L.A. Metro - Verwundete Herzen - RJ Nolan - E-Book

L.A. Metro - Verwundete Herzen E-Book

RJ Nolan

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Beschreibung

Zwei gebrochene Herzen. Eine unerwartete Liebe. Dr. Ashlee Logan hat vor über zwei Jahren alle Brücken hinter sich abgebrochen und reist seitdem in Begleitung ihrer Dogge Drake quer durch die USA. Sobald ein Krankenhaus eine Ärztin als Aushilfe braucht, ist Logan zur Stelle – immer in der Hoffnung, irgendwann ihre Vergangenheit hinter sich lassen und vergessen zu können. Dr. Dale Parker wurde während ihrer Zeit als Militärärztin in der Marine schwer verwundet. Noch drei Jahre später hat sie mit den physischen und vor allem mit den emotionalen Spätfolgen ihrer Verletzung zu kämpfen. Im L.A. Metropolitan Hospital hat sie sich darauf spezialisiert, andere verwundete Veteranen medizinisch zu betreuen. Als Ashlee und Dale im Krankenhaus aufeinandertreffen, werden sie überraschend schnell Freunde. Es dauert jedoch nicht lange, bis beide merken, dass sie mehr füreinander empfinden. Werden Ashlee und Dale in der Lage sein, sich nicht nur ihrer Vergangenheit zu stellen, sondern sich auch ihre Gefühle einzugestehen? Oder sind die Verletzungen der Vergangenheit zu tief?

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Seitenzahl: 448

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Von RJ Nolan außerdem lieferbar

L.A. Metro-Serie:

L.A. Metro – Diagnose Liebe

L.A. Metro – In nur einem Herzschlag

 

Inhaltsverzeichnis

Von RJ Nolan außerdem lieferbar

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Kapitel 35

Kapitel 36

Kapitel 37

Über RJ Nolan

Ebenfalls im Ylva Verlag erschienen

L.A. Metro – Diagnose Liebe

All the Little Moments – Weil jeder Augenblich zählt

Hängematte für zwei

Küsse in Amsterdam

Kapitel 1

Logan warf einen letzten, sehnsüchtigen Blick auf den überfüllten Strand, ehe sie sich abwandte. Als sie heute Morgen in L.A. angekommen war, war der Reiz der Brandung und die Aussicht, den Sand unter den Füßen zu spüren, zu verlockend. Leider hatten trotz des Windes und der kühlen Luft offensichtlich viele Menschen entschieden, den Ozean und den bevorstehenden Sonnenuntergang am Strand zu genießen. Sie folgte ihren Fußabdrücken zurück in Richtung Parkplatz. Als sie den winzigen Parkplatz vorhin entdeckt hatte, hatte sie gehofft, einen recht menschenleeren Strand vorzufinden. Leider hatte sie damit falschgelegen.

Als sie sich rechts hielt, um dem Weg weiter zu folgen, bemerkte sie einen kleineren, weniger genutzten Pfad, den sie vorhin, auf dem Weg zum Strand, nicht gesehen hatte. An dem Pfad stand ein Schild, aber es war zu weit weg, um es lesen zu können. Als sie es schließlich erreicht hatte, musste sie lächeln. Auf dem Schild stand einfach nur Strand, mit einem Pfeil darauf, der in die entgegengesetzte Richtung des Weges deutete, den sie vorhin genommen hatte.

Was soll’s, es war einen Versuch wert. Sie klopfte sich auf den Oberschenkel und rief ihren Begleiter. »Komm schon, Drake.«

Er hob den Kopf und riss sich von dem Geruch los, der ihn von ihrer Seite weggelockt hatte. Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde er nicht gehorchen. Ein Schütteln an seiner Leine, das die Marken an seinem Halsband zum Klingeln brachte, überzeugte ihn vom Gegenteil.

Der Pfad verengte sich und führte sie schließlich zu einer Treppe. Logan sah nach unten und zögerte. Die Treppe war schmal und sehr steil. Von ihrem Standpunkt aus, wirkte der Strand leer. Noch einmal warf sie einen Blick auf die Treppe, die an beiden Seiten von einem Geländer begrenzt war. Es war zu verlockend.

»Mach dir keine Sorgen, mein Junge. Wir gehen es ganz langsam an. Komm.«

Auf halbem Weg nach unten warf sie einen Blick über die Schulter, um zu sehen, wie er sich auf den Stufen machte. Drake grinste sie mit heraushängender Zunge an.

Als Logan das Ende der Treppe erreicht hatte, glitt ihr Blick über die abgeschiedene Bucht. Kein Mensch in Sicht. Perfekt. Sie setzte sich in den Sand, lehnte sich mit dem Rücken an die Felswand und ließ sich vom Geräusch der Brandung einhüllen. Sie klopfte auf den Sand neben sich. Drake ließ sich an ihrer Seite nieder. »Tja, das ist es. Wir haben es durchs ganze Land geschafft. Vom Atlantik zum Pazifik.« Seufzend strich sie über Drakes Kopf, den er auf ihrem Oberschenkel abgelegt hatte. »Ich wünschte nur, ich wüsste, wie wir jetzt weitermachen.« Einer Sache war sich Logan vollkommen sicher: Sie würde nicht nach Boston zurückkehren.

Die Sonne versank im Meer und tauchte den Himmel in satte Orange-, Rot- und Violetttöne. Während sich der Himmel verdunkelte, glitten ihre Gedanken zu all den Orten, die sie in den letzten zwei Jahren besucht hatten.

Drakes plötzliches, leises Knurren ließ Logan aufschrecken.

Eine fremde Person war nur noch wenige Schritte von ihnen entfernt. Das Geräusch der hereinbrechenden Brandung hatte die Schritte übertönt.

Logans Herz hämmerte in ihrem Brustkorb wie ein gefangener Vogel, der versuchte zu entkommen.

Drake sprang auf und stellte sich vor Logan.

Die Gestalt kam rutschend zum Stehen. Sie ruderte mit den Armen und stolperte fast, als sie sich bemühte, Abstand zwischen sie zu bringen.

Logan krabbelte aus dem Sand und nahm die Taschenlampe von ihrem Gürtel. Ihr Daumen schwebte über dem Knopf, der die gewöhnlich aussehende Taschenlampe in einen Elektroschocker verwandeln würde.

»Tut mir leid. Ich hab Sie nicht gesehen.«

Die Anspannung wich aus Drakes Körper, als er die Stimme einer Frau hörte. Trotzdem blieb er zwischen ihnen stehen. Es dauerte einen langen Augenblick, ehe Logan den Daumen vom Knopf des Elektroschockers nahm und die Taschenlampe wieder in der Schlaufe an ihrem Gürtel einhakte. Tief ausatmend schimpfte sie sich, sich so von ihren Ängsten einschüchtern zu lassen. Eine Hand hatte sie auf ihre Brust gelegt.

»Ich begegne hier nur selten jemandem«, sagte die Frau. »Die meisten Leute gehen lieber zum Point Dume Beach auf der anderen Seite der Landzunge. Und es gibt nur wenige, die sich diese steile Treppe hinuntertrauen. Selbst bei Tageslicht. Diese kleine Bucht ist also ziemlich verlassen.«

Was genau der Grund war, warum Logan hier runtergekommen war. »Kein Problem.«

»Wie auch immer. Es tut mir leid, dass ich Sie erschreckt habe. Ich hätte mein Licht anmachen sollen.« Sie zog eine Taschenlampe hervor und schaltete sie an.

Selbst mit dem zusätzlichen Licht waren nur die graue Jogginghose und die roten Laufschuhe der Frau zu erkennen. Ihr Gesicht blieb im Schatten.

Da auch dieser Strand jetzt offensichtlich kein einsamer Strand mehr war, gab Logan ihn auf. »Drake. Bei Fuß.« Augenblicklich kam er an ihre Seite und drückte seine Schulter an ihren Schenkel. »Guter Junge.«

Sobald Drake angefangen hatte, sich zu bewegen, war die Frau ein paar Schritte zurückgetreten, um ihm genug Platz zum Manövrieren zu geben.

Obwohl die Frau sie erschreckt hatte, mochte sie es nicht, andere Menschen verängstigt zu sehen. Kurz streichelte sie Drake über den Kopf. »Deutsche Doggen sind sanfte Riesen. Er wird Ihnen nichts tun.«

Die Frau nickte, aber ihre Körpersprache sagte deutlich, dass sie nicht überzeugt war. »Einen schönen Abend noch.« Mit einem Winken lief sie wieder den Strand hinunter.

»Wir sollten besser zurück zum Campingplatz gehen, mein Junge. Könnte bei dem Verkehr hier eine lange Fahrt werden.« Sie warf einen Blick Richtung Strand. Die Frau war bereits in der Dunkelheit verschwunden. Logan wandte sich in die entgegengesetzte Richtung und machte sich auf den Weg zur Treppe.

Ihre Gedanken wanderten zum morgigen Tag, an dem sie die Leiterin der Notaufnahme kennenlernen würde. Sie zog ein finsteres Gesicht. Logan war sich immer noch nicht sicher, warum ausgerechnet die Notaufnahme des L.A. Metro etwas so Besonderes sein sollte. Aber mit den wenigen Informationen, die sie hatte, war es sinnlos, sich jetzt darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie würde es noch früh genug herausfinden.

Kapitel 2

Dale rieb über ihren schmerzenden Schenkel. Jeder Schritt jagte einen pulsierenden Schmerz durch ihr Bein, als sie durch den Flur zu Jess McKennas Büro ging. Es war idiotisch gewesen, sich gestern Abend derart zu verausgaben und nach der Arbeit noch zur Piratʼs Cove zu gehen. Selbst nach drei Jahren war der Wunsch groß, sich zu beweisen, dass ihr Körper so leistungsfähig war wie früher.

Die Nacht in der Notaufnahme hatte gestern ruhig angefangen, sich aber schließlich in Chaos verwandelt, als der Nebel in die Stadt gerollt und einen breiten Streifen des Highway bedeckt hatte. Eine Massenkarambolage war die Folge gewesen. Dass die andere Notfallärztin wieder einmal unfähig gewesen war, ihren Teil der Patienten zu betreuen, hatte nicht geholfen. Dale klopfte an Jessʼ Tür und öffnete sie, als sie hereingerufen wurde.

»Was machst du noch hier, Dale? Nach der Nacht, die du gerade hattest, dachte ich, dass du so schnell wie möglich verschwindest. Gibt es ein Problem mit dem Schichtwechsel?«

»Nein. Alles okay. Ich muss mit dir über Gretchen sprechen … schon wieder.«

Jess runzelte kurz die Stirn. Sie deutete auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch. »Setz dich.«

Dale ließ sich auf den angebotenen Stuhl sinken. Sie unterdrückte den Drang, ihren Schenkel zu massieren. »Hör zu, ich habe Verständnis für das, was sie gerade durchmacht. Ich weiß, dass sie die Morgenübelkeit nicht kontrollieren kann, aber ihre Situation verursacht Probleme. Letzte Nacht wurden wir von den Opfern der Massenkarambolage auf dem Highway überschwemmt. Riley und Craig hatten bereits Patienten im OP. Wir brauchten jede Hand im Schockraum. Wir hatten ein Thoraxtrauma und Gretchen ist aus dem Zimmer gestürzt, als wir gerade die Drainage gelegt haben. Ich musste den Assistenzarzt, der für sie übernommen hat, betreuen, während ich den Kerl intubiert und gleichzeitig eine Drainage auf seiner anderen Seite gelegt habe.« Dale strich sich mit den Fingern durch die Haare. »Ich weiß, dass ich gesagt habe, ich würde so viel wie möglich auffangen, aber das geht jetzt schon seit zwei Monaten so. Wir brauchen Hilfe in der Nachtschicht.«

»Das verstehe ich und ich arbeite daran.« Jess zog eine Akte von der Schreibtischkante heran. »Ich will keine Wiederholung dessen, was wir mit dem letzten Kerl hatten.«

Dales Gesicht verfinsterte sich, als sie sich an das Fiasko erinnerte. Der Typ war ein aggressiver Mistkerl gewesen, der der Arbeit aus dem Weg gegangen ist, wenn er nicht gerade damit beschäftigt war, so viele Patienten wie möglich zu vergraulen. »Da stimme ich dir zu. Aber was hast du denn für eine Wahl, außer die Leute zu nehmen, die die Agentur schickt?«

»Ich habe schon mit Dr. Tate gesprochen. Dieses Mal werde ich mir den beruflichen Werdegang der Bewerber ansehen.« Mit einem Finger tippte Jess auf die Akte vor sich. »Wenn sie diese Teilzeitstelle wollen, werden sie außerdem ein paar Tage mit mir arbeiten müssen, ehe ich der Einstellung zustimme.«

Dales überschwänglicher Respekt für Jess wuchs noch ein Stück weiter. Sie wusste, dass Jess die Notaufnahme am Herzen lag, aber die neue Krankenhausleitung davon zu überzeugen, die übliche Prozedur für die Einstellung eines Teilzeitarztes übertrieben auszudehnen, musste ein harter Kampf gewesen sein.

»Ich will ja nicht drängeln, oder so, aber denkst du, dass du bis Ende der Woche Hilfe organisieren kannst?«

»Ich sehe, was ich tun kann. Ich habe eine Bewerberin, die heute Morgen vorbeikommt.«

»Super.« Die Aussicht auf die dringend benötigte Hilfe entlockte Dale ein Grinsen. »Danke.«

Jess schüttelte den Kopf. »Bedank dich noch nicht. Ich werde diese Frau auf Herz und Nieren prüfen, bevor ich sie einstelle.« Sie hob eine Hand, als Dale widersprechen wollte. »Ich weiß, dass ihr Hilfe braucht, aber es ist besser, wenn wir uns ein paar Tage mehr Zeit nehmen und sichergehen, dass die Kandidatin gut ist. Ich will das Prozedere nicht in einer Woche wiederholen müssen.«

Dale seufzte. »Du hast recht. Und danke, dass du die Situation mit Gretchen verstehst.«

Die Tür von Jessʼ Büro öffnete sich und ihre Frau Kim betrat das Zimmer. »Oh, tut mir leid. Ich wusste nicht, dass du beschäftigt bist.« Sie drehte sich um und steuerte die Tür an.

»Warte«, sagte Jess und erhob sich mit einem strahlenden Lächeln, das ihr gesamtes Gesicht erhellte. Sie warf Dale einen Blick zu. »Wir sind fertig?«

»Alles geklärt. Danke noch mal.« Dale lächelte Kim im Vorbeigehen an. »Habt einen schönen Tag.« Als sie die Tür hinter sich schloss, kam sie nicht umhin, das Pärchen zu beneiden. Wie schön musste es sein, nicht nur eine Frau zu haben, sondern auch noch jeden Tag mit ihr zu arbeiten. Sie schüttelte den Kopf. Träum weiter.

Logan hielt vor dem Eingang der Notaufnahme des L.A. Metro. Die dicken, dunklen Wolken, die die Sonne verdunkelten, passten perfekt zu ihrer Stimmung. »Wird Zeit, sich dem neuen Boss zu stellen«, murmelte sie mit finsterem Blick. Die Zustimmung des Abteilungsleiters zu bekommen, gehörte nicht zum üblichen Ablauf für eine Vertretungsstelle. Die Firma, für die Logan arbeitete, hatte sich darauf spezialisiert, Ärzte zur Verfügung zu stellen, die Teil- und Kurzzeitstellen im ganzen Land besetzten. Normalerweise stellte das Krankenhaus die Agentur an und solange der Arzt die Bewerbungskriterien erfüllte, bekam das Krankenhaus die Person, die die Agentur schickte.

Warum konnte das L.A. Metro nicht wie die anderen Krankenhäuser sein? Die Versuchung, die Stelle abzulehnen, war groß gewesen, aber in der Gegend gab es keine anderen Angebote. Und sie musste arbeiten. Wenn sie diesen Job wollte, musste sie da durch. »Schön, bringen wir es hinter uns.«

Sie marschierte auf den Empfangstresen der Notaufnahme zu. Der Bereich war mit dickem Glas versehen, wie der Kassierbereich in einer Bank. Ein kleines Sprechfenster und ein Schlitz, um Papiere hin und her zu reichen, waren in das Glas eingelassen. Logan beugte sich näher heran. »Ich habe einen Termin bei Dr. McKenna.«

Der Angestellte hob den Blick von seinem Computerbildschirm. »Welche?«

Was? Logan runzelte die Stirn. »Die Leiterin der Notaufnahme, Dr. McKenna. Ich habe um neun Uhr einen Termin mit ihr.«

»Alles klar, ich sag Bescheid, dass Sie da sind.« Er nahm das Telefon. »Entschuldigung, wie war Ihr Name?«

»Dr. Logan. Ich bin von Barron’s Staffing.« Durch das dicke Glas konnte sie nicht hören, was der Angestellte am Telefon sagte.

Er legte auf und beugte sich vor, damit sie ihn wieder verstehen konnte. »Dr. McKenna ist gleich da.«

Logan wippte mit dem Fuß und konnte nur mit Mühe den Drang unterdrücken, nervös auf und ab zu gehen. Hier rumzustehen und darauf zu warten, von einer Notaufnahmechefin verhört zu werden, war das Letzte, was sie wollte. Logan wollte … nein, sie musste arbeiten. Ihr Blick glitt über die Patienten, die das Wartezimmer füllten. Das waren die Menschen, denen sie helfen sollte.

Die Tür neben dem Empfangsbereich öffnete sich und eine große, dunkelhaarige Frau mit beeindruckend blauen Augen trat heraus. »Dr. Logan?« Als Logan nickte, reichte die Frau ihr die Hand und begrüßte sie mit festem Griff. »Ich bin Dr. McKenna. Kommen Sie bitte mit?«

Sie folgte Dr. McKenna, die sie ins Herz der Notaufnahme führte. Der Ort summte vor Betriebsamkeit der Schwestern und Ärzte, die ihren Aufgaben konzentriert nachgingen. Genau so, wie Logan es mochte.

Kapitel 3

Dale war voller Elan, als sie den Eingang der Notaufnahme ansteuerte. Jess hatte ihr eine Nachricht hinterlassen, dass die neue Vertretungsärztin heute Abend anfangen würde. Dale blieb an der Schwesternstation stehen und winkte Paul, dem Empfangschef zu sich.

»Hey, Dr. Parker. Was gibt’s?«

»Wir bekommen heute Abend eine neue Ärztin, die uns zur Hand gehen wird. Sagen Sie mir bitte Bescheid, wenn Dr. Logan kommt.« Sie drehte sich um und ging.

»Sie ist schon da.«

Dale warf einen Blick auf ihre Uhr. Die Schicht würde erst in einer halben Stunde beginnen. Sie drehte sich wieder zur Schwesternstation um. »Wo ist sie?«

Mit dem Daumen deutete Paul über seine Schulter auf die Kabinen an der hinteren Wand. »Ich glaube, Vorhang drei.«

»Sie hat einen Patienten?«

»Ja. Sie hat sich eingestempelt und sofort an die Arbeit gemacht.«

»Danke, dass Sie mir Bescheid gegeben haben.« Mit einem kurzen Blick auf die Aufnahmeformulare stellte Dale fest, dass Dr. Logan tatsächlich hinter Vorhang drei war. Seit die Probleme mit Gretchens Schwangerschaft ausgeufert waren, hatte Dale die Verantwortung für die Nachtschicht übernommen. Das war jetzt ihre Notaufnahme. Niemand konnte hier antanzen und anfangen, Patienten zu behandeln, ohne wenigstens Hallo zu sagen. Nachdem sie ihre Jacke ausgezogen hatte, ging sie entschlossen zu den mit Vorhängen abgetrennten Kabinen. Vor dem Abteil, in dem sich Dr. Logan und ihr Patient befanden, hielt sie inne und atmete tief ein, um sich zu beruhigen.

Jess hatte diese Ärztin genau unter die Lupe genommen, also musste sie in Ordnung sein. Dale grinste, als sie sich an ihre eigene Zeit unter Jessʼ prüfendem Blick vor knapp einem Jahr erinnerte. Jetzt konnte sie darüber lachen. Damals war es jedoch nervenaufreibender gewesen, als unter dem stechenden Blick des Captains während ihres ersten Auslandseinsatzes. Sie bezweifelte, dass Jess bei Dr. Logan weniger aufmerksam gewesen war. Trotzdem sah sie es als ihre Pflicht an, ebenfalls einen Blick auf die neue Ärztin zu werfen, bis auch sie von ihr überzeugt war. Nachts zu arbeiten brachte eine besondere Verantwortung mit sich, weil die Verstärkung nicht so bequem verfügbar war wie am helllichten Tag.

Dale zog den Vorhang zurück und warf einen Blick hinein. Dr. Logan hatte ihr den Rücken zugedreht und sprach sanft mit dem Mann auf der Liege. Sie konnte nicht verstehen, was sie sagte. Ihre Figur konnte sie kaum beurteilen, da der weite, weiße Kittel ihren Körper verhüllte. Ihr glattes, dunkelblondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, der mit seinem Ende den Kragen des Kittels streifte. Sie vermutete, dass Dr. Logan ebenso wie sie um die ein Meter fünfundsiebzig groß sein musste. Ehe sie sich bemerkbar machen konnte, drehte sich die Frau herum und sah sie an.

Mit einem finsteren Blick stand sie auf und kam auf Dale zu. »Kann ich Ihnen helfen?«, fragte Dr. Logan.

Dale war von dem Paar topazbrauner Augen gefesselt, die durch den goldenen Strahlenkranz um die dunkle Pupille noch beeindruckender wirkten. Dale brauchte einen Moment, um ihre Stimme wiederzufinden, dann deutete sie mit dem Kopf in Richtung Flur. »Warum gehen wir nicht nach draußen?«

Dr. Logan trat hinter dem Vorhang hervor und ging auf die andere Seite des Flures, damit der Patient sie nicht mehr hören konnte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. »Gibt es ein Problem?«

Angesichts Dr. Logans abwehrender Haltung, entschied sich Dale, gelassen aufzutreten. Immerhin hatte die Frau nicht wirklich etwas falsch gemacht. Und sie wollte nicht, dass sie einen schlechten Start hatten. Nichtsdestotrotz hatte sie vor, weiterhin ein Auge auf sie zu haben. »Ich wollte mich nur vorstellen. Ich bin Dale Parker, die verantwortliche Ärztin in der Nachtschicht.« Sie streckte ihre Hand aus.

Dr. Logan erwiderte den Händedruck mit festem Griff. »Logan. Freut mich, Sie kennenzulernen.«

Sie kam nicht umhin festzustellen, dass Logan ihren Vornamen nicht genannt hatte. Neugierig warf sie einen Blick auf das Namensschild, das am Kragen ihres Kittels hing, doch es war umgedreht, sodass nur die Rückseite sichtbar war. Tja.

»Sonst noch etwas? Ich würde gern zu meinem Patienten zurück.«

»Nein. Ich wollte Sie nur bei der Nachtschicht willkommen heißen und Ihnen sagen, dass Sie jederzeit zu mir kommen können, falls Sie etwas brauchen.«

»In Ordnung. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden.«

Dales Blick blieb an Logan hängen, bis diese die Kabine wieder betreten und den Vorhang hinter sich zugezogen hatte. Sie wusste nicht, was sie von dem Neuankömmling halten sollte. Obwohl sie nicht die umgänglichste Person zu sein schien, wirkte sie wie jemand, der hart arbeiten konnte. Und das war das Wichtigste. Als sie den Flur hinunterlief, spielte sie in Gedanken noch einmal den Moment ab, in dem sie Logans strahlender Blick gefangen genommen hatte. Fang gar nicht erst an, schimpfte sie sich.

»Soll ich Ihnen helfen?«

Logan zuckte zusammen. Diese Frau sollte verflucht sein. Mit einem Blick über die Schulter stellte Logan fest, dass Dr. Parker am Türrahmen des Behandlungszimmers lehnte. Sie drehte sich um, um sie besser sehen zu können. Dr. Parkers durchtrainierte Figur war unter dem langärmligen Shirt und dem OP-Kittel deutlich erkennbar. Wirres, braunes Haar umspielte Parkers Gesicht und ließ ihre kräftigen Gesichtszüge weicher erscheinen.

Seit ihrer ersten Begegnung war ihr etwas an Parker quälend vertraut vorgekommen. Aber das ergab keinen Sinn, da sie sich noch nie zuvor gesehen hatte. Parkers rote Laufschuhe erregten ihre Aufmerksamkeit und unwillkürlich musste sie an die Frau gestern Abend am Strand denken. Sie schnaubte. Wie hoch standen die Chancen, dass von den Millionen Menschen in L.A. ausgerechnet sie sich am selben Strand treffen würden? Selbst wenn es so wäre, minderte es nicht Logans Verärgerung darüber, dass Parker sie schon die ganze Nacht verfolgte.

Logan schluckte ihre Verärgerung herunter. »Ich habe alles unter Kontrolle.« Sie fuhr damit fort, die Wunde ihres Patienten zuzunähen, der leider als Verlierer aus einer Barschlägerei hervorgegangen war. Bis jetzt war sie glücklich damit gewesen, dass nur sein Schnarchen ihr Gesellschaft geleistet hatte.

»Es macht mir wirklich nichts aus«, sagte Dr. Parker, als sie sich auf die gegenüberliegende Seite der Liege stellte. »Es ist ziemlich ruhig. Ich helfen Ihnen und dann können wir uns eine Tasse Kaffee holen.« Sie lächelte, zog einen der Hocker an die Liege und griff nach einem Paar Handschuhe. »Wir hatten noch nicht die Gelegenheit, uns näher kennenzulernen.«

Und wenn es nach Logan ging, würde es auch genau so bleiben. Sie wollte nichts über ihre Kollegen erfahren und umgekehrt ebenso wenig. »Das ist nicht nötig. Wirklich, ich …«

Das Geräusch hastiger Schritte erregte ihre Aufmerksamkeit. Marco Martinez, einer der Assistenzärzte, hielt sich am Türrahmen fest, als er schlitternd zum Stehen kann. »Dr. Parker. Der Krankenwagen ist gerade reingekommen. Motorradfahrer gegen Bus.« Seine Augen waren geweitet. »Es ist schlimm.«

Dr. Parker stand auf. »Marco, beenden Sie das hier für Dr. Logan.« Ihr ruhiger Blick traf Logans. »Gehen wir.«

Logan war Parker dicht auf den Fersen, als sie den Flur hinunterrannte. Gemeinsam stürzten sie durch die Türen in den Schockraum.

»Status«, bellte Dr. Parker, als sie ihre Schutzkleidung anzog. »Jemand soll Dr. Connolly rufen.«

Logan warf einen Blick auf Dr. Parker und erstarrte. Die lächelnde, gelassene Frau, die sie die ganze Nacht verfolgt hatte, war verschwunden. Ihre Augen hatten eine stahlgraue Farbe angenommen und ihre gesamte Haltung hatte sich verändert. Vor ihr stand eine Kriegerin, die sich für die Schlacht bereit machte. Wow. Sie bot einen faszinierenden Anblick.

Logan schüttelte den Kopf, um diese Gedanken loszuwerden und konzentrierte sich auf die Situation im Schockraum. Der Assistenzarzt hatte nicht übertrieben; es war schlimm. Der Patient sah aus, als wäre er unter einen Bus gekommen und mitgeschleift worden. Zügig analysierte Logan seine offenkundigsten Verletzungen: mehrfacher Bruch des Waden- und Schienbeins, schwere Abschürfungen im Brust- und Bauchbereich, sowie wahrscheinlich unzählige weitere Brüche.

Eine der Schwestern ratterte die Werte des Patienten herunter, während sie das entfernten, was von seiner Kleidung übrig war, Blut nahmen und ihn zur Überwachung der verschiedenen Parameter an den Monitor anschlossen.

Logan zog ihren Gesichtsschutz herunter und stellte sich auf eine Seite der Liege. Parker stellte sich ihr gegenüber auf.

Der Pulsmesser fing an zu schrillen. »Logan, intubieren Sie ihn.«

Logan lief zum Kopfende der Liege und nahm sich einen 7,5 Millimeter großen Endotrachealtubus. Sobald sie ihn in Position gebracht hatte, befestigte sie den Beatmungsbeutel. Während sie den Beutel einige Male drückte, hörte sie den Patienten auf jeder Seite ab, um sicherzustellen, dass der Tubus richtig saß. Eine Röntgenaufnahme würde warten müssen.

Ohne darum gebeten zu werden, stellte sie sich wieder Parker gegenüber auf und versorgte die Verletzungen des Patienten auf ihrer Seite. Selbst in der Hitze des Augenblicks war sich Logan bewusst, wie gut sie und Parker zusammenarbeiteten, ohne einander in die Quere zu kommen. Es war, als hätten sie es schon hunderte Male zuvor getan.

Die Türen zum Schockraum schwangen auf und eine zierliche Rothaarige wirbelte in den Raum.

»Freut mich, dass Sie uns endlich Gesellschaft leisten, Dr. Connolly«, sagte Parker.

Was? Warum maßregelte sie die Frau? Soweit Logan es nach dieser Nacht beurteilen konnte, schien das untypisch für Parker zu sein. Es war noch nicht einmal zehn Minuten her, dass sie nach der Ärztin geschickt hatte. Sie warf Parker einen Blick zu und sah, dass sie hinter ihrem Sichtschutz grinste. Sie hatte gescherzt; ein üblicher Bewältigungsmechanismus in der Notaufnahme.

»Musste erst noch mein Damespiel beenden«, erwiderte Dr. Connolly schlagfertig. Ihr Ausdruck wurde ernst. »Was haben wir?«

Parker fasste schnell die Verletzungen zusammen.

Logan trat zurück, als die Frau, die offensichtlich Unfallchirurgin war, ihren Platz an der Seite des Patienten einnahm. Sie fühlte einen seltsamen Stich, als sie die kurzzeitige Verbindung mit Parker verlor, die sie während der Arbeit am Patienten gehabt hatten. Was ist los mit dir? Wütend auf sich selbst zog Logan die blutigen Handschuhe und den Kittel aus und warf sie in den Mülleimer für die Schutzanzüge. Alles, was zählte war die Arbeit. Und es gab immer wieder neue Patienten, um die sie sich kümmern musste. Trotzdem konnte sie nicht widerstehen, Parker ein letztes Mal über die Schulter anzusehen, bevor sie den Raum verließ.

Kapitel 4

Logan parkte auf dem freien Platz neben ihrem Wohnmobil. Als sie ausstieg, bemerkte sie, dass der Vorhang, der normalerweise hinter der Windschutzscheibe zugezogen war, schräg hing und teilweise heruntergerissen war.

Drake starrte sie aus dem Beifahrerfenster an. Als er sie sah, fing er an zu winseln.

Sie warf einen Blick durch das Seitenfenster in den Fahrerbereich. Was zur Hölle …? Die beiden Kapitänssitze waren so gedreht, dass sie ins Innere der Kabine zeigten. Irgendwie war es Drake gelungen, sich zwischen die beiden Stühle und das Armaturenbrett zu quetschen. Während ihrer gesamten Reise hatte er noch nie ein solches Kunststück vollbracht. Der einzige Weg, ihn sicher aus dieser misslichen Lage zu befreien war, die Beifahrertür zu öffnen.

Logan schloss die Tür auf und öffnete sie. »Was zur Hölle machst… ?« Sie wurde unterbrochen, als ihr der Gestank entgegenschlug. Sie stellte sich auf das Trittbrett, um einen Blick über Drake hinweg werfen zu können.

Winselnd senkte er den Kopf.

Oh! Ihre Wut auf ihn verpuffte augenblicklich. Der Schweinerei nach zu urteilen hatte er ein riesiges Missgeschick – wahrscheinlich sogar mehr als eins. Er neigte zu Durchfall, wenn er durcheinander war. »Oh, Kumpel. Es ist okay. Ich bin nicht böse auf dich. Es war nicht deine Schuld. Na komm schon raus.«

Kurz öffnete sie die Haupttür des Wohnmobils und holte seine Leine, ehe sie gemeinsam zur Hundewiese gingen. Als sie zurückkamen, band Logan Drake an dem Picknicktisch ihres Stellplatzes fest. Anschließend öffnete sie die Tür und stellte sich auf die Stufe, um das Malheur im Inneren zu begutachten. Sein Körbchen war vollständig eingesaut, ebenso wie ein Teil der Couch und einige Schränke. Da war ihm wortwörtlich die Scheiße um die Ohren geflogen. Für einen Moment überkam sie der absurde Drang, ein Feuerzeug in das Wohnmobil zu werfen und die Tür abzuschließen. Es war so erdrückend, dass sie nicht wusste, wo sie anfangen sollte.

»Entschuldigen Sie?«

Überrascht, dass Drake sie nicht gewarnt hatte, drehte Logan sich um.

Eine zierliche, ältere Frau, die sie als Parkverwalterin wiedererkannte, stand einige Meter von Drake entfernt. Sie hatten sich kurz kennengelernt, als Logan Anfang der Woche angekommen war, aber sie konnte sich nicht an ihren Namen erinnern. Logan hatte auf keinem der Campingplätze, die sie während ihrer Reise besucht hatten, Bekanntschaften gemacht. Sie hatte es vorgezogen, anonym zu bleiben, so wie all die anderen Leute, die auf der Durchreise waren.

»Ich muss mit Ihnen sprechen«, sagte die Frau und ihre ernste Miene machte deutlich, dass es sich nicht um einen Höflichkeitsbesuch handelte.

Was jetzt? Logan musste diese Sauerei beseitigen und etwas schlafen. Sie hatte keine Zeit, sich mit noch mehr Ärger herumzuschlagen. Sie ließ die Tür des Wohnmobils offen stehen in der Hoffnung, dass es ein wenig lüften würde, und ging zu der Frau. »Gibt es ein Problem?«

»Ja. Ich habe einige Beschwerden darüber erhalten, dass Ihr Hund letzte Nacht und heute Morgen gebellt hat.«

»Es tut mir leid. Es wird nicht wieder vorkommen.« Hoffe ich.

»Ich bin heute Morgen vorbeigekommen, als Sie nicht da waren.« Mit einem Stirnrunzeln musterte die Frau sie von Kopf bis Fuß. »Einer der Bewohner meinte, dass sie die ganze Nacht weg waren. Sie sollten Ihren Hund wirklich nicht so lange unbeaufsichtigt lassen.«

Das hier wurde mit jeder Minute schlimmer. Bis jetzt hatte es nie Probleme gegeben, wenn sie Drake allein im Wohnmobil gelassen hatte, während sie arbeiten musste.

»Ich war nicht hier, weil ich nachts arbeite. Für gewöhnlich kann Drake das gut verkraften und verhält sich ruhig.« Logan stellte sich neben Drake und streichelte seinen großen Kopf. »Ich bin sicher, dass er keine weiteren Probleme verursachen wird.«

»Na ja, ich wollte nur sichergehen, dass Sie sich der Situation bewusst sind.« Die Frau verschränkte die Arme vor der Brust. »Sollte ich noch weitere Beschwerden erhalten, muss ich Sie bitten, den Platz zu verlassen.«

Verdammt. Dieser Campingplatz lag am nächsten am L.A. Metro und trotzdem waren es fast fünfunddreißig Kilometer. Ihr gefiel der Gedanke nicht, einen neuen Platz finden zu müssen oder Drake über Nacht jedes Mal in eine Hundepension zu bringen, wenn sie arbeitete. Er mochte die Tagesbetreuung, hasste es jedoch, über Nacht in einen Zwinger gesperrt zu werden.

»Ich bin sicher, dass es ein einmaliger Ausrutscher war.« Logan strich über Drakes Rücken. »Er muss etwas in seinem Futter nicht vertragen haben und deshalb hatte er ein kleines Missgeschick. Deswegen hat er letzte Nacht gebellt. Und zu allem Übel hing ich heute Morgen auf dem Weg von der Arbeit auch noch im Verkehr fest und bin zu spät zurückgekommen.«

Die Frau warf einen Blick auf das Wohnmobil, dann sah sie Logan wieder an. »Wo arbeiten Sie?«

Logan versteifte sich. Sie sprach mit niemandem über ihr Leben. Verdammt. Nach einem tiefen Atemzug zwang sie sich, dieses Mal eine Ausnahme zu machen. Es war vielleicht der einzige Weg, der sie und Drake vor der Räumung bewahrte. »Ich übernehme vorübergehend für eine kranke Ärztin die Nachtschicht in der Notaufnahme des L.A. Metro.«

»Sie sind Ärztin?«

Logan ließ sich ihre Verärgerung über den überraschten Tonfall nicht anmerken. »Ja.« Als die Frau sie immer noch erwartungsvoll ansah, zwang sie sich, weiterzureden. »Ich springe für Ärzte ein, die eine Auszeit brauchen oder wenn ein Krankenhaus Personalmangel hat.« Sie konnte förmlich sehen, wie die Frau ihre Meinung über sie änderte.

Zum ersten Mal seit ihrer Ankunft, lächelte die Frau. »Mein Enkel Danny möchte Arzt werden.« Sie trat neben sie und Drake und streckte eine Hand aus. »Ich bin übrigens Bernice, falls Sie sich nicht erinnern. Sie sind Ashlee, richtig?«

Logan zuckte zusammen. Ashlee hatte vor zwei Jahren in einer kalten, verschneiten Nacht in Boston aufgehört zu existieren. »Logan ist mir lieber.«

Bernice zog die Brauen zusammen. »Okay. Logan.« Sie streichelte Drake. »Also, dieser große Junge war krank?« Ohne auf eine Antwort zu warten, ging sie zum Wohnmobil und warf einen Blick hinein. »Oh. Himmel!« Sie kam zurück und umarmte Drake. »Du armes Ding. Haben Sie Pepto-Bismol? Als mein Mann und ich noch Hunde hatten, hat es bei ihren Magenverstimmungen immer geholfen.«

»Ich habe Medikamente für ihn.« Das war gelogen, aber Logan wollte sich niemandem gegenüber verpflichtet fühlen. Sie würde ihm etwas geben, nachdem sie die Schweinerei beseitigt hatte.

»Werden Sie weiterhin nachts arbeiten?«, fragte Bernice.

»Ja.«

»Für wie lange?«

Was war das? Ein Verhör? Logan konnte nur mit Mühe einen finsteren Blick unterdrücken. Verdammt, diese Frau war neugierig. Andererseits war sie auch die Parkverwalterin und es wäre nicht hilfreich, es sich mit ihr zu verscherzen. Logan hatte für zwei Wochen gezahlt, als sie sich angemeldet hatte. »Sechs Wochen insgesamt.«

Bernice sah zwischen ihr und Drake hin und her, ehe sie eine Entscheidung zu treffen schien. »Wenn Sie möchten, könnte ich mit Drake nachts einmal Gassi gehen, bevor ich ins Bett gehe. Und morgens natürlich auch. Ich stehe früh auf.«

Drake schmiegte sich an Logans Seite, bevor sie ablehnen konnte. Als sie zu ihm hinuntersah, überkamen sie Schuldgefühle. Drake wirkte ziemlich verzweifelt. Und er war kein junger Hund mehr. War es ihm gegenüber wirklich fair, Hilfe abzulehnen, nur weil sie niemandem einen Gefallen schuldig sein wollte? Du verdienst keine Hilfe, Logan. Sie weigerte sich, sich ihren dunklen Gedanken hinzugeben. Hier ging es nicht um sie; sie musste das Richtige für Drake tun.

Logan unterdrückte all ihre zwiespältigen Gefühle und zwang sich, Bernices Blick zu begegnen. »Das ist sehr nett von Ihnen. Wenn Sie sich sicher sind, würden Drake und ich das sehr zu schätzen wissen.«

Bernice lächelte. »Es wäre mir eine Freude.« Sie streichelte Drakes Nacken. »Sind Sie sicher, dass Sie keine Pepto-Brismol brauchen?«

Drake sah ziemlich unglücklich aus, vielleicht machte ihm sein Magen noch immer zu schaffen. Sie hatte es bis hierher geschafft. »Ähm … ja. Ich glaube, es wäre doch keine schlechte Idee. Danke.«

»Halt durch, Großer.« Bernice streichelte Drake noch einmal. »Ich bin gleich wieder da.«

Logan zog die Decke aus dem Kofferraum ihres SUV und breitete sie für ihn auf dem Boden aus. Es machte keinen Sinn, dass er stehen musste, während sie sauber machte und sie wollte nicht, dass er sich auf den Zementboden legte; der harte Untergrund belastete seine Ellbogen zu stark.

Logan krempelte ihre Ärmel nach oben und marschierte auf das Wohnmobil zu. Das würde nicht angenehm werden. Das ist die Untertreibung des Jahres.

Kapitel 5

Dale öffnete die Tür zum Personalraum und war überrascht, Logan mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf einem der Sofas sitzen zu sehen. Die Frau machte kaum eine Pause und wenn doch, hielt sie sich eigentlich fast nie im Personalraum auf. Logan war ein Mysterium. Sie war stets höflich und von allen Ärztinnen, die Dale bislang in ihrem Team hatte, arbeitete keine so hart wie Logan. Aber bis auf ihren Vornamen wusste Dale genauso wenig über Ashlee wie vor drei Wochen, als Logan in der Notaufnahme angefangen hatte. Und den Namen hatte sie auch nur herausgefunden, weil er auf der Identifikationskarte stand. Obwohl sie Logans Privatsphäre respektierte, war sie trotzdem neugierig.

Etwas, das sie in Logans Augen gesehen hatte, als sie sich unbeobachtet gefühlt hatte, hatte eine Saite in Dale zum Klingen gebracht. Es war der viel zu vertraute gehetzte Ausdruck, der unter der Oberfläche eines jeden Veteranen lauerte. Sie war sich ziemlich sicher, dass Logan ebenfalls Veteranin war.

Da sich Dale die Chance nicht entgehen lassen wollte, ein paar Minuten mit der geheimnisvollen Logan außerhalb einer Behandlung zu verbringen, ließ sie den Kaffee, für den sie eigentlich gekommen war, links liegen und ging direkt auf die Couch zu.

»Darf ich mich setzen?«

»Natürlich. Sie gehört ganz Ihnen.« Logan stand auf.

Dale schüttelte lächelnd den Kopf und versteckte ihre Enttäuschung. Einen Versuch war es wert gewesen. Sie bedeutete Logan mit einer Geste, sich wieder zu setzen. »Vergessen Sie’s. Ich will Sie nicht stören.« Einen Moment hielt sie inne und hoffte, dass Logan sie bitten würde, sich trotzdem zu ihr zu setzen.

Sie tat es nicht.

Nicht allzu überrascht, nickte Dale ihr zum Abschied zu und ging in die kleine Kaffeeküche in der Ecke.

Die Tür schwang auf und Donna, eine der Krankenschwestern, streckte den Kopf herein. »Neuzugang. Dreijähriger mit Magen-Darm-Beschwerden. Martinez und Lane sind mit anderen Patienten beschäftigt.«

Dale stellte die Kaffeetasse ab. »Okay. Ich bin …«

»Ich kümmere mich darum.« Logan stürmte aus der Tür, bevor Dale widersprechen konnte.

Sie schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und ging zu der Couch, auf der Logan gesessen hatte. Da sie wusste, dass viele Veteranen im Stillen litten, musste sie Logans viel zu höfliche Schale durchbrechen. Dale beschloss, Logan zu zeigen, dass es Menschen gab, die verstanden, was sie durchmachte und dass sie nicht allein leiden musste.

Dale hatte gerade den letzten Schluck ihres Kaffees getrunken, als die Tür zum Personalraum erneut aufschwang.

Mit finsterem Blick stapfte Logan in den Raum und fluchte leise vor sich hin. Ein großer bunter Fleck verunstaltete die Vorderseite ihres Kittels. Als sie Dale auf der Couch entdeckte, warf sie die Hände in die Luft. »Welche Eltern geben ihrem Kind Froot Loops zu essen, wenn es Bauschmerzen hat?«

Das war die erste emotionale Reaktion, die sie jemals bei Logan gesehen hatte. Mit Mühe unterdrückte Dale ihr Lachen, musste aber grinsen. »Wäre nicht meine erste Wahl gewesen.«

Logan marschierte zu ihrem Spind, öffnete das Schloss und zog die Tür auf. Sie schälte sich aus dem beschmutzten Kittel.

Dales Blick glitt über Logans Rücken. Zum ersten Mal sah sie sie ohne den Kittel. Das langärmelige Shirt und die Baumwollhose, die mit einem Gürtel auf ihren Hüften hielt, konnten ihre üppigen Kurven nicht verbergen. Als Dales Blick auf Logans wohlgeformten Hintern fiel, biss sie sich auf die Unterlippe. Hübscher Arsch. Schnell wandte sie den Blick ab, als Logan sich umdrehte.

Einen Moment lang sah Logan sie an, als hätte sie die Blicke gespürt.

Dale wurde rot. Sie tat so, als würde sie einen Schluck aus ihrer bereits leeren Tasse nehmen, um die Verlegenheit darüber zu verbergen, beim Starren auf Logans Arsch erwischt worden zu sein. »Ähm … wenn Sie einen Kittel brauchen, hätte ich einen übrig, den Sie sich ausleihen könnten.«

»Danke, ich hab einen.« Logan wühlte in ihrem Spind herum. Nachdem sie den neuen Kittel angezogen hatte, leerte sie die Taschen des dreckigen und befestigte das Namensschild am Kragen. Als sie sich wieder umdrehte, verzog sie das Gesicht. »Hoffentlich ist sein Magen jetzt leer. Das ist mein letzter sauberer Kittel. Auf dem Campingplatz gibt es nur zwei Waschmaschine und es ist schwierig, eine unbenutzte zu erwischen.«

Campingplatz?

Logans Augen weiteten sich, als wäre ihr gerade erst klar geworden, was ihr herausgerutscht war. »Ich gehe besser wieder zu ihm.« Sie floh aus dem Zimmer.

Unzählige Fragen wirbelten durch Dales Kopf. Vor allen Dingen wollte sie wissen, warum Logan auf einem Campingplatz wohnte.

Das Geräusch von Sirenen riss sie aus ihren Gedanken.

Das Mysterium Logan würde warten müssen.

Dale rieb über ihr schmerzendes Knie und versuchte, nicht zu humpeln, als sie zurück zur Schwesternstation ging. Eine Horde von Jugendlichen, die in eine Gangauseinandersetzung verwickelt worden waren, hatte sie, Logan und die beiden Assistenzärzte für einige Stunden beschäftigt. Ruckartig zog Dale ihre Hand vom Bein, als sie Logan am Empfangstisch sah. Sie beobachtete sie.

Einen Moment lang begegneten sich ihre Blicke; dann drehte sich Logan um und ging.

Als Dale die Schwesternstation erreichte, warf sie einen Blick auf die Tafel, an der die Aufnahmen aufgelistet waren und seufzte tief. »Gott sei Dank sind sie alle wieder weg.« Die Bandenmitglieder waren durchweg unhöflich, vulgär und ausgesprochen unkooperativ gewesen.

»Ja, alle Gangmitglieder sind weg.« Paul zog ein finsteres Gesicht. »Aber Sie sollten sehen, was für ein Chaos ihre Freunde im Wartebereich hinterlassen haben. Ich habe die Reinigungskräfte gerufen.«

»Gut. Danke, dass Sie den Überblick behalten haben. Wer steht noch auf der Warteliste?«

Paul sah auf seinen Bildschirm. »Ein Fünfjähriger, der Schmerzen im Bein hat, nachdem er aus seinem Bett gesprungen ist.«

»Alles klar, ich kümmere mich darum.« Nach den Bandenmitgliedern würde ein Kind eine willkommene Abwechslung sein.

Mit einer Hand fuhr sich Dale durch die Haare. Verdammt! Was nur eine einfache Schenkelverletzung hätte sein sollen, hatte sich als etwas sehr viel Ernsteres herausgestellt. Die Schwere der Verletzung des kleinen Jungen passte nicht zu der Geschichte, die die Eltern erzählten. Auf keinen Fall konnte er sich einen Spiralbruch des Schienbeins zugezogen haben, nur weil er vom Bett gesprungen war. Bei näherer Untersuchung hatte sie weitere Prellungen am Körper gefunden, die sich in verschiedenen Stadien der Heilung befunden hatten. Hinzu kamen nach einem Röntgenbild auch noch ein verheilter Wadenbeinbruch und eine alte Rippenfraktur, von deren Existenz die Eltern angeblich nichts wussten.

Am anderen Ende des Flurs flog eine der Türen zum Behandlungsraum auf und knallte gegen die Wand. Mr. Granger, der Vater des Jungen, stürmte aus dem Behandlungszimmer. Er wirbelte herum und packte die offene Tür. »Verschwinden Sie. Sofort.«

Connie, eine der Sozialarbeiterinnen, huschte aus dem Zimmer.

»Und halten Sie sich von meinem Sohn fern«, schrie er.

Dale rannte auf Connie und den wütenden Mr. Granger zu. Die Anstrengungen der letzten Stunden machten sich mit jedem Schritt bemerkbarer. Schlitternd kam sie neben Connie zum Stehen und versuchte, nicht vor Schmerz das Gesicht zu verziehen. »Was ist hier los?«

Mr. Granger sah sie wütend an. »Halten Sie«, er zeigte mit dem Finger auf Connie, »diese Frau von meinem Sohn fern.« Sein Gesicht nahm die Farbe eines gekochten Hummers an, als er seinen aufgebrachten Blick auf Connie richtete. »Wie können Sie es wagen, meine Frau und mich so zu verhören? Wir würden Nathan nie wehtun.«

Wenn Dale auch nur die geringste Chance haben wollte, die Eltern zu beruhigen, musste sie Connie aus der Schusslinie bringen. Sanft legte sie ihr eine Hand auf den Arm. »Connie, warum gehst du nicht in den Aufenthaltsraum? Ich übernehme hier.«

Connie nickte und verschwand, ohne ein Wort zu sagen.

Dale trat näher an die Tür heran, doch Mr. Granger verweigerte ihr den Zutritt in den kleinen Behandlungsraum. Mrs. Granger kauerte neben dem Kopf der Liege und hatte die Arme um Nathan geschlungen.

»Wie konnte sie auch nur andeuten, dass wir unseren Sohn misshandeln würden?«, schnaubte Mr. Granger.

»Niemand hat etwas von Misshandlung gesagt.« Zumindest hoffte sie, dass Connie das nicht getan hatte. Sie war neu in dem Job und Dale kannte sie nicht. »Wie ich Ihnen schon sagte, muss Nathan stationär aufgenommen werden«, sagte sie und ließ ihre Stimme dabei so beruhigend wie möglich klingen. Doch dem Ausdruck auf Mr. Grangers Gesicht nach zu urteilen, hatte dies keinerlei Effekt. »Seine Verletzung ist schwerwiegend.« Sie wusste zwar, dass die Verletzung des Jungen keinen Aufenthalt im Krankenhaus notwendig machte, doch sie hoffte, dass die Eltern das nicht wussten. Sie folgte dem Standardverfahren bei Verdacht auf Kindesmisshandlung, indem sie Nathan im Krankenhaus behielt, bis die Umstände geklärt waren. Die Notaufnahme war jedoch nicht der richtige Ort, um mit solchen Fällen umzugehen.

»Sie werden überhaupt nichts mit meinem Sohn tun. Ich werde ihn wieder mitnehmen. Ich weiß, wie Sie arbeiten! Ich habe die Berichte in den Nachrichten gesehen.« Mr. Granger marschierte zurück in den Behandlungsraum.

»Brauchen Sie Hilfe?«, fragte Logan.

Dale zuckte zusammen. Sie hatte Logan nicht kommen gehört. Sie zögerte, das Angebot anzunehmen. Glaubte Logan, dass sie nicht in der Lage war, mit dieser Situation fertigzuwerden? Der Gedanke verunsicherte Dale, doch sie schob ihn beiseite. Sie weiß nichts über dich. Keiner ihrer Kollegen wusste etwas über sie; sie hatte keine Mühen gescheut, das sicherzustellen. Sie warf einen Blick auf Logan. Wenn es eine Sache gab, die sie beim Militär gelernt hatte, dann, dass es immer gut war, jemanden zu haben, der einem den Rücken deckte.

»Bleiben Sie einfach erst mal im Hintergrund.« Dale wollte vermeiden, den Sicherheitsdienst rufen zu müssen. In solchen Fällen sorgte die Ankunft der Sicherheitsbeamten oft dafür, dass die Situation eskalierte. Sie warf einen Blick ins Zimmer, in dem sich Mr. Granger schützend neben seine Frau gestellt hatte. Dale senkte die Stimme und beugte sich zu Logan. »Aber rufen Sie den Sicherheitsdienst, wenn es sein muss.« Dale deutete auf das Telefon an der gegenüberliegenden Wand. »Ich lasse nicht zu, dass sie den Jungen mitnehmen.«

»Verstanden«, sagte Logan. »Ich rufe den Sicherheitsdienst, wenn die Dinge den Bach runtergehen.«

Nachdem sie einmal tief eingeatmet hatte, trat Dale durch die Tür des Behandlungszimmers.

Mr. Granger streckte die Brust heraus und trat näher an seine Frau heran. Er verschränkte die Arme vor der Brust und funkelte Dale mit wütendem Blick an, als würde er sie dazu herausfordern, es bloß nicht zu wagen, näher zu kommen.

In einer beschwichtigenden Geste hob sie die Hände. »Ich bin sicher, wir sind uns alle einig, dass es das Wichtigste ist, Nathan die Behandlung zukommen zu lassen, die er braucht.« Dale änderte ihre Haltung ein wenig, sodass sie Mrs. Grangers Blick über die Schulter ihres Mannes hinweg begegnen konnte.

Mrs. Granger nickte mit Tränen in den Augen. Sie legte eine Hand auf die Schulter ihres Mannes. »Sie hat recht, Harold.«

Er schüttelte ihre Hand mit einem Schulterzucken ab. »Schön, Sie haben ihn behandelt.« Er deutete auf die Gipsschiene an Nathans Schienbein. »Und jetzt gehen wir. Morgen bringen wir ihn zu einem Kinderarzt. Er wird die Behandlung übernehmen und dafür sorgen, dass Nathan bekommt, was er braucht.«

Obwohl sie keine große Hoffnung hatte, dass Mr. Granger an diesem Punkt noch vernünftig sein konnte, versuchte Dale es erneut. »Seine Verletzungen müssen noch heute Nacht überwacht werden. Manchmal gibt es bei Kindern Komplikationen, wenn sie solche Brüche haben wie Nathan. Er muss im Krankenhaus aufgenommen werden.«

»Nein! Ich weiß, was sie hier versuchen.« Mr. Granger wandte Dale den Rücken zu. »Wir gehen.«

Logan betrat schnell das Zimmer und stellte sich neben Dale, sodass sich ihre Schultern berührten und sie praktisch den Ausgang blockierten. »Der Sicherheitsdienst ist auf dem Weg.«

Dale warf ihr einen dankbaren Blick zu. Wenn sie die Familie im Zimmer halten konnten, würde es helfen, die Situation unter Kontrolle zu behalten.

Mr. Granger hob seinen Sohn von der Liege. Als er mit Nathan im Arm herumwirbelte, schlug das verletzte Bein des kleinen Jungen gegen das Geländer der Liege.

Nathan schrie auf und fing an zu schluchzen. »Daddy, es tut weh. Es tut weh.« Er vergrub das Gesicht im T-Shirt seines Vaters.

Jegliche Farbe wich aus Mr. Grangers Gesicht. »Oh Gott.« Er hielt seinen Sohn fest an seiner Brust.

Mrs. Granger klammerte sich an seinen Arm, während Tränen über ihre Wangen liefen. »Harold. Bitte.«

Das Geräusch dröhnender Schritte kündigte die Ankunft des Sicherheitsdienstes an. »Was gibt es hier für ein Problem?«, fragte der schwarz gekleidete Sicherheitsbeamte.

Mr. Granger verstärkte seinen Griff um Nathan und trat einen Schritt zurück.

Mit vor Angst geweiteten Augen sah Mrs. Granger zwischen Dale und dem Sicherheitsbeamten hin und her. Sie warf Dale einen flehenden Blick zu. »Bitte, lassen Sie nicht zu, dass er unseren Sohn mitnimmt.«

»In Ordnung, wir beruhigen uns jetzt alle wieder.« Dale drehte sich um und wandte sich an den Beamten. »Wir haben die Situation unter Kontrolle. Bitte warten Sie an der Schwesternstation.«

Er beäugte die Grangers. »Sind Sie sicher?«

»Sicher.« Sobald der Beamte gegangen war, ging Dale auf Mr. Granger zu. »Bitte, lassen Sie Dr. Logan noch einmal einen Blick auf Nathans Verletzung werfen.« Sie deutete auf Logan.

Mr. Granger begegnete ihrem Blick und alle Wut war aus seinem Gesicht verschwunden. »Ich schwöre Ihnen, ich würde meinen Sohn niemals vorsätzlich verletzen. Lassen Sie uns ihn mit nach Hause nehmen.«

Obwohl Dale wusste, dass einige Missbrauchstäter perfekte Lügner waren, schien die Qual in seinen Augen echt zu sein. Aber sie hatte keine Wahl; per Gesetz war sie verpflichtet, das Jugendamt zu informieren und den Jungen aufzunehmen. Falls sie die Eltern nicht davon überzeugen konnte, der Aufnahme zuzustimmen, blieb ihr nur noch übrig, die Polizei einzuschalten.

»Entschuldigung«, meldete sich Logan zu Wort. Sie konzentrierte sich auf Mr. Granger. »Ich weiß, dass Sie mich nicht kennen, aber ich kann Ihnen versichern, dass Nathan wirklich aufgenommen werden muss, wenn Dr. Parker das sagt. Sie ist eine unserer besten Ärztinnen.«

Mrs. Granger klammerte sich an den Arm ihres Mannes. »Bitte hör auf sie.«

Mr. Gangers Blick huschte zwischen Dale und Logan hin und her. »In Ordnung.« Er nickte, küsste seinem Sohn die Stirn und übergab ihn langsam an Logan.

»Mrs. Granger, warum gehen Sie nicht mit Dr. Logan? Ich gehe mit Ihrem Mann zum Empfang und kümmere mich um die Aufnahmeformulare.« Innerlich seufzte Dale erleichtert auf, als Logan mit Mrs. Granger im Schlepptau das Zimmer verließ. Sie lächelte, als sie darüber nachdachte, was für ein gutes Team sie waren.

Dale stieß die Tür zum Aufenthaltsraum auf. Erneut saß Logan mit einer Tasse Kaffee in der Hand auf der Couch. Lächelnd steuerte Dale direkt auf die Couch zu und ließ sich am anderen Ende nieder, ohne Logan dieses Mal zu fragen.

Einen Moment sah es so aus, als würde Logan gehen, doch dann seufzte sie und ließ sich zurück ins Polster sinken.

»Danke, dass du mir bei den Grangers geholfen hast«, sagte Dale. »Das war gute Arbeit.«

»Ich hab nur dagestanden.«

Dale schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht. Du warst diejenige, die gesagt hat Dr. Parker ist eine unserer besten Ärztinnen. Das war genau die Zusicherung, die sie gebraucht haben.«

Logan zuckte mit den Schultern. »Es ist die Wahrheit.«

»Danke.« Dale strahlte. Aus irgendeinem Grund bedeutete ihr dieses Lob viel, gerade weil es von Logan kam. »Ich bin auch von deiner Arbeit beeindruckt.«

Mit roten Wangen wandte Logan den Blick ab. Sie legte beide Hände um ihre Kaffeetasse. »Gab es noch Probleme mit Mr. Granger, nachdem du den Jungen auf die Kinderstation gebracht hast?«

»Nein.« Sie seufzte. »Obwohl ich sicher bin, dass er die wirklichen Gründe für die Aufnahme kannte, schien er sich dem Ganzen ergeben zu haben.« Dale musste gähnen. Sie ließ den Kopf nach hinten sinken.

»Na ja, ich gehe besser wieder raus.« Logan wollte gerade aufstehen, als sie die Stirn runzelte und sich näher zu Dale beugte. Sie hob die Hand und berührte ihren eigenen Kiefer. »Du hast hier eine große Prellung.«

Scheiße. Dale zog den Kopf ein, um die Prellung zu verbergen.

Logans Stirnrunzeln wurde noch intensiver. »Und an deinem Arm.«

Hastig zog sie den Ärmel ihres Shirts nach unten. »Es ist nichts.«

Die Tür zum Aufenthaltsraum schwang auf. Molly, eine der Assistenzärztinnen im ersten Jahr, beugte sich in den Raum. »Ich hab eine ausgekugelte Schulter, die ich nicht wieder reinbekomme. Marco hat mit einem anderen Patienten zu tun. Ich bräuchte ein wenig Hilfe.«

Perfektes Timing. »Ich helfe Ihnen.« Dale stieß sich von der Couch ab und trat schnell die Flucht an.

* * *

Logan machte sich auf die Suche nach Dr. Parker. Du musst das tun. Mit Nachdruck schob sie die Hände in die Taschen ihres Kittels. Trotz ihrer Entschlossenheit, sich von allen Kollegen fernzuhalten, fühlte sie sich von Parker auf seltsame Weise angezogen. Und egal, wie oft sie sich sagte, dass es sie nichts anging – nachdem sie Parker vorhin humpeln und die Prellungen an ihrem Gesicht und ihrem Arm gesehen hatte, konnte sie die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Außerdem war da die Tatsache, dass Parker immer ein langärmliges Shirt unter ihrer Kleidung trug, egal, was sie anhatte. Lange Ärmel waren eine klassische Taktik, um wiederkehrende Prellungen zu verstecken. Auch wenn es möglich war, dass es eine harmlose Ursache für diese Prellungen gab, würde Logan sie nicht ignorieren. Sie hatte es einmal getan und würde diesen Fehler nicht wiederholen.

Sie öffnete die Tür zum Aufenthaltsraum und ließ ihren Blick durch den Raum schweifen. Parker war die einzige Anwesende. Mit entschlossenen Schritten ging sie auf die Couch zu. »Darf ich mich setzen?«

Parker zog eine Braue nach oben. »Natürlich.«

Logan setzte sich. Sie spielte mit den Enden ihres Kittels, richtete die Karte an ihrem Aufschlag und verschränkte anschließend die Hände im Schoß.

»Alles in Ordnung?«

Der Klang von Parkers Stimme ließ Logan zusammenzucken. Es war so lange her, dass sie zugelassen hatte, sich um jemanden Sorgen zu machen. Es war schwerer, als sie erwartet hatte. »Also … Eigentlich wollte ich mich vergewissern, dass bei dir alles in Ordnung ist.«

Mit zusammengezogenen Brauen legte Parker den Kopf schräg. »Warum sollte etwas nicht in Ordnung sein?«

Logan räusperte sich. »Mir ist vorhin aufgefallen, dass du humpelst.«

Parker versteifte sich und eine plötzliche Anspannung ging von ihr aus.

»Dann sind mir die Prellungen an deinem Kiefer und am Arm aufgefallen. Du wurdest weggerufen, bevor ich mich vergewissern konnte, dass du wirklich … in Ordnung bist.«

Parker rieb über die Prellung an ihrem Kiefer, als würde sie dadurch verschwinden. »Es geht mir gut. Ich hab vor der Arbeit Basketball gespielt und es ging ein wenig rau zu.« Ihr Blick glitt davon. »Du weißt ja, wie das läuft.«

Obwohl die Erklärung vollkommen vernünftig klang, konnte Logan das Gefühl nicht abschütteln, dass Dale irgendetwas ausließ. Sie unterdrückte den Drang, weiter nachzufragen, und stand von der Couch auf. »Ja. Okay …« Sie kämpfte um Worte und wollte an dieser Stelle einfach nur verschwinden. Eine Berührung an ihrem Ärmel ließ sie zusammenzucken.

»Danke für deine Sorge.«

Die Wärme in Parkers Blick ließ Logans Wangen heiß werden. »Gern geschehen.« Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürzte förmlich aus dem Raum.

Logan spähte in den Aufenthaltsraum. Parker saß auf der Couch und hatte das Gesicht in den Händen vergraben. Verdammt! So viel zu der Hoffnung, dass sie schon gegangen war. Die Intensität ihrer Reaktion auf Parkers kurze Berührung und die Wärme in ihrem Blick hatten sie erschreckt. Es war ihr gelungen, Parker für den Rest der Nacht aus dem Weg zu gehen. Sie würde nicht anfangen, sich für eine Kollegin zu interessieren. Niemals! Die Sorge um Parker nagte zwar an ihr, aber sie zwang sich, sie beiseitezuschieben. Ignorier sie. Hol deine Sachen und verschwinde.

Sie drückte die Tür ganz auf und zuckte zusammen, als diese quietschte. Den Blick fest auf ihre Füße gerichtet, lief sie zu ihrem Spind und öffnete ihn. Sie zog ihren Rucksack heraus und schulterte ihn, dann nahm sie die Plastiktüte mit dem schmutzigen Kittel, schloss leise die Spindtür und drehte sich um, damit sie flüchten konnte. Doch trotz ihres Vorhabens wurde ihr Blick von Parker angezogen, die genau in diesem Moment den Kopf hob.

»Tja, das hab ich versaut.« Parker atmete seufzend aus und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. »Ich hätte es nicht übersehen dürfen.«

Lass dich nicht reinziehen. Geh weg. Der Befehl war sinnlos. Ihre Füße trugen sie bereits zu Parker. Sie blieb neben der Couch stehen und sah in Parkers Gesicht, das vom Stress gezeichnet war. »Was übersehen?«

Parker deutete auf den leeren Platz auf der Couch.

Logan zögerte, dann nahm sie jedoch ihren Rucksack ab und setzte sich so weit von Parker entfernt hin, wie die Couch es zuließ.

»Erinnerst du dich an den Granger-Jungen letzte Nacht?«

»Ja, der Missbrauchsfall.«

»Genau das ist es ja.« Parker verzog das Gesicht. »Es war kein Missbrauch. Irgendetwas an diesem Fall hat mich gestört, aber ich konnte einfach nicht sagen, was es war. Als es in der Notaufnahme dann etwas ruhiger wurde, bin ich auf die Kinderstation gegangen und direkt in Doug Pulley gerannt.« Angesichts Logans verwirrtem Blick fügte sie hinzu: »Er ist hier Kinderarzt. Wie auch immer, ich habe den Fall mit ihm besprochen. Wir sind zu dem Jungen gegangen und er hat ihn untersucht.« Ihre Schultern sackten hinunter. »Ich hab übersehen, dass Nathans Skleren blaugefärbt sind und dass er ein sehr dreieckiges Gesicht hat. Fügt man dem die Prellungen, die alten Brüche, die wir gefunden haben, und die Schwere seiner Verletzung hinzu, sowie die Geschichte, die uns die Eltern erzählt haben …« Fragend sah Parker Logan an.

So schnell sie konnte, ging Logan gedanklich die verschiedenen Diagnosen durch und dachte über alle Möglichkeiten nach. »Osteogenesis imperfecta. Glasknochenkrankheit.«

Parker seufzte. »Richtig. Doug hat einen Gentest angeordnet, aber er ist überzeugt, dass wir es hier damit zu tun haben. Und ich hab es übersehen.« Parker strich mit den Fingern durch ihre Haare. »Wegen meines Fehlers wurde das Jugendamt eingeschaltet und die Eltern wurden behandelt, als wären sie Kriminelle, die ihren Sohn misshandeln.«

Logan wusste nicht, wann sie sich bewegt hatte, doch nun saß sie direkt neben Parker auf der Couch. »Ich hab es nur gesehen, weil du es mir haarklein erklärt hast. Denk dran, ich hab den Jungen auch untersucht. Und mir sind seine Augen auch nicht aufgefallen.« Obwohl sie normalerweise sehr zögerlich mit Berührungen umging, legte sie ihre Hand auf Parkers Arm. »Du hast getan, was du tun musstest.« Sie hielt Parkers Blick fest, weil sie wollte, dass sie von ihrer Aufrichtigkeit überzeugt war. »Ich hätte dasselbe getan.«

»Danke.« Parker legte eine Hand auf Logans. »Es bedeutet mir viel, dass du das sagst.«

Wie schon zuvor ließ die Wärme in Parkers Blick Logans Herz schneller schlagen. Du musst dich von dieser Frau fernhalten. Sie zog ihre Hand unter Parkers weg und schoss von der Couch hoch. »Tja, ich muss los.« Ohne einen Blick zurückzuwerfen, floh Logan aus dem Aufenthaltsraum.