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In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche, in denen das Selbstverständnis des Menschen ins Wanken gerät, ist die Frage: »Was ist der Mensch?« aktueller denn je. Denn von der Antwort hängt ab, was wir Menschen aus der Welt, in der wir leben, und aus uns selbst machen. Vor diesem Hintergrund stellt Ferdinand Fellmann die anthropologische Frage neu: Nicht nach dem Wesen des Menschen wird gefragt, sondern, anknüpfend an die berühmte Frage Thomas Nagels (»How is it like to be a bat?«): »Wie ist es, ein Mensch zu sein?« Der Schlüsselbegriff, den Fellmann wiederentdeckt und in den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellt, ist »Lebensgefühl«. Er verbindet beide Seiten der Lebenserfahrung, die objektive und die subjektive. Bisherige philosophische Definitionen des Menschen setzten stets einzelne Züge absolut: Für Aristoteles und Descartes ist der Mensch durch Vernunft und Denken gekennzeichnet, für Hegel durch bürgerliche Sozialität, für Habermas durch kommunikatives Handeln. Erkennen und Handeln machen aber nicht den ganzen Menschen aus. Hinzu kommt das Fühlen. Die Entdeckung des Unbewussten durch die Tiefenpsychologie und der Verdrängungsmechanismen durch die Psychoanalyse haben gelehrt, dass der Mensch neben der Außenwelt in einer Innenwelt lebt, die eigenen Gesetzen der Empathie unterliegt. In neun konzisen Abschnitten verfolgt der Autor das Menschsein in verschiedenen Schichten der Lebenswelt, von den basalen Instinkten über die historischen Ausformungen des moralischen Empfindens bis hin zu postmodernen Lebensgefühlen in der globalen und digitalen Welt.
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Seitenzahl: 189
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Ferdinand Fellmann
Wie es ist, ein Mensch zu sein
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.
eISBN (PDF): 978-3-7873-3434-6eISBN (ePub): 978-3-7873-3521-3
www.meiner.de
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PrologDer Mensch im Spiegel seiner Gefühle
EinleitungÜberblick über die einzelnen Kapitel
Kapitel ILebensgefühl im Spektrum der Gefühle
Kapitel IILust und Unlust aus lebensphilosophischer Sicht
Kapitel IIISelbstbewusstsein, Ichgefühl und Erotik
Kapitel IVSympathie, Empathie und Ironie
Kapitel VWie Gefühle moralisch entscheiden
Kapitel VIGelebte Zeit zwischen Vergangenheit und Zukunft
Kapitel VIIAbsoluter Raum und gefühlte Räume
Kapitel VIIILebensgefühle in der globalen und digitalen Welt
Kapitel IXWas Lebensgefühle sind und wie man damit umgeht
EpilogSo ist der Mensch – einfach so!
Literatur
Personenregister
Der Mensch ist, was wir alle kennen.
(Demokrit)
In Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche, in denen das Selbstverständnis des Menschen ins Wanken gerät, ist die Frage: »Was ist der Mensch?« aktueller denn je. Denn von der Antwort hängt ab, was wir Menschen aus der Welt, in der wir leben, und aus uns selbst machen. Philosophen haben das Wesen des Menschen verschieden definiert, aber keine Definition ist erschöpfend. Immer sind es einzelne Züge, die hervorgehoben werden. So etwa, wenn Friedrich Nietzsche den Menschen ein »krankes Tier« nennt oder Max Scheler ihn als »Nein-sagen-Könner« bezeichnet und Sigmund Freud vom »Triebverdränger« spricht.
Überblickt man die zahlreichen Definitionen, so lassen sich zwei Grundtypen feststellen: Zoon logikon – animal rationale – und Zoon politikon – animal sociale –, wie es bei Aristoteles heißt. Am bekanntesten ist die Definition des Menschen als animal rationale, als Vernunftwesen, das den Menschen vom Tier unterscheidet. In der rationalistischen Tradition der Neuzeit, namentlich bei Descartes, steht das Denken an vorderster Stelle. Das Cogito freilich verengt das Psychische, es macht aus dem Menschen einen »Engelskopf ohne Leib«, wie Arthur Schopenhauer ironisch formuliert hat. Dagegen ist unsere Selbsterfahrung an Befindlichkeiten gebunden, die intensiver und wechselvoller sind als der reine Intellekt. Gleichwohl stellten die antiken Stoiker die Vernunft über die Triebe, und auch Spinoza war davon überzeugt, dass die Vernunft die Affekte restlos beherrschen könne. So ist die rationalistische Auffassung des Menschen als vernünftiges Lebewesen zum Gemeingut der Philosophie der Aufklärung geworden und dominiert die theoretische und praktische Philosophie bis zu Immanuel Kant und den Neukantianern.
Dagegen hat die Bestimmung des Menschen als soziales Wesen im Rahmen der idealistischen Philosophie Hegels, der das Individuum der Gesellschaft unterordnet, zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Vernünftigkeit des Menschen wird daher weniger im Erkennen als vielmehr im Handeln gesucht. Unter Handeln ist primär die politische und soziale Praxis zu verstehen, im Unterschied zum handwerklichen Herstellen. Auch Arnold Gehlen hat in seinem Klassiker Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt (1940/1966) das Handeln in den Mittelpunkt gestellt. Anders als das Tier sei der Mensch darauf angewiesen, Handlungsformen zu entwickeln, die seine biologische Unangepasstheit ausgleichen und auf Veränderung der Umwelt ausgerichtet sind. Selbst die Sprache gilt Gehlen als spezifisch menschliche Form des Handelns. Die moderne Sprachhandlungstheorie der analytischen Philosophie im Gefolge von John Austin bewegt sich auf dieser Linie.
Erkennen und Handeln machen aber nicht den ganzen Menschen aus. Hinzu kommt das Fühlen. Dieser Aspekt ist zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Rahmen des Pietismus zunehmend ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Daraufhin hat sich die Psychologie auf den Weg gemacht, den rationalistisch und soziologisch verengten Begriff des Menschen durch Beschreibungen des subjektiven Erlebens zu erweitern. Die Entdeckung des Unbewussten durch die Tiefenpsychologie und die Mechanismen der Verdrängung durch die Psychoanalyse zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben gelehrt, dass der Mensch neben der Außenwelt in einer Innenwelt lebt, die eigenen Gesetzen emotionaler Motivation unterliegt. Menschen sind Gefühlstiere höchsten Grades, mit triebhaften Willensimpulsen, die durch die Vernunft nur schwer zu kontrollieren sind.
Vor diesem Hintergrund ist es angesagt, die anthropologische Frage neu zu formulieren. Nicht nach dem Wesen des Menschen fragen wir, sondern unsere Frage lautet: »Wie ist es, ein Mensch zu sein?« Mit dieser Formulierung knüpfen wir an den bekannten Aufsatz des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel an: Wie ist es, eine Fledermaus zu sein? (Nagel 1981) Da eine Fledermaus mit anderen Sinnen ausgestattet ist als der Mensch, können wir ihre Erlebnisperspektive nicht erschließen. Die Antwort auf Nagels Frage muss sich auf Zuschreibungen beschränken, die in Analogie zu menschlichen Gefühlen dem beobachtbaren Verhalten des Tieres angemessen sind. Dabei gehen die Verhaltensforscher davon aus, dass das Tier in Übereinstimmung mit seiner Umwelt lebt, so dass Verhalten und Empfinden sich weitgehend decken.
Menschen können vom subjektiven Erleben her Auskunft darüber geben, wie es sich anfühlt, ein Mensch zu sein. Allerdings erreicht nicht alles, was wir wollen und denken, unser Bewusstsein, und unser Sprechen verschleiert oft, was wirklich in uns vorgeht. Daraus ergibt sich der paradoxe Sachverhalt, dass wir über unser Innenleben kaum besser Bescheid wissen als über das der Tiere. Angesichts dieser Undurchsichtigkeit der Subjektivität hat der Philosoph Hans Blumenberg in seinem posthum erschienenen Buch Die Beschreibung des Menschen die anthropologische Frage umformuliert. Er fragt nicht: »Was ist der Mensch?«, sondern: »Wie ist der Mensch möglich?« (Blumenberg 2006, 535). Damit will er über eine bloße Zusammenfassung einzelner Züge des Menschen hinausgelangen. Das ist ein sinnvoller Schritt, da gemäß der Gestaltpsychologie das Ganze mehr ist als die Summe der Teile. Doch »Bedingung der Möglichkeit« ist eine Formulierung aus dem transzendentalen Idealismus Kants, der ins Reich der Ideen verweist. Auch der Begründer der modernen Phänomenologie, Edmund Husserl, wollte durch seine Methode der sogenannten transzendentalen Reduktion die Strukturen des reinen Bewusstseins freilegen, die der Wirklichkeit Regeln vorgeben. Er spricht von »Wesensanschauung« als einer eigenen Erkenntnisform, die zum Urgrund der Dinge vorstoßen soll. Eine derartige Erkenntnisform, auch »Intuition« genannt, bleibt jedoch ein problematisches Postulat.
Um eine Vorstellung davon zu gewinnen, wie es ist, ein Mensch zu sein, ist es erforderlich, beide Seiten der Lebenserfahrung, die objektive und die subjektive, miteinander zu verbinden. Dafür bietet sich der Begriff »Lebensgefühl« an. Obwohl in der deutschen Alltagssprache die Rede vom Lebensgefühl geläufig ist, fehlt es an einer klaren Definition. »Lebensgefühl« ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Rahmen der Lebensphilosophie vom Psychologen Philipp Lersch als Fachterminus verwendet worden (Lersch 1941). Der Begriff hat sich aber nicht durchgesetzt, wahrscheinlich weil er durch vitalistische Vorstellungen belastet war. Hinzu kommt, dass die modernen Emotionstheorien sich an der englischen Fachliteratur orientieren und im englischsprachigen Raum »feeling of life« oder »feeling of living« weder alltagssprachlich noch als wissenschaftliche Termini gebraucht werden.
Trotz aller Einschränkungen macht es Sinn, am »Lebensgefühl« als Schlüsselbegriff der philosophischen Anthropologie festzuhalten. Die Nähe zum Begriff der Stimmung, soweit man darunter unbestimmte psychische Zustände versteht, ist offenkundig Doch »Lebensgefühl«, wie der Begriff hier verwendet wird, unterscheidet sich von Stimmungen, die schnell wechseln und das Verhalten kaum beeinflussen. Dagegen ist das Lebensgefühl eine Form der Überzeugung, die Handlungsbereitschaft impliziert. Sie verleiht dem Menschen die Gewissheit, in der Welt präsent zu sein – eine Gewissheit, die sich durch alle Befindlichkeiten, positive und negative, durchhält. Das macht die Absolutheit des Lebensgefühls aus, das wie die Liebe keiner rationalen Begründung bedarf. Das Lebensgefühl bezieht sich auf alles, was Menschen umgibt, es ist Lebensraum und Weltraum, Lebenszeit und Weltzeit zugleich. Man könnte auch von »Weltgefühl« sprechen, eine umfassende Befindlichkeit, die der Subjekt-Objekt-Spaltung des intentionalen Bewusstseins vorausgeht.
Wie »Lebensgefühl« als Schlüsselbegriff des menschlichen In-der-Welt-Seins fungiert und nach welchen Kriterien es als eigene Klasse von Emotionen definiert werden kann, erfordert eine Zugangsweise, die sich quer zu den gängigen Methoden der Lebenswissenschaften verhält. Die Biologie hat den Ausdruck der Gefühle bei Mensch und Tier verglichen und weitgehende Übereinstimmungen festgestellt (Darwin 2000). Die experimentelle Psychologie hat einzelne Verhaltensweisen und Gefühlsäußerungen untersucht und das Prinzip der »psychischen Kontraste« aufgestellt (Wundt 1914). Doch die Übersetzung der psychischen Elemente in Allgemeinbefindlichkeit bleibt ungeklärt. Auch die verstehende Psychologie von Wilhelm Dilthey, die das subjektive Erleben in den Mittelpunkt stellt, hat hier keinen definitiven Durchbruch gebracht. Um dem Gefühlsleben in seiner Ganzheit näher zu kommen, muss die Analyse von einzelnen Empfindungen absehen. Aber bleibt dann »Lebensgefühl« mehr als ein leeres Wort? Für die Antwort ist der erste Teil des Wortes aufschlussreich: »Leben«.
Nun ist »Leben« selbst ein vieldeutiger Begriff, so dass man leicht vom Regen in die Traufe gerät. Der Begriff bewegt sich zwischen zwei Bedeutungen, die sich überschneiden. Zum einen das rein organische Entstehen und Vergehen, das dem Streben nach Selbsterhaltung bei Mensch und Tier zugrunde liegt. Zum anderen die menschlichen Lebensformen, die vom Streben nach Glück geleitet sind. Wie das individuelle Leben verläuft, ob Menschen das Glück finden, nach dem sie streben, äußert sich in Gefühlen, die mit Wertungen verbunden sind. Daher ist der Mensch in seinem Denken und Tun weder gänzlich frei noch vollständig determiniert, sondern er kann zwischen emotional vorgegebenen Handlungsmöglichkeiten wählen. Dadurch wird der blinde Wille zur Vorstellung, die dem Dasein Sinn und Bedeutung verleiht.
Als Vorstellung erhält das Fühlen eine den ganzen Menschen repräsentierende Bedeutung, die über einzelne Emotionen hinausweist. Insofern besteht zwischen Leben und Gefühl eine Strukturanalogie, wie sie auch sonst bei Allgemeinbegriffen anzutreffen ist. Die Analogie besteht darin, dass die unmittelbaren Gegebenheiten des Bewusstseins erweitert werden und an die Grenze unseres Fühlens und Denkens gelangen, ohne diese vollständig auszulöschen. Insofern ist »Lebensgefühl« kein leeres Wort; es bezeichnet ein allgemeines Gefühl, das den emotionalen Hintergrund des intentionalen Bewusstseins bildet.
Lebensgefühle haben verschiedene Qualitäten, man kann sie »optimistisch«, »pessimistisch«, »tragisch« usw. nennen. Aber alle Lebensgefühle werden aus derselben Quelle gespeist, aus dem Willen zum Leben, den Sigmund Freud »Eros« genannt hat. Daher führt das Nachdenken über das Lebensgefühl stets auf das Liebesleben in der Natur zurück, auf die sinnlichen Erregungen, die den Menschen antreiben. Der dynamische Charakter des Lebensgefühls ist schon von Nietzsche hervorgehoben worden, der darin den aus dem Willen zur Macht gespeisten »Zusammenhang des Erlebten« sieht (KSA 14, 14). Sicherlich haben die meisten Betätigungen und Gefühle der Menschen nichts mit Sexualität zu tun, die zum Privatleben gehört. Und doch ist die erotische Dimension latent wirksam, wenn auch kulturell ausgerichtete Denker hier »Biologismus« vermuten. Aber die Erotik gehört nun mal zur Natur des Menschen, selbst wenn von Philosophen neuerdings bezweifelt wird, dass der Mensch überhaupt eine Natur hat.
Das Leben, wie jeder es erlebt, bedarf keiner Begründung. Die Frage, warum jemand überhaupt leben will, ist ebenso unsinnig wie die Frage, warum man glücklich werden will. Sie verweist auf das Lebensgefühl, das sich von selbst versteht und lediglich in seiner inhaltlichen Ausrichtung der näheren Bestimmung durch Motive bedarf. Das heißt aber nicht, dass das Lebensgefühl leer und bedeutungslos ist. Denn Selbstverständlichkeit bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Das Lebensgefühl hat eine innere Verbindung zur Lebenserfahrung, ein implizites Wissen, das den Menschen erste Orientierung im Umfeld bietet. Die Phänomenologie spricht von »Selbstgegebenheit« allgemeiner Vorstellungen, die dem objektiven Erkennen von Gegenständen vorausgeht. Kurzum: Bewusstseinszustände haben ihre subjektive Evidenz, die im Lebensgefühl als selbstverständlich erfahren wird. Der Begründer der biologischen Umweltlehre, Jakob von Uexküll, hat in seinem Erinnerungsbuch Niegeschaute Welten die Schwierigkeiten im Umgang mit dem Selbstverständlichen klar ausgesprochen: »Das Selbstverständliche ist das dunkelste Forschungsgebiet« (von Uexküll 1936, 96).
Um das Selbstverständliche verständlich zu machen, hat Hans Blumenberg eine »Theorie der Unbegrifflichkeit« entworfen, die gefühlte Bedeutungen durch Metaphern erschließen will. Dieses Programm beschreibt Blumenberg so: »Es geht um die schlichte Sistierung von Gegenwart als Selbstverständlichkeit, die den Zeitgenossen immer als das letzte Wort erscheinen wird, das zur Sache zu sagen war« (Blumenberg 1979, 83). Damit wird ein phänomenologischer Zugang zum Lebensgefühl eröffnet, bei dem »Leben« als Objekt und gleichzeitig als sich selbst genügende Subjektivität fungiert. In diesem Doppelsinn führt der Begriff des Lebensgefühls zur Beschreibung des Menschen, die so alt ist wie die Geschichte von Adam und Eva.
Eine lebensphilosophische Anthropologie, wie sie in diesem Buch vertreten wird, sucht das Menschsein in verschiedenen Schichten des psychischen Lebens, von der unbewussten Triebhaftigkeit bis zu den symbolischen Formen des Bewusstseins. Sie beschränkt sich nicht auf Individual- und Sozialpsychologie, sondern bezieht die evolutionäre Psychologie mit ein. Das Erwachen der vorsprachlichen Gefühle, die wir Neugeborenen zuschreiben, wird von modernen Evolutionsbiologen in Szenarien der Menschwerdung auf die Gattung übertragen. So lässt sich im Vergleich mit dem Tier veranschaulichen, wie es dazu gekommen ist, sich als Mensch zu fühlen.
In Anlehnung an Heinrich von Kleists Marionettentheater möchte ich mein methodisches Vorgehen etwas poetisch so formulieren: Das Paradies ist uns verschlossen, seit wir vom Baum der Erkenntnis gegessen haben, doch »wir müssen die Reise um die Welt machen, und sehen, ob es vielleicht von hinten irgendwo wieder offen ist« (Kleist 1984, 88). Das Lebensgefühl bringt uns durch seine Selbstreferenz zurück ins Paradies, freilich auf einer höheren Ebene der Reflexion. Damit ist das Leib-Seele-Problem zwar nicht gelöst, aber doch ein Weg aufgezeigt, wie die Sprache der Gefühle in Wortsprache übersetzt werden kann. Auf jeden Fall werden wir auf unserer Reise ins Reich der Lebensgefühle erleben, wie es ist, ein Mensch zu sein – selbstverständlich.