Krypto-Kunst - Kolja Reichert - E-Book

Krypto-Kunst E-Book

Kolja Reichert

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Beschreibung

Warum werden plötzlich Millionen für Dateien gezahlt? Bringen digitale Eigentumszertifikate – NFTs genannt – eine Demokratisierung des Mäzenatentums? Radikalisieren sie nur bestehende Machtgefälle? Oder handelt es sich um einen bloßen Fetisch? Wieder bläst eine Avantgarde zum Sturm auf die etablierte Kunst und ihre Institutionen. Im Gepäck hat sie eine nostalgische Computerspielästhetik und eine neue Sorte Ware mit gigantischen Gewinnversprechen. Mit dem Boom NFT-zertifizierter Krypto-Kunst ergießt sich eine Schwemme digitaler Folklore über eine Kunstwelt, die ihre mühsam errungenen Werte infrage gestellt sieht. Kolja Reichert zeigt, dass es weniger Kunst als Geschichte selbst ist, auf die hier gewettet wird – und wie darin die Grenzen von Publikum und Werk, von Kunst und Geld verschwimmen.

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Dank an Heiner Franzen, Ville Haimala, María Inés Plaza Lazo, Christoph Sehl, Britta Thie.

Der Gender : wird auf Wunsch des Autors verwendet, um alle Geschlechter und Geschlechteridentitäten sprachlich einzuschließen.

E-Book-Ausgabe 2021

© 2021 Verlag Klaus Wagenbach Emser Straße 40/41

10719 Berlin

Covergestaltung: Studio Jung, Berlin.

Datenkonvertierung bei Zeilenwert, Rudolstadt.

Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

ISBN: 978 3 8031 4325 9

Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3711 1

www.wagenbach.de

DIGITALE BILDKULTUREN

Durch die Digitalisierung haben Bilder einen enormen Bedeutungszuwachs erfahren. Dass sie sich einfacher und variabler denn je herstellen und so schnell wie nie verbreiten und teilen lassen, führt nicht nur zur vielbeschworenen »Bilderflut«, sondern verleiht Bildern auch zusätzliche Funktionen. Erstmals können sich Menschen mit Bildern genauso selbstverständlich austauschen wie mit gesprochener oder geschriebener Sprache. Der schon vor Jahren proklamierte »Iconic Turn« ist Realität geworden.

Die Reihe Digitale Bildkulturen widmet sich den wichtigsten neuen Formen und Verwendungsweisen von Bildern und ordnet sie kulturgeschichtlich ein. Selfies, Meme, Fake-Bilder oder Bildproteste haben Vorläufer in der analogen Welt. Doch konnten sie nur aus der Logik und Infrastruktur der digitalen Medien heraus entstehen. Nun geht es darum, Kriterien für den Umgang mit diesen Bildphänomenen zu finden und ästhetische, kulturelle sowie soziopolitische Zusammenhänge herzustellen.

Die Bände der Reihe werden ergänzt durch die Website www.digitale-bildkulturen.de. Dort wird weiterführendes und jeweils aktualisiertes Material zu den einzelnen Bildphänomenen gesammelt und ein Glossar zu den Schlüsselbegriffen der Digitalen Bildkulturen bereitgestellt.

Herausgegeben von

Annekathrin Kohout und Wolfgang Ullrich

CryptoPunk 8620, verkauft am 3. August 2021 für 400 ETH(zu dem Zeitpunkt ca. 1 Million US-Dollar)

Einleitung: eine neue Sorte Ware

Es war im Februar 2021, knapp ein Jahr nachdem die Corona- Pandemie in fast allen Teilen der Welt die Kunsterfahrung aus Ausstellungsräumen auf den Bildschirm verlagert hatte, da machte plötzlich eine neue Sorte Kunst von sich reden. Wie aus dem Nichts entstand ein neuer Kunstmarkt, und er sah auf den ersten Blick ganz anders aus als der bisherige. Was auf diesem Markt gehandelt wurde, löste unter Angehörigen dessen, was sich bislang Kunstwelt genannt hatte, Entsetzen und Unverständnis aus: Digitale Animationen in Computerspielästhetik, animierte Farbverläufe, geometrische Grafiken und männliche Teenager-Fantasien aus dem 3D-Designprogramm erzielten vierstellige Beträge. Renderings virtueller Möbel, die nur als Daten existieren, brachten sechsstellige Summen ein. Musiker:innen verkauften drei Jahre alte Alben noch einmal als limitierte Edition oder traten plötzlich als Bildende Künstler:innen hervor so wie Grimes, die mit Variationen des Artworks ihres letzten Albums auf einer Online-Auktion binnen Stunden 5,8 Millionen US-Dollar einfuhr.1 Als schließlich eine digitale Collage aus fünftausend Zeichnungen und 3D-Grafiken des Mediengestalters Mike Winkelmann alias Beeple beim weltältesten und -größten Auktionshaus Christie's für 69,36 Millionen US-Dollar den Besitzer wechselte, schienen alle bisherigen Koordinaten für die Bildung kultureller Werte infrage zu stehen. Das drittteuerste jemals gehandelte Kunstwerk eines lebenden Künstlers: eine JPEG-Datei? Noch dazu eine mit zweifelhaftem Kunstwert und latent bis offen misogynen und rassistischen Inhalten?2

Eine neue Kategorie von Ding war in der Welt, ohne physischen Körper, aber unverwechselbarer und leichter handelbar als alle anderen Dinge, die es gibt. Drei Buchstaben von federnder Pneumatik versprachen Investitionssicherheit und grenzenlose Gewinnaussichten, und so wurden nach der besagten Christie’s-Auktion alle Künstler:innen mit Rang und Namen von findigen Entwickler:innen und Unternehmer:innen mit der Forderung umschwärmt, sich doch ebenfalls an die Herstellung dieser Wunderwerke zu machen: NFTs, Non Fungible Tokens, digitale Eigentumszertifikate mit fälschungssicherer Verzeichnung in der Blockchain.

War das Internet in den Neunzigerjahren von Entwickler:innen, Aktivist:innen und Künstler:innen als barrierearmer Raum beschworen worden, in dem Eigentum und feste Identitäten überwunden werden könnten, drehte sich 2021 endgültig alles um die zweifelsfreie Zuschreibung von Urheberschaft und Eigentum. Selbst der kulturelle Wert von Memes, der aus der oft interesselosen Interaktion mit Millionen anonymer Internetnutzer entstand, wurde jetzt kapitalisiert: 600 000 US-Dollar brachte die zehn Jahre alte Nyan Cat, die Kult gewordene GIF-Animation einer fliegenden Pop Tart mit Katzengesicht und Regenbogenschweif in verpixelter 8-Bit-Primärfarb-Ästhetik, ihrem Urheber Chris Torres ein.3

Mit NFTs schien plötzlich alles kapitalisierbar: Twitter-Gründer Jack Dorsey versteigerte seinen ersten Tweet für 2,9 Millionen US-Dollar. Ein Redakteur der New York Times versteigerte seinen Kommentar über NFTs als NFT. Und Edward Snowden veröffentlichte aus seinem Moskauer Exil eine Collage aus seinem Konterfei und dem Gerichtsurteilstext über die Unrechtmäßigkeit des 2013 von ihm aufgedeckten Massenüberwachungsprogramms der NSA. Bislang leiten Museen, Galerien und Auktionshäuser den Wert von Werken aus deren Stellung in der Kunstgeschichte ab. Die Snowden-Grafik bezieht ihren Wert allein aus der jüngeren Zeitgeschichte, Prominenz und politischer Positionierung. Er betrug laut Auktionsergebnis auf der Plattform Foundation.app sechs Millionen US-Dollar.4

Seit der sagenhaften Konzentration von Reichtum in der Digitalwirtschaft und dem Aufstieg der Tech-Branche zur kulturellen Leitindustrie hatte die Kunstwelt vergeblich darauf gewartet, dass Tech-Entrepreneur:innen sich für Kunst interessieren und ihr dasselbe Interesse an Gelehrsamkeit, Unterscheidungsfähigkeit und historischem Bewusstsein entgegenbringen wie die aussterbenden Sammler:innen aus der kunstbeflissenen westlichen Nachkriegsgeneration. Jetzt sammeln sie plötzlich, allerdings ihre eigene Kunst, die sich auf ihre eigene Geschichte bezieht, nämlich die des Internets und der Krypto-Kultur. Und die Stakeholder der alten Kunst stürzen sich in einen Wettlauf um ihre digitalen Geldbörsen: Auf den Beeple-Erfolg von Christie's folgten NFT-Auktionen der Auktionshäuser Phillips und Sotheby's. Nachdem wiederum Christie's im Rahmen einer Auktion für zeitgenössische Kunst 14,5 Millionen US-Dollar mit der Neuversteigerung von neun CryptoPunks einspielte, vier Jahre alten Klassikern der Krypto-Kunst, überraschte es mit der rückwirkenden Eingemeindung einer der führenden Marken der jüngeren Kunstgeschichte in die neue Technologie: Gemeinsam mit der Nachlassstiftung Andy Warhols versteigerte das Auktionshaus fünf digitale Malereien des Pop-Art-Künstlers auf einem Amiga aus den Achtzigerjahren als NFTs. Sotheby's bot inzwischen sogar den von Tim Berners-Lee 1990 verfassten Original-Code für das World Wide Web für 5,435 Millionen US-Dollar aus.5

Wie hoch das kulturelle Versprechen der neuen Warensorte ist, zeigt sich in den umgehenden Bemühungen von Museen, sich in die neue Ereigniskette einzuschreiben: Das Universalmuseum Joanneum Graz produzierte Schlagzeilen mit dem Erwerb zweier NFTs regionaler Künstler für die eigene Sammlung, allem Anschein nach ohne spezifisches Interesse oder kritische Prüfung.6 Das Guggenheim Museum lässt eine Arbeitsgruppe die mögliche Bedeutung von NFTs für künftige Sammlungsstrategien prüfen.7 Und die Uffizien gleichen ihre Einbußen durch die Corona-Pandemie mit dem Verkauf digitaler Scans von Werken Alter Meister aus.8 Schließlich fanden schon kurz nach den ersten spektakulären Versteigerungen zwei NFT-Kunstmessen statt – ausgerechnet in Miami, wo die letzte Art Basel wegen der Pandemie ausfallen musste und es jetzt eine »NFT Bazl« gibt.

Wie im Kunstmarktjournalismus üblich, kreiste die Berichterstattung über NFTs zunächst um die schwindelerregenden Preise. Dagegen ist nichts einzuwenden. Geld ist als Kommunikationsmittel über Gemeingüter und kulturelle Werte weithin unterschätzt, das Reden darüber wird zu Unrecht verbrämt. Am Preis entzündet sich das Wundern: War es einer Mehrheit schon schwer zu vermitteln, warum achtstellige Beträge für Ölbilder oder für stählerne Ballonhunde gezahlt werden, so stellt sich nun die große Frage, warum dieselben Summen für Dinge erzielt werden, die es gar nicht gibt. Oder die es tatsächlich endlos oft gibt, denn schließlich lassen sich die gehandelten Dateien beliebig oft kopieren, teilen und von überall aus betrachten. Den Käufer:innen kommen nicht einmal besondere Rechte zu. Sie besitzen nichts als die beglaubigte Fiktion, dass sie über ein Original verfügen.

Man mag digitales Eigentum für einen Fetisch halten.9 Das ändert nichts daran, dass sein Kurswert im Steigen begriffen ist, und die Gründe dafür sind möglicherweise alles andere als banal. So schwärmen viele Künstler:innen, insbesondere Musiker:innen, von einem neuen Mäzenatentum im dezentralen »Web 3.0«, das ihre Werke der Ausbeutung durch Streaming- und Social-Media-Plattformen im Web 2.0 entreißt und direkten Austausch mit dem Publikum und Mitproduzent:innen erlaubt. So hat die Blockchain auch eine neue juristische Person hervorgebracht: DAOs, »Dezentrale Autonome Organisationen«, die per Blockchain basisdemokratische Entscheidungen ohne Vermittlerinstanz treffen.

Man mag sich angewidert abwenden vom Triumphzug der Hobbykunst, den die erste Schwemme an NFT-Kunst darstellt, von der Einebnung aller Unterscheidungen zwischen Bildender Kunst und Kreativwirtschaft. Man mag sich winden ob der bemerkenswerten Verschränkung von Populismus und Avantgardeanspruch, wenn zum Sturm auf die angebliche Elite der Kunst und ihrer Gatekeeper geblasen wird (und diese durch eine noch steilere Machtpyramide einer überschaubaren Zahl vermögender Krypto-Künstler:innen und -sammler:innen ersetzt wird, ohne jede Form der Verständigung über Anspruch und Qualität). Man mag der Ansicht sein, dass es bei NFTs weniger um künstlerische als um unternehmerische Innovationen geht. Und hat damit recht: NFTs sind nichts anderes als eine neue Buchhaltungstechnologie. Auf diese laufen die Wetten, weniger auf künstlerische