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Der Himmel über Eden Creek brannte in blutrotem Orange, als die beiden Mädchen den verbotenen Pfad hinaufstapften. Auf dem Kamm des Hügels ragte die Ruine des alten Callahan-Farmhauses auf. Das Dach war längst eingestürzt, die Balken standen verkohlt und schief. "Hier war das", murmelte Elli. "Hier hat er gewohnt." "Und Leute aufgeschlitzt", wisperte ihre Freundin. "Eine Menge Leute, sagt mein Bruder. Im Stall da drüben." Elli schluckte. Plötzlich wirkte alles zu still. Als würde die Natur den Atem anhalten. "Ich hab ein schlechtes Gefühl", flüsterte sie. "Lass uns lieber zurückgehen ..." Sie stockte, als plötzlich ein gedämpftes Schaben aus dem Inneren der Ruine drang. Wie Nägel über Holz. Sie ahnte noch nicht, dass das Grauen nach zehn langen Jahren nach Eden Creek zurückgekehrt war ...
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Seitenzahl: 143
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Inhalt
Blutspur nach Eden Creek
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Impressum
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Inhaltsverzeichnis
Inhaltsbeginn
Impressum
von Katja Martens
Der Himmel über Eden Creek brannte in blutrotem Orange, als die beiden Mädchen den verbotenen Pfad hinaufstapften. Auf dem Kamm des Hügels ragte die Ruine des alten Callahan-Farmhauses auf. Das Dach war längst eingestürzt, die Balken standen verkohlt und schief.
»Hier war das«, murmelte Elli. »Hier hat er gewohnt.«
»Und Leute aufgeschlitzt«, wisperte ihre Freundin. »Eine Menge Leute, sagt mein Bruder. Im Stall da drüben.«
Elli schluckte. Plötzlich wirkte alles zu still. Als würde die Natur den Atem anhalten. »Ich hab ein schlechtes Gefühl«, flüsterte sie. »Lass uns lieber zurückgehen ...«
Sie stockte, als plötzlich ein gedämpftes Schaben aus dem Inneren der Ruine drang. Wie Nägel über Holz. Dabei ahnte sie noch nicht, dass das Grauen nach zehn langen Jahren nach Eden Creek zurückgekehrt war ...
»Lass uns lieber zurückgehen.« Ihre Freundin krallte die Finger in Ellis Arm. »Hier ist es nicht geheuer.«
»Ach wo. Das ist nur der Wind, der ...« Elli unterbrach sich, als der Wind das Knarzen von Holz zu ihr herantrug. Ihr Herz machte einen fast schmerzhaften Satz, bis ein leises Lachen aus ihr herausplatzte. »Das war nur das Haus. Mein Pa sagt immer, alte Häuser arbeiten und das hört man.«
Lizzie zog eine zweifelnde Miene. Sie zupfte unablässig an einem Fädchen, das aus ihrem Rock vorstand. Mit der Spitze ihres Schuhs scharrte sie im Staub und schien sich nicht überwinden zu können, näher an das Haus heranzugehen, das über ihnen aufragte wie ein fauliger Zahn.
Elli jedoch war entschlossen, ihr Abenteuer nicht vorschnell aufzugeben. Langsam setzte sie einen Fuß vor den anderen und näherte sich der Farm. Die Fenster waren bei dem Feuer damals geborsten, die Wände schwarz von Ruß und Asche. Der einst weiß gestrichene Zaun lag halb umgestürzt im Staub. Das Stalltor stand weit offen. Unrat bedeckte den Boden davor. Die Scheune war fast vollständig niedergebrannt. Nur ein paar Balken ragten noch empor wie die knochigen Finger eines Toten.
Längst war das Anwesen Wind und Vergessen anheimgefallen.
Die wenigen Menschen, die noch in der Stadt ausharrten, mieden die Farm. Von ihrem Pa wusste Elli, dass das vor zehn Jahren anders gewesen war. Nachdem der Schlächter hier oben sein Ende gefunden hatte, hatten die Zeitungen darüber berichtet. Viele Menschen waren von nah und fern gekommen, um sich den Schauplatz seiner Gräueltaten anzusehen. Elli war nicht ganz sicher, was eine Gräueltat war, aber sie hatte ihre Eltern im Flüsterton darüber sprechen hören und gesehen, wie sich die Härchen im Nacken ihrer Ma aufgerichtet hatte. Sie konnte sich denken, dass es schlimm gewesen sein musste, was hier oben geschehen war. Oh, wenn Ma wüsste, dass Elli den Namen kannte, den die Leute dem Farmer gegeben hatten – Schlächter – sie wäre außer sich.
Elli war es streng verboten, hier heraufzukommen. Genauso wie Lizzie. Doch sie hatte von ihrem Fenster aus gesehen, dass es wieder begonnen hatte, und sie wollte wissen, was es war. Vor einem Jahr hatte sie sich noch an das Verbot ihrer Eltern gehalten und war keinen Schritt näher an die Farm herangegangen, als ihr erlaubt war, aber da war sie auch noch klein gewesen. Jetzt war sie schon groß, beinahe elf, und alt genug, um sich die Sache genauer anzusehen.
»Elli?« Die Stimme ihrer Freundin war kaum mehr als ein Windhauch. Furcht schwang darin mit. »Elli, komm lieber wieder zurück!«
»Noch nicht«, murmelte Elli und warf einen Blick über ihre Schulter zurück.
Am Fuß des Hügels lag Eden Creek. Eingeklemmt zwischen staubigen Mesquite-Büschen und einem trägen Nebenfluss des Rio Grande. Der Wind wehte fast ständig über die ausgedörrte Landschaft und trug den Geruch von trockenem Gras, altem Holz und Verfall heran. Nicht weit entfernt knarrte ein loses Windrad auf einer verlassenen Weide, sein heiseres Quietschen hallte wie eine Warnung herüber.
Die Mainstreet – früher belebt von Ochsenkarren und Cowboys – war inzwischen nur noch ein breiter, von Pferdehufen zerfurchter Streifen aus festgetretenem Staub. Die Holzplanken der Bürgersteige waren gesplittert; einige waren weggebrochen und ließen Lücken frei, in denen Mäuse verschwanden, wenn man die Geduld aufbrachte, nach ihnen Ausschau zu halten. Vor den Gebäuden rollten vereinzelte Dornenbüsche vorbei, und bei jedem Windstoß klapperten lose Fensterläden gegen Fassaden, die längst von der Sonne ausgebleicht waren.
Hier und da waren die Häuser noch bewohnt, aber schon viele waren gegangen und die Wenigen, die noch ausharrten, würden früher oder später auch fortziehen.
Der Verfall hatte vor zehn Jahren begonnen. Da waren Elli und Lizzie gerade mal auf der Welt gewesen, aber sie entsannen sich nicht mehr an die Ereignisse und waren auf das Wenige angewiesen, das sie aus den Unterhaltungen ihrer Eltern aufschnappten. Elli war fasziniert. Die Ereignisse schienen einem der Schauerromane zu entstammen, die ihre Ma so gern las. Sie selbst durfte die Bücher noch nicht einmal anfassen, aber in ein paar Jahren, das schwor sie sich, würde sie alles lesen, das ihr jetzt noch verboten war.
Sie wandte sich wieder dem Farmhaus zu und schlich weiter. Schritt für Schritt. Von Lizzie kamen keine Einwände mehr. Nur das leise Fauchen des Windes begleitete sie, als sie sich der Ruine der Scheune näherte ... und plötzlich etwas Weißes aus dem Staub aufragen sah.
Ein Knochen!
Von einem der Opfer des Schlächters?
Elli schrie auf und hielt sich die Hände vor das Gesicht.
Oh, sie wollte am liebsten nichts mehr sehen oder hören. Warum war sie bloß hier raufgekommen? Das war eine dumme Idee gewesen. Sie hätte auf Lizzie hören sollen und ... Oh! Plötzlich spürte sie eine schwere Hand auf ihrer Schulter! Ihr Herz machte einen erschrockenen Satz in ihrer Brust. Ein Schrei entfuhr ihr. Sie riss die Arme herunter, wirbelte herum und starrte in der nächsten Sekunde in ein bärtiges Gesicht, das sich besorgt über sie beugte ...
»Pa?« Elli blinzelte, bis sie sich ganz sicher war, dass er es war. »Pa!« Mit einem Laut, der halb Lachen und halb Schluchzen war, warf sie ihm die Arme um den Körper und schmiegte sich schutzsuchend an ihn.
Er drückte sie einen Moment an sich, bevor er sie sanft von sich schob und mit gefurchter Stirn ansah.
»Was zum Bartgeier macht ihr beide denn hier oben?«
»Wir ...« Elli grub die Zähne in ihre Unterlippe.
Ihr Pa hieß Travis Reed. Er war Farmer und ein hart arbeitender Mann mit Händen, die ein Brett mit einem Schlag zertrümmern konnten, einem wild wuchernden schwarzen Bart und zahlreichen Narben, die verrieten, dass das Leben hier draußen kein leichtes war.
»Du weißt, dass du hier bei der alten Callahan-Farm nichts zu suchen hast, Elli.«
»Ja, Pa«, gab sie kleinlaut zurück.
»Genauso wenig wie Lizzie. Sieh sie dir an. Sie hat sich fast zu Tode erschreckt.«
Elli schaute zu ihrer Freundin, deren Augen fast aus den Höhlen kullerten. Und blass war sie, als hätte sie einen der alten Geister gesehen, die hier oben ihr Unwesen treiben sollten. Die Seelen der Menschen, die hier zu Tode gekommen waren und keine Ruhe fanden.
»Tut mir leid, Pa.«
»Das sollte es auch.« Er zog die Brauen zusammen. »Diese Farm ist nicht grundlos tabu. Hier oben ist es nicht sicher.«
»Ich hab einen Knochen gefunden«, wisperte sie und deutete in die Richtung.
Ihr Vater folgte ihrem Blick. »Das ist nur ein Kojotenschädel. Vor dem musst du dich nicht fürchten. Der kann dir nichts mehr tun.« Er fasste sie bei den Schultern. »Was wolltet ihr denn hier oben?«
»Die Geister sehen.«
»Geister?« Ihr Vater schüttelte bedächtig den Kopf. »Es gibt keine Geister. Was auch immer an Bösem auf dieser Welt umgeht, ist von Menschen gemacht.«
Elli schwieg, denn sie war sich da nicht so sicher. Sie hatte die Lichter gesehen, die in manchen Nächten hier oben auf der Callahan-Farm umhergeisterten. Lichter, die sich niemand in der Stadt erklären konnte, denn hier draußen lebte schon lange niemand mehr.
»Na komm jetzt. Ich bring euch beide nach Hause.« Ihr Vater richtete sich wieder auf. »Du wirst mir in den nächsten beiden Wochen bei der Reparatur des Zauns zur Hand gehen. Das wird dich hoffentlich von weiteren Ausflügen hier herauf abhalten.«
»Ja, Pa.« Elli ließ den Kopf sinken. Damit war ihr Abenteuer wohl zu Ende. Ihr Pa würde sie im Auge behalten und dafür sorgen, dass sie sich von der Callahan-Farm fernhielt. Sie verbiss einen leisen Laut der Enttäuschung. Wie sollte sie denn jetzt herausfinden, wer oder was sich hier oben auf dem Hügel herumtrieb?
Während sie mit ihrem Vater hinterher trottete, kam Lizzie an ihre Seite und stiefelte neben ihr den Hang hinunter.
Als sie die ersten Häuser der Stadt erreichten, zupfte Lizzie an ihrem Ärmel und neigte ihren Kopf zu Elli. »Du«, wisperte sie, »wir waren nicht allein da oben.«
»Wie meinst du das?«
»Ich hab jemanden gesehen. Eine Bewegung. Hinter dem Farmhaus.«
»Was sagst du da?« Ellis Augen wurden groß. »Wen hast du gesehen?«
»Weiß nicht. Ging zu schnell und ich hatte zu viel Angst, um genauer hinzusehen.« Ihre Freundin krauste die Nase, dass die Sommersprossen auf ihrer Nase zu tanzen schienen. »Aber es war ganz sicher noch jemand da oben. Dabei sagen die Erwachsenen immer, niemand würde je da raufgehen.«
»Genau!« Ellis Gedanken wirbelten durch ihren Kopf. Die Beobachtung ihrer Freundin hatte ihre Neugier wieder angefacht. Aufgeregt zupfte sie am Band ihrer Haube. Also gab es wirklich ein Geheimnis dort oben bei der Ruine.
Und sie würde einen Weg finden, um es zu lüften!
✰
Der Himmel über Silver Junction war dunkelviolett, als Lassiter in die Stadt ritt.
Ein einsamer Windstoß trug Staub über die Hauptstraße, ließ die Schilder vor den Geschäften an der Mainstreet schwingen und trug den Geruch von Pferd, Schweiß und gebratenen Steaks heran. Aus einem Saloon hallte das Klimpern eines Pianos, begleitet von gedämpftem Lachen und Poltern. Irgendwo bellte ein Hund.
Lassiter war seit Tagen unterwegs, hatte zwei Nächte unter freiem Himmel geschlafen und fühlte sich verschwitzt und müde. Staub bedeckte seinen Hut und seinen ledernen Anzug, sein Gesicht war von der Sonne gegerbt und er sehnte sich nach einem Drink, einem Bad und dem weichen Körper einer schönen Frau.
Nicht unbedingt in dieser Reihenfolge.
Ein festes Ziel hatte er nicht. Seinen letzten Auftrag für die Brigade Sieben hatte er vor einer Woche abgeschlossen: den Unterschlupf einer Bande Zugräuber ausfindig zu machen, die das Territorium seit Monaten in Angst und Schrecken versetzten. Er hatte dafür gesorgt, dass die Kerle hinter Gitter kamen und sich dabei mehrere Blessuren eingefangen, die sich vermutlich noch eine ganze Weile schmerzhaft bemerkbar machen würden. Jetzt hatte er nichts gegen ein paar freie Tage einzuwenden, bevor ein Telegramm seiner Auftraggeber eintraf und ihn zu seiner nächsten Mission schickte.
Es war zu dunkel, um ohne Not noch weiterzureiten, und so beschloss Lassiter, in Silver Junction zu übernachten. Er hielt Ausschau nach dem Mietstall und entdeckte nach einer Weile ein grob gezimmertes Gebäude, über dessen Tor mit weißer Farbe Westons Mietstall geschrieben stand.
Die Laternen vor dem Stall flackerten schwach und rußig. Das Gebäude selbst war alt, aber solide. Der warme Geruch von Heu und Tieren lag in der Luft.
Als Lassiter vor dem Stall anhielt und von seinem Braunen stieg, trat ein Mann aus dem Schatten – dürr, bärtig, mit einem breitkrempigen Hut, den er nun in den Nacken stieß, um den Neuankömmling prüfend zu mustern. Seine Kleidung war abgetragen, die Hände schwielig und kräftig.
»Spät dran, Mister«, krächzte er. »Ihr Pferd sieht müde aus. Haben wohl 'nen weiten Weg hinter, was?«
»Das können Sie wohl sagen. Drei Tagesritte aus dem Süden«, antwortete Lassiter und schwang sich steif aus dem Sattel. »Mein Brauner braucht Wasser und Ruhe. Dazu frisches Heu. Und Hafer, wenn Sie welchen haben.«
»Sicher doch.« Der Mann musterte den Wallach, nickte langsam und tätschelte ihm den Hals. »Feiner Kerl. Frisst für zwei, oder?«
Lassiter verstand den Wink. Er griff in seine Manteltasche, zog zwei Geldscheine heraus und reichte sie dem älteren Mann. »Für eine Nacht plus Futter und Hafer. Und wenn ihm auch nur ein Haar gekrümmt wird, such ich Sie.«
Der Oldtimer stopfte die Scheine in seine Westentasche, grinste schief und enthüllte dabei einige schwarze Zahnlücken. »Keine Sorge, Mister. Hier draußen weiß jeder: Der alte Obadja ist gut zu Pferden. Ich werd' ihn trocken reiben. Wird ihm an nichts fehlen.«
»Danke. Das weiß ich wirklich zu schätzen. Sagen Sie: Wo kriegt man denn hier so spät noch was zu essen?«
»Drüben in Rosies Saloon.« Der Alte deutete quer über die Straße zu dem Lokal, aus dem die Pianomusik herüberwehte. »Gehen Sie bloß nicht zu Dirty Joe. Der hat seinen Laden drüben in der Church Street, aber sein Koch hat mehr Menschen unter die Erde gebracht als die Pocken. Außerdem streckt er seinen Whisky. Das macht Rosie zwar auch, aber bei ihr ist die Aussicht besser, wenn Sie verstehen, was ich meine.« Mit einem breiten Grinsen malte der Oldtimer mit beiden Händen schwungvolle Kurven in die Luft. Dann nahm er den Braunen am Zügel und führte ihn in die Dämmerung des Stalls, aus dem gedämpft das Schnauben anderer Tiere und das Rascheln von Heu drang.
Lassiter blieb noch einen Moment stehen und sah seinem Pferd nach. Er war müde und hungrig. Er würde sich etwas zu essen genehmigen und sich dann auf die Suche nach einem Quartier für diese Nacht begeben.
Die Mainstreet lag in gelblichem Laternenlicht, als Lassiter den Stall hinter sich ließ. Die Müdigkeit hing ihm in den Knochen, aber der Gedanke an einen Drink und eine warme Mahlzeit trieb ihn an. Seine Stiefel klackten auf den hölzernen Planken des Sidewalks. Auf der Straße selbst war nicht mehr viel los. Ein Maultier trottete vor einem Karren her. Zwei Männer standen vor dem Generalstore und rauchten.
Lassiter stapfte weiter ... bis plötzlich ein Schrei die Luft zerschnitt. Hoch, kurz – und abrupt erstickt.
Der große Mann wirbelte herum und erhaschte gerade noch einen Blick auf zwei Gestalten in staubigen Mänteln, Halstücher über Mund und Nase gezogen. Sie hatten eine junge Frau bei den Armen gepackt und zerrten sie in eine dunkle Seitengasse. Die Fremde war noch jung, keine zwanzig, schätzte Lassiter. Sie trug ein braunes Reisekleid und einen Hut auf ihren dunklen Haaren. Der verrutschte nun, als sie strampelte und um sich trat. Einer der Kerle presste ihr seine Pranke auf den Mund und erstickte jeden weiteren Schrei.
»Verdammt«, murmelte Lassiter. Er reagierte, ohne zu zögern.
Er zog den 38er Remington aus dem Holster und spannte den Hahn, während er sich bereits in Bewegung setzte und den Kerlen folgte. Die Gasse war schmal und unbeleuchtet, so waren die drei Menschen kaum mehr als undeutliche Schemen in der Dunkelheit. Unmöglich, zu schießen, ohne womöglich versehentlich die Frau zu treffen. Fluchend stürmte er weiter. Seine Stiefel hallten dumpf auf dem hart gestampften Boden, während er in den Schatten eintauchte.
»Stehen bleiben!« Seine Stimme schnitt durch die Nacht.
Stoff raschelte. Einer der Männer fuhr offenbar zu ihm herum.
»Mach dich weg, Mann!«, rief er heiser und ließ den Hahn einer Waffe klicken.
Lassiter warf sich zur Seite. Gerade noch rechtzeitig, dann flammte vor ihm Revolverfeuer auf. Eine Kugel zischte an seinem Schädel vorbei und zackte neben ihm in eine Hauswand.
Jetzt hatte er ein Ziel.
Lassiter visierte die Stelle an, an der er gerade das Mündungsfeuer ausgemacht hatte, und schoss.
Ein wüster Fluch quittierte den Treffer, gefolgt von einem Schmerzenslaut.
Lassiter ging weiter, seine Waffe fest in der Faust.
»Lasst die Frau gehen«, knurrte er. »Jetzt.«
Ein weiterer Schuss.
Diesmal schrammte die Kugel haarscharf an seinem Ohr vorbei.
Lassiter feuerte wieder. Orientierte sich einmal mehr an dem Aufflammen des Mündungsfeuers seines Gegners. Wieder ein Treffer. Mit einem dumpfen Geräusch schlug seine Kugel in ihrem Ziel ein. Ein schwerer Körper sackte in den Staub.
Nun war ein Fluch zu hören. Gefolgt von Schritten, die sich schnell entfernten.
Einer der Kerle machte sich aus dem Staub!
Lassiter brachte die letzten Yards im Laufschritt hinter sich. Seine Augen hatten sich inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt und so konnte er die Umrisse der Frau ausmachen, die sich mit dem Rücken gegen eine Hauswand presste, die Arme schützend vor sich ausgestreckt. »Sind Sie in Ordnung, Miss?«
Nur ein leises Wimmern antwortete ihm.
»Ich werde Ihnen nichts tun, Miss«, versicherte er ihr. »Ich will Ihnen helfen.«
»Mir fehlt nichts.«
»Gut.« Lassiter trat näher an sie heran – und stieß plötzlich mit der Stiefelspitze gegen einen Körper, der im Staub lag. Es war einer der beiden Revolverschwinger. Er hatte eine Kugel in der Brust und war so tot, wie man nur sein konnte. Von seinem Kumpan war nichts zu sehen. Offenbar hatte der das Weite gesucht.
Stille legte sich über die Gasse. Wenn Lassiter erwartet hatte, dass die Schüsse jemanden anlockten, sah er sich getäuscht. Niemand ließ sich blicken. Nur das Keuchen der Frau unterbrach das Schweigen in der Dunkelheit.
»Alles gut, Miss?«, hakte Lassiter nach.
Sie nickte stockend, während sie die Arme um sich selbst schlang. »Sie ... sie wollten mich ... mitnehmen ...«
»Sah ganz so aus.« Lassiter starrte auf den Toten nieder. »Kennen Sie diese Kerle?«
»Nein, ich habe sie noch nie vorher gesehen.«
»Könnten sie hier aus der Stadt sein?«