Lebensweltorientierte Pflege - Heinz-Joachim Büker - E-Book

Lebensweltorientierte Pflege E-Book

Heinz-Joachim Büker

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Beschreibung

Sie möchten pflegebedürftige Menschen begleiten und unterstützen? Wollen beraten und Wege für eine individuelle Lebensgestaltung aufzeigen? Doch welche tiefergehenden Kenntnisse brauchen Sie als professionell Pflegende:r, um diese anspruchsvolle Aufgabe zu erfüllen? Das Lehrbuch "Lebensweltorientierte Pflege" orientiert sich an neuen bundeseinheitlichen Rahmenlehrplänen für Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner. Es macht mit der curricularen Einheit 09 vertraut und hilft sie umzusetzen. Mit zahlreichen Beispielen aus der Praxis und Antworten auf viele Alltagsfragen. Die Themenpalette reicht von rechtlichen Fragen über die Leistungen medizinischer und pflegerischer Systeme bis zur Wechselwirkung zwischen Individuum und Umwelt. Ein ideales Arbeitshandbuch für Lehrende wie Lernende.

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Seitenzahl: 336

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H.-Joachim Büker, Margret Schumacher

Lebensweltorientierte Pflege

Ein Lehrbuch für die Ausbildung zur Pflegefachfrau/zum Pflegefachmann

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Sämtliche Angaben und Darstellungen in diesem Buch entsprechen dem aktuellen Stand des Wissens und sind bestmöglich aufbereitet.

Der Verlag und der Autor können jedoch trotzdem keine Haftung für Schäden übernehmen, die im Zusammenhang mit Inhalten dieses Buches entstehen.

© VINCENTZ NETWORK, Hannover 2021

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Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen und Handelsnamen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres von jedermann benutzt werden dürfen. Vielmehr handelt es sich häufig um geschützte, eingetragene Warenzeichen.

Druck: Gutenberg Beuys Feindruckerei GmbH

Titelseite: Kadie Schmidt-Hackenberg (Illustration Hände), Adobe Stock, kronalux

IIllustration: Kadie Schmidt-Hackenberg

Satz: Heidrun Herschel, Wunstorf

ISBN 978-3-7486-0362-7

Einleitung – Lebensweltorientierte Pflege – Ein Lehrbuch für die Ausbildung zur Pflegefachfrau/zum Pflegefachmann

Kapitel 1 – Lebenswelten‚ Beratungsauftrag‚ berufskundliche Einordnung: Recht als Rahmen und Orientierung

Kapitel 2 – Die Bundesrepublik Deutschland – ein Sozialstaat

2.1 Die Leistungen des Sozialstaates

2.2 Grundprinzipien der Sozialversicherungen

Kapitel 3 - Das Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland – strukturelle Merkmale

3.1 Die Rolle des Staates

3.2 Die Rolle der Verbände

Kapitel 4 - Leistungsträger und -erbringer im Gesundheitswesen

4.1 Leistungserbringer „Vertragsärzt:innen“ – Die medizinisch ambulante Versorgung

4.2 Leistungserbringer Krankenhäuser und Heilmittelerbringer – Die medizinisch stationäre Versorgung

4.3 Leistungserbringer Apotheken – Arzneimittelversorgung

4.4 Hilfsmittelerbringer

4.5 Versorgung Pflege

4.5.1 Entwicklung der Pflegeversicherung

4.5.2 Voraussetzungen für den Erhalt von Leistungen – Pflegegrade

4.5.3 Zur Pflegebedürftigkeit bei Kindern

4.5.4 Pflegebedürftigkeit in unserer Gesellschaft – eine Bestandsaufnahme

4.5.5 Die Leistungen der Pflegeversicherung im Pflegefall

Sonstige/Weitere Leistungen

4.5.6 Pflegeberatung

Kapitel 5 – Individuum trifft auf Gesellschaft: Zum Prinzip der Lebensweltorientierung

Kapitel 6 – Systeme, Zonen und Inseln – Sozialökologische Betrachtungsweisen zur Beschreibung von Lebensräumen

6.1 Wege in den Beruf – Erklärungen mit dem Systemmodell nach Bronfenbrenner

6.2 Ein Oberschenkelhalsbruch und seine Folgen – Erläuterungen nach dem Ansatz von Baacke

6.3 Bedeutung von Räumen für Kinder und Jugendliche – Das Inselmodell nach Zeiher

Kapitel 7 – Erklärungsansätze Ebene Individuum

7.1 Auch bei Krankheit Entwicklung erfolgreich gestalten – Das Konzept der Entwicklungsaufgaben nach Erikson

7.2 Das Leben der anderen im Blick haben – Die biografische Perspektive

7.3 Abschied nehmen und neu ankommen: Transitionsprozesse gestalten

Kapitel 8 – Sozialraum – der Ort, in dem wir leben

8.1 Sozialraumorientierung – theoretische Grundlagen

8.2 Sozialraumorientierung – konkret

8.2.1 Die Umgebung erfassen: Sozialraumerkundung

8.2.2 Das Individuum in seinem Umfeld fördern: Persönliche Zukunftsplanung/Familienrat

8.2.3 Und wieder zurück: Ein Heimkonzept mit Rückkehroption

8.2.4 Buurtzorg und die Gemeindeschwester: Alternative Konzepte für ambulante Pflege

8.2.5 Kommunikation digital: Neue Wege im Miteinander

8.2.6 Von A nach B: Mobilität im Sozialraum

Kapitel 9 – Sozialräumlich orientierte Gesamtkonzepte – Best practice

9.1 Sorgende Gemeinschaften: Bürgerschaftliches Engagement als Alternative

9.2 Gesunde Stadt: Beispielhafte Aktivitäten vor Ort

9.3 Frühe Hilfen: Familien und Kinder – Unterstützung beginnt mit der Geburt

Kapitel 10 – Vielfalt ermöglichen – Inklusion in Pflege und Medizin

Kapitel 11 – Was sagt die Politik? Exemplarische bundes-‚ landes- und kommunalpolitische Entwicklungen

Kapitel 12 – Ein vertiefender Blick auf das Alter

12.1 Pflegende Angehörige: Das Rückgrat der Versorgung

12.2 Wohnen: Die Vielfalt der Möglichkeiten im Blick haben

12.3 Demenzfreundliche Kommunen: sich der Ausgrenzung entgegenstellen

12.4 Die Verantwortung der Kommune

Autor/Autorin

Einleitung

Lebensweltorientierte Pflege – Ein Lehrbuch für die Ausbildung zur Pflegefachfrau/zum Pflegefachmann

„Erstmals in der Reformgeschichte der Pflegeausbildungen sind zur nachhaltigen Umsetzung der Reformansprüche […] bundeseinheitliche Rahmenlehrpläne mit empfehlender Wirkung erarbeitet worden. Sie dienen den Pflegeschulen und den Trägern der praktischen Ausbildung als Orientierungshilfe für die Entwicklung der schulinternen Curricula einerseits und der Ausbildungspläne andererseits.“ (1)

So, wie die neuen Rahmenlehrpläne für die Ausbildung von Pflegefachkräften eine Orientierung sein wollen, hat auch das vorliegende Lehrbuch den Anspruch, Impuls- und Ideengeber zu sein für die curriculare Einheit 09, „Menschen bei der Lebensgestaltung lebensweltorientiert unterstützen“. Das Lehrbuch orientiert sich an den dort formulierten zentralen Themen und Zielsetzungen, nimmt für sich jedoch in Anspruch – auch angesichts der Vielfalt ausgewiesener Kompetenzen –, diese in einer eigenen Systematik zu bearbeiten. Im Zentrum bleibt jedoch der formulierte Anspruch, dass „beruflich Pflegende die zu pflegenden Menschen und ihre Bezugspersonen bei der Bewältigung von Entwicklungsherausforderungen begleiten, unterstützen und beraten, um eine individuelle Lebensgestaltung zu ermöglichen.“ (2)

Das Lehrbuch stellt zunächst als Handlungsrahmen – als sekundäres soziales Netzwerk bzw. als Makrosystem (Bronfenbrenner) – das Sozial- und Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland vor. Um bei kranken und pflegebedürftigen Menschen angemessen beratend und begleitend tätig werden zu können, ist grundlegendes Wissen über die rechtlichen Bezüge, über die Funktionsweise der ambulanten und stationären medizinischen und die pflegerischen Systeme von Bedeutung (→ 2. - 4. Kapitel).

Die Wechselwirkung zwischen dem Individuum und seiner Umwelt steht im Zentrum des 5. Kapitels. Sozialökologische und interaktionistische Modelle für Gesellschaft und Individuum stehen hier im Vordergrund. Die Bedeutung dieser Ansätze vor dem Hintergrund von Krankheit und Pflegebedürftigkeit wird an Beispielen erläutert. Die Aufgabe von Pflegefachkräften wird darin gesehen, den Menschen in seinen (herausfordernden, krisenhaften) Entwicklungssituationen – eingebettet in die Wirkungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – erfassen zu können (→ 5. - 7. Kapitel).

Als Teil dieser gesellschaftlichen Rahmenbedingungen kann sicher auch der Sozialraum gesehen werden. Die erkenntnisleitende Fragestellung lautet: Wie können Sozialräume gestaltet sein, damit den Lebensrisiken Krankheit und Pflege in vernetzten und ressourcenorientierten Strukturen angemessen begegnet werden kann? Hierzu werden methodisches Inventar, aber auch Gesamtkonzepte und Best-Practice-Modelle vorgestellt. (→ 8. und 9. Kapitel)

Inklusion als gesellschaftspolitische Querschnittsaufgabe berührt dementsprechend die Pflege als lebensweltorientierte Aufgabe. Dimensionen dieses Paradigmas sollten Bestandteile pflegerischer Konzepte werden (→ Kapitel 10).

Die Darstellung bundes-, landes- und kommunalpolitischer Überlegungen zu sozialräumlich-/lebensweltorientierten Konzepten lässt auch deutlich werden, dass derartige Überlegungen zukunftsweisenden Charakter haben und auch aus politischer Sicht als notwendige Ergänzung klassischer Versorgungstrukturen akzeptiert und vorangetrieben werden (→ Kapitel 11).

Abschließend, in einem Erweiterungsteil dieses Lehrbuches, findet ein vertiefender Blick auf das Alter statt. Er richtet sich insbesondere an diejenigen, die ihre berufliche Zukunft in der Altenhilfe - pflege sehen. Zunächst steht im Focus die Situation ‚Pflegender Angehöriger’: Daten und Fakten sowie mögliche Motivationslagen für die Versorgung der Angehörigen werden thematisiert. Aus sozialräumlicher Perspektive interessant und von Bedeutung wird das Thema Wohnen – als eine der Schlüsselfragen in der Versorgung älterer Menschen beleuchtet. Ein weiteres Kapitel widmet sich dem Thema Demenz. Demenz gilt als Begleiterscheinung einer älter werdenden Gesellschaft. ‚Demenzfreundliche Kommunen‘ wollen hier lebensweltorientierte Antworten finden. Die kommunale Verantwortung für notwendige Veränderungsprozesse wird in dem das Buch abschließenden Kapitel begründet (→ Kapitel 12.).

Vertiefendes, Erweiterndes, Historisches, Kritisches begegnen Ihnen unter der Rubrik Info .

Anmerkungen:

(1)

Rahmenlehrpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG, 01.August 2019, S.5

(2)

Curriculare Einheit 09 (CE 09), Menschen bei der Lebensgestaltung lebensweltorientiert unterstützen, ebenda, S. 181

Kapitel 1

Lebenswelten‚ Beratungsauftrag‚ berufskundliche Einordnung: Recht als Rahmen und Orientierung

Kultur und Zivilisation der Bundesrepublik Deutschland haben wesentliche Grundlagen. Sie basieren auf einem „… System gesellschaftlicher, juristischer und politischer Regeln, die so reibungslos ineinandergreifen, wie die Zahnräder eines riesigen Uhrwerks.“ (1) Viele dieser Regeln sind informell, sind als Werte und Normen prägend für unsere Gesellschaft. Zu solchen Werten gehören z. B. Ehrlichkeit, Friedfertigkeit, Treue, Toleranz, Erfolg oder Gerechtigkeit. Derartige Werte konkretisieren sich in Normen wie „andere Menschen und deren Überzeugungen akzeptieren“, „Konflikte nicht mit Gewalt lösen“ oder „Niemanden betrügen“. Dieses – oftmals unausgesprochene – Regelwerk wird sicher nicht von allen Bürger:innen der Bundesrepublik gleich gelebt. Für nicht wenige ist die Notlüge kein Problem, Steuerhinterziehung ein Kavaliersdelikt und der Klaps in den Nacken ein erlaubtes Erziehungsmittel.

Neben diesem – eher wenig verbindlichen Verhaltenskodex für unsere Gesellschaft – gibt es eine schriftlich fixierte Rechtsordnung, die mit Verbindlichkeit die Beziehungen der Bürger untereinander (Privatrecht) und die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat (Öffentliches Recht) regelt. Diese Rechtsordnung gilt für alle Bürger gleich.

Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner sind in der Ausübung ihres Berufes auch Teil dieses Rechtssystems und durch wichtige Fragestellungen berührt, wie z. B. beim richtigen Umgang mit Arznei- oder Betäubungsmitteln oder bei arbeitsrechtlichen Fragen, wenn es um die Rechte und Pflichten als Arbeitnehmer:in geht.

Beim Blick auf die Lebenswelten von Menschen, die es aus medizinischer und/oder pflegerischer Sicht zu betreuen und zu begleiten gilt, stehen der sozialstaatliche Auftrag der Bundesrepublik und die aktuellen Sozialleistungen im Vordergrund. Die vom Staat zur Verfügung gestellten und von den Bürger:innen in Anspruch genommenen Leistungen befinden sich dabei in einer kontinuierlichen Dynamik.

Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, die kranke und alte Menschen in ihren Lebenswelten unterstützen wollen, müssen um den Versorgungsrahmen dieser Lebenswelten wissen. Dazu gehören die Sozialversicherungen, die den Rahmen für die Leistungen und Leistungserbringer in der medizinischen und pflegerischen Versorgung definieren: Ambulante und (teil-) stationäre Systeme im Gesundheitswesen, zu denen auch der Bereich Pflege gehört, stellen aber ebenso einen berufsständischen Rahmen dar, der für die Einordnung der eigenen Profession wichtig ist.

Die Kenntnisse aus diesen Bereichen erfüllen deshalb einen mehrfachen Zweck: Zum einen stellen sie eine Grundlage dar, Lebenswirklichkeiten zu erfassen: Wie sind die Bedingungen, unter denen kranke und alte Menschen in der Bundesrepublik leben? Wie sind die sozialrechtlichen Voraussetzungen?

Zum anderen sind sie Voraussetzung, um dem beruflichen Unterstützungs- und Beratungsauftrag nachkommen zu können. Konkret: Nur das Wissen um die Ansprüche aus der Pflegeversicherung für kleinere Umbauten in der eigenen Häuslichkeit ermöglicht in vielen Fällen alten Menschen den Verbleib in der eigenen Wohnung. Anders ausgedrückt: Vom Wissen zur Beratung zur veränderten Lebenslage.

Letztlich geben diese Kenntnisse auch Aufschluss über die eigene – berufskundliche – Einordnung in das System von Gesundheit und Pflege. Wie sind diese Systeme strukturiert? Wie ist die eigene professionelle Zuordnung innerhalb des Leistungsapparates?

Übersicht:

Anmerkungen

(1)

Harari, Yuval Noah, Eine kurze Geschichte der Menschheit, München 2015, S. 201

Kapitel 2

Die Bundesrepublik Deutschland – ein Sozialstaat

„Die Bundesrepublik ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“ (Artikel 20 Grundgesetz). Mit dieser Feststellung im Grundgesetz in Artikel 20 (und darüber hinaus in Art 28) haben die Mitglieder des Parlamentarischen Rates, die mit der Schaffung einer (neuen) Verfassung nach dem 2. Weltkrieg durch die Alliierten beauftragt waren, im Jahr 1949 festgelegt, was den neuen deutschen Staat prägen, nach welchen Prinzipien er aufgebaut sein/werden sollte: er musste und muss eine Demokratie sein, ein Rechtsstaat, ein föderalistischer Staat (Bundesstaat), ein Sozialstaat.

Demokratie bedeutet Volksherrschaft. Diese wird in unserem Staat über die vom Volk durch Wahlen bestimmte Volksvertreter:innen in den Parlamenten (Bundestag, Landesparlamente) ausgeübt.

Ein Rechtsstaat ist ein Staat, in dem Regierung und Verwaltung nur im Rahmen der bestehenden Gesetze handeln dürfen. Die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger müssen garantiert sein, staatliche Entscheidungen müssen von unabhängigen Gerichten überprüft werden können.

Ein föderalistischer Staat (ein Bundesstaat) setzt sich aus mehreren Staaten zusammen. Die Bundesrepublik Deutschland besteht aus 16 Bundesländern (-staaten). In einem föderalistischen Staat ist die politische Macht zwischen Bund und Ländern aufgeteilt.

Die Bundesländer haben eigene (Landes-) Parlamente und (Landes-) Regierungen. In wenigen Bereichen können die Länder alleine entscheiden, so z.B. im Bereich Schulen, ansonsten arbeiten die Länder sehr eng mit der übergeordneten Regierung, der Bundesregierung (auch Bund genannt), zusammen. An den vom Bundestag, dem Bundesparlament, verabschiedeten Gesetzen, wirken sie über den Bundesrat mit. Hier sind die Länder mit unterschiedlicher Stimmenzahl – je nach Größe des Bundeslandes – vertreten.

Wenden wir uns nun dem Begriff „Sozialstaat“ zu, mit Blick auf das folgende Kapitel, „Das Gesundheitswesen der Bundesrepublik Deutschland“ ein Strukturprinzip mit besonderer Bedeutung.

„Sozialstaat meint eine weit ausgebaute Sozialpolitik für alle Staatsbürger oder zumindest einen Großteil von ihnen. (…) Mit der Sozialpolitik übernimmt dieser Staat Verantwortung für die Befindlichkeit der Gesellschaft. (…) Dabei (soll er) vor allem materielle Verelendung verhindern, besser gegen die Wechselfälle des Lebens wie Alter, Krankheit oder Invalidität sichern, krasse soziale Ungleichheit eindämmen, den Wohlstand und seine Ausbreitung fördern und für sozialen Ausgleich in der Gesellschaft und in der Arbeitswelt sorgen“ (1) oder, wie es das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss von 1951 bezogen auf Artikel 20 formuliert hat, sich um einen erträglichen Ausgleich der widerstreitenden Interessen und um die Herstellung erträglicher Lebensbedingungen für alle bemühen. (2)

Das Bundesverfassungsgericht sieht das Gebot der Sozialstaatlichkeit (sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit) aber nicht nur durch Artikel 20 GG gegeben, sondern u. a. auch durch Artikel 1 des Grundgesetzes. Aus Absatz 1 „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“ leitet es in einer Entscheidung aus dem Jahr 1954 den Anspruch der BürgerInnen auf Gewährung eines Existenzminimums her. (3)

Das Sozialstaatsprinzip zielt – zusammengefasst – im Wesentlichen auf zwei Aspekte: soziale Gerechtigkeit und soziale Sicherung.

Soziale Gerechtigkeit bedeutet, dass der Staat versucht, einen gewissen Ausgleich zwischen Armen und Reichen herzustellen, zwischen denjenigen, die über ein höheres Einkommen (und ggfs. Vermögen) verfügen, und denjenigen, die weniger oder gar nichts verdienen.

Soziale Sicherung will die Folgen der größten Risiken im Leben des Menschen wie Krankheit, Alter und Pflegebedürftigkeit, Unfall und Arbeitslosigkeit auffangen. Diese Risiken können ursächlich dafür sein, dass man in seiner Arbeitsfähigkeit eingeschränkt wird oder gar nicht mehr arbeiten kann und entsprechend weniger oder gar nicht mehr verdient.

2.1 Die Leistungen des Sozialstaates

Die Leistungen des Sozialstaates, mit denen er versucht, soziale Gerechtigkeit herzustellen und soziale Sicherung zu gewährleisten, sind sehr umfassend und differenziert. Davon zeugen nicht zuletzt 12 Gesetzesbücher, die Sozialgesetzbücher, in denen (fast) alle rechtlichen Grundlagen für die Gewährung sozialer Leistungen im Rahmen des Sozialstaates erfasst sind.

Sozialgesetzbücher – Übersicht

Ziffer

Titel

Leistungsträger (= Anlaufstelle für die jeweiligen Leistungen)

Leistungen – Kurzbeschreibung

I

Allgemeiner Teil

Hier werden die Aufgaben der Sozialgesetzbücher beschrieben, die Rechte und Pflichten der Leistungsempfänger. Darüber hinaus Vorschriften, die für alle Leistungsbereiche gelten.

II

Grundsicherung für Arbeitssuchende

Bundesagentur für Arbeit

Örtliche Agenturen für Arbeit, Jobcenter

Im SGB II geht es um die Förderung von erwerbsfähigen Personen über 15 und unter 65 Jahren sowie deren Angehöriger soweit diese über kein ausreichendes Einkommen verfügen. Mit der Einführung von Hartz IV wurden Arbeitslosen- und Sozialhilfe in der Grundsicherung für Arbeitssuchende zusammengelegt und die grundsätzliche Zuständigkeit für erwerbsfähige Arbeitslose an die Agenturen für Arbeit übertragen.

III

Arbeitslosenversicherung

Arbeitsförderung

Bundesagentur für Arbeit mit den örtlichen Agenturen für Arbeit

Das SGB III hat das vorrangige Ziel, arbeitssuchenden Personen während ihrer Arbeitssuche das Einkommen zu sichern. Es regelt auch sämtliche Leistungen und Maßnahmen zur Arbeitsförderung und zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am Arbeitsleben.

IV

Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung

Das SGB IV umfasst Bestimmungen für die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung, Alterssicherung für Landwirte, Pflegeversicherung Arbeitsförderung, Sozialhilfe und Grundsicherung.

V

Gesetzliche Krankenversicherung

Krankenkassen

Das SGB V regelt die Organisation und Zuständigkeit der gesetzlichen Krankenkassen sowie den Umfang des Leistungsanspruchs der Versicherten.

VI

Gesetzliche Rentenversicherung

Rentenversicherungsträger

Das SGB VI regelt die Grundlagen für die Rentenversicherung.

VII

Gesetzliche Unfallversicherung

Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaften)

Im SGB VII finden sich die Regelungen für die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen der öffentlichen Hand, Vorschriften für Arbeitsunfälle, Wegeunfälle sowie Berufskrankheiten.

VIII

Kinder- und Jugendhilfe

Jugendämter

Das SGB VIII, auch KJHG (Kinder- und Jugendhilfegesetz) genannt, fasst alle wesentlichen Regelungen im Jugendhilferecht zusammen.

IX

Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen

Alle hier genannten Sozialleistungsträger außer Pflegekassen und Sozialämter sowie Eingliederungshilfeträger, Versorgungsämter, Hauptfürsorgestellen und Integrationsämter.

Das SGB IX trifft Regelungen für behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen, Regelungen zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen.

X

Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz

Im SGB X finden sich Regelungen des sozialrechtlichen Verfahrens, des Schutzes der Daten sowie der Zusammenarbeit der Sozialleistungsträger untereinander.

XI

Soziale Pflegeversicherung

Pflegekassen

Das SGB XI beinhaltet Regelungen zur Pflegeversicherung.

XII

Sozialhilfe

Sozialämter

Im SGB XII finden sich Hilfen für den Einzelnen im Fall seiner Bedürftigkeit durch Leistungen der Sozialhilfe.

Bis in die 70er-Jahre des letzten Jahrhunderts war – seit Bestehen der Bundesrepublik – eine Vielzahl von Gesetzen im Sozialrecht entstanden mit der Folge, dass selbst Fachleute das Sozialrecht kaum noch überschauen konnten. Durch die Zusammenfassung einer Vielzahl von Spezialgesetzen in jeweils einem einheitlichen Werk, die man ab den 70er-Jahren in Angriff nahm, soll(te) das Sozialrecht sowohl für juristische Laien und Betroffene als auch für Fachleute besser zu erfassen sein, verständlicher werden. Die Einordnung von bestehenden Gesetzen in bestehende oder zusätzlich zu schaffende Sozialgesetzbücher ist aber heute immer noch nicht abgeschlossen. Langfristig auch in das SGB eingeordnet werden sollen z. B. das BEEG (Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz), das BKGG (Bundeskindergeldgesetz), das BAFöG (Bundesausbildungsförderungsgesetz) und weitere.

So umfangreich und vielfältig die sozialen Leistungen in unserem Sozialstaat auch sind, wie auch die vorangehende Übersicht über die Sozialgesetzbücher belegt, so lassen sie sich jedoch alle im Hinblick auf ihre Zielsetzungen und AdressatInnen 3 Kategorien bzw. Säulen zuordnen: der Sozialversicherung bzw. sozialen Vorsorge, der Versorgung bzw. sozialen Entschädigung und der Fürsorge bzw. sozialen Förderung (siehe Tabelle S. 18).

Wegen ihrer hohen Bedeutung bezeichnet man die Sozialversicherungen (die gesetzliche Krankenversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung, die gesetzliche Rentenversicherung, die Arbeitslosenversicherung, die soziale Pflegeversicherung) auch als das „Rückgrat“ der sozialen Sicherungssysteme.

Säulen der sozialen Sicherung

Sozialversicherung/soziale Vorsorge

Versorgung/soziale Entschädigung

Fürsorge/soziale Förderung und Sozialhilfe

Soziale Vorsorge ist im Wesentlichen deckungsgleich mit dem der Sozialversicherungen. Die Sozialversicherungen dienen ja der Vorsorge von Verdienst- bzw. Einkommensausfall durch z. B. Alter, Arbeitslosigkeit, Invalidität, Krankheit, Mutterschaft, Pflegeabhängigkeit oder auch durch den Tod des Ernährers.

Die Leistungen werden von den Beiträgen der Versicherten finanziert.

Darunter fallen staatliche Leistungen für Bürger, die entweder Opfer oder besondere Leistungen für die Gemeinschaft erbracht haben. Dazu gehören z. B. sowohl Entschädigungszahlungen an die Hinterbliebenen von Kriegsopfern wie auch die Beamtenversorgung.

Die Leistungen werden aus Steuermitteln finanziert.

Leistungen, die dieser Kategorie zuzuordnen sind, sind solche, die besondere Belastungen oder Leistungsschwächen des Einzelnen ausgleichen sollen. Sie umfassen u. a. die Ausbildungsförderung, das Kindergeld, Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe, das Wohngeld, die Grundsicherung für Arbeitssuchende, die Sozialhilfe.

Die Leistungen werden aus Steuermitteln finanziert.

Dass eine solche Einordnung der Sozialversicherungen ihre Berechtigung hat, macht auch die nachfolgende Grafik (4) deutlich.

Sie zeigt, dass bei einer Gesamtsumme aller Sozialleistungen im Jahr 2018 in Höhe von 995,9 Milliarden € weit mehr als die Hälfte aller Sozialleistungen von den Sozialversicherungen getragen wurden.

G. Bäcker, Leiter des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg, Essen, das interdisziplinäre und international vergleichende sozialwissenschaftliche Forschung in den Bereichen Beschäftigung, Arbeit- und Arbeitsgestaltung, Sozialsysteme und Bildung betreibt, resümiert: „Eine überragende Bedeutung im sozialen Sicherungssystem hat die Sozialversicherung: Mehr als die Hälfte (60,9 %) aller Sozialleistungen werden über die Sozialversicherung abgewickelt. Darunter befinden sich die Rentenversicherung mit einem Anteil von 30,3 % und die Krankenversicherung mit einem Anteil von 22,9 %. An dritter Stelle folgt die soziale Pflegeversicherung mit einem Anteil von 3,8 %. Die Charakterisierung des deutschen Sozialstaats als „Sozialversicherungsstaat“ findet hier ihre empirische Bestätigung“. (5)

2.2 Grundprinzipien der Sozialversicherungen

Nachfolgend die Prinzipien, die den Sozialversicherungen, ihrer Gestaltung und ihren Ausrichtungen/Zielsetzungen, zugrunde liegen, die dafür sorgen, dass in einer Notlage dem Einzelnen wirkungsvoll beigestanden werden kann.

Die Versicherungspflicht

Große Teile der Bevölkerung unterliegen der Versicherungspflicht. Von den rund 83 Millionen Menschen in Deutschland waren Ende 2018 mehr als 73 Millionen in der GKV (gesetzlichen Krankenversicherung) versichert.

Mehr als die Hälfte aller Mitglieder der GKV (33,8 Millionen oder 59,6 Prozent) waren im Juli 2019 Pflichtmitglieder mit einem Einkommen bis 60.750 Euro im Jahr beziehungsweise 5.062,50 Euro im Monat (Versicherungspflichtgrenze 2019). Weitere sechs Millionen Menschen (10,6 Prozent) waren freiwillig versichert (6).

Arbeitnehmer mit einem beitragspflichtigen Jahreseinkommen über der Jahresarbeitsentgeltgrenze, die sich jährlich verändert (2018: 59.400 €), haben die Wahl, sich freiwillig bei einer gesetzlichen Krankenkasse oder einem privaten Krankenversicherer zu versichern.

Die Solidarität

Die zu versichernden Risiken werden von allen Versicherten gemeinsam getragen, und zwar unabhängig davon, wieviel die Versicherten an die Sozialversicherungen gezahlt haben. Durch diesen Ansatz soll ein Ausgleich geschaffen werden zwischen Jung und Alt, Singles und Familien, gut und weniger gut Verdienenden.

Die Beitragsfinanzierung

Die Finanzierung der Sozialversicherungen erfolgt mit den Beiträgen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Die Beitragshöhe richtet sich nach dem Bruttogehalt der Arbeitnehmer, wobei es aber eine Beitragsbemessungsgrenze gibt. Die Beitragsbemessungsgrenze ist eine Rechengröße im deutschen Sozialversicherungsrecht. Sie bestimmt, bis zu welchem Betrag das Arbeitsentgelt oder die Rente eines gesetzlich Versicherten für Beiträge der gesetzlichen Sozialversicherung herangezogen wird.

Zur Verdeutlichung ein fiktives Beispiel: Ein Arbeitnehmer verdient monatlich 5000,- € brutto, der Beitrag für die Krankenversicherung beträgt 14,6 % und für die Pflegeversicherung 2,55 %. Die Beiträge für die beiden Versicherungen werden nun aber nicht prozentual vom Bruttoverdienst (5.000,- €) berechnet, sondern vom Höchstbetrag, den die Beitragsbemessungsgrenze vorgibt: 4.687,50 €. Entsprechend würde der Beitrag für die Krankenversicherung 684,36 € betragen (4.687,50 € x 14,60 %) und der Beitrag für die Pflegeversicherung 119,53 € (4.687,50 x 2,55 %) (7).

Mit Ausnahme der Unfallversicherung, in die allein der Arbeitgeber einzahlt, zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber in der Regel zu gleichen Anteilen (= paritätisch), die sich von Jahr zu Jahr ändern können, aber nicht zwangsläufig ändern, ein. In 2018 waren das für die Krankenversicherung jeweils 7,3 %, für die Rentenversicherung jeweils 9,3 % (Die Bemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung liegt bei 7.100,- € bzw. 6.700,- € in den neuen Bundesländern), für die Arbeitslosenversicherung jeweils 1,5 % und für die Pflegeversicherung jeweils 1,275 %.

Bezogen auf die Rentenversicherung ist anzumerken, dass diese neben den Einzahlungen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber erhebliche Bundeszuschüsse, also Steuermittel, braucht. Dies hängt u. a. mit der steigenden Lebenserwartung der Deutschen, einem gleichzeitigen Rückgang der Geburten und dadurch fehlenden Beiträgen in den Kassen der Sozialversicherung zusammen.

Die Freizügigkeit

Dieses Prinzip wurde innerhalb der Europäischen Union im Rahmen des Binnenmarktes eingeführt. Jeder Bürger kann sich in allen Mitgliedstaaten frei bewegen, aufhalten und arbeiten und genießt vergleichbare soziale Rechte.

Die Selbstverwaltung

Der Staat übergibt die Steuerungsaufgaben und Verantwortungsbereiche an die einzelnen Träger der Sozialversicherung. Unter Beteiligung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern können sie diese selbstständig erfüllen.

Das Äquivalenzprinzip

Dieses Prinzip gilt bei der Rente und auch beim Arbeitslosengeld. Es bedeutet, dass sich die Leistungen für die Versicherten nach der Höhe der von ihnen in der Erwerbsphase eingezahlten Beiträge richten.

Info...

Die Wurzeln des Sozialstaates – ein Blick in die Geschichte

Wie oben schon ausgeführt, bezeichnet man die erste der drei Säulen des Sozialstaates, die Säule „Sozialversicherung / soziale Vorsorge“ auch als das Rückgrat der sozialen Sicherungssysteme und hebt damit ihre besondere Bedeutung im Sozialstaat hervor. Es sind auch die Sozialversicherungen, die sozusagen den Grundstein für den Sozialstaat unserer Zeit gelegt haben, und zwar in einer Zeit, in der sozialstaatliches Handeln bzw. eine staatliche Sozialpolitik noch ganz und gar nicht als Aufgabe des Staates gesehen wurde, nicht zum allgemeinen Staatsverständnis gehörten, nämlich im 19. Jahrhundert.

Prägend für das 19. Jahrhundert war die (von England ausgehende) Industrialisierung, die die Arbeitswelt mit technisch neuen Produktionsmöglichkeiten (grundlegend: die Verbesserung der Dampfmaschine durch James Watt im Jahr 1865) stark veränderte. An die Stelle von traditionellem Handwerk und Landwirtschaft sowie von kleineren Manufakturbetrieben traten zunehmend größere Industrieanlagen und Fabriken.

Wohn- und Schlafraum in der Manteuffelstraße 64 in Berlin. Während die Mutter Knallbonbons fertigt, müssen die beiden Kinder helfen. Raummaße: 4,00m lang, 2,75m breit, 2,60 m hoch. (8) ©akg-images, AKG61915

Elendsquartier der Obdachlosen in Berlin, Holzstich von Georg Koch, 1872. In den schnell wachsenden Industriestädten des 19. Jahrhunderts leben viele Menschen in erbärmlichen Verhältnissen. (9) © akg-images, AKG26724

In Deutschland wurde die Industrialisierung von einer Bevölkerungsexplosion begleitet. Die Arbeits- und Existenzbedingungen waren für einen Großteil der Bevölkerung, insbesondere für die Fabrikarbeiter in den Ballungszentren, sehr schlecht. „Nachdem sich in der Zeit zwischen 1850 und 1870 die Startphase der Industriellen Revolution vollzogen hatte, trat das Kaiserreich in die Phase der Hochindustrialisierung ein. Die Zentren der industriellen Produktion in Mittel- und Südwestdeutschland, um Berlin und vor allem im Ruhrgebiet wurden immer größer und ökonomisch dominanter. Hier fanden nicht nur die Überschüsse einer rasch wachsenden Bevölkerung Beschäftigung, die zwischen 1871 und 1910 von 41 auf 65 Millionen anstieg. Die Industrialisierung rief vielmehr auch eine enorme Mobilität hervor, denn viele Menschen zogen auf der Suche nach Arbeit – wenn sie nicht gleich nach Übersee auswanderten – vom Lande in die expandierenden industriellen Zentren. Ihre Beschäftigtenzahl zog Mitte der 1890er-Jahre mit der Landwirtschaft gleich und begann sie im frühen 20. Jahrhundert zu überflügeln. (…) Das „geborene Proletariat” (Hartmut Zwahr) erkannte immer deutlicher seine gemeinsamen sozialen und politischen Interessen, organisierte sich in Gewerkschaften, eigenen Konsum- und Bildungsvereinen sowie in der sozialdemokratischen Partei. Gewerkschaften bildeten sich mit unterschiedlichen weltanschaulichen Ausrichtungen.“ (10)

Der oben beschriebenen Entwicklung der Industrialisierung, ihrer sozialen und politischen Folgen wollte Otto von Bismarck, Reichskanzler im 1871 gegründeten Kaiserreich, Einhalt gebieten. Nachdem er zunächst ohne durchschlagenden Erfolg versucht hatte, mit Verboten der Organisierung der Arbeiter Einhalt zu gebieten, schlug er einen anderen Weg ein, nämlich die Einführung der Sozialversicherung, um die Soziale Frage zu lösen, die protestierenden Arbeiter mit dem Staat zu versöhnen. Entsprechend verkündete der Kaiser auch in einer sog. kaiserlichen Botschaft am 17. November 1881 (11):

„(…) dass die Heilung der sozialen Schäden nicht ausschließlich im Wege der Repression sozialdemokratischer Ausschreitungen, sondern gleichmäßig auf dem der positiven Förderung des Wohles der Arbeiter zu suchen sein werde. (…) In diesem Sinne wird zunächst der (…) Entwurf eines Gesetzes über die Versicherung der Arbeiter gegen Betriebsunfälle (…) einer Umarbeitung unterzogen, um die erneute Beratung vorzubereiten. Ergänzend (…) eine Vorlage, welche sich eine gleichmäßige Organisation des Krankenkassenwesens zur Aufgabe stellt. Aber auch diejenigen, welche durch Alter oder Invalidität erwerbsunfähig werden, haben (…) Anspruch auf ein höheres Maß staatlicher Fürsorge.“

Bismarck selbst formulierte in seinen Erinnerungen:

„Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder soll ich sagen zu bestechen, den Staat als soziale Einrichtung anzusehen, die ihretwegen besteht und für ihr Wohl sorgen möchte“. (12)

Den Plänen Bismarcks entsprechend wurden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts folgende Sozialversicherungen gesetzlich verankert:

Im Dezember 1884 – das Gesetz betreffend die Krankenversicherung der Arbeiter: Krankengeld ab dem 3. Tag, 50 Prozent bis zu 13 Wochen, ärztliche Behandlung, Arznei- und Hilfsmittel, Krankenhausbehandlung, Sterbegeld, Wöchnerinnenunterstützung (Mutterschaftshilfe).

Die Beiträge tragen der Arbeitgeber zu 1/3 und der Arbeitnehmer zu 2/3.

Im Oktober 1885 – das Unfallversicherungsgesetz. Bei Betriebsunfällen: Unfallrenten ab der 14. Woche, Rentenhöhe abhängig vom jeweiligen Verdienst, medizinische Heilbehandlung, Unfallverhütung: Beweispflicht des Verunglückten entfiel. Der Arbeitgeber zahlt 100 Prozent der Beiträge.

Im Januar 1891 - das Gesetz betreffend die Invaliditäts- und Altersversicherung: Übergangsgeld während medizinischer Heilbehandlung, Altersrenten ab dem 70. Lebensjahr, Invaliditätsrenten. Die Beiträge tragen zu gleichen Teilen Arbeitgeber und Arbeitnehmer.

Erst 9 Jahre nach Ende des Kaiserreiches (1918) in der dem Kaiserreich folgenden „Weimarer Republik“ erfolgte dann die Einführung der Arbeitslosenversicherung (1927) und erst in „unseren Tagen“, im Jahr 1995, die Einführung der Pflegeversicherung.

Anmerkungen zu 2.

(1)

Schmidt, Manfred G., Der deutsche Sozialstaat, München 2012, S. 7

(2)

BVerVfG 1, 97, https://www.servat.unibe.ch/dfr/bv001097.html), Zugriff am 03.02.2021

(3)

BVerfGE 1, 159, nach Volker Neumann, Menschenwürde und Existenzminimum, https://edoc.hu-berlin.de/bitstream/handle/18452/2247/Neumann.pdf?sequence=1; Zugriff am 02.02.2021.

(4)

Struktur der Sozialdaten nach Leistungsarten 2018, http://www.sozialpolitik-aktuell.de/files/sozialpolitik-aktuell/_Politikfelder/Finanzierung/Datensammlung/PDF-Dateien/abbII2_Thema_Monat_10_2019.pdf Zugriff am 03.02.2021

(5)

ebenda, S. 3

(6)

Verband der Ersatzkassen, Daten zum Gesundheitswesen: Versicherte; https://www.vdek.com/presse/daten/b_versicherte.htm Zugriff am 29.03.20)

(7)

Ratgeber Geld, Beitragsbemessungsgrenze & Versicherungspflichtgrenze 2021, https://www.ratgeber-geld.de/beitragsbemessungsgrenze/ Zugriff am 03.02.2021

(8)

Die industrielle Klassengesellschaft, in: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/kaiserreich/139649/industrialisierung-und-moderne-gesellschaft, ©picture-alliance, ZB Zugriff am 25.09.2020

(9)

Die Baracken der Obdachlosen in Berlin; https://www.akg-images.de/archive/Die-Baracken-der-Obdachlosen-in-Berlin-2UMDHUSQ0XT.html Zugriff am 25.09.2020

(10)

Kruse, Wolfgang, Industrialisierung und moderne Gesellschaft, in: https://www.bpb.de/geschichte/deutsche-geschichte/kaiserreich/139649/industrialisierung-und-moderne-gesellschaft

(11)

Entnommen aus: Sozialpolitik – Ein Heft für die Schule, veröffentlicht auf Webseite des Ministers für Arbeit und Soziales. https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Publikationen/a204-sozialgeschichte-arbeitsheft-aktuell.pdf?__blob=publicationFile&v=3 Zugriff am 25.09.2020

(12)

Bismarck, Otto von: Gesammelte Werke (Friedrichsruher Ausgabe) 1924/1935, Band 9, S. 195/196. Nach: „Server lesen! Ein Taktiker erfand den Sozialstaat.“ https://www.server-lesen.de/streiflichter/ein-taktiker-erfand-den-sozialstaat.html Zugriff am 20.02.2020

Kapitel 3

Das Gesundheits-wesen der Bundesrepublik Deutschland – strukturelle Merkmale

3.1 Die Rolle des Staates

Gesundheit ist für die Lebenslagen der Menschen ein sehr hohes Gut. Ihr Erhalt oder ihre Wiederherstellung sind für die Menschen von großer Bedeutung. Ein gewisses Maß an Gesundheit ist die Voraussetzung dafür, dass man am gesellschaftlichen, am sozialen Leben teilhaben kann, eigene Lebensvorstellungen, Wünsche und Bedürfnisse realisieren, sich selbst verwirklichen kann.

Über diese individuelle Bedeutung von Gesundheit hinaus sind Gesundheit und medizinische Versorgung mit der Entstehung der Industriegesellschaft im 19. Jahrhundert auch zu einem bedeutsamen politischen Thema geworden. Mit der Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung durch Bismarck wurde der Staat in Bereichen tätig, für die er sich zuvor nicht zuständig sah. Seitdem aber gestaltet der Staat Gesundheitspolitik aktiv, u. a. durch Gesetze, durch Festlegung von Zuständigkeiten, Gründung von Institutionen.

Das ausgeprägte Engagement des Staates in der Gesundheitspolitik steht auch in direktem Zusammenhang mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes, mit der durch das Grundgesetz gegebenen Verpflichtung, „… durch die Ausgestaltung des Rechts die Bedingungen für eine ausreichende soziale Sicherung und Versorgung seiner Bürger im Krankheitsfall zu schaffen.“ (1)

In der Praxis bedeutet dies, dass der Staat durch die Gesetzgebung(skompetenz) den gesetzlichen/rechtlichen Rahmen im Gesundheitswesen vorgibt/bestimmt. Da die Bundesrepublik Deutschland ein föderalistischer Staat ist, in dem die staatliche Macht aufgeteilt ist zwischen dem Bund und den Ländern, können Gesetze im Gesundheitswesen nicht nur auf der Ebene des Bundes, sondern auch auf der Ebene der 16 Bundesländer verabschiedet werden. Damit es hier nicht zu widersprüchlichen Gesetzen oder Blockaden zwischen dem Bund und den Ländern kommt, regelt das Grundgesetz, die Verfassung unseres Staates, welche Gesetze nur der Bund erlassen darf und welche die Länder. Vielfach aber sind Landesgesetze („nur“) solche, die die Umsetzung und Konkretisierung von Bundesgesetzen beinhalten wie z. B. die Landeskrankenhausgesetze oder Landespflegegesetze.

Auch im Bereich der Verwaltung sind die Aufgaben zwischen dem Bund und den Ländern geteilt.

Oberste Verwaltungsbehörde für das Gesundheitswesen ist das Bundesministerium für Gesundheit (BMG). Seine Aufgabe ist die Vorbereitung und Erarbeitung von Gesetzen, von Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften im Gesundheitswesen und die Dienstaufsicht über Gesundheitsbehörden des Bundes, wie

das Robert-Koch-Institut, das zuständig ist für die Erkennung, Verhütung und Bekämpfung von gefährlichen Krankheiten, insbesondere solchen, die einen hohen Verbreitungsgrad aufweisen (Pandemien),

das Paul Ehrlich-Institut, das zuständig ist für die Arzneimittelsicherheit und Zulassung von Impfstoffen,

das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information, das insbesondere zuständig ist für medizinische Klassifikationen,

die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, die zuständig ist für gesundheitliche Aufklärung und Prävention,

das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, das die Aufgabe hat, Arzneimittel zuzulassen, Risikobewertungen von Arzneimitteln und Medizinprodukten vorzunehmen,

das Bundesversicherungsamt, das u. a. die Aufsicht über die Kranken- und Pflegekassen hat.

Oberste Verwaltungsbehörden auf der Länderebene sind in den 16 Bundesländern die jeweiligen Sozial- und Gesundheitsministerien. Sie müssen die Durchführung der Bundes- und Landesgesetze überwachen, ihnen sind die Landesgesundheitsämter sowie andere Landesbehörden unterstellt.

Im Bereich der Krankenhausversorgung sind die Länder zum einen selber Träger von Krankenhäusern (Universitätskliniken und Landeskrankenhäusern) und zum anderen gehört es zu ihren Aufgaben, „eine staatliche Krankenhausplanung durchzuführen und regelmäßig fortzuschreiben“ sowie Investitionsförderprogramme für die in den Krankenhausplan aufgenommenen Krankenhäuser zu entwickeln (2).

3.2 Die Rolle der Verbände

Wenn auf Bundesebene Gesetze verabschiedet werden, ist es in der Regel die Aufgabe der Länder und/oder ihr nachgeordneter staatlicher Organe, solche Gesetze auszugestalten. Im Bereich des Gesundheitswesens gibt es in unserem Staat die Besonderheit, dass diese Aufgabe eben nicht staatliche Organe übernehmen, sondern die Verbände, sprich, die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen.

Nach eigener Aussage (3) nimmt die KBV, die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Interessen der in ihr organisierten rund 172.000 freiberuflichen, in Praxen ambulant tätigen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen wahr, gibt sie diesen gegenüber Politik und Öffentlichkeit eine Stimme und bringt ihren Sachverstand in die gesundheitspolitische Diskussion ein. Mit den gesetzlichen Krankenkassen verhandelt sie über das Honorar der Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen, Arzneimittelbudgets und Versorgungsverträge. Sie prüft auch die Abrechnungen der niedergelassenen Ärzt:innen und Psychotherapeut:innen und verteilt das von den Krankenkassen gezahlte, zur Verfügung stehende Honorar.

Niedergelassene Ärzt:innen sind solche Ärzt:innen, die von der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung ermächtigt wurden, ambulante ärztliche Behandlungen durchzuführen, sog. Vertragsärzt:innen. Ärzt:innen können auch außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung tätig sein, dann allerdings nur als Privatärzt:innen, die auf private Rechnung behandeln. Privatpatienten können die Rechnungen dann bei den privaten Krankenversicherungen einreichen. Vertragsärzt:innen der gesetzlichen Krankenversicherungen behandeln auch Privatpatient:innen, die ihre Rechnung aber privat begleichen.

Mitglieder der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind die Kassenärztlichen Vereinigungen der 16 Bundesländer, wobei das Land Nordrhein-Westfalen zwei Vereinigungen hat, die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen Lippe und die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland.

Innerhalb der Krankenkassen unterschiedet man zwischen den gesetzlichen Krankenkassen, in denen fast 90 % der Bevölkerung versichert sind, und den privaten Krankenkassen, in denen nur Beamte, Selbstständige sowie Angestellte ab einem bestimmten Jahreseinkommen Mitglied sein können. Nur die Vertretungen der gesetzlichen Krankenkassen (105 insgesamt im Jahr 2020) sind Verhandlungspartner der Kassenärztlichen Vereinigungen der Länder bzw. des Gesamtverbandes auf Bundesebene.

Einerseits sind die Kassenärztlichen Vereinigungen also Interessenvertretungen ihrer Mitglieder, andererseits übernehmen sie als öffentlich – rechtliche Körperschaften – zusammen mit den Krankenkassen – Aufgaben, die ihnen durch Gesetz übertragen wurden, sind sie mittelbare Staatsverwaltung. Für den Staat ist diese Form der Einbindung der Verbände in hoheitliche Aufgaben, die Auslagerung von staatlichen Verwaltungsaufgaben, insofern von Vorteil als er Personal und Sachmittel für diese Aufgaben nicht (aus Steuermitteln) finanzieren muss, die Verbände dafür selber Sorge tragen müssen. Für die Verbände besteht der Vorteil darin, einen besonderen Einfluss auf die Ausgestaltung des Gesundheitssystems nehmen zu können.

Eine weitere, eine andere Besonderheit, die die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems prägt, ist die sogenannte gemeinsame Selbstverwaltung der Verbände (die Kassenärztliche Bundesvereinigung, die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Deutsche Krankenhausgesellschaft) und der Kostenträger (Spitzenverband Bund der Krankenkassen). (4)

Eines der wichtigsten Gremien dieser Selbstverwaltung ist der Gemeinsame Bundesausschuss (5). Er ist zuständig für

den Erlass von Richtlinien für die medizinische und pflegerische Versorgung,

die Bewertung des Nutzens und der Wirtschaftlichkeit von Behandlungsmethoden (und damit die Definition des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung),

die Qualitätssicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Dem Beschlussgremium des Bundesausschusses gehören nach § 91 SGB V an: ein unparteiischer Vorsitzender, zwei weitere unparteiische Mitglieder, einem von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, jeweils zwei von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Deutschen Krankenhausgesellschaft und fünf von dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen benannten Mitgliedern.

Weil seine Beschlüsse für alle, für die Krankenkassen, die Leistungserbringer und die Versicherten, bindend sind, er also eine sehr einflussreiche Position hat, wird er häufig auch „kleiner Gesetzgeber“ genannt (6)

Anmerkungen zu 3:

(1)

Simon, Michael, Das Gesundheitssystem in Deutschland, Bern 2017, S. 70; vgl. auch Einführung zu diesem Kapitel.

(2)

ebenda, S. 233

(3)

Aufgaben der Kassenärztliche Vereinigung, https://www.kbv.de/html/432.php Zugriff am 07.02.2021

(4)

Simon, Michael, a.a.O., S. 73

(5)

Bundeszentrale für politische Bildung. Gesundheitspolitik. Organisationen und Institutionen der Selbstverwaltung. Stichwort: Gemeinsamer Bundesausschuss. https://www.bpb.de/politik/innenpolitik/gesundheitspolitik/72733/organisationen-und-institutionen Zugriff am 07.02.2021

(6)

Simon, Michael, a.a.O., S. 74

Kapitel 4

Leistungsträger und -erbringer im Gesundheitswesen

Leistungsträger und Leistungserbringer im Gesundheitswesen

Leistungen im Gesundheitswesen werden von öffentlichen, freigemeinnützigen und privaten (erwerbswirtschaftlich tätigen) Institutionen getragen und erbracht.

Träger

Träger sind der Bund, die Länder und die Gemeinden. Zu ihnen zählen auch die Sozialversicherungen, die aber nur in Teilbereichen wie im Bereich der Rehabilitation (Rentenversicherung) und der gesetzlichen Unfallversicherung eigene Einrichtungen betreiben. Der Bund unterhält mit Ausnahme der Bundeswehr, die Bundeswehrkrankenhäuser bereitstellt, keine Einrichtungen im Bereich der Krankenversorgung oder der Pflege. Gemeinden sind sowohl Träger von Krankenhäusern als auch von Einrichtungen der ambulanten oder stationären Pflege.

Eine bedeutende Rolle sowohl in der Krankenversorgung als auch in der Pflege haben die freien / gemeinnützigen Träger. Das sind Wohlfahrtsverbände (z.B. die Arbeiterwohlfahrt – AWO, die Caritas, die Diakonie, der deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband), kirchliche Träger und private Träger. „Als privat gelten Unternehmen, Organisationen und Einzelpersonen, die Sach- und Dienstleistungen für die Krankenversorgung und Pflege zu erwerbswirtschaftlichen Zwecken erbringen und anbieten. (…). In den letzten 10 bis 15 Jahren hat die Bedeutung privater Träger insbesondere im Krankenhausbereich und in der Pflege deutlich zugenommen. Dazu haben insbesondere Privatisierungen kommunaler Krankenhäuser beigetragen, durch die sich Gemeinden und Kreise von wirtschaftlichen Risiken entlasten wollten.“ (1)

Leistungserbringer

Der Begriff „Leistungserbringer“, wie er vorstehend verwendet wurde, ist einer, den der Gesetzgeber selber geprägt hat. Angebote der Leistungserbringer im Gesundheitswesen beziehen sich auf gesetzlich definierte Leistungen, wie sie im V. Sozialgesetzbuch beschrieben sind. Nach Kapitel 4, SGB V, gehören zu den Leistungserbringern

Vertragsärzte (§§ 77 ff. SGB V)

Krankenhäuser (§§ 107 ff. SGB V)

Heilmittelerbringer (§§ 124 ff. SGB V)

Hilfsmittelerbringer (§§ 126 ff. SGB V)

Apotheken und pharmazeutische Unternehmer (§§ 129 ff SGB V)

Sonstige Leistungserbringer (§§ 132 ff SGB V).

Info

Das Gesundheitswesen als Wirtschaftsfaktor

Hinter den hier genannten ‚Erbringern‘ verbirgt sich eine Vielzahl von Menschen / von Berufsgruppen, die im Gesundheitswesen tätig sind. Dessen Bedeutung nimmt gesellschaftlich bzw. gesellschaftsökonomisch immer weiter zu. Der medizinische Fortschritt, ein stetig wachsender Markt an gesundheitsbezogenen Produkten, Dienstleistungen und Anbietern und eine immer weiterwachsende Nachfrage der Bevölkerung nach Gesundheitsleistungen haben dazu geführt, dass das Gesundheitswesen oder besser die Gesundheitswirtschaft zu einem bedeutsamen Wirtschaftssektor, „eine(r) Wachstumsbranche auf Expansionskurs“ (3) geworden ist.

Im Gesundheitswesen arbeiten etwa 5,6 Millionen Menschen. Von 2000 bis 2020 hat die Zahl der Beschäftigten deutlich zugenommen. (4) „Zurückzuführen ist dieser positive Beschäftigungstrend vor allem auf das Wachstum der Beschäftigten in den Berufen der Altenpflege (+30.000 oder 5,05 Prozent) und in den anderen Berufen des Gesundheitswesens, wie bspw. Gesundheits- und Krankenpflege, Rettungsdienst und Geburtshilfe (+ 21.000), Arzt- und Praxishilfe (+ 7.000) sowie nichtärztliche Therapie und Heilkunde (+4.000). Ein unterdurchschnittliches Beschäftigungswachstum gab es in Krankenhäusern (+21.000 oder +1,85 Prozent), und Arztpraxen (+8.000 oder + 1,17 Prozent), in Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen ist die Zahl gleichgeblieben.“ (5)

Vorstehender Auszug aus einem Bericht des Bundesgesundheitsministeriums über die Beschäftigungszahlen im Gesundheitswesen im letzten Jahrzehnt hebt deutlich hervor, dass insbesondere in der Pflege – sowohl der Alten- als auch der Krankenpflege – hohe Beschäftigungszuwächse zu verzeichnen sind und hier in der ambulanten Pflege die Zuwächse noch größer sind als in der stationären und teilstationären Pflege.

4.1 Leistungserbringer „Vertragsärzt:innen“ – Die medizinisch ambulante Versorgung

Die ambulante Versorgung in Deutschland umfasst medizinische und gesundheitsbezogene Leistungen, die in der Regel außerhalb von Krankenhäusern und anderen stationären (Pflege-) Einrichtungen erbracht werden, für die Patientinnen und Patienten, die nicht über Nacht in einer Versorgungseinrichtung bleiben. Sie werden von niedergelassenen, freiberuflich tätigen Ärzt:innen, Zahnärzt:innen, Psychotherapeut:innen, den Vertragsärzten nach §§ 77 ff, SGB V, und Fachkräften aus nicht ärztlichen Heilberufen nach §§ 124 ff, SGB V (Leistungen der Physiotherapie, der Stimm-, Sprech- und Sprachtherapie, der Ergotherapie, der Podologie oder der Ernährungstherapie) erbracht.

Die Sicherstellung der ambulanten medizinischen Versorgung obliegt den kassenärztlichen bzw. kassenzahnärztlichen Vereinigungen, in denen die Ärzt:innen Mitglieder sind und die den Ärzt:innen die Erlaubnis zur Niederlassung erteilen. Sie haben den gesetzlichen Auftrag, dafür zu sorgen, dass eine ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung für die gesetzlichen Krankenversicherten angemessen zur Verfügung steht.

Die meisten Menschen suchen bei gesundheitlichen Problemen zunächst einen niedergelassenen Arzt oder eine niedergelassene Ärztin, in der Regel ihre Hausärztin/ihren Hausarzt, auf. Die hausärztliche Versorgung wird von Allgemeinärzt:innen und praktischen Ärzt:innen sowie von Internist:innen ohne Fachgebietsbezeichnung (vgl. Ausführungen zu Fachärzt:innen unten) und Kinderärzt:innen übernommen. Niedergelassene Ärzt:innen leisten in Deutschland – anders als in anderen Ländern – einen Großteil der medizinischen Versorgung. Hier werden Untersuchungen/Diagnostiken und Behandlungen durchgeführt, Arznei-, Heil- und Hilfsmittel verordnet. Neben Einzelpraxen gibt es in Deutschland zunehmend Gemeinschaftspraxen, in denen mehrere Ärzt:innen sowie häufig auch Fachkräfte aus nichtärztlichen Heilberufen ihre Leistungen anbieten. In bestimmten Fällen können ambulante Leistungen aber auch von Krankenhäusern erbracht werden, beispielsweise ambulante Operationen, vor- oder nachstationäre Behandlungen.

Bei besonderen Problemen überweisen die Hausärztinnen und Hausärzte an andere Leistungserbringer im Gesundheits- und Sozialwesen, z. B. an Krankenhäuser und auch nichtärztliche Berufsgruppen (sog. Heilmittelerbringer, s. o.), vor allem aber auch an Fachärztinnen/Fachärzte.

Fachärzt:inne sind Ärzt:innen mit einer besonderen Zusatzausbildung in einem medizinischen Fachgebiet. Nach ihrem abgeschlossenen Studium arbeiten ausgebildete Mediziner:innen zunächst als Assistenzärzt:innen. Im Rahmen der Assistenzarztzeit müssen sie sich dann für eine der Facharztrichtungen entscheiden. In der Regel dauert die Facharztausbildung 5–6 Jahre.

Während es für ausgebildete Zahnmediziner:innen nur wenige Fachrichtungen gibt, in denen sie sich zum Facharzt/Fachärztin weiterbilden können – Facharzt/Fachärztin für Oralchirurgie und Facharzt/Fachärztin für Kieferorthopädie – sind die Möglichkeiten für andere Mediziner:innen vielfältig.

Nach der Weiterbildungsordnung der Bundesärztekammer (6) existieren 34 Facharztrichtungen in Deutschland, wobei, wie auch untenstehende Übersicht zeigt, einzelne Fachrichtungen noch zusätzlich Schwerpunkte ausweisen können.

Facharzt/Fachärztin – Übersicht (7)

Medizinische Fachgebiete – Facharzt/Fachärztin bzw. Berufsbezeichnung

Spezielle Fachgebiete/Mögliche Schwerpunkte, die über zusätzliche, auf den Facharzt/Fachärztin aufbauende Weiterbildungen erworben werden können

Facharzt/Fachärztin für Allgemeinmedizin – Allgemeinarzt/Allgemeinärztin (Hausarzt/Hausärztin)

Facharzt/Fachärztin für Anästhesiologie – Anästhesist/Anästhesistin

Facharzt/Fachärztin für Anatomie

Facharzt/Fachärztin für Arbeitsmedizin – Arbeitsmediziner/Arbeitsmedizinerin

Facharzt/Fachärztin für Augenheilkunde – Augenarzt/Augenärztin

Facharzt/Fachärztin für Biochemie

Facharzt/Fachärztin für Chirurgie – Chirurg/Chirurgin

Gefäßchirurgie · Thoraxchirurgie · Unfallchirurgie · Visceralchirurgie

Facharzt/Fachärztin für diagnostische Radiologie

Kinderradiologie · Neuroradiologie

Facharzt/Fachärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe – Frauenarzt/Frauenärztin

Facharzt/Fachärztin für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde – Hals-Nasen-Ohrenarzt/Hals-Nasen-Ohrenärztin

Facharzt/Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten –Hautarzt/Hautärztin

Facharzt/Fachärztin für Herzchirurgie – Herzchirurg/Herzchirurgin

Thoraxchirurgie

Facharzt/Fachärztin für Humangenetik

Facharzt/Fachärztin für Hygiene und Umweltmedizin

Facharzt/Fachärztin für Innere Medizin – Internist/Internistin

Angiologie · Endokrinologie · Gastroenterologie · Hämatologie und Internistische Onkologie · Kardiologie · Nephrologie · Pneumologie · Rheumatologie

Facharzt/Fachärztin für Kinderchirurgie – Kinderchirurg/Kinderchirurgin

Facharzt/Fachärztin für Kinderheilkunde – Kinderarzt/Kinderärztin

Kinderkardiologie · Neonatologie

Facharzt/Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

Facharzt/Fachärztin für Klinische Pharmakologie – Klinischer Pharmakologe/ Pharmakologin

Facharzt/Fachärztin für Laboratoriumsmedizin – Laborarzt/Laborärztin

Facharzt/Fachärztin für Mikrobiologie und Infektionsepidemiologie

Facharzt/Fachärztin für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie – Mund-Kiefer-Gesichtschirurg/Mund-Kiefer-Gesichtschirurgin

Facharzt/Fachärztin für Nervenheilkunde – Nervenarzt/ Nervenärztin

Facharzt/Fachärztin für Neurochirurgie – Neurochirurg/ Neurochirurgin

Facharzt/Fachärztin für Neurologie – Neurologe/Neurologin

Facharzt/Fachärztin für Neuropathologie – Neuropathologe/Neuropathologin

Facharzt/Fachärztin für Nuklearmedizin – Nuklearmediziner/Nuklearmedizinerin

Facharzt/Fachärztin für Öffentliches Gesundheitswesen

Facharzt/Fachärztin für Orthopädie – Orthopäde/Orthopädin

Rheumatologie

Facharzt/Fachärztin für Pathologie – Pathologe/Pathologin