Landraub - Kurt Langbein - E-Book

Landraub E-Book

Kurt Langbein

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  • Herausgeber: Ecowin
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Fruchtbarer Boden und billige Arbeitskräfte: Unschlagbare Produktionsbedingungen für Großunternehmen. Die Nachfrage ist groß und eine arme Landbevölkerung schnell enteignet. Kurt Langbein zeigt die erschreckenden Folgen dieses modernen Kolonialismus. Erdölkatastrophen, rücksichtslose Produktionsprozesse, menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in Fabriken, abgefischte Meere - längst zahlen Mensch und Umwelt den Preis für die stetig steigenden Bedürfnisse einer globalen Gesellschaft. Getrieben von der Suche nach immer neuen rentablen Geschäftsfeldern findet auch eine weltweite Jagd auf fruchtbaren Boden statt. Immer größere Geldgeber kaufen immer mehr Agrarland rund um den Globus auf. Im Gegenzug schrumpfen die verbleibenden Lebensräume der Landbevölkerung drastisch. Die weitreichenden Folgen dieser Jagd scheinen von außen nur schwer einsehbar. Kurt Langbein legt diese nicht nur offen, er konfrontiert uns auch mit der Frage, welchen Preis wir letztlich für unsere Konsumgesellschaft bereit sind zu zahlen und wie viel Menschlichkeit wir dafür opfern wollen. "Ich habe als Jugendliche die Schreckensherrschaft der Roten Khmer überlebt. Dann haben mein Mann und ich uns hier angesiedelt. Wir haben Hunderte Mango- und Cashew Bäume gepflanzt. Wir hatten alles. Unseren eigenen Reis und Gemüse, 22 Kühe, Hühner und ein eigenes Haus." Plötzlich kommen die Bulldozer. Zerstören Mango- und Cashew Plantagen. Sie fahren die Bäume einfach um. Manchmal braucht es mehrere Anläufe, bis ein Baum entwurzelt umkippt. Bewaffnete Polizisten halten mit MGs verzweifelt schreiende Menschen in Schach. Soldaten begießen Häuser mit Benzin und setzen sie in Brand. Längst ist die globale Jagd auf Ackerland in einen Landraub ausgeartet und die Auswirkungen dieses Beutezugs zeichnen das bestürzende Bild eines modernen Kolonialismus.

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Seitenzahl: 185

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Kurt Langbein

LANDRAUB

 

© 2015 Ecowin Verlag bei Benevento Publishing,

eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

 

 

Gesamtherstellung: Buch.Bücher Theiss, www.theiss.at

Umschlaggestaltung: Frank Behrendt

Umschlagabbildung: Langbein & Partner

Abbildungen Innenteil: Langbein & Partner

E-Book-Konvertierung: Satzweiss.com Print Web Software

 

ISBN 978-3-7110-5132-5

Vorwort

Ich habe mich schon lange nicht mehr intensiv mit Landwirtschaft beschäftigt, und erst in den letzten Jahren wurde mir allmählich wieder klar, wie bedeutsam der Boden und die darauf lebenden Pflanzen für unser Leben sind. »Irrsinn mit Methode« hieß mein erster TV-Film zum Thema Anfang der 1980er-Jahre. Damals ging es um Milchüberschüsse, die hoch subventioniert als Milchpulver im Jemen landeten und dort – weil mit verschmutztem Wasser angerührt – für den Tod vieler Babys verantwortlich waren. Und darum, dass diese Überproduktion von Milch in Europa von Hochleistungskühen stammt, die mit Soja aus Brasilien gefüttert wurden – was dort wiederum der Bevölkerung Land für die Nahrungsproduktion nahm. Ein Kreislauf, den der damalige Caritas-Chef Prälat Leopold Unger als »Irrsinn mit Methode« bezeichnete und damit dem Film seinen Titel gab. 

Der Irrsinn ist geblieben, die Methoden allerdings haben sich verändert.

»Gift-Grün. Chemie in der Landwirtschaft und die Folgen« hieß 1986 ein Buch, für das ich in Ostafrika die Folgen des massiven Pestizideinsatzes recherchierte.[1] Schon damals haben die Chemiekartelle und Nahrungskonzerne begonnen, die Bebauung des Bodens nach ihrer Logik zu gestalten, die so wenig mit der des menschlichen Lebens und den Gesetzen der Natur zusammenpasst.

Als der Journalist Christian Brüser mir im Sommer 2012 von Land Grabbing erzählte, kannte ich zwar seine tollen Radio-Features zum Thema und hatte dazu auch einiges gelesen, aber die Bedeutung dieser radikalen Weiterentwicklung des Spekulationsgeschäftes war mir nicht voll bewusst. Brüser berichtete von den Investorengruppen in Europa, die nun verstärkt den Landkauf in den ärmsten Ländern als sicheres und höchst gewinnträchtiges Investment anpreisen. Und er erzählte von der brutalen Vertreibung der Landbevölkerung dort, wo die Investoren zugeschlagen haben. Mein Interesse war mehr als geweckt: ein globales Thema, noch nicht genau erschlossen – und es hat viel mit uns zu tun.  

Dass nun die Spekulation so weit ausufert, dass die Reichsten den Ärmsten den Boden unter den Füßen wegkaufen, gibt der Lebensfeindlichkeit unseres Finanzsystems einen neuen Ausdruck.

Das vorliegende Buch und der Film mit dem Titel »Landraub«[2] dokumentieren, wie weit die Kluft zwischen bäuerlicher Produktion und der Profitlogik von Großinvestoren schon fortgeschritten ist – wahrscheinlich die bedeutsamste Weichenstellung auf unserem Planeten. Denn die Agrarindustrie garantiert keineswegs die Ernährungssicherheit, wie sie selbst und viele Medien behaupten – und wie ich es eigentlich bis zum Beginn der Recherchen für dieses Projekt auch ein wenig geglaubt habe. Sie zerstört die Sozialstrukturen und die Böden, und sie verbraucht mehr Energie, als sie produziert.

Kleinbauern in Äthiopien: »Der Schlüssel für die Ernährung der Zukunft der Welt liegt bei den Kleinbauern«, sagt der Agrarwissenschaftler und Biobauer Felix zu Löwenstein. 

Mir war bewusst, dass Großkonzerne wie Monsanto mit ihrer von der Politik unterstützten Strategie das Saatgut gleichermaßen denaturieren wie monopolisieren und dass Gentechnik und Chemie gemeinsam eine fatale Dynamik entwickeln. Die Alternativen dazu – bäuerliche Biobetriebe und Direktvermarktung – erschienen mir zwar erstrebenswert, und ich war stets deren überzeugter Kunde, als gesellschaftlicher Gegenentwurf aber waren sie mir zu verträumt und zu wenig leistungsfähig. Vor allem Felix zu Löwenstein, der zum Wegbegleiter der Filmarbeiten wurde, überzeugte mich, dass die industrielle Landwirtschaft eine fundamentale Sackgasse ist. Sein Buch »Food Crash« belegt, dass nicht die mangelnde Produktionssteigerung, sondern der verschwenderische Umgang mit den natürlichen Ressourcen und den Lebensmitteln die Ernährung der Menschheit gefährden.[3] Einen Teil der Recherchen für Löwensteins neues Buch »Es ist genug da. Für alle. Wenn wir den Hunger bekämpfen, nicht die Natur« begleiteten wir mit der Kamera.[4] Der Agrarwissenschaftler und Biobauer, der in Südhessen auf seinem Gut Habitzheim vor allem Arzneipflanzen anbaut, kann überzeugend belegen, dass Kleinbauern, gewerbliche Fischer und Urban Farming, also Nutzung von Grünflächen in Städten, jetzt schon 70 Prozent der Nahrungsmittel produzieren – und dass diese bäuerlichen Strukturen, wenn sie mit modernen Methoden begleitet werden, den Schlüssel für die Ernährung der Zukunft in der Hand haben: Sie schonen die Böden, verbrauchen viel weniger Energie, als sie herstellen, und geben Millionen Menschen Arbeit und Perspektive. 

Die Politik hat es in der Hand, die Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass Bauern eine Chance haben, zu überleben und ihre Methoden zu verfeinern.

 

Bodenständiges

Boden erscheint uns selbstverständlich, er ist einfach da. Aber in einer Handvoll Humus leben mehr Mikroorganismen als Menschen auf der Erde. Unter einem Hektar Fläche, das sind 100 mal 100 Meter oder etwas mehr als ein Fußballfeld, leben 15 Tonnen Bodenlebewesen. Das entspricht dem Gewicht von 20 Kühen. Humus speichert auch Nährstoffe und Wasser und enthält Kohlenstoff, den zuvor auf ihm gedeihende Pflanzen aus der Luft aufgenommen haben. Im Humus ist fast dreimal mehr Kohlenstoff gebunden als in der gesamten lebenden Biomasse.[5]

Auf dem Boden gedeihen Lebewesen, die wir für nicht intelligent halten, obwohl sie es zustande bringen, sich von nichts anderem als Licht, Luft, Wasser – und den Nährstoffen aus dem Boden zu ernähren.

Die intelligente Nutzung von Boden und Pflanzen steht am Beginn der Menschheitsgeschichte. Weiterentwicklungen zur Verbesserung der Bodennutzung und Nutzbarkeit von Pflanzen sind die Basis für die Entwicklung unserer Zivilisation. Fehleinschätzungen dabei führten allerdings immer wieder zu Hungersnöten und massenhaftem Tod. Erst die letzten fünf, sechs Jahrzehnte verstrichen – zumindest im reicheren Teil der Erde – ohne Hunger. Viele sahen dafür die »grüne Revolution« verantwortlich, deren Protagonisten seit den 1960er-Jahren den Boden mit Chemikalien ertragreicher machten und darauf mit künstlicher Bewässerung Hochertragssorten züchteten. Mit giftigen Chemikalien vernichteten sie dabei systematisch Pflanzen und Tiere, die diesen Pflanzen Konkurrenz machten. Der Einsatz von Rohstoffen für Kunstdünger und Erdöl kompensierte den Mangel an Land. Kaum beachtet wurden die Grenzen, an die diese Form der nicht nachhaltigen Landwirtschaft stieß. Das änderte sich erst zur Jahrtausendwende, als die ökologischen Schäden dieser industriellen Landwirtschaft in allen Teilen der Welt deutlich wurden.

Das Land und seine Nutzung haben Geschichte, Politik und Kultur der Völker geprägt. Die Formen der Nutzung von und der Verfügung über Land haben Gesellschaften geformt – oft auch verformt. Wer den Boden besitzt, dem gehört die Zukunft – um Land wurde gekämpft, die großen Kriege waren stets auch Kriege um Land. Noch im 20. Jahrhundert sicherten sich Nationalstaaten dieses mit Waffengewalt.

Dann übernahm Geld die Rolle der Waffen. Mit zunehmender Liberalisierung und Globalisierung des Agrarhandels seit den 1980er-Jahren schlug die Stunde der großen Agrar-Handelsunternehmen. Wir kennen nur die Lebensmittel-Multis wie Nestlé, Kraft und Unilever, die uns die Produkte direkt verkaufen. Die riesigen Agrarproduzenten dagegen bleiben fast anonym, sie wickeln ihre Geschäfte lieber diskret ab. Mit weltweiten Niederlassungen bewegen die großen vier – Bunge, Cargill, Louis Dreyfus und ADM – und zahlreiche weitere Großhändler Massenprodukte aus den Ursprungsländern entlang des Äquators hin zu den Zentren der Verarbeitung bei Nestlé, Unilever und Co. und in der Folge zu den Konsumenten in den Industrie- und Schwellenländern. Der US-Konzern Bunge etwa hat 450 Niederlassungen in 32 Staaten und gilt als der Ölspezialist, Louis Dreyfus mit Sitz in Paris setzt auf Zitrusfrüchte, Zucker, Kaffee und Baumwolle. Die anderen beiden Konzerne gelten als die Universalisten unter den Agrar- Rohstoffhändlern: Cargill aus Minnesota mit 145.000 Mitarbeitern und die Chicagoer Archer Daniels Midland Company (ADM) mit Niederlassungen in 140 Ländern. Sie finanzieren sich durch Aktien, die 2015 doppelt so viel Wert sind wie fünf Jahre davor. 

Landknappheit wird auf diese Weise ausgelagert: Man kauft sich jenseits der Grenzen die Flächen, die benötigt werden, gleichgültig, welche Veränderungen das dort auslöst. Land, eigentlich immobil, ist damit zum flexiblen Produktionsfaktor geworden.

Weil fossile Brennstoffe nicht mehr grenzenlos eingesetzt werden können oder dürfen, brauchen wir immer mehr Land: für Nahrung, Futtermittel sowie Biomasse für Treibstoffe, chemische Produkte und Textilien.

Gleichzeitig wird Ackerland rarer. Jedes Jahr gehen etwa zehn Millionen Hektar Agrarfläche durch Erosion verloren, weil die industrielle Landwirtschaft immer weniger Bäume und Sträucher als Windschutz wachsen lässt und weil in riesigen Monokulturen auch Wasser leichtes Spiel hat, die Krume wegzuschwemmen. Und wir verbauen und betonieren jedes Jahr weltweit drei Millionen Hektar zu, das ist mehr als doppelt so viel wie Österreich Ackerland hat.[6]

Die Neubildung einer zwei Zentimeter starken Humusschicht für einen fruchtbaren Acker dauert etwa 500 Jahre.

Dazu kommt die Versiegelung der Böden. Während Städte heute etwa zwei Prozent der Erdoberfläche in Anspruch nehmen, werden sie 2050 schon vier bis fünf Prozent belegen, eine Steigerung von 250 auf 420 Millionen Hektar. Der Verlust der Agrarflächen wird kompensiert, indem Wälder und Steppen gerodet werden. Von 1961 bis 2007 weiteten sich die Ackerflächen der Welt um rund elf Prozent oder 150 Millionen Hektar aus. Wüchse die heutige Nachfrage nach Agrarprodukten unverändert weiter, müssten bis 2050 rund 500 Millionen Hektar neues Ackerland erschlossen werden – das ist mehr, als Indien Fläche hat.[7]

Aber so viel Fläche steht gar nicht mehr zur Verfügung. Gleichzeitig bevölkern immer mehr Menschen die Erde. Deshalb steht auch immer weniger Ackerfläche für die Ernährung eines einzelnen Menschen zur Verfügung. 1960 waren es für einen Erdenbürger durchschnittlich noch 0,5 Hektar, auch das war allerdings schon ungleich verteilt. Parallel zur wachsenden globalen Ungleichheit an Vermögen, Einkommen und Bildung steigt auch die Ungleichheit an Verfügbarkeit von landwirtschaftlicher Fläche.

Ein Bewohner der Industriestaaten verbraucht heute immer noch Pflanzen, die auf 0,5 Hektar wachsen. Im Rest der Welt muss sich ein Durschnittsbürger dagegen mit 0,2 Hektar begnügen. Anders ausgedrückt: Fast 60 Prozent der Lebensmittel und Agrarprodukte, die wir Europäer derzeit konsumieren, wachsen nicht in Europa, sondern in den ärmeren Ländern, wo ohnehin schon Knappheit herrscht.[8] 

Ackerland wird immer rarer: Wir verbauen und betonieren jedes Jahr weltweit drei Millionen Hektar zu, das ist mehr als doppelt so viel wie Österreich Ackerland hat.

Und die Ungleichheit wird noch größer: Im Jahr 2050, schätzen die Forscher der Heinrich-Böll-Stiftung, werden die Bewohner der Industriestaaten immer noch 0,4 Hektar nutzen können, für einen Durchschnittsmenschen überall anders müssen dann 0,1 Hektar reichen.

Kolonialismus 2.0

Damit ist nach den geltenden wirtschaftlichen Gesetzen allerdings auch klar, dass ein knapper werdendes Gut bei steigendem Bedarf an Wert zunimmt.

Nach der Finanzkrise 2008 hat das globale Finanzkapital folgerichtig die Äcker der Welt als Geschäftsfeld entdeckt. Banken, Pensions- und Investmentfonds sowie Großkonzerne eignen sich riesige Ländereien an – meist schließen sie mit Regierungen Megadeals ab, durch die sie für einige Euro im Jahr Riesenflächen für 50 bis 100 Jahre pachten. Mit dem Landraub wollen sich die Reichsten der Welt Zugriff auf die wichtigste Ressource dieser Welt sichern. Statt Bauern bestimmen dann Profitinteressen über die Böden. Wenn wir diesen Raubzug nicht verhindern, werden unsere Lebensgrundlagen zerstört.

Wer das Land besitzt, dem gehört die Zukunft: Dreharbeiten mit vertriebenen Bauern bei ihren zerstörten Häusern für den Dokumentarfilm »Landraub« in Kambodscha.

Das ist knapp gesagt die Erkenntnis, die mich zwei Jahre lang rund um den Erdball bewegt hat. Für den Dokumentarfilm »Landraub« besuchten wir die Täter und Opfer des neuen Kolonialismus. Ihr Selbstbild könnte unterschiedlicher nicht sein. Die einen sprechen von gesundem Wirtschaften, Sicherung der Nahrungsversorgung für die Welt und Wohlstand für alle. Die anderen erzählen von Vertreibung, Versklavung und vom Verlust der wirtschaftlichen und sozialen Lebensgrundlagen.

Dazu kommt noch die Bedrohung der Erde insgesamt. Denn industrielle Landwirtschaft bewahrt die Menschheit nicht vor dem Hunger. Sie zerstört auch unseren Planeten: Derzeit werden immer noch 70 Prozent aller Nahrungsmittel von Kleinbauern und gewerblichen Fischern produziert. Und entgegen allen Bildern, die uns in den letzten Jahrzehnten eingetrichtert wurden, ist die Agrarindustrie insgesamt keineswegs effizienter, als Bauern es sind. Der Ertrag pro Hektar ist zwar insgesamt höher, wenngleich auch hier mit modernen Methoden der Ertrag der Kleinbauern annähernd auf das Industrieniveau gesteigert werden kann. Aber wesentlicher ist, dass die industrielle Landwirtschaft mit ihrem enormen Materialeinsatz für Maschinen und Hybrid-Saatgut, mit ihrem gewaltigen Energieeinsatz für chemische Düngung, Pestizide und künstliche Bewässerung sowie mit ihrer langfristigen Zerstörung der Böden eine weit schlechtere Gesamt-Ökobilanz aufweist als Kleinbauern.

Der Potsdamer Agrarforscher Peter Clausing hat hochgerechnet, wie enorm die Unterschiede sind:[9]  

Kleinbauern produzieren zehnmal mehr Energie, als sie verbrauchen.

Genau umgekehrt ist es bei der industriellen Landwirtschaft mit ihrem massiven Einsatz an Maschinen, Treibstoff und Chemie. Die Agrarindustrie verbraucht zehnmal mehr Energie, als sie herstellt.

Damit würde die Umwandlung der Bodennutzung von kleinbäuerlichem Handwerk auf Großindustrie etwa so heftige Auswirkungen auf das Weltklima haben, wie die Umwandlung von Wald in Ackerfläche bereits gehabt hat – wie auch eine Studie im angesehenen Fachblatt »Nature Climate Change« errechnet.[10]

Es ist daher nicht nur eine Frage globaler Gerechtigkeit, den Landraub zu stoppen – es geht auch um die Zukunft des Planeten. Eine Fläche größer als die Äcker Europas wurde in den letzten Jahren bereits von den Investorengruppen aufgekauft und der Logik großindustrieller Produktion unterworfen. Die Bauern und indigenen Völker mussten weichen. Statt Nahrung für die Region anzupflanzen, wird im großen Stil für die Märkte der wohlhabenden Länder produziert.

Der Preis dafür ist mehrfach hoch: Hunderttausende verlieren jedes Jahr mit dem Boden Lebensgrundlage und Arbeitsplatz. Sie strömen in die Städte, aber dieser Wandel verläuft anders als in Europa vor 150 Jahren. In den Städten der Dritten Welt gibt es nicht annähernd so viele neue Arbeitsmöglichkeiten. Verelendung und Flüchtlingsströme sind die Folge. Wir stehen am Beginn einer neuen Völkerwanderung, wenn die Dynamik dieser Entwicklung nicht gebrochen werden kann.

Die industrielle Landwirtschaft zerstört die Böden und trägt mit ihrem enormen Energieverbrauch zum Treibhauseffekt bei. Nicht nur Boden, auch Wasser, Dünge- und Spritzmittel sind knappe Güter, und die Agrarindustrie verbraucht da ungleich mehr an Ressourcen, als sie selbst an Nahrungsenergie herstellt.

Den Landraub zu stoppen ist keine Utopie: Es ist die Politik, welche die entscheidenden Rahmenbedingungen schafft. Es sind Programme der EU, die zu Megaplantagen für die Agrosprit-Erzeugung und zur Zuckerproduktion führen und es sind Entwicklungshilfe-Gelder auch aus Österreich, mit denen Superreiche ihre Investitionen absichern.

Kleinbauern in Äthiopien: Kleinbauern produzieren zehnmal mehr Energie, als sie verbrauchen. Die Agrarindustrie dagegen verbraucht zehnmal mehr Energie, als sie herstellt.

Martin Häusling, deutscher Abgeordneter zum EU-Parlament und engagierter Biobauer, bringt es auf den Punkt. »Zunehmend wird unsere Nahrungsmittelproduktion, aber auch die Futtermittelproduktion, ausgelagert in Länder außerhalb von Europa. Weil man da billiger produzieren kann – und weil, das muss man deutlich sagen, mit der Hilfe von korrupten Regimes Land Grabbing betrieben wird«, sagt der grüne Parlamentarier. »Das heißt: Konzerne eignen sich Land an, um für den europäischen Markt zu produzieren, sowohl im Nahrungsmittel- als auch im Treibstoffbereich. Das hat mittlerweile System und wir in Europa verhindern das nicht. Die Politik schaut in vielen Bereichen einfach zu, weil man sich nicht traut, da auch mal ernsthaft durchzugreifen. Wenn wir sagen würden, wir importieren solche Nahrungsmittel nicht mehr nach Europa, wenn wir wissen, da wurden Kleinbauern vertrieben, da gibt es massive Umweltzerstörung, dann könnten wir durchaus – und die Möglichkeiten haben wir – sagen, wir verbieten den Import in die Europäische Union und schon wäre das Geschäftsmodell futsch.«[11] 

Aber während im EU-Parlament durchaus kritische Stimmen Gewicht bekommen, fährt vor allem die EU-Kommission einen beinharten Kurs zur Unterstützung der Großagrarier, Chemiekonzerne und ihrer Geldgeber. Die Politik der USA folgt dem gleichen Muster. Die Folgen sind inzwischen dokumentiert. Der britische Autor Fred Pearce, Umweltberater des Wissenschaftsmagazins »New Scientist«, hat den Landraub mit seinem Buch »Land Grabbing« umfassend und detailreich beschrieben,[12] auch der deutsche Agrarwissenschaftler Wilfried Bommert hat dazu umfangreiche Dokumente zusammengetragen.[13] 

Das vorliegende Buch will und kann keine umfassende Dokumentation des weltweiten Geschehens sein. Vielmehr haben wir für jeden uns wesentlich erscheinenden Teil der Strategie der Investoren typische Beispiele gesucht und beschrieben, um das Thema auch für Menschen erfahrbar zu machen, die keine Agrarspezialisten sind oder werden wollen. Wir haben recherchiert, wie sich gezielte Förderpolitik der Europäischen Union tatsächlich auswirkt. Das Programm »Everything but Arms« wurde von Agrarlobbys genutzt, um im großen Stil Zucker für Europa zu produzieren und zollfrei zu importieren. Zehntausende Kleinbauern wurden deshalb vertrieben. Die aberwitzigen Pläne, fossilen Treibstoff durch Sprit aus Pflanzen zu ersetzen, führen zu massivem Raub an Land und Ressourcen in Afrika, deren Implementierung dann auch noch mit Entwicklungshilfegeldern finanziert wird. Und der Hunger der Lebensmittelindustrie nach Palmöl führt zu Megaplantagen entlang des Äquators.

Die erste Welle des neuen Kolonialismus rollte schon ab den 1980er-Jahren über den brasilianischen Regenwald. Brandrodungen und Vertreibungen der Kleinbauern und indigenen Völker schufen Platz für riesige Anbauflächen, auf denen vor allem Soja angebaut wurde und wird. Die eiweißreichen Bohnen werden überwiegend nach Europa und China exportiert, um Schweine, Hühner und Rinder zur Schlachtreife wachsen zu lassen. Der Durst nach »Bio«sprit und immer mehr Tierfutter hat inzwischen große Teile Südamerikas und Mittelamerikas unter die Kontrolle der Agrarindustrie gebracht.

Nun bieten die Söhne der Großgrundbesitzer aus Brasilien ihr Know-how bei der Erschließung riesiger Flächen in Afrika an. Mit Satellitenbildern identifizieren sie Bodenbeschaffenheit, Bewässerungsmöglichkeiten und Klima und berechnen, wo sich der Landraub lohnt.

Unternehmer aus den Emiraten und Saudi-Arabien stecken ihre Öl-Milliarden in Landkäufe vor allem in Ostafrika, auch indische Konzerne und Unternehmen aus Malaysia und Thailand mischen in Afrika mit, wenn es um neue Plantagenflächen geht.

Wenn ich Bekannten erzählte, dass ich mich mit Landraub beschäftige, reagierten viele mit dem Hinweis, wie massiv China da involviert sei. China spielt beim Ankauf von Ländereien jedoch eine eher untergeordnete Rolle, urteilt auch Fred Pearce. »Erstaunlich ist«, schreibt er, »dass China die meisten seiner Nahrungsmittel nach wie vor selbst erzeugt. Genau genommen sogar in größerem Umfang als fast jedes andere Land.« Das Soja für die Fleischproduktion – Chinesen konsumieren bereits 30 Prozent der weltweiten Fleischproduktion – bezieht China überwiegend aus Argentinien und Brasilien. Teilweise, so Pearce, haben sogar Konzerne aus Neuseeland, Singapur und auch Goldman Sachs in riesige Anbauflächen in China investiert, um dort Geflügel zu produzieren.[14] Das bedeutet nicht, dass China sich in Afrika nobel zurückhielte – aber chinesische Unternehmen in Afrika dienen vor allem dazu, sich Rohstoffquellen wie den Zugang zu Erzen zu erschließen.

EU-Parlamentarier Martin Häusling: »Konzerne eignen sich mithilfe korrupter Regierungen Land an, um für den europäischen Markt zu produzieren. Das hat mittlerweile System und wir in Europa verhindern das nicht.« 

 

Anders die europäischen Konzerne und Banken: Mittlerweile sind europäische Investmentfonds und Banken im Weltmaßstab die eifrigsten Investoren. Die OECD hat erhoben, dass 44 Prozent aller Finanzmittel, die weltweit in Bodenwerte fließen, aus europäischen Geldhäusern stammen.[15] 

Die Verschiebungen in den globalen ökonomischen Machtstrukturen werden offensichtlich, meinen die Experten der Heinrich-Böll-Stiftung: Während westliche Akteure weiterhin die Landkäufe dominieren, werden die BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien, China) und die Ölstaaten mit ihrer unsicheren Ernährungslage im Mittleren Osten nunmehr aktive Konkurrenten. Allmählich kristallisieren sich regionale Schwerpunkte heraus; China und Malaysia dominieren den Landerwerb in Asien, während Südafrika künftig in Afrika dominant zu werden scheint.[16] 

»Kaufen Sie Land, es wird keines mehr gemacht.«

»Kaufen Sie Land, es wird keines mehr gemacht.« (Mark Twain) 

Im großzügigen Foyer des Venues-St.-Paul’s-Centers im Londoner Finanzdistrikt herrscht gedämpfte Business-Atmosphäre. Die haushohe Glasfront lädt aus dem Inneren zum Blick rundum auf weitere Glaspaläste der modernen Welt der Wettwirtschaft ein, die schon so viele Jahre die Weltwirtschaft dominiert. Die Herren der Security sind nobel gekleidet und bemühen sich um gelassene Haltung. Wir hätten den Lieferanteneingang nehmen sollen, wird uns abschätzig mitgeteilt, als wir das Kamera-Equipment reintragen. Wir stellen uns beim Veranstalter des Agriculture Investment Summit vor, besichtigen die Kongressräume und diskutieren die Kamerapositionen.

Dann haben wir Zeit für einen Kaffee, die Kongressteilnehmer werden erst in einer Stunde erwartet. Ich setze mich auf eins der wenigen gemütlicheren Sofas, lese meine Mails und beginne mich zu erinnern. Hier gleich nebenan hat 2008 der Boom auf Ackerland als Investment begonnen, als die wegen der massiven Einbrüche im bisherigen Wettgeschäft verzweifelten Spekulanten auf Agrarrohstoffe zu setzen begannen. Ich war damals mit Managern eines russischen Hedgefonds in der englischen Finanzmetropole, auch bei der Rohstoffbörse. Die ersten Anzeichen des Kollapses wurden von den Brokern registriert, die amerikanische Immobilienblase machte bereits vielen Sorge, aber die Investmentbank Lehman Brothers, deren Pleite den Startschuss gegeben hatte, war noch aktiv. Insgesamt wurde schon damals auf den Finanzmärkten mit etwa hundertmal mehr Geld spekuliert, als das Bruttoinlandsprodukt aller Industriestaaten gemeinsam ausmacht. Dass dieses Kartenhaus gefährdet war, wussten viele.

Die Getreidebörse in Chicago: Die Spekulation treibt den Preis in die Höhe. Gekauft wird eine Option für ein bestimmtes Datum. Wenn dann der Preis höher ist, winken Gewinne. Und hier winken Rekordgewinne.

Aber bei den Nahrungsrohstoffen gab es einen gegenläufigen Trend. »Da haben wir jetzt Weizen, der Aufwärtstrend setzt sich fort. Ein neues Hoch. Weizen steigt weiter und weiter, steigt, wir sehen jetzt gerade ein neues all time high, bei jedem, die Ägypter kaufen, die Chinesen kaufen, die kaufen wie verrückt alle Weizen. Für uns ist das gut, weil wir jetzt richtig positioniert sind«, erzählte mir ein Broker.[17]

Michael Zillner von der Wiener Merit Group hat mir damals die Mechanismen erklärt, wie solche Preisentwicklungen zustande kommen: »Die Händler oder die Verarbeiter brauchen jetzt wirklich den Weizen und haben zu wenig in Teilen Amerikas, und sie haben in China durch die Witterungsverhältnisse Probleme, die Logistik und den Transport zu organisieren. Deshalb kommt es da punktuell zu Engpässen. Das bedeutet, da wird wirklich physisch massiv gekauft.  

Und die Hedgefonds oder eben spekulative Marktteilnehmer erkennen dann diesen Trend, versuchen diese Knappheit schon zu antizipieren oder sagen, ja, das ist ein typisches Muster, das dafür spricht, dass hier noch für einige Tage oder Wochen eine Aufwärtsbewegung andauert, und gehen als zusätzliche Käufer in den Markt.«[18]

Beim Besuch an der Chicagoer Getreidebörse in der Woche darauf war aus der dort am »floor« üblichen Hektik geradezu eine Euphorie entstanden. Weizen war plötzlich viermal so viel wert als noch drei Jahre davor.

Derartig starke Preissteigerungen laden zur Spekulation ein. Und die Spekulation ist es dann, die den Preis noch weiter nach oben treibt. Gekauft wird oft eine Option für ein bestimmtes Datum. Wenn dann der Preis höher ist, winken Gewinne. Und hier winken Rekordgewinne.

Zuletzt hat dann auch die massive Produktion von Sprit aus Agrarprodukten, mit dem die europäischen Regierungen den Klimakollaps bremsen wollten, den Preis der Lebensmittel zusätzlich hinaufgetrieben.