Kurzzeit-Coaching mit Kindern und Jugendlichen - Harvey Ratner - E-Book

Kurzzeit-Coaching mit Kindern und Jugendlichen E-Book

Harvey Ratner

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Beschreibung

Lösungsorientiertes Coaching für Kinder und Jugendliche Junge Menschen in möglichst kurzer Zeit dazu befähigen, dass sie eigene Lösungen finden – das ist das Ziel dieses Coaching-Ansatzes. Wie man mit Kindern und Jugendlichen weniger problem-, sondern eher lösungsorientiert arbeitet – das vermittelt das vorliegende Buch. Zahlreiche Fallbeispiele aus der Praxis der Autoren erläutern, wie sich diese Arbeit in unterschiedlichsten Settings durchführen lässt. Harvey Ratner und Denise Yusuf haben einen allgemeinverständlichen Leitfaden entwickelt, der allen hilft, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten: Coachs, Berater, Therapeuten, aber auch Lehrer, Sozialarbeiter oder Pflegeeltern. Darin geht es u.a. um folgende Themen: - Wie lässt sich im Kurzzeit-Coaching lösungsorientiert mit Kindern und Jugendlichen arbeiten? - Welche Rolle spielen die Eltern? - Wie kann man in Schulen arbeiten?

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Seitenzahl: 287

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Harvey Ratner & Denise YusufKurzzeit-Coaching mit Kindern und JugendlichenEin lösungsorientierter Ansatz

Reihe Coaching Skills kompakt Band 8

Über dieses Buch

Wie Kinder und Jugendliche selbst Lösungen für ihre Probleme finden können 

Junge Menschen in möglichst kurzer Zeit dazu befähigen, dass sie eigene Lösungen finden – das ist das Ziel des lösungsorientierten Coaching-Ansatzes. In diesem Buch erfahren Sie, wie man diesen Ansatz mit Kindern und Jugendlichen umsetzen und weniger problem-, sondern eher lösungsorientiert arbeiten kann. Zahlreiche Fallbeispiele aus der Praxis der Autoren erläutern, wie sich diese Arbeit in unterschiedlichsten Settings durchführen lässt. Harvey Ratner und Denise Yusuf haben einen allgemeinverständlichen Leitfaden entwickelt, der allen hilft, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten: Coachs, Beraterinnen, Therapeuten, aber auch Lehrerinnen, Sozialarbeiter oder Pflegeeltern. Darin geht es u. a. um folgende Themen: 

Wie lässt sich im Kurzzeit-Coaching lösungsorientiert mit Kindern und Jugendlichen arbeiten? Welche Rolle spielen die Eltern? Wie kann man in Schulen arbeiten?

Harvey Ratner ist Gründungsmitglied von BRIEF, einem Coaching- und Weiterbildungsinstitut in London. Er arbeitet hauptsächlich mit Jugendlichen und Familien. 

Denise Yusuf arbeitet als Coach und Supervisorin, hauptsächlich in Schulen sowie für Jugend- und Hilfsorganisationen.

Copyright © der deutschen Ausgabe: Junfermann Verlag, Paderborn 2017

Copyright © der Originalausgabe: 2015 Harvey Ratner and Denise Yusuf

All rights reserved.

Authorized translation from the English language edition Brief Coaching With Children and Young People, published by Routledge, a member of the Taylor & Francis Group.

Coverfoto: © casanowe – Fotolia

Übersetzung: Isolde Seidel

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2017

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-567-0

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-663-9 (EPUB), 978-3-95571-665-3 (PDF), 978-3-95571-664-6 (MOBI).

Hinweis: Inhalte mit diesem Icon  stehen auf http://www.junfermann.de zum Download bereit (in der Mediathek für dieses Buch).

Vorwort

Denise Yusuf kommt ursprünglich aus der Sozialarbeit und dem Management, machte dann eine Ausbildung in Solution Focused Practice bei BRIEF und schloss mit Auszeichnung eine Ausbildung als Life-Coach beim Life Coaching Institute ab. Sie ist zertifizierte Coachin des Life Coaching Institute und akkreditierte Coachin der Association for Coaching. Derzeit arbeitet sie als freiberufliche Coachin in Schulen, gemeinnützigen Einrichtungen und in privater Praxis.

Harvey Ratner kommt ebenfalls aus der Sozialarbeit und arbeitete zunächst in einer vom NHS betriebenen Einrichtung für Familientherapie. Gemeinsam mit Evan George und Chris Iveson gründete er dann BRIEF. Dieses Institut hat sich auf die Anwendung und die Vermittlung lösungsfokussierter Modelle spezialisiert (weitere Informationen finden Sie unter  http://www.brief.org.uk). 2012 veröffentlichten die BRIEF-Begründer zwei Bücher bei Routledge: Brief Coaching: A Solution Focused Approach und Solution Focused Brief Therapy: 100 Key Points and Techniques.

Das vorliegende Buch sollte – so unser Anliegen – so praktisch wie möglich sein. Wir haben deshalb sehr viele Beispiele aus unserer eigenen konkreten Arbeit mit Klienten herangezogen. Wo es möglich war, fügten wir auch verschriftlichte Mitschnitte aus Sitzungen ein (mit Erlaubnis der Klienten), denn unserer Ansicht nach lernt man einen neuen Ansatz am effektivsten, wenn man die praktische Arbeit sieht oder zumindest darüber liest. Die Fallberichte haben wir, wo es zweckmäßig war, verändert, um die Anonymität der Klienten zu wahren.

Die konkreten Fallbeispiele stammen kapitelweise immer von einer Person, damit wir das Wort „ich“ verwenden können und nicht in jedem Fall einzeln erklären müssen, wer gecoacht hat. So ergibt sich folgende Aufteilung:

Lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching: Harvey Ratner

Coaching mit Kindern: Denise Yusuf

Coaching mit Jugendlichen: Harvey Ratner

Coaching mit Eltern: Harvey Ratner

Gruppenarbeit: Harvey Ratner

Coaching in der Schule: Denise Yusuf

Coaching in unterschiedlichen Settings: Denise Yusuf

Materialien für den Einsatz im Coaching: Denise Yusuf

Im immer noch wachsenden Bereich Coaching ist dies das erste Buch, das sich damit beschäftigt, wie man lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching (LOKC) mit jungen Menschen durchführen kann. Es ist für Leserinnen und Leser gedacht, die – in welcher Funktion auch immer – mit jungen Menschen arbeiten. Jedes Kapitel ist in sich abgeschlossen, sodass Sie ganz nach Belieben das Buch von vorn bis hinten durchlesen oder sich direkt die für Sie interessantesten Kapitel heraussuchen können. Wir empfehlen Ihnen jedoch dringend, auf jeden Fall das erste Kapitel zu lesen, denn dort behandeln wir die Theorie und die erforderlichen Fertigkeiten. Allgemeine Coaching-Fähigkeiten wie Empathie setzen wir jedoch voraus.

Einen grundlegenden Punkt gilt es von Anfang an zu bedenken: Lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching ist ein eigenständiges Modell. Es ist etwas anderes als eine generelle Orientierung auf Lösungen, die mehr oder weniger für alle Coaching-Ansätze gilt. Welcher Coach würde schließlich sagen, er suche nicht nach Lösungen? Lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching befähigt Klienten, für sich herauszufinden, wie das Leben aussehen soll, das sie führen möchten. Außerdem erkunden sie, welche Ressourcen sie haben, um ihr Leben so zu gestalten.

Zu guter Letzt: Dieses Buch schöpft nicht nur aus unserer eigenen Arbeit, sondern auch aus der unserer Kollegen bei BRIEF, Evan George und Chris Iveson.

1. Lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching

Lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching (LOKC) ist ein veränderungsorientierter Ansatz, der Klienten befähigt, in kürzestmöglicher Zeit ihre eigenen Lösungen zu finden. Er basiert darauf, ihre bevorzugten Zukunftsvorstellungen nebst den zur Verwirklichung benötigten Stärken und Fähigkeiten zu elizitieren. Das, was bereits gut bei den Klienten funktioniert, bildet die Grundlage, auf die aufgebaut wird.

Die Geschichte des lösungsorientierten Ansatzes beginnt in Milwaukee, am Brief Family Therapy Center, das Steve de Shazer und seine Frau Insoo Kim Berg 1977 zusammen gründeten. Sie stellten ein kreatives Team von Therapeuten und Forschern zusammen, um verschiedene Techniken und Erkenntnisse der Kurzzeit-Therapie auszuprobieren. Bis Mitte der 1980er-Jahre hatten sie das Fundament für einen völlig neuen Ansatz gelegt, den sie lösungsfokussierte Kurzzeit-Therapie nannten.

Drei Entdeckungen des Teams aus Milwaukee ragen heraus. Erstens stellten sie fest: Wenn Klienten aufgefordert werden, im Detail eine Zukunft zu beschreiben, in der das Problem gelöst ist, ist bereits das stärkend (empowering), sodass die Klienten von allein Fortschritte erreichen. Die von ihnen entwickelte Technik, mit der sie Klienten in die Lage versetzen, sich die Zukunft vorzustellen, ist heute als Wunder-Frage bekannt:

„Stellen Sie sich vor, während Sie eines Nachts schlafen, geschieht ein Wunder und dieses Problem wurde gelöst. Woran würden Sie das erkennen? Was wäre anders? Wie würde es Ihr Mann merken, ohne dass Sie ihm ein Wort davon sagen?“ (de Shazer 1988, S. 5)

De Shazer weiter: „Wie wir festgestellt haben, ist diese Methode, rasch in die Zukunft zu schauen, ein äußerst wirkungsvoller Rahmen, um die Klienten beim Setzen von Zielen zu unterstützen.“ In der frühen Entwicklungsphase lösungsorientierten Fragens war der Begriff Ziele ein vorherrschendes Thema.

De Shazer merkte an: „Das Formulieren der Frage beinhaltet eine radikale Unterscheidung zwischen Problem und Lösung. Daraus ergab sich für uns, dass das Entwickeln einer Lösung nicht zwangsläufig mit den Problemen und Beschwerden zusammenhängen muss“ (de Shazer 1994, S. 95). An anderer Stelle spricht er davon, wie diese Entdeckung sie dazu führte, aus ihrem Ansatz des „Problemlösens“ einen der „Lösungsentwicklung“ zu machen (de Shazer 1988, S. 1).

Auch eine zweite uns heute selbstverständlich erscheinende, für damalige Zeiten aber revolutionäre Entdeckung machten sie: Bei fast jedem Problem gibt es eine Ausnahme, eine Zeit, in der das Problem des Klienten weniger oder nicht besteht. Ein Teammitglied beschrieb, wie es zu dieser Entdeckung kam: „Eines Tages sagte jemand: ‚Lass sie uns fragen, was sie nicht ändern wollen‘ … Und dann stellten wir fest, dass es oftmals zu Verbesserungen kam, wenn wir die Klienten baten, sich auf die Ausnahmen statt auf das Problem zu konzentrieren“ (Lipchik 2009, S. 51 f.). Es zeigte sich dann, wie erfolgreich sich mit dieser Intervention Lösungsverhalten fördern ließ – und zwar aus dem Repertoire eigener Fähigkeiten und Ressourcen des Klienten. Man musste einen Klienten nicht dazu bringen, etwas Neues zu tun oder irgendetwas zu unterbinden, was er üblicherweise tun wollte.

Der Fokus auf die Zukunft und Erfolge in der Vergangenheit verknüpfte sich logisch mit der dritten Entdeckung, nämlich den Wert einer Skala zu erkennen (de Shazer 1994), auf der die Klienten ihre Fortschritte in Richtung ihrer Ziele einschätzen sollen. Es gibt Skalen von 0 bis 10 und auch solche von 1 bis 10; der Autor dieses Buches benutzt die eine, die Autorin die andere.

„Auf einer Skala, auf der 10 steht für ‚alles komplett in Ordnung‘ am Tag nach dem Wunder und 0 für den schlechtestmöglichen Zustand (de Shazer 1994, S. 231), wo würden Sie sich jetzt einstufen? Warum?“

Die Antwort des Klienten eröffnet zwei Möglichkeiten, nämlich ein Erkunden dessen, was der Klient getan hat, um seine Zahl zu erreichen (die Ausnahmen), und dann ein Besprechen der Schritte, die er unternehmen könnte, um seinem Ziel näherzukommen.

Dieses einfache und rationelle Modell – eine Zukunft zu erkunden, ohne das Problem zu berücksichtigen, und nach Ausnahmen und Erfolgen zu schauen – ist und bleibt der Sockel, auf dem alle nachfolgenden Entwicklungen des lösungsorientierten Ansatzes aufbauen.

1.1 Was BRIEF zur Weiterentwicklung der lösungsorientierten Methode beigetragen hat

1990 veröffentlichten die Mitarbeiter von BRIEF (damals bekannt unter Brief Therapy Practice) in Großbritannien das erste Buch zu diesem Ansatz (George et al. 1990). Es orientierte sich noch stark an dem in Milwaukee entwickelten Modell. Als die Autoren jedoch knapp zehn Jahre später eine zweite Auflage herausbrachten, konnten sie wichtige Anpassungen beschreiben, die sie vorgenommen hatten (George et al. 1999). Die wesentliche Änderung betraf den Beginn von Sitzungen. Statt die Frage zu stellen: „Was führt Sie heute hierher?“ (de Shazer 1991, S. 133), die zu einer Aussage über Sorgen und Probleme einlädt (was dann logischerweise zur Wunder-Frage führt, in der das „Wunder“ diese Probleme gelöst haben soll), wird den Klienten die Frage nach dem, was sie sich „im Bestfall erhoffen“ (Best Hopes Question), gestellt (George et al. 1999, S. 13):

„Was erhoffen Sie sich im Bestfall davon, dass Sie hierherkommen?“

Oder als Alternative:

„Woran werden Sie erkennen, dass es sich für Sie gelohnt hat, hierherzukommen?“

Diese Fragen können gleichsam als Zielvorgabe oder Vertrag zwischen Coach und Klient angesehen werden. Der Klient wird weg von Problemen und hin zu seinen Hoffnungen gelenkt – was direkt zu einem Fokus auf seine „bevorzugte Zukunft“ (Iveson 1994) führt, die dann eintritt, wenn sich diese Hoffnungen erfüllt haben. Die Zielvorgabe ist vage und allgemein gehalten, damit das Spektrum der Möglichkeiten für die Klienten in der Zukunft nicht eingeschränkt wird. Darauf wies de Shazer in einer vorausschauenden Beobachtung am Ende seines letzten Buches hin, das er allein schrieb: Eine Zielvorgabe für konkrete Ziele zu vereinbaren „würde die Veränderungsmöglichkeiten einschränken und begrenzen und außerdem die Möglichkeiten einengen, dass Klienten etwas erfinden oder entdecken, was sie genauso oder sogar stärker befriedigt als ihre Vorstellung, die sie als Ideen über den Morgen nach dem Wunder beschrieben haben“ (de Shazer 1994, S. 273). Aus unserer Sicht hält der Coach eine lebendige Verbindung aufrecht zwischen dem kurz und allgemein formulierten Vertrag – wie etwa „mein Leben wieder auf die Reihe bringen“ – und der bevorzugten Zukunft, die in konkreten, detaillierten Formulierungen erkundet wird, wie etwa: „Wenn das eintritt, was machen Sie dann am nächsten Tag?“

In den darauffolgenden Jahren haben die BRIEF-Mitarbeiter die Konsequenzen dieser Richtungsänderung weiter erforscht und zwei Bücher veröffentlicht, in denen sie ihren derzeitigen Ansatz ausführlich beschreiben, kombiniert mit einer allgemeinen Einführung in lösungsorientiertes Kurzzeit-Coaching (Iveson et al. 2012, Ratner et al. 2012).

Das Konzept, „Ihre bevorzugte Zukunft zu erreichen“, unterscheidet sich erheblich von „Ihr Problem zu lösen“. „Streng genommen ist es ein Fehler, die Beschreibung einer bevorzugten Zukunft des Klienten als „Lösung“ zu betrachten. Treffender ausgedrückt ist es eine alternative Lebensweise, in der die präsentierten Themen keine bedeutende Rolle spielen“ (Ratner et al. 2012, S. 93). Die Klienten werden in die Lage versetzt, diese Lebensweise zu entwickeln, und folglich stellt sich die Lösung ihres Problems als Ergebnis der Arbeit ein. Der Klient löst also ein Problem ohne irgendeine direkte Intervention durch den Coach. Das konsequente Augenmerk auf den Vertrag gewährleistet, dass das Gespräch nicht in ein irrelevantes „positives“ Denken abgleitet, das mit der Lebensrealität der Klienten nichts zu tun hat.

Dem Klienten wird somit die Wunder-Frage in anderer Form gestellt. Durch das Wunder können sich die Hoffnungen des Klienten über Nacht erfüllen. Oder es wird die Morgen-Frage gestellt, wie sie mittlerweile einfach genannt wird (Ratner et al. 2012, S. 93 f.).

„Angenommen, Ihre Hoffnungen hätten sich über Nacht erfüllt, was würden Sie dann morgen tun?“

Diese Verschiebung führt auch zu einigen Änderungen in der Sprache, mit der lösungsorientierte Techniken beschrieben werden. Die Vorstellung von „Ausnahmen“ hängt beispielsweise eng mit der Auffassung von Problemen zusammen. Deshalb sprechen wir nun von „Gelegenheiten“ bzw. „Beispielen“ (instances), um zu beschreiben, was der Klient erkennt: Es gibt Anzeichen dafür, dass seine bevorzugte Zukunft z. T. bereits stattfindet.

„Wenn Sie beschreiben, was Sie sich selbst tun sehen wollen: Was davon machen Sie bereits jetzt, wenn auch nur im ganz Kleinen?“

Eine andere Weiterentwicklung bezieht sich darauf, an welchen Anzeichen die Klienten bemerken werden, dass sie Fortschritte machen.

Ein Beispiel:

Die Klientin wird gefragt, woran sie festmachen würde, dass sie auf der Skala für ihren Fortschritt einen höheren Wert erreicht hat. Früher wurde die Frage gestellt, welche Schritte sie unternehmen muss, um den nächsthöheren Wert zu erreichen. Was die Klientin tatsächlich tun will, um auf ihrer Skala nach oben zu kommen, bleibt ihr überlassen. Wichtig ist, dass sie eine Vorstellung davon hat, was anders sein wird, wenn sie weitergekommen ist.

„Was wären Anzeichen dafür, dass Sie einen Punkt auf der Skala vorgerückt sind? Was würden Sie dann anders machen?“

„An welchen Punkt auf der Skala würden Sie gern kommen? Wo wäre ‚gut genug‘?“

Später werden noch weitere Techniken behandelt, die sich als nützlich erwiesen haben. An dieser Stelle wollen wir eine noch besonders erwähnen, nämlich die Technik der „Identitätsfragen“ (Ratner et al., 2012, S. 155). Nachdem der Klient einen von ihm unternommenen Schritt (wie klein dieser auch war) beschrieben hat, wird er gefragt:

„Was hat es Ihnen abverlangt, das zu tun?“

„Was sagt das über Sie als Person aus?“

„Was sagt das anderen über Ihre Fähigkeiten und Eigenschaften?“

Junge Menschen sind praktisch ständig in Veränderung begriffen und bewerten sich deshalb häufig immer wieder neu. Diese Fragen zur „Person, die Sie sind, und die Person, die Sie sein wollen“ können ihnen die Augen enorm öffnen.

1.2 Sitzungen beenden

Das ursprüngliche in Milwaukee entwickelte Modell maß der Art und Weise, wie Sitzungen beendet werden, erhebliche Bedeutung bei. Nach einer kurzen Pause, in der die Therapeuten überlegten, welches Feedback sie den Klienten geben würden, begannen sie in der Regel damit, die Klienten für alles zu loben, was nützlich erschien, um sie im Leben voranzubringen. Dann erhielten die Klienten meist eine Hausaufgabe, die sie bis zur nächsten Sitzung bearbeiten sollten. In den Veröffentlichungen aus Milwaukee finden sich zahlreiche Beispiele unterschiedlicher Aufgaben, angefangen mit der einfachsten, nämlich die Klienten aufzufordern, auf Anzeichen des Fortschritts zu achten (auch das Weiterkommen auf ihrer Skala). Es gab aber auch komplexere Aufgaben, bei denen die Klienten gebeten wurden, „so zu tun und so zu handeln, als wäre das Wunder geschehen“ (de Shazer 1991, S. 114), oder abends vorherzusagen, ob der folgende Tag ein guter oder ein schlechter Tag werden würde (hier ging es mehr darum zu schauen, was sie aus ihrer Vorhersagen lernen könnten, nicht, ob sie richtig oder falsch lagen).

Wir halten das Feedback für die Klienten so kurz wie möglich. Die wesentliche Arbeit findet im Gespräch selbst statt; gelegentlich beenden wir Sitzungen ohne irgendeine weitere Bemerkung. Wir fragen allenfalls, ob der Klient zu einem weiteren Termin wiederkommen möchte, und falls ja, wann. Gelegentlich beenden wir eine Sitzung mit einer kurzen Zusammenfassung dessen, was wir vom Klienten erfahren haben. Dabei äußern wir unsere Anerkennung für seine Bemühungen und Erfolge. Die einzige „Aufgabe“, die wir möglicherweise stellen, ist die Anregung, auf Anzeichen einer Verbesserung zu achten.

1.3 Die Phasen eines Erstgesprächs

Eröffnung: Ressource-Gespräch (ein „problemfreies“ Gespräch, also ein Gespräch, in dem das Problem nicht zur Sprache kommt) als Möglichkeit, „den Klienten kennenzulernen“, und zwar als Person, nicht als „wandelndes Problem“. Dieser Schritt kann nach der Vereinbarung des Vertrags stattfinden und ist in jedem Fall als optional zu sehen.

Vertragsschluss (Zielvereinbarung): Was erhofft sich der Klient im Bestfall von dieser Arbeit?

Beschreibung der bevorzugten Zukunft: Mit der Wunder-Frage oder der Morgen-Frage wird die bevorzugte Zukunft des Klienten eruiert, die dann eintreten wird, wenn sich das erfüllt hat, was er sich im Bestfall erhofft.

Bereits existierende Erfolgsmomente identifizieren. Direkt erfragen, was dem Klienten bereits gelingt, selbst wenn es im Kleinen ist, und die bereits vollzogenen Fortschritte anhand einer Skala messen. Der Skalenwert 10 entspricht der bevorzugten Zukunft und 0 dem Schlimmsten, das passiert ist. Dann gilt es zu erkunden, wie die Fortschritte erzielt wurden, also wie der Klient seinen Skalenwert erreicht hat.

Kleine Anzeichen weiterer Fortschritteuntersuchen. Beispielsweise woran der Klient erkennen wird, dass er einen höheren Skalenwert erreicht hat. Diesen Abschnitt betrachten wir als optional; in vielen Fällen wird dem Klienten das Wissen genügen, was er bereits erreicht hat, um selbst zu entscheiden, was er als Nächstes tun muss.

Abschluss: Der Coach fasst die Hoffnungen und Erfolge des Klienten kurz zusammen. Auch das steht dem Coach wieder frei.

1.4 Folgesitzungen

Wenn in der ersten Sitzung hinreichend herausgearbeitet wurde, was der Klient sich optimalerweise vom Coaching erwartet, muss der Kurzzeit-Coach nun in erster Linie jegliche erzielten Fortschritte weiterverfolgen. Wichtig ist, dass der Coach daran denkt, sich nach allen möglichen Veränderungen zu erkundigen, nicht nur nach denen, die im Erstgespräch als wichtige Marker genannt wurden. Vielleicht ist es nicht einmal hilfreich, die vorher beschriebenen Ziele überhaupt zu erwähnen (es sei denn, die Klienten sprechen von sich aus darüber, dass sie die erhofften Fortschritte gemacht haben, wie es häufig der Fall ist). Wenn nämlich der Coach diese Punkte erwähnt, riskiert er, sich auf einen Überprüfungsprozess einzulassen: „Haben Sie X, Y oder Z gemacht?“ Das heißt aber auch, dass andere Veränderungen, die sich als außerordentlich wertvolle Entwicklungen herausstellen können, möglicherweise unbemerkt bleiben.

Wir können nicht wissen, welche Entwicklungen im Leben der Klienten für sie die wertvollsten sind, denn nach dem Motto „Lösungen lauern überall“ scheinen sie in allen Bereichen ihres Alltagslebens möglich zu sein.

Die Folgesitzungen sind von ihrer Struktur her im Grunde genommen das Gegenteil der ersten Sitzung. Sie beginnen nämlich nicht mit auf die Zukunft gerichteten Fragen. Vielmehr konzentriert sich der Coach mit seiner Frage: „Was ist besser?“ zunächst auf die Vergangenheit. Dann ermittelt er, wer seit der letzten Sitzung was getan hat, um die Dinge voranzubringen. Später in der Sitzung kommt der Coach wieder auf einen Zukunftsfokus zurück, indem er fragt, was Anzeichen für weitere Fortschritte sein könnten.

Was ist besser seit unserer letzten Begegnung?

Was ist Ihnen zu Ihrer Freude aufgefallen, was Sie jetzt tun?

Was haben andere Sie zu ihrer Freude tun sehen?

Wie haben sich diese Fortschritte auf andere ausgewirkt?

Wo befinden Sie sich jetzt auf der Skala? Wie ist es dazu gekommen?

Was wären Anzeichen dafür, dass Sie einen höheren Skalenwert erreichen?

Die Arbeit ist abgeschlossen, wenn der Klient das Gefühl hat, er hat erreicht, was er anfangs wollte. In den meisten Fällen kann der Klient akzeptieren, dass er seinen „Gut-genug-Punkt“ auf der Skala erreicht hat und er nicht bis 10 weitermachen muss.

Sollte es zu Rückschlägen gekommen sein, wird der Klient gefragt, wie er es geschafft hat weiterzumachen:

Angesichts dessen, wie schwierig die Dinge sind, wie haben Sie es geschafft, damit zurechtzukommen? Was haben Sie gemacht, was andere beeindruckt hat?

Woran erkennen Sie, dass Sie wieder auf dem richtigen Weg sind?

Es ist nicht notwendig, mit dem Klienten einen neuen Vertrag auszuhandeln oder seine bevorzugte Zukunft noch einmal durchzusprechen. Falls sich jedoch seit dem letzten Termin etwas Einschneidendes ereignet hat (etwa ein Todesfall oder ein dauerhafter Schulausschluss oder die Unterbringung in einer Betreuungseinrichtung), kann es sehr wohl notwendig sein, noch einmal auf die Frage zurückzukommen, was der Klient sich im Bestfall erhoffte. Das hilft zu klären, was sich der Klient jetzt erhofft in Anbetracht der grundlegend veränderten Lebensumstände.

1.5 Vertragsklärung: Was erhofft sich der Klient im Bestfall vom Coaching?

Ihnen wird aufgefallen sein, wie wichtig uns die Klärung dessen ist, was sich der Klient im Bestfall vom Coaching erhofft. Wenn der Coach diesen Punkt gut bearbeitet, gestaltet sich die weitere Arbeit unkomplizierter (wenn auch nicht unbedingt einfach!). An den zahlreichen Fallbeispielen in diesem Buch wird deutlich, welche Bandbreite an Verträgen es gibt und damit Möglichkeiten, sich mit Klienten auf Ziele zu verständigen. Auch der Kontext der Arbeit wirkt sich auf die Wahl des für die Arbeit realistischen Ergebnisses oder Zieles aus. Ein Jugendlicher könnte beispielsweise sagen, er möchte Möglichkeiten finden, sein Temperament zu zügeln. Aus der Sicht des Coachs wäre das ein möglicher Ausgangspunkt für einen Vertrag, es könnte jedoch nicht die Vereinbarung selbst sein, denn die Aussage ist problemfokussiert. Sein Temperament zu zügeln ist ein Mittel für etwas anderes, und der Coach muss wissen, was dieses andere ist. Daher stellt der Coach eine weitere Frage: „Welchen Unterschied wird es für Sie machen, wenn Sie Ihr Temperament zügeln können?“ Sobald der junge Mensch eine zielorientierte Antwort gegeben hat, wird diese zum Vertrag: Etwa, er wird glücklich sein und bessere Beziehungen mit anderen haben. Auf der Grundlage dieses Vertrags arbeitet der Coach mit dem Jugendlichen weiter heraus, wie seine bevorzugte Zukunft im Detail aussehen könnte, wenn er glücklicher ist. In der lösungsorientierten Arbeit geht es um den Unterschied: Welche Auswirkungen hat es auf sein Leben und seine Beziehungen, wenn er sich unter Kontrolle hat? Danach werden beide nach Lösungen suchen, die der Jugendliche dafür bereits hat. Es geht nicht darum, Möglichkeiten zu untersuchen, wie er sein Temperament zügeln kann; das wäre typisch für einen eher problemfokussierten Ansatz. Indem andere Ziele erreicht werden, tun sich scheinbar ganz nebenbei auch nützliche „Kontrollmethoden“ auf.

Doch was ist, wenn der junge Mensch die Frage, was er sich im Bestfall erhofft, mit einem sehr schwer erfüllbaren oder völlig unrealistischen Wunsch beantwortet? Wenn er etwa sagen würde, er möchte woanders wohnen, und der Coach sich machtlos fühlt, ihm dabei behilflich zu sein? Der Coach könnte erklären, das gehöre nicht zu seinem Aufgabengebiet, und den Jugendlichen an eine andere Stelle „verweisen“. Mit anderen Worten: Für den Coach gibt es kein „gemeinsames Projekt“ mit dem Klienten (Korman 2004). Doch vielleicht wird hier eine Gelegenheit vertan und der Jugendliche, der sich abgewiesen fühlt, bleibt an der Stelle, an die er neu verwiesen wird, nicht an seinem Thema dran.

Man könnte aber auch das Ziel, woanders zu wohnen, als Mittel zum Zweck sehen und den jungen Menschen fragen, welchen Unterschied es für sein Leben machen würde, wenn er tatsächlich anderswo wohnen würde. Vielleicht hat der Coach Bedenken, eine solche Frage könnte bei einem Klienten, der so sehr um eine veränderte Wohnsituation ringt, unrealistisches Denken fördern. Wir empfehlen dem Coach jedoch, diese Angst beiseitezulassen, und kurz weiter zu erkunden, wie sich die neue Wohnsituation auf das Leben seines Klienten auswirken würde. Mal angenommen, der Jugendliche hofft, glücklicher zu sein und frei von den Problemen, die er in der derzeitigen Wohnsituation erlebt. Er könnte dann aufs College (oder zur Arbeit) gehen und im Studium (oder bei der Arbeit) erfolgreich sein. Dann könnte der Coach ihn zu der Überlegung ermuntern, dass glücklicher und erfolgreich zu sein eher Anzeichen für ein gutes Coachingergebnis sein könnten, nicht so sehr eine andere Wohnsituation. Wenn nun aber der Coach fürchtet, der Jugendliche möge sich fälschlicherweise von ihm eine Verbesserung seiner Wohnsituation erhoffen, so kann er natürlich anmerken, dass er nicht in der Lage ist, diesbezüglich etwas zu tun.

Mit dieser Vorgehensweise kann der junge Mensch herausfinden, was er wirklich in seinem Leben will, und er wird den Coachingprozess nicht vorzeitig beenden. Ein gutes Beispiel dafür liefert John Sharry, der zwischen möglichen Antworten unterscheidet, die ein Coach einem Kind geben kann, das sagt, es wolle, dass seine Eltern wieder zusammenkommen. Der Coach könnte sagen: „Vielleicht ist das nicht möglich. Du weißt, dass sich deine Mutter und dein Vater getrennt haben.“ Er wird dann das Kind auffordern, sich eine Alternative zu überlegen, die zweifellos dazu führt, dass sich das Kind unverstanden fühlt, „Ich weiß nicht“ sagt und wegschaut. Der Coach könnte aber auch den Wunsch des Kindes akzeptieren und fragen, was anders wäre, wenn die Eltern wieder zusammenkämen. Das Kind sagt dann, dass es allen besser gehen würde und es mehr Zeit mit seinem Vater verbringen könne. Das fasst der Coach zu einem Vertrag dann in diesen Begriffen zusammen und das Kind antwortet: „Ja, genau“ (Sharry 2007, S. 25).

1.6 Fragen zum Elizitieren von Beschreibungen statt Informationen

Antworten, auf die lösungsorientiert arbeitende Coachs aus sind, unterscheiden sich von Antworten in problemfokussierten Gesprächen. In Letzteren stellt der Coach bestimmte Fragen, um konkrete Informationen zu erhalten, die dem Coach helfen zu entscheiden, was für den Jugendlichen am besten ist. Im lösungsorientierten Kurzzeit-Coaching sehen wir Informationen einzig für den Klienten als nützlich an (Ratner 2010): Es ist, als würden wir Fragen stellen, damit der junge Mensch seine eigenen Antworten hören kann.

Wird ein junger Mensch in die Lage versetzt, genau zu beschreiben, inwiefern sein Leben künftig anders sein wird, so sehen wir das nicht als Information über den Klienten an, sondern als reine Beschreibung einer möglichen Zukunft. Kommen noch Beschreibungen der bereits erlebten Erfolgsmomente hinzu, kann der Coach zuversichtlich einen Schritt zurücktreten und abwarten, welche Veränderungen dieser junge Mensch tatsächlich vollzieht. Sie werden feststellen, dass wir in diesem Buch durchgängig einen Schwerpunkt darauf legen, dass der Coach nützliche Fragen findet. Mit diesen Fragen versetzt er seine Klienten in die Lage, selbst Beschreibungen hervorzubringen, wie eine Situation aussehen wird bzw. jetzt schon aussieht – und das in möglichst konkreten Details. Der Coach wird dann entscheiden, ob er ein Szenario „heranzoomt“, um eine genauere Beschreibung zu elizitieren, oder ob er „wegzoomt“, um ein Panoramabild von dem zu erhalten, was der Jugendliche und auch andere tun könnten. Offene Fragen nach dem Was, Wo, Wann, Wer oder Wie sind – wo immer möglich – vorzuziehen, denn sie können nicht mit einem einzelnen Wort wie „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden. Ebenso sollte der Coach möglichst immer versuchen, sich mit jeder Frage auf die letzte Antwort des Klienten zu beziehen; so fördert er das Augenmerk des Klienten auf wichtige Details. Gar nicht selten kommen Klienten an manchen Stellen auf das Problem zurück und sprechen über das, was sie nicht tun würden oder nicht getan haben. Der Coach stellt dann folgende Frage (die in Ratner et al. 2012, S. 70 auch „Das große Stattdessen“ genannt wird):

„Was tun Sie dann stattdessen? Was werden andere Sie stattdessen tun sehen?“

„Was haben Sie stattdessen getan? Was haben andere Sie stattdessen tun sehen?“

Dann kann der Coach ausführlich auf die Antworten eingehen, bevor er mit der im lösungsorientierten Ansatz häufigsten Frage fortfährt: „Was noch?“

Der lösungsorientiert arbeitende Coach wird sich überlegen, wie sich spezifische Handlungen im Zusammenhang mit dem vordringlichen Anliegen des Klienten mit „In-Ihrem-Leben“-Szenarios verknüpfen lassen.

 Ein Beispiel:

Ein Kind, das besorgt ist wegen einer heiklen Besprechung in der Schule, wird sich darauf konzentrieren wollen, wie es diese Situation handhaben kann. Für dieses Kind sind etwa folgende Fragen besonders nützlich: „Woran wirst du merken, dass du bei dieser Besprechung in Bestform bist?“ Oder: „Woran wirst du merken, dass du dir selbst gerecht wirst?“ (Iveson et al. 2012, S. 190) Der lösungsorientiert arbeitende Coach wird darauf abzielen, diese Beschreibung über den unmittelbaren Kontext hinaus in das „Leben“ des jungen Menschen zu erweitern. Er fragt beispielsweise: „Angenommen, du warst bei diesem Gespräch in deiner Bestform, welchen Unterschied macht das für dich? Welchen Unterschied macht das für dich und deine Eltern?“ Mit diesen Fragen kann der junge Mensch sowohl im engeren Sinn (bei dem Gespräch in persönlicher Bestform zu sein) als auch im weiteren Sinn nachdenken, welchen Unterschied das für sein Leben macht.

1.7 Neugierig sein, ohne zu drängen

Manche Coaching-Modelle legen Wert darauf, Sitzungen mit einem Aktionsplan zu beenden, mit einer To-do-Liste, die genau festlegt, was der Klient wo und wann tun muss, um seine Ziele zu erreichen. Im lösungsorientierten Ansatz werden Aktionspläne nach Möglichkeit vermieden – sofern der Klient nicht ausdrücklich darum bittet. Wir haben jedoch Bedenken, denn ein Aktionsplan könnte junge Menschen vor allem unter Druck setzen und in eine Situation bringen, in der es heißt: hopp oder top? Eine Jugendliche hingegen, die ihre möglichen weiteren Vorgehensweisen detailliert beschreiben kann, ist später in der Lage, selbst zu entscheiden. Das kann auch bedeuten, dass sie entscheidet, die Dinge ganz anders zu machen als in der Sitzung beschrieben; in jedem Fall hat sie die Kontrolle. Was in der Sitzung beschrieben wurde, sollte eben nur als Möglichkeiten zur Veränderung angesehen werden (de Shazer 1994). Die Aufgabe des Coachs besteht darin, den Klienten auf seinen Wegen in Richtung Veränderung zu unterstützen. Er sollte Fragen stellen, die Vertrauen in den Klienten signalisieren und Zuversicht zeigen, dass er sein Ziel tatsächlich erreichen kann. Wenn der Coach also etwa von einer Jugendlichen hört: „Ich stehe früh auf“, dann würde er nicht fragen: „Wie machst du das?“ Er würde vielmehr Fragen stellen wie: „Was würde dann jemand anderem an dir auffallen?“ In einer Folgesitzung mit einem Klienten geht es darum, welche Veränderungen er tatsächlich vollzogen hat und ob diese seiner ursprünglichen Beschreibung nahekommen oder völlig anders sind. Falls die Jugendliche sagt, sie will früh aufstehen, und bei den folgenden Terminen angibt, sie habe es nicht geschafft, dann muss man im Kurzzeit-Coaching noch einmal überdenken, ob die Richtung stimmt. Man muss prüfen, ob der Klientin das Ziel noch wichtig ist, und darüber sprechen, welche Unterstützung wichtig sein könnte, damit sie vorankommt. Das können Fragen dazu sein, „wie“ sie das mit dem Frühaufstehen konkret machen will, oder Fragen zu ganz anderen Dingen.

1.8 Die Nützlichkeit von Fragen zur „Sichtweise eines anderen Menschen“

Aus der Familientherapie (eine der Wurzeln des lösungsorientierten Kurzzeit-Coachings) stammt eine Form des Fragens, in der sich der Coach nach der Sicht von Bezugspersonen erkundigt. Was würden sie den Klienten künftig tun sehen, was in ihren Augen Anzeichen für Fortschritte des Klienten wären? Ebenso erkundigt sich der Coach nach Situationen, in denen diese anderen Personen schon Fortschritte bemerkt haben.

„Wer wird zuerst bemerken, dass du morgen in deiner Bestform bist? Was wird er oder sie dich tun sehen?“

Solche Fragen erweitern die Selbstbeobachtung der Jugendlichen um eine zusätzliche Ebene. Und möglicherweise gibt es sogar noch eine weitere Ebene: Man konzentriert sich auf die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die anderen, die zuschauen, und darauf, was zwischen den beiden (oder mehr) Personen anders sein wird. Dadurch wird eine wechselseitige, beziehungsbezogene Komponente elizitiert, die jungen Menschen außerordentlich nützen kann, wenn sie über die Wirkung der Veränderungen auf ihre Familie, das Sozialleben und das Leben anderer nachdenken:

„Wird sich deine Mutter freuen, wenn sie dich früh aufstehen sieht? Woran wirst du merken, dass sie sich freut? Welche Auswirkungen wird das auf dich haben? Wie wird sich dadurch dein Verhältnis zu ihr ändern? Was wird deine Schwester merken, das anders ist? Wie wird sich das auf sie auswirken?“

1.9 Wenn die Sonne nicht scheint

Angenommen, eine Jugendliche sagt, sie wisse, dass die Dinge morgen besser wären, „weil die Sonne scheint“. Der Coach könnte das zunächst akzeptieren und nachfragen, inwiefern das gut für sie wäre und was sie infolgedessen anders machen würde. Wahrscheinlich würde sich die Jugendliche dann in ihrer Bestform beschreiben, was allein schon ausreichen könnte, sie zu Veränderungen zu beflügeln. Vernünftigerweise würde der Coach aber auch fragen: „Wenn du morgen beim Aufwachen in deiner Bestform wärst und die Sonne nicht scheint, was würdest du dann tun? Was zeigt dir, dass du nach wie vor in Bestform bist?“

Häufig beklagen sich junge Menschen über etwas, das andere tun. Ein Junge könnte sagen, sein Tag würde gut anfangen, wenn seine Schwester ihn nicht anschreit, sondern sich nett verhält. Dann zu fragen, welchen Unterschied das für das Kind machen würde, wenn das einträte („Ich wäre glücklich“), ist wichtig, doch der Coach sollte auch die Möglichkeit bedenken, dass nicht eintritt, was das Kind will. Er könnte dann fragen: „Falls das nicht stattfindet und du merkst, dass du trotzdem ein bisschen glücklicher bist: Woran würdest du noch merken, dass dieser Tag gut für dich läuft?“ Der Junge könnte dann antworten, dass es in der Schule besser laufen würde, eine bestimmte Stunde wäre nicht „langweilig“. Man könnte dann fragen, was für ihn anders wäre, falls die Stunde nicht langweilig ist, was er dann tun würde und was die Lehrerin ihn tun sehen würde. Ein zwölfjähriger Junge gab an, dass er andere nicht durch lautes Reden oder durch Witzemachen ablenken würde. Auf die Frage, was er stattdessen tun würde, antwortete er, er würde mit seiner Arbeit weitermachen. Auf die Frage, was er tun würde, wenn andere anfangen würden, den Unterricht zu stören und ihn zum Mitmachen bewegen wollten, sagte er, er würde sie nicht beachten. Dann erkundigte ich mich: „Angenommen, du wärst morgen in deiner Bestform und du hättest eine Stunde, die sich als langweilig herausstellt: Wie müsstest du damit umgehen, damit du dich darüber freust?“ Er sagte, er werde versuchen, sich weiter auf seine Arbeit zu konzentrieren und nach Möglichkeit nicht neben Freunden sitzen, mit denen er Ärger bekommen könnte. Ihm sei schon klar, dass er es nicht schaffen würde, eine ganze Stunde lang keine Witze zu machen. Er werde aber versuchen, möglichst spät damit anzufangen und dann nur ganz leise. Er würde aufhören, wenn er dazu aufgefordert werde. Ich fragte ihn: „Wenn dir das gelingt, was sagt das über dich aus?“ Darauf erwiderte er, das bedeute, er werde „reifer“. Daraufhin stellte ich ihm selbstverständlich Fragen, was das bedeuten würde, was andere an ihm bemerken würden, wovon seine Freunde beeindruckt wären usw.

In manchen Coaching-Modellen forschen Coachs und Klienten nach „Blockaden“ (bzw. Barrieren oder Hindernisse) gegen eine Veränderung – beispielsweise im GROW-Modell (Whitmore 1996). „Oftmals kann Coaching der Faszination bestimmter Fragen nicht widerstehen: ‚Was hält diesen Menschen davon ab, sein Potenzial zu leben?‘“ (Iveson et al. 2012, S. 6). Das hat teilweise damit zu tun, dass Klienten sich selbst häufig derartige Fragen stellen: „Warum kann ich das nicht einfach machen? Was hält mich davon ab?“ Wie es so schön heißt: „Das Wesen des Coachings ist, dass es auf die Ursache eingeht, nicht nur das Symptom“ (Whitmore 1996, S. 67). Aus lösungsorientierter Sicht braucht es im Coaching weder um die Ursache noch um das Symptom zu gehen. Dem Drang, Blockaden zu suchen, die dann zu überwinden sind, sollte man nach Kräften widerstehen. In den Beispielen von oben suchen wir nicht nach Blockaden gegen eine Veränderung. Wir akzeptieren einfach: Wenn junge Menschen Veränderungen erwähnen, die nicht in ihnen selbst stattfinden, sondern außerhalb, sei es in anderen Personen oder in „Dingen“ (wie dem Wetter, in langweiligen Schulstunden oder ihrer Lieblingsmannschaft, die die Meisterschaft gewinnt), dann ist es sinnvoll zu fragen, wie sie weiterhin in ihrer Bestform sein können, selbst wenn diese Dinge nicht stattfinden.

1.10 Sozialer Konstruktionismus