Landluft für Anfänger - Winter auf Probe - Nora Lämmermann - E-Book
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Landluft für Anfänger - Winter auf Probe E-Book

Nora Lämmermann

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Beschreibung

Digitaler Serienroman in 12 Folgen. Dieser Sammelband enthält die Folgen 1 bis 4.

Mia (33), ein quirliger, in den Tag hineinlebender, leicht chaotischer Hipster aus Berlin Prenzlauer Berg, und Iris (44), ein wandelndes Erfolgsrezept samt Ehemann, Kind und Karriere, haben nichts gemeinsam - außer ihrem Vater und einem Hof im Spreewald, den beide überraschend von ihrer Großmutter erben. Doch darüber freuen sich die Frauen nur kurz. Denn das Erbe ist an eine Bedingung geknüpft - und die hat weitreichende Konsequenzen ...

Neben dem E-Book gibt es "Landluft für Anfänger" auch als Audio-Download (ungekürztes Hörbuch).

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 429

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Inhalt

Cover

Was ist »Landluft für Anfänger«?

Die Autorinnen

Titel

Impressum

Folge 01

Folge 02

Folge 03

Folge 04

Im nächsten Band

Was ist »Landluft für Anfänger«?

»Landluft für Anfänger« ist ein zwölfteiliger Serienroman, der ein Jahr lang jeden Monat über zwei unterschiedliche Schwestern und ihr Leben auf einem geerbten Hof im Spreewald berichtet. Dieser Sammelband enthält die Folgen 01-04 der Serie.

»Landluft für Anfänger« gibt es sowohl als eBook als auch als Audio-Download (ungekürztes Hörbuch).

Die Autorinnen

Simone Höft, geboren 1968, und Nora Lämmermann, geboren 1978, trennen – wie die Protagonistinnen ihrer Romanreihe – zehn Jahre Lebenserfahrung, ein Kind und 475 Kilometer Luftlinie zwischen Köln und München. Gemeinsam sind ihnen ein abgeschlossenes Germanistikstudium, die langjährige Arbeit für Film und Fernsehen sowie eine mal mehr mal weniger gut funktionierende WLAN-Verbindung.

»Landluft für Anfänger« ist ihre erste, gemeinsame Romanreihe.

Nora LämmermannSimone Höft

Sammelband 1

beHEARTBEAT

Digitale Originalausgabe

»be« - Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Copyright © 2014 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Anne Fröhlich

Lektorat/Projektmanagement: Sarah Pelekies

Titelillustrationen: © Marina Boda; luchschen/shutterstock; Paul Orr/shutterstock; r.nagy/shutterstock

Titelgestaltung: Sandra Taufer, München

eBook-Erstellung: Urban SatzKonzept, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-4158-4

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Nora LämmermannSimone Höft

Folge 01

»Großstadtmädchen haben’s schwer«

Samstag, 5. Oktober

07:30 (Japan Standard Time). Flughafen Tokio. Lufthansa Lounge

OUTLOOKKALENDER VON IRIS NEUBERGER

Termin: Rückflug Tokio–Frankfurt.

Zeit: Sonntag, 06. Oktober, 11:25. Buchungsnummer für Iris und Michael Neuberger: 3J86BV.

Neue Rückflugzeit für Iris Neuberger: Samstag, 05. Oktober, 09:45. Umbuchungskosten: 1300 Euro.

Neuer Termin: Montag, 07. Oktober: Alice Glück kündigen. Grund: Schläft mit meinem Mann.Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Noch zu finden.

11:20. Berlin. Letzte Tankstelle kurz vor der A 100

Eur 42,50 Super bleifreiEur  5,00 Kaffee to go 2xEur  1,80 SchokoriegelEur  3,70 Pink, ZeitschriftEur  9,90 Kondome------------------------Eur 62,90------------------------Kartenzahlung GirocardSparkasse Berlin, Mia Mann

12:30. Auf der A 15 in Brandenburg

Etwas zu schwungvoll biege ich in die Kurve der Ausfahrt »Vetschau/Burg« ein. Die Reifen von Mattis altem Saab quietschen entrüstet. Im Geiste entschuldige ich mich bei meinem Mitbewohner, weil ich sein Schmuckstück misshandle, und bleibe vor dem gelben Schilderwald stehen. Links geht’s nach Lübbenau, also nach rechts.

12:45. Mitten im Spreewald

Vor mir eröffnet sich die Schönheit des Brandenburger Landes. Die Landstraße schlängelt sich durch Alleen, goldenes Oktoberlicht fällt durch die rot und gelb gefärbten Bäume, die Herbstsonne brennt mit letzter Kraft. Bis zu 23 Grad soll es heute werden. Und das Anfang Oktober! Ich kurble das Fenster ganz herunter und lasse meine Hand im Wind tanzen.

Fast könnte ich gute Laune bekommen, wäre da nicht der gähnend leere Beifahrersitz. Und mein stummes Handy, das ich alle paar Minuten wie eine fast Blinde vor meine Augen halte. Keine SMS, geschweige denn ein Anruf. David hätte wenigstens absagen können. Wir waren doch verabredet, oder nicht? War meine SMS etwa zu vage? Im Geiste rezitiere ich die wenigen Worte, die ich auswendig kenne. (Schließlich habe ich zwei Stunden gebraucht, um die SMS zu verfassen. Und sie seit heute Morgen gefühlte zwanzig Mal gelesen.)

SMS von MIA an DAVID

Lust auf einen Landausflug? Ich würde dich um 10 Uhr abholen, wenn du magst. Kuss. (gelöscht)  Meld dich. (gelöscht) Lieben Gruß, Mia.

Nein, nicht zu vage. Vielleicht fühlt er sich bedrängt! Schließlich kennen wir uns erst fünf Wochen und haben die meiste Zeit zwischen ein Uhr nachts und zehn Uhr morgens in (meist meinem!) Bett verbracht. Ist ein Samstagsausflug so etwas wie ein Beziehungsbekenntnis? Habe ich mit meiner SMS eine Grenze überschritten? Oder habe ich mich am Donnerstag in der Bar danebenbenommen, als wir nach der Arbeit in der Redaktion noch mit Patrick einen trinken waren? (Nach der Schwindel-Umdrehungszahl später im Bett zu urteilen, hatte ich mehr als ein Bier intus.) Apropos Bett: Warum ist David danach eigentlich nicht mit zu mir gekommen? Ob er wohl noch eine andere… Mia. Hör auf zu grübeln. Machst du dir eben alleine einen schönen Tag! Schließlich erbt man nicht alle Tage ein Haus im Spreewald!

Wild entschlossen greife ich zu dem Pappbecher neben mir. Igitt, schmeckt kalter Kaffee widerlich! Kaum zu glauben, dass ich doofe Kuh bis elf Uhr auf Davids Anruf gewartet habe, obwohl ich schon seit sieben Uhr (!) nicht mehr schlafen konnte. Und dass ich dann – als ich endlich losgefahren war – an der Tankstelle ZWEI Becher Kaffee (und eine Packung Kondome!) gekauft habe, nur für den unwahrscheinlichen, aber nicht auszuschließenden Fall, dass der Typ sich noch meldet, bevor ich auf der Autobahn bin. Natürlich hätte ich dann so getan, als wäre ich gerade erst aufgestanden, und wäre heimlich umgekehrt. Und natürlich hätte ich das nie Laura erzählen dürfen. Die findet so ein Verhalten verachtungswürdig. Recht hat sie. Arrg.

Ein Traktor biegt vor mir ein, ich bremse scharf und werfe den leeren Becher zu seinem Kollegen in den Fußraum des Beifahrersitzes. (Notiz an mich: Auto UNBEDINGT entmüllen und AUFTANKEN, bevor ich es Matti zurückgebe. Sonst leiht er es mir nie wieder.) Jetzt, mit einer Kriechgeschwindigkeit von zwanzig km/h, rieche ich den Dung von den Feldern. Etwas seltsam ist es ja schon, dass Oma Hedwig ausgerechnet mir ihr Haus vererbt hat. Wir kannten uns doch überhaupt nicht. Ich hätte eher auf meine ätzende Halbschwester Iris getippt. Die kannten sich ja. Aber es kann natürlich sein, dass die es sich mit Oma Hedwig verscherzt hat und enterbt wurde. Wundern würde es mich nicht, wer kann Iris schon ertragen? Also bis auf unseren gemeinsamen Erzeuger Bernd. Na ja, vielleicht war Iris aber auch Papas UND Omas Liebling und hat wertvollen Schmuck und ein volles Bankkonto abgesahnt – und mein Haus stellt sich als eine marode Bruchbude heraus. Meine Mutter ist zumindest der festen Überzeugung, das ganze Erbe sei eine späte Rache von Oma Hedwig, weil Bernd seine Familie erst für den goldenen Westen und dann für uns verlassen hat. Der Brief vom Notar war ein gefundenes Fressen für meine Mutter, um am Telefon mal wieder über Bernd und seine Sippe vom Leder ziehen zu können. (Schließlich hat er uns ein paar Jahre später ebenfalls sitzengelassen.) Bis ihr dann einfiel, dass sie zurück in ihr Seminar musste. Engel-Coaching in der Toskana oder so was! Mehr als den Fakt, dass ich geerbt habe – »das Haus von Bernds Familie, da im tiefsten Osten, sicher total verfallen, von der Frau mit diesem schrecklichen Namen: Hedwig. Ich bitte dich, wer heißt denn so?« –, habe ich als Info von ihr nicht erhalten. Ich hoffe, meine Mutter denkt dran und schickt die Notarunterlagen wie besprochen per Post. Auf dem Foto, das ich noch gefunden habe, sieht das Haus allerdings sehr nett aus. Nur der Name des Dorfes: »Feulenitz« … na ja. Trotzdem: Ein Landhaus, ganz für mich alleine, wär schon super!

Pling, pling.

Eine SMS! Doch noch eine Antwort von David?!

12:35 (MEZ). Flieger Tokio–Frankfurt. Business Class

War das mein Blackberry? Nein, war wohl der vom Nachbarn … Der Typ muss mindestens 130 Kilo wiegen. Wie kann man sich nur so gehen lassen? Ah, mein Rücken tut aber auch weh, muss wohl schief gelegen haben. Gähn. Aber ein Hoch auf die japanischen Schlaftabletten! Ich habe sicher die Hälfte der Zeit geschlafen und dabei nicht an … Michael … gedacht. Hab ich wirklich 1300 Euro fürs Umbuchen ausgegeben? Michael wird sich ärgern. Aber selber schuld. Was musste der auch mit Alice … Nein, stopp, nicht dran denken. Ob ich noch eine Schlaftablette … aber ich will mich ja nicht umbringen. Also besser nicht. Außerdem sollte ich noch ein paar Dinge abarbeiten. Noch drei Stunden bis zur Landung. Am besten fange ich mit den Mails an.

12:37. Flieger Tokio-Frankfurt

Der Immobilienmakler fragt, ob er mir die Wertermittlung für das Haus per Post oder per E-Mail zukommen lassen soll. Natürlich per Mail. Und ja, ich weiß, dass ich nicht die einzige Erbin bin. Das ist aber nun wirklich nicht seine Angelegenheit. Obwohl ich auch nicht verstehe, warum Oma Hedwig die »süße Kleene« von Papa und seiner zweiten Frau zur gleichberechtigten Miterbin ernannt hat. Die haben sich doch überhaupt nicht gekannt. Mia. Ein völlig planloses und unselbständiges Geschöpf, wenn ich mich richtig erinnere. Total verwöhntes Wohlstandskind eben. Aber hier steht es, schwarz auf weiß: »… vererbe ich, Hedwig Rudolph, Haus und Grundstück zu gleichen Teilen an Iris Neuberger und Mia Mann.« (War Oma Hedwig am Ende doch senil?) Na ja, wie auch immer. Ärgerlich, aber die muss ich im Bedarfsfall halt auszahlen. Am besten bringe ich den Anruf bei der,Kleenen’ direkt hinter mich. Könnten uns vielleicht am Freitag in Berlin treffen, wenn ich sowieso in der Hauptstadt bin. Laut ihrer Mutter wohnt sie ja noch dort. – Wo ist denn jetzt mein Nasenspray, das ist immer eine Luft hier …

12:40. Spreewald

Eine Wahnsinnsluft ist das hier. Nicht zu vergleichen mit dem Mief in Berlin. Ich stehe an einer verlassenen Baustellenampel, hinter mir röhrt ungeduldig ein Jaguar. Sicher ein neureicher Berliner mit Wochenendhaus. Ärgert sich wahrscheinlich, weil wir hier mitten in der Pampa auf Gegenverkehr warten. Der soll sich bloß nicht so aufführen. Wer weiß, nachher sind wir Nachbarn, Landhaus an Landhaus! Ich nutze die Zeit und antworte auf die SMS. War leider nur von Laura, hormongeschwängert wie die ist, glaubt sie immer noch an ein David-Happy-End. Na ja, würde ich ja auch gern …

SMS von LAURA an MIA

Liebes Rehlein, ich hoffe, Du hast einen romantischen Ausflug mit dem jungen Mann. Bin sehr gespannt, was du erzählst. Von DEINEM Landhaus. Wie aufregend. Vielleicht ist das ja der ideale Ort, um ein Kind zu zeugen? ;-) Bringst du für heute Abend noch zwei Flaschen alkoholfreien Sekt mit? Einen Kuss vom Füchschen.

Früher haben Laura und ich alles zusammen gemacht. Zum ersten Mal Tampons ausprobiert, die erste Zigarette geraucht, sogar beim ersten Zungenkuss habe ich mich mit ihr abgestimmt. Aber sie kann doch nicht allen Ernstes von mir erwarten, dass ich mich schwängern lasse, nur weil sie plötzlich auf Familie machen muss! Und sich außerdem nicht vorstellen kann, dass nicht jeder Mann so bindungswillig ist wie ihr Andreas! Am liebsten wäre ihr natürlich, ich käme mit ihr zurück ins piefige München. Aber das kann sie voll vergessen. Ich sage nur: alkoholfreier Sekt! Damit muss sie klarkommen, wenn sie mich im Stich lässt!

SMS von MIA an LAURA

Romantischer Ausflug fällt aus. D. hat sich nicht gemeldet. Komm heute Abend wahrscheinlich alleine. Jetzt gibt es zwei Gründe, sich ordentlich zu betrinken. Und ICH darf ja.

Immer noch rot. Und immer noch kein Gegenverkehr. Schnell noch einen Blick auf die Karte werfen. Lustig, wie die Dörfer hier in der Gegend heißen, Byhleguhre-Byhlen, Raddusch, Straupitz … Und das sind nur die deutschen Namen. Auf den Ortsschildern steht immer noch ein Name auf … ja, was ist das? Irgendwas Slawisches. Polnisch? Hinter mir hupt der Jaguar. Es ist grün. Ist ja gut! Ich werfe die Karte zu dem Handy und den Kaffeebechern in den Fußraum des Beifahrersitzes und starte mit quietschenden Reifen.

13:00

MÜSCHENITZ SAGT ‚AUF WIEDERSEHEN’. Das nächste Dorf muss es sein: Feulenitz. Jetzt werde ich doch langsam nervös. Mein erstes eigenes Haus. Mein erstes Erbe! Ich stelle die Musik leiser. Und höre mein Handy klingeln! David? Jetzt drehe ich aber nicht mehr um! Das kann er knicken. Hm, na ja, nachsehen schadet ja nicht, obwohl, wenn es meine Mutter … Egal. Ich krieche zu Kaffeebecher und Karte in den Fußraum des Beifahrersitzes und ziehe nach einigem Wühlen das Handy hervor. In diesem Moment endet das Klingeln. Mit dem Handy in der Hand tauche ich wieder auf – und steige voll auf die Bremse. Vor mir steht ein Kleintransporter quer auf der Straße! Es knallt.

13:01. Flug Tokio–Frankfurt

Hmm, die,Kleene’ geht nicht dran. Im hippen Berlin schläft man sicher noch. Der Typ neben mir muss Schlaftabletten für eine ganze Elefantenherde eingeworfen haben. Ratzt seit Stunden und senkt sein kahles Haupt immer wieder gefährlich nahe an meine Schulter. Für meinen Geschmack ist der Abstand zwischen den Sitzen hier reichlich klein. (Business Class, hallo?!) Wenn ich den Kopf vorsichtig wegschiebe … Na also. Jetzt beschlägt sein Atem die Fensterscheibe.

Zur selben Zeit quer stehend auf einer Brandenburger Landstraße

Scheiße. Die eingeknautschte Front von Mattis Saab kann ich selbst vom Fahrersitz aus sehen. Matti wird ausflippen. Ich muss mir was überlegen, irgendeine gute Ausrede, in der die Worte »Handy«, »sehnsuchtsvoll erwarteter Anruf von David« und »Fußraum« auf keinen Fall vorkommen dürfen. Welcher Idiot parkt aber auch mitten auf der Fahrbahn? Und wo ist der Mensch überhaupt, dem diese Hässlichkeit von khakifarbenem Lieferwagen gehört? Man muss keine ausgebildete Grafikerin sein, um zu erkennen, dass dieses Logo, das auf der Seite des Transits prangt, eine Geschmacksverirrung ist. Was soll das denn darstellen? Einen Fisch? Vielleicht sollte ich einfach zurücksetzen und abhauen. Den Schaden am Saab könnte ich an meinen Mitbewohner in den nächsten zehn Jahren abstottern, und der Typ hier hat bestimmt eine gute Versicherung. (Im Gegensatz zu mir.) Nein, das ist Fahrerflucht, das kann ich nicht bringen, nachher liegt der Mann bewusstlos auf dem Lenkrad, und neben ihm verblutet seine kleine Tochter. Hier ist ja Niemandsland, wer weiß, wann hier mal jemand vorbeikommt? Mia, hör auf Panik zu schieben. Du hast den Transporter lediglich hinten rechts leicht touchiert! Mattis Saab hat bei deiner schönen Pirouette weit mehr abbekommen. Ob Mama eine Haftpflicht hat, die den Schaden übernimmt? Meinen Vater Bernd kann ich deswegen auf keinen Fall anhauen, und Matti wurde letztens schon wegen meines kleinen Waschmaschinen-Malheurs von seiner Versicherung hochgestuft. Ich höre Bernd schon tönen: 33 Jahre alt und nicht einmal in der Lage, die lebensnotwendigen Versicherungspolicen abzuschließen! – Oh Gott! Ist das Rauch? Scheiße, das ist Rauch! Nix wie raus aus der Karre!!

13:08. Flug Tokio–Frankfurt

»Ja, 18:30 Uhr passt gut. Ich schicke Ihnen und London die Einwahldaten per Mail. Ja, wie immer. Eine Aufstellung der aktuellen Firmenstruktur ist mit Sicherheit hilfreich.« Jetzt schaut die Stewardess schon wieder so mahnend. Soll ich hier etwa sitzen und Däumchen drehen? Nur damit mir wieder der nackte Hintern meiner Assistentin im Kopf rumgeistert? Ich flüstere doch sowieso schon. »Wenn Sie mir das Material gleich mailen, schaue ich es mir sofort an. Feedback bis heute um 17:00 Uhr ist überhaupt kein Problem. Bis dann.« Skype, das ist schon echt praktisch. Jetzt, wo es im Flugzeug endlich WLAN gibt. Oh, Angriff der Saftschubse. (Die werden aber auch immer älter. Na ja, das sollte uns Ehefrauen eigentlich zugutekommen. Hat Lufthansa etwa einen weiblichen Chef?)

»Entschuldigen Sie bitte, aber ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass telefonieren an Bord …«

»Und wie, schlagen Sie vor, dass ich meine wertvolle Arbeitszeit verbringe? Soll ich etwa zwölf geschlagene Stunden Disney Channel schauen? Dieser Cartoon läuft jetzt schon zum dritten Mal! (Ganz zu schweigen von dem Liebesfilm, den ich nun wirklich nicht ertragen kann.) Das ist doch hier die BUSINESS Class, oder?«

»Das geht wirklich nicht gegen Sie persönlich. Diese Vorschrift dient Ihrer eigenen Sicherheit. Die empfindliche Bordelektronik …« Wird EBEN NICHT durch Handyempfang gestört. Das ist bereits wissenschaftlich erwiesen. Vollkommen andere Funkwelle, denke ich. Sage aber schlicht: »Ich telefoniere über Skype.«

»Telefonieren stört die Mitreisenden«, versucht sie dagegenzuhalten. Doch dann folgt ihr Blick meinem und landet auf meinem Nachbarn. Meine Schulter scheint eine magische Anziehungskraft auf seinen Kopf auszuüben. Mit herabhängender Unterlippe schnarcht er mir zärtlich ins Ohr.

»Ein Glas Sekt?« Jetzt hat sie Mitleid. Mitleid. Kann ich nicht ausstehen. Außerdem: Ich trinke nicht, obwohl ich unter diesen doch besonderen Umständen …

»Nein danke.« 0,2 Liter Sekt haben etwa 160 Kalorien. Braucht kein Mensch.

13:10. In Mattis Auto an der Unfallstelle

Mann. Was ist der Typ nur für ein Arsch, dem dieser Lieferwagen gehört. Dem hätte ich einen qualvollen Tod fast schon gegönnt. Leider waren das einzig Tote in seinem Wagen die glupschäugigen Fische im Plastikeimer. (Mia, so was denkt man nicht, das gibt schwarze Flecken auf der Seele. Und schlechtes Karma. Pff, schlechter geht ja wohl schon gar nicht mehr.) Kommt da quicklebendig in seiner lächerlichen Anglerhose und einem Metallica-T-Shirt (!) angeschlendert, begutachtet den Schaden und sagt lakonisch: »Das wird teuer«. (Und will das zwischen UNSEREN Versicherungen klären! Haha.) Richtig wütend ist er aber erst geworden, als ich ihn darauf hingewiesen habe, dass SEIN Auto unrechtmäßig aus dem Feldweg auf die Straße rage und er somit mindestens eine Mitschuld habe. »Und was ist damit?«, hat er gefragt. Ja, was ist damit? Zuerst habe ich nicht kapiert, warum dieser Haufen geborstenes Plastik am Straßenrand ein entlastendes Indiz für den Typen sein soll. Tja. Die Warnschilder muss ich beim Wühlen nach dem Handy wohl auch übersehen haben. Eins zu null für ihn. »Vielleicht können wir das ja unter uns klären, Ihr Auto ist ja auch nicht mehr ganz neu …«, habe ich gesagt und ihn so gewinnend wie möglich angeplinkert. Aber da war nichts zu machen! Erst musste ich mir Beleidigungen anhören. (Ob ich »keene Augen im Kopp« hätte. Und: »Typisch Wessi, immer schön hochnäsig.« Woher will der denn wissen, dass ich …? Na ja.) Und dann outete sich der Typ selbst als Korinthenkacker, als er mit Blick auf meine Füße meinte, barfuß Autofahren ginge gar nicht, das wäre fahrlässig und könne leicht noch `ne Anzeige geben. Er hätte jetzt gerne meine Nummer. Und meine Ausweispapiere. (Normalerweise lächeln Männer, wenn sie nach meiner Nummer fragen. Aber hier komme ich mit Charme nicht weiter. Ich sage nur: Metallica-T-Shirt.) Wo ist denn jetzt mein verdammter Perso? Mia, wie kann man ein Auto innerhalb von knapp zwei Stunden so vermüllen! Jetzt fang bloß nicht an zu heulen. Ah, da ist er ja. Mein Pass. Und meine Visitenkarte: Mia Mann. Bildredakteurin. Beim Magazin PINK. Davon kann der ja wohl nur träumen. Ob ich ihm die auch gebe? Hm, ich bezweifle, dass Pop, Style und Politik den beeindrucken. Wie hoch ist hier auf dem Land eigentlich der Anteil von Rechtsradikalen? – Wenn man von Landeiern spricht: Da kommt noch so einer angefahren. Im Landrover, was sonst, oh je, die scheinen sich zu kennen!

13:20

Der andere Typ macht jetzt Fotos. Kein Rechtsradikaler, sieht ziemlich gut aus, soweit ich das von hier aus beurteilen kann. Ich bin sicher, dass sie über mich reden. Das hippe Stadtmädchen mit ihrem dünnen Sommerkleid hat das Auto ihres Mitbewohners zu Schrott gefahren. (Mattis Saab lässt sich nicht mehr starten.) Mir ist zum Heulen zumute. Und ja, ich friere! Aber ich werde nicht weinen. Die Blöße gebe ich mir nicht. Freizeichen. Wie sag ich’s Matti nur??

14:10 Im Landrover des schönen Fremden kurz vor Feulenitz

Tja. Jetzt habe ich doch geheult. Kaum habe ich Mattis vertraute Stimme gehört, ging’s los. Was soll ich machen, Matti ist irgendwie Heimat. Warum kann ich mich nur nicht in den verknallen? (An Hemdkragen unter Strickpullis sollte man sich doch gewöhnen können.) Matti hat bei meinem Geblubber zuerst überhaupt nichts verstanden. Der Froschmann (er heißt übrigens Maik, was bitte ist das für ein Name!) und sein (wie ich jetzt beim näheren Hinsehen bestätigen muss: ziemlich gut aussehender) Freund haben blöd zu mir rübergeguckt, wie ich da am Straßenrand stand und mir den Triefrotz von der Nase gewischt habe. Ziemlich peinlich. Matti war zum Glück gar nicht sauer, sondern nett wie immer. Ich soll das Auto in eine Werkstatt bringen lassen, der Fahrzeugschein wäre im Handschuhfach. Den Rest könnten wir dann heute Abend bei der Party besprechen. Lauras Abschiedsparty. Da musste ich fast wieder heulen. Zum Glück habe ich Matti. Ich hätte gleich IHN fragen sollen, ob er mich zu meinem Haus begleitet. Nicht David, diesen Idioten, der sich seit (ein Blick auf das Handy) 37 Stunden nicht meldet. Der hat doch eigentlich Schuld an dem Unfall! (Ob dann Davids Haftpflicht zahlt? Wohl kaum. Glaube auch nicht, dass er die unbekannte Nummer war, die vor dem Unfall angerufen hat …) Na ja, das Gute ist: Ohne Auffahrunfall würde ich jetzt nicht im Auto dieses Fremden sitzen, diesem Freund vom Froschmann. Der sieht echt ziemlich gut aus. (Sagte ich das schon?) Braungebrannt und smaragdgrüne Augen, in denen sich die Sonne fast so schön bricht wie auf dem Wasser der kleinen Flüsse links und rechts. Älter als ich und auch als der Froschmann, aber schwer zu schätzen. Einer von diesen jungenhaften Typen, könnte Anfang oder Mitte vierzig sein. Und, im Gegensatz zu dem Idioten mit der Anglerhose, voll der Gentleman. Hat mich ungefragt zur nächsten Werkstatt abgeschleppt (also den Saab, nicht mich …), kutschiert mich jetzt zu meinem Haus (das er anscheinend kennt). Und … ähh … streckt mir gerade seine Karte entgegen, damit ich ihn später anrufen und er mich zum Bahnhof bringen kann, denn mit den Öffentlichen scheint’s hier schwierig zu sein … Torben Kühn. Tierarzt. Wenn das mal kein Name ist. Und wie er lächelt. David kann sich schon mal warm anziehen! – Vielleicht sollten wir einen Quickie auf der einladenden Rückbank dieses Landrovers …? Oder in einem dieser verwunschenen Wäldchen? Ist schon echt hübsch hier. Mist, ich glaub, wir sind schon da. Er biegt ab. Ist das etwa mein Haus?!! Wow. Aber wieso parken wir denn hier? Da liegt ja noch ein Fluss dazwischen. Soll ich da jetzt etwa rüberschwimmen?

14:20. Das Haus der Schwestern in Feulenitz

Wie süß! Mein Haus liegt auf einer Insel und ist nur mit einem Bötchen zu erreichen. Torben hat mich netterweise rübergeschippert, das war fast wie in einer venezianischen Gondel! Und erst das Haus. Das ist der Wahnsinn! Ein altes,  wunderschönes Bauernhaus mit bunten Fensterläden und einer verschnörkelten Eingangstüre. Nach den Fenstern zu schließen, gibt es eine Menge Zimmer. Hier unten muss wohl die Küche gewesen sein. Schöne alte Küchenvitrine, Holzfußboden! Schade, dass ich keinen Schlüssel habe, durch die Fenster kann man ja kaum was sehen.

14:20. Flieger Tokio–Frankfurt. Landeanflug

»Vorläufiger Sachwert (Gebäude, Außenanlagen, Bodenwert): 288.699,84 Euro.« Das wäre ja okay, aber hier kommmt’s: »Unterstellte Modernisierungsmaßnahmen (Verbesserung der Leitungssysteme Strom, Gas, Wasser, Einbau einer neuen Sammel- bzw. Etagenheizung, Wärmedämmung, Einbau von Bädern/WCs, Modernisierung des Innenausbaus, u. a. Decken, Fußböden, Treppenraum, Einbau von isolierverglasten Fenstern …): insg. geschätzte 200 000 Euro«. Allein an Sanierungskosten!! Außerdem liegt das Grundstück im Überschwemmungsgebiet, das gibt noch mal einen Abzug. Marktangepasster Sachwert daher am Ende: schlappe 80 000 Euro. Hätte ich mir denken können, dass der alte Kasten nicht mehr viel wert ist. Ist ja schon damals immer nur beigeflickt worden. Fehlte eben alles. Und nach der Wende hatten die vermutlich auch kein Geld, um das Haus zu sanieren. Aber das Grundstück! Das lohnt sich, trotz oder gerade wegen der Nähe zum Spreewaldfließ. Also, ich denke: gewinnbringend verkaufen.

Was fuchtelt die denn schon wieder so rum? Ach so, ja, der Laaaandeanflug. Ich bin ja gleich fertig.

14:22. Das Haus der Schwestern in Feulenitz

Ich glaub, das könnte man ganz schick renovieren. Den Boden abschleifen, die Fenster neu streichen. Gut, ein paar der alten Möbel müssen raus. Aber sonst? Für ein Wochenendhaus und ausgelassene Partys reicht’s allemal! Hier können ja sicher zwanzig Leute pennen. – Gehört die schnuckelige alte Remise etwa auch noch dazu? Sieht irgendwie bewohnt aus.

14:25. Flieger Tokio–Frankfurt. Über dem Frankfurter Flughafen

Um Martha muss ich mich dann auch noch kümmern, im Testament steht ja: »Einschränkend beschwere ich meine beiden Erben – Iris Neuberger und Mia Mann – mit folgendem Vermächtnis: Martha Dubizak erhält die Remise auf dem Grundstück und lebenslanges Wohnrecht«. Die kühle Martha. Oma Hedwigs Freundin. Im Dorf munkelte man damals, da sei mehr zwischen den beiden als nur Freundschaft. Weil sie zusammen auf dem Hof gelebt haben. (Ts, ts. Potentiell war im Dorf ja jeder irgendeiner Schandtat verdächtig. Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, treiben die Hirngespinste miteinander Unzucht, hat Mama immer gesagt. Apropos Hirngespinst: Ob Torben wohl noch dort wohnt?) Könnte sein, dass Martha nicht aus dem Haus rauswill. Alte Leute sind in diesen Dingen ja manchmal sentimental. Andererseits: Die muss ja bald neunzig sein! Da wäre ein schöner Platz in einer dieser Seniorenresidenzen doch sowieso viel besser für sie.

»Ich muss Sie jetzt wirklich bitten. Wir haben schon vor zwanzig Minuten mit dem Landeanflug begonnen. Inzwischen können wir schon die Rollbahn sehen, das ist jetzt wirklich …«

Ja, ist ja gut. Bevor die mir wieder mit Unfallstatistiken kommt. Ich klappe schon zu. Und lächle. Sie auch. Wenn auch verkrampft.

Samstag, 14:45, MMS von MIA an MATTI

Foto von einem dünnen schwarzen und einem weißen, überdimensional dicken Schaf. »Wie bei Shaun das Schaf! Hier wohnt eine ganze Schaffamilie! Süß, nicht?!«

Samstag, 16:30, MMS von MIA an MATTI

Foto von Mia, die auf einer Bank vor dem Haus sitzt, hinter ihr rankt rot gefärbter Wein. »Matti, wir ziehen aufs Land! Abgemacht? ;-)«

18:00. Am Bahnsteig mitten im Spreewald

»Tschüs. Und danke noch mal fürs Herfahren!« Ich winke Torben, und er winkt lässig zurück. Werd gleich mal seine Nummer einspeichern. Man weiß ja nie. Vielleicht meld ich mich, wenn ich Mattis Auto hier aus der Werkstatt holen muss. Das war ja schon ein wenig flirty, wie er sich verabschiedet hat. Auch wenn die Fragen nach meiner Halbschwester echt genervt haben. Woher soll ich wissen, wie es der geht? Er meint, Oma Hedwig (dass sogar er sie so nennt!) hätte immer ein Foto von Iris und eins von mir an der Wand gehabt. Wer hat ihr denn ein Foto von mir geschickt? Bernd? In der Remise wohnt anscheinend eine alte Freundin von Oma Hedwig. Das könnte mit Partys dann natürlich schwierig werden. Andererseits: Vielleicht ist sie schwerhörig. Oder lebenslustig. So oder so. Ich muss das heute Abend Matti und Laura alles brühwarm berichten!

18:00. Nobelstadtteil Frankfurt-Lerchesberg. Villa Iris und Michael Neuberger

,Home, sweet home’ war früher. Heute entspannt man eher auf dem Mittelstreifen einer mehrspurigen Schnellverkehrsstraße als bei uns auf dem Sofa. Das Panoramafenster unseres Wohnzimmers bietet mir immer noch einen atemberaubenden Ausblick auf die Skyline der Stadt. Aber seit zwei Jahren donnern im Minutentakt Flugzeuge im Landeanflug auf die Nordwestbahn über unsere Köpfe hinweg. Ts! Ausgerechnet. Hier wohnen die Erfolgreichen. Leute, die über Kapital verfügen, die investieren und Arbeitsplätze schaffen. Eigentlich unverzichtbar für die Stadt.

Dieser Lärm ist wirklich unerträglich. Meinen Blackberry höre ich nur, wenn der Anrufer eine Pause zwischen zwei Maschinen erwischt. So wie jetzt. Vielleicht Mia, die zurückruft? Oh nein. Das ist Michael. Der hat Nerven! Da geh ich jetzt nicht dran. Aber wenn er jetzt … Nein, Iris, den lässt du zappeln … Warum zittert denn meine Hand so blöd! Und wieso klopft mir das Herz bis zum Hals wie bei einem albernen Backfisch? Das muss am Jetlag liegen. Aber wenn … vielleicht will er mir ja sagen, dass ihm alles furchtbar leidtut. Dass er mich anfleht … Na, der kann noch ein bisschen schmoren. Soll auf Knien wieder angerutscht kommen! So leicht bin ich nicht wieder zu … Mist, das Klingeln hat aufgehört. Ich ruf zurück.

Die Nacht von Samstag auf Sonntag

4:00 in der Nacht. Frankfurter Lerchesberg. Iris’ Schlafzimmer

Michael wollte mir also nur mitteilen, dass eine Anfrage vom Coaching Magazin gekommen ist. Ein Artikel zum Cross Cultural Management, und dass ich das einfach besser könne als er. Schleimer! Der hat nur keine Zeit, weil er Besseres zu tun hat. Weil er nämlich meine Assistentin vögeln muss. Iris. Du musst schlafen. – Wie alt ist Alice noch mal? 31! Diese falsche Schlange! Vielleicht treiben sie es in diesem Augenblick gerade miteinander? – Nein, in Tokio ist es jetzt elf Uhr, die sitzen sicher schon im Flieger. Sagt der doch, wir würden das hoffentlich alles wie vernünftige Erwachsene regeln. Entspricht es vielleicht einem vernünftigen Erwachsenen, auf unserer gemeinsamen Dienstreise mit einer zwanzig Jahre jüngeren Frau ins Bett zu gehen, die auch noch meine Assistentin ist?! Na gut, es sind nur zwölf Jahre. Trotzdem: Das sei ja wohl eher ein klarer Fall von »Mann mit Midlifecrisis«, habe ich gesagt. Bestimmt ist sie nach dem Anruf direkt über ihn hergefallen. Hat ihn abge … – Ich muss aufhören, mir das auszumalen! Ob sie noch immer diese Strapse anhat, mit denen ich sie gestern in diesem Etablissement erwischt habe, wie sie gerade auf allen vieren über meinem Mann stand? Ihr kaum verhüllter, praller Arsch, der leider nicht einen Quadratmillimeter Cellulite aufweist, war das Erste, was mir ins Auge stach, als mir der Hotelangestellte – typisch japanisch – höflich lächelnd die Zimmertür öffnete. Hotel kann man den Ort eigentlich gar nicht nennen, an dem sich diese entwürdigende Szene abgespielt hat. Puff passt schon eher. Da mietet man sein Zimmer nämlich stundenweise. Je nach Vorliebe eingerichtet und für vergnügte Stunden zu zweit. Love Hotel, nennen das die Japaner. Love! Liebe! Pah! Ich hab genug gesehen. Ich sag nur: Handschellen, die über dem Bett an Ketten von der Decke baumeln … Zum Glück war noch keiner der beiden … Oh Gott, dass Michael überhaupt auf so was … Ich meine, mit mir war immer nur Blümchensex! Klammer auf: Wann eigentlich das letzte Mal? Klammer zu. Ich hätte mich aber auch nicht mehr gefreut, wäre Michaels Gesicht in einem dieser Zimmer mit Hello-Kitty-Ausstattung neben dem Hintern meiner Assistentin aufgetaucht. Wie der geguckt hat! Und dann sie! Ist von meinem Mann gehüpft, als hätte er sich urplötzlich in eine Seewespe verwandelt. Und dann fragt sie doch tatsächlich meinen Mann, warum ich hier sei?! Das konnte ich ihr sagen. Michael hatte offenbar eine für sie bestimmte SMS mit Uhrzeit und Treffpunkt versehentlich auch an mich geschickt:

Zwei Stunden für uns! Machen wir’s wie die Japaner … Heute 14 Uhr im Hotel Shibuya Princess. Kann es kaum erwarten … M.

Und ich hatte mich angesprochen gefühlt. Wie blöd kann ein Mensch eigentlich sein? Hätte ich mir gar nicht zugetraut. Aber da war schließlich sein Herumgedruckse am Vortag im Hotel, von wegen, unsere Beziehung sei ermüdet, und er ertrage das so nicht mehr, und wir müssten reden, oder so. Reden ging gerade nicht wegen des anstehenden Kongress-Vortrags. Aber als gestern Michaels SMS kam, erinnerte ich mich an diesen Moment und hielt seine Nachricht für einen romantischen Vorstoß, albern, aber rührend. Übrigens an unserem Hochzeitstag! Musste noch schmunzeln, weil in Michaels Outlook ein Kundentermin stand. Als Farce für Alice, dachte ich doofe Nuss. Und da mein eigener Terminkalender mir zwei Stunden Pause erlaubte, geistert mir jetzt die Rückansicht meiner Assistentin im Kopf herum. Danke dafür. Aber ich bin ja eine vernünftige Erwachsene. Als solche werde ich am Montag erst mal Alice kündigen. Meine nächste Assistentin wird X-Beine, ein nässendes Ekzem im Gesicht und keinen Hintern haben. Ich brauch noch eine Schlaftablette. Und Ohropax. In einer Stunde geht der Fluglärm wieder los. Wie soll ich morgen nur den Besuch bei meiner Mutter überstehen? Was musste ich vorhin auch ans Telefon gehen … Ach, verdammt, jetzt habe ich vor lauter Paranoia meine Knirschschiene im Bad vergessen.

Berlin. Mias Bad. Hier ist man ebenfalls noch wach.

Ich sitze auf der Toilette und heule. Warum auf der Toilette? Damit David, der in meinem Bett liegt (jippie!), nicht aufwacht und flieht. Weil ihm zum Beispiel einfällt, dass sein Bett zu Hause bequemer ist und er noch leckere Marmelade fürs Frühstück im Kühlschrank hat. (In unserem hier herrscht nämlich gähnende Leere.) Oder, noch schlimmer, weil er mich weinen sieht und denkt: Mein Gott, ist die kompliziert, nichts wie weg. Ist das normal, dass man auch in der Liebe ständig denkt: Bald fliege ich auf? Bald wird er merken, dass ich eine neurotische Spinnerin bin und nur halb so cool wie gedacht? (Und sei es nur, weil ich eine Knirschschiene trage, die ich natürlich NICHT benutze, wenn er hier ist.) Laura findet mein Verhalten auf jeden Fall bedenklich. Die ist jetzt sauer, weil ich Knall auf Fall von ihrer Party abgehauen bin, als David um 23:30 Uhr endlich ein Lebenszeichen gegeben hat (»Bist du zuhause? Könnte in einer halben Stunde da sein. D.«). Kann mir aber auch egal sein. Laura ist ja ohnehin bald weg. Wie Matti. Mein Mitbewohner geht nämlich nach London!!! Und zwar schon in fünf Wochen! (Ob das überraschend kommt? Und ob!) Alle verlassen mich! (Schnäuz.) Hätte mir gleich komisch vorkommen sollen, als Matti auf der Party mit dem Schnaps ankam, der trinkt nämlich normalerweise gar nichts Hartes. Bitte, dann soll er halt jetzt Karriere machen, in UK, als internationaler Anwalt. Deswegen war er auch so gnädig bei dem Autoschaden. Linksverkehr – da braucht er sein Auto gar nicht! (Toll, jetzt ist das Toilettenpapier auch noch alle. Und ja, bevor jemand fragt: Ich wäre mit Einkaufen dran gewesen.) – Scheiße, wer rüttelt denn jetzt an der Tür? Wenn das David ist, war’s das mit uns. Eine verheulte Prinzessin in einem Berg aus verrotztem Toilettenpapier, gehüllt in ein verschlissenes Minnie-Mouse-T-Shirt, die weint, bloß weil ihr Mitbewohner auszieht – die schlägt jeden halbwegs vernünftigen Mann in die Flucht! Oh Gott … Mein Gesicht ist wirklich total verquollen … vielleicht kaltes Wasser … »Mia? Alles in Ordnung?« Puh. Nur Matti. Gott sei Dank.

4:30. Berlin. Mias Schlafzimmer

Als Matti mein verheultes Gesicht gesehen hat, hat er mich (und Minnie Mouse) erst mal in den Arm genommen und fürsorglich die Küchenrolle aus seinem Zimmer geholt. (Manchmal bin ich doch froh, dass Matti diesen spießigen Unsinn kauft.) Dabei ist er rot geworden (weil ich ahnte, warum die Küchenrolle in seinem Zimmer neben dem Bett stand …). Den Tee hab ich aber abgelehnt. Als ich zurück in mein Zimmer wollte, hat er mich plötzlich ganz ernst angesehen und gesagt, vielleicht täte uns ein wenig Abstand ja auch ganz gut. Es hätte ja keinen Sinn, mit einer Frau zusammenzuwohnen, mit der man gerne das Bett teilen würde, aber nie wird … Ach, Matti.

David schläft immer noch wie ein Baby. (Und das, obwohl ich mir im Dunkeln erst den Fuß an meiner Nähmaschine angehauen habe und dann über den Fön gefallen bin.) Ob David wohl hier einziehen würde? Und ob er wohl merkt, wenn ich mich ankuschle? (Natürlich nackt und ohne Minnie-Mouse–Shirt, schließlich führen wir eine wilde … ja, was eigentlich? Affäre? Beziehung? Wenn das mit uns ‚was Längeres’ wird, sollte ich zumindest mal andeuten, dass ich Intimrasur bei Männern nicht so wirklich … Oh, jetzt regt sich was … Hallo!)

Montag, 7. Oktober

11:45. Berlin. Großraumbüro, Magazin PINK

Wie kann auf einen so schönen Sonntag (Highlight: Mauerparkflohmarkt mit David, dabei ein Kleid erstanden!) ein sooo fürchterlicher Montag folgen! Es ist Viertel vor zwölf, ich sitze hellwach auf meinem Drehstuhl in der Redaktion und versuche, den bösen Blicken auszuweichen, die David mir aus drei Metern Entfernung zuwirft. (Gäbe es doch Trennwände in unserem schönen Großraumbüro!) Was ich verbrochen habe? Das möchte ich auch gern wissen. Patrick sollte die Giftpfeile zu spüren bekommen, schließlich ist er der hinterhältige Verräter. Gibt der doch glatt Davids Kolumnenidee als seine eigene aus! Nur weil er Druck von oben kriegt und dringend seine Onlineseite aufmotzen muss. David findet, ich hätte was sagen müssen. Schließlich wäre ich Donnerstagabend in der Bar dabei gewesen, als David Patrick brühwarm von seiner Idee erzählt hat. Aber Patrick vor versammelter Mannschaft in der Redaktionssitzung bloßstellen? David hätte ja auch selbst … Aber klar, der war erst mal sprachlos. Die spitze Bemerkung von unserem Chefredakteur war aber auch total erniedrigend: »Sehr schöne Idee, Patrick. Hinter fremden Türen. Wie lebt man in der Hauptstadt? Eine Spurensuche in 32 Wohnungen. Das ist innovativ. Zeitgemäß. Abwechslungsreich. David, kommt von Ihnen ausnahmsweise auch noch was? Oder ruhen Sie sich auf Ihrer Neueinstellung noch ein wenig aus?«

Oh, Terminanfrage.

Von: PatrickAn: MiaBetreff: TerminanfrageBist du schon verabredet oder wollen wir gemeinsam Mittag machen? Um 12:30? Soll ich dich »abholen«?

Soll ich da jetzt zusagen? David wird denken, ich verbrüdere mich mit dem Feind. Andererseits, das ist doch eine gute Gelegenheit, die Sache anzusprechen. Unter vier Augen ist doch viel vernünftiger. Aber abholen? Das geht auf keinen Fall! (Ist eh albern, sitzen wir doch alle – bis auf den Chef – in einem Raum!)

Von: MiaAn: PatrickBetreff: Re:TerminanfrageGern. Lass uns unten am Ausgang treffen. Ich muss vorher noch Geld holen.

So. Das ist doch gut. Dann kann ich jetzt noch in Ruhe …

Von: PatrickAn: MiaBetreff: Re:Re:TerminanfrageNicht nötig, ich lade dich ein. Komme dich abholen!

Jetzt streckt der auch noch den Daumen nach oben. Shit.

11:50. Frankfurt. Büro Neuberger & Neuberger

»Tut mir leid. Sie kennen unseren Tagessatz. Der ist nicht verhandelbar. Auf Wiederhören!« Klick. Gespräch beendet. Dieses Entengesicht hat sie ja wohl nicht alle! Vertut meine Zeit damit, mein Honorar herunterhandeln zu wollen! Die weiß wohl nicht, mit wem sie es zu tun hat? Sind wir hier auf dem Basar, oder was?! Was für ein Wochenbeginn! Frau Michels, die Sekretärin, sieht mich auch schon ganz mitleidig an. Hat natürlich sofort kapiert, dass irgendwas ist, als sie mir einen Milchkaffee bringen sollte. Mit Vollmilch. Trinke ich sonst nie, sechzig Kalorien, sagt die App! Pures Hüftgold. Muss ich heute Abend wieder einsparen. Aber dass Alice es gewagt hat, hier überhaupt noch mal aufzukreuzen! Wollte reden! Hab ich mich zusammengerissen! »Das trifft sich gut«, hab ich ganz kühl gesagt. Und: »Ich nehme an, du möchtest, dass wir dir die Kündigung aussprechen. Verstehe ich. Ich denke, das lässt sich machen. Und, ach ja, das Zeugnis schreibst du dir am besten selbst. Ich will dir keine Steine in den Weg legen, Alice. Ich unterschreib’s dir dann.« Zum Glück klingelte gerade das Telefon, bevor ich an meinem Wunsch erstickt wäre, ihr mit dem nackten Arsch ins Gesicht zu springen. Klammer auf: Wieso hab ich’s auf einmal ständig mit nackten Hintern? Muss dringend meine Gedanken wieder in den Griff kriegen. Klammer zu. Und dann brauchte ich irgendwas Tröstliches zur Beruhigung. Milchkaffee ist immer noch besser als Schokolade. Mein Gott, ich hab sie so unterstützt! Was schreibe ich als Kündigungsgrund? Wenn nicht ‚sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz’, dann vielleicht ‚unerlaubte Nebentätigkeit während der Arbeitszeit’? Hör auf, Iris, das ist nicht witzig! Wieso muss ich überhaupt meine Zeit mit dieser Sache vergeuden? Ich schreib Michael ne Mail. Soll der sich kümmern. Terminerinnerung Outlook: Telefonkonferenz mit den Frankfurtern. In fünf Minuten. Wo sind die Unterlagen? Ach, hier. Das Telefon schon wieder. »Ja? Ja, das geht schnell. Stellen Sie Herrn Dr. Spreitz durch!«

Von: IrisAn: MichaelBetreff: KündigungMichael, setzt du bitte Kündigungsschreiben für Alice auf? Danke. Iris.

Von: MichaelAn: IrisBetreff: TerminanfrageHallo Iris. Lass uns doch gemeinsam Mittag essen. 12:45 bis 13:30 sieht in deinem Kalender gut aus. Habe schon mal einen Tisch für zwei bei Luigi bestellt.

Hmm, was das wohl heißt? Na, von mir aus. Zugesagt.

Berlin. Großraumbüro, Magazin PINK. Nach der Mittagspause

Mir ist schlecht. Und das nicht nur wegen des vielen Glutamats. Ich habe gerade für Ente süß-sauer und zwei Frühlingsrollen mein Schweigen verkauft. Patrick ist schon ein gewiefter Hund. Meinte einfach nur eiskalt: »So läuft das eben.« Ihm wären seinerzeit auch so einige Ideen ‚von oben’ weggeschnappt worden. Ob ich denn glaube, unser Chef hätte alle Texte selbst geschrieben, unter denen sein Name steht? Unten wird gearbeitet und oben abgesahnt. Man müsste halt irgendwann selbst oben ankommen. So einfach wäre das Spiel. Außerdem: Wer nur EINE Idee hätte, sei doch sowieso verloren. Und letztendlich geht es doch vor allem um ein gutes Magazin. Außerdem könne ich mich ja nun wirklich nicht über Seilschaften beschweren, oder müsse er mich daran erinnern, wer mich für den Job vorgeschlagen hat? Meine Vertragsverlängerung stünde ja auch demnächst an. (Wohl wahr. Über die zerbreche ich mir auch schon seit Wochen den Kopf. War das eigentlich eine Drohung?) Mann, wenn David mich noch länger so anstarrt, ist mein Herz wirklich bald ein durchlöcherter Käse. Vielleicht sollte ich mal einen Kaffee … Den Glutamatgeschmack aus dem Mund spül… Na, toll, jetzt geht David in die Küche. Kann der Gedanken lesen?

Ah!!! Mann, Mia Mann, du Sensibelchen! Jetzt erschrecke ich schon zu Tode, nur weil mein Handy klingelt … Was ist denn das für eine Vorwahl?

»Hallo? Ja, hier ist Mia Mann. Ach, der Saab, ja … Samstag? Ja, das geht, da kann ich ihn holen. Wie viel kostet denn jetzt …? … Ach, die Stoßdämpfer waren vorne auch … (schwitz) … Ja, ein altes Modell, klar, das ist schwierig … (schluck) … Okay, das heißt …?« Oh Gott. So viel? »Bitte? Ja, für den Schaden dieses Maik Nowak komme ich auch auf.« Grrr.

Zur selben Zeit in Frankfurt

Wenn ich Schnaps tränke, würde ich mir jetzt einen genehmigen. Aber ein Rennie tut’s auch. Dieses Mittagessen ist mir auf den Magen geschlagen. Hab mir zu viel Essig über den Salat gegossen. Und aus Versehen auch den Mais gegessen, was ärgerlich ist. Hundert Gramm haben 81 Kalorien, sagt die App. Das ist viel, wenn man nur 1236 Kalorien am Tag darf. Allerdings war ich so schockiert über das, was Michael gesagt hat, dass ich vielleicht direkt alles wieder verbrannt habe. Michael sagte nämlich, dass er Alice als seine persönliche Assistentin einstellt, sollte ich ihr kündigen! Er findet es unvernünftig, so viel Know-how zu diesem Zeitpunkt einfach gehen zu lassen (wir kommen gerade kaum mit der Arbeit hinterher). Und ich sei doch sonst so professionell und auf Effektivität bedacht. Natürlich hat Michael Recht. Und ich verachte mangelnde Selbstdisziplin. Aber allmählich verstehe ich, dass es so etwas wie »Mord im Affekt« gibt.

18:30. Berlin. Feierabendverkehr. Mit Fahrrad an der Ampel

Toll, Laura geht nicht ran. Ich könnte nach diesem Höllentag jetzt echt Rückendeckung gebrauchen! Gegen sechzehn Uhr hat David aufgehört, mich mit seinen Blicken zu steinigen, und ist in die nächste Phase übergetreten: ignorieren. Jetzt bin ich Luft. So viel Luft, dass man schon mal übersehen kann, dass ich direkt hinter der Türe stehe! Ich kann seinen Ärger ja verstehen, aber ein bisschen kindisch ist es schon. Es ist doch nur ein Job! Man müsste einfach aussteigen aus diesem ganzen Scheiß. Aus diesem dämlichen Karrierekarussell, wo jeder gegen jeden arbeitet. Einfach nicht mehr mitmachen. Auswandern. Das ist doch alles zum Kotzen. Ihhh, was ist denn so nass an meinem Bein?

»Äh. Entschuldigung.«

»Wat’n, junget Frollein?«

»Ihr Hund, der pinkelt an mein Fahrrad.« (Und an meine Strumpfhose. Die in meinen 50er-Jahre-Lieblingsstiefeln stecken … Ahh!)

»Haste jehört, Luna? Bei Fuß, sach ick!« Halbherzig zieht die Dame an der Leine, der röchelnde Mops krallt sich in den Asphalt, fest entschlossen zu beenden, was er angefangen …

»Äh, könnten Sie ihn vielleicht …«.

»Komm jetzt. Luna. Luna!« Zerr. Krallen knirschen auf dem Asphalt. Im Weggehen: »Dreckiger wird dit Fahrrad dadurch aber auch nicht mehr.«

Ah ja. Berlin. Immer wieder reizend. Na ja, zum Glück keiner von diesen Pitbulls. Da riskiert man ja gleich doppelt einen Krankenhausaufenthalt: durch Hund und Herrchen. Ahh, jetzt wäre ich auch noch fast überfahren worden! Wofür braucht die schöne, arme Hauptstadt Fahrradwege, wenn wir die parasitären Hartz-IV-Kreativen ganz einfach mittels gutbetuchter Mercedesfahrer ins Jenseits befördern können?

19:15 Uhr. Berlin. Gemüseabteilung Edeka

Klopapier nicht vergessen. (Auch, um meine Schuhe sauber zu machen. Die haben echt was abgekriegt. Blöder Köter.) Ich hasse einkaufen. Man schleppt zwei Tüten voll mit dem immer gleichen Gedöns in den vierten Stock, nur um dann festzustellen, dass man auf nichts davon wirklich Lust hat. Was esse ich denn? Karotten aus Israel, Paprika aus Marokko? Praktisch. Wenn man schon selbst nicht mehr in der Welt herumkommt, dann wenigstens das Gemüse, das man isst. Ach, egal. Wenn jetzt mein nicht vorhandenes Vermögen für den Auffahrunfall draufgeht, nur weil dieser Froschmann seine Karre generalüberholen lässt, kann ich mir eh kein Bio mehr leisten. Ich kauf einfach `ne Tiefkühlpizza. Tomaten lagen ja noch in der Küche. Die sahen eigentlich noch gut aus. Wann hab ich die denn gekauft? Vorletzten Freitag?

20:30. Frankfurt. Büro Neuberger & Neuberger

»Iris?« Ah, der Kopf meines Mannes erscheint in der Tür. »Ich mach jetzt Schluss, wie sieht’s bei dir aus …? Sollen wir zusammen heim… heimfahren?«

»Ähh, nee, ich …«

Pling!

ERINNERUNG OUTLOOK

Anruf Fabienne. Wg. Mathetest nachfragen und evtl. Nachhilfe organisieren.

»Ich hab noch zu tun. Wollte auch noch Fabienne anrufen. Mathe, du weißt ja. (Er nickt, aber seinem Gesicht sehe ich an, dass er keine Ahnung hat. Und trotzdem glaubt unsere Tochter, dass er sich mehr um sie sorgt als ich.) Ich komm nach.«

»O. k., dann … bis später.«

»Ja, bis dann.«

Er steht noch unschlüssig in der Tür, aber ich habe mich schon wieder demonstrativ der Arbeit zugewendet. Habe heute genug Zeit mit seinem Ausrutscher verschwendet. Man muss das jetzt auch nicht unnötig hochspielen, Michael wollte am Sonntagabend gleich aus unserem gemeinsamen Schlafzimmer ausziehen. Das ist doch albern. Jetzt ist er gegangen. Hoffentlich ist dieser Eiertanz bald vorüber. Da leidet doch auch die Arbeit.

Pling!

ERINNERUNG OUTLOOK

Anruf Mia Mann. Wg. Erbe und Hausverkauf.

Ah, richtig, aber zuerst Fabienne. Nachdem ich mir einen Joghurt (fettarm!) aus dem Kühlschrank geholt habe. Ich komme gleich um vor Hunger.

20:33. Küche in Mias WG

Telefon! Au, ah, jetzt ist mir die Pizza auf den Boden gekippt. Scheiße. Na ja, alles, was kürzer als fünf Sekunden auf dem Boden lag, kann man noch essen, heißt es. Also aufkratzen. Oh je. Das ist bestimmt meine Mutter. Dazu hab ich jetzt keinen Nerv. Laura könnte mal zurückrufen. Matti ist auch nicht da, arbeitet seinen Nachfolger ein. An seine Abwesenheit muss ich mich wohl gewöhnen. Na, wenigstens kann ich jetzt die zweite Staffel von Girls streamen, ohne dass er mir mit geistigem Eigentum kommt! Das wäre ja Diebstahl, und dumm außerdem, schließlich würde ich ja selbst im Kreativsektor arbeiten – bla, bla … So. Gabel, Messer, Laptop … Oh je, David ist auf Skype online. Mia, jetzt schalt mal ab. Besser ich mach gleich noch den Wein auf, als Seelentröster.

20:45. Büro Neuberger & Neuberger

Habe im Internat angerufen. Fabienne war einsilbig.

»Ja?«

»Hallo Fabienne. Hier ist deine … Hier ist Mama.«

»Ja. Was willst du?«

»Schön wäre, wenn du mal so was wie,Hallo Mama’ sagen könntest.«

Schweigen am anderen Ende der Leitung. Seufzen an meinem.

»Wie war Mathe?«

Pause. Dann: »Wieso?«

»Wieso,wieso’? Heißt das, du konntest es nicht?«

»Kann dir doch egal sein.«

»Es ist mir aber nicht egal, Fabienne. Ganz und gar nicht egal. Immerhin geht es hier um deine …«

»Boah, Mama, du nervst!« Klick. Aufgelegt.

Jedes Mal, wenn ich mit meiner Tochter spreche, fühle ich mich wie ein Seeungeheuer. Eins mit eitrigen Pocken, von denen sie fürchtet, sie könnten ihr entgegenplatzen, wenn sie auch nur ein Wort zu viel mit mir spricht. Am Telefon kann ich Fabiennes Gesicht nicht sehen, aber ich kann hören, wie sie guckt und die Augen verdreht. Sie hält mich seit ungefähr zwei Jahren für eine Scheiß-Mutter. Natürlich muss das so sein. Fabienne ist sechzehn. In diesem Alter müssen Kinder ihre Eltern entthronen. Aber manchmal frage ich mich, ob meine Tochter es damit nicht etwas übertreibt. Mama meint, Fabienne fühlt sich abgeschoben. Sie fand es nicht gut, dass wir sie auf ein Internat geschickt haben. Aber, Entschuldigung, Fabienne kann doch von Glück sagen, dass sie auf diese Schule gehen darf. Erstklassiges Internat bei London. Sieht aus wie Hogwarts! Kosten: 80 000 Euro im Jahr. Hier hat sie die neunte Klasse geschafft, allerdings nur mit Mühe und Not. Und das liegt nicht daran, dass sie nicht schlau wäre. Reine Leistungsverweigerung. Dass sie mit ihrer Aufmachung (schwarze Kajalbalken, zerrissene Netzstrümpfe mit viel zu kurzem Rock, die Haare gestylt wie ein Wischmopp auf Drogen) überhaupt einen Platz auf so einer guten Schule bekommen hat, verdanken wir nur unseren guten Beziehungen zu den richtigen Leuten. Ich bin von diesem Internat überzeugt. Die kriegen sie in den Griff, ohne dabei Magengeschwüre zu bekommen. Fabienne wird dort weniger Ablenkung haben. Und weniger Gras! Was soll denn sonst aus ihr werden? »Ja, was denn?! Denkst du, ich will so werden wie du?! Wann hast du zuletzt in den Spiegel geschaut?!«, hat sie kürzlich charmanterweise zu mir gesagt. Aber Geld braucht sie schon, für alles Mögliche. Ich frage mich, ob ihr klar ist, dass man es nicht illegal auf dem Balkon anbauen kann.

Es soll ja sinnvoll sein, dass Kinder in der Pubertät so unausstehlich werden. Eltern finden sie dann nämlich so zum Kotzen, dass sie sie leichter loslassen können. Sie leiden dann weniger darunter, dass ihre Schützlinge erwachsen werden. Hab ich mal gelesen. Apropos erwachsen. Mia muss doch auch schon über dreißig sein. Vielleicht hält sie es ja mal für angebracht, ans Telefon zu gehen.

21.00. Mias WG. Wieder auf der Toilette

Schon wieder das Telefon! Verdammt, kann man nicht ein Mal … Wenn das jetzt David … Bitte, lass es David sein! Bitte, bitte, David, hab nachgedacht und sei zu der Überzeugung gekommen, dass du mich doch zu gern hast, um länger sauer auf mich zu sein! (Aua. Jetzt bin ich über meine heruntergezogene Hose gestolpert. Also wirklich, Mia. Wenn dich jemand sieht.) Wo ist denn jetzt das Telefon überhaupt? Ach, wahrscheinlich noch in der Küche. Bitte nicht auflegen! Ich bin schon fast da! Shit, war nicht schnell genug. Soll ich zurückrufen? Hm. Unbekannte Nummer. Schon wieder. David ruft nie mit unterdrückter Nummer an. Aber wenn er’s jetzt doch war? Was mach ich denn jetzt?

21:31. Nur noch im Büro von Iris brennt Licht.

Natürlich war sie nicht zu erreichen. Hängt bestimmt in einem dieser lauten Berliner Wummer-Clubs rum. Am Wochenanfang! Ganz schön still hier. Und ganz schön kalt, irgendwie stimmt was mit der Klimaanlage nicht. Ich sollte jetzt auch mal gehen. Wie mahnte meine Mutter gestern? »Kind, du arbeitest zu viel! Ihr müsst doch auch mal … Es ist nicht gut für eine Ehe, wenn nie Zeit füreinander da ist.« Ha, wenn die wüsste. Zu schöne Mitarbeiterinnen sind nicht gut für die Ehe! Wieso hat Mama das überhaupt gesagt? Sie weiß doch nix! Oder weiß sie etwas?! Woher? Nein, Michael hätte ihr niemals … Oder weil er nicht mitgekommen ist zu ihr? Es ist einfach ihre mütterliche Dauersorge, ich könnte mich übernehmen. Ihr schlechtes Gewissen. Dass sie das nicht mal ablegt! Dreißig Jahre, nachdem … »Ostpocke« haben sie mich damals in West-Berlin genannt … Stopp, Iris, schlechte Erinnerungen gleich Zeitvergeudung. Vorbei ist vorbei. Heute leben doch die meisten deiner reizenden Westberliner Klassenkameraden ein biederes Reihenhaus-Leben oder von Hartz IV. Und du mischst ganz oben mit. Nur die Harten komm’ in’ Garten … Eben! Wenn die Firma laufen soll, müssen Michael und ich viel arbeiten. Das sollte auch meiner Mutter klar sein. Außerdem – sosehr ich an ihr hänge –, sie ist nun wirklich keine Expertin für Ehe-Angelegenheiten. Und schon gar nicht für Beziehungen wie die zwischen Michael und mir. Wir sind eben Eheleute und Geschäftspartner in einem! Da kann man nicht so herkömmlich trennen von wegen Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps, und weil wir so jung nie wieder zusammenkommen, lassen wir den Dienst heute mal Dienst sein. Oder so ähnlich. Wir arbeiten ja an derselben Sache, haben ein gemeinsames Ziel. Dafür haben wir uns damals entschieden!

21:35

Ich frage mich nur, ob Michael das noch weiß.

21:36

Liest Mama eigentlich Frauenzeitschriften? Sie meinte doch gestern tatsächlich, es wäre keine Schande, in Paartherapie zu gehen, wenn es mal nicht so läuft. Therapie. Ich bin doch der Coach. Sich auf die Couch legen, das ist doch was für Weicheier und Narzissten.

Mittwoch, 9. Oktober

09:08. Berlin. In der Waagrechten bei Frau Blum-Neufeldt