Lady Trents Memoiren 3: Die Reise der Basilisk - Marie Brennan - E-Book

Lady Trents Memoiren 3: Die Reise der Basilisk E-Book

Marie Brennan

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Beschreibung

Die spannenden Abenteuer von Lady Trent werden in Marie Brennans "Die Reise der Basilisk" fortgesetzt! Sechs Jahre nach ihren riskanten Aktionen in Eriga bricht Isabella zu ihrer bisher ehrgeizigsten Expedition auf: einer zwei Jahre langen Reise um die Welt, um Drachen an jedem Ort zu erforschen, wo man sie finden kann. Von gefiederten Echsen, die sich in den Ruinen einer vernichteten Zivilisation sonnen, bis zu den riesigen Seeschlangen der Tropen stellen diese Kreaturen eine Quelle sowohl endloser Faszination als auch häufiger Lebensgefahr dar. Begleitet wird Isabella nicht nur von ihrem jungen Sohn Jake, sondern auch von einem ritterlichen ausländischen Archäologen, dessen Interessen sich im professionellen und persönlichen Bereich mit denen von Isabella überschneiden. Die Forschung ist natürlich der Hauptzweck dieser Reise, aber Isabellas Leben ist selten so simpel. Sie muss mit Stürmen, sinkenden Schiffen, Intrigen und Kriegen zurechtkommen und das gerade als sie eine Entdeckung macht, die eine revolutionäre neue Sichtweise auf die uralte Geschichte der Drachen eröffnet.

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DIE REISE

der BASILISK

LADY TRENTS MEMOIREN

MARIE BRENNAN

Ins Deutsche übersetzt vonAndrea Blendl

Die deutsche Ausgabe von LADY TRENTS MEMOIREN 3: DIE REISE DER BASILISK wird herausgegeben von Amigo Grafik, Teinacher Straße 72, 71634 Ludwigsburg.

Herausgeber: Andreas Mergenthaler und Hardy Hellstern, Übersetzung: Andrea Blendl; verantwortlicher Redakteur und Lektorat: Markus Rohde; Lektorat: Kerstin Feuersänger; Korrektorat: André Piotrowski; Satz: Rowan Rüster/Amigo Grafik; Illustrationen Innenteil: Todd Lockwood, Karte: Rhys Davies, Printausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohořelice.

Printed in the Czech Republic.

Titel der Originalausgabe: THE MEMOIRS OF LADY TRENT 3: VOYAGE OF THE BASILISK

Copyright © 2015 by Bryn Neuenschwander

German translation copyright © 2018, by Amigo Grafik GbR.

Print ISBN 978-3-95981-660-1 (Juli 2018)

E-Book ISBN 978-3-95981-661-8 (Juli 2018)

WWW.CROSS-CULT.DE

INHALT

VORWORT

TEIL EINS

EINS

ZWEI

DREI

VIER

FÜNF

TEIL ZWEI

SECHS

SIEBEN

ACHT

NEUN

ZEHN

TEIL DREI

ELF

ZWÖLF

DREIZEHN

VIERZEHN

FÜNFZEHN

TEIL VIER

SECHZEHN

SIEBZEHN

ACHTZEHN

NEUNZEHN

VORWORT

Je nach Ihrem Gemüt sind Sie wohl entweder erfreut oder verblüfft, weil ich beschlossen habe, meine Zeit auf der Basilisk in meine Memoiren aufzunehmen. Es war natürlich ein längerer Abschnitt meines Lebens, der insgesamt beinahe zwei Jahre dauerte, und die Entdeckungen, die ich in dieser Zeit machte, waren nicht unbedeutend. Genauso wenig waren das die Auswirkungen dieser Reise auf mein Privatleben. Aus dieser Perspektive betrachtet, wäre es seltsam, wenn ich diesen Teil weglassen würde.

Aber die unter Ihnen, die verblüfft sind, haben einen guten Grund. Jene beiden Jahre sind immerhin der am besten dokumentierte Abschnitt meines Lebens. Meine Vereinbarung mit dem Winfield-Kurier, dass ich diesem regelmäßige Berichte liefern würde, bedeutete, dass viele Leute in Scirland über meine Taten auf dem Laufenden waren – ganz abgesehen von den Berichten, die von anderen über mich verfasst wurden. Darüber hinaus wurde mein Reisetagebuch später als Auf der Suche nach Drachen um die Welt zusammengefasst und veröffentlicht, und dieser Titel ist immer noch vom Verlag erhältlich. Warum also sollte ich mir die Mühe machen, eine Geschichte zu erzählen, die bereits so wohlbekannt ist?

Abgesehen davon, dass es seltsam wäre, eine so wichtige Zeit in meinem Leben zu übergehen, habe ich mehrere Gründe, das nicht zu tun. Der erste ist, dass meine Aufsätze im Winfield-Kurier sehr auf exotische Neuigkeiten zugeschnitten waren, was dessen Leser eben hören wollten, aber nicht die genaueste Beschreibung meiner eigenen Erfahrungen darstellten. Ein weiterer ist, dass ich dort mein Privatleben selten erwähnte, und weil Memoiren erwartungsgemäß persönlicher sein sollten, ist dies die ideale Gelegenheit, um jene Teile darzulegen, die ich zuvor wegließ.

Aber hauptsächlich soll dieser Band die Wahrheit darstellen, weil ein Teil dessen, was ich in diesen Aufsätzen schrieb, eine direkte Lüge ist.

Als ich dem Winfield-Kurier mitteilte, dass ich nach meinem Abenteuer mit der Seeschlange nach Lahana schwamm und dass ich während der folgenden Aufregung einen Schlag auf den Kopf bekam und nach Phetayong geschickt wurde, um mich zu erholen, war kein Wort davon wahr. Ich schrieb diese Zeilen, weil ich keine Wahl hatte: Mein langes Schweigen (das eine Menge Leute daheim überzeugt hatte, dass ich endlich tot war) musste mit irgendeiner Geschichte beendet werden, und ich konnte nicht die zutreffende erzählen. Selbst wenn ich mir gewünscht hätte, alles zu veröffentlichen, was ich getan hatte, so hatte mir das ein hochrangiger Offizier in der Königlichen Marine Seiner Majestät verboten. Tatsächlich konnte ich nur mit einigen Mühen gewisse Regierungsbeamte überzeugen, ihre Meinung zu ändern – jetzt, so viele Jahre später, wo eine neue Dynastie in Yelang herrscht und die fraglichen Ereignisse nicht länger irgendeine politische Relevanz haben.

Aber sie haben ihre Erlaubnis gewährt, und so darf ich endlich die Wahrheit erzählen. Ich werde nicht versuchen, jeden Tag meiner Reise an Bord der Basilisk zu beschreiben. Zwei Jahre würden ohne bedeutende Kürzungen nicht in einen dünnen Band passen, und es ist nicht sinnvoll, das, was ich anderswo bereits erwähnt habe, zu wiederholen. Ich werde mich stattdessen auf die Teile konzentrieren, die entweder persönlich (und deshalb neu) oder notwendig sind, um zu verstehen, was am Ende meiner Inselreise passierte.

Alles zu seiner Zeit natürlich. Ehe die Wahrheit ans Licht kommt, werden Sie von Jacob und Tom Wilker hören, von Heali’i und Suhail und von Dione Aekinitos, dem verrückten Kapitän der Basilisk. Sie werden auch von terrestrischen und aquatischen Wundern hören, von uralten Ruinen und modernen Erfindungen, mächtigen Stürmen, Beinahe-Ertrinken, den Härten des Lebens auf See und mehr Drachenarten, als Sie sich aus dem Flügel schütteln könnten. Obwohl ich hier viel weglassen werde, werde ich versuchen, meine Geschichte so vollständig und mitreißend zu gestalten, wie ich kann.

Isabella, Lady TrentCasselthwaite, Linshire3 Seminis, 5660

TEIL EINS

In welchem die Autorin sich auf die Reise macht

EINS

Leben in Falchester – Abigail Carew – Ein Treffen der Fliegenden Universität – M. Suderac – Galinkes Bote – Hautkrankheiten

Zu keiner Zeit traf ich die bewusste Entscheidung, eine improvisierte Universität in meinem Wohnzimmer zu gründen. Das passierte tatsächlich durch Zufall.

Der Prozess begann, kurz nachdem Natalie Oscott als Gesellschafterin bei mir eingezogen war, als sie von ihrem Vater enterbt worden war, weil sie mit mir nach Eriga weggelaufen war. Meine Finanzen konnten uns beide nicht lange in meinem gewohnten Stil unterhalten, besonders nicht, weil ich auch an meinen heranwachsenden Sohn denken musste. Ich musste einen Teil meines Lebens, wie es bis dahin gewesen war, aufgeben, und weil ich nicht willens war, meiner Forschung zu entsagen, musste ich andere Dinge loslassen.

Etwas, das verschwand, war das Haus in Pasterway. Nicht ohne Bedauern. Es war mehrere Jahre lang mein Zuhause gewesen, auch wenn ich einen guten Anteil dieser Zeit in fremden Ländern verbracht hatte, und ich verband mit diesem Ort angenehme Erinnerungen. Außerdem war es das einzige Zuhause, das der kleine Jacob kannte, und ich fragte mich für einige Zeit, ob es ratsam war, ein so junges Kind zu entwurzeln und es darüber hinaus in die chaotische Umgebung einer Stadt zu versetzen. Es war aber viel wirtschaftlicher für uns, einen Wohnsitz in Falchester zu haben, und so zogen wir am Ende um.

Für gewöhnlich ist das Leben in der Stadt natürlich viel teurer als auf dem Land – selbst wenn die betreffende »ländliche« Kleinstadt Pasterway ist, das heutzutage ein regelrechter Vorort der Hauptstadt geworden ist. Aber viel an dieser Kalkulation setzt voraus, dass man zu dem Zweck in der Stadt lebt, ihr glitzerndes gesellschaftliches Leben zu genießen: Konzerte und Opern, Kunstausstellungen und Mode, Bälle und Feste und Champagnerfrühstücke. Ich hatte kein Interesse an solchen Dingen. Meine Sorge galt dem intellektuellen Austausch, und in dieser Hinsicht war Falchester nicht nur überlegen, sondern auch viel billiger.

Dort konnte ich die wundervolle Leihbücherei von Alcroft nutzen, die jetzt besser als eine der Gründungsinstitutionen der Königlichen Bibliotheken bekannt ist. Das ersparte mir viele Ausgaben, weil mein Bedarf an Forschungsliteratur gewaltig gestiegen war und alles, was ich brauchte, zu kaufen (oder die Bücher mit der Post an hilfsbereite Freunde zurückzuschicken), mich binnen kurzer Zeit in den Ruin getrieben hätte. Ich konnte außerdem alle Vorlesungen besuchen, die einer Frau Eintritt gewährten, ohne mehrere Stunden Fahrt auf mich nehmen zu müssen. Tatsächlich musste ich überhaupt keine Kutsche und all die damit verbundene Ausrüstung und das Personal mehr unterhalten, sondern konnte stattdessen nötigenfalls eine mieten. Dasselbe galt für Besuche bei Freunden, und genau so nahm die sogenannte »Fliegende Universität« Gestalt an.

Ihre anfängliche Entwicklung wurde durch meinen Bedarf an einer Gouvernante getrieben. Natalie Oscott verspürte, obwohl sie mir eine gute Gesellschafterin war, nicht den Wunsch, die Verantwortung für die Betreuung und Erziehung meines Sohns zu übernehmen. Ich warf deshalb mein Netz nach jemandem aus, der das tun würde, und achtete darauf, dass ich im Voraus klarstellte, dass mein Haushalt absolut nicht gewöhnlich war.

Das Fehlen eines Ehemanns war für einige Bewerberinnen ein Vorteil. Ich kann mir vorstellen, dass sich viele meiner Leser der unangenehmen Lage bewusst sind, in der sich Gouvernanten oft wiederfinden – oder eher, der unangenehmen Lage, in die ihre männlichen Arbeitgeber sie oft drängen, denn es hilft niemandem vorzugeben, dass dies durch irgendeinen natürlichen und unvermeidlichen Prozess geschieht, ohne jegliche Verbindung mit dem Verhalten von irgendjemandem. Meine Anforderungen an ihre Qualifikationen aber schreckten viele ab. Mathematik war unnötig, weil Natalie mehr als bereit war, meinen Sohn in Arithmetik, Algebra und Geometrie zu unterrichten (und sich zu dem Zeitpunkt, wenn er zur Infinitesimalrechnung bereit wäre, diese selber beigebracht hätte), aber ich bestand auf einer soliden Grundlage in Literatur, Fremdsprachen und einer Vielzahl an Naturwissenschaften, um gar nicht erst von der Geschichte, nicht nur von Scirland, sondern auch von anderen Ländern, zu reden. Das machte den Prozess, Bewerberinnen zu beurteilen, ziemlich mühselig. Aber es zahlte sich durch ein interessantes zusätzliches Ergebnis aus: Zu dem Zeitpunkt, als ich Abigail Carew anstellte, hatte ich außerdem eine Anzahl junger Damen kennengelernt, denen es an ausreichender Bildung mangelte, die aber eine Menge Wissbegier besaßen.

Ich möchte nicht vorgeben, dass ich die Fliegende Universität begründete, um unzureichende Gouvernanten-Kandidatinnen besser auszubilden. Tatsächlich sah ich einen Großteil jener jungen Damen nie wieder, weil sie auf der Suche nach weniger strengen Arbeitgebern weiterzogen. Aber das Erlebnis weckte mein Bewusstsein über diesen Mangel in unserer Gesellschaft, und so machte ich, als ich erst einmal meinen Zugang zur Alcroft hatte, den Inhalt meiner Bibliothek (sowohl eigene als auch geliehene Werke) jedem zugänglich, der ihn nutzen wollte.

Das Ergebnis war, dass man zu der Zeit, als meine Seeexpedition begann, an jedem beliebigen Athemer-Abend zwischen zwei und zwanzig Leute vorfinden konnte, die mein Wohnzimmer und Studierzimmer besetzten. Ersterer Raum war ein Ort zum stillen Lesen, wo Freunde sich in jedem Fach weiterbilden konnten, das meine Bibliothek bieten konnte. Tatsächlich erstreckten sich mittlerweile ihre Themengebiete weit über meine eigenen Regale und Bücher, die aus der Alcroft geliehen waren, hinaus, weil sie zu einem Zentrum des Austauschs für diejenigen geworden war, die die Ressourcen anderer nutzen wollten. Kerzen und Lampen waren etwas, an dem ich nicht sparte, und so konnten sie in angenehmer Atmosphäre lesen.

Das Studierzimmer war im Gegenzug ein Ort für Gespräche. Hier konnten wir einander Fragen stellen oder Themen diskutieren, in denen wir unterschiedlicher Ansicht waren. Oft blieben diese Diskussionen recht freundschaftlich, weil unsere Gruppe einander aus der Finsternis der Unwissenheit heraus ins Licht der, wenn nicht Weisheit, dann zumindest gut informierten Neugier hob.

Zu anderen Gelegenheiten konnte man die Diskussionen eher als »Streitgespräch« bezeichnen.

»Du weißt, dass ich Flügel mehr als jede andere Frau liebe«, sagte ich zu Miriam Farnswood – die als weibliche Ornithologin diese andere Frau war und Flügel sehr schätzte. »Aber in diesem Fall übertreibst du ihre Bedeutung. Fledermäuse fliegen und genauso Insekten, und doch schlägt niemand vor, dass diese nahe Verwandte der Vögel sind.«

»Niemand hat bisher Beweise gefunden, dass Fledermäuse Eier legen«, antwortete sie trocken. Miriam war beinahe zwanzig Jahre älter als ich, und ich hatte mich erst in den letzten sechs Monaten getraut, sie mit ihrem Vornamen anzusprechen. Nicht zufällig hatten die letzten sechs Monate auch den Beginn dieser speziellen Debatte gesehen, in welcher wir sehr gegensätzliche Meinungen vertraten. »Es ist deine eigene Arbeit, die mich überzeugt, Isabella. Ich weiß nicht, warum du so leidenschaftlich widersprichst. Die Skelettstruktur der Drachen weist viele Ähnlichkeiten mit der der Vögel auf.«

Sie bezog sich natürlich auf die hohle Struktur der Knochen. Diese fand man nicht oft bei Reptilien, welche ich als nächste Verwandte der Drachen postulierte. Ich sagte ungeduldig: »Hohle Knochen können sich einfach zu unterschiedlichen Gelegenheiten entwickelt haben. Immerhin scheint das auch mit Flügeln passiert zu sein, oder nicht? Viel weniger gewöhnlich wäre es, in der Evolution ein neues Paar Vorderbeine zu entwickeln, wo zuvor keine waren.«

»Du hältst es für plausibler, dass Reptilien plötzlich Flügel entwickelten, wo zuvor keine waren?« Miriam schnaubte. Es war kein sehr damenhaftes Schnauben. Sie war die Art von Frau, die man sich in Tweed gekleidet mit einem Gewehr unter dem Arm und einer Bulldogge an der Seite, wahrscheinlich aus ihrer eigenen Zucht, durch die Landschaft marschierend vorstellte. Die Anmut, mit der sie sich bewegte, wenn sie zur Vogelbeobachtung unterwegs war, war absolut verblüffend. »Bitte, Isabella. Nach dieser Logik solltest du für ihre Verwandtschaft mit Insekten argumentieren. Zumindest haben diese mehr als vier Beine.«

Der Bezug auf Insekten lenkte mich von dem ab, was ich gerade hatte sagen wollen. »Funklinge machen das Bild komplizierter«, gab ich zu. »Ich bin wirklich überzeugt, dass sie eine extrem zwergenhafte Drachenart sind – obwohl ich überhaupt nicht erklären kann, wie eine solche Größenreduktion zustande kommen könnte. Selbst diese winzigen Hunde, die man in Coyahuac hat, sind nicht so viel kleiner als die größte Hunderasse.«

Mein Kommentar ließ jemanden in einigen Fuß Entfernung leise kichern. Tom Wilker hatte sich mit der Suffragette Lucy Devere unterhalten und die Politik im Synedrion diskutiert, aber ihr Gespräch war kurz verstummt, und er hatte mich gehört. Es war nicht das erste Mal, dass er meine Gedanken über Funklinge mitbekommen hatte, die ihre Taxonomie betreffend ein endloses Ärgernis für mich waren.

Wir konnten es kaum vermeiden, uns gegenseitig zu belauschen. Mein Stadthaus am Hart Square war nicht so groß, dass wir viel Luft zwischen uns hatten. Und tatsächlich war mir das oft ganz lieb, weil es uns ermutigte, von Thema zu Thema und Gruppe zu Gruppe abzuschweifen, statt uns für die Dauer des Abends in kleine Grüppchen zu sortieren. Tabitha Small und Peter Landenbury hatten ihre Gedanken über ein neues historisches Werk geteilt, aber wie üblich hatte Lucy sie in ihren Bann gezogen. Mit Elizabeth Hardy, die ihren Kreis abrundete, waren wir in meinem Studierzimmer zu siebt, was es mehr oder weniger völlig ausfüllte.

Miriam hatte, als ich vom Thema abgewichen war, die Augenbrauen gehoben. Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Sei es, wie es sei. Ich glaube, du interpretierst zu viel in die Tatsache hinein, dass die Quetzalcoatls aus Coyahuac Federn haben. Sie sind keine Echten Drachen nach Edgeworths Definition …«

»Ach, komm schon, Isabella«, unterbrach sie mich. »Du kannst wohl kaum Edgeworth zu deiner Verteidigung benutzen, wenn du selbst den Angriff geführt hast, um seine gesamte Theorie infrage zu stellen.«

»Ich bin noch zu keinen Schlüssen gekommen«, sagte ich resolut. »Frage mich wieder, wenn diese Expedition erledigt ist. Mit etwas Glück werde ich mit eigenen Augen gefiederte Echsen beobachten, und dann kann ich sicherer sagen, wie sie in die Familie der Drachen passen.«

Die Tür öffnete sich leise, und Abby Carew schlüpfte herein. Sie wirkte selbst im schmeichelnden Kerzenlicht müde. Jake hatte sie in letzter Zeit schlimm geschlaucht. Die Aussicht, auf eine Seereise zu gehen, hatte seine Fantasie so entflammt, dass sie ihn kaum dazu bringen konnte, in seinen Unterrichtsstunden sitzen zu bleiben.

Der Gedanke, meinen Sohn mitzunehmen, war mir etwa zwei Jahre zuvor gekommen. Als ich die Idee gehabt hatte, um die Welt zu reisen und Drachen an allen Orten, wo man sie finden konnte, zu erforschen, war Jake noch ein Kleinkind gewesen – viel zu jung, um mich zu begleiten. Aber eine solche Expedition kann man nicht über Nacht organisieren, nicht einmal in einem einzigen Jahr. Zu dem Zeitpunkt, als ich sicher war, dass die Expedition stattfinden würde, war Jake bereits sieben. Jungen in diesem Alter sind schon zur See in den Krieg gefahren. Warum sollte nicht einer im Namen der Wissenschaft fahren?

Ich hatte die Feindseligkeit nicht vergessen, die mir entgegengeschlagen war, als ich nach Eriga gefahren war und meinen Sohn zurückgelassen hatte. Mir schien es, dass die eindeutige Lösung für dieses Problem nicht war, für immer daheim zu bleiben, sondern ihn stattdessen beim nächsten Mal mitzunehmen. Ich betrachtete es als prächtige Bildungsgelegenheit für einen inzwischen neunjährigen Jungen. Andere sahen es natürlich eher als Teil meines charakteristischen Wahnsinns.

Ich entschuldigte mich bei Miriam Farnswood und ging durchs Zimmer zu Abby. Sie sagte: »Natalie hat mich geschickt, um dir zu sagen …«

»Ach herrje!«, seufzte ich, bevor sie fertig reden konnte. Ein schuldbewusster Blick auf die Uhr bestätigte meinen Verdacht. »Es ist spät geworden, nicht?«

Abby war höflich genug, nicht darauf herumzureiten. In Wahrheit wollte ich meinen Gästen nicht die Tür weisen. Dies sollte unsere letzte Versammlung sein, bevor ich aufbrach – oder ich sollte eher sagen, meine letzte Versammlung, weil Natalie sie in meiner Abwesenheit weiterhin empfangen würde. Sosehr ich mich auch auf die kommende Reise freute, ich würde diese Abende vermissen, an denen ich mein Wissen erweitern und seine Stärken gegen Menschen, deren Intelligenz meine in den Schatten stellte, prüfen konnte. Dank ihnen war mein Verständnis der Welt weit über seine ersten, naiven Anfänge hinausgewachsen. Und ich hatte für meinen Teil getan, was ich konnte, um im Gegenzug mein Wissen zu teilen, besonders mit jenen Individuen, Männern oder Frauen, deren Gelegenheiten, zu lernen und zu forschen, nicht so reichlich wie meine gewesen waren.

Ich schreibe jetzt in der Vergangenheitsform. Ich ertappte mich damals, wie ich in der Vergangenheitsform dachte, und schüttelte mich. Ich ging auf eine Reise und zog nicht für immer ans andere Ende der Welt. Was in meinem Wohnzimmer angefangen hatte, würde an jenem Abend nicht enden. Mein Anteil daran machte nur eine Pause.

Sie gingen ohne Aufhebens, aber mit vielen Wünschen für eine sichere Fahrt und großartige Entdeckungen. Das Lebewohl dauerte insgesamt über eine halbe Stunde. Der Letzte, der aufbrach, war Tom Wilker, der nicht Lebewohl sagen musste. Wir würden zusammen auf die Reise gehen, denn ich konnte mir nicht vorstellen zu versuchen, Forschungen ohne seine Hilfe durchzuführen.

»Habe ich belauscht, wie du Mrs. Farnswood Präparate versprochen hast?«, fragte er, als nur noch er und ich selbst im Foyer waren.

»Ja, von Vögeln«, sagte ich. »Sie wird dafür bezahlen oder die, die sie nicht selbst behalten will, verkaufen. Es wird eine weitere Quelle für unsere Finanzierung, und eine sehr willkommene.«

Er nickte, obwohl sein Lächeln gequält wirkte. »Ich weiß nicht, wann wir Zeit zum Schlafen finden sollen. Oder eher, wann du die Zeit finden willst. Ich bin nicht derjenige, der dem Winfield-Kurier regelmäßige Berichte versprochen hat.«

»Ich werde in der Nacht schlafen«, sagte ich sehr vernünftig. »Im Lampenlicht zu schreiben, ist eine schreckliche Verschwendung von Öl, und es gibt nicht so viele nachtaktive Vogelarten, dass ich jede Nacht beschäftigt sein werde.«

Ich erntete ein Lachen von ihm, was ich beabsichtigt hatte. »Schlaf gut, Isabella. Du brauchst deine Erholung.«

Natalie kam rechtzeitig ins Foyer, um ihm gute Nacht zu wünschen. Als die Tür hinter ihm geschlossen war, wandte sie sich an mich. »Bist du sehr müde oder kannst du ein paar Momente entbehren?«

Ich war viel zu wach, um gleich schlafen zu gehen, und würde nur lesen, wenn ich versuchte, ins Bett zu gehen. »Hat es mit den Vorkehrungen für meine Abwesenheit zu tun?«

Natalie schüttelte den Kopf. Wir hatten diese Angelegenheit bereits oft genug besprochen: mein Testament, für den Fall, dass ich sterben würde, den Übergang meines Stadthauses unter ihre vorläufige Verwaltung, wie sie mich kontaktieren konnte, sobald ich im Ausland wäre, all die logistischen Hindernisse, die man überwinden musste, ehe ich aufbrechen konnte. Sie sagte: »Ich habe heute wieder mit Mr. Kemble gesprochen.«

Ich seufzte. »Komm in mein Studierzimmer. Ich glaube, dafür muss ich mich hinsetzen.«

Mein alter, verschlissener Sessel war mir ein kleiner Trost, während wir ein Thema besprachen, das überhaupt nicht angenehm war. Sobald ich in seine Umarmung gesunken war, vermutete ich: »Er will, dass ich eine Vereinbarung mit dem Thiesser eingehe.«

»Er steckt in einer Sackgasse«, sagte Natalie. »Das geht jetzt seit über einem Jahr so. Die detaillierte Struktur von Drachenknochen erschließt sich ihm weiterhin nicht, und solange sie das nicht tut, haben wir keine Synthese. M. Suderacs Belüftungsprozess ist vielleicht genau das, was wir brauchen.«

Die bloße Erwähnung dieses Themas brachte mich dazu, dass ich mit dem Kopf auf meinen Schreibtisch schlagen wollte. Nur das Wissen, dass Frederick Kemble jetzt seit beinahe einer Dekade mit dem Kopf auf etwas weit weniger Nachgiebiges einschlug, hielt mich davon ab. Tom und ich hatten ihn angestellt, um einen synthetischen Ersatz für konservierte Drachenknochen zu schaffen, sodass die menschliche Gesellschaft die Vorteile dieser Substanz nutzen konnte, ohne dafür Drachen massakrieren zu müssen. Kemble hatte die chemische Zusammensetzung nachgeahmt, aber der luftige Leichtbau ihrer Struktur, der das ohnehin geringe Gewicht reduzierte, ohne die Stärke zu vermindern, hatte sich als weniger nachvollziehbar erwiesen.

Natalie hatte recht: Der Belüftungsprozess, den M. Suderac entwickelt hatte, würde vielleicht tatsächlich helfen. Ich konnte den Mann aber nicht leiden – so wenig, dass der bloße Gedanke, für ein solches Unternehmen eine Partnerschaft mit ihm einzugehen, mich krank machte. Er war ein gut aussehender Mann aus Thiessin und dachte eindeutig, dass ihm sein gutes Aussehen mehr als reine Freundlichkeit von mir einbringen sollte. Immerhin war ich Witwe, und wenn ich auch nicht mehr so jung war wie früher, hatte ich auf dem Abstellgleis noch nicht sehr viel Staub gesammelt. Das, was M. Suderac von mir wollte, war keine Ehe. Er hatte eine Frau, und selbst wenn er keine gehabt hätte, hatte ich sehr wenig an Besitz anzubieten, um ihn in Versuchung zu führen. Er wollte nur uneingeschränkten Zugang zu meiner Person. Zu behaupten, dass ich wenig geneigt war, ihm diesen zu gewähren, ist eine grenzenlose Untertreibung.

Und doch, wenn eine finanzielle Partnerschaft das Leben zahlloser Drachen retten würde …

Das Geheimnis, wie man Drachenknochen konservierte, war gelüftet. Diese spezielle Katze war aus ihrem Sack entkommen, ehe ich nach Eriga gereist war, als Diebe, die der Marquis von Canlan angeheuert hatte, in Kembles Labor eingebrochen waren, seine Notizen gestohlen hatten und Canlan sie daraufhin nach Yelang, an die Va-Ren-Schifffahrtsgesellschaft, verkauft hatte. Diese Kerle schienen ihre Informationen recht sorgsam unter Verschluss gehalten zu haben, weil es noch nicht zum Allgemeinwissen geworden war, aber ich wusste, dass es sich verbreitete. Was bedeutete, dass der Bedarf für einen synthetischen Ersatz dringlich war.

Ich wog diese Faktoren ab, bis mein Herz in meiner Brust bleischwer war. »Ich vertraue ihm nicht«, sagte ich schließlich zu Natalie. »Ich kann nicht. Er ist die Art von Mann, der etwas sieht und es haben will, und er glaubt, dass ihn das alleine dazu berechtigt, es zu besitzen. Ich würde ihm wirklich zutrauen, das Problem am Ende zu knacken, aber dann das Ergebnis für seinen eigenen Gewinn für sich zu behalten. Und wenn ich auch bereit wäre, auf meinen Anteil zu verzichten, falls es bedeuten würde, dass wir die Antwort hätten, kann ich nicht zulassen, dass Kemble und die anderen auf solche Weise beraubt würden.«

Natalie ließ den Kopf an die Rückenlehne ihres Stuhls sinken und starrte resigniert die Decke an. »Nun, ich habe es versucht. Du hast mit Suderac nicht unrecht, denke ich – aber ich weiß nicht, wie wir es sonst schaffen sollen.«

»Vielleicht sollte ich versuchen, Diebe anzuheuern. Sie könnten einbrechen und die Geheimnisse des Belüftungsprozesses stehlen.«

»Gott sei Dank gehst du bald an Bord eines Schiffes«, sagte Natalie. »Ansonsten glaube ich, dass du das wirklich tun könntest.«

Sie übertrieb – aber nicht sehr. Es gab sehr wenig, was ich zum Wohl der Drachen nicht getan hätte.

Am nächsten Morgen brachte die Post eine Anzahl Briefe, einige davon von Leuten, die nicht mitbekommen hatten, dass ich bald für eine längere Zeit abreisen würde und nicht viel Gelegenheit hätte, ihnen zu antworten. Einer aber stach mir ins Auge.

Die Handschrift auf dem Umschlag war mir nicht vertraut. Das lag nicht nur daran, dass ich die Handschrift selbst nicht kannte. Ihr gesamter Stil war seltsam, als sei sie von einem Ausländer geschrieben. Und doch erinnerte sie mich an etwas, aber ich konnte nicht sagen, was.

Ich wurde neugierig und schnitt den Umschlag mit meinem Messer auf. Die Notiz darin war auf teurem Papier geschrieben, wieder in dieser seltsamen Handschrift. Es war eine Einladung, mit einem gewissen Wademi n Oforiro Dara an diesem Tag im Salburn zu Mittag zu essen, falls ich nicht bereits verplant sei.

Nun wusste ich, woran mich die Handschrift erinnert hatte. Ich hatte immer noch gelegentlich Kontakt zu Galinke n Oforiro Dara, der Halbschwester des Obas von Bayembe. Die Handschrift dieses Mannes zeigte Spuren desselben Stils, obwohl sie in diesem Fall viel schwächer waren. Daraus schloss ich, dass er mehr daran gewöhnt war, auf Scirländisch zu schreiben, als Galinke.

Oforiro Dara. Er gehörte zur selben Abstammungslinie wie Galinke. Ein Bruder? Nein, ich war mir ziemlich sicher, dass sie keine Brüder hatte, die von derselben Mutter stammten, und die Yembe erben ihre Familiennamen über die mütterliche Linie. Er konnte alles vom Sohn einer Schwester von Galinkes Mutter bis zu einem viel entfernteren Cousin sein. Aber die Verbindung reichte, um mich eine schnelle positive Antwort schreiben und zum Hotel des Mannes schicken zu lassen. Mein alternativer Plan für den Mittag war eine schnelle Mahlzeit gewesen, die ich beim Packen hinuntergeschlungen hätte. Das hier versprach wesentlich interessanter zu werden.

In jenen Tagen speiste ich nicht oft im Salburn – was meine höfliche Art ist auszudrücken, dass ich es mir nicht wirklich leisten konnte. Das störte mich sehr wenig. Ich war nie eine Feinschmeckerin. Aber es bedeutete, dass Wademi n Oforiro Dara entweder ein reicher Mann war oder von jemand anderem gut finanziell unterstützt wurde, weil ein Mittagessen für zwei dort nichts war, was man locker bezahlen konnte.

Ich hatte keine Schwierigkeiten, ihn im Eingangsbereich zu erkennen. Er war Yembe, dunkelhäutig und nach ihrer Mode in ein gewickeltes und gefaltetes Tuch gekleidet, obwohl er wegen des kühleren Klimas von Scirland und unserer strengeren Sitten, was Nacktheit betraf, seinen Oberkörper als Kompromiss mit einem Mantel bedeckte. Die Farbe war ebenfalls auf beinahe scirländische Art nüchtern: Schwarz und Gold in einem einfachen geometrischen Muster. Er war bereits aufgestanden, als ich eintrat, und ging sofort auf mich zu.

Wir begrüßten uns auf Yembe, und mein Akzent und meine Grammatik demonstrierten mir, wie sehr ich aus meiner ohnehin nur geringen Übung geraten war. Als er in meine Muttersprache wechselte, entschuldigte ich mich bei ihm dafür. »Ich fürchte, meine Beherrschung des Yembe hat sich fürchterlich verschlechtert, weil ich es nie nutze – und ich war von Anfang an nicht gut darin. Galinke und ich korrespondieren auf Scirländisch.«

Sein Scirländisch hatte einen Akzent, war aber fließend. »Sie sollten auf Besuch kommen! Ich höre, dass Sie bald auf eine Reise aufbrechen. Werden Sie nach Bayembe kommen?«

»Ich wünschte, ich könnte überall hinfahren«, sagte ich. »Aber ich fürchte, dass meine Forschung verlangt, dass ich mein Wissen in der Breite statt in der Tiefe erweitere. Ich muss meine Zeit neuen Gebieten und neuen Spezies widmen.«

Das war die Wahrheit, aber nicht die gesamte Geschichte. Ich konnte diesem Mann nicht von meinem Gespräch mit einem gewissen Mitglied des Synedrions (das namenlos bleiben soll, obwohl es jetzt tot ist und ihm Klatsch nicht mehr schaden kann) erzählen, in welchem man mir klargemacht hatte, dass die Regierung es nicht gerne sähe, falls ich jemals nach Bayembe zurückkehren sollte. Was sie genau befürchteten, kann ich nicht sagen. Ich kannte nur ein einziges Staatsgeheimnis über unsere Geschäfte dort, und das war seit Langem aus dem Sack. Aber weil ich mich einmal dort eingemischt hatte, konnte man nicht darauf vertrauen, dass ich mich nicht wieder einmischen würde.

Zu meiner Überraschung speisten Wademi und ich nicht im Hauptraum. Er hatte eines der Nebenzimmer für uns reserviert – vielleicht, weil wir auf diese Weise weniger Aufmerksamkeit auf uns zogen, der Yembe-Mann und die Frau, die man einst beschuldigt hatte, ihr Land für seines verraten zu haben. Das Geheimnis, wie er sich das leisten konnte, war schnell gelöst, denn es stellte sich heraus, dass er tatsächlich der Sohn der Schwester von Galinkes Mutter war. Jeder, der so nahe mit dem Oba von Bayembe verwandt war, sei es auch durch eine Nebenfrau, konnte locker mich und dazu meinen gesamten Haushalt verpflegen, ohne mit der Wimper zu zucken.

Wir verbrachten die Vorspeise mit freundlichem Geplänkel, aber als der Hauptgang serviert wurde, stellte ich fest, dass er einen weiteren Grund hatte, dieses private Zimmer zu nutzen.

»Was haben Sie von den Drachen gehört?«, fragte er, sobald der Kellner hinausgegangen war.

»Den Drachen?«, wiederholte ich. Mein Kopf war so voll von verschiedenen drakonischen Spezies, dass ich länger brauchte, als ich sollte, um zu verstehen, wovon er sprach. »Meinen Sie diejenigen, die die Moulish Bayembe geschenkt haben?«

Es war nicht so, dass ich sie vergessen hatte. Man vergisst nicht leicht Vereinbarungen, bei denen man geholfen hat, sie zwischen zwei fremden Völkern zu schließen, besonders wenn diese Hilfe verursacht hat, dass man des Verrats beschuldigt wurde. Aber mein Interesse an Drachen war biologisch, nicht politisch. Die Tatsache, dass es jetzt in Flüssen in Bayembe moulische Sumpfwyrme gab, war momentan nicht mein Hauptinteresse.

Wademi nickte, und ich breitete die Hände aus. »Ich habe wirklich sehr wenig gehört. Galinke erwähnte, dass die Eier wie versprochen gebracht wurden und dass sie schlüpften – ich glaube, sie sagte aber, dass die Gesamtzahl etwas mager war. Es gab Vereinbarungen, um sicherzustellen, dass die Fangfische ausreichend gefüttert wurden. Aber seitdem nichts mehr.« Was mir jetzt, wo ich darüber nachdachte, seltsam vorkam. Zugegeben, die Drachen in den Flüssen von Bayembe waren als Verteidigung für die Grenze dieses Landes gedacht und mochten deshalb ein geschütztes Geheimnis sein. Aber Galinke musste sehr wohl wissen, dass ich mehr von ihren Fortschritten hören wollte, und hätte eine Möglichkeit finden können, mir irgendetwas mitzuteilen. Stattdessen hatten mich ihre seltenen Briefe mit anderen Angelegenheiten abgelenkt.

Es schien, dass sie tatsächlich einen Weg gefunden hatte, mir etwas mitzuteilen, und der hieß Wademi n Oforiro Dara. »Die Situation ist … seltsam geworden«, sagte er, »und wir hoffen, dass Sie sie erklären können.«

Das weckte natürlich meine Neugier wie nichts sonst. »Was meinen Sie mit ›seltsam‹?«

Er sprach langsam zwischen den Bissen seiner Speisen. Ich erinnerte mich daran, meine eigenen zu essen, obwohl ich fürchte, dass die Mühen der Köche im Salburn an diesem Tag bei mir völlig vergeblich waren.

Wademi sagte: »Zuerst waren es die Eier, aus denen nicht die erhoffte Menge schlüpfte. Aber die Moulish brachten im nächsten Jahr mehr, sodass wir jetzt genug haben. Die Fangfische fraßen sich gegenseitig, und diejenigen, die überlebten, wuchsen – einige von ihnen. Viele waren Kümmerlinge. Aber selbst die, die wuchsen, sind nicht wie die Drachen im Sumpf. Sie sind magerer.«

»Jungtiere«, sagte ich. »Haben Sie die Moulish befragt? Sie würden wissen, wie lange es dauert, bis sie ihre volle Größe erreichen.«

Er schüttelte den Kopf. »Sie sollten jetzt ganz ausgewachsen sein. Und ihre Haut ist anders. Ihre Schuppen sind feiner.«

Ich konnte nicht anders, als zu fragen: »Sind Sie sicher, dass es keine Hautkrankheit ist?«

Als Antwort fasste er unter seinen Mantel und holte ein Kästchen heraus, das er auf den Tisch zwischen uns legte. Als ich es öffnete, verpestete der stechende Geruch von Formaldehyd die Luft. Das Kästchen enthielt ein Stück Haut, das ich vorsichtig mit meinen Fingernägeln ergriff und hochhielt, um es besser betrachten zu können.

Es war keine Hautkrankheit. Ich hatte oft die raue, krokodilartige Haut von Sumpfwyrmen beobachtet, und obwohl sie anfällig gegen Seuchen waren, welche Krankheit würde denn ihre Haut feiner machen? Was ich in meiner Hand hielt, war eher wie die Haut eines Fisches.

Oder einer Savannenechse. »Sie können sich nicht mit den Drachen von Bayembe vermehrt haben«, stellte ich fest. Obwohl einige Exemplare dieser Spezies sich in die Ausläufer des moulischen Dschungels wagten, liefen sie nicht weit genug hinein, um Sumpfwyrmen zu begegnen. Und selbst wenn sie es täten – und erfolgreich überlebensfähige Eier produzierten –, hätten die Moulish diese Eier nicht dem Oba geschenkt. Sie hatten einen sehr rigorosen Prozess für die Zucht ihrer Drachen, der es einschloss, die Männchen aus dem eigentlichen Sumpf zu dem See zu bringen, wo die Königinnen schwammen.

Meine Fingernägel gruben sich tiefer in die Haut. Die Königinnen …

Ich hatte nicht so viel über die Biologie der Sumpfwyrme erfahren, wie ich es gerne hätte. Ich wusste, dass die Moulish die Eier nach dem Ablegen nahmen und im Sumpf verteilten, und ich wusste, dass die unterschiedliche Inkubation der Eier einige dazu brachte, sich zu Königinnen zu entwickeln, während der Rest Männchen blieb. (Zu diesem Zeitpunkt vermutete ich, hatte aber keine Gelegenheit zu beweisen, dass einige von den »Männchen« entweder geschlechtslos oder unfruchtbare Weibchen waren. Geschlechtslosigkeit war von anderen Drachenarten bekannt, und ich hatte das Gefühl, dass nur einige Wyrme im Sumpf dazu auserwählt waren, sich mit den Königinnen zu paaren. Aber ich war nicht dazu gekommen, genug Drachen aus ausreichend kurzer Entfernung zu untersuchen, um sicherzugehen.)

Mein Kopf schwirrte vor diesen und anderen Gedanken, sodass verschiedene Theorien und Beobachtungen auf chaotische Art kollidierten. Was aus dem Getümmel herauskam, war dies: Was, wenn die Übertragung der Eier in die Flüsse von Bayembe Königinnen statt Männchen hervorgebracht hatte?

Meine Beobachtungen der Drachenköniginnen hatten alle aus ziemlicher Entfernung stattgefunden, sodass ich nur spekulieren konnte, ob ihre Haut solch feine, überlappende Schuppen besaß. Es ergab aber Sinn. Sie schwammen in den turbulenten Wassern des Sees unter dem Großen Katarakt, wo sie von einer stromlinienförmigeren Oberfläche profitieren würden.

Aber wenn das der Fall wäre, warum hatten die Moulish nichts zu den Yembe gesagt?

Weil sie nicht wollten, dass die Existenz der Königinnen bekannt wurde. Der Oba würde sicherlich versuchen, eine einzuhandeln, und sollte das scheitern, würde er wohl versuchen, sich heimlich oder mit Gewalt eine anzueignen. Oder er würde, falls er genug über die Inkubationsprozeduren erfuhr, versuchen, diese nachzuahmen, damit er seine eigenen Drachen züchten konnte, ohne sich auf die Moulish verlassen zu müssen.

Was mich in eine ordentliche Zwickmühle brachte. Falls meine Theorie zutreffen sollte, dann wollte ich unbedingt eine Bestätigung. Außerdem wollte Wademi – und über ihn Galinke und ihr gesamtes Volk einschließlich ihres Halbbruders – meine Hilfe. Aber ich würde mich nicht besonders gut bei meinen moulischen Freunden revanchieren, wenn ich ein Geheimnis verriet, das sie zu behalten versuchten.

Ich legte die Haut zurück in ihr Behältnis. »Ich bin nicht sicher, was ich sagen soll. Es könnte eine Reaktion auf die sauberere, kühlere Umwelt in den Flüssen sein. Das Sumpfwasser ist sehr reich an Schlamm und organischen Bestandteilen, was, wie ich mir vorstellen könnte, die Haut der Jungdrachen sehr reizt.« Jedenfalls hatte es meine eigene Haut sehr gereizt. »Wirken Ihre Drachen gesund?«

»Zum größten Teil«, antwortete Wademi.

»Ich würde gerne wissen, ob sie weiterhin wachsen«, sagte ich. »Einige Fische passen ihre Größe an ihre Umwelt an. Es ist möglich, dass Ihre Drachen größer als die im Sumpf werden, weil das Wasser offener ist.« Falls sie länger als vier Meter werden sollten, würde mir das sehr viel verraten. Die Königinnen waren nach dem, was ich von ihnen gesehen hatte, viel größer als die Männchen.

Wademi machte das Summen, das unter den Yembe für die Weigerung stand, die man aus Höflichkeit nicht direkt äußern konnte. Ich dachte an unseren privaten Raum und Galinkes Zurückhaltung in ihren Briefen. Er hatte mich zum Mittagessen eingeladen, damit er Informationen überbringen konnte, die sie nicht zu Papier bringen wollten. (Es fiel mir erst einige Monate später auf, dass vielleicht sogar irgendjemand in Scirland meine Post lesen konnte. Wenn man nicht wollte, dass ich nach Bayembe reiste, hatte man vielleicht ein Interesse an den Briefen, die ich verschickte und von dort empfing. Bis heute weiß ich nicht, ob das der Fall war.)

Meine Gedanken galten an jenem Tag nicht solchen Angelegenheiten, aber selbst damals wusste ich, dass es wahrscheinlich schwierig würde, mich informiert zu halten. Ich seufzte. »Es wird ohnehin kompliziert, mir zu schreiben, weil ich für eine Weile recht viel unterwegs sein werde.«

»Aber was ist mit den Drachen?«

Selbst wenn ich den Mut besessen hätte, diesem namenlosen Herrn aus dem Synedrion zu trotzen, konnte ich unsere Reisepläne jetzt nicht mehr ändern. Obwohl darin Raum für Abstecher war – wie dieser Bericht beweisen wird –, konnten wir keinen Umweg die ganze Strecke bis nach Bayembe machen, nur damit ich die Drachen in den Flüssen ansehen konnte. »Ich fürchte, es gibt sehr wenig, was ich von da aus, wo ich bin, tun kann, Sir. Wenn sie gesund sind, dann reicht das sicher.«

Er wirkte unzufrieden. Hatte ich den Yembe eine solch hohe Meinung über mein Wissen vermittelt, dass sie glaubten, ich könnte diese Frage beim Mittagessen in einem entfernten Land lösen? Oder hatten sie erwartet, dass ich ihnen persönlich zu Hilfe käme? Falls ja, schmerzte es mich, dass ich sie enttäuschen musste. Aber es sprach nichts dafür und zu viel dagegen, dorthin zu reisen.

Als Beschwichtigung für Wademi sagte ich: »Ich erwarte, dass ich dank dieser Expedition mein Wissen über Drachen sehr erweitern kann. Es ist möglich, dass ich etwas erfahre, das für Sie von Nutzen sein wird.«

Was, wie sich herausstellte, zutraf – allerdings auf eine indirekte Weise. Aber das war ihm zu jener Zeit kein Trost, und so verließen wir beide unsere Unterredung in weniger guter Laune.

ZWEI

Die KFS Basilisk – Ihr verrückter Kapitän – Jungen auf Schiffen – Unser Quartier – Eine Frage der Migration

Dies war das dritte Mal, dass ich aus Scirland abreiste, und mittlerweile fühlte sich der Prozess beinahe vertraut an. Ich hatte meine Angelegenheiten geregelt und alles gepackt, was ich voraussichtlich brauchen oder ohne das ich nicht auskommen würde – denn das Packen für das Leben an Bord eines Schiffes verlangt große Sparsamkeit, was das Volumen betrifft. Ich hatte mich von den Familienmitgliedern verabschiedet, bei denen ich noch einen guten Stand hatte, was heißt, von meinem Vater und meinem Bruder Andrew und (weniger herzlich) von meinem Schwager Matthew Camherst. Ich ließ Natalie in Falchester zurück, und Tom, Abby, Jake und ich fuhren nach Sennsmouth hinunter, wo unser Schiff den Beginn unseres großen Abenteuers erwartete.

Zum Wohl der Seefahrtbegeisterten unter meiner Leserschaft und auch, damit man meine Geschichte besser versteht, werde ich mir einen Augenblick nehmen, um Sie mit dem Königlichen Forschungsschiff Basilisk bekannt zu machen, das für den Großteil (aber nicht die Gesamtheit) meiner Reise mein Zuhause sein sollte.

Es war während des Neunjährigen Krieges als »Brigg-Schaluppe« gebaut worden, was bedeutet, dass es zwei Masten hatte und beide mit quadratischen Segeln versehen waren. Nach dem Ende des Krieges hatte irgendein unternehmerischer Schiffsbauer es zu einer Bark umgebaut, indem er einen dritten oder Besanmast hinzugefügt hatte, der achtern von den ersten beiden lag und vorne und hinten ein Segel hatte – um zu erklären, zu welchem Zweck, bin ich nicht genug Seemann. Der Kapitän versuchte zu mehr als einer Gelegenheit, mir den Zusatzmast zu erklären, aber mein Kopf war voller Drachen und anderer derartiger Dinge, sodass nicht viel Platz für die Feinheiten der nautischen Ingenieurkunst übrig blieb. (Und heutzutage, fürchte ich, ist mein Gedächtnis nicht mehr das, was es einst war. Jegliches Verständnis, das ich einst hatte, ist lange verschwunden, weil ich es nicht für nötig hielt, das in meinen Tagebüchern aufzuzeichnen.)

Sie war ein hübsches Ding, die Basilisk, obwohl meine Meinung vielleicht von der Erinnerung an meine Erlebnisse auf ihr gefärbt wird – die, wenn auch nicht frei von dunklen Stunden, doch insgesamt angenehm waren. Sie hatte im Krieg wenige Einsätze gesehen und deshalb nur geringe Schäden davongetragen, sodass ihre Reling und der Rumpf bunt in Grün-Weiß bemalt waren. Ihre Maße waren sieben oder acht Meter von einer Seite zur anderen und beinahe dreißig vom Bug zum Heck.

Das klingt beeindruckend, und als ich mich dem Schiff zum ersten Mal näherte, fand ich sie tatsächlich riesig. Natürlich wird das, was vom Dock oder auf einer ersten Führung geräumig wirkt, schnell viel kleiner, wenn es für einen die ganze Welt darstellt. Ehe der erste Monat verstrichen war, hatte ich das Gefühl, dass ich jeden letzten Zoll dieses Bootes kannte, zumindest vom Deck abwärts. Die Segel überließ ich anderen, außer wenn meine Beobachtungen nicht ohne einen höheren Aussichtspunkt zu machen waren.

Ihr Kapitän war Dione Aekinitos, und ich muss mich etwas zurückhalten, ihn nicht jedes Mal, wenn ich seinen Namen schreibe, »den verrückten Dione Aekinitos« zu nennen. Er hatte jedenfalls diesen Ruf, bevor wir an Bord kamen, und tat nichts, um mich während meiner Zeit dort zu überzeugen, dass dieser unverdient war.

Anfangs wirkte er völlig normal. Erst einmal fehlten ihm sowohl Holzbein als auch Papagei, obwohl gewisse Geschichten mich in meiner Kindheit überzeugt hatten, dass diese notwendige Accessoires für jeden strammen Kapitän waren. Er hielt, oder versuchte es, sein dunkles, lockiges Haar in einem Pferdeschwanz in seinem Nacken unter Kontrolle, aber ständig entkamen Strähnen und wehten im Wind. Warum ihn das nicht wahnsinnig machte, kann ich nicht sagen, denn ich war mehr als einmal in Versuchung, mein eigenes Haar ganz abzuschneiden und mir dieses Ärgernis zu ersparen. (Obwohl ich am Ende diese Wahl nicht hatte.) Er war so groß, dass er nur unter freiem Himmel aufrecht stehen konnte – weil das Interieur eines Schiffes ein recht beengter Raum ist –, und er hatte sowohl ein Lachen als auch ein Brüllen, das vom Heck bis zur Nasenspitze der Galionsfigur schallen konnte und tat.

Seine Verrücktheit lag nicht am äußeren Erscheinungsbild und auch nicht an seinem alltäglichen Verhalten, sondern einfach an der Tatsache, dass er die See als Herausforderung betrachtete. Wie alle Seeleute, die länger als ein Jahr überleben, hatte er einen gesunden Respekt vor den Gefahren, die der Ozean beinhaltet … aber »Respekt vor« und »Furcht vor« sind nicht ganz dasselbe. Man musste ihm nur erklären, dass etwas schwierig war, und er fing sofort an, Pläne zu schmieden, um sich daran zu messen.

Wie Sie sich vorstellen können, hatte er deshalb gewisse Schwierigkeiten, seine Mannschaft zu behalten. Aber über die Jahre seit dem Krieg hatte er durch einen Zyklus aus Verschleiß und Anwerbung all die vertrieben, die nicht willens waren, seine Exzentrik zu tolerieren, und eine Sammlung an Männern zusammengestellt, denen sie nicht überaus viel ausmachte. Sehr wenige von ihnen waren verheiratet, aber die meisten, wenn nicht alle, machten Gebrauch von der Gastfreundschaft, die sie in Häfen auf der ganzen Welt fanden, und ich hege keine Zweifel daran, dass sie alle miteinander ein weiteres Schiff rein mit den unehelichen Kindern, die sie gezeugt hatten, hätten besetzen können. Der Gedanke, dass ihr Kapitän ihnen vielleicht in einem zum Scheitern verurteilten Versuch, einen nicht schiffbaren Kanal zu befahren oder einem furchtbaren Sturm davonzusegeln, den Tod bringen konnte, war einer, den sie mit gelassener Resignation akzeptierten. Solange sie pünktlich bezahlt wurden, war alles gut.

Diese Männer – etwa fünfundsechzig an der Zahl – würden für die nächsten zwei Jahre meine Kameraden sein. Zu dieser Liste fügte ich Tom Wilker, Abby Carew und meinen Sohn plus andere hinzu, denen wir unterwegs begegneten. Mein gesellschaftlicher Umgang war schon früher begrenzt gewesen, aber durch mein einzelgängerisches Einsiedlerleben, nicht durch die Beschränkung auf eine Gruppe Menschen, denen ich nicht entkommen konnte. Ich hatte meine Kabine, aber ich teilte sie mit Abby und Jake, und darüber hinaus konnte ich – die in der Vergangenheit die natürliche Welt so sehr genossen hatte – es nicht aushalten, für zu lange darin eingesperrt zu sein. Ich hatte allerdings nicht den Wunsch, in die Takelage zu fliehen, wie es Jake gewöhnlich tat (weil mein Sohn sich mit der Leichtigkeit und dem Vertrauen der Affen, denen er manchmal ähnelte, an die Taue gewöhnt hatte). Das Beste, was ich tun konnte, wenn mir die Gesellschaft zu viel wurde, war es, mich an den Bug des Schiffes zu setzen, so weit vorne, wie ich konnte, und vorzugeben, dass es auf der Welt nichts als mich selbst und die See gab.

Aber ich greife mir vor. Es war ein heller Graminismorgen, als wir am Dock in Sennsmouth ankamen, unser Gepäck im Schlepptau, um uns an Bord der Basilisk einzurichten. Der Kapitän hatte das Beiboot geschickt, um uns aufzusammeln, während ein größeres Lotsenschiff wartete, um unsere Ausrüstung zu transportieren. Das Schiff hatte zu viel Tiefgang, um direkt ans Dock zu kommen. Deshalb hatten wir, wie uns schien, alle Zeit der Welt, um unser neues Heim zu betrachten, während die Seeleute uns hinausruderten.

Tom und ich hatten beide die Basilisk mehr als einmal zuvor gesehen, als wir Vorbereitungen für diese Reise getroffen hatten. Für Abby und Jake aber war dies ihr erster Anblick. Abby betrachtete sie schweigend. Ich kannte sie mittlerweile gut genug, um das als Überspielen ihrer Nervosität zu erkennen. Jake wäre im Gegensatz von Bord gesprungen, wenn er gedacht hätte, er könnte schneller dorthin schwimmen. Ich musste ihn recht scharf zurückrufen, weil er den Ruderern im Weg war.

Abby trug einen Rock wie ich, weil wir Scirland noch nicht verlassen hatten. Deshalb ließ man den Stuhl des Bootsmanns für uns herunter, während Tom und Jake die Leiter hinaufkletterten. Tom hatte, dem Himmel sei Dank, die gute Idee, Jake, solange er konnte, aufzuhalten, sodass ich zu dem Zeitpunkt, als mein Sohn das Deck erreichte, beinahe selbst dort war.

Beinahe, aber nicht ganz. Ich konnte ihn nicht erreichen und zurückhalten, als Jake auf das Deck sprang, sich mit weit aufgerissenen Augen umsah und losrannte, um alles zu erkunden.

Er kam nicht weiter als zehn Schritte, ehe eine Stimme brüllte: »Halt!«

Es war eine Stimme, der man gehorchen musste. Selbst die Seeleute hielten kurz in ihren Bewegungen inne, und sie waren lange darin geübt festzustellen, wer das Ziel jeglichen Befehls war. Jake kam so schnell schlitternd zu einem Halt, dass ich beinahe auflachte.

Die Stimme war vom erhöhten Achterdeck gekommen. Die Sonne stand knapp dahinter, sodass ich gegen das Licht blinzeln musste, als ich nach oben blickte, und anfangs nur eine hoch aufragende Gestalt sah. Ich würde ihm durchaus zutrauen, dass er sich dessen bewusst war und es für seine Zwecke nutzte.

Es war natürlich der verrückte Dione Aekinitos. Er stieg mit schweren Schritten auf das Hauptdeck herab, sodass die Treppe unter seinen Stiefeln knarzte. Er war kein so breiter Mann, wie er groß war, aber er hatte ein Talent, sich schwer klingen zu lassen, wenn er wollte. Ich glaube, er wusste, wo jedes Brett an Bord seines Schiffs am lautesten knarzte. Im Gehen sagte er: »Auf diesem Schiff wird nicht gerannt, außer ich befehle es. Und ich habe dir nicht befohlen zu rennen. Wie heißt du, Junge?«

Mein Sohn leckte sich über die Lippen und starrte zu ihm hoch. »Jake. Jacob Camherst. Ähm. Sir.«

Mittlerweile war ich auf dem Deck. Mütterlicher Instinkt – den ich trotz gegenteiligen Gerüchten besitze – drängte mich dazu, vorzutreten und dazwischenzugehen, denn Aekinitos ragte auf bedrohliche Weise über Jake auf. Aber ich wusste genug über die Etikette an Bord von Schiffen, um mir sicher zu sein, dass es der Gipfel der schlechten Manieren wäre, sich dem Kapitän in einer Angelegenheit der Disziplin in den Weg zu stellen. Wir waren keine Seeleute unter seinem Befehl … aber ohne einen sehr guten Grund, der dagegensprach, war es besser, wenn wir uns trotzdem so verhielten. Alles andere hätte seine Autorität untergraben, Böswillen geschaffen und generell einen sehr schlechten Anfang für unsere Reise dargestellt.

»Warst du je zuvor an Bord eines Schiffes, Junge?«, fragte Aekinitos.

»Nein, Sir.«

»Dann kommt hier deine erste Lektion. Du berührst gar nichts. Jungen, die nie zuvor auf Schiffen waren, schaffen Probleme. Sie spielen mit Tauen und legen sie nicht richtig zurück. Dann entrollt sich das Tau nicht leicht, wenn es gebraucht wird. Vielleicht sind wir in einem Sturm, wenn das verknotete Tau entdeckt wird. Die Gegenstände, die vertäut werden müssen, werden nicht rechtzeitig gesichert und fallen über Bord. Vielleicht ist es ein Mann, der über Bord geht. Vielleicht stirbt er. Oder ein Segel wird nicht schnell genug gerafft, und der Mast bricht, oder wir laufen auf Grund. Vielleicht sterben wir alle. Alles, weil ein Junge nicht wusste, dass er seine Finger von dem lassen muss, was er nicht kennt.« Aekinitos pausierte in seinem beeindruckenden Vortrag. »Verstehst du das, Junge?«

»Ja, Sir.«

Aekinitos beugte sich etwas über ihn. »Was verstehst du?«

Man muss Jake anrechnen, dass er stehen blieb, statt zurückzuweichen. Oder er war vielleicht einfach wie auf der Stelle angewurzelt. »Dass ich nichts berühren soll, Sir.«

»Gut.« Aekinitos richtete sich auf und wandte sich ohne die geringste Pause mit einem breiten Grinsen im Gesicht an mich. »Mrs. Camherst. Willkommen an Bord!«

»Danke, Kapitän«, sagte ich. Jetzt stellte ich mich zu Jake. Ich legte keinen Arm um ihn. Der Tadel war nötig gewesen, denn ohne ihn hätte er alles erkundet, ehe der Tag vergangen wäre. Aber ich wollte nicht, dass er sich völlig verlassen fühlte. »Die Dame hinter Ihnen ist Jakes Gouvernante, Abigail Carew. Tom kennen Sie natürlich bereits.«

Als alle vorgestellt waren, schickte Aekinitos seinen Ersten Offizier, Mr. Dolin, um uns unsere Quartiere zu zeigen. Tom kampierte mit den Offizieren – wir nutzten immer dieses Wort, »kampieren«, obwohl er wie wir alle in einer Hängematte schlief –, aber Abby, Jake und ich hatten den Luxus unserer eigenen Kabine am Heck, unter dem Puppdeck.

Wenn ich Ihnen erzähle, dass es beengt war, werden Sie nicht wirklich verstehen, was ich meine, außer Sie haben selbst an Bord eines Schiffes gelebt. Im Großteil des Raums konnte Abby nicht ganz aufrecht stehen. Mein eigener Kopf berührte beinahe die Decke. Die Ausnahme war unter dem Dachfenster, das uns unser einziges natürliches Licht schenkte. Wir mussten lernen, bei jeglichem Lärm zu schlafen, denn die Offiziere führten ihre Arbeit direkt über unseren Köpfen aus, und obwohl Aekinitos leise gehen konnte, wenn er wollte, kann man über einige andere nicht dasselbe behaupten. Der Raum war insgesamt weniger als drei Meter breit, und wir teilten ihn mit dem Besanmast. Ich hatte oft Grund, den Kerl zu verfluchen, der beschlossen hatte, ihn auf dem Schiff anzubauen und den breiten Pfahl direkt durch unsere Kabine zu treiben.

In diesen Raum stopften wir uns selbst, unsere Truhen, unsere Bücher (ebenso wie alle anderen Bücher auf dem Schiff, nicht dass das viele gewesen wären) und einen Tisch, auf dem wir arbeiteten. Und so lebten wir für zwei Jahre.

Für Jake wirkte es anfangs natürlich wie ein großes Abenteuer. Alles Neue ist faszinierend, wenn man neun ist. Außerdem verbrachte er viel weniger Zeit in der Kabine als ich, denn während Abby, Tom und ich ihn weiter unterrichteten, war er nicht direkt in die Arbeit der Expedition eingebunden. Für meinen Teil fand ich mein Quartier zuerst schockierend klein, dann annehmbar, dann unerträglich und schließlich eines Kommentars so unwürdig wie das Wasser, in dem ein Fisch schwimmt.

Der Grund für das beengte Quartier war, dass ich die reichste Frau in Scirland hätte sein müssen, um ein Schiff und eine Mannschaft für zwei Jahre rein zu dem Zweck, Drachen anzusehen, anzuheuern. Keine Anstrengungen, daheim zu wirtschaften, konnten mich auf eine solche Ausgabe vorbereiten. Die Reise der Basilisk war ein Gemeinschaftsunternehmen, und ihre Bürde wurde mit der Scirländischen Geografischen Vereinigung, der Ornithologischen Gesellschaft und einer nichäischen Handelsfirma, der Zwölfmeeresflotte, die seither den Betrieb eingestellt hat, geteilt. Die ersten beiden bedeuteten, dass ich nicht nur dem Winfield-Kurier und meiner eigenen Forschung verpflichtet war, sondern auch diesen intellektuellen Gesellschaften. Die dritte bedeutete, dass der wenige Raum auf der Basilisk, der nicht mit Menschen und Vorräten gefüllt war, der Fracht gewidmet wurde – und dass diese Menschen und Vorräte so wenig Raum wie möglich einnehmen durften.

Ich hatte natürlich versucht, das Philosophenkolloquium für unsere Unternehmung zu interessieren. Einige seiner Mitglieder hatten sich lobend über meine Forschung geäußert, und Tom hatte einen Eindruck auf diese Gesellschaft hinterlassen, sodass ich voll erwartete, dass man ihm bei unserer Rückkehr eine Mitgliedschaft anbieten würde. Trotz Drängen von unserem Förderer aber – Lord Hilford, der jetzt leider altersschwach wurde – hatten sie abgelehnt, uns irgendeine materielle Hilfe oder tatsächlich irgendetwas jenseits vager und halbherziger guter Wünsche zukommen zu lassen. Die Frau und ihr Arbeiterklasse-Kerl aus Niddey mussten ihren Respekt noch verdienen.

Zu jener Zeit missbilligte ich das, aber der Schmerz ist lange verflogen. Außerdem: Hätten sie uns finanzielle Unterstützung gewährt, wären wir vielleicht nicht gezwungen gewesen, gewisse Maßnahmen zu ergreifen, um die Expedition über Wasser zu halten. Und hätten wir das nicht getan, wie anders wäre mein Leben wohl verlaufen?

Viele Leute nehmen an, dass eine Expedition, die später so berühmt wurde, mit großem Tamtam aufgebrochen sein muss, aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Damals waren aller Augen auf die diplomatische Reise gerichtet, zu der die Nichte des Königs, Prinzessin Miriam, bald aufbrechen sollte. Es war eine Geste des guten Willens für eine Vielzahl an Ländern, mit denen wir zu jener Zeit nicht das beste Verhältnis hatten: Haggad, Yelang, Kehliyo, Thiessin und andere, die ich vergessen hatte. Die politischeren Zeitungen waren mit der Spekulation beschäftigt, ob ihre Mission in einer Versöhnung resultieren würde, und falls ja, zu welchem Preis. Die Klatschblätter füllten ihre Seiten mit Tratsch, wen Ihre Königliche Hoheit treffen und was sie tragen würde. So oder so hatten sie wenig Aufmerksamkeit für eine bloße wissenschaftliche Studie übrig.

Ich war schon zuvor auf See gewesen, aber nie mit dem Ansinnen, auf See zu sein. Meine vorherigen Reisen waren Mittel zum Zweck gewesen, um zu meinem Ziel zu kommen, nicht mehr. Während das zu einem gewissen Ausmaß auch jetzt zutraf – ich hatte einen Reiseplan mit Orten, die wir besuchen wollten –, sollte das Schiff für die Dauer der Reise mein Heim statt ein reines Transportmittel sein. Ich muss gestehen, dass ich eine gewisse Aufregung verspürte, als sei ich ein Kind, das etwas Magisches erreichte, obwohl eine Seereise nie ein Jugendtraum von mir gewesen war. An jenem ersten Abend, als wir auf dem Gezeitenstrom aufs Meer hinausfuhren, stand ich mit Jake am Bug und lachte in den Wind. Vielleicht ist es nur im Nachhinein, dass es sich so anfühlt, als hätte ich gewusst, dass dies der Anfang von etwas Bedeutendem war. Vielleicht nicht.

Wir fuhren zuerst in nördliche Gewässer, die See um Svaltan und Siaure, und nutzten den kurzen Sommer, den diese Breitengrade bieten konnten. Viel von dieser Region wird für den Großteil des Jahres von Eis eingeschlossen, und die See friert im Umkreis von Meilen fest oder beinahe fest. Heutzutage haben wir natürlich Eisbrecher – Schiffe, deren Maschinen sie durch das Packeis treiben können –, und aus diesem Grund ist viel mehr Polarforschung möglich geworden. Zu jener Zeit aber hatten wir keine derartigen Schiffe. Die Basilisk war nicht einmal mit den Arten von Verstärkungen ausgestattet, die sie gegen Eis geschützt hätten. Aber das machte kaum einen Unterschied, denn das, was wir dort beobachten wollten, war ohnehin nur in den Sommermonaten zu sehen.

Die Debatte über die Migration der Seeschlangen war uralt. Seeleute hatten berichtet, sie hätten sie in Breiten von den Tropen bis in den hohen Norden gesehen, und einige behaupteten, dass die gewaltigen Tiere mit den Jahreszeiten zogen. Andere bestritten dies und zitierten verschiedene Fakten, um ihre Position zu stützen. Tasthaare über den Augen und um die Schnauze wurden zum Beispiel oft von tropischen Tieren berichtet, aber selten, falls überhaupt je, von arktischen. In den mittleren Breiten wurden die Schlangen oft das ganze Jahr beobachtet. Die im Norden waren generell größer als die im Süden, was nahelegte, dass es vielleicht unterschiedliche Arten waren. Hin und her war die Diskussion gegangen, aber die meisten von denen, die sich an der Debatte beteiligten, argumentierten mit Daten, die wenig mehr als Anekdoten und Hörensagen waren. Ich hatte vor, das zu ändern.

»Es gibt keinen einfachen Weg, es in die eine oder andere Richtung zu beweisen«, sagte Tom an unserem ersten Abend auf See. Er und ich speisten mit dem Kapitän und seinen Offizieren in der Offiziersmesse, was eine Gefälligkeit war, die man den Passagieren manchmal erwies. Der Tisch hatte am Rand niedrige Begrenzungen, was unsere Teller davon abhalten sollte, uns in den Schoß zu rutschen, wenn die See rau war. An diesem Abend gab es aber nur mäßigen Wellengang: genug, um als Erinnerung zu dienen, dass man auf See war, aber nicht genug, um lästig zu sein. (Außer man war zufällig Abby, die anfangs große Schwierigkeiten mit Seekrankheit hatte.)

Ich sagte: »Wenn es möglich wäre, die Schlangen zu markieren, wie man es mit Rindern oder den Schwänen Seiner Majestät macht, könnten wir es sicher feststellen. Man müsste sie einfach mit etwas kennzeichnen, das den Breitengrad anzeigt, auf dem sie gefunden wurden, und dazu das Datum, und dann könnte man sehen, ob man sie zu einer anderen Jahreszeit weit entfernt findet. Aber selbst angenommen, wir könnten sie dazu bringen, lange genug für einen solchen Eingriff stillzuhalten, wie würden wir sie jemals wiederfinden? Nadeln in einem Heuhaufen sind nichts dagegen.«

Aekinitos nickte. Er brauchte mir nicht zu erklären, wie riesig die See war und wie gefährlich ihre Kreaturen.

Neugierig fragte Tom: »Wie ist Ihre Meinung, Sir? Denken Sie, dass sie migrieren?«

Der Kapitän blickte nachdenklich auf die Balken, die die Decke über uns stützten. »Sie benehmen sich nicht gleich, die im Norden und die im Süden. Sie wissen davon?«

»Meinen Sie ihre Verteidigungsmethode?«, fragte ich. »Ja, natürlich. Es ist einer der wichtigsten Punkte in meiner allgemeineren Überlegung zur Taxonomie. Wie entscheidend ist der außerordentliche Hauch darin, ob etwas als ›Drache‹ oder als bloßer ›Verwandter‹ bezeichnet wird? In den Tropen saugen Seeschlangen Wasser ein und stoßen es dann als gewaltigen Strahl wieder aus.«

»Der kann einen Wal töten«, sagte Aekinitos. »Oder den Rumpf eines Schiffes brechen.«

Er klang völlig begeistert darüber, als würde er die Stärke eines anderen Mannes bewundern, völlig egal, ob besagte Stärke für ihn und seine gesamte Mannschaft das Ende bedeuten konnte. Ich sagte: »Wenn sie das Wasser aus ihrem Magen statt als eine Art Atem ausstoßen – und die Beobachtungen tendieren allgemein dazu, dass dies der Fall ist –, dann ist es kein außerordentlicher Hauch, und die traditionelle Taxonomie besagt, dass sie keine Drachen sind. Ohnehin wird das im Norden nicht beobachtet. Die Schlangen dort ersticken ihre Beute stattdessen.«

»Es ist kein Atem«, stimmte er zu. »Wir haben schon zuvor Seeschlangen getötet, und in ihrem Bauch finden wir Wasser. Aber nur im Süden. Liegt es daran, dass sie sich unterscheiden?« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht liegt es nur daran, dass das Wasser im Norden kälter ist.«

Das war genau meine Theorie: dass der Unterschied im Verhalten an der Umwelt und nicht an unterschiedlichen Spezies lag. Einen Magen mit eisigem arktischem Wasser zu füllen, wäre ein gewaltiger Schock für den Körper. Aber das bewies nichts zum Thema Wanderung. Dafür würden wir bessere Beobachtungen der Kreaturen selbst brauchen.

Das zu erreichen, war keine einfache Angelegenheit. Wir hatten keine Schwierigkeiten, die Schlangen zu finden. Bei unserer Ausrüstung befand sich ein Satz sehr guter Teleskope, und während jener ersten Wochen verbrachten Tom und ich Stunden damit, durch sie hindurchzustarren, während unsere Hände in den Handschuhen kalt wurden, und zu beobachten, wie sich die großen Körper in den kühlen blauen Wassern dieser nördlichen Wellen hoben und senkten. Die Männer in der Takelage gewöhnten sich schnell an, jedes Mal, wenn sie eine erblickten, zu uns herunterzubrüllen – was anstrengend wurde, wenn wir mit anderen, dringenderen Arbeiten beschäftigt waren. Aber sie waren in Bewegung, in der Entfernung, und wir sahen immer nur ein Stück. Das war die Art von Daten, auf die sich die derzeitigen Theorien stützten, und sie reichten nicht. Um irgendetwas sicher festzustellen, mussten wir das tun, was wir schon früher getan hatten: eine der Kreaturen erlegen, wie Seeleute aus einer Legende.

DREI

Schlangen locken – Haie – Die Schlacht beginnt – Sezieren auf See – Jake und der Kopf – Pronomen – Ich denke über Taxonomie nach

Ähnlich wie Haie können Seeschlangen durch Köder angelockt werden. Das zu tun, ist aber riskant, falls es in der Nachbarschaft mehr als eine Schlange gibt.

Wir mussten unsere Position sorgfältig wählen, in Gewässern, die laut der svaltanskischen Seeleute, die wir befragten, weniger von diesen Bestien bevölkert wurden. Das bedeutete, dass wir mehrere Versuche brauchten, um unsere Beute anzulocken, aber das war ein Opfer, das zu erbringen alle bereit waren, wenn es hieß, dass wir nicht vier gleichzeitig anlocken würden.

Die Seeleute fingen Fische, zerstückelten sie und füllten einen Korb mit den stinkenden Überresten, den das Beiboot ein Stück wegbrachte, ehe man ihn über Bord kippte. Dann ruderte die Besatzung eilends zurück zur Basilisk, denn der ganze Zweck von diesem Teil der Übung war es sicherzustellen, dass der Köder nicht zu nahe am Schiff war. Als das erledigt war, wurden mehrere Ausgucke in der Takelage postiert, um das Wasser nach Schlangen, verräterischen Wellen oder dunklen Schatten, die sich unter der Oberfläche bewegten, abzusuchen.

Die ersten drei Male, als wir das taten, blieb unsere Wache ergebnislos. Zahllose andere Raubtiere und Aasfresser freuten sich an der Beute – und tatsächlich waren sie, nicht die Fische, unser eigentlicher Köder, denn während Seeschlangen zwar jedes Fleisch verschlingen, das sie bekommen können, egal wie klein, fressen sie lieber größere Kreaturen, wie zum Beispiel arktische Haie. Trotz der Verlockungen aber sahen wir im Wasser nichts Drachenartiges.