Laufen und Marathon - Achim Achilles - E-Book

Laufen und Marathon E-Book

Achim Achilles

4,3

Beschreibung

Der Marathon ist der größte Mythos des Freizeitsports. Ob Hausfrau oder Manager, Hollywoodstars oder Senioren – wer je die magischen 42 Kilometer beendet hat, darf sich zu einer gesellschaftlichen Elite zählen. Achim Achilles, Deutschlands bekanntester Hobby-Sportler, hat sich mehrfach durch den Marathon gequält und präsentiert hier eine Auswahl seiner besten Kolumnen zwischen Glück und Wahn, von Leiden bis Lachen.

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Achim Achilles

Laufen

und Marathon

Die besten Kolumnen zu meiner Lieblings-Schinderei

Achim Achilles Bewegungsbibliothek Band 8

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1. Aller Anfang

2. Projekt Slow Food

2.1. Nahtod-Erfahrungen einer roten Socke

2.2. Jammer-Uschi und der Großmaulfrosch

2.3. Sag mir, was Du wirklich willst

2.4 Vom Abfangjäger hintergangen

Spezial I: Fünf Regeln für den Marathon

3. Zu Hause läuft es sich am schönsten

3.1. Der Metall-Ignorant

3.2. 42.195 Gründe, besser im Bett zu bleiben

Spezial II: Raketen, Poser und Party-Alarm

3.3. Wie ein Pickel am Hintern

3.4. Besessen vom Projekt 239

3.5. Merkwürdige Marathon-Marotten

3.6. Kampf dem Krampf

3.7. Gefangen in der Hungerwoche

3.8. Mit dem Corinna-Prinzip zur Marathon-Bestzeit

4. Haile, Herrmann oder Knast - Achims speziellste Läufe

4.1. Das Läufer-Märchen vom Herrmann

4.2. Wie Achim beinahe den Weltrekord geholt hätte

4.3. Hinter Gittern - der Läuferknast

5. Geschwänzt

5.1. Klappergestelle auf Luftpolstersohlen

5.2. „Schneller, schleimige Schnecke!“

Spezial III: Marathon-Zombies erobern Berlin

5.3. Der Weltspitze entgegen

6. Altersweise?

Über den Autor

Impressum

Was haben gute Vorsätze und ein erfolgreicher Marathon gemeinsam?

Jedes Jahr nimmt man sich einen oder gleich mehrere vor, nur kommt immer was dazwischen.

Achim Achilles

Vorwort

Marathon ist eine ausgesprochen bescheuerte Erfindung. Warum sollte der Mensch 42 Kilometer am Stück rennen? Gesund ist das nicht. Außerdem gibt es doch Segways oder Elektrofahrräder.

Stimmt. Aber mit Motoren kann jeder schnell sein. In Zeiten des Rundumkomforts bekommt das Fortbewegen aus eigener Kraft eine ganz neue Kraft. Wer den ganzen Tag vorm Rechner sitzt, wer Erfolge kaum noch spürt, der ist unendlich dankbar, wenn er seinen Körper spürt, eine gute Strecke in den Beinen fühlt, vor lauter echter, schöner Müdigkeit ins Bett fällt. Außerdem trinkt der Läufer sein Bier mit sehr viel besserem Gewissen. Wer was geschafft hat, darf sich auch belohnen. So einfach funktioniert der Mensch nun mal.

Warum also Marathon? Weil man sich diese Leistung nicht kaufen kann. Weil viele, die anfangen, nicht den Biss haben, erst das Training und schließlich das Rennen durchzuhalten. Weil nicht die große Klappe zählt, sondern das Machen, bei jedem Wetter und jeder Laune übrigens. Weil wir unglaublich viel über uns lernen, unsere Belohnungsmotive, unsere Widerstände, unsere Glücksmechanismen.

Es geht doch nicht um diese vermaledeiten 3, 4, 5, 6 Stunden, sondern um all das, was drum herum passiert. Zuerst der wilde Entschluss, das Abenteuer anzugehen. Die Begeisterung bei den ersten Trainings. Die ersten Rückschläge. Lästige Verletzungen. Der verwünschte Graben zwischen unserem Anspruch an uns und dem, was wir dann tatsächlich liefern. Und die Erkenntnis, dass andere schneller sind, talentierter, verbissener, fleißiger. Marathon ist weniger Sport als vielmehr eine schonungslose Schule des Lebens. Marathon ist ein Selbsterfahrungsseminar der eher schonungslosen Sorte. Und er lehrt uns: Loslassen.

Warum also Marathon? Weil wir es wollen. Weil wir es können. Weil wir es wissen wollen.

Weil gerade Marathon-Novizen unbedingt erfahren sollten, dass sie nicht allein sind mit ihren Ängsten, Hoffnungen und Psychosen, hat Hobby-Läufer Achim Achilles in diesem Büchlein einige seiner schönsten Kolumnen zusammengetragen, die er in fast zehn Jahren seines erfolglosen Läuferdaseins über sein Trauma-Thema Marathon verfasst hat.

Viel Spaß beim Wiedererkennen,

Achim Achilles, Berlin, der nie wieder Marathon laufen wollte, aber schon fast wieder mitten in der nächsten Marathon-Vorbereitung steckt.

1. Aller Anfang

Der ist schuld - nur noch 17 Minuten bis Joschka

Achim und die 3:43

Ein Wintermorgen in Bonn 1997. Ein mageres Männchen vollführt in seinem engen Apartment eine merkwürdige Übung. Der Körper vollführt die Wellenbewegung eines Delfinschwimmers. Nach 70 Wellen springt er stolz auf. Er wird herumerzählen, dass er 70 Liegestütze am Stück schafft. Damals kannte ich das Wort "Fremdschämen" noch nicht. Wer hätte gedacht, dass ich eines Tages den unbändigen Willen entwickeln würde, diesen darstellenden Freizeit-Athleten beim Marathon zu putzen.

An die Wand hat er ein Foto von George Foreman gepinnt, der trotz leichten Hüftschwabbels seinen jungen Herausforderer Michael Moore K.o. schlägt. Der Boxer ist 48. So wie das Männchen. "Tja, wir alten Knacker", sagt er und macht 40 Sit-ups am Stück, sogar halbwegs ordentlich. Joschka Fischer in der Blüte seiner Jahre. Er spürt mit jeder Faser die süße Droge Fitness, er fühlt sich stark, voller Reserven. Er hat die härteste Trennung seines Lebens hinter sich und das Auswärtige Amt im Blick.

Jeden Morgen, wenn die künftige Ex-Hauptstadt noch schläft, rennt er durch die Rheinauen. Vor einem halben Jahr hatte er die Kapuze noch tief ins Gesicht gezogen, wenn er an der leichten Steigung am Abgeordnetenhaus japsend ins Spaziergangstempo zurückfiel. Das Herz raste, das Gesicht war puterrot, der mächtige Grüne ein Elendsberg. Keiner sollte ihn erkennen. Jetzt rennt er ohne Mütze. Alle die Gehetzten und Gemästeten sollen ihn sehen, wie er die Steigung hinaufsprintet. Wieder daheim schnipselt er drei Äpfel und vier Trockenpflaumen über eine Handvoll Cornflakes.

Tagsüber vertilgt er Berge von Äpfeln, Weintrauben und Kiwis, erst abends gehorcht er dem Körper, der nach Kohlenhydraten giert. Dann isst er meterweise Weißbrot, das er zwischen den Fingern zu Kügelchen dreht, bis es grau ist. Fisch mit Gemüse oder eine spärlich belegte Pizza gönnt er sich erst, wenn er zuvor im Fitness-Studio Eisen gestemmt hat.

"Toskana-Diät" nennt Fischer die rabiate Methode, die ihn von einem fast 30 Kilogramm schweren Fleischmantel befreit. Von ehemals 110 Kilogramm Fischer sind 83 geblieben. Neulich, berichtet der Sportsüchtige dampfend vor Stolz, habe er sich vor dem Spiegel gedreht und erstmals als "zu mager" empfunden.

Als junger Spiegel-Reporter durfte ich Fischer damals öfter mal beim Laufen begleiten. Der künftige Außenminister brauchte Zuhörer, er übte schon mal große Oper. Er war Fischer, ich die Uno-Vollversammlung, Mission: Welt retten. Ich gähnte verhalten, wie man das bei Unos so macht. Fischers Redestrom und das Plätschern des Rheins hatten was Meditatives. Fischer war verlottert in Bonn, jetzt war die Zeit des Renovierens.

Der einstige Häuserkämpfer wollte zunächst nicht wahrhaben, wie der Bonner Alltag ihn schleichend verformte. 1983, als er als "austrainierter Taxifahrer" in den Bundestag einzog, hatte er noch über die "Alkoholikerversammlung" gegrient. Dreizehn Jahre später gehörte er selbst dazu und musste "jeden Morgen den Dunst vertreiben", der über seinem Kopfkissen stand. Dass ihn seine engste Umgebung gehetzt, selbstherrlich und fett fand, nahm er nicht wahr. Er nannte Kanzler Kohl "drei Zentner fleischgewordene Vergangenheit", obschon er davon selbst nicht mehr allzu weit entfernt war.

Da schlug ihm ohne Vorwarnung "dieser riesige Stein auf den Kopf". Nach dreizehn Jahren kündigte ihm seine um siebzehn Jahre jüngere Gattin Claudia die Ehe. Fischer, von sich grenzenlos überzeugt, war plötzlich verlassen, verletzt, verzweifelt. Die private Katastrophe brachte auch den Politiker ins Schlingern. Es gab zwei Möglichkeiten: Er könnte sich vor Selbstmitleid um den Verstand saufen. Oder aber Revolution, diesmal gegen die Übermacht der Bonner Gewohnheiten. Also hat er seine Obsessionen neu geordnet. Er ist maßlos wie früher, nur eben maßlos asketisch, maßlos fitnesssüchtig und maßlos anfällig für Kitsch.

Denn um die Krise zu bewältigen, besann sich der Metzgersohn, der als Schüler wilde Radrennen fuhr, auf jene einfachen, ehrlichen und unkomplizierten Dinge, die ihm schon früher viel bedeuteten: Muskeln fürs Ego, Muße zum Grübeln, Musik für die Seele.

Joschka Fischer ist neben Reiner "Iron-Calli" Calmund der begnadetste Sportdarsteller der Republik. Sein langer Lauf zu sich selbst, die Marathons in Hamburg im Wahljahr 1998, in New York 1999 und Berlin 2000 schufen den modernen Beat, der den Start der rot-grünen Regierung unterlegte.

Als Journalist verfolgte ich die Verwandlung des Herrn F. nicht ohne Amüsement. Ich hatte Familie, Beruf und kaum noch Zeit für den Sport. Hier und da ein Läufchen, ein kurzer Morgen im Freibad, eine seltene Ausfahrt mit dem Rad. Der Triumph beim Grünwalder Triathlon war sechs Jahre alt. Eines Tages würde ich noch mal angreifen. Nur jetzt gerade nicht. Für eine Runde Laufen mit dem dicken Fischer reichte es aber allemal.

Ein paar Mal trottete ich ergeben neben ihm her. Ich war 15 Jahre jünger, fühlte mich als Vertreter des Nachrichtenmagazins ebenso bedeutend wie unsicher und wunderte mich über die gnadenlose Offenheit, mit der hier ein Politiker über seine Schwächen sprach. Ich hatte durchaus Respekt für seinen Beruf und reichlich Spottfreude für einen, der Durchschnittsleistungen in gewaltige Heldentaten umdeutete.

So rätselhaft würde ich mich bestimmt nicht verhalten, erreichte ich überhaupt je dieses biblische Alter. Warum hatte er eine Beziehung gerockt? Wieso brauchte er für jede Trockenpflaume Publikum? Was richtet die Politik mit Menschen an? Und warum wollte dieser Spinner jeden Tag laufen, laufen, laufen? So wollte ich nie werden. Vor allem nicht so wettbewerbsgeil.

Als wir in Hamburg einst Laufen waren, kurz vor der Bundestagswahl 1998, die ihn zum Vizekanzler befördern würde, da zog er am Elbberg plötzlich davon, einfach so, ohne Ansage, obwohl ich immer schneller gewesen war. Geduldig hatte ich jedes Mal auf ihn gewartet, auch wenn er bei der geringsten Steigung ins Schnaufen kam und gehen musste. So gehört sich das im Freizeitsport. Aber Fischer war kein Sportsfreund, sondern ein Einzelkämpfer. Ich dachte, er wolle ein wenig spielen. Doch nach wenigen Minuten sah ich nur noch einen dünnen schwarzen Punkt am Horizont. Natürlich erzählte er überall herum, dass er mich platt gemacht habe. Tolles Wettrennen, wenn nur einer weiß, dass es stattfindet. Politiker halt.

Für einen Sieg muss man halt Opfer bringen, zur Not alle und alles. Abgesehen von der Demütigung, abgehängt worden zu sein, habe ich Fischer diesen Egotrip nie verziehen. Seinen Marathon ist er dann in 3:43h gelaufen. Noch 17 Minuten. Eines Tages ist es soweit, Herr Fischer. Die Sache musste geklärt werden.

2. Projekt Slow-Foot

Achim trainiert für den Hamburg-Marathon, und alles kommt mal wieder ganz anders.

2.1. Nahtod-Erfahrung einer roten Socke

Achim und das Geheimtraining

Marathon-Training ist eklig. Alles tut weh. Vor allem der linke Oberschenkel, eigentlich die ganze Seite. Irgendwas ist da mittendrin, fühlt sich an wie ein Nano-Piranha, der sich durchs Bein frisst, von der Hinterbacke durch den Schenkel bis zum Knie. Oder ein Muskelfaserriss. Und der rechte Knöchel erst. Ist heiß und pocht, wenn er nicht gerade eiskalt ist und ächzt. Beide Hüften knarzen um die Wette. Ich konsumiere schon extra viel Olivenöl.