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Verletzte Herzen, verbotene Gefühle – Heilung beginnt im L.A. Metro. Dr. Kimberly Donovans Leben gleicht einem Scherbenhaufen. Nicht nur, dass ihre ärztliche Moral angezweifelt wird – kurz darauf wird sie auch noch von ihrer Familie und ihrer Geliebten betrogen. Fest entschlossen, einen Neuanfang zu wagen, flieht sie nach Kalifornien, ans L.A. Metropolitan Hospital. Dr. Jess McKenna, Leiterin der Notaufnahme am L.A. Metro, verleiht dem Ausdruck emotional zurückhaltend eine völlig neue Bedeutung, aber das hat seine Gründe. Als Kim und Jess sich kennenlernen, spüren sie sofort eine große Anziehungskraft. Gefühle, die Jess seit Jahren unterdrückt hat, erwachen in ihr, wecken aber auch düstere Erinnerungen. Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, beschließen die beiden Frauen, nur Freundinnen zu sein – insgeheim aber wünschen sich beide mehr. Werden die Dämonen der Vergangenheit ihre gemeinsame Zukunft zerstören, bevor sie überhaupt begonnen hat? Oder kann das L.A. Metro nicht nur Kranke, sondern auch verwundete Herzen heilen?
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Seitenzahl: 472
Veröffentlichungsjahr: 2015
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DANKSAGUNG
Ein herzliches Dankeschön an den Ylva Verlag, der meinen Romanen ein neues Zuhause gegeben und die deutsche Übersetzung von L.A. Metro möglich gemacht hat.
WIDMUNG
Für all meine Leserinnen und Leser weltweit
KAPITEL 1
Dichter, brauner Dunst hüllte die oberen Stockwerke des städtischen Krankenhauses von Los Angeles ein. Die Luft flirrte über dem Asphalt des Parkplatzes. Als Dr. Kimberly Donovan aus dem Auto stieg, brannte ihr die schwere Luft in der Nase und die Hitze schlug wie eine Welle über ihr zusammen. Ah, August in L.A. Die Freuden der Smogwarnungen. Sie strich sich das feuchte, blonde Haar aus dem Gesicht. Trotz des Wetters und der Umstände, die sie herführten, war Kim froh, wieder in Kalifornien zu sein. Sie war mehr als bereit für einen Neuanfang.
Kim fuhr hinauf zur Abteilung für Seelenheilkunde im dritten Stock. Das Namensschild an der Tür ließ sie lächeln: Dr. Philip Alerman, Leiter der Psychiatrie. Sein Wechsel zu einem anderen Krankenhaus scheint sich bezahlt gemacht zu haben. Für mich wird es das hoffentlich auch.
Gerade, als sie nach der Klinke greifen wollte, ging die Tür auf.
»Hallo, Kim«, sagte Philip. »Willkommen im L.A. Metro. Bereit, loszulegen?«
Kim lächelte herzlich, während sie Philip die Hand schüttelte. »Ja. Ich freue mich drauf.« Sein gelocktes, braunes Haar war dünner, als Kim es von der Zeit ihrer Facharztausbildung in Erinnerung hatte, doch seine große Gestalt war immer noch schlank und er trug die gleiche runde Brille mit Drahtgestell. »Danke, dass du mein Verfahren vor dem Prüfungsausschuss beschleunigt hast. Ich bin froh, dass es keine Schwierigkeiten mit den Unterlagen vom Memorial gab.«
Philip schüttelte den Kopf. »Nach dem, was vorgefallen ist, glaube ich nicht, dass Dr. Pruitt sich getraut hätte, deine Papiere zurückzuhalten.«
Kim verzog das Gesicht, während der Zorn über ihren früheren Chef sie durchflutete. Du kennst ihn nicht so gut wie ich. Ich würde es ihm zutrauen. Sie seufzte und schob das ungute Gefühl beiseite. »Du hast recht. Ich bin sicher, dass er drei Kreuze gemacht hat, als ich endlich weg war und er mich aus seinem Gedächtnis streichen konnte.«
Philip drückte kurz Kims Schulter. »Mach dir darüber keine Gedanken. Es ist deren Verlust. Wie ich dir schon am Telefon gesagt habe, sind wir unterbesetzt und brauchen die Hilfe einer fähigen Psychiaterin.«
Ihre Anspannung löste sich ein wenig und Kim lächelte. »Danke Philip. Ich weiß deine Unterstützung zu schätzen.«
»Gerne doch«, gab Philip zurück. Er blickte auf seine Uhr. »Die morgendliche Durchsicht der Krankenblätter sollte fast abgeschlossen sein. Lass uns im Personalraum vorbeischauen, dort kann ich dich den anderen vorstellen.«
Philip führte sie zu einer Flügeltür, hinter der die psychiatrische Station lag. Er blieb stehen und gab eine Zahlenfolge über die Tastatur neben der Tür ein, dann drehte er sich zu Kim. »Die Stationssekretärin wird dir alle Codes für die Türen und auch einen Pager aushändigen.«
Kim folgte Philip den Flur hinunter, vorbei am Schwesternzimmer, zum Personalraum. Mehrere Mitarbeiter saßen an einem großen, runden, mit Patientenakten übersäten Tisch.
»Guten Morgen.« Philip trat näher. »Ich habe uns die dringend benötigte Verstärkung mitgebracht.« Er drehte sich um und winkte Kim zu sich heran. »Das hier ist Dr. Kimberly Donovan. Sie ist unsere neue Psychiaterin.« Alle am Tisch winkten oder lächelten. »Kim, ich möchte dir einige Teammitglieder vorstellen.«
Mit einer kurzen Handbewegung in die entsprechende Richtung stellte er die einzelnen Kollegen vor. Es gab zwei Psychiater und drei Pfleger. »Jetzt, da du alle kennst, sollten wir …« Philips Pager begann zu piepen. »Entschuldigung.« Er klappte den Pager auf und warf einen Blick aufs Display. »Tut mir leid, Kim. Darum muss ich mich kümmern. Warum bleibst du nicht einfach hier und machst dich mit allem vertraut? Ich bin schnellstmöglich zurück.«
Kim sah ihm einen Moment lang nach und wandte sich dann ihren neuen Kollegen zu. Sie fühlte sich etwas befangen, schob das Gefühl dann aber entschieden von sich. Wird Zeit herauszufinden, wie es hier tatsächlich läuft. Kim hatte die Erfahrung gemacht, dass man die wichtigsten Informationen dann bekam, wenn der Vorgesetzte abwesend war.
Als sich die Tür hinter Philip schloss, schob Trent, einer der Pfleger, ihr den Stuhl neben sich zu. »Nehmen Sie doch Platz, Dr. Donovan«, sagte er mit einem freundlichen Lächeln.
Die Mitarbeiter erklärten ihr die Abteilungsabläufe und Rotationssysteme. Kim zuckte innerlich zusammen, als es schließlich um die Notaufnahme ging. Allein der Begriff weckte umgehend Erinnerungen an ihre frühere Geliebte, die diesen Bereich am Memorial geleitet hatte. Sie waren nicht im Guten auseinandergegangen.
»Mit den meisten Stationen klappt die Zusammenarbeit recht gut«, meinte Dr. Roberts. Der kleine, untersetzte Mann mit dunkelblondem Haar war einer der angestellten Psychiater. »Aber passen Sie bloß auf, wenn Sie Dienst in der Notaufnahme haben. Die Leiterin kann ein eiskalter Klotz sein.«
Kim rollte innerlich die Augen. Na wunderbar. Genau das brauche ich. Noch nicht mal einen Tag hier und schon höre ich Gerüchte über die Chefin der Notfallstation.
»Jetzt sind Sie aber ungerecht, Dr. Roberts«, meldete sich Trent zu Wort. »Okay, sie ist ein Eisklotz, aber Sie müssen zugeben, dass sie dabei eine ziemlich gute Figur macht.«
Trent und Dr. Roberts lachten, die beiden Krankenschwestern am Tisch wechselten einen genervten Blick.
Obwohl Kim gern mehr über diese Kollegin wissen wollte, verlor sie das Verhalten der Anwesenden nicht aus den Augen.
Dr. Kapoor, ein weiterer Psychiater, räusperte sich. »Ich bin mir sicher, dass Dr. Donovan durchaus in der Lage ist, sich selbst eine Meinung über die jeweilige Stationsleitung zu bilden.« Er starrte Dr. Roberts unverblümt an. »Es wäre wahrscheinlich hilfreicher, ihr mitzuteilen, was sie beim Dienst in der Rettungsstelle zu beachten hat, als ihr Dr. McKennas Unzulänglichkeiten aufzuzeigen.«
Dr. Roberts warf Dr. Kapoor einen giftigen Blick zu.
Die Tür öffnete sich und Philip trat ein. Er ging rüber zu Kims Stuhl. »Entschuldige die Verzögerung. Komm, ich zeige dir den Rest des Krankenhauses.«
Philip blieb stehen, als sie wieder bei den Fahrstühlen ankamen. Sie hatten alle Abteilungen besucht, mit denen die psychiatrische Station zusammenarbeitete, bis auf die Notaufnahme. »Als nächstes müssen wir noch ins Büro des Personalchefs. Ich glaube, ich sollte dich vorwarnen. Manchmal kann Dr. Rodman ziemlich arrogant und herablassend sein, aber er ist ein großartiger Chirurg und wir versuchen, alles andere einfach zu ignorieren. Du wirst zwar nicht jeden Tag mit ihm zu tun haben, aber er möchte alle neuen Mitarbeiter kennenlernen. Danach ist die Notaufnahme dran.«
Im Vorzimmer wurden sie von der Sekretärin begrüßt, die sie ins eigentliche Büro führte. »Dr. Rodman empfängt Sie jetzt.«
Kim trat nach Philip ein und warf einen ersten Blick auf den Personalleiter. Obwohl er hinter dem Schreibtisch saß, konnte Kim erkennen, dass er klein war. Er war schlank mit dünnem, mausbraunem Haar, das er quer gekämmt hatte, um ganz offensichtlich eine große kahle Stelle zu verdecken. Als er sich aus seinem Stuhl erhob und in den Raum trat, erwies er sich als noch kleiner, als Kim gedacht hatte.
Philip stellte sie einander vor. Kims Augen verengten sich, als Dr. Rodman sie ohne Hast von oben bis unten musterte und mit dem Blick auf ihren Brüsten verharrte, bevor er ihr endlich in die Augen sah.
»Es freut mich, Sie kennenzulernen, Dr. Donovan. Bitte lassen Sie es mich sofort wissen, wenn es irgendetwas gibt, wobei ich Ihnen helfen kann – was es auch immer sein mag.« Während er sprach, ruhte sein Blick wieder auf ihrem Busen. »Meine Tür steht Ihnen jederzeit offen.«
Kim schaute ihn angewidert an. »Ich bin sicher, das wird nicht nötig sein.«
»Wir wollen Sie nicht länger aufhalten, Dr. Rodman. Danke, dass Sie für uns Zeit hatten.« Philip führte sie schnell aus dem Raum.
Auf dem Weg zum Fahrstuhl sprach keiner von ihnen.
Schließlich brach Philip das unangenehme Schweigen. »Es tut mir wirklich leid, dass du das gerade mitmachen musstest, Kim.«
»Wie kommt der Kerl mit so einem Verhalten heutzutage noch durch?«
Philip schnitt eine Grimasse. »Ich will sein rüpelhaftes Benehmen nicht verteidigen, aber er ist ein begnadeter Chirurg. Ehrlich, so ekelhaft hat er sich bisher noch nie aufgeführt. Arrogant sicherlich, aber solche Mätzchen hat er noch nie gemacht. Allerdings kann es gut sein, dass man sich für unantastbar hält, wenn man einen Bruder im Kuratorium hat. Bisher war das zumindest der Fall.«
Kim schüttelte ihren Kopf. Es war nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Mal, dass man ihr auf diese Weise begegnete.
»Glücklicherweise hast du nichts weiter mit ihm zu tun«, sagte Philip und lachte leise. »Es wird dich freuen zu hören, dass er um die Psychiatrie einen großen Bogen macht. Aber egal, reden wir nicht mehr von ihm, ab zur Notaufnahme. Wie wir schon im Vorstellungsgespräch besprochen haben, möchte ich, dass du als Vermittlerin zwischen Notaufnahme und Psychiatrie fungierst. Wir hatten einige Konflikte mit den Mitarbeitern dort.«
Kim musste sofort an Dr. Roberts denken. Ich verstehe auch, warum, falls sich alle in der Psychiatrie wie er verhalten. Sie fragte sich unwillkürlich, ob er einfach ein Problem mit Frauen in Führungspositionen hatte. Kim wischte die nutzlosen Spekulationen beiseite. Sie würde es früh genug herausfinden.
»Falls sie nicht zu beschäftigt ist, möchte ich dir gern Dr. McKenna vorstellen«, meinte Philip. »Ihr beide werdet ständig miteinander zu tun haben. Sie führt die Notaufnahme mit strenger Hand, aber sie ist dennoch sehr mitfühlend mit ihren Patienten und eine großartige Medizinerin. Es dauert nur eine Weile, bis man sich an ihr unterkühltes Wesen gewöhnt hat. Das kann einen doch etwas entmutigen.«
Kim folgte Philip in den Fahrstuhl, während sie sich fragte, worauf sie sich da eingelassen hatte.
Der Warteraum der Notaufnahme glich wie üblich einem Tollhaus. Zahlreiche Patienten harrten auf ihren Stühlen aus. Am Empfangstresen in der Ecke hatte sich eine Schlange von Leuten gebildet, die sich anmelden wollten.
Philip ging um den Tresen herum und schob sich durch die Doppeltür, die in die eigentliche Notaufnahme führte. Medizinisches Personal umkreiste den großen runden Arbeitsbereich der Pflegekräfte. Auf dem Flur vor den Schockräumen herrschte reger Verkehr. Trotz des ganzen Chaos war unverkennbar die grundlegende Struktur einer gut geführten Notaufnahme zu spüren. Kim folgte Philip, als er an das Rondell herantrat. Eine Frau Ende zwanzig, leicht übergewichtig, das rote Haar in einem modischen Kurzhaarschnitt und mit hübschen, grünen Augen saß dahinter.
»Penny, hat Dr. McKenna gerade Zeit?«, fragte Philip.
»Hallo, Dr. Alerman. Zuletzt habe ich sie im Gemeinschaftsraum gesehen.«
»Danke, Penny. Ach, bevor ich’s vergesse. Das hier ist Dr. Donovan. Sie ist unsere neue Psychiaterin. Bitte gehen Sie ihr zur Hand, falls nötig, okay?«
»Sicher, Dr. Alerman.« Penny nickte Kim zu und lächelte. »Dr. Donovan.«
»Hallo, Penny«, erwiderte Kim.
Philip bedeutete Kim, ihm zu folgen. Auf dem Weg den Flur hinunter erzählte er ihr von der Kollegin vom Empfang. »Penny ist die erfahrenste Verwaltungsmitarbeiterin in der Notaufnahme. Es gibt keine Abteilung, in der nicht jemand sitzt, den sie kennt. Und sie vollbringt wahre Wunder beim Umwälzen des Papierkrams.«
An der Tür mit der Aufschrift Personalraum angekommen, drückte Philip die Klinke hinunter und ließ Kim zuerst eintreten. An einem der Tische arbeitete sich eine Frau durch einen Stapel Krankenakten. Ihr Kopf war gesenkt und schwarzes Haar verdeckte teilweise ihr Gesicht. Kim bewunderte die breiten Schultern und den muskulösen Bizeps, der unterhalb der Ärmel ihres OP-Hemds zu sehen war. Auch als die Frau aufsah, konnte Kim nicht wegschauen. Wenn das Jess McKenna war, hatte Trent nicht übertrieben. Sie sah in der Tat absolut umwerfend aus.
»Dr. Alerman, kann ich Ihnen behilflich sein?«, fragte die Frau.
»Ich bin hier, um Ihnen die neue psychiatrische Ansprechpartnerin vorzustellen, von der ich Ihnen berichtet habe: Dr. Kim Donovan. Ich weiß, dass es zwischen unseren Abteilungen einige Probleme gab. Ich hoffe, dass wir mit Dr. Donovans Hilfe die Zusammenarbeit mit der Notaufnahme verbessern können.« Philip wandte sich an Kim. »Kim, das hier ist die Stationschefin, Dr. Jess McKenna.«
Kim ließ ihren Blick kurz über den hochgewachsenen Körper der nun stehenden Dr. McKenna gleiten, bevor sie ihr in die Augen schaute.
»Schön, Sie kennenzulernen, Dr. Donovan.« Dr. McKennas Stimme war tief und rau.
Bevor sie reagieren konnte, wurde ihr Blick von unglaublich blauen Augen festgehalten, wie Kim sie niemals zuvor gesehen hatte. Sie waren atemberaubend. Während sie sich ansahen, wechselte ihre Farbe zu einem faszinierenden Silberblau. Kim hörte, wie Philip sich räusperte, riss sich von diesen markanten Augen los und bemühte sich, ihre Stimme wiederzufinden.
»Schön, Sie kennenzulernen, Dr. McKenna«, sagte sie und bemerkte endlich, dass die Frau ihre Hand ausstreckte. Mit festem Griff umfasste sie Kims Finger.
Sie blickte Dr. McKenna wieder ins Gesicht und entdeckte ein leichtes Flackern in den einnehmenden blauen Augen, bevor sie fast silbern und ausdruckslos wurden.
»Okay, Kim, ich muss zurück zur Psychiatrie«, sagte Philip. »Wenn du hier fertig bist, komm bitte zurück auf die Etage, damit ich dir alles Weitere zeigen kann. Bis dahin lasse ich dich in den fähigen Händen von Dr. McKenna.«
Kim schüttelte sich innerlich, um ihre Fassung wiederzuerlangen. Ihre heftige Reaktion auf die Leiterin der Notaufnahme hatte sie aus dem Gleichgewicht gebracht. Sie wandte sich wieder ihrem Chef zu. »Danke, Philip. Ich sehe dich dann nachher.«
»Bis später«, sagte Philip und wandte sich zur Tür. Kurz bevor er hinausging, hielt er inne. »Passen Sie gut auf sie auf, Dr. McKenna. Wir wollen sie nicht gleich am ersten Tag verschrecken.«
Dr. McKenna nickte stumm. Als sich die Tür hinter Philip schloss, wandte sie sich zu Kim. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen? Ich gebe Ihnen dann erst mal eine Führung durch die Station und mache Sie mit unseren Abläufen vertraut.« Ohne eine Antwort abzuwarten, ging Dr. McKenna zur Tür.
Kim war verblüfft über das Verhalten. Sie hatte ein »Herzlich willkommen!« erwartet oder wenigstens den Versuch, mit der neuen Kollegin ins Gespräch zu kommen. Philip hat dich gewarnt. Kim eilte ihr nach.
Sie hatten den Personalraum kaum verlassen, als jemand nach Dr. McKenna rief. Kim sah, wie eine junge Asiatin durch den Flur auf sie zustürmte.
Kim warf einen Blick auf das Namensschildchen der Frau, die schlitternd vor ihnen zum Stehen kam. Das musste eine von Dr. McKennas Assistenzärztinnen sein.
»Was kann ich für Sie tun, Dr. Phan?«, fragte Dr. McKenna.
»Der Patient, den Sie sich vorhin mit mir in Bett drei angesehen haben, klagt immer noch über Brustschmerzen. Sein EKG war in Ordnung. Ich warte immer noch auf seine Herzenzyme aus dem Labor. Seine restliche Blutanalyse war ohne Befund.«
»In seiner Vorgeschichte gibt es keine Hinweise auf Herzbeschwerden, richtig?«, fragte Dr. McKenna.
»Überhaupt keine.«
»Irgendwelche Anzeichen von Arrhythmie?«
»Nein.«
»Und wie alt ist er?«
Die Assistenzärztin durchblätterte schnell ihre Unterlagen. »Einundvierzig.«
»Ihr Patient hat immer noch Schmerzen, was machen Sie also als Nächstes?«, fragte Dr. McKenna.
Dr. Phan blickte auf ihre Notizen und dann schnell zurück zu Dr. McKenna. »Bis jetzt waren alle Tests auf einen Herzinfarkt negativ.« Sie zögerte einen Moment und sprach dann weiter: »Ich würde vorschlagen, ein flüssiges Antacidum zu geben, während wir auf die Herzenzyme warten. Falls das nicht hilft, eventuell ein Nitratpflaster.«
»Gut. Versuchen Sie es mit Antacidum und schauen Sie, ob das hilft. Wenn die Enzyme zurück sind, bewerten Sie die Lage neu und entscheiden, ob das Nitrat gerechtfertigt ist. Holen Sie sich Dr. Bates zur Verstärkung, falls Sie noch Hilfe brauchen.«
»Danke, Dr. McKenna.«
Kim schüttelte den Kopf, während sie der davonrennenden Ärztin hinterherschaute. »Darf ich raten? Neue Assistenzärztin?«
»Ja, stimmt. Entschuldigen Sie die Unterbrechung.«
Kim bemühte sich mit Dr. McKenna Schritt zu halten, die sich ohne ein weiteres Wort umdrehte und den Flur entlanglief.
Auf ihrer Tour durch die Notaufnahme stellte Dr. McKenna ihr einige der Mitarbeiter vor und zeigte ihr auch den letzten Winkel der Station. Sie erklärte die Vorgehensweise, bevor die Psychiatrie zu einem Fall dazu gerufen wurde, und die Krankenhausvorschriften bezüglich der Fixierung von Patienten. Kim sah sehr genau hin, sobald Mitarbeiter mit Fragen und Problemen an Dr. McKenna herantraten. Ihre Reaktion war stets genau wie bei Dr. Phan, knapp und professionell. Es gab kein Geplänkel und keine Kameradschaft, wie Kim sie auf anderen Stationen beobachtet hatte. In einer Umgebung mit einem so hohen Stressfaktor war das schon fast eine Notwendigkeit.
Obwohl Kim spürte, dass Dr. McKenna es als Vorgesetze offenbar für erforderlich hielt, Distanz zu ihren Mitarbeitern zu wahren, schien doch mehr hinter ihrem Verhalten zu stecken. Sie hatte bisher noch nicht gesehen, dass Dr. McKenna auch nur ansatzweise gelächelt hätte. Kim fragte sich, ob diese Frau ihre Gefühle auch im Privatleben so stark kontrollierte. Trotz ihrer zurückweisenden Art fühlte sich Kim unfreiwillig zu ihr hingezogen.
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Dr. McKenna vor der Tür zum Pausenraum stehen blieb.
»Ich denke, wir sind durch«, sagte Dr. McKenna.
Kim lächelte. »Danke für den Rundgang und dass Sie sich Zeit für mich genommen haben.«
»Keine Ursache. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«
»Im Augenblick fallen mir keine ein«, antwortete Kim.
»Gut, ich muss zurück an die Arbeit.« Damit drehte sich Dr. McKenna um und ging den Flur entlang in den hinteren Teil der Notaufnahme.
Kim sah ihr eine Weile nach. Als sie merkte, was sie tat, drehte sie sich weg. Bleib professionell, rügte sie sich selbst, als sie die Notaufnahme verließ. Noch so ein Verhältnis wie dein letztes brauchst du wirklich nicht. Außerdem weißt du doch gar nicht, ob sie lesbisch ist.
KAPITEL 2
Jess stand neben dem Schwesternterminal, während sie darauf wartete, dass ihre Zielperson aus dem Behandlungsraum kam. Als sie Pennys Blick auf sich spürte, griff sie wahllos ein Krankenblatt aus dem Ständer.
Jess starrte auf die Akte, ohne sie zu wirklich zu sehen. Das ist keine gute Idee. Obwohl sie sich das bereits seit Tagen sagte, war sie dennoch hier. Sie wartete darauf, dass Chris Roberts seine Behandlung beendete, um mit ihm zu sprechen. Normalerweise konnte sie mit dem Mann nicht viel anfangen. Er hatte mehrmals betont, dass ihm die Arbeit in der Notaufnahme nicht gefiel. In diesem Fall könnte er sich jedoch als nützlich erweisen.
Aus unerfindlichen Gründen ging ihr Kim Donovan einfach nicht aus dem Kopf. Die gut aussehende Psychiaterin beherrschte seit ihrem kurzen Treffen vor drei Wochen ihre Gedanken. Wider besseres Wissen hatte sie sich vorgenommen, mehr über die Frau zu erfahren, die nächste Woche in der Notaufnahme Dienst haben würde.
Deshalb wartete sie auf Roberts. Wenn irgendjemand in der Psychiatrie etwas über Kim Donovan wusste, dann war er es. Jess war sich sicher, dass er Kim bereits gefragt hatte, ob sie mit ihm ausgehe. Nicht, dass sie ihm das zum Vorwurf machen konnte, aber in diesem Fall würde sie ihr nächstes Gehalt darauf verwetten, dass er damit keinen Erfolg gehabt hatte.
Jess hätte schwören können, dass Kim sie mit mehr als nur flüchtigem Interesse gemustert hatte, während Philip sie einander vorgestellt hatte, aber da war noch mehr. Sie hatte sich ohne Weiteres eingestanden, dass sie sich zu Kim hingezogen fühlte. Wer würde das nicht? Es fing an mit ihren schulterlangen blonden Locken und den warmen, himmelblauen Augen. Zusammen mit einem wunderschönen Gesicht und dem hochgewachsenen, schlanken Körper ergab das eine atemberaubende Erscheinung. Jess erinnerte sich lebhaft daran, wie sich ihre Blicke das erste Mal getroffen hatten. Ein starker Strom schien zwischen ihnen zu pulsieren. Es war, gelinde gesagt, beunruhigend. Selbst jetzt noch fragte sich Jess, ob sie sich das nur eingebildet hatte.
Eine gegen die Wand knallende Rolltrage riss Jess aus ihren Gedanken. Sie fluchte leise vor sich hin, als sie merkte, das Roberts an ihr vorbeigelaufen war, während sie vor sich hingeträumt hatte.
»Dr. Roberts«, rief sie ihm nach. Jess erreichte ihn gerade noch am Fahrstuhl. Die Türen öffneten sich.
»Was?«, fragte er ungeduldig.
»Ich möchte kurz mit Ihnen sprechen«, sagte Jess.
»Okay.« Roberts bedeutete den Leuten im Fahrstuhl, dass sie ohne ihn fahren sollten. Er drehte sich missmutig zu Jess um.
Jetzt, da sie vor ihm stand, fand Jess ihre Idee nicht mehr ganz so gut. Plötzlich fehlten ihr die Worte, was wirklich nicht oft bei ihr vorkam. Ich wusste, das war ein blöder Einfall.
»Gibt es ein Problem?«, fragte Roberts. »Ich werde in der Psychiatrie erwartet.«
Jess rang nach Worten. Warum hatte sie nicht darüber nachgedacht, was sie sagen wollte, bevor sie Roberts angesprochen hatte? »Denken Sie, in die Akte Ihres Patienten von eben gehört ein Vermerk wegen eventuellen Suchtverhaltens?«
»Ja. Das habe ich bereits Ihrem Assistenzarzt gesagt.«
»Okay. Gut. Wie läuft es denn so mit der neuen Psychiaterin?« Tolle Überleitung, du Genie. »Äh … Dr. Donovan … nicht wahr?« Als würdest du ihren Namen nicht ganz genau kennen!
»Kim gewöhnt sich gut ein«, sagte Roberts. Seine Verwirrung war ihm deutlich anzusehen. »Wollten Sie sonst noch etwas?«
»Nein, das war’s. Danke.« Jess drehte sich um und ging schnell davon. Großartig! Jetzt hast du dich zur Idiotin gemacht. Deshalb machst du so was nie. Du kannst das einfach nicht. Bleib professionell. Dass du dich für eine Arbeitskollegin interessierst, ist das Letzte, was du brauchst. Das hat doch schon beim letzten Mal so wunderbar geklappt, sagte sie sich sarkastisch.
Kim nahm sich ein leeres Tablett und ging zur Essenausgabe der Cafeteria. Als jemand ihren Namen rief, blickte sie auf. Sie lächelte und winkte, als sie Brenda – eine der Fachkrankenschwestern der Psychiatrie – entdeckte. Dann wählte sie ihr Essen und ging zu Brendas Tisch.
»Wie ich sehe, haben Sie sich entschieden, heute mal Ihren Elfenbeinturm zu verlassen«, sagte Brenda.
Kim lachte, während sie sich setzte. Brenda war eine temperamentvolle Afroamerikanerin mittleren Alters. Sie hatte Kim unter ihre Fittiche genommen.
»Es fühlt sich schon gut an, mal für eine Weile aus der eigenen Abteilung rauszukommen und sich anzuschauen, wie die andere Hälfte der Bevölkerung lebt … sozusagen«, entgegnete Kim. Das war einer der Gründe, warum sie den regelmäßigen Wechsel in die Notaufnahme mochte. Ein längerer Aufenthalt in der psychiatrischen Abteilung konnte schon sehr einsam machen.
»Sind Sie bereit für die Verrückten aus der Notaufnahme nächste Woche?«, fragte Brenda. »Und ich spreche nicht von den Patienten.«
Kim schmunzelte. »Ich bin sicher, ich komme mit allem zurecht, was sie mir vor die Nase setzen.«
»Das dachte ich mir schon«, sagte Brenda. »Also, ich muss wieder auf die Station. In einer Stunde beginnt das Gruppentreffen. Ich sehe Sie oben.« Sie nahm ihr Tablett, winkte kurz und ging zum Ausgang.
Kim sah Brenda einen Moment nach. Es war kaum zu glauben, dass sie bereits seit drei Wochen im L.A. Metro war. Die Zeit war wie im Flug vergangen.
Auch wenn sie sehr damit beschäftigt war, die Kolleginnen und Kollegen der Psychiatrie kennenzulernen und sich einzugewöhnen, dachte sie doch oft an die gut aussehende Leiterin der Notaufnahme und die kurze Zeit, die sie an ihrem ersten Tag miteinander verbracht hatten.
Noch nie hatte sie so stark auf jemanden reagiert wie auf Jess McKenna. Sie wusste nicht, ob sie sich auf ihre erste Schicht in der Notaufnahme nächste Woche freuen sollte oder nicht.
Schluss damit! Kim richtete ihre Aufmerksamkeit auf das Krankenblatt, das sie mitgebracht hatte. Sie hob den Kopf, als ein Schatten darauf fiel.
»Hallo, Kim, was dagegen, wenn ich mich zu Ihnen setze?«
Kim lächelte Chris Roberts an. »Hi, Chris. Setzen Sie sich.« Trotz des anfänglich schlechten Eindrucks, den Chris durch das hässliche Gerede über Jess McKenna gemacht hatte, hatte er sich als guter Kollege entpuppt. Sie hatte in ihrer ersten Woche eng mit ihm zusammengearbeitet, fand ihn sehr hilfsbereit und umgänglich. »Wie lief die Konsultation in der Notaufnahme?«
Mit mürrischem Gesicht stellte Chris sein Tablett ab und setzte sich auf den Stuhl neben Kim. »Inkompetent wie immer da unten. Es sollte keinen Psychiater brauchen, um einen Junkie auf Drogensuche zu erkennen. Man sollte meinen, dass McKenna ihre Assistenzärzte besser geschult hätte.«
Kim zwang sich, unbeteiligt zu wirken. Ich wette, das ist nur die Hälfte der Wahrheit. Was ist nur zwischen ihm und Jess McKenna? Sie war sich immer noch nicht sicher, ob sein Missfallen der Notaufnahme allgemein oder Jess im Besonderen galt. Während der letzten zwei Wochen hatte er im Notfallbereich gearbeitet und sich unentwegt beschwert.
Chris nahm den Pager von seinem Gürtel und schaltete ihn aus. Auf Kims Stirnrunzeln hin sagte er: »Ich habe Mittagspause.«
Obwohl sein Verhalten sie ärgerte, wusste Kim, dass sie nichts machen konnte – noch nicht. Kein Wunder, dass es Probleme zwischen der Notaufnahme und der Psychiatrie gibt. »Also, die gute Nachricht ist, dass Sie es nur noch heute ertragen müssen«, sagte Kim. »Ab Montag übernehme ich.«
»Ah, da fällt mir ein: Seien Sie gewarnt. Ich habe keine Ahnung, was sie vorhat, aber McKenna hielt mich auf, als ich gerade gehen wollte und fragte nach Ihnen.«
Für einen Moment flackerten Bedenken auf, dann zuckte sie mit den Schultern. Sie fand es nicht ungewöhnlich, dass Leute sich hinter dem Rücken neuer Mitarbeiter über diese erkundigten. »Was wollte sie wissen?«
»Das ist ja das Seltsame. Sie fragte, wie es so läuft mit Ihnen. So etwas hat sie noch nie gemacht. Deshalb möchte ich Ihnen empfehlen, während Ihrer Dienstzeiten in der Notaufnahme vorsichtig zu sein.«
Kim wurde mulmig. Zieh keine voreiligen Schlüsse. Falls sie herausgefunden hat, was im Memorial passiert ist, dann ist das eben so. Du hast nichts falsch gemacht. Sie schob ihr Tablett weg. Der Appetit war ihr vergangen. »Okay. Danke. Ich sollte wieder zurück auf die Station gehen.«
Chris legte ihr behutsam eine Hand auf den Arm, als sie aufstehen wollte. »Warten Sie eine Sekunde«, sagte er.
Kim blickte Chris fragend an, während sie sich wieder setzte. In ihrem Kopf begannen leise Alarmglocken zu klingeln, während er auf den Tisch starrte und nervös hin und her rutschte.
»Ich weiß, für einen Freitagabend ist es etwas kurzfristig.« Chris schaute auf und begegnete Kims Blick. »Würden Sie heute Abend mit mir Essen gehen?«
Kim seufzte innerlich. Er hatte diese Wir-könnten-uns-als-neue-Kollegen-doch-mal-treffen-Masche bereits letzte Woche versucht. Du hättest es ihm sagen sollen, statt einfach nur dankend abzulehnen. Wenn Kim eines nicht war, dann eine Schranklesbe. Sie hatte ihre sexuelle Orientierung am Arbeitsplatz nie in den Vordergrund gestellt, sie aber auch nicht verleugnet. Zum ersten Mal zögerte sie, rügte sich aber sofort dafür. Wir sind hier nicht im Memorial. Philip weiß nicht nur Bescheid, er unterstützt dich auch.
»Wir können es auch auf ein anderes Mal verschieben, falls Sie keine Zeit haben«, meinte Chris, ihr Zögern missverstehend.
Kim verfluchte Dr. Pruitt in Gedanken dafür, dass er sie so verunsichert hatte. Sag es ihm einfach. »Danke, aber nein danke.« Sie hob eine Hand, damit Chris sie nicht unterbrach. »Ich will ehrlich mit Ihnen sein. Ich bin lesbisch.«
Chris’ Kiefer klappte nach unten, dann blickte er auf den Tisch. Sein Gesicht wurde völlig ausdruckslos.
Kim wappnete sich für seine Reaktion.
Schließlich sah Chris auf. »Damit hatte ich jetzt nicht gerechnet.« Er schüttelte den Kopf und sein Lächeln kehrte zurück. Er schien seine Fassung wiederzugewinnen. »Sind Sie sicher?«, in seinen Augen blitzte der Schalk, obwohl er sich halb ernst anhörte.
Kims Lachen klang erleichterter, als sie sich eingestehen wollte. »Ganz sicher.« Sie stand auf und nahm ihr Tablett. »Ich sollte jetzt wirklich zurück auf die Station gehen.«
»Okay, ich sehe Sie dann später oben«, sagte Chris. Er grinste zu Kim hoch. »Oh, und falls Sie jemals Ihre Meinung über diese Sache mit den Männern ändern sollten …«
Kim war froh, dass Chris ihr Outing so entspannt aufnahm. Sie schüttelte den Kopf und lachte. »An Ihrer Stelle würde ich nicht damit rechnen.«
Auf dem Weg aus der Cafeteria wandten sich Kims Gedanken wieder Jess McKenna zu. Wieso fragt sie andere über mich aus? Entschlossen schob sie ihre Bedenken beiseite. Egal, was Chris vermutete, wahrscheinlich war Jess einfach nur neugierig.
Kim ging durch die Doppeltür der Cafeteria. Als hätten ihre Gedanken sie heraufbeschworen, sah sie Jess aus der Gegenrichtung herankommen. »Nochmals hallo, Dr. McKenna«, sagte sie mit einem freundlichen Lächeln.
Jess schien einen Moment irritiert, dann zeigte sich wieder der typisch nüchterne Ausdruck auf ihrem Gesicht. »Dr. Donovan«, sagte sie und wollte weitergehen.
»Kann ich Sie kurz sprechen?«, fragte Kim schnell, bevor Jess ihr entwischen konnte.
Jess trat von den Schwingtüren zurück in den Flur vor der Cafeteria. Als sie nicht mehr im Weg stand, wandte sie sich zu Kim. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich wollte Ihnen sagen, dass ich ab Montag den Dienst in der Notaufnahme übernehme.«
»Ja, ich habe Ihren Namen auf dem Dienstplan gesehen.«
Da sie Chris’ Meinung zur Arbeit auf McKennas Station inzwischen kannte, wollte Kim Jess unbedingt zu verstehen geben, dass sie diese nicht teilte. Sie schaute Jess in die Augen. »Ich freue mich darauf. Für mich war die Notaufnahme schon immer ein interessanter und herausfordernder Einsatzbereich.«
Ein kurzes Lächeln huschte über Jess’ Gesicht, bevor sie wieder eine dienstliche Miene aufsetzte. »Ich sehe in Ihrer Hilfe eine willkommene Unterstützung.«
Ehe Kim antworten konnte, ertönte Jess’ Pager. Sie nahm ihn vom Gürtel und blickte aufs Display. »Ich muss los.« Jess ging nicht sofort.
Es schien, als wollte sie noch etwas sagen, aber dann piepste der Pager erneut.
»Wir sehen uns am Montag«, sagte Jess. Mit einem kurzen Nicken drehte sie sich um und eilte den Flur entlang.
Kim blickte Jess hinterher, während sie in Gedanken noch das flüchtige Lächeln vor sich sah, das Jess’ Gesicht so verwandelt hatte. Für einen kurzen Moment waren ihre Züge weich geworden. Und schon hallte Kim ihr neuestes Mantra durch den Kopf. Bleib professionell.
KAPITEL 3
Jess trat in die Mitte des Schwesternbereichs und winkte Aimee Phan heran. Die Assistenzärztin eilte zu ihr. »Sobald Dr. Donovan runterkommt …«
Penny rief ein Hallo zu Dr. Donovan rüber.
Jess sah auf die Uhr und war angenehm überrascht. Heute war Kims erster Tag in der Notaufnahme. Sie ist pünktlich. Das muss ich ihr lassen. Die Psychiatrie war vor weniger als zehn Minuten angepiepst worden. Oft genug mussten Patienten eine Stunde oder länger warten, bevor sich endlich jemand aus dieser Abteilung blicken ließ.
»Guten Morgen, Dr. McKenna, Dr. Phan«, sagte Kim mit einem freundlichen Lächeln. »Wie kann ich helfen?«
»Dr. Phan wird Sie über den Patienten aufklären«, sagte Jess. Mit einer Geste forderte sie die Assistenzärztin auf, fortzufahren, und hörte aufmerksam zu, während diese die Krankengeschichte erläuterte. Jess beobachtete Kim währenddessen. Sie hatte bisher noch nie erlebt, dass einer der Psychiater mit den Assistenzärzten der Notaufnahme zusammenarbeiten wollte.
Aimee beendete zügig die Schilderung des Falls.
»Ich denke, zuerst sollte der psychische Allgemeinzustand des Patienten untersucht werden«, sagte Kim. »Haben Sie das schon einmal gemacht, Dr. Phan?«
Aimee schüttelte den Kopf. »Nur die Standardfragen, die zur Eingangsuntersuchung gehören.«
»Das hier ist sehr viel umfangreicher. Lassen Sie uns zum Patienten gehen. Ich werde Ihnen während der Untersuchung zur Seite stehen.«
»Klasse.« Aimee lächelte breit. »Danke, Dr. Donovan.«
Jess nickte. Sehr gut. Sie war froh, dass Kim die Assistenzärztin ernst genommen hatte und nicht einfach kommentarlos übernahm. Und das Beste war, dass sie Aimee noch etwas beibringen würde.
»Dr. McKenna, kommen Sie mit?«, fragte Kim.
Jess verlor für einen Moment den Faden, als sie Kim in die Augen schaute. Konzentrier dich, McKenna. »Nein. Sie und Dr. Phan haben ja alles im Griff.«
Kim nickte, dann wandte sie sich mit einem Lächeln der Assistenzärztin zu. »Dr. Phan, nach Ihnen.«
Jess schaute den beiden Frauen nach. Ihr erster Eindruck von der neuen Psychiaterin hätte nicht besser sein können.
Jess stand abseits des Vorhangs, der um das Bett gezogen war. Sie beobachtete Kim und Aimee bei der Untersuchung des Patienten. Jess war beeindruckt, wie Kim mit der Assistenzärztin umging. Ein knappes Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie ist eine gute Lehrerin.
Kim strich beruhigend über den Arm des älteren Patienten, bevor sie sich Aimee zuwandte. »Falls Sie noch etwas brauchen, lassen Sie es mich wissen.«
»Danke, Dr. Donovan.« Aimee lächelte.
Kim trat zum geschlossenen Vorhang und drehte sich, um durch die Öffnung zu schlüpfen.
Kurz bevor Kim mit ihr zusammenprallte, wich Jess einen Schritt zurück. Sie verzog das Gesicht, als Kim einen überraschten Laut von sich gab. »Entschuldigung, ich wollte Sie weder erschrecken noch unterbrechen«, sagte Jess.
»Ist schon okay. Warten Sie auf mich oder auf Dr. Phan?«
»Ich habe auf Sie gewartet. Ich wollte Sie abfangen, bevor Sie wieder hochgehen.« Bisher war es Kim gelungen, sie zu überraschen. Dennoch erwartete Jess aufgrund der bisherigen Erlebnisse mit der Psychiatrie Probleme. Die meisten Nervenärzte konnten gar nicht schnell genug von der Notaufnahme wegkommen. Wenn man sie nicht zu fassen bekam, bevor sie die Station verließen, konnte es bis zur nächsten Gelegenheit eine Weile dauern. Selbst wenn es glückte, hieß das nicht, dass sie ihre Hilfe selbstlos anboten. Bisher macht sie sich ziemlich gut. Gib ihr eine Chance. »Ich möchte, dass Sie sich einen meiner Patienten ansehen. Ich glaube, eine ambulante Therapie wäre gut für ihn.«
Kim lächelte. »Aber sicher. Ich freue mich, wenn ich irgendwie helfen kann. Um was geht es denn?«
Jess’ Anspannung löste sich. So hatte ich mir das vorgestellt. Sie drehte sich um und führte Kim auf den Flur. Sie gingen zu einem der Untersuchungsräume. Jess hielt vor der Tür an.
»Der Patient ist ein vierzehnjähriger Junge. Er hat mehrere entzündete Schnittwunden auf der Innenseite des rechten Unterarms. Er behauptet, eine Katze hätte ihn gekratzt. Zwar verlaufen die vier Wunden parallel zueinander, aber für Kratzer eines Tieres sind sie zu tief und zu symmetrisch. Ich habe seinen anderen Arm untersucht. Da hat er ebenfalls eine ganze Reihe ähnlicher Verletzungen. Ich denke, er hat sich das selbst zugefügt. So wie es aussieht, könnte er gerade damit angefangen haben. Narben, die auf frühere Schnitte hindeuten, habe ich nicht gefunden.«
»Sind seine Eltern hier?«, fragte Kim.
»Seine Mutter ist im Wartezimmer. Er wollte nicht, dass sie bei der Untersuchung dabei ist.«
»Okay. Ich nehme mir erst ihn und dann seine Mutter vor.«
»Brauchen Sie Unterstützung?« Jess stellte die Frage, obwohl ihr völlig klar war, dass keine Hilfestellung nötig war. Viel eher bot sie einen Vorwand, Kim nochmals bei der Arbeit zu beobachten.
Kim lächelte. »Danke, aber nein. Er sollte keine Schwierigkeiten machen. Sie haben die entzündeten Schnittwunden bereits behandelt, oder?«
Kims Ablehnung enttäuschte Jess, und diese Empfindung wiederum irritierte sie. Sie übergab die Krankenakte. »In Ordnung. Er kann wieder gehen, nachdem Sie ihn sich angesehen haben.«
Kim nickte kurz zur Bestätigung und drückte die Tür zum Untersuchungsraum auf.
Nachdem Kim dahinter verschwunden war, blieb Jess noch eine Weile vor der Tür stehen. Sie versuchte, die schon vergessen geglaubten Gefühle, die sich in ihr regten, zu ordnen. An der Zuneigung, die sie für Kim empfand und derer sie sich vorher schon bewusst geworden war, hatte sich nichts geändert. Hinzu kam nun ein wachsender Respekt für die Psychiaterin. Jess verbannte die unerwünschte Selbstreflexion. Hier und jetzt ist keine Zeit für Gefühle.
Resolut richtete Jess ihre Aufmerksamkeit wieder auf ihre Arbeit, als sie Karen Armstrong, eine der Assistenzärztinnen im ersten Jahr, den Flur entlanggehen sah. Ich sollte es gleich hinter mich bringen. »Dr. Armstrong«, rief Jess ihr zu. Sie runzelte die Stirn, als die Assistenzärztin sichtlich zögerte, bevor sie herüberkam. Ja, du weißt genau, worum es hier geht. »Ich möchte mit Ihnen reden«, sagte sie, als die Assistenzärztin vor ihr stand. »Gehen wir doch in den Personalraum.«
Jess folgte Karen in den Aufenthaltsraum. Sie bedeutete ihr, am Tisch Platz zu nehmen. »Sie waren heute Morgen nicht bei der Besprechung«, stellte Jess fest. Es war nicht das erste Mal, dass die Assistenzärztin dabei gefehlt hatte.
»Ich musste meine Tochter zur Tagesstätte bringen und dann meinen Ehemann bei der Arbeit absetzen. Sein Auto ist immer noch in der Werkstatt.«
»Rechtfertigungen interessieren mich nicht«, sagte Jess mit ruhiger, aber fester Stimme. »Das ist jetzt die vierte morgendliche Besprechung in den letzten zwei Wochen, bei der Sie gefehlt haben. Wie ich Ihnen bereits erklärt habe, ist die Teilnahme daran für Assistenzärzte im ersten Jahr Pflicht.«
»Ich tue mein Bestes«, sagte Karen. Ihre Stimme klang deutlich gestresst.
»Sie müssen sich mehr anstrengen. Sie sind erst im zweiten Ausbildungsmonat und geraten schon ins Hintertreffen.«
»Ich kann die Werkstatt auch nicht dazu bringen, das Auto schneller zu reparieren.« Karen riss sich das Stethoskop vom Hals und knallte es auf den Tisch.
Okay. Jetzt wird es ernst. Jess wollte eigentlich nicht, dass dies ein formales Mitarbeitergespräch wurde, aber Karen ließ ihr keine Wahl. »Es sind nicht nur die Besprechungen. Es ist einfach nicht fair den anderen Assistenzärzten gegenüber, wenn Sie zu spät kommen oder früher gehen. Es wird auf Dauer nicht einfacher, daher müssen Sie das jetzt in den Griff kriegen.« Jess seufzte innerlich. Karen hatte jede Menge Potenzial, aber es schien immer irgendwelche Probleme zu geben, die sie davon abhielten, ihren Verpflichtungen nachzukommen. »Möchten Sie in diesem Ausbildungsprogramm bleiben?«
Karen erblasste und umklammerte ihr Stethoskop. »Was? Natürlich will ich das.«
»Dann würde ich vorschlagen, Sie organisieren sich um, damit Sie pünktlich hier sind. Ich erwarte, dass Sie für den Rest des Monats an jeder Besprechung teilnehmen.« Jess hielt ihrem Blick stand. »Betrachten Sie dies als formales Mitarbeitergespräch. Falls nötig, werde ich Ihre Probezeit verlängern. Ich sehe Sie morgen früh in der Besprechungsrunde.«
Jess wusste, dass sie streng war, aber sie hoffte, die Assistenzärztin hätte den Warnschuss verstanden. Ließe sie Karens Verhalten dieses Mal durchgehen, würde es sich während der gesamten Ausbildung nicht ändern. Nach Karens bestürztem Gesichtsausdruck zu schließen, hatte sie einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen. Wortlos stand Jess auf und ging zur Tür.
Kim war auf dem Weg zum Gemeinschaftsraum. Eine Tasse Kaffee war jetzt dringend nötig. Im Gegensatz zu ihren Kollegen hatte sie beschlossen, so lang wie möglich in der Notaufnahme zu bleiben. Schon an diesem ersten Tag hatte sie bereits durch die Reaktionen der Belegschaft auf ihre unterstützende Anwesenheit erkannt, wie schlecht die Dinge zwischen Psychiatrie und Notaufnahme standen. Besonders die Assistenzärzte hatten zunächst erschrocken und dann außerordentlich dankbar gewirkt, als sie ihnen anbot, gemeinsam an den aktuellen Fällen zu arbeiten. Philip hatte recht: Es gab in der Tat einen Konflikt zwischen den Abteilungen. Wenn überhaupt, hatte er die Dimension des Problems unterschätzt. Ich muss dringend mit Philip reden.
Kim schob die Tür zum Personalraum auf. An einem der Tische entdeckte sie Karen, eine der Assistenzärztinnen, die sie bereits kennengelernt hatte. Kim nickte ihr zu und machte sich an die Zubereitung ihres Kaffees. Mit der Tasse in der Hand trat sie an den Tisch der Assistenzärztin.
Karen schaute auf. Sie sah verdrossen aus. »Hi, Dr. Donovan.«
»Hi«, sagte Kim, während sie sich setzte. Bisher machte die junge Ärztin einen intelligenten, ehrgeizigen Eindruck auf sie. »Wie geht’s?«
»Nicht so gut«, sagte Karen. Ihre Laune schien noch schlechter zu werden.
Kim nickte verständnisvoll. »Möchten Sie darüber reden?« Wenn jemand aufgewühlt zu sein schien, war es stets ihr erster Impuls, zu helfen.
Karen schüttelte ihren Kopf.
Die Stille hielt mehrere Minuten an.
»Ich kann nichts dafür, dass sie kein Leben hat und nichts versteht«, platzte es unerwartet aus Karen heraus.
Die aus dem Zusammenhang gerissene Aussage verwirrte Kim. »Wer hat kein Leben oder versteht was nicht?«
»Dr. McKenna«, sagte Karen in verärgertem Ton.
O Mist! Kim wollte keinesfalls in Angelegenheiten zwischen Jess und einer ihrer Assistenzärztinnen einbezogen werden. Eine Einmischung wäre völlig unangemessen. Sie seufzte resigniert. Zu spät. Sie wollte die Assistenzärztin jetzt nicht im Stich lassen und einfach gehen. Sie hielt es für das Beste, zunächst nichts zu sagen und abzuwarten, ob Karen weiterreden würde. Diese Technik hatte sie gleich zu Beginn ihrer eigenen Ausbildung gelernt.
»Alle sagen, dass sie praktisch im Krankenhaus wohnt. Und sie spricht nie über eine Freundin oder sonst was außerhalb der Arbeit. Vielleicht ist dieser Job ihr Leben, aber ich habe ein Leben außerhalb dieser Klinik. Und eine Tochter und einen Ehemann, die mich brauchen.«
Kim spitzte die Ohren, als das Wort Freundin fiel. Sie wollte mehr über Jess wissen, aber auf diese Weise wollte sie es nicht erfahren. »Dr. McKenna trägt hier sehr viel Verantwortung. Ich bin mir sicher, dass sie deshalb viele Überstunden machen muss.«
Karen schnaubte. »Ich hätte wissen sollen, dass Sie das nicht verstehen.«
Kim schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt, ich verstehe es sehr gut. Es kostet sehr viel Mühe, Beruf und Privatleben unter einen Hut zu bekommen, besonders für eine Frau. Eine Menge Leute verlassen sich auf einen.«
»Das weiß ich.« Karens Schultern sackten zusammen. »Okay, ich gebe zu, ich habe einige Besprechungen verpasst und bin ein paarmal zu spät gekommen«, sagte sie. »Aber das ist doch kein Grund, meine Ausbildung zu beenden.«
Für einen Moment verschlug es Kim die Sprache. Das erschien ihr etwas drastisch. Trotz ihrer besten Vorsätze, sich in nichts hineinziehen zu lassen, fragte sie: »Hat Dr. McKenna das tatsächlich gesagt? Dass sie Ihnen kündigen wolle?«
»Na ja … nein«, gab Karen zögerlich zu. »Nicht in dem Wortlaut. Sie sagte, dass meine Probezeit verlängert wird, falls es nicht besser wird.« Karen schlug ihre Faust auf den Tisch. »Ich versuche es ja! Ich bin kein Versager!« Karen sah Kim herausfordernd in die Augen. In dem Moment schien Karen aufzugehen, dass sie einer fast fremden Person gegenüber aus dem Nähkästchen plauderte. Ihre Augen weiteten sich und Furcht stand ihr ins Gesicht geschrieben. »Mir gefällt es hier wirklich. Dr. McKenna ist eine großartige Lehrerin. Ich will nicht, dass sie denkt, dass ich nicht hier sein will.« Karen schaute Kim flehentlich an.
Kim legte für einen Moment ihre Hand auf Karens Unterarm. »Manchmal ist es schwer, mit einer neuen Stelle und allen Herausforderungen der Ausbildung zurechtzukommen.«
»Es ist wirklich schwierig.« Karen seufzte. »Aber ich denke, ich war eben nicht ganz ehrlich«, gab sie verschämt zu. »Ich habe mich falsch verhalten. Dr. McKenna war im ersten Monat sehr nachsichtig mit mir … und ich fürchte, ich habe das ausgenutzt. Ich war sauer, als sie mir das vorhielt.« Ihr Gesicht entspannte sich etwas.
Ah. Gut. Manchmal half es, bei einer unbeteiligten Person Dampf abzulassen. »Sieht so aus, als wüssten Sie, was Sie zu tun haben«, sagte Kim.
Karen erhob sich vom Stuhl. Sie lächelte Kim zu. »Danke, Dr. Donovan. Ich gehe besser wieder an die Arbeit.«
»Gern geschehen.« Kim lehnte sich im Stuhl zurück und seufzte, als sich die Tür hinter Karen schloss. Nicht schlecht für deinen ersten Tag. Gar nicht schlecht.
KAPITEL 4
Penny lehnte sich leicht über die Theke, um ungehindert den Flur entlangzuschauen. Das klingelnde Telefon lenkte ihre Aufmerksamkeit zum Tresen zurück. Sie erledigte den Anruf, während sie weiter die Tür am Ende des Flurs im Auge behielt.
»Ist der Assistenzarzt der Orthopädie schon aufgetaucht?«
Die Stimme dicht neben ihr ließ Penny zusammenzucken. Sie drehte sich zu Terrell Johnson um. Der große, schlanke Afroamerikaner war einer der Assistenzärzte im zweiten Jahr. »Nein. Ich habe ihn nicht gesehen.«
Terrell seufzte. »Bitte piepsen Sie ihn noch einmal an.«
Penny lehnte sich zur Seite, um an Terrell vorbeizuschauen. »Natürlich«, sagte sie unkonzentriert. Ein strahlendes Lächeln erschien auf ihrem Gesicht, als die Person, auf die sie gewartet hatte, auf sie zukam. Es verwandelte sich jedoch schnell in ein Stirnrunzeln, als ihr Zielobjekt abgefangen wurde.
Terrell warf einen Blick über seine Schulter. »Was ist los?«
»Nichts«, sagte Penny. »Ich muss nur mit Dr. Donovan sprechen, bevor sie wieder zur Psychiatrie geht. Ich habe eine Nachricht für sie.« Was sie nicht sagte, war, dass es sich um eine private Nachricht handelte. Sie hatte vor, sie zum Mittagessen einzuladen. Die neuesten Gerüchte über Kim hatten sie wahnsinnig erfreut.
Terrell lächelte. »Ist sie nicht fantastisch? Sie ist erst eine Woche hier und ich habe bereits mehr von ihr gelernt als von allen anderen Psychiatern zusammen.«
»Hi. Redet ihr über Kim Donovan?« Peter Bates, ein weiterer Assistenzarzt der Notaufnahme, mischte sich in die Unterhaltung ein. »Mann, die ist heiß!« Er blickte den Flur entlang zu Kim, die mit einem anderen der jungen Ärzte sprach. »Ich würde ihr gerne ein paar Dinge beibringen, wenn ihr wisst, was ich meine«, sagte er mit einem anzüglichen Blick und machte eine obszöne Handbewegung.
»Mein Gott, Peter, du bist so versaut«, sagte Terrell mit angewidertem Gesicht. »Werd endlich erwachsen!«
Peter grinste höhnisch. »Steck dir das sonst wohin, Terry!«
Penny schaute Peter verärgert an. Sie wusste, wie sehr Terrell diesen Spitznamen hasste. Terrell behandelte sie immer gut. Sie fand es unmöglich, dass Peter ihm das Leben schwer machte.
»Penny, bitte piepsen Sie die Orthopädie noch mal an«, sagte Terrell. Mit einem letzten abfälligen Blick auf Peter drehte er sich um und ging.
»Was regt der sich denn so auf?«, fragte Peter. Er blickte auf Penny herab und schaute übellaunig, als hätte er plötzlich gemerkt, mit wem er da sprach.
Penny blickte genauso mürrisch zurück. Sie war versucht, ihm zu sagen, dass er absolut keine Chance bei Kim hatte. Penny kicherte vor sich hin. Ich hoffe, dass sie ihm vor möglichst vielen Leuten sagt, dass sie lesbisch ist. Obwohl Penny nicht an ihm interessiert war, hatte es sie immer schon gestört, dass der gut aussehende, blonde Assistenzarzt es nie bei ihr versucht hatte. Er hatte fast jede andere Frau in der Abteilung angebaggert. Penny war überrascht, als Peter plötzlich ein freundliches Lächeln aufsetzte.
»Hallo, Dr. Donovan«, rief Peter.
Penny drehte sich und sah, dass Kim mit einem Arm voller Krankenblätter näherkam. Beim Anblick der wunderschönen Ärztin kam ihr Lächeln ganz von allein.
»Wie läuft’s?« Peter nahm Kim die Akten ab und legte sie auf den Tresen. »Ich wollte Ihnen nur sagen, falls sie irgendwelche Fragen haben, können Sie jederzeit zu mir kommen. Ich helfe Ihnen gerne bei jeglichen Problemen.«
Penny verdrehte die Augen. Peter half niemandem außer sich selbst. Seine Ausdrucksweise suggerierte stets, er wäre einer der Festangestellten und nicht Arzt in Ausbildung.
Aimees Ankunft unterbrach die Unterhaltung. »Entschuldigung. Peter, ich brauche Ihre Hilfe bei einem Patienten.«
Peter sah Aimee finster an. »Sehen Sie nicht, dass ich beschäftigt bin? Suchen Sie sich jemand anderen.«
Kim musterte Peter missbilligend und drehte sich dann zu Aimee. »Kann ich irgendwie helfen?«, fragte sie.
Aimee lächelte. »Ich glaube nicht. Es ist kein psychiatrisches Problem.« Sie nahm Peters abweisenden Blick wahr und drehte sich wieder zu Kim. »Sie kennen sich nicht zufällig mit ausgerenkten Schultern aus?«
Penny konnte fast sehen, wie Peter überlegte. Idiot. Na, was machst du jetzt? Er schien zu kapieren, dass seine barsche Antwort auf Aimees Frage ihn bei Kim in ein ungutes Licht rückte.
»Na, kommen Sie schon, Aimee«, sagte Peter mit einem langen, leidenden Seufzer. »Ich kümmere mich drum.« Er drehte sich mit einem einschmeichelnden Lächeln zu Kim. »Wenn Sie mich entschuldigen würden. Sie wissen ja, wie diese Anfänger sind. Man kann sie nicht mal für eine Sekunde allein lassen.«
Er ging ein paar Schritte vom Tresen weg und drehte sich wieder zu Aimee. »Na, los jetzt. Ich habe nicht den ganzen Tag Zeit.«
Penny sah, wie Aimee sich beeilte, Peter einzuholen. »Was für ein Idiot«, murmelte sie. Sie warf Kim einen Blick zu. Sie schien ebenfalls nicht besonders begeistert von Peters Verhalten zu sein. »Nur falls Sie es nicht wissen, Peter ist noch nicht einmal einer der dienstälteren Assistenzärzte. Er ist im zweiten Jahr.« Penny spürte, wie ihr Herz kräftig schlug, als Kim sich zu ihr drehte und ihre Blicke sich trafen. Gott, ist sie heiß.
»O doch, ich weiß Bescheid«, sagte Kim.
»Was?« Penny hatte – ganz in Gedanken – den Anschluss verpasst.
»Ich weiß, dass Dr. Bates im zweiten Jahr ist.«
»Oh, ja. Genau.« Penny lächelte Kim an. Sie könnte sie den ganzen Tag einfach nur anschauen. Kim begann, die auf dem Tresen verteilten Krankenblätter zu sortieren, und das holte Penny zurück in die Wirklichkeit. »Dr. Donovan.« Penny schluckte nervös, als sie erneut in Kims wunderschöne blaue Augen schaute. »Es ist fast ein Uhr. Ich habe mich gefragt …« Penny nahm ihren Mut zusammen. »Wollen wir vielleicht eine Kleinigkeit essen gehen?«
Kim schüttelte ihren Kopf. »Tut mir leid. Nein. Ich muss noch jede Menge Papierkram erledigen.«
Penny war enttäuscht. Sie versuchte, Kims Mimik zu deuten, aber es gelang ihr nicht. So leicht wollte sie nicht aufgeben und probierte es noch einmal. »Vielleicht ein anderes Mal?«, fragte sie voller Hoffnung.
»Sicher doch. Vielleicht ein anderes Mal.« Damit nahm Kim die Akten an sich und ging.
Penny stellte zufrieden fest, dass Kim zum Personalraum ging und nicht zum Fahrstuhl. Bisher hatte Kim ihre Papiere immer mit in die Psychiatrie genommen. Gut. Dann kann ich weiter in ihrer Nähe sein. Beim nächsten Mal sagt sie Ja. Mit diesem erfreulichen Gedanken griff Penny nach dem klingelnden Telefon und machte sich wieder an die Arbeit.
Jess schob die Tür zum Gemeinschaftsraum auf. Kim saß mit Bates an einem der Tische. Mit einem kurzen Nicken in deren Richtung ging sie zur Kaffeemaschine in der Ecke.
Während sie sich eingoss, hörte sie das leise Murmeln der Unterhaltung, verstand aber kein Wort.
Kims Stimme wurde lauter und ein deutliches Nein ließ Jess aufhorchen. Sie drehte sich zum Tisch. Kim sah eindeutig verärgert aus. Jess biss die Zähne zusammen. Verdammt. Ich habe den Burschen gewarnt, sich anständig zu verhalten.
Jess nahm ihren Kaffee und ging rüber zu Bates’ Stuhl. »Haben Sie keine Patienten, die auf Sie warten, Dr. Bates?«, fragte sie mit ruhiger Stimme.
Bates sah missbilligend zu Jess auf. »Ich helfe Dr. Donovan, während ich auf Laborergebnisse warte.« Er lächelte Kim an.
»Ich komme ganz gut allein zurecht«, erwiderte Kim.
Jess sah sie an. Sie war sicher, dass Kim die Augen rollte, bevor sie nach unten schaute und ihr Haar ihren Gesichtsausdruck verbarg. Das reichte ihr als Bestätigung, dass Bates ihr auf die Nerven ging und sehr wahrscheinlich versuchte, Kim anzubaggern. Er braucht definitiv ein weiteres Mitarbeitergespräch mit mir. »Dann schlage ich vor, Dr. Bates, dass Sie Dr. Donovan weiterarbeiten lassen und sich um Ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.« Ihr Ton wurde etwas schärfer.
»Ich warte auf meine Laborergebnisse«, wiederholte Bates stur.
Okay. Das reicht. »Ich finde bestimmt einen Patienten für Sie, falls Sie das nicht selbst können«, sagte Jess, mit kalter Stimme und völlig emotionslos.
Beflissen sprang Bates von seinem Stuhl auf. Ohne ein weiteres Wort steuerte er auf die Tür zu.
Als er fort war, sah Jess wieder hinunter zu Kim. Nervös trat sie von einem Fuß auf den anderen. Sie hasste es, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen. Warum kann er nicht einfach seinen verdammten Job machen? »Es tut mir leid, falls er Sie gestört hat.«
Kim lächelte zu ihr herauf. »Kein Problem. Ich werde ganz gut mit übereifrigen Assistenzärzten fertig.«
Jess’ Anspannung ließ ein wenig nach. Kim erwies sich als großartige Ergänzung für die Notaufnahme. Sie wollte auf gar keinen Fall, dass sie sich bei der Arbeit hier unwohl fühlte. »Das können Sie, dessen bin ich mir sicher. Aber es sollte nicht erforderlich sein. Ich rede mit ihm.« Falls ich ihm nicht zuerst den Hals umdrehe!
Jess schaute in Kims leuchtend blaue Augen und einen Moment lang verhakten sich ihre Blicke. Plötzlich fehlten ihr die Worte und Jess starrte auf die Tischplatte. Reiß dich zusammen, McKenna. Schnell gewann sie ihre Fassung wieder und lenkte das Gespräch auf ein sicheres Thema: die Arbeit. »Beschäftigen Sie sich mit den Krankenblättern?« Sobald es heraus war, merkte sie, wie albern das klang. Brillant, Einstein. Hat dir das der Tisch voller Krankenblätter verraten?
Kim nickte. »Ich dachte, jetzt, da es so ruhig ist, wär eine gute Gelegenheit, das nachzuholen.«
Jess konnte immer noch nicht glauben, dass Kim überhaupt hier arbeitete. Keiner der anderen Psychiater befasste sich direkt vor Ort mit den Krankenakten. Andererseits hatte Kim bereits bewiesen, dass sie nicht wie die anderen Psychiater war. Innerhalb von fünf kurzen Tagen hatte sie die Notaufnahme auf den Kopf gestellt. In all den Jahren, die Jess hier angestellt war, hatte sie noch nie so viele positive Bemerkungen über jemanden aus der Psychiatrie gehört. Obwohl sie, abgesehen vom ersten Tag, noch nicht viel mit ihr zu tun gehabt hatte, hörte Jess von allen Seiten nur höchstes Lob über Kim.
Jess nahm einen Schluck Kaffee, um zu verbergen, wie sie nach Worten suchte. Sie wollte mit Kim reden und sie besser kennenlernen, gleichzeitig wollte sie diesem Drang widerstehen. Das Einzige, was du wissen musst, ist, dass sie ihren Job gut macht.
Kims Gesichtsausdruck wurde plötzlich besorgt. »Es ist doch kein Problem, dass ich hier arbeite, oder?«
Jess schüttelte ihren Kopf. Ihr wurde klar, dass Kim ihr Schweigen falsch verstanden hatte. »Nein. Überhaupt nicht. Ich arbeite manchmal …«
Die Tür zum Personalraum ging auf. Bates spähte in den Raum. Als er Jess entdeckte, zog er seinen Kopf zurück und schloss schnell die Tür.
Jess blickte Kim überrascht an, als sie ihr Kichern hörte.
»Ganz schön hartnäckig, der Junge«, sagte Kim. »Keine Sorge. Irgendjemand wird ihm schon stecken, dass es verlorene Liebesmüh’ ist.«
Bevor Jess fragen konnte, was das heißen sollte, öffnete sich die Tür erneut.
Penny stand im Türrahmen und sah sich um. »Haben Sie Dr. Bertucci gesehen?«
»Nein«, antwortete Jess.
»Okay«, sagte Penny und eilte davon. Die Tür schloss sich hinter ihr.
Jess wandte sich wieder an Kim. »Es kann sehr …« Die Tür zum Personalraum ging erneut auf. Jess schüttelte verzweifelt den Kopf.
Terrell trat ein. Er blickte kurz zu Kim und begegnete dann Jess’ Blick. Wortlos drehte er sich um und ging wieder.
»Wie ich bereits sagte …« Jess hielt inne und starrte einen Moment skeptisch auf die Tür.
Kim lachte.
Als die Tür nicht sofort wieder aufging, fuhr Jess fort: »Wie Sie sehen, kann es hier drin ein wenig unruhig werden. Ich arbeite manchmal hier. Die meisten Angestellten haben ein winziges Kämmerchen, das sie Büro nennen und sich mit jemand anderem teilen. Dort erledigen sie ihren Papierkram, wenn es im Personalraum zu wild wird. Leider ist keines der Büros gerade frei.«
»Oh. Also … Ich denke, ich könnte zurück in mein Büro gehen. Da erledige ich meinen Papierkram. Ich dachte nur, ich wäre eine größere Hilfe, wenn ich in der Nähe bleibe und sofort zur Stelle bin.«
Jess war begeistert über Kims Einsatzbereitschaft. Ihre Beflissenheit hatte große Auswirkungen auf die Notaufnahme. Jess wollte auf gar keinen Fall, dass sie sich hier fehl am Platz fühlte. Sie rang nach einer Lösung. »Nein. Es ist völlig in Ordnung, im Personalraum zu arbeiten. Falls es zu hektisch wird und Sie einen ruhigeren Platz zum Arbeiten möchten, können Sie mein Büro benutzen.« Kaum hatte sie das Angebot ausgesprochen, überfiel sie Panik. Was zum Teufel machst du? Das ist dein einziger Rückzugsort.
»Das ist wirklich sehr nett von Ihnen, aber ich möchte Ihre Privatsphäre nicht stören«, sagte Kim.
Jess begegnete Kims verständnisvollem Blick. Sie war gleichzeitig überrascht und bestürzt, von Kim so leicht durchschaut zu werden. Schnell brachte sie ihre Mimik unter Kontrolle. Ich kriege das hin. Kim hatte keine Mühe gescheut, sich in die Notaufnahme zu integrieren. Das war das Mindeste, was Jess als Gegenleistung tun konnte. Und dadurch kannst du Zeit mit ihr persönlich verbringen; noch besser, nicht wahr? Jess verbannte den Gedanken aus ihrem Gehirn. Sie weigerte sich, die heimliche Wahrheit hinter dieser Aussage zu sehen. »Ist schon okay. Kommen Sie, ich zeige Ihnen mein Büro.«
Kim folgte Jess in einen abgelegenen Teil der Notaufnahme. Sie hatte angenommen, dort wären nur Abstellkammern. Beim Betreten des Büros war sie überrascht, dass es nur halb so groß wie ihres in der Psychiatrie war. Es hatte noch nicht einmal ein Fenster.
Jess setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches. Sie verschränkte die Arme über ihrer Brust und schien sich sehr unbehaglich zu fühlen.
Kim hatte einen Anflug von Panik in Jess’ Gesicht gesehen, als sie ihr die Nutzung ihres Büros anbot. Sie fragte sich, ob es eine gute Idee war, nachdem sie selbst gesehen hatte, dass Jess Abstand zu ihren Mitarbeitern hielt. Jess sollte sich nicht in ihrem eigenen Büro unwohl fühlen.
»Es macht Ihnen ganz bestimmt nichts aus, wenn ich Ihr Büro nutze, Dr. McKenna?« Genau. Siehst du? Dr. McKenna. Du nennst sie noch nicht einmal beim Vornamen. Das hier ist eine ganz blöde Idee. Kim beobachtete Jess’ Reaktionen genau. In der letzten Woche war Kim aufgefallen, dass Jess nach besonders aufreibenden Notfällen zwischendurch für eine Weile verschwand. Kim war sicher, dass sie sich in ihr Büro zurückzog. Sie wollte nur ungern in Jess’ persönlichen Zufluchtsort eindringen.
Jess ließ die Arme sinken und stand auf. Nach kurzem Zögern schien sie eine Entscheidung getroffen zu haben. »Sie können gerne mein Büro benutzen, während Sie der Notaufnahme zugeteilt sind. Es hilft sehr, Sie für Konsultationen in der Nähe zu wissen. Sie haben diese Woche hervorragende Arbeit geleistet.«
Kim strahlte. Es fühlte sich gut an, von Jess gelobt zu werden und es linderte ein wenig ihre ständige Sorge, Jess könnte von den Geschehnissen am Memorial erfahren. »Danke.«
Nachdem sie sich nun ein Büro teilen würden, sollten die bisherigen Förmlichkeiten zwischen ihnen eigentlich nicht mehr nötig sein, entschied Kim »Jetzt, da das geklärt ist, wie wäre es, wenn Sie mich Kim nennen?« Kim seufzte enttäuscht, als Jess’ Miene sich verschloss. Mist. War zu forsch. Kim versuchte eilig, die Sache zu retten. »Ich meinte natürlich nur unter uns.«
Jess’ Gesichtsausdruck und Haltung entspannten sich. »Sicher. Und Sie können mich Jess nennen.«
»Danke, Jess.«
»Gern geschehen, Kim.« Ein Lächeln geisterte über ihr Gesicht und verschwand genauso schnell wieder. »Okay, ich muss wieder in die Notaufnahme. Wenn ich meine Truppe nicht an der kurzen Leine halte, bricht die Hölle los.«
Kim lachte leise, außerordentlich erfreut, dass Jess sich wohl genug fühlte, um sich zu so einer Bemerkung hinreißen zu lassen. »Ich bin mir sicher, sie fragen sich auch schon, wohin ich verschwunden bin.«
»Sie denken wahrscheinlich, dass Sie dem Biest der Notaufnahme in die Klauen gefallen sind.«
Ein wenig befremdet runzelte Kim die Stirn. Jess war zwar streng mit ihren Assistenzärzten und strahlte manchmal etwas Verbissenes aus, auch hatte sie ein paar hitzige Auseinandersetzungen zwischen Jess und ihren Mitarbeitern – insbesondere mit Peter – erlebt, dennoch hielt sie Jess nicht für ein Biest.
»Oh, sie haben noch schlimmere Namen für mich.« Jess zuckte mit den Schultern. »Sie werden sie garantiert alle bald zu hören bekommen. Und über kurz oder lang werden auch Sie mir einen dieser Namen verpassen.«
Kim durchschaute die Schutzfunktion Jess’ gespielter Tapferkeit. Es war offensichtlich, dass diese Beschimpfungen sie im Innersten trafen. »Oh, da mache ich mir keine Sorgen, Jess. Ich denke, wir werden gut miteinander auskommen.«
