eine Frau mit
Vergangenheit und Verbindungen. Ihr Geschäft waren
Edel-Prostituierte, die sie mit der Eleganz einer alten Schule
führte. Elise war höflich, aber bestimmt. Sie kannte die Wünsche
ihrer Kunden, und sie wusste, wie sie sie erfüllen konnte – gegen
den richtigen Preis. Heute Abend hatte sie ein Treffen mit einem
Geschäftsmann aus dem Süden, der neue Ideen hatte. Elise war
interessiert, aber vorsichtig. Zu viele neue Ideen hatten in
Hamburg schon für Ärger gesorgt.
In der Nähe der Reeperbahn, vor dem „Lucky Star“, stand
„Ringo“, ein kleiner Ganove, der alles besorgen konnte, was man
brauchte – oder nicht brauchte. Ringo hatte ein loses Mundwerk und
ein schnelles Messer. Er war beliebt bei den Mädchen, weil er sie
beschützte, und gefürchtet bei den Jungs, weil er nie vergaß, wenn
ihm jemand Geld schuldete. Heute Abend hatte er einen Streit mit
einem Zuhälter, der meinte, er könne sich an Ringos Mädchen
vergreifen. Ringo hatte ihm gezeigt, dass das keine gute Idee
war.
In einem Hinterzimmer des „Blue Velvet“ saß „Carlo“, der
smarte Geschäftsmann mit den teuren Uhren und den noch teureren
Schuhen. Carlo war neu auf dem Kiez, aber er hatte schnell gelernt.
Sein Geschäft war das Vergnügen – exklusiv, diskret, teuer. Er
vermittelte Models, organisierte Partys, kümmerte sich um alles,
was reiche Männer und Frauen wollten. Carlo war charmant, aber
eiskalt. Er wusste, dass das Geld hier schneller floss als das
Bier, aber auch, dass man schnell untergehen konnte, wenn man nicht
aufpasste.
Am Ende der Großen Freiheit, wo die Musik aus den Clubs bis
auf die Straße dröhnte, stand „Jule“, die Prostituierte mit dem
Herz aus Gold. Jule war schon lange dabei, und sie hatte mehr
gesehen, als sie erzählen wollte. Sie kümmerte sich um die Neuen,
zeigte ihnen, wie man mit den Freiern umging, wie man sich
schützte, wie man überlebte. Jule war eine Institution, und wenn
jemand Ärger hatte, ging er zu ihr. Sie kannte die Tricks, die
Gefahren, die Männer. Und sie wusste, dass es immer einen gab, der
noch gefährlicher war.
In einer dunklen Ecke, zwischen zwei Mülltonnen, stand „Momo“,
der Taschendieb mit dem schnellen Grinsen. Momo war jung, aber
schon ein Profi. Er arbeitete meistens allein, aber manchmal half
ihm „Nina“, die so unschuldig aussah, dass keiner ihr etwas
zutraute. Zusammen waren sie unschlagbar. Heute Abend hatten sie
einen reichen Touristen ausgenommen, der jetzt verzweifelt nach
seiner Brieftasche suchte. Momo lachte leise, als er das Bündel
Scheine zählte.
In der Nähe des Hafens, wo die Container wie Riesen im Nebel
standen, trafen sich die „Brüder vom Kai“. Sie waren keine richtige
Gang, aber sie hielten zusammen. Sie arbeiteten als Hafenarbeiter,
aber nachts verdienten sie ihr Geld mit Schmuggel. Zigaretten,
Alkohol, manchmal auch mehr. Sie kannten die Wege, die keiner
kannte, die Löcher im Zaun, die dunklen Ecken. Heute Nacht warteten
sie auf eine Lieferung, die mehr wert war als alles, was sie bisher
gesehen hatten.
Und dann war da noch „Lars der Lude“, der Zuhälter mit dem
goldenen Zahn. Lars war ein Relikt aus einer anderen Zeit, aber er
wusste sich zu behaupten. Seine Mädchen arbeiteten für ihn, weil er
sie gut behandelte – jedenfalls besser als die anderen. Lars hatte
Kontakte zur Polizei, zu den Rockern, zu den Clans. Er wusste, wie
man Geschäfte machte, und er wusste, wann man besser die Klappe
hielt.
All diese Menschen lebten in Hamburg, in St. Pauli, auf dem
Kiez. Ihre Wege kreuzten sich, ihre Geschichten verwebten sich,
ihre Schicksale waren miteinander verbunden – oft ohne dass sie es
wussten. Sie waren Teil eines großen Spiels, das immer weiterging,
Nacht für Nacht, Tag für Tag. Manche von ihnen würden bald im
Mittelpunkt eines Dramas stehen, das größer war als alles, was sie
bisher erlebt hatten. Aber das wussten sie noch nicht.
Die Stadt schlief nie. Sie atmete, sie pulsierte, sie lachte
und weinte. Und irgendwo, in einem dunklen Hinterzimmer, wurde
gerade eine Entscheidung getroffen, die alles verändern
würde.
Doch das war eine andere Geschichte.
Jetzt, in dieser Nacht, gehörte Hamburg denen, die wussten,
wie man im Schatten lebt.
In einer schmalen, feuchten Gasse hinter dem „Blauen Peter“
trafen sich zwei Gestalten im Schein einer flackernden
Straßenlaterne. Der Regen hatte Pfützen hinterlassen, die das Licht
in schmutzigen Farben spiegelten. Es war kurz nach Mitternacht, und
die Stadt war laut, doch hier drang nur das entfernte Dröhnen der
Musik herüber.
Ringo, der kleine Ganove mit der Lederjacke, stand an der Wand
und rauchte. Er war nervös, aber das ließ er sich nicht anmerken.
Gegenüber lehnte Fips, der Taschendieb, der heute ausnahmsweise mal
kein Opfer suchte – sondern einen Handel. In seiner Jackentasche
steckte ein kleines, schwarzes Päckchen, das er immer wieder mit
der Hand abtastete.
„Hast du’s?“ fragte Ringo leise, ohne die Zigarette aus dem
Mund zu nehmen.
Fips nickte und zog das Päckchen hervor, ließ es aber nicht
los. „Erst das Geld.“
Ringo schnaubte, zog einen zerknitterten Umschlag aus seiner
Innentasche und hielt ihn Fips hin. „Dreitausend, wie abgemacht.
Zähl nach, wenn du willst.“
Fips riss den Umschlag auf, zählte die Scheine mit flinken
Fingern. Er nickte zufrieden, steckte das Geld ein und reichte
Ringo das Päckchen. Ihre Hände berührten sich kurz, kalt und
feucht.
„Was ist das überhaupt?“ fragte Fips, als Ringo das Päckchen
in seine Jacke schob.
Ringo grinste schief. „Je weniger du weißt, desto besser für
dich.“
Fips zuckte die Schultern. „Wie du meinst. Aber wenn’s Ärger
gibt, kennst du mich nicht.“
Ringo lachte leise, warf die Kippe auf den Boden und trat sie
aus. „Keine Sorge,
Fips wollte schon abdrehen, als plötzlich Schritte in der
Gasse widerhallten. Beide Männer erstarrten, warfen einen schnellen
Blick über die Schulter. Aus dem Schatten löste sich eine dritte
Gestalt – groß, breitschultrig, Kapuze tief ins Gesicht gezogen.
Ringo spannte sich an, griff instinktiv an sein Messer, das in der
Jackentasche steckte.
Der Neue blieb ein paar Meter entfernt stehen, die Hände
offen, aber die Haltung eindeutig: Vorsicht, aber keine
Angst.
„Alles klar, Jungs?“ Die Stimme war rau, aber ruhig. Es war
Mehmet, der Barkeeper, der manchmal als Vermittler für heikle
Geschäfte diente. Er musterte Fips und Ringo mit prüfendem
Blick.
Ringo entspannte sich ein wenig. „Nur ein kleiner Handel,
Mehmet. Alles sauber.“
Mehmet nickte, trat näher, bis er fast zwischen den beiden
stand. „Ich hab gehört, ihr treibt euch hier rum. Ihr wisst, dass
das eigentlich Alis Revier ist, oder?“
Fips wich einen Schritt zurück. „Wir sind gleich weg. Nur kurz
was geregelt.“
Mehmet schnalzte mit der Zunge. „Gut. Aber ich sag euch eins:
Wenn ihr hier Deals macht, will Ali seinen Anteil. Sonst gibt’s
Ärger. Ihr kennt die Regeln.“
Ringo nickte, zog ein paar Scheine aus dem Umschlag und
reichte sie Mehmet. „Für Ali. Sag ihm, er kann sich auf mich
verlassen.“
Mehmet nahm das Geld, zählte es kurz nach und steckte es ein.
„So ist’s besser. Und jetzt verschwindet. Ich will euch hier heute
Nacht nicht mehr sehen.“
Fips und Ringo warfen sich einen schnellen Blick zu. Fips
steckte die Hände in die Taschen, drehte sich um und verschwand in
der Dunkelheit, sein Schritt hastig, als würde er verfolgt. Ringo
blieb noch einen Moment, blickte Mehmet an.
„Danke, Alter. War knapp.“
Mehmet zuckte mit den Schultern. „Pass besser auf dich auf,
Ringo. Die Zeiten werden härter.“
Dann ging auch Ringo, das Päckchen fest an sich gedrückt,
hinaus aus der Gasse, hinein ins Licht der Reeperbahn, wo die Musik
lauter und die Schatten länger wurden.
Mehmet blieb zurück, sah ihnen nach, dann verschwand auch er,
lautlos wie ein Geist. Die Gasse war wieder leer, nur der Geruch
von kaltem Rauch und nassem Asphalt hing noch in der Luft – und das
Gefühl, dass hier gerade mehr passiert war als ein einfacher
Deal.
Prolog 2: Schattenjagd an der Elbe
Ich weiß nicht, ob es die feuchte Kälte war, die in Hamburg
nachts alles durchdrang, oder das flaue Gefühl im Magen, das ich
immer habe, wenn ich mit Roy durch St. Pauli fahre. Vielleicht ist
es auch nur die Ahnung, dass in dieser Stadt alles möglich ist –
und meistens das, was man am wenigsten erwartet. Es war kurz nach
zwei, als wir den Funkspruch bekamen: Verdächtige Aktivitäten
hinter dem „Blauen Peter“, einer dieser Läden, in denen die Zeit
stehen geblieben ist und die Leute alles sehen, aber nichts
sagen.
Roy saß am Steuer, die Hände fest um das Lenkrad unseres
silbernen Passats gekrallt. „Immer wieder St. Pauli, was?“, brummte
er. „Als ob die Verbrecher sich hier besonders wohlfühlen.“
Ich sah aus dem Fenster. Die Straßen glänzten noch vom Regen,
und irgendwo in der Ferne hörte man das Nebelhorn eines Schiffes
auf der Elbe. „Hier ist wenigstens was los“, sagte ich. „Besser als
Akten wälzen im Präsidium.“
Roy grinste schief. „Du meinst, besser als Bocks Kaffeeflecken
auf den Berichten.“
Kriminaldirektor Jonathan Bock ist ein Mann, der alles sieht,
aber wenig sagt. Er hat das Talent, immer dann aufzutauchen, wenn
man am wenigsten damit rechnet – und immer dann, wenn man gerade
einen Fehler gemacht hat. Aber heute Nacht war er weit weg,
irgendwo in seinem Büro im Präsidium am Bruno-Georges-Platz,
vielleicht mit einer Tasse viel zu starkem Kaffee in der
Hand.
Wir parkten in einer Seitenstraße, direkt neben einem alten
Backsteinhaus, das mehr Graffiti als Fenster hatte. Ich zog meinen
Mantel enger um mich. „Los, Roy. Lass uns mal sehen, was unsere
Freunde heute Nacht so treiben.“
Wir gingen die schmale Gasse entlang, die zum Hintereingang
des „Blauen Peter“ führte. Die Luft roch nach nassem Asphalt, Bier
und einer Ahnung von Ärger. Als wir um die Ecke bogen, sahen wir
sie: Zwei Gestalten, die sich nervös umblickten, ein dritter Mann,
der gerade Geld zählte. Ich kannte den Typen mit der Lederjacke –
Ringo, ein kleiner Ganove, der immer zur falschen Zeit am falschen
Ort war. Der andere, schmal und mit nervösen Händen, war Fips. Der
dritte war Mehmet, der Barkeeper. Ich hatte ihn schon öfter
gesehen, immer mittendrin, nie direkt beteiligt.
Roy zog seine Dienstmarke und rief: „Polizei! Stehen
bleiben!“
Fips zuckte zusammen, wollte losrennen, aber ich war
schneller. Ich packte ihn am Arm, drückte ihn gegen die Wand. „Ganz
ruhig, mein Freund. Sie bleiben schön hier.“
Ringo hob die Hände, ein schiefes Grinsen auf den Lippen.
„Immer mit der Ruhe, Herr Kommissar. Wir machen doch nur ein
bisschen Geschäfte.“
Roy durchsuchte ihn routiniert, fand das Päckchen in seiner
Jacke. „Und was ist das hier?“
Ringo zuckte die Schultern. „Nur ein bisschen Koks. Für den
Eigenbedarf.“
Ich lachte trocken. „Für den Eigenbedarf? Und das Geld in
Ihrer Tasche? Auch für den Eigenbedarf?“
Mehmet stand noch immer an der Wand, die Hände offen. „Ich hab
damit nichts zu tun, Herr Kommissar. Ich hab nur nach dem Rechten
gesehen.“
„Das werden wir ja sehen“, sagte ich und bedeutete Roy, die
drei festzunehmen. Wir legten ihnen Handschellen an, lasen ihnen
ihre Rechte vor und führten sie zum Wagen. Fips zitterte, Ringo
blieb cool, Mehmet schimpfte leise auf Türkisch.
Im Präsidium am Bruno-Georges-Platz war es um diese Zeit
still. Die Neonlichter im Flur flackerten, der Geruch von kaltem
Kaffee und Desinfektionsmittel hing in der Luft. Wir brachten
unsere drei Verdächtigen in den Vernehmungsraum, setzten sie auf
die Stühle. Roy blieb draußen, um die Beweismittel zu sichern. Ich
setzte mich Ringo gegenüber.
„Also, Herr Ringo. Erzählen Sie mir doch mal, was Sie heute
Nacht hinter dem ‚Blauen Peter‘ gemacht haben.“
Er lehnte sich zurück, verschränkte die Arme. „Ich hab doch
schon gesagt, Herr Kommissar. Ich hab nur einen Freund getroffen.
Das Päckchen ist nicht meins.“
Ich seufzte. „Sie wissen, dass wir das nicht glauben, oder?
Sie sind doch nicht zum ersten Mal hier.“
Er grinste. „Sie auch nicht, Herr Kommissar.“
Roy kam herein, legte das Päckchen auf den Tisch. „Das Labor
schaut sich das gleich an. Und das Geld auch.“
Ich nickte. „Wir machen es einfach, Ringo. Sie sagen uns, für
wen das Zeug ist, und wir reden mit dem Staatsanwalt. Vielleicht
springt was für Sie raus.“
Ringo schwieg. Ich wusste, dass er nicht reden würde. Noch
nicht.
Wir ließen die drei erstmal in den Zellen, gingen rüber ins
Büro. Die Fenster zeigten auf die dunkle Stadt, irgendwo da draußen
schlief Hamburg. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, der voller
Akten war. Roy goss uns zwei Becher Kaffee ein.
„Meinst du, die reden?“, fragte er.
Ich schüttelte den Kopf. „Nicht freiwillig. Aber vielleicht
hilft Förnheim uns weiter.“
Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim war unser Forensiker – ein
Genie, aber ein unerträglicher Besserwisser. Er hatte das Talent,
jeden im Raum wie einen Idioten aussehen zu lassen, und genoss das
auch noch. Ich mochte ihn nicht, aber ich respektierte ihn.
Wir gingen runter ins Labor. Förnheim stand an seinem
Arbeitsplatz, das Päckchen schon in der Hand, die Brille tief auf
der Nase.
„Ah, die Herren Kommissare. Endlich. Ich hatte schon
befürchtet, Sie hätten sich wieder in der Kantine verlaufen.“
Roy verdrehte die Augen. Ich blieb sachlich. „Was haben
Sie?“
Förnheim seufzte, als müsste er einem Kind das Einmaleins
erklären. „Kokain, etwa 50 Gramm, gestreckt mit Levamisol. Sehr
rein, für Hamburger Verhältnisse. Das Geld – alles kleine Scheine,
typisch für Straßenhandel. Sie sollten sich mal mit den Grundlagen
des Drogenmarkts beschäftigen, bevor Sie mich wieder mit so banalen
Fragen belästigen.“
Ich ignorierte seine Arroganz. „Irgendwelche
Fingerabdrücke?“
Er lächelte dünn. „Natürlich. Ihre, die von Herrn Müller, und
die von mindestens drei anderen Personen, die ich noch abgleichen
werde. Aber das dauert. Sie wissen ja, die Technik ist nicht so
schnell wie mein Verstand.“
Roy schnaubte. „Danke, Herr Dr. Förnheim. Wir melden uns, wenn
wir noch was brauchen.“
Wir gingen zurück ins Büro. Ich setzte mich, blätterte in den
Akten. „Ringo ist ein kleiner Fisch. Aber wenn das Koks so rein
ist, wie Förnheim sagt, steckt mehr dahinter.“
Roy nickte. „Vielleicht Clan-Geschäfte? Oder die
Rocker?“
Ich dachte nach. „Mehmet ist Barkeeper, aber er hat
Verbindungen zu Ali, dem Clan-Chef. Vielleicht läuft das Zeug über
den ‚Blauen Peter‘.“
In diesem Moment klopfte es an der Tür. Kriminaldirektor Bock
steckte den Kopf herein. „Jörgensen. Müller. Wie sieht’s
aus?“
Ich stand auf. „Wir haben drei Verdächtige, ein halbes Kilo
Koks, viel Bargeld. Förnheim ist dran. Aber ich glaube, da steckt
mehr dahinter.“
Bock sah mich an, sein Blick ruhig, aber wachsam. „Bleiben Sie
dran. Und halten Sie mich auf dem Laufenden. Ich will keine
Überraschungen.“
„Verstanden, Chef.“
Er nickte und verschwand wieder. Ich setzte mich, nahm einen
Schluck Kaffee. „Roy, wir sollten Mehmet zuerst vernehmen.
Vielleicht ist er der Schwachpunkt.“
Wir holten Mehmet aus der Zelle, setzten ihn in den
Vernehmungsraum. Er wirkte nervös, schwitzte, obwohl es kühl
war.
Ich begann ruhig. „Herr Mehmet, Sie wissen, warum Sie hier
sind. Wir haben Sie mit einer größeren Menge Kokain erwischt. Das
ist kein Kavaliersdelikt.“
Er wich meinem Blick aus. „Ich hab nichts gemacht, Herr
Kommissar. Ich hab nur aufgepasst, dass es keinen Ärger
gibt.“
Roy beugte sich vor. „Wissen Sie, was uns wundert? Sie sind
immer da, wenn was passiert. Und Sie kennen die richtigen Leute.
Vielleicht können Sie uns helfen.“
Mehmet schwieg, dann sah er mich an. „Wenn ich rede, hab ich
ein Problem.“
Ich nickte. „Wenn Sie nicht reden, haben Sie ein
größeres.“
Er überlegte, dann flüsterte: „Ali will, dass wir das Zeug
verteilen. Über die Bars, die Clubs. Ich bin nur der Mittelsmann.
Wenn ich nicht mitmache, bin ich tot.“
Ich machte mir Notizen. „Wie läuft das ab?“
„Die Lieferungen kommen nachts. Immer andere Leute. Ich geb
das Geld ab, krieg meinen Anteil. Mehr nicht.“
Roy fragte: „Wer bringt die Ware?“
Mehmet schüttelte den Kopf. „Unterschiedlich. Heute war’s
Ringo. Morgen vielleicht jemand anders.“
Ich lehnte mich zurück. „Gut, Mehmet. Sie bleiben erstmal
hier. Aber wenn Sie uns helfen, reden wir mit dem
Staatsanwalt.“
Wir brachten ihn zurück in die Zelle. Roy sah mich an. „Das
ist größer, als wir dachten.“
Ich nickte. „Wir brauchen Beweise. Und wir müssen Ali
kriegen.“
Am nächsten Morgen war Hamburg grau und nass, wie so oft. Ich
fuhr mit Roy zum Hafen, wo die Container wie Riesen im Nebel
standen. Wir hatten einen Hinweis bekommen, dass die nächste
Lieferung dort ankommen sollte. Die Docks waren leer, nur ein paar
Hafenarbeiter schoben Kisten durch den Regen.
Wir stellten uns in den Schatten eines Krans, beobachteten das
Treiben. Nach einer halben Stunde kam ein schwarzer Mercedes
angefahren, hielt neben einem Container. Zwei Männer stiegen aus,
einer davon war Ali. Ich kannte sein Gesicht aus den Akten –
schmal, mit kalten Augen. Der andere war ein großer Typ mit Glatze,
wahrscheinlich sein Bodyguard.
Sie öffneten den Kofferraum, holten eine Sporttasche heraus.
Ein dritter Mann kam aus dem Schatten, nahm die Tasche entgegen,
verschwand zwischen den Containern. Ich machte Fotos, Roy notierte
das Kennzeichen.
„Das reicht noch nicht für einen Zugriff“, sagte ich leise.
„Aber wir kommen näher.“
Wir warteten, bis der Mercedes wieder weg war, dann gingen wir
zurück zum Wagen. Ich rief Förnheim an. „Dr. Förnheim, können Sie
das Kokain aus dem Päckchen mit anderen Funden vergleichen?
Vielleicht gibt es eine Verbindung.“
Er klang genervt. „Natürlich kann ich das. Wenn Sie mich in
Ruhe arbeiten lassen.“
Ich legte auf, fuhr mit Roy zurück ins Präsidium. Im Büro
wartete schon Dr. Gerold Wildenbacher, unser Pathologe. Er war ein
großer, kräftiger Mann, immer mit hochgekrempelten Ärmeln, das Hemd
voller Flecken.
„Moin, Jungs“, sagte er. „Hab gehört, ihr habt wieder was
aufgerissen.“
Ich nickte. „Könnte sein, dass es Tote gibt, wenn wir nicht
schnell sind.“
Er grinste. „Dann sagt Bescheid, wenn’s so weit ist. Ich steh
bereit.“
Roy lachte. „Immer der Optimist, der Gerold.“
Wildenbacher zuckte die Schultern. „Jeder hat sein
Talent.“
Wir setzten uns, sichteten die Beweise, schrieben Berichte.
Ich blickte aus dem Fenster auf die Stadt. Hamburg war groß, voller
Schatten und Geheimnisse. Aber ich wusste, dass wir diesmal näher
dran waren als sonst.
Roy lehnte sich zurück, rieb sich die Augen. „Was meinst du,
Uwe? Kriegen wir Ali?“
Ich nickte langsam. „Wenn wir dranbleiben. Und wenn wir ein
bisschen Glück haben.“
Draußen wurde es hell, der Regen hörte auf. Die Stadt
erwachte, und irgendwo, in einer Bar auf St. Pauli, warteten schon
die nächsten Geschichten.
Aber das war eine andere Nacht.
Prolog 3: Abrechnung auf dem Kiez
Manchmal, wenn ich morgens mit dem ersten Licht auf die
Reeperbahn blicke, frage ich mich, wie viele Geheimnisse in diesen
Straßen liegen. Hamburg ist eine Stadt, die nie schläft, aber in
den frühen Stunden, wenn die letzten Betrunkenen heimwärts torkeln
und die Straßenreinigung die Spuren der Nacht beseitigt, scheint
alles möglich. Es ist die Stunde der Wahrheit – und heute sollte
sie kommen.
Roy und ich hatten eine lange Nacht hinter uns. Wir hatten
Mehmet zum Reden gebracht, Fotos von Ali am Hafen gemacht, und Dr.
Dr. Förnheim hatte uns tatsächlich eine Verbindung geliefert: Das
Kokain aus Ringos Päckchen stammte aus derselben Charge wie eine
Lieferung, die vor drei Wochen in einem Club in der Großen Freiheit
gefunden worden war – ein Club, der Ali gehörte. Die Beweiskette
wurde dichter.
Im Präsidium war es um acht Uhr morgens noch ruhig. Ich saß an
meinem Schreibtisch, trank den dritten Kaffee und starrte auf die
Notizen. Roy kam herein, zwei belegte Brötchen in der Hand.
„Frühstück, Uwe. Du siehst aus, als hättest du seit Tagen nicht
geschlafen.“
Ich nahm das Brötchen, biss ab. „Danke, Roy. Wir müssen heute
liefern. Wenn wir Ali nicht heute kriegen, war alles
umsonst.“
Roy setzte sich, schob mir einen Zettel zu. „Mehmet hat noch
was gesagt. Heute Mittag gibt’s eine Geldübergabe im ‚Goldenen
Reiter‘. Ali will persönlich kommen.“
Ich sah ihn an. „Das ist unsere Chance. Aber wir müssen
wasserdicht sein – keine Fehler.“
Roy nickte. „Ich hab schon SEK und Zivilkräfte informiert. Wir
sind nicht allein.“
Ich atmete tief durch. „Gut. Dann los.“
Wir verbrachten die nächsten Stunden mit Vorbereitungen. Der
„Goldene Reiter“ war ein exklusiver Nachtclub an der Nobelseite der
Reeperbahn, ein Ort, an dem sich die Reichen und Mächtigen trafen –
und die, die es werden wollten. Madame Elise, die Betreiberin, war
offiziell nur Gastgeberin, aber inoffiziell wusste jeder, dass sie
für Ali arbeitete. Wir wollten sie heute auf frischer Tat
ertappen.
Kriminaldirektor Bock kam kurz vor zehn ins Büro. Er wirkte
wie immer ruhig, aber die Anspannung war ihm anzumerken.
„Jörgensen, Müller – ich will, dass Sie heute alles sauber
durchziehen. Keine Alleingänge. Wir stehen unter
Beobachtung.“
Ich nickte. „Verstanden, Chef. Wir sind bereit.“
Er sah uns an, dann lächelte er kurz. „Viel Glück.“
Roy und ich fuhren mit zwei Zivilwagen Richtung Kiez. Das SEK
postierte sich unauffällig in den Nebenstraßen, Zivilkräfte
mischten sich unter die Passanten. Ich spürte das Adrenalin in
meinen Adern, wie immer vor einem Zugriff. Aber diesmal war es
anders – es ging um mehr. Um Gerechtigkeit. Und um die Stadt, die
ich liebte.
Um kurz vor zwölf standen wir in der Nähe des „Goldenen
Reiters“. Die Sonne kämpfte sich durch die Wolken, warf fahle
Lichtflecken auf das Kopfsteinpflaster. Die Türsteher vor dem Club
musterten jeden, der vorbeiging. Ich hatte ein Headset im Ohr, Roy
stand auf der anderen Straßenseite, bereit zum Zugriff.
Um zwölf Uhr fuhr ein schwarzer Mercedes vor. Ali stieg aus,
begleitet von zwei Männern. Er trug einen teuren Anzug,
Sonnenbrille, das Gesicht ausdruckslos. Die Türsteher ließen ihn
sofort durch. Kurz darauf kam Madame Elise, elegant wie immer,
begrüßte ihn mit einer Umarmung.
Ich gab das Zeichen. „Alle Einheiten – Positionen beziehen.
Zugriff auf mein Kommando.“
Ali betrat mit seinen Männern den Club. Wir warteten, bis sie
im Hinterzimmer verschwanden. Dann stürmten wir los – Roy von
rechts, ich von links, das SEK durch den Haupteingang. Drinnen war
es dunkel, Musik wummerte durch die Wände, aber wir kannten den
Weg.
Im Hinterzimmer saßen Ali, Elise und zwei weitere Männer an
einem Tisch. Auf dem Tisch lag eine schwarze Sporttasche – voll mit
Geld. Ali zählte die Scheine, Elise lachte, als wäre es das
Normalste der Welt.
Ich trat ein, die Waffe im Anschlag. „Polizei! Hände
hoch!“
Für einen Moment war alles still. Dann griff einer von Alis
Männern nach der Tasche, aber Roy war schneller, riss ihn zu Boden.
Das SEK stürmte herein, überwältigte die anderen. Ali blieb ruhig,
hob die Hände, ein kaltes Lächeln auf den Lippen.
„Sie machen einen Fehler, Herr Kommissar“, sagte er
leise.
Ich trat näher, legte ihm die Handschellen an. „Das werden wir
ja sehen.“
Elise protestierte, schimpfte, aber die Handschellen klickten
auch bei ihr. Die Sporttasche wurde sichergestellt, das Geld
gezählt. Über 200.000 Euro – genug für viele Jahre hinter
Gittern.
Draußen vor dem Club versammelten sich Schaulustige, Handys
wurden gezückt, die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
Hamburg hatte einen seiner größten Kriminellen verloren – zumindest
für heute.
Zurück im Präsidium begann die eigentliche Arbeit. Wir
verhörten Ali, Elise und die beiden Handlanger. Ali schwieg, sein
Blick kalt und abweisend. Elise versuchte es mit Charme, dann mit
Tränen, aber wir blieben hart.
Roy und ich saßen Ali gegenüber. Ich begann: „Herr Ali, Sie
wissen, was Ihnen vorgeworfen wird. Drogenhandel, Geldwäsche,
Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die Beweislage ist
erdrückend.“
Er lächelte dünn. „Beweise sind in Hamburg oft nichts wert,
Herr Kommissar. Sie wissen, wie das läuft.“
Ich legte die Fotos vom Hafen auf den Tisch, das Gutachten von
Förnheim, die Aussagen von Mehmet. „Diesmal nicht, Herr Ali.
Diesmal reicht es.“
Er schwieg, sah mich lange an. Dann sagte er leise: „Sie
wissen nicht, mit wem Sie sich anlegen.“
Ich beugte mich vor. „Oh doch. Und ich weiß, dass Sie heute
verlieren.“
Er schwieg, aber ich sah, dass er wusste: Es war vorbei.
Elise redete mehr. Sie versuchte, sich herauszureden, schob
alles auf Ali. „Ich bin nur die Gastgeberin, Herr Kommissar! Ich
wusste von nichts!“
Roy lachte trocken. „Frau Elise, wir haben Ihre Fingerabdrücke
auf den Geldbündeln. Und Zeugen, die Sie belasten. Sie sollten
reden – vielleicht hilft es Ihnen.“
Sie schwieg, dann brach sie in Tränen aus. „Ich hatte keine
Wahl. Ali hat mich gezwungen.“
Ich machte mir Notizen. „Das können Sie dem Staatsanwalt
erzählen. Vielleicht hilft es Ihnen.“
Dr. Dr. Förnheim kam ins Büro, ein triumphierendes Grinsen auf
den Lippen. „Wie immer muss ich Ihnen die Arbeit retten, meine
Herren. Die Fingerabdrücke auf dem Kokain, dem Geld und der Tasche
stimmen überein – Ali und Elise. Und, wie ich vorausgesagt habe,
ist das Kokain identisch mit den Funden der letzten Monate. Ich
hoffe, Sie wissen das zu würdigen.“
Ich nickte. „Danke, Herr Dr. Förnheim. Ohne Sie wären wir
verloren.“
Er schnaubte. „Das weiß ich.“
Dr. Gerold Wildenbacher kam vorbei, klopfte mir auf die
Schulter. „Gut gemacht, Jungs. Wenn ihr mal wieder eine Leiche
habt, ruft mich an.“
Roy grinste. „Hoffentlich dauert das noch ein bisschen.“
Am Nachmittag saßen Roy und ich in unserem Büro, die Sonne
brach endlich durch die Wolken. Kriminaldirektor Bock kam vorbei,
setzte sich auf die Schreibtischkante.
„Gute Arbeit, Männer. Ali und Elise sind in U-Haft, die
Beweise sind wasserdicht. Die Presse will ein Statement.“
Ich nickte. „Machen Sie das, Chef. Wir sind müde.“
Er lachte. „Das haben Sie sich verdient.“
Roy lehnte sich zurück, schloss die Augen. „Meinst du, das
war’s?“
Ich sah aus dem Fenster, auf die Stadt, die langsam wieder zur
Ruhe kam. „Für heute vielleicht. Aber Hamburg schläft nie. Es gibt
immer einen neuen Ali, eine neue Elise.“
Roy nickte. „Dann trinken wir jetzt einen Kaffee. Auf
uns.“
Ich lächelte. „Auf uns. Und auf Hamburg.“
Ein paar Tage später war der Kiez wieder so, wie er immer war:
Laut, wild, voller Leben. Die Schlagzeilen in der „Mopo“ und im
„Abendblatt“ feierten den großen Schlag gegen das organisierte
Verbrechen. Die Leute auf der Straße nickten mir zu, manche
dankbar, manche misstrauisch. Ich wusste, dass wir nicht alle
Probleme gelöst hatten. Aber wir hatten einen Unterschied
gemacht.
Mehmet kam frei, er bekam Zeugenschutz und eine neue
Identität. Ringo und Fips bekamen milde Strafen, weil sie
kooperiert hatten. Madame Elise und Ali warteten auf ihren Prozess
– diesmal würde es reichen.
Dr. Dr. Förnheim und Dr. Wildenbacher stritten sich weiter
über Fachfragen, Roy und ich lösten den nächsten Fall. Und Hamburg
blieb, wie es immer war: Schön und hässlich, ehrlich und verlogen,
gefährlich und voller Hoffnung.
Manchmal, wenn ich nachts durch St. Pauli gehe, denke ich an
all die Menschen, deren Wege sich hier kreuzen. An die Ganoven, die
Dealer, die Verlierer und die Gewinner. An die Schatten, die nie
ganz verschwinden.
Aber ich weiß auch: Solange wir da sind, gibt es Hoffnung. Für
die Stadt. Für die Menschen. Für uns alle.
Und so geht die Jagd weiter – Nacht für Nacht, Tag für Tag. In
Hamburg, meiner Stadt.
1
Der Senator sagte zu seinem Chauffeur: »Sie können mich in
zwei Stunden wieder abholen. Trinken Sie irgendwo einen Kaffee! Und
kein Wort – zu niemandem.«
»Das ist doch Ehrensache«, murmelte der Fahrer. Er warf einen
Blick auf die Uhr im Armaturenbrett. Es war kurz vor 22 Uhr. Der
Mann war nervös. Er schluckte öfter als normal. Nachdem der Senator
ausgestiegen war, fuhr er davon.
Der Senator reckte die Schultern. Er freute sich schon auf
Christin. Sie gab ihm, was er von seiner Frau schon lange nicht
mehr erhielt. Liebe! Sie hatte ein offenes Ohr für seine Sorgen und
Nöte, und sie war eine vorzügliche Liebhaberin. Warm stieg es in
dem Mann beim Gedanken an sie auf.
Er trat an die Gartentür heran, um zu läuten. Plötzlich spürte
er einen furchtbaren Schlag zwischen den Schulterblättern. Sterbend
brach er zusammen.
2
Herr Bock schaute ausgesprochen ernst drein.
»Bitte, setzen Sie sich«, forderte er Roy und mich auf, Platz
zu nehmen. Wir ließen uns an dem kleinen Besprechungstisch nieder.
Der Chef der Kriminalpolizeilichen Ermittlungsgruppe des Bundes kam
zu uns und setzte sich ebenfalls. »Gestern Abend wurde Senator
Jonas Sehlent ermordet.« Die Worte fielen wie Hammerschläge.
Ich prallte regelrecht zurück. »Er – wurde – ermordet?«,
entrang es sich mir.
Der Chef nickte. »Erschossen. Vor dem Haus einer Frau Christin
Rückert in Meiendorf.«
»Warum sind die Nachrichten nicht voll davon?«, fragte Roy
etwas befremdet.
»Es wurde eine Nachrichtensperre verhängt. Die Medien sollen
im Rahmen einer Pressekonferenz unterrichtet werden.«
»Gibt es irgendwelche näheren Erkenntnisse?«, wollte Roy
wissen.
Der Chef schüttelte den Kopf.
»Sein Chauffeur lud den Senator gegen zweiundzwanzig Uhr vor
dem Haus ab und sollte ihn um Mitternacht wieder abholen. Der
Mörder muss einen Schalldämpfer benutzt haben, denn in der
Nachbarschaft hörte niemand einen Schuss.«
»Ein politischer Hintergrund?«, sagte ich fragend.
»Möglich. Es gab nach ersten Erkenntnissen keine Hinweise,
dass ein Anschlag auf ihn geplant war. Es gibt auch noch kein
Bekennerschreiben. Der Fall wurde der Kriminalpolizei übertragen.
Ich betraue Sie beide damit. Bei Ihnen weiß ich ihn in guten
Händen. Noch etwas, meine Herren: Es ist zu erwarten, dass der
Bundespräsident zur Beerdigung des Senators kommt. Sie werden –
zusammen mit ein paar anderen Kollegen – auch die Aufgabe zugeteilt
bekommen, ihn zu beschützen. Also bereiten Sie sich darauf
vor.«
Wir kehrten in unser gemeinsames Büro zurück, ich rief beim
Polizeikommissariat an und hatte gleich darauf Harry Ehlert, den
Leiter der Mordkommission, an der Strippe. Wir nannten ihn nur
Cleary, weil er sich immer damit brüstete, dass seine Leute jeden
Mord in Hamburg zu klären im Stande waren. Der Leiter der
Mordkommission war manchmal ein ziemlich mürrischer Zeitgenosse.
Das lag aber nicht daran, dass er etwas gegen uns oder die
Kriminalpolizei gehabt hätte. Es lag mehr am Frust, der entsteht,
wenn man Tag für Tag nur mit Mord und Totschlag zu tun hat.
»Guten Morgen, Harry«, sagte ich. »Der Chef der
Kriminalpolizeilichen Ermittlungsgruppe des Bundes hat Roy und mir
den Fall Sehlent übertragen. Was kannst du uns zu der Sache
sagen?«
Cleary machte »hm«, dann erwiderte er: »Es gibt kaum Spuren –
und wenn ich kaum sage, dann ist das noch übertrieben. Jemand
schoss dem Senator aus nächster Nähe eine Kugel zwischen die
Schulterblätter, als er auf dem Weg zu Christin Rückerts Haus
war.«
»Das heißt also, dass ihn jemand dort erwartet hat.«
»Sieht so aus.«
»Was wollte er bei Frau Rückert?«