Küsse vom Doc - Maja Keaton - E-Book

Küsse vom Doc E-Book

Maja Keaton

0,0

Beschreibung

Sich zu verlieben, stand nicht auf dem Plan! Für die ehrgeizige Robyn ist nach dem Master nicht nur das Studium vorbei. Während sie fleißig gelernt hat, absolvierte ihr Freund ein gründliches Studium des weiblichen Geschlechts. In einem kurzen Moment der Verzweiflung bewirbt sich Robyn auf eine Stelle bei der Leukämie-Stiftung des Schauspielers Jack O'Brien im abgelegenen Roseport. Prompt wird sie zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Nicht, dass sie vorhat, in der Provinz zu versauern. Aber zu gucken, wie ein Hollywoodstar in echt so aussieht, kostet schließlich nur eine Tankfüllung. Doch bevor sie den Star zu sehen bekommt, muss sie erst einmal zum Doc ... und der ist ziemlich attraktiv. So attraktiv, dass es sich lohnt in dem verschlafenen Roseport zu bleiben? Roseport Lovers: Teil 2 der "Roseport Lovers" Reihe von Maja Keaton. Alle Bücher der Reihe sind in sich abgeschlossene Romane und können unabhängig voneinander gelesen werden!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 363

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.

Beliebtheit




KÜSSE VOM DOC

ROSEPORT LOVERS - TEIL 2

MAJA KEATON

IMPRESSUM

Nachdruck, Vervielfältigung und Veröffentlichung - auch auszugsweise - nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages!

Im Buch vorkommende Personen und Handlung dieser Geschichte sind frei erfunden und jede Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist zufällig und nicht beabsichtigt.

Copyright © 2022 dieser Ausgabe Obo e-Books Verlag,

alle Rechte vorbehalten.

M. Kluger

Fort Chambray 

Apartment 20c

Gozo, Mgarr

GSM 2290

[email protected]

INHALT

Widmung

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Epilog

Roseport Lovers - Irische Geheimsnisse

Über OBO e-Books

WIDMUNG

Für Benjamin, der noch viel süßer ist als der Benjamin im Buch.

1

Ein erbarmungswürdiges Kreischen bezeugte, dass Robyn McDonald soeben in die altersschwachen Eisen ihres nicht minder altersschwachen Mini gestiegen war. Irritiert sah sie erst in den Rückspiegel, dann auf die menschenleere Landstraße, die vor ihr lag, um dann den Oberkörper nach hinten zu drehen, als misstraute sie dem Spiegelbild. Aber es war ja nun wirklich mehr als merkwürdig, wenn man ein Ortsausgangsschild passierte, ohne jemals an dem dazu passenden Ortseingangsschild vorbeigekommen zu sein. An der Geschwindigkeit, mit der sie sich fortbewegte, konnte es ebenso wenig liegen wie an mangelnder Aufmerksamkeit, dass ihr die Einfahrt zu Roseport entgangen war. Zwar verlangten die zahlreichen Schlaglöcher, die diese mehr als fragwürdige Straße zierten, ein gerütteltes Maß an Konzentration, aber Aufmerksamkeit war noch nie ihr Problem gewesen. Nicht von ungefähr hatte ihr Dad sie schon als Fünfjährige mit auf seine Rallyes genommen, wo sie dann, bewaffnet mit einem riesigen Zettel voller Fotos von Gebäuden, außergewöhnlichen Bäumen und seltsamen Bodenerhebungen, vom Rücksitz aus nach eben diesen Dingen spähte und diese meist als Erste entdeckte. Nein, was Aufmerksamkeit anging, hatte sie es schon als kleines Mädchen mit den ausgebufftesten Rallye-Fahrern aufnehmen können. Doch in dieser grünen Einöde konnte sie spähen wie sie wollte, etwas anderes als saftige Hügel, Weiden mit glücklichen irischen Kühen und hoch stehende Maisfelder gab es seit geraumer Zeit nicht zu sehen. Jedenfalls vom Fahrersitz aus. Aber war sie an den Sitz angewachsen?

Als Robyn sich aus ihrem Wagen schwang, den sie von ihrem Dad geerbt hatte und der mit seinen 23 Jahren keinen Tag jünger war als sie selbst, gratulierte sie sich stillschweigend dazu, dass sie vorausschauenderweise bereits im Morgengrauen aufgebrochen war. Da die Uhr noch keine zehn zeigte, blieben ihr fünf Stunden, um dieses Rose House zu finden, wo sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen war. In der Zeit konnte man fast ganz Irland durchqueren. Das einzig wirkliche Problem, das sie zurzeit quälte, beziehungsweise juckte, war dieser verdammte Scheidenpilz, der nur deswegen ausgebrochen war, weil sie sofort die Pille abgesetzt hatte, nachdem sie Neil zum Teufel gejagt hatte. Eine unbändige Wut auf Neil das Arschloch, ihre ehemals beste Studienfreundin Tracey und auf ihre eigene Blödheit keimte kurzfristig in ihr auf, bevor sie sich wieder auf ihr Ziel konzentrierte.

Sie kletterte auf die heiße Motorhaube und von dort aus auf das Dach, dem ihr über alles geliebter Vater noch drei Wochen vor seinem Tod persönlich die irische Flagge aufgepinselt hatte, und entdeckte auch gleich den Fehler. An der letzten Weggabelung hätte sie über diese zwar romantisch verschnörkelte, jedoch nicht sehr vertrauenserweckend wirkende Natursteinbrücke fahren müssen, anstatt in die sterblichen Überreste einer verwaisten Landstraße einzubiegen.

Robyn klemmte sich wieder hinter das Steuer und keine Viertelstunde später hatte sie Roseport tatsächlich durchquert. Inklusive Ortseingangs- und dem wahren Ortsausgangsschild.

Wieder einmal trat sie die Bremse bis zum Anschlag durch, was die fünf Leute, die sich auf der proper gepflasterten Hauptstraße aufhielten, ein weiteres Mal dazu brachte, sich die Hälse nach dem fremden Wagen zu verrenken.

Mein Gott, hier war ja echt der Bär los.

Nicht, dass Robyn sich wirklich über diese schier umwerfende Betriebsamkeit wundern würde. Schließlich hatte sie sich gründlich über den Westen Irlands und auch über das beschauliche Roseport informiert, wobei der Ort hauptsächlich wegen einem seiner Einwohner bekannt war: Jack O’Brien, einem außerhalb Irlands ziemlich berühmten Hollywoodschauspieler, den die Glitzerwelt vor ein paar Jahren nach L.A. gelockt, und den kürzlich die Liebe wieder zurück in die Heimat geführt hatte. Allerdings musste das eine sehr, sehr verdammt große Liebe sein, wenn jemand hierher zurückkehrte, dachte Robyn und wendete abermals.

Sie parkte ihren Mini vor einem süßen, rosa gestrichenen Blumenladen und dachte beim Abschließen, dass sich nach Roseport ganz bestimmt keine Autoknacker-Bande verirrte und sie den Wagen getrost mit heruntergekurbelten Fenstern stehen lassen könnte. Aber aus Gewohnheit verriegelte sie den ganzen Stolz ihres Dads ebenso wie das in ihrer Heimatstadt Dublin absolut notwendig war.

Eine weitere Viertelstunde später kannte sie sich in Roseport aus wie in der sprichwörtlichen Westentasche. Beim Bäcker hatte sie sich mit einem Schokobrötchen versorgt, in dem mehr Schokolade drin war als in mancher handelsüblichen Tafel aus ihrem Stamm-Supermarkt. Beim Lebensmittelhändler, dessen lindgrüne Fassade ein Schild mit der großkotzigen Aufschrift „Supermarkt O’Keefe“ zierte, hatte sie eine altertümliche Flasche mit einer ebenso altertümlichen, sehr zuckerhaltigen Limonade in einem verdächtig aussehenden gelblich-beigen Farbton erstanden. Und die Auslagen der wenigen, zugegeben hübschen Geschäfte hätte sie auswendig aufsagen können. Nur die Kneipe mit dem in Irland nicht gerade seltenen Namen Paddy’s Pub hatte sie noch nicht von innen gesehen, da noch geschlossen war. Das Hotel hatte sie sich geschenkt, obwohl die im seichten Wind schaukelnden Flaggen aus aller Herren Länder, die sich von links nach rechts über die gesamte Fassade zogen, vorgaukelten, dass in Roseport doch nicht das Ende der Welt war.

Tatsächlich war das Örtchen das ideale Ziel, wenn man einen halbstündigen Ausflug im Sinn hatte. Oder wenn man mal so richtig runterkommen wollte. Robyn fühlte sich schon jetzt, als hätte sie einen sechswöchigen Kuraufenthalt in einem Schweigekloster hinter sich.

Robyn schlenderte die „Shopping-Meile“ ein weiteres Mal auf und ab und machte es sich dann auf einer Wiese am Ufer des Carrowbeg Rivers, der sich malerisch am Rande des Ortes entlang schlängelte, in der warmen Sommersonne bequem. Während der Fahrt hatte sie sich gesorgt, wie sie als frische Studienabsolventin gegenüber den erfahrenen Mitbewerbern bestehen sollte, die sich sicherlich zuhauf auf die Stelle des Verwalters der Jack-O’Brien-Leukämie-Stiftung beworben hatten. Besonders nachdem sie sich die Einladung zu dem Vorstellungsgespräch mit einer wirklich schlimmen Lüge in ihrem Lebenslauf erschlichen hatte. Weil ihre einzige Berufserfahrung aus einem Getränkegroßmarkt stammte, wo sie Flaschen sortierte, hatte sie in ihrer Verzweiflung einen an Leukämie verstorbenen Bruder erfunden. Aber als sich ein paar Schritte von ihr entfernt eine Möwe im Gras niederließ und gierig auf ihr Schokobrötchen schielte, war ihr klar, dass sie in dieser Einöde nicht mal ein paar Tage Ferien machen würde – da konnten die Brötchen noch so lecker sein. Das Zelt, die Luftmatratze sowie den Schlafsack nebst Spirituskocher hätte sie auf dem Kleiderschrank in ihrem winzigen Zimmer in der Studenten-WG lassen können. Sobald sie einen Blick auf diesen Hollywoodschauspieler geworfen und ein Autogramm geschnorrt hatte, würde sie machen, dass sie wieder in die Zivilisation zurückkam. Auch wenn sie dort nur die erbärmlichen Erinnerungen an ihren treulosen Ex und ihre treulose Kommilitonin erwarteten. Na ja, ganz so schlimm war es nicht, denn immerhin lebten ihre Mutter und ihre Schwester in Dublin. An diese größtenteils lieben Menschen würde sie sich halten, während sie in der Stadt ein neues Leben aufbaute, besonders an ihre kleine Schwester Caitlin, die sich, seit sie Drei-Wort-Sätze sprechen konnte, lautstark beschwerte, dass ihre große Schwester viel zu wenig Zeit für sie hatte. Aber jetzt war genug mit Selbstmitleid und Rumlungern.

Sollten die Naturliebhaber und Fans verschlafener irischer Dörfer sie steinigen, sie hatte genug gesehen und musste irgendwie vier Stunden totschlagen, bevor sie das Vorstellungsgespräch hinter sich brachte und auf dem kürzesten Weg nach Dublin zurückfuhr, um sich dort nach einem Job umzusehen. Auf alle Fälle schreckte sie die Aussicht auf weitere Stunden im Getränkeshop weniger als eine noch so interessante Stelle hier draußen.

Da sie zu müde war, um die weitere Gegend nach eventuellen Zeichen der Zivilisation zu erkunden, aber zu munter für ein Nickerchen, und sie sich zudem daran erinnerte, dass sie am Ende der sagenhaften Roseporter Shopping-Meile, kurz hinter diesem halb verrotteten Zeitungshaus, eine Praxis für Gynäkologie gesehen hatte, wusste sie, was sie zu tun hatte. So wie sie die Lage einschätzte, war das Wartezimmer leer und der Arzt oder die Ärztin würden sich bestimmt über eine Patientin freuen, die nur mal eben ein Medikament brauchte.

Dr. Daniel Stetson stand auf dem tönernen Schild, das an dem adretten, hellblau gestrichenen Stadthaus mit der knallblauen Eingangstür angebracht war. Eine Ärztin wäre Robyn zwar lieber gewesen, aber sie wusste ohnehin, was sie brauchte. Eine Untersuchung gehörte sowieso nicht dazu.

Eine Frau älteren Semesters reckte ihre grau-blond melierte Kurzhaarfrisur über den Rand eines überraschend modernen, glänzend weißen Tresens, als Robyn die Praxis betrat.

„Guten Tag“, grüßte Robyn freundlich und legte ihre Medical Card auf den Tresen. „Ich bin auf der Durchreise und bräuchte bitte ein Rezept über eine Tube Canesten.“

„Und da kommen sie zu uns?“, fragte die Sprechstundenhilfe und zwinkerte mit ihren von lauter kleinen Fältchen umrandeten Augen, als bräuchte sie dringend eine Brille.

„Im Vorüberfahren habe ich Ihre Praxis gesehen. Und so ein Scheidenpilz kann ganz schön unangenehm sein.“ Bevor sie Neil kannte, hatte Robyn sich furchtbar geniert, Dinge unterhalb der Gürtellinie anzusprechen. Doch mit seiner unbefangenen, um nicht zu sagen zügellosen Art, hatte er ihr die Prüderie nach und nach ausgetrieben. Dass dabei auch ihre fast schon krankhafte Schüchternheit abhanden gekommen war, wertete sie als den zweiten positiven Effekt, den der gottverdammte Neil auf ihr Leben hatte. Aber etwas Gutes musste der Mistkerl ja auch hinterlassen.

Beim Wort Scheidenpilz nickte die Sprechstundenhilfe sofort mitfühlend, zog die Versichertenkarte durch das Lesegerät an dem nagelneu aussehenden Computer und schob einen Zettel nebst Kugelschreiber auf den Tresen. „Bitte den Patientenfragebogen ausfüllen.“

„Aber ich brauche nur ein Rezept.“

„Das macht nichts. Um den Fragebogen kommen Sie trotzdem nicht herum.“ Die Frau zuckte mit den Schultern.

Da Robyn es ja nun wirklich nicht eilig hatte, füllte sie den Fragebogen halt aus, obwohl das ihrer Meinung nach vollkommen unnötig war. Aber viel brauchte sie ohnehin nicht anzugeben, denn abgesehen von dem blöden Pilz war sie kerngesund. „Fertig.“

„Sehr schön. Dann nehmen Sie bitte noch einen Moment im Wartezimmer Platz.“

„Muss das wirklich sein? Ich dachte, ich hole ...“, versuchte sie es nochmals, doch die Sprechstundenhilfe fiel ihr unwirsch ins Wort.

„Hören Sie, Miss, dort, wo Sie herkommen, können Sie vielleicht zu Ihrem Gynäkologen hineinspazieren, Ihre Karte zücken und ein bestimmtes Rezept verlangen, aber hier stellen wir die Rezepte ausschließlich nach einer gründlichen Untersuchung aus. Vielleicht haben Sie ja gar keine Vulvovaginalcandidose – und dann würden wir Sie falsch behandeln und Ihr Problemchen wächst sich zu einem wirklichen Problem aus. Bitte, Miss. Das Wartezimmer befindet sich dort drüben. Es ist noch jemand vor Ihnen dran, aber länger als eine halbe Stunde werden Sie nicht warten müssen. Lesen Sie was Schönes. Erst gestern ist die neue Ausgabe der Roseport News rausgekommen. Aber ich gebe Ihnen einen Tipp: Beginnen Sie mit der ersten Juni-Ausgabe.“

Au ja, das hatte sie schon ihr Leben lang tun wollen: Bei einem Wald- und Wiesengynäkologen den gesamten Jahrgang des ortseigenen Käseblatts lesen. Gott der Gerechte! Aber ansonsten hatte die Frau ja recht. Ohne Untersuchung sollte man wirklich keine Rezepte ausstellen, auch wenn Robyn hundertprozentig wusste, was ihr fehlte. Dann würde sie es diesem Doktor vom Lande eben persönlich sagen.

„Ich habe sechs Stunden im Auto gesessen und würde mich gern umziehen. Darum hole ich nur eben frische Kleidung aus meinem Wagen“, informierte Robyn die Sprechstundenhilfe, damit diese nicht etwa eine weitere Patientin vorließ, die eventuell während ihrer Abwesenheit in die Praxis marschierte.

Die Frau warf Robyn einen komplett ausdruckslosen Blick zu, bevor sie sich wieder ihrer Arbeit widmete.

Mit ihrer reichlich abgeschabten Reisetasche, die sie wie den Mini von ihrem Vater geerbt hatte und die das Outfit für das Bewerbungsgespräch enthielt, betrat Robyn kurz darauf das Wartezimmer. Eine hochschwangere Frau, eine Frau mit pechschwarzem, krausem Haar, das abstand als hätte sie mit dem Finger in die Steckdose gefasst, sowie ein Mann mit Down-Syndrom hatten die Köpfe zusammengesteckt und unterhielten sich angeregt. Als Robyn die Tür hinter sich schloss, sahen die Drei kurz auf, begrüßten sie freundlich, aber abwesend und vertieften sich wieder in ihr Gespräch.

Eines musste man diesen Roseportern lassen: Sie konnten so neugierig aus der Wäsche gucken, wie sie wollten, aber lästige Fragen, wie Robyn sie von solchen Dörflern erwartete, verkniffen sie sich. Wenn man einmal von dem Patientenfragebogen absah.

Da Robyn sich in Anwesenheit der anderen Patienten schlecht ihrer Reisekleidung (Leggings plus Riesenshirt) entledigen und das Bewerbungsoutfit anziehen konnte, schnappte sie sich eine Zeitung. Allerdings kam sie kaum über die Headline hinweg, die gleich über einem etwas unscharfen Foto prangte, das ein innig Händchen haltendes Paar von hinten zeigte.

„Er weiß einfach nicht, was wahre Liebe ist“, regte sich der Mann mit dem Down-Syndrom mit schwerer Zunge auf.

„Hast du denn versucht, es ihm zu erklären, Benny?“, fragte die Schwangere, während die Frau mit der Stromfrisur ihm den Rücken tätschelte.

„Tausend Millionen mal. Danny ist einfach zu blöde! Er kapiert gar nichts! Er hasst mich!“ Benny schüttelte energisch den Kopf mit dem glatten, blonden Haar.

In dem Moment öffnete sich die Tür des Wartezimmers und die Sprechstundenhilfe rief: „Jamie, du bist dran.“

Die Schwangere quälte sich unter Stöhnen vom Stuhl hoch. Sie schenkte Robyn, die hinter der Zeitung hervorlugte, ein freundliches Lächeln und watschelte aus dem Wartezimmer. Die mit der Stromfrisur war ebenfalls aufgestanden. Sie gab dem Mann, der angeblich von einem gewissen Danny gehasst wurde, einen Kuss auf die Wange und sagte, bevor sie der Schwangeren folgte: „Du musst es ihm einfach immer wieder erklären. Bis er es kapiert. Machst du das? Willst du es gleich heute noch einmal versuchen? Versprich es mir, Benny. Dein Bruder ist kein Unmensch. Wenn du nur lange genug für dein Recht kämpfst, lenkt er ein. Hab Vertrauen.“

Benny wirkte nicht sehr überzeugt. Als die Tür hinter den beiden Frauen ins Schloss fiel, schimpfte er lautstark: „Der kapiert es nie!“, erhob sich und sortierte die Zeitungen, obwohl sie bereits ordentlich aufeinander geschichtet auf dem Tischchen im Zentrum des Wartezimmers lagen.

Plötzlich hielt er inne.

„Bist du neu in Roseport?“, fragte er Robyn.

„Bitte?“ Verdutzt sah sie von der Zeitung, in der sie bisher nicht ein Wort gelesen hatte, auf, nur um in ein Paar treuherzige, helle Augen zu blicken.

„Ich habe dich noch nie gesehen.“

„Ich bin auf der Durchreise“, gab sie zu. „Heute Nachmittag fahre ich schon wieder nach Hause.“

„Wo wohnst du?“ Mit langsamen, tapsigen Schritten trat der junge Mann auf Robyn zu.

Der war aber zutraulich. „In Dublin.“

„Hast du in dort keinen Arzt?“ Als gäbe es nichts Selbstverständlicheres auf der Welt, setzte Benny sich auf den freien Stuhl neben Robyn und wandte sich ihr hochkonzentriert zu.

„Doch, habe ich“, antwortete sie, inzwischen amüsiert über diese unverhohlene Neugierde. „Aber ich war unterwegs.“

„Bekommst du ein Baby?“

Jetzt musste Robyn lachen. Dieser Benny horchte sie ja ganz schön aus – und sie hatte keine Ahnung, wie sie sich dem entziehen sollte. „Nein.“

„Willst du eins?“

„Am liebsten zwei oder drei. Aber erst in ein paar Jahren“, hörte sie sich zu ihrem eigenen Erstaunen sagen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals über Familienplanung nachgedacht zu haben. Erstens hatte sie erst vor zwei Wochen ihre Master-Urkunde im Empfang genommen, und zwar an dem Tag, an dem Tracey angeblich keinen Tag länger über ihr Verhältnis mit Neil schweigen konnte, weil ihr ach so empfindliches Gewissen ihr einfach keine Ruhe ließ. Zweitens waren Heirat, Familie und Kinder zwischen Neil und ihr nie ein Thema gewesen. Sie konnte sich auch gar nicht vorstellen, dass Neil überhaupt für solche spießigen Dinge zu haben war. Er hatte ja nicht mal mit ihr zusammenziehen wollen, obwohl sie immerhin gut zwei Jahre ein Paar gewesen waren und er weiß Gott mehr als genug Platz in seinem schicken Loft hatte.

„Hast du einen Mann?“

Robyn schüttelte den Kopf. „Nicht mehr.“

„Oooh, jetzt bist du traurig.“ Benny beugte seinen Kopf vor, so dass er direkt vor Robyns Gesicht auftauchte. Mitfühlend legte er seine Arme um Robyns Schultern und flüsterte: „Das tut mir leid. Ich weiß, was wahre Liebe bedeutet. Ich liebe Faye Rush. Aber mein Bruder will nicht, dass wir heiraten. Er sagt, wir können nicht allein leben. Weil wir nicht für uns allein sorgen können. Aber das ist nur eine Ausrede. Mr. und Mrs. Lancaster haben nicht mal eine Arbeit und bei ihnen sieht es sogar im Wohnzimmer aus wie bei Danny im Keller und sie dürfen trotzdem heiraten. In Wirklichkeit dürfen wir bloß nicht heiraten, weil wir Downies sind.“

Fieberhaft überlegte Robyn, wie sie darauf reagieren sollte. In ihrem ganzen Leben war sie keinem Behinderten so nahe gekommen und sie hatte sich auch noch nie Gedanken darüber gemacht, ob solche Menschen heiraten sollten. Solche Menschen ... Mein Gott, wie diskriminierend das klang. Robyn war heilfroh, als die Sprechstundenhilfe mit einem Plastikbecherchen zur Tür hereinkam, es ihr in die Hand drückte und sie so einer Stellungnahme entkam.

„Ein paar Tropfen Urin, bitte, Miss McDonald. Die Toilette befindet sich neben dem Eingang. Und du, Benny, lässt die junge Frau in Ruhe. Ab mit dir hinter den Tresen. Da liegen Briefe zum Eintüten bereit.“ Sie nickte Robyn entschuldigend zu und scheuchte den maulenden Benny aus dem Wartezimmer.

Dank der merkwürdigen Limonade aus dem „Supermarkt“, spazierte Robyn wenige Minuten später mit dem gefüllten Pinkelglas aus dem WC. Gerade in dem Moment, in dem die beiden Frauen aus dem Wartezimmer die Praxis verlassen wollten.

„Sagen Sie, Sie sind nicht zufällig Robyn McDonald?“ Die mit der Stromfrisur versperrte Robyn den Weg.

„Kennen wir uns?“, entgegnete Robyn, denn die Frau musterte sie mit ihren riesigen, dunklen Augen, als läge sie vor ihr unter dem Elektronenmikroskop.

„Moment“, fuhr die Sprechstundenhilfe dazwischen. Sie streckte die Finger nach der Urinprobe aus. „Wir wollen doch nicht, dass unser Schwangerschaftstestpipi abhanden kommt.“ Und weg war sie mit dem Pinkelgläschen.

„Ich brauche keinen Schwangerschafts ...“, rief Robyn ihr hinterher, doch da war die Dame bereits in einem der Zimmer, die von dem Korridor abgingen, verschwunden.

Die mit der Stromfrisur und die Schwangere lachten auf.

„Die gute Mrs. Lacey“, sagte die Schwangere und tätschelte ihren riesigen Bauch. „Nehmen Sie es ihr nicht übel.“

„Wir Eingeborenen halten das regelmäßige Durchführen überflüssiger Schwangerschaftstests für eine Art Fruchtbarkeitsritual“, lachte die mit der Stromfrisur. „Ich habe heute auch schon meine Probe abgeben. Roseport soll doch nicht aussterben. Viel Glück! Man sieht sich.“

* * *

Robyn sah belustigt zu der restaurierten knallblauen Tür, die klappernd hinter den beiden gackernden Frauen ins Schloss fiel. Die Beiden schienen nett zu sein. Trotzdem würde man sich wohl kaum wiedersehen. Spätestens um sechs würde sie Roseport mit einer Tube Canesten-Creme und dem Autogramm eines in Irland weitgehend unbekannten Hollywood-Stars in der Tasche für immer verlassen. Bis dahin würde vermutlich sogar dieses schreckliche Jucken nachgelassen haben, das momentan von Sekunde zu Sekunde anzuschwellen schien.

Die Sprechstundenhilfe kam aus dem Zimmer, in dem sie wenige Sekunden zuvor mit der Urinprobe entschwunden war.

„Die Frau mit den Haaren war übrigens Holly Halligan – die Verlobte von Jack O’Brien. Sie wissen, wer Jack O’Brien ist?“, fragte sie in vertraulichem Ton.

Robyn schnappte nach Luft. „Ich bin auf dem Weg zu ihm. Ich habe mich auf die Stelle der Verwalterin für seine Stiftung beworben. Heute ist das Vorstellungsgespräch.“

„Er hat Sie eingeladen? Sie sind doch viel zu jung für solch einen verantwortungsvollen Posten.“

„Nachdem Sie herausposaunt haben, dass ich wegen eines Schwangerschaftstests hier bin, werde ich sowieso nicht eingestellt“, sagte Robyn gespielt verärgert. Im Grunde hätte es gar nicht besser laufen können, da sie nach der Ortsbesichtigung ohnehin kein Interesse mehr an dieser Stelle hatte. Also, für den Fall, dass der Hollywoodschauspieler überhaupt auf die Idee kam, sie für den Posten in Erwägung zu ziehen.

„Ach, da machen Sie sich mal keine Sorgen. Die Tests führen wir hier standardmäßig durch. Sie bekommen nachher ein Attest. Und jetzt gehen Sie bitte ins Untersuchungszimmer und machen Sie sich unten herum frei. Wie gesagt: Ohne Untersuchung kein Rezept. Wir haben Prinzipien!“ Die Sprechstundenhilfe schob Robyn in den Raum, der gleich hinter dem Urinproben-Zimmer lag.

Robyn verdrehte die Augen. Standardmäßige Schwangerschaftstests, Prinzipienreiterei ... Wenn es zwischen ihren Beinen nicht so höllisch jucken würde und dieses Jucken nicht zunehmend in ein noch viel höllischeres Brennen überginge, würde sie auf der Stelle aus dieser Praxis hinaus marschieren. Aber so blieb ihr nichts anderes übrig, als diesem Praxisdrachen zu gehorchen. Sie schlüpfte hinter den mit einem munteren Karostoff bezogenen Paravent, der die Umkleidekabine ersetzte, schubste ihre Espandrilles unter den Stuhl und warf die Leggings samt Slip darauf, bevor sie sich in ihr Schicksal ergab und sich auf den Gynäkologen-Stuhl schwang.

Sie wunderte sich sowieso schon seit Betreten des Untersuchungszimmers über diesen Stuhl, der bedeutend moderner war als der, den ihre Frauenärztin in Dublin besaß. Dieser Dr. Stetson schien ja gut zu verdienen, dachte sie, bevor ihr Blick auf das Deckengemälde fiel, wie sie es sonst nur vom Zahnarzt kannte. Nur, dass dieses um einiges beeindruckender ausfiel als die Blumenbilder bei dem kahlköpfigen Dr. Cowley. Man hatte den Eindruck, am Rand einer mit Rosenbüschen bewachsenen Klippe zu stehen und hundert Meter in die Tiefe zu schauen, direkt auf das wilde Meer, auf dem ein einzelnes Schifferbot sich fast in den Wellen überschlug.

Unwillkürlich krallte Robyn sich an den Haltegriffen zu beiden Seiten des Untersuchungsstuhls fest. Sollte das etwa eine Art Schocktherapie sein? Nach dem Motto: Wer von einer Klippe stürzt oder dessen Boot im Meer kentert, den kann auch ein Besuch beim Gynäkologen nicht schocken?

„Guten Tag.“

Wo kam denn die Stimme plötzlich her? Sie hatte doch gar keine Tür gehört. Im nächsten Moment fühlte sie, wie eine Hand sanft einen ihrer vollkommen verkrampften Unterarme berührte.

„Mrs. oder Miss McDonald?“

Also, das Beruhigungsgemälde beruhigte sie definitiv nicht! Ein Schauer lief über ihren Körper. Neben ihr erhob sich ein Hottie ohnegleichen – und sie lag hier aufgespannt wie ein Brathähnchen vor dem Koch. Nur, dass ihr Kopf noch oben dran war. Dafür war er jetzt gerade wahrscheinlich so rot wie Paprikapulver.

Sie schluckte den Speichel, der sich in ihrem Mund gesammelt hatte, hinunter und entgegnete leicht krächzend: „Suchen Sie sich was aus.“

Das musste der Arzt sein. Statt eines weißen Kittels trug er ein strahlend weißes Polo-Shirt und knappe, weiße Chinos. Unter dem Stoff waren lange Beine wie bei einem Marathonläufer, nur nicht so unterentwickelt. Fast wäre ihr Blick ein Stück höher gewandert und an dem verschlossenen Kuhstall hängen geblieben. Im letzten Moment konzentrierte sie sich auf die Knopfleiste oben an seinem Shirt.

Der Doc ergriff ihre Hand und drückte sie leicht und sie löste sich von den Knöpfen.

Aus zusammengekniffenen Augen blinzelte der Arzt auf sie herab. „Was führt Sie zu mir, Miss McDonald?“

Der Mann war höchstens dreißig. Plötzlich hatte sie den idiotischen Gedanken, ihm schon mal begegnet zu sein oder ihn zumindest schon irgendwo gesehen zu haben. Idiotischerweise dachte sie gleichzeitig, dass ein Piratenkostüm wesentlich besser zu ihm passen würde als weiße Baumwollkleidung. Offensichtlich hatte ihr Hirn gerade eine Fehlfunktion. Vermutlich von dem Schafsmistgestank da draußen. Es hatte doch nach Schaf gestunken, oder? Mein Gott, dieser Mann machte sie eindeutig nervös. Blödsinn! Er hatte etwas an sich, das in ihrem Körper für eine Hormonüberschwemmung sorgte.

„Miss? Wollten Sie zum Gynäkologen oder ...?“

„... zum Psychiater??“

„Das haben Sie gesagt.“

Sie seufzte. „Ich war wohl ein wenig zu lange auf der Straße.“

„Sie meinen unterwegs?“, fragte er ohne die geringste Spur von Anzüglichkeit.

Oh Gott! Das war nur noch peinlich!

„Ja. Im Auto. Also, ich habe kürzlich die Pille abgesetzt und jetzt ... ein ... äh ... Hefepilz. Das hatte ich schon einmal.“ Mein Gott, sie starrte den Mann immer noch an wie ein grenzdebiles Huhn. Reiß dich zusammen, Sarah Miller, fauchte sie sich selbst stumm an. Wohin war denn plötzlich auch noch ihre Unkompliziertheit in Bezug auf die Dinge unterhalb der Gürtellinie gegangen?

Dem heißen Dr. Stetson war sie jedenfalls nicht abhanden gekommen.

„Jucken oder Brennen, bröckeliger, weiß-gelber Ausfluss?“, wollte er wissen.

Er ließ ihre Hand los und Robyn dachte, während ihr das Blut beim Nicken mit Hockdruck in den Kopf schoss: Orlando Bloom. Sogar die dunkelblonden, gewellten Haare hatte er auf dieselbe Weise zurückgekämmt. Der Typ sah dem Schauspieler zum Verwechseln ähnlich. Vielleicht war Johnny Depps Partner in dem Piratenfilm ja im wahren Leben Gynäkologe. So wie der Fernseharzt Dr. Blood im wahren Leben unter seinem Namen Jack O’Brien eine Leukämie-Stiftung betrieb.

Vielleicht sollte sie doch nicht gleich wieder abreisen und stattdessen in einem kleinen Urlaub den Pilz auskurieren ... Eine Pilz-Kur sozusagen.

Mit den Augen verfolgte sie, wie der Piraten-Doc ein Paar weißliche Gummihandschuhe aus einer Einwegpackung zupfte und sich über die schmalen Hände zog. Er trug keinen Ring. Das war gut, denn in dem Fall hätte sie selbstverständlich keinen weiteren Gedanken an den Mann verschwendet.

„Sie sind neu in der Gegend“, meinte Doc Will Turner, während er sich auf einen mit weißem Leder bezogenen Rollhocker setzte und schwungvoll zwischen ihre Beine rollte.

Gut, dass sie ihr Zelt dabei hatte. Ehrlich, was war gegen einen Kurzurlaub im irischen wilden Westen einzuwenden? Spaziergänge an der frischen Luft am Meer, ein Glas Wein auf den Klippen ... Sicher würde sie auch zu einer Nachuntersuchung antreten müssen. Und dann war der Ort ja so winzig, dass man sich garantiert dauernd über den Weg lief ...

„Ich bin eigentlich zu einem Vorstellungsgespräch hergekommen. Also, ich meine nach Roseport bin ich wegen des Vorstellungsgespräches gekommen.“

Grmpf! Was für ein dämliches Gestammel!

Da sie jede seiner Bewegungen verfolgte, sah sie natürlich die hoch schnellende Augenbraue. Wie ein Flitzebogen.

Sie wollte Will Turner gerade erklären, auf welche Stelle sie sich beworben hatte, als er fragte, wann ihre letzte Periode gewesen sei.

„Vor sechs Wochen, aber ich habe ja auch die Pille abgesetzt. Da ist es durchaus normal, dass sich die Periode verspätet“, spudelte sie hervor.

„Sie könnten auch als Gynäkologin arbeiten, was?“, bemerkte der Doc trocken, zog einen der Handschuhe wieder aus, rollte mit dem Hocker quer durch den Raum und nahm einen Gegenstand von seinem Schreibtisch.

„Ich lese von allen Medikamenten grundsätzlich auch die Beipackzettel und eine Candida-Infektion erkennt man sofort, wenn man einmal eine gehabt hat.“ Zum Glück konnte sie wieder sprechen wie jeder andere Mensch mit einem halbwegs durchschnittlichen IQ.

„Da ist was dran. Warum haben Sie die Pille abgesetzt?“, fragte Dr. Stetson, den sie ab sofort bei seinem wahren Namen nennen würde. Diese Assoziation zum Fluch der Karibik musste sie ganz schnell wieder loswerden, was gar nicht so einfach war, zumal er gerade zwischen ihre Beine sauste. Mit einer Brille auf der Nase! Doch selbst mit dem knallblauen Nerd-Gestell sah der Mann zum Niederknien aus. Er hatte die Farbe der Brille doch wohl nicht passend zur Haustür ausgesucht? Das wäre jedenfalls eine Erklärung dafür, dass er keinen Ring trug.

„Schluss mit dem Freund“, murmelte sie, bevor sie den Kopf über sich selbst schüttelte. Hatte sie jetzt wirklich nachgesehen, ob der Doc verheiratet war?

„Und da setzen Sie gleich die Pille ab?“, fiel er zum Glück in ihre Gedanken.

Ja, das war dumm von ihr gewesen ... Das wurde ihr in dem Moment nur zu klar. Andererseits wäre sie niemals auf dem Untersuchungsstuhl des Mannes gelandet, dessen Lieblingsfarbe womöglich blau war. Vielleicht weil seine Augen blau waren? Leider konnte sie die Farbe nun, da er die Brille trug, noch weniger erkennen.

„Dann wollen wir mal sehen“, verkündete er, bevor sich sein Kopf senkte.

Robyn fand, dass das irgendwie enthusiastisch geklungen hatte, fast wie ein Schlachtruf. Allerdings war sie froh, dass er jetzt endlich mit der Untersuchung begann, denn so langsam wurde ihr doch ein wenig heiß auf diesem Stuhl, das hieß sie fühlte sich unbehaglich. Dass der Doc ausgerechnet mit dieser unübersehbaren Brille auf der Nase zwischen ihren Beinen abtauchte, machte die Sache nicht unbedingt besser. Wie deutlich wollte er ihren Pilz denn beäugen?

„Beinahe hätte ich es vergessen“, murmelte er zwischen ihren Beinen. „Mein Bruder, also der junge Mann aus dem Wartezimmer ... Entschuldigen Sie bitte, wenn er Sie belästigt haben sollte. Wie Sie sicherlich bemerkt haben, hat er das Down-Syndrom. Entsprechend ist er ein wenig vertrauensselig.“

„Dann sind Sie dieser Danny, der kein Verständnis für seinen Bruder hat!“, rutschte es ihr heraus.

„Das hat er gesagt?“, brummte Dr. Stetson, während er ein Wattestäbchen in sie hineinschob, um einen Abstrich zu nehmen. „Es ist übrigens ganz schön rot in ihrer Vagina. Es ist wirklich höchste Zeit, den Pilz zu behandeln. Gut, dass Sie hergekommen sind.“

Das fand Robyn auch. Die Frage war nur, wie sie diesen Besuch in ein Date umwandeln könnte. Nicht, dass sie Neil hinterher weinen würde. Höchstens Tracey, die so dumm gewesen war, ihre Freundschaft wegen eines Mannes aufs Spiel zu setzen. Trotzdem würde ein Date ihrem sicherlich angeschlagenen Selbstbewusstsein als Frau Auftrieb geben. Irgendwann musste sie ja sowieso wieder mit den Männern anfangen. Einer, der sich um seinen behinderten Bruder kümmerte, war sicher nicht die schlechteste Wahl. Und wenn er noch dazu aussah wie Orlando Bloom ... Dann hätte die Fahrt in diesen äußersten Winkel Irlands doch noch einen Sinn gehabt! Sie würde mit aufgemöbeltem Selbstbewusstsein zurückkehren. Das war gut.

„Wo ich schon mal in der Gegend bin ... Können Sie mir ein paar Ausflugsziele empfehlen, Dr. Stetson?“

„Das kann unser Doktor ganz sicher“, tönte der Praxisdrache von der Tür her. „Schließlich ist er in Roseport geboren.“

„Sie können sich anziehen, Miss McDonald. Und Sie sind schon wieder ohne anzuklopfen ins Untersuchungszimmer geplatzt, Mrs. Lacey.“ Stirnrunzelnd wandte sich der Arzt von Robyn ab.

„Ich habe sehr wohl angeklopft, Chef. Aber Ihre Ohren werden anscheinend immer schlechter“, gab die Angestellte schnippisch zurück.

Robyn rutschte von dem Untersuchungsstuhl, während Dr. Stetson die Handschuhe in den Müll warf und Mrs. Lacey einen Computerausdruck mit dem Ergebnis der Urin-Untersuchung auf den Schreibtisch knallte.

Hinter dem Paravent nahm Robyn den schicken dunkelblauen Hosenanzug und die adrette, weiße Bluse aus der Tasche, die sie für das Vorstellungsgespräch eingepackt hatte. Leider lagen die Pumps noch im Auto und es blieb ihr nichts anderes übrig, als in die ausgetretenen Espandrilles zu schlüpfen. Dafür knöpfte sie den zuletzt geschlossenen Knopf an ihrer Bluse wieder auf, bevor sie hinter dem Sichtschutz hervortrat.

Doch Dr. Stetson sah nicht mal auf, als sie sich ihm gegenüber an den Schreibtisch setzte. Er stellte ihr Rezept aus und tippte irgendetwas, vermutlich das Ergebnis seiner gründlichen Untersuchung, in den Computer.

„Würden Sie mir bitte ein Attest ausstellen, dass ich nicht schwanger bin? Wegen der Stelle. Ihre Hilfe hat im Beisein der Verlobten meines potentiellen Arbeitgebers den Schwangerschaftstest erwähnt ...“

„Oh“, der Doc sah erschrocken auf. „Das war wirklich dumm von meiner Hilfe. Holly ist nämlich nicht nur die Verlobte von Jack, sie ist auch Redakteurin bei der Roseport News und immer scharf auf eine Story. Da wird ihre mutmaßliche Schwangerschaft wohl morgen in der Zeitung stehen.“

„Haha. Sehr witzig.“

„Sie haben recht: Das war ein blöder Scherz. Ich weiß auch nicht, was mich dabei geritten hat. Entschuldigen Sie bitte und machen Sie sich um die Sache mit dem Test keine Sorgen. Das ist Standard bei uns.“

Robyn nickte. Das wusste sie inzwischen. „Ist es auch Standard bei Ihnen, dass jeder über jeden Bescheid weiß?“

„Daran sollten Sie sich schon mal gewöhnen, wenn Sie demnächst hier arbeiten“, lachte der Doktor plötzlich auf.

Robyn verkniff sich ein Grinsen. „Die Stelle muss ich ja erst mal kriegen ...“

Dr. Stetson tippte auf seinem Computer herum. „Warum haben sie sich überhaupt darauf beworben?“

„Was ist daran so verwunderlich?“, fragte sie zurück.

„Immerhin sind Sie unter 70.“

Jetzt musste Robyn lauthals lachen. Dieser Gynäkologe war nicht nur extrem gutaussehend, er schien sogar Humor zu haben. Umso besser!

„Sie sehen auch nicht gerade aus, als würden sie demnächst in den Club der Hundert aufgenommen“, lachte sie. „Was tun Sie hier in diesem Ballungsgebiet?“

„Familie. Was sonst?“, antwortete er frei heraus. Dann füllte er das gewünschte Nicht-schwanger-Attest aus, drückte es Robyn nebst des Rezepts für die Pilzsalbe in die Hand und brachte sie zur Tür des Behandlungsraums. „Dann bleibt mir nur noch, Ihnen gute Besserung und viel Erfolg bei Ihrem Vorstellungsgespräch zu wünschen!“

„Danke.“ Robyn ergriff die ihr zum Abschied gebotene Hand. Vordergründig lächelte sie zwar, in ihrem Hinterstübchen jedoch suchte sie fieberhaft nach einer Möglichkeit, um noch ein wenig mit dem süßen Doc zusammen zu bleiben.

„War noch etwas?“ Er sah sie mit hochgezogenen Augenbrauen an.

Karamell. Seine Augen waren karamellfarben. Nie zuvor war sie einem Mann mit einer solch ungewöhnlichen Augenfarbe begegnet. Allerdings war das nicht weiter erstaunlich, da Neil nach ihrer Jugendliebe Bryan der einzige Mann in ihrem Leben gewesen war.

„Eins können Sie eventuell noch für mich tun“, fiel ihr ein. „Sie könnten mir erklären, wie ich nach Rose House komme. Diese Adresse habe ich nämlich nicht auf Google Earth gefunden und eine Wegbeschreibung lag dem Einladungsschreiben nicht bei.“

„Haben Sie kein Navi?“, kam es verwundert zurück, als wären sie hier im Silicon Valley. Obwohl, wenn sie an die Praxisausstattung dachte ...

Robyn schüttelte den Kopf. Als Tochter eines Rallye-Fahrers war ein Navi nun wirklich unter ihrer Würde.

„Der Weg nach Rose House ist ganz kompliziert“, meldete sich der junge Mann zu Wort, den Robyn aus dem Wartezimmer kannte. Er saß neben Mrs. Lacey hinter dem Tresen und hatte aufgehört den Holzstempel auf die Briefumschläge zu knallen, als der Doc die Tür des Behandlungszimmers geöffnet hatte.

Da Robyn von Kindesbeinen an mit beinahe schlafwandlerischer Sicherheit jedes Haus, jede Mühle und jeden Erdhügel aufspürte, konnte sie sich zwar nicht vorstellen, dass der Weg zu Rose House sonderlich schwierig zu finden war, doch in diesem Fall widersprach sie nicht, sondern machte auf hilfloses Weibchen, indem sie einfach nur „Oh“ sagte.

„Benny übertreibt maßlos“, wiegelte Dr. Stetson ab.

„Das stimmt nicht. Ich habe mich dort schon verlaufen“, widersprach Benny zu ihrer Freude. Dazu legte er die Stirn in sorgenvolle Falten. „Was, wenn Miss McDonald sich auch verläuft?“

„Ich zeichne ihr den Weg auf. So schwer ist es nun wirklich nicht bis dorthin“, sagte der Arzt kopfschüttelnd, woraufhin Mrs. Lacey ihm unaufgefordert und wortlos ein Blatt Papier und einen Bleistift auf den Tresen schob.

„Können wir Miss McDonald nach Rose House bringen?“, bettelte Benny plötzlich und Robyns Herz machten einen Sprung. Das nannte man doch mal Glück. Gespannt sah sie zu Dr. Stetson, der mit ausdrucksloser Miene in der Gegend herumstand. Herrje, selbst sein Nichts-Gesicht war sexier als Neils Betrüger-Visage zu ihren besten Zeiten!

„Du hast versprochen, dass wir diese Woche ein Picknick auf Rose Cliff machen.“

Braver Junge. Nur zu!

Der Arzt schüttelte den Kopf. „Du lässt aber auch nichts unversucht, was?“ An Robyn gewandt, fügte er erklärend hinzu: „Im Grunde geht es diesem Pharisäer allein darum, dass ich ihn und seine Freundin zur Aussichtsplattform bringe.“

„Du hast es versprochen“, maulte Benny. „Jetzt willst du dich wieder drücken. So wie immer. Erst versprichst du es – und dann brichst du dein Versprechen. Du bist gemein!“

„Ich habe nicht gesagt, dass wir den Ausflug heute machen. Außerdem sollten wir uns nicht vor Miss McDonald streiten. Das gehört sich nicht.“

Dem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, wollte Benny lautstark protestieren, doch sein Bruder kam ihm zuvor. „Nicht aufregen, Benny. Das Wetter ist traumhaft. Heute ist der ideale Tag für ein Picknick. Um wieviel Uhr ist Ihr Vorstellungsgespräch, Miss?“

2

Daniel Stetson lief die hölzernen Stufen zu der geräumigen Altbauwohnung hoch, wo er mit seinem Bruder lebte. Er war stolz auf das Haus, das er größtenteils mit eigenen Händen renoviert hatte und das irgendwann in ferner Zukunft ihm und nicht mehr der Bank gehören würde, die ihm den Kredit gewährte. Denn außer den Schulden für das eigene Studium hatten seine Eltern ihm nur diese unterschwellige Verachtung gegenüber Frauen, die viel zu früh Kinder in die Welt setzten, um sie dann im Stich zu lassen, und die offene, abgrundtiefe Verachtung verantwortungslosen Männern gegenüber hinterlassen. Und natürlich seinen Bruder Benny. Vielleicht war er darum Gynäkologe geworden – als eine Art Konfrontationstherapie und vorbeugende Maßnahme zugleich. Denn so sehr er für sein Leben dankbar war und so sehr er Benny liebte, so vehement wehrte er sich dagegen, jungen Mädchen die Pille und eine Abtreibung zu verwehren, wenn sie sich außerstande sahen, für ein Kind zu sorgen, sei es nun gesund oder behindert. Kinder brauchten starke Eltern, um zu rundum gesunden Menschen heranzuwachsen. Das war seine unumstößliche Meinung. Dafür war er bekannt und dafür wurde er interessanterweise in der stockkatholischen Gegend geschätzt, in der er nun einmal zu Hause war. Und er würde betroffenen Frauen so lange die Adressen von verantwortungsvollen Ärzten und Kliniken im Ausland zustecken, bis Abtreibungen endlich auch in Irland nicht mehr unter das Strafgesetz fielen.

Aber zum Glück hatte er es heute mit angenehmeren Dingen zu tun. Oder etwa nicht?

Verdammt! Er wollte gar nicht darüber nachdenken, aus welchem Grund er Bennys Quengelei wegen des Picknicks nachgegeben hatte.

Er konnte allerdings nichts dagegen tun, dass das Bild der süßen Rothaarigen aus Dublin mit dem nicht ganz so süßen Pilzbefall sich immer wieder in seine Gedanken drängte, selbst noch als er wie am Fließband Brötchen halbierte und sie mit Salatblättern und Camembert belegte. Die wirren Locken fielen dieser Robyn McDonald bis weit über die hübschen, runden Schultern. Die Sommersprossen übersäten nicht nur in allen möglichen Größen ihr freches Gesicht, sondern den gesamten Körper. Die Dinger besiedelten ja sogar ihre hübschen Beine, selbst dazwischen glaubte er etliche der niedlichen Pünktchen erspäht zu haben.

Mit fast schon brutalem Eifer widmete er sich dem Picknick-Korb. Das musste jetzt sein. Diese Erregung war doch peinlich und er war ganz bestimmt keiner von den Ärzten, die sich an ihren Patientinnen aufgeilten. Aber genau so eine Frau wie diese Robyn McDonald erschien ihm seit seiner Jugend in seinen Träumen. Und jetzt war sie hier – die Frau seiner Träume!

Leider kam sie fünf Jahre zu spät.

Denn seit vier Jahren war er so verdammt vernünftig verlobt mit der Erzieherin seines Bruders. Und dann hatte er auch noch seine Prinzipien, unter anderem dieses: Betrüge niemals deine Verlobte! Und daran würde er sich halten. Auch wenn sie nachher zu dem Picknick einladen würde. Aber das war schließlich nur Gastfreundlichkeit.

* * *

Während der Doc und sein Bruder sich vorübergehend verabschiedeten, um ein paar Sandwiches zu schmieren und Getränke einzupacken, lief Robyn zur Apotheke, um das Rezept einzulösen. Mit dem ersehnten Medikament ging sie zurück in die Praxis und suchte dort ein weiteres Mal die Toilette auf. Als sie herauskam, hatte sie bereits das Gefühl, auf dem Weg der Besserung zu sein. Diese Salbe wirkte in der Tat Wunder.

„Danny fährt vor. Ich fahre mit dir und du folgst meinem Bruder“, bestimmte Benny, der sie mit einem gefüllten Weidenkorb an der blauen Tür erwartete. „Danny wartet schon in seinem schwarzen Jeep.“

Der junge Mann blickte ihr dabei mit einem derart stolzen Ausdruck ins Gesicht, dass Robyn nicht anders konnte, als ihm liebevoll über den Arm zu streicheln. „Danke für die Hilfe. Ich weiß es zu schätzen, dass ihr mir den Weg zeigt.“

„Ich heiße Benny“, sagte Benny, als sie im Mini saßen. „Eigentlich Benjamin, aber alle sagen Benny zu mir.“

„Und ich bin Robyn“, sagte Robyn und ließ den Wagen an.

„Ich weiß“, entgegnete Benny zwinkernd. „Ich habe es auf deiner Medical Card gelesen. Ich kann nämlich lesen. Ich bin überhaupt nicht doof.“

Robyn folgte dem schwarzen Jeep. Es ging durch einige beschauliche Gassen mit Kopfsteinpflaster und liebevoll restaurierten Häuschen, die mit ihren Pastellfarben gute Laune verbreiteten. Vor einem dieser Häuser hielten sie an und Benny holte seine Freundin ab, eine junge Frau in einem überdimensionierten Blümchenkleid, die ebenfalls das Down Syndrom hatte.

Sie wollte zusammen mit Benny in den Mini steigen, doch da der gesamte Rücksitz mit Robyns Campingausrüstung bedeckt war, musste sie zu Dr. Stetson in den Jeep. Das schien ihr nicht zu gefallen, wie ihrem lautstarken Gebrüll und der Weigerung, in den Jeep zu steigen, unschwer zu entnehmen war.

„Du musst nicht traurig sein. Ich liebe nur dich“, redete Benny auf sie ein. „Aber ich muss auf Robyn aufpassen. Falls Danny wieder zu schnell fährt und wir ihn aus den Augen verlieren, sage ich ihr, wo sie lang fahren muss. Wir sehen uns doch gleich wieder. Und bald heiraten wir. Okay?“

Die Aussicht auf die Heirat beruhigte sie und sie kletterte etwas umständlich in den Wagen des Arztes. Doch Bennys Sorge, den Jeep aus den Augen zu verlieren, erwies sich als vollkommen unbegründet. Schon an der nächsten Straßenecke verließen sie den Ort und an der übernächsten Kurve bogen sie in die Küstenstraße ein, die einen traumhaften Ausblick auf das Meer und die umliegende Hügellandschaft eröffnete. Auch sonst war alles ganz übersichtlich. In moderaten Schlangenlinien ging es immer geradeaus, bis nach einer Weile ein ziemlich verrostetes Schild auftauchte, auf dem stand: „Rose House 1 Meile“.

„Der Weg ist aber nicht sehr kompliziert“, sagte Robyn zu ihrem Beifahrer.

Der lächelte verschmitzt und streckte ihr die Zunge raus. „Ich habe Danny auch bloß reingelegt.“

Robyn konnte nicht anders als zu lachen. Dieser junge Mann war einfach nur liebenswert. Die Frage war nur, warum der Doc sich hatte reinlegen lassen? Die einzig mögliche Antwort darauf zauberte ihr ein weiteres Lächeln aufs Gesicht. Die pure Hilfsbereitschaft einer Fremden gegenüber war das sicher nicht. Es konnte nur bedeuten, dass auch er nicht abgeneigt war, ein wenig Zeit mit ihr zu verbringen.

Sie hielten vor einem breiten, schmiedeeisernen Tor.

Dr. Stetson sprang aus dem Jeep und kam mit langen Schritten auf sie zu. Er trug jetzt lässige, an den Knöcheln aufgekrempelte Jeans zu seinem weißen Poloshirt und seine Füße steckten in grauen Vans. Allein sein Anblick feuerte ihren Puls an und sie atmete schnell so viel salzige Meerluft wie möglich ein, die sich an diesem Ort mit Waldduft und irgendwie auch mit dem Duft von Rosen vermischte.

„Das Tor ist abgeschlossen“, rief ihr der Doc entgegen, während sie ihre Atemübungen absolvierte. „Auf dem Gelände sind die Filmarbeiten im Gange. Ich glaube nicht, dass die Sie jetzt schon reinlassen.“

„Filmarbeiten?“ Okay. Genug geatmet. Nicht dass sie noch hyperventilierte und dem Doktor vor die Füße kippte. Obwohl ... Schluss jetzt! Sie war hier mit ihm, das war fast schon ein Date und alles weitere würde sich von jetzt an entwickeln. Schließlich waren sie jetzt Bekannte, oder etwa nicht?

Robyn verließ ebenfalls den Wagen. Neugierig spähte sie durch die Gitterstäbe. Sie erkannte eine unendlich lange, von Rosenbüschen gesäumte Einfahrt, an deren Ende sich ein imposantes Herrenhaus befand. Daneben standen einige Wohnwagen und über das Dach des Hauses schwenkte ein Kamerakran.

„Wussten Sie nicht, dass die Produktionsfirma eine komplette Staffel der Serie, in der Jack die Hauptrolle spielt, in Irland dreht?“ Der Arzt sah Robyn erstaunt an.

Sie hatte darüber im Internet gelesen, aber sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Dreharbeiten ausgerechnet heute stattfanden.

Inzwischen war Benny ebenfalls aus dem Wagen ausgestiegen.

„Wollt ihr Wurzeln schlagen?“, fragte er, wobei er dermaßen schmollend den Mund verzog, dass Robyn nur mit Mühe ernst blieb. Schließlich hatte sie keine Ahnung, wie man mit einem Behinderten umzugehen hatte. Immerhin könnte er sich von ihr ausgelacht fühlen, obwohl sie ihn einfach nur zum Knuddeln fand.

„Ich will euch nicht weiter aufhalten. Fahrt ihr nur zu eurem Picknick. Vielen herzlichen Dank für das Geleit.“ Sie streckte Benny zum Abschied eine Hand entgegen.

„Kommst du nicht mit uns?“ Enttäuschung machte sich auf seinem gutmütigen Gesicht breit.

Dieses Mal gelang es Robyn nicht, das Lachen zu unterdrücken.

„Ach, Benny, du bist süß“, gluckste sie und nahm ihn in den Arm. „Aber ich will euch nicht stören. Ich rufe einfach meinen zukünftigen Chef an und frage, ob ich schon früher rein darf.“