Laotse im Schlaraffenland - Henrik Lode - E-Book

Laotse im Schlaraffenland E-Book

Henrik Lode

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Beschreibung

Stell dir vor, du gewinnst ein bedingungsloses Grundeinkommen! Doch was tun mit dieser Freiheit? Und viel wichtiger: Was tun mit dem Geld, das nun monatlich auf deinem Konto eingeht? Während sich der Start-up-erprobte Patrick von einer aberwitzigen Projektidee zur nächsten hangelt, geht Tischler Herbert auf Weltreise und schnitzt kleine Figürchen. Mit seinen zwei verschiedenen Protagonisten wagt sich Henrik Lode auf unterhaltsame Weise an ein Reizthema unserer Zeit. Was macht Geld mit uns, wenn wir es nicht verdienen müssen? Verdirbt es den Charakter? Macht es glücklich? Und reicht es allein wirklich aus, um das Leben zu meistern?

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Seitenzahl: 121

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periplaneta

HENRIK LODE: „Laotse im Schlaraffenland“ 1. Auflage, August 2018, Periplaneta Berlin, Edition Periplaneta

© 2018 Periplaneta - Verlag und Mediengruppe Inh. Marion Alexa Müller, Bornholmer Str. 81a, 10439 Berlin www.periplaneta.com

Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, Übersetzung, Vortrag und Übertragung, Vertonung, Verfilmung, Vervielfältigung, Digitalisierung, kommerzielle Verwertung des Inhaltes, gleich welcher Art, auch auszugsweise, nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlags.

Die Handlung und alle handelnden Personen sind erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit realen Personen oder Ereignissen wäre rein zufällig.

Lektorat: Sarah Strehle (www.lektorat-strehle.de) Cover: Marek Lode (www.mareklode.de) Satz & Layout: Thomas Manegold (www.manegold.de)

print ISBN: 978-3-95996-105-9 epub ISBN: 978-3-95996-106-6

Henrik Lode

Laotse im Schlaraffenland

Roman

periplaneta

1. Wursttheke

Patrick Vernier stolperte durch Berlin. Links die erste Morgenröte, rechts das leere Bier. Er warf die Flasche auf die Straße, lief gegen eine Ampel und wusste nicht, wo er war.

Noch fünf Stunden bis zum Meeting.

Start-up? Sieh an, hatte Jens beim Casting gesagt. Und was genau mache er da?

Wildfleisch-Marketing, das mache er.

Lieblingssorte?

Vegetarier.

Und dann Fleischhandel?

Patrick bog links ab, dann rechts, dann wieder links. Dumme Frage – da ist die Tür, so hätte es laufen sollen. So sollte es im Leben immer laufen.

Hinter einer bekotzten Hecke schlief ein Obdachloser. Viertel nach vier, das Meeting um neun. Patrick überstieg einen Rest Fahrrad und trat in Hundescheiße. Die Stadt war überall gleich: besoffen, vermüllt, vollgeschissen.

Und Jens als Krönung. Fleisch verkaufen, ging es gestern von Neuem los, ohne Fleisch zu essen?

Patrick hatte nur leise geseufzt. Scheinbar nicht leise genug.

Ein Metzger, sagte Jens, müsse wissen, wovon er spricht.

Fileto sei ein Preisvergleich und keine Wursttheke.

Bei Aldi, sagte Jens, geb’s grad Rehrücken im Angebot.

Onlineauswahl. Metasuche. Das sei das Neue.

Jens hatte milde gelächelt. Das Alte schmecke ihm gut genug.

Das Alte sei was für Alte.

Liege trotzdem schon im Kühlschrank.

Vegetarier, hatte Patrick geknurrt und sich in sein Bett verzogen. Tür zu, Füße hoch, Licht aus. Bis heute Morgen, kurz nach acht.

Patrick im Tiefschlaf, Jens im Handtuch. Mitten im Zimmer, ohne zu klopfen.

Da lägen überall Haare im Bad.

Könnten weg.

In einer WG, sagte Jens, müsse man Rücksicht nehmen.

Hauptmieterhaare, sagte Patrick, dürften auch mal liegenbleiben.

Vor einer Woche war Jens eingezogen, seit einer Woche wünschte Patrick ihn sich auf den Mond. Oder zumindest zurück auf den Wohnungsmarkt.

Vor einem Hoftor blieb er stehen und betrachtete die Klingelschilder. Die Hälfte mit mehreren Namen, der Rest osmanisches Kauderwelsch. Neukölln, dachte Patrick, gehörte echt verboten.

Kurz nach neun betrat er mit pochendem Schädel den Konferenzraum. Weekly Meating laut Firmenkalender. Er unterdrückte vergastes Bier und setzte sich neben’s Fenster.

Ob der Chef nun noch komme, fragte jemand.

Wohl Homeoffice, antwortete ein anderer.

Dann sei die Besprechung auf morgen vertagt.

Patrick gab die Unterdrückung auf und ging zurück an seinen Platz. Chef müsste man sein. Er betrachtete das leere Büro, hörte die Kollegen am Kickertisch und öffnete sein Postfach: Jetzt teilnehmen! Gewinne ein Grundeinkommen und sei dein eigener Boss!

2. Überschuss

Als Herbert Hansen das erste Mal vom Grundeinkommen hörte, lag er vor dem Fernseher und schnitzte einen Totempfahl. Der Wind in den Vorhängen vertrieb die Hitze des Tages, irgendwo unterhielten sich Kühe.

Martin Bärenreiter verlose zwölftausend Euro, sagte die Moderatorin. Ein Jahr lang, tausend Euro pro Monat, steuerfrei und ohne Gegenleistung.

Herbert pustete Späne von seinem Arm und betrachtete den Bildschirm.

Auch er selbst lebe von einem solchen Betrag, berichtete Bärenreiter. Dadurch sei er freier und motivierter als je zuvor.

Was denn nun, murmelte Herbert und tauschte das Messer gegen ein Weinglas. Frei oder motiviert? Seit vier Jahren besaß er eine Holzwerkstatt, schnitzte Figürchen, staubte sie ab, restaurierte gelegentlich einen Schrank. Gegen Freiheit gab es nichts zu sagen, gegen Motivationen half Hartz IV.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen schaffe neue Potentiale, erklärte Bärenreiter. Freie Menschen mit gesicherter Existenz. Die würden gern arbeiten. Arbeiten, weil sie wollten, nicht, weil sie müssten.

Herbert gähnte. Am Montag hatte er seinen Quartalsbericht verschickt. Nächste Woche würde die Einladung zum Gespräch folgen. Alle drei Monate die gleiche Prozedur. Herberts Arbeitsvermittler trug gebügelfaltete Hemden und eröffnete jedes Treffen mit dem gleichen Spruch: Dass man das Wort Überschuss ja wohl aus der Überschussrechnung streichen könne.

Herbert nickte dann in aller Regel und erinnerte an Marx. Angebot und Nachfrage.

Es folgten ein teilnahmsvoller Blick und der Verweis auf den Stellenmarkt. Selbstständigkeit in Ehren, aber schließlich könne nicht jeder, wie er wolle.

Gute Arbeit bedürfe der Sicherheit, erklang wieder Bärenreiters Stimme aus dem Fernseher. Der Hingabe. Der Motivation. Ohne Zwang, ohne Angst, ohne Druck. Daher gelte es, Einkommen und Arbeit zu entkoppeln.

Entkoppeln, dachte Herbert und blinzelte zum Fenster. Im Anhänger lag das Bauholz für Schinkes Weidezaun. Sechzig Kanthölzer, neunzig mal neunzig, Kiefer, sägerau. Ohne Abdeckung. Der Wetterbericht hatte Regen versprochen.

Drei Grundeinkommen seien bereits verlost, sagte die Moderatorin, jetzt gehe es um Nummer vier und fünf. Bis morgen könne sich jeder registrieren.

Registrieren, waberte es noch durch Herberts Hirn, dann begann er zu schnarchen und spendierte sein Glas Wein dem Teppich.

Tags darauf war in Sonthofen Stadtfest. Als Herbert das Haus verließ, wartete Bauer Schinke schon am Kuhmilchfass.

Frühschoppen, erklärte der Bauer und dirigierte seinen Mieter in die Waschküche. Schließlich sei heut Stadtfest.

Und da geb’s genug zu trinken, wehrte Herbert ab.

Als er zwei Schoppen später mit schwerem Kopf und leichtem Schritt den Marktständen auswich, war er mindestens so voll wie die Innenstadt. Überall Gedränge, Gelächter und Bier. Es war heiß, sogar für Juli. Wer konnte, saß im Schatten und trank.

Herbert streifte eine Laterne und hielt sich an einem Ballonverkäufer fest. Neben der Haupttribüne traf er seinen besten Freund Gunther vor einem Stehtisch.

Na denn, sagte Gunther und hob seine Mass.

Prost, sagte Herbert.

Strauss, verkündete ein Mann mit Paillettenhut von der Bühne. Als kleines Grüß Gott der Dietmannsrieder Schallmeien.

Zwei Damen mit Dauerwelle saßen auf Plastikstühlen und klatschten.

Der Paillettenhut drehte sich zur Kapelle und hob seinen Taktstock.

Was Gunther tun würde, wenn ihm jemand Geld fürs Nichtstun gäbe, rief Herbert gegen die einsetzenden Schallmeien an.

Nichts, rief Gunther zurück. Sonst gäbe es ja das Geld nicht.

Die Dietmannsrieder versuchten sich an Wiener Blut. Die Dauerwellen versuchten zu schunkeln. Ein kleiner Junge stand vor der Bühne und hielt sich die Ohren zu.

Herbert schüttelte den Kopf. Er meine eher so was wie bezahlte Freizeit.

Bezahlte WAS? Gunther betrachtete stirnrunzelnd die Tribüne. Er kenne das irgendwie anders.

FREIZEIT, schrie Herbert.

Gunther nickte. Das sei nämlich eigentlich mit Streichern.

Womit?

STREICHER, rief Gunther und klemmte sich eine imaginäre Geige unters Kinn.

Auf der Bühne schalmeite sich die Kapelle von einem Crescendo ins nächste.

Herbert stellte Gunthers Mass ab und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Jedes Jahr das Gleiche. Jedes Jahr ließ er sich überreden, kam hier her und wollte nur noch weg. Allgäu schön und gut, und die Berge und so, und das Bier und der Bauernhof und der Ausblick vom Balkon. Aber musikalisch war der Süden ein Reinfall.

Gunther bohrte in der Nase und schien den Lärm nicht zu hören.

Herbert deutete über seine Schulter. Er müsse was erledigen. Im Internet. Und ob man sich den Radau nicht ersparen wolle.

Eine halbe Stunde später saßen sie bei Gunther vorm PC und klickten auf Martin Bärenreiters Website herum.

Es gebe da übrigens einen Job, sagte Gunther und zwirbelte seinen Bart.

Name, Adresse, murmelte Herbert.

Über Eisele.

Eisele, wiederholte Herbert und verschrieb sich. Eisele – der Bestatter?

Genau der.

Was würdest Du tun, wenn Du plötzlich ein Grundeinkommen hättest?

Buddeln, sagte Gunther.

Buddeln?

Urlaub machen, schlug Gunthers Frau Marie vor.

Herbert hielt die Hände über der Tastatur und sah aus dem Fenster. Winzige Wölkchen standen vor dem blauen Himmel, ab und an zwitscherte ein Vogel. In seinem Kopf noch immer Schalmeien.

Montag, sagte Gunther, in Bad Hindelang.

Oder ausschlafen, sagte Marie.

Dienstag sei nämlich schon Beerdigung.

Beerdigung, murmelte Herbert. Oder ausschlafen.

Man könnte alles tun, dachte er. Alles tun oder alles lassen. Er rückte die Tastatur zurecht, knackte mit den Fingerknöcheln und entschied sich für Nichts.

3. Haftnotiz

Kreuzberg, zweiunddreißig Quadratmeter, siebenhundert Euro. Friedrichshain, neunundzwanzig Quadratmeter, sechshundert Euro. Dazu meist Grundrisse im Modellbauformat. Patrick seufzte. Günstigeres gab’s höchstens in Moabit oder in der Platte. Er löschte ein paar Mails und gähnte. Nie wieder Mitbewohner, hatte nach zwanzig Jahren Kinderzimmer und fünf Jahren Studentenheim sein Vorsatz gelautet. Dem Berliner Mietspiegel war das egal gewesen. In weniger als einem Jahr hatte die Hauptstadt Patricks komplette Ersparnisse verbraucht. Fünfhundertneunzig Euro kosteten die zwei Zimmer in Neukölln. Also war Jens eingezogen. Ein Fehlgriff, keine Frage.

Missmutig betrachtete Patrick das entvölkerte Büro. Summende Laptops im Ruhemodus, vor dem Fenster ein paar Tauben. Der Chef arbeitete im Homeoffice, die Kollegen bearbeiteten den Kicker. Patrick schnippte einen Popel zur Seite und öffnete die nächsten Inserate. Adlershof, sechsunddreißig Quadratmeter, fünfhundertfünfzig Euro. Treptow, siebenunddreißig Quadratmeter, fünfhundertachtzig Euro. Was Eigenes war unerschwinglich. Jens musste trotzdem weg. Lieber eine Frau. Am besten solo, gern mit Titten.

Der Posteingang verkündete neue Mails. Initiative Grundeinkommen: Du hast gewonnen! Zum Telefonieren ging Patrick aufs Klo.

Es habe, sagte Martin Bärenreiter, schon alles seine Richtigkeit. Und dass man Herrn Werner herzlich gratuliere.

Vernier, sagte Patrick.

Der Festakt sei am Wochenende, in München, Waisenhausstraße.

Patrick dachte an seine Eltern und hustete ein wenig. Er könne leider nichts versprechen.

Die Gesundheit, sagte Bärenreiter, gehe natürlich vor. Und ob Herr Verjé eine kurze Stellungnahme abgeben würde. Für die Pressemitteilung.

Ver-ni-er, sagte Patrick gedehnt. Mit N, I, E. Französisch ausgesprochen.

Gewiss.

Es entstand eine Pause.

Natürlich, fügte Bärenreiter hinzu, stehe es jedermann frei, sich zu äußern. Der Gewinn bleibe selbstverständlich unberührt.

Stressabbau, sagte Patrick, im Rahmen beruflicher Neuorientierung. Womöglich Unternehmensgründung.

Fünf Minuten später fuhr er den Rechner herunter, packte seine Sachen und erleichterte den Kühlschrank um zwei Bier. Dann schrieb er seine Kündigung auf eine Haftnotiz und klebte sie dem Chef an den Bildschirm.

4. Steinzeit

Als das Handy klingelte, stand Herbert in einem Grab und setzte sich mit Gunthers Spitzhacke und betonhartem Lehm auseinander.

Herzlichen Glückwunsch, hörte er Martin Bärenreiter durch die Leitung rufen. Und ob Herr Hansen seine Mails nicht lese.

Herbert warf die Hacke beiseite und stieg aus der Grube. Der Schinke, keuchte er, der halte nichts vom Internet.

Die Preisverleihung sei jedenfalls am Samstag. Und das Geld komme ab nächsten Monat.

Man müsse die Toten trotzdem wieder bestatten, sagte Gunther, als Herbert aufgelegt hatte und für Schnaps plädierte. Genau da, wo sie sich schon warmgelegen hätten.

Der Knochenhaufen neben der Grube reichte locker bis zur Steinzeit.

Vielleicht in die Gartenabfälle?

Bestatten, wiederholte Gunther. Oder ob der Herr jetzt streike, wo er reich sei.

Herbert ergriff einen Knochen und drehte ihn in den Händen. Seine Eltern lagen in Hamburg, die Oma bei Köln, der Opa vermutlich in Stalingrad. Was kümmerte es die Toten, wo sie verrotteten? Hauptsache, im Leben lag man richtig.

Fünfzehn Minuten später hielten sie in einer Gasse hinter einem Fleischwarengeschäft. In der Auffahrt zwei graue Abfalltonnen.

Es sei ein wenig riskant, sagte Gunther und lauschte nach Stimmen im Vorderhaus.

Herbert kurbelte sein Fenster herunter. Die Sonne schien, der Motor knackte, die Gasse war menschenleer. Den Koch, flüsterte er, bestatte man am besten unterm Herd.

Den Koch? Wieso den Koch? Gunther betastete seinen Bart. Und überhaupt, die Studentenweisheiten –

Überhaupt, zischte Herbert, habe er genug gegraben.

Eine Katze kam aus einem Vorgarten und legte sich auf die Fahrbahn.

Außerdem gehe es um Schnaps. Herbert stieg aus und hievte den Müllsack vom Rücksitz.

Im Vorderhaus erklang leises Gelächter.

Gunther seufzte und stieg ebenfalls aus.

Die Katze lag auf dem Asphalt und rieb sich schnurrend die Nase.

5. Dialektik

Selbstbestimmung, Freiheit, Autonomie. Die Grundpfeiler der Hingabe. Martin Bärenreiter stand auf verschraubten Europaletten, an der Wand sein Abbild im Livestream. Etwa dreißig Gäste warteten auf Klappstühlen, zwei Journalisten fotografierten.

Herbert saß seitlich der Paletten und blinzelte in die Scheinwerfer. Drei Stunden zuvor war er am Hauptbahnhof aus dem Zug gestiegen und hatte sich leicht und beschwingt gefühlt. Ihm waren Wanderungen eingefallen, die es zu absolvieren gab, Bücher, die er schon immer hatte lesen wollen, Schätze, die sich in der Allgäuer Erde verbargen. Er hatte vor sich hin gepfiffen, einer Frau mit ihrem Kinderwagen geholfen und am Brezelstand Trinkgeld gegeben.

Jetzt umklammerte seine Hand die Hosennaht, nervös betrachtete er das Publikum. Das letzte Mal vor so vielen Leuten war im Studium gewesen und mehr als zwanzig Jahre her. Damals ging es um Philosophie. Da sagte man einfach, was man dachte und schob es im Zweifel auf die Dialektik. Heute ging es ums Geld. Und um Pläne. Nichts für Philosophen.

Martin Bärenreiter dagegen genoss seinen Auftritt. In majestätischem Einklang hatten der Livestream und er sich dem Stuck zugewandt. Hingabe, wiederholten die zwei. Hingabe an eine Tätigkeit, eine Aufgabe, einen Daseinszweck. Die Arbeit um der Arbeit willen, Beruf als Berufung. Nicht das Geld motiviere den Menschen, nicht der Druck, nicht die Angst um das Auskommen. Bärenreiter fixierte das Publikum. Nein, wahre und echte Motivation entstehe einzig und allein aus der Hingabe. Und nur hier, rief er und legte sich die Hand aufs Herz, könne wahre Hingabe gedeihen. Finde der Mensch zu wirklichem Engagement. Entspringe echte Leidenschaft.

Herbert zupfte an einem Nasenhaar und nieste.

Bärenreiter ließ die Hand sinken. Das Problem, sagte er, sei ein System basierend auf Zwang. Denn der Zwang sei der Feind der Freiheit. Der Zwang sabotiere den modernen Menschen. Er nickte. Doch ein bedingungsloses Grundeinkommen schaffe ihn ab, den Zwang. Ein bedingungsloses Grundeinkommen eröffne Spielräume, schaffe eine Gesellschaft ohne Ausbeutung, verhelfe zu Chancengleichheit und Gerechtigkeit. Ein System der Harmonie und des Vertrauens.

Bärenreiter vollführte eine raumeinnehmende Geste, zog Herbert vom Stuhl hoch und legte ihm die Hand auf die Schulter. Ein System, fuhr er fort, das jeden Einzelnen von uns befähige, in Freiheit zu leben und selbstbestimmt zu handeln. Ein System, in welchem die Menschen arbeiteten, weil sie wollten, nicht, weil sie müssten.

Bravorufe wurden laut. Die Mehrzahl der Anwesenden erhob sich klatschend von den Sitzen. Bärenreiter lächelte und nickte. Herbert schwitzte und sah aus dem Fenster.

Als der Applaus verebbt war, meldete sich ein glatzköpfiger Journalist mit rosa Schlips zu Wort. Was Herrn Hansens Pläne für das kommende Jahr seien.

Man müsse sich das gut überlegen, das mit dem Geld, stotterte Herbert. Und mit der Zeit. Und den ganzen Möglichkeiten.

Nichts, sagte der Glatzkopf.

Nichts?

Seine Onlineantwort.

Herbert schwieg.

Der Glatzkopf seufzte. Auf die Frage. Was er tun würde. Mit dem Geld. Wenn er nicht mehr arbeiten müsste.

Na ja, sagte Herbert. Zumindest für den Anfang.

Der Glatzkopf räusperte sich. Andere wollten reisen, spenden, Projekte verwirklichen, Bücher lesen, die Gedanken schweifen lassen. Aber nichts?