Leg dich nicht mit Krähen an! - Jörg Zittlau - E-Book
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Jörg Zittlau

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Beschreibung

Mensch und Tier können zusammenleben!

Das Artensterben hält an - doch schon viele Tiere haben Strategien zum Überleben entdeckt. Ob etwa Quallen, die Atomkraftwerke lahm legen; Krähen, die Fensterdichtungen heraushacken; Elefanten, die sich in Gangsterbanden organisieren; oder Straßenhunde, die mit der U-Bahn zu ihrer Arbeit als Wegelagerer fahren – die Tierwelt schlägt zurück, und manche Menschen fühlen sich bedroht ...

Der renommierte Biologe und Journalist Jörg Zittlau zeigt anhand vieler Beispiele auf, wie ein Miteinander von Mensch und Tier gelingen kann.

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Über Jörg Zittlau

Jörg Zittlau, ist Philosoph und Psychologe. Er hat bisher über 60 Bücher veröffentlicht, die in 19 Sprachen übersetzt wurden. Er lebt als freier Autor in Bremen. Mit dem Neurobiologen Niels Birbaumer schrieb er den Bestseller »Dein Gehirn weiß mehr, als du denkst« – das Buch wurde zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt.Jörg Zittlau studierte Philosophie und Biologie. Er arbeitet als Wissenschaftsjournalist, unter anderem für »bild der wissenschaft«, »Psychologie heute« und »Die Welt«. Aus seiner Feder stammen über sechzig Bücher, die in insgesamt zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Er lebt als freier Autor in Bremen.Im Aufbau Taschenbuch Verlag erschienen von ihm bisher »Vertrau auf dein Glück – Eine philosophische Gebrauchsanleitung für den Alltag« und »Leg dich nicht mit Krähen an! – Wie die Tierwelt zurückschlägt«.

Informationen zum Buch

Wie Mensch und Tier zusammenleben können

Das Artensterben läuft, doch viele Tiere haben Strategien zum Überleben entdeckt. Ob etwa Quallen, die Atomkraftwerke lahm legen; Krähen, die Fensterdichtungen heraushacken; Elefanten, die sich in Gangsterbanden organisieren; oder Straßenhunde, die mit der U-Bahn zu ihrer Arbeit als Wegelagerer fahren – die Tierwelt schlägt zurück, und manche Menschen fühlen sich bedroht. Doch der renommierte Biologe und Journalist Jörg Zittlau zeigt anhand vieler Beispiele auf, wie ein Miteinander von Mensch und Tier gelingen kann.

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Jörg Zittlau

Leg dich nicht mit Krähen an!

Wie Mensch und Tier zusammenleben können

Inhaltsübersicht

Über Jörg Zittlau

Informationen zum Buch

Newsletter

Aufstand auf der Animal Farm

1 Überzahl schaffen: Wenn Tiere durch Anpassung triumphieren

Wer kann Turbo-Evolution?

Anpassung funktioniert auch umgekehrt

Intelligenz ohne Schädel: Kraken haben alles im Griff

Seid umschlungen von Millionen!

Glibbern gegen Atomkraft: Quallen sind zur Not unsterblich

2 Wasser, Futter, Lebensraum: Auch Tiere haben Ansprüche

Partisanen im Federkleid: The great Emu War

Zwischen Tier und Mensch hat es schon immer geknirscht

3 Der Aufstand der Freigelassenen

Die Menschenversteher von Moskau

Stray dogs: Die U-Bahn ist ihr Revier

Immer mehr beißende Kampfmaschinen

Zu gute Jäger für diese Welt

Vom Gurren zum Murren

Sinnloses Gemetzel

4 Der Aufstand der Wilden

Hitchcock lässt grüßen

»Wir kriegen sie nicht mehr weg«

Der Elefant: Vom Pannen-Monster zum Genie

Völlig entrüsselt

Maltherapie für gestörte Dickhäuter

Welcher Affe lässt sich schon gern zum Affen machen?

Wie kam Alphie an Herpes?

Die Rache der Gequälten

Sie suchen die Akte XY? Fragen Sie den Affen!

Der Clown wird böse: Aufstand der Schimpansen

5 Ratatouille aus dem Kanal

Unsichtbar und unbesiegbar

Kluge Kollektive mit Spaß am Sex

Gift bringt nur noch mehr Ratten

The Isle of Rats

Multiresistenz aus dem Klo

6 Achtung, die Aliens kommen!

Ganz Australien wird (G)aga

Geld ins Maul

Ameisen sollen die Kröte schlucken

Umwälzung auf »Down under«

Die Verödung des Paradieses

Der unerwünschte Star-Gast

Alien-Sittiche auf der Kö

Brr-oam! Wer hat den Riesling verekelt?

7 Der Klimawandel kennt auch Sieger

Müllhalde statt Mittelmeerstrand

Futtern statt Bemuttern

8 Ohne Rückgrat ganz stark

Niemals allein zu Hause

Die Supermacht der Superkolonien

Das große Krabbeln

Das große Fressen

Das fehlgeschlagene Experiment

Die Kopflaus: Napoleons größtes Waterloo

Die Einstiche kommen näher

9 Partner statt Untertan: Wie Mensch und Tier zusammenleben können

Bekämpfen ist teuer und meistens chancenlos

Stoppt die Wanderung der Invasoren! Doch wie?

Der richtige Komfort- und Abschreckungs-Mix

Entspannt und realistisch bleiben!

Quellenverzeichnis

Impressum

Aufstand auf der Animal Farm

Hat der Mensch zwei Gesichter? Eines vorne und eines hinten? So wie der berühmte Januskopf aus der römischen Mythologie? Vermutlich grübelte der Tiger nicht wirklich über diese Fragen, als sich die Bauern, Honigsammler und Waldarbeiter im Ganges-Delta eine Gesichtsmaske auf den Hinterkopf setzten, weil sie gehört hatten, dass er, der vorzugsweise aus dem Hinterhalt zuschlägt, die frontale Augenstellung des Menschen nicht aushalten könne. In jedem Falle aber schien er eingeschüchtert: Aufrecht gehende Wesen, die ihn vor- und rückwärts anstarren konnten – das war zuviel! Seine Attacken auf den Menschen gingen spürbar zurück. Stattdessen stürzte sich der Tiger auf die Haus- und Nutztiere, doch insgesamt freuten sich die schon von Armut, Umweltkatastrophen und Seuchen gebeutelten Bewohner des Deltas, dass sie selbst nicht mehr auf seiner Beuteliste standen.

Doch ihr Glück währte nur ein paar Monate. Dann erwischte es den ersten Holzfäller, als er in die Hocke ging, um durchzuschnaufen. Er trug zwar die Maske auf dem Hinterkopf, doch weil er die Senkrechte verlassen hatte, verlor ein in der Nähe lauernder Tiger seine Angst – und schlug zu. Von diesem Zeitpunkt an war der Janus-Trick Geschichte, die Doppelgesichter wurden genauso zur Beute wie die Frontalgucker. Man musste sich etwas Anderes einfallen lassen.

Doch die Kreativität war offenbar versiegt. Denn man unternahm das, was weltweit fast immer getan wird, wenn es gegen unliebsame Tiere geht: stellte Fallen auf, verteilte giftige Köder und zog mit Gewehren los. Nichts davon brachte eine nachhaltige Lösung des Problems. Ganz zu schweigen davon, dass Gewalt gegen Tiere in Indien weder in der Politik noch in der Bevölkerung eine breiten Rückhalt haben. Selbst als ein Tiger als »Man-Eater« überführt worden war, der sieben Menschenleben beendet hatte, gab es noch Gnadengesuche für ihn, weil er ja nur gemäß seiner Natur gehandelt habe. Also ritten Tiermediziner auf Elefanten in den Dschungel, um die Raubkatzen zu betäuben und lebend aus dem Verkehr zu ziehen. Doch diese zeigten echte Nehmerqualitäten und schafften es, sich zu verkriechen, obwohl bereits der Narkosepfeil in ihrem Oberschenkel steckte.

Der Stand heute: Mehr als achtzig Inder werden jedes Jahr von Tigern getötet, ein Viertel davon im Ganges-Delta. Immer wieder werden Dörfer von gestreiften »Man-Eatern« heimgesucht, die lieber sprechende Zwei- statt grunzende Vierbeiner fressen. Die Klagen der Bevölkerung halten sich indes in Grenzen, man hat sich mit der Situation arrangiert. Nicht nur, weil die Regierung finanzielle Zuwendungen versprochen hat, wenn die Bauern den Tiger nachweislich aus ihrem Viehbestand füttern, damit er seinen Appetit auf Menschen vergisst. Sondern auch, weil die Raubkatze seit jeher zum Dschungel gehört. Außerdem hat man begriffen, dass man den Tigern in den letzten Jahrzehnten sehr viel Lebensraum weggenommen hat und es daher zwangsläufig zu Kollisionen mit dem Menschen kommen muss. Und schließlich wissen die Siedler im Ganges-Delta aus leidvoller Erfahrung, dass sie eher durch Tollwut, Schlangenbisse, Krankheiten und Umweltkatastrophen ums Leben kommen als durch einen Tiger. So etwas relativiert und entkrampft den Blick auf die angeblich böse Kreatur.

Eine solch entspannte Weisheit würde auch hierzulande helfen, die Konfliktsituationen zwischen Tier und Mensch zu entschärfen. Und diese Entschärfung ist nötiger denn je. Denn die Konflikte zwischen Mensch und Tier nehmen weltweit zu, und diese Entwicklung macht auch vor Deutschland nicht Halt.

So sind in Großstädten wie Berlin, Dresden, Bremen und Koblenz bereits ganze Stadtteile unter der Kontrolle von zivilisationstauglichen Raben und Krähen. Sie zwacken den Hunden in die Schwänze, greifen sich die Bretzel aus der Babyhand, reißen gelbe Säcke auf und picken für den Nestbau Dichtungen aus den Fenstern. Die Taubenschwärme sorgen hingegen für stickige Luft, weil sie gerne in den Ansaugrohren von Klimaanlagen nisten, während Quallen beim Verstopfen von Atomkraftwerken gleich komplette Stromausfälle provozieren. Das alles ist lästig und oft auch teuer, doch gefährlicher wird es, wenn Schimpansen auf spielende Kinder losgehen und Elefanten den Fluchtweg panisch verängstigter Menschen versperren. Und an afrikanischen Gewässern muss man sich vor Flusspferden in Acht nehmen, denn die Dickhäuter töten jährlich etwa hundert Menschen und damit deutlich mehr als etwa die räuberischen Löwen. Flusspferd-Mamas können eben sehr aggressiv werden, wenn man ihrem Nachwuchs zu nahe kommt.

Die Haibestände in den Ozeanen haben sich wieder so weit erholt, dass sie allmählich wieder mit den Flusspferden mithalten können, während in Brasilien die Vogelbestände durch Abholzung soweit heruntergegangen sind, dass Blut saugende Vampirfledermäuse ihren Speiseplan geändert haben: Ab sofort werden kaum noch Federtiere angezapft, sondern vor allem Menschen, was bei denen das Infektionsrisiko steigen lässt. Trotzdem geht davon nicht annähernd so viel Gefahr aus wie von der Anopheles-Mücke: Sie lässt pro Minute zwei Menschen an Malaria sterben – und ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich immer weiter nach Norden. Zum Glück nicht so gefährlich sind die pfiffigen Straßenhunde, die in Moskau jeden Morgen mit der U-Bahn in die Stadtmitte fahren, weil sie dort mehr Erfolge mit Betteln und Wegelagerei haben.

Allerdings sollte sich der Mensch ohnehin nicht über die Tierinvasionen beklagen. Denn fast immer trägt er eine Mitschuld, wenn es zwischen ihm und irgendeiner Tierart zu mehr oder weniger gefährlichen Konflikten kommt. Weil er ihnen Lebensraum und Nahrung nimmt; weil er sie bejagt oder ausbeutet; weil er ökologische Gleichgewichte destabilisiert, so dass sich bestimmte, für ihn eher unangenehme Tierarten mehr durchsetzen können; weil er die Bedürfnisse und Reaktionen von Tieren falsch einschätzt oder schlichtweg ignoriert. Und nicht zuletzt sorgt er durch seine Mobilität und dem von ihm maßgeblich eingeleiteten Klimawandel dafür, dass sich Tierarten dorthin verbreiten können, wo sie nicht hingehören.

Sei es, dass potentiell hochinfektiöse Tigermücken über den Reifenhandel nach Europa kommen und indische Tigerpythons in den Everglades ausgesetzt werden, wo sie dann ahnungslose Krokodile erlegen, noch ahnungslosere Touristen erschrecken und sogar den cleveren Waschbären vertreiben, der sich dafür in Mecklenburg-Vorpommern den Ruf eines frechen und schädlichen Zuwanderers erwirbt. Sei es, dass eingeschleppte Katzen, Ratten, Wiesel und Kaninchen komplette Inseln und sogar Kontinente ökologisch verwüsten oder sich die Raupen des asiatischen Schwammspinners quer durch Massachusetts fressen: Tierinvasionen werden von Ökologen und Biologen als das konfliktträchtige Problem von Gegenwart und Zukunft betrachtet.

Es ist jedoch nicht die Absicht dieses Buches, den Leser zu verängstigen oder gar in Duldungsstarre zu versetzen, nach dem Muster: »Wir haben die Tiere gereizt, jetzt schlagen sie zurück – und wir können nichts dagegen tun.« Denn die Tierwelt fühlt gegen uns keinen prinzipiellen Zorn und schon gar keine Rachegefühle, sie reagiert nur auf den Wandel der Umweltbedingungen, den wir eingeleitet haben; und das tut sie mit allen Mitteln, die ihr zur Verfügung stehen. Das sieht zwar manchmal aus wie Krieg, wenn etwa Elefanten ein Dorf platt treten oder millionenköpfige Ameisenkolonien über den Obstgarten herfallen. Doch letzten Endes sind es nur Überlebensversuche in einer Umwelt, die sich nicht zuletzt durch den Einfluss des Menschen schneller ändert denn je.

Wir hingegen haben die Möglichkeit, nicht nur zu reagieren, indem wir etwa kübelweise Gift verstreuen, kilometerlange Elektrozäune aufstellen und unsere Kulturpflanzen per Genmanipulation gegen Schädlingsfraß schützen. Wir können auch agieren und die Welt so gestalten, dass wir konfliktarm mit ihren Lebewesen zusammenleben. Wohlgemerkt: Konfliktarm, denn völlig ohne Konflikte geht es in der Evolution nicht. Aber wir sollten akzeptieren, dass die Natur nicht dazu da ist, dass wir sie uns untertan machen. Sondern sie ist einfach nur da, und sie wird auch noch da sein, wenn der Mensch schon längst verschwunden ist. Wir sollten die kurze Zeit mit ihr nutzen – und keinen vergeblichen Kampf gegen sie führen.

1 Überzahl schaffen: Wenn Tiere durch Anpassung triumphieren

Für Leonardo da Vinci stand fest:

»In der Natur ist kein Irrtum, sondern wisse, der Irrtum ist in dir.«

Zu perfekt kam dem Universalgenie all das Walten und Gestalten in der Natur vor, als dass er irgendwelche Zweifel an ihrer Unfehlbarkeit zulassen konnte. Vielmehr hätten unsere Zweifel ihre eigentliche Ursache nicht in ihren Objekten, sondern in ihrem Subjekt. Mit anderen Worten: Sofern uns in der Natur ein Fehler auffallen würde, läge das nicht an der Natur, sondern allein an uns und unserem fehlerhaften Erkenntnisapparat.

Solche Ein- und Ansichten passen zu Leonardo, der ein demütiger Mensch war. Obwohl ausgestattet mit außergewöhnlichem Talent, sah er die eigentliche Perfektion nicht in sich selbst, sondern in der Welt um sich herum. Weil er von der Überzeugung getragen wurde, dass die Natur einem göttlichen Wurf, einem einmaligen göttlichen Schöpfungsakt entsprungen sei. Und wenn man der Natur zuschaut – etwa dem mühelos durch die Luft gleitenden Adler, den von unsichtbarer Hand gesteuerten Fisch- und Vogelschwärmen und dem winzigen Bärtierchen, das selbst radioaktive Strahlen, brütende Hitze und härtesten Frost übersteht –, mag man ihm Recht geben. So etwas Perfektes kann ja eigentlich nur ein ebenso perfektes Wesen geschaffen haben.

Doch einige Jahrhunderte nach Leonardo kam Charles Darwin. Er sammelte schon als Kind fleißig Muscheln, Insekten, Vogeleier und Steine, doch dann verschlug es ihn erst mal zum Studium der Medizin. Die dort abgehaltenen Vorlesungen fand er allerdings schon bald langweilig und die Operationen einfach nur widerlich, weswegen er zur Theologie wechselte, um danach für eine Weile als Landpfarrer zu arbeiten. Fast hatte er sich schon damit abgefunden, diesen Job bis zum Ende seiner Tage zu verrichten, schien doch genau das Gott für ihn vorgesehen zu haben, so wie er das Fliegen für den Albatros und das Blutsaugen für die Mücke vorgesehen hatte.

Ein Großcousin jedoch weckte wieder das Kind in Charles, indem er ihn in die Welt der Insekten einführte und ihn mit einem der führenden Botaniker der Zeit, John Stevens Henslow, bekannt machte. Als er von diesem hörte, dass man für die nächste Fahrt des Erkundungsschiffes »Beagle« einen standesgemäßen und naturwissenschaftlich gebildeten Begleiter suchte, gab es für den wissbegierigen Charles kein Halten mehr: Er ging zur See. Fünf Jahre lang! Und dabei durchlebte er unzählige Naturbeobachtungen und Lesestunden, die in ihm ein Modell reifen ließen, das die Welt in ihren Grundfesten erschüttern sollte und Leonardo wohl auf die Palme gebracht hätte: die Evolutionstheorie.

Ihre Kernaussage: Die Tier- und Pflanzenarten sind nicht das Produkt einer Schöpfung, die sie mit festgelegten Merkmalen und Fähigkeiten ausgestattet hatte, sondern die Folge eines Anpassungsprozesses, der den Lebewesen das Überleben in einer sich verändernden Umwelt sichert. Laut Darwin produziert eine biologische Art immer wieder Nachkommen mit winzig kleinen Veränderungen, sogenannten »Transmutationen«, von denen nur solche überleben, die den Erfordernissen der Umwelt angepasst sind, während die unangepassten schon bald wieder verschwinden. Die angepassten Mutanten hingegen überleben nicht nur, sie produzieren auch Kinder, Enkel, Urenkel und viele weitere Generationen, in denen sich wiederum die leistungsstarken Mutanten durchsetzen, bis am Ende eine neue Art entstanden ist. Sämtliche Tier- und Pflanzenarten – und auch der Mensch – sind also laut Darwin das Produkt dieses Ausleseprozesses, das als »Survival of the fittest« in die Geschichte eingegangen ist – und für allerlei Missverständnisse gesorgt hat.

Ein besonders großes Missverständnis besteht darin, dass viele Leute glauben, dass in der Evolution nur der Stärkste überlebt, während die Schwächeren zum Aussterben verurteilt sind. Eine »evolutionäre Logik«, die auch immer wieder gerne auf menschliche Gesellschaften übertragen wird, um beispielsweise Machtansprüche und Brutalitäten als »Recht des Stärkeren« zu verklären. Oder auch, um die Probleme von sozial Schwächeren als Abschiedsgesang von Verlierern abzukanzeln, die ohnehin bald vom Globus verschwinden müssen. Tatsache ist jedoch: Nicht der Stärkste überlebt, sondern derjenige, der am besten angepasst ist. Nicht umsonst verschwanden die Dinosaurier von der Bildfläche. Denn sie waren zwar stark, doch völlig überfordert, als sich auf der Erde – vermutlich aufgrund eines Meteoriteneinschlags und massiver Vulkantätigkeiten – plötzlich die Umweltbedingungen änderten.

Tier- und Pflanzenarten besitzen also in einer sich verändernden Umwelt umso bessere Überlebenschancen, je besser ihnen selbst die Veränderung gelingt, und zwar im Sinne einer Anpassung an die Umwelt. Der Mensch hat allerdings in dieser Hinsicht einen Sonderweg eingeschlagen.

Denn er hat – ausgestattet mit einem wenig leistungsfähigen Körper, dafür aber einem extrem leistungsstarken Gehirn – umgekehrt die Umwelt sich und seinen Bedürfnissen angepasst. So hat er beispielsweise Kleidung, Häuser und Heizungen geschaffen, die ihn – als pelzloses Wesen – warmhalten können. Und weil er weder viele Kilometer fliegen kann wie ein Storch noch viele Kilometer schwimmen kann wie ein Buckelwal, hat er Flugzeuge und Schiffe gebaut. Mittlerweile kann er per Telefon oder Internet sogar mit Mitmenschen auf der anderen Seite des Globus in Kontakt kommen, ohne überhaupt noch das Haus verlassen zu müssen. Und dafür braucht er keine Mutationen: Während die Darwin-Finken von Galapagos viele Generationen warten mussten, bis ihnen ein langer Schnabel zum Aufhacken bestimmter Früchte gewachsen war, baut sich der Mensch einfach entsprechendes Werkzeug, wenn er etwas kriegen oder erreichen will. Dadurch kommt man viel schneller zum Ziel, und man behält die Kontrolle.

Mittlerweile haben die Anpassungsleistungen des Menschen jedoch Dimensionen erreicht, die deutliche Spuren in der Umwelt hinterlassen und dadurch den Anpassungsdruck auf deren Bewohner extrem erhöhen. So wurden durch den Häuser- und Straßenbau große Naturflächen zerstört sowie viele Tiere und Pflanzen verdrängt; Heizung, Mobilität und mittlerweile fast die komplette Alltagsbewältigung erfordern Energien, zu deren Produktion tonnenweise Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen werden, und immer mehr Gegenden ersticken unter Smog und Abfall, auf den Ozeanen treiben gigantische Teppiche aus Plastikmüll. Der Mensch verändert die Umwelt in einem Eiltempo, das normalerweise in der Evolution nicht vorkommt; es sei denn, dass ein Meteor einschlägt oder gleich mehrere Vulkane ausbrechen. Den Lebewesen dieser Welt – also auch dem Menschen selbst – werden dadurch enorme Anpassungsleistungen abverlangt. Man muss darin schneller sein als je zuvor.

Beispiel: Klimawandel. Bisherige Eiszeiten erstreckten sich über Jahrtausende oder wenigstens Jahrhunderte, so dass die Lebewesen viel Zeit hatten, sich darauf einzustellen. Einigen hat sie zwar nicht gereicht wie etwa dem Mammut und dem Neandertaler, doch die meisten Lebewesen kamen heil durch die Kälteperioden, weil sie davon gefordert, aber eben nicht überrumpelt wurden. Der Klimawandel aber erfordert ein deutlich zügigeres Reagieren. So schrumpft seit den 1980ern das Arktiseis in einem atemberaubenden Tempo, um etwa acht Prozent pro Jahrzehnt. Was nicht nur den Eisbären die Trittfläche raubt, sondern extreme Wetterereignisse wie etwa die Hitzewellen in Russland (2010) und den USA (2012) oder weltweit sintflutartige Regenfälle und Überschwemmungen nach sich zieht. Der Meeresspiegel stieg in den letzten 20 Jahren um 3,2 Millimeter jährlich und damit doppelt so schnell wie die Jahre zuvor. In der Folge verwandeln die Sturmfluten immer größere Flächen in öde Salzflächen. Das Prinzip »Bloß keine Hektik« kann hier leicht auf die Streichliste der Evolution führen. Am Ende wird nur derjenige übrig bleiben, dem die Anpassung schnell gelingt. Doch wer wird das sein?

Wer kann Turbo-Evolution?

Auf den ersten Blick könnte man vermuten, dass derjenige, der für die radikalen Umweltveränderungen der letzten Jahre verantwortlich zeichnet, sie auch am besten bewältigen wird. Das wäre dann also der Mensch. Ganz zu schweigen davon, dass er ja auch ein ausgewiesener Experte für Turbo-Evolution ist. Laut aktueller Einschätzung von Wissenschaftlern lebten die ersten Vertreter der Gattung Homo vor 2,4, höchstens 2,8 Millionen Jahren, was relativ zu den insgesamt 3,5 Milliarden Jahren der Evolution nicht einmal den Wert von einer Minute auf einen kompletten Tag ausmacht. In diesem kurzen Abschnitt wurden aus affenartigen Baumkletterern und Ast-zu-Ast-Springern hochtechnisierte Weltraumflieger und Facebook-zu-Twitter-Hüpfer. Die Art »Homo sapiens«, also den eigentlichen Menschen gibt es sogar erst seit etwa 200000 Jahren, und lediglich im letzten Viertel davon wurden typische Kulturmerkmale wie Ackerbau und Totenbestattungen entwickelt. Vermutlich, weil der Körper des Homo sapiens plötzlich geringere Mengen des auf Krawall bürstenden Männerhormons Testosteron bildete. 50000 Jahre, das sind vor dem Hintergrund der Evolution des Lebens gerade mal ein Siebzig-Tausendstel. Warum sollte jemand, der binnen solch kurzer Frist zum Kulturwesen geworden ist, nicht auch der Beste darin werden können, in der katastrophalen Umweltsuppe zu leben, die er sich selbst eingebrockt hat?

Die Antwort: Er wird es genauso wenig schaffen, wie es der Autofahrer nach dem Totalcrash auf der Autobahn schaffen wird, sich selbst eine Herzmassage zu verabreichen. Der Mensch hat sich in eine Situation manövriert, für die sein biologisches Anpassungstempo nicht mehr ausreicht. Möglich (wenn auch nicht wahrscheinlich), dass er mit seinem Gehirn und weisen Entscheidungen einen Ausweg daraus findet, indem er beispielsweise ein Konzept entwickelt, wie man insgesamt die Umweltverschmutzung, den Klimawandel und die Ausnutzung der Naturressourcen stoppt. Aber auf die Evolution sollte er nicht hoffen, denn da sind ihm andere Lebewesen weit voraus.

Denn bei näherer Betrachtung bedeutet das »Survival-of-the-Fittest« von Darwin, dass vor allem jene Arten die besten Chancen auf den Fortbestand haben, die binnen kurzer Zeit viele genetische Variationen – sprich: neue Modelle – produzieren. Die können sich dann in der Welt bewähren und – sofern ihnen die Bewährung gelingt – ihrerseits neue Modelle produzieren. Ratten beispielsweise beherrschen so etwas aus dem Effeff. Deren Weibchen können es mit Kindern und Kindeskindern durchaus auf fünfhundert Nachkommen jährlich bringen, von denen jeder Einzelne sich im Kampf mit der Umwelt versuchen darf. Ein Karpfen kann sogar mehr als 1,5 Millionen Eier pro Jahr legen. Von denen schaffen es natürlich nur wenige bis zum geschlüpften und schließlich fortpflanzungsfähigen Tier, doch die Vermehrungsquote eines solchen Fisches dürfte selbst bei vorsichtiger Schätzung noch um ein Vielfaches höher sein als beim deutschen Bundesbürger, dessen Frau es gerade noch auf 1,5 Kinder in ihrem Leben bringt. Solche Quoten reichen nicht einmal mehr für den Arterhalt, und sie reichen erst recht nicht, um sich genetisch einer Umwelt anzupassen, die sich schneller verändert als je zuvor. Weswegen Ratten immer wieder Resistenzen gegen die Gifte entwickeln, die man gegen sie einsetzt, während der Mensch in unseren Breiten immer mehr Allergien entwickelt, weil sein Immunsystem nicht mehr mit den unzähligen, von ihm selbst hergestellten Stoffen klar kommt. Das eine Lebewesen triumphiert wegen seiner Fortpflanzungsfreude und entsprechenden Modellvielfalt, während das andere wegen seiner Fortpflanzungsträgheit und entsprechenden Modellverarmung nicht einmal mehr die Welt ertragen kann, die es selbst erschaffen hat.

Anpassung funktioniert auch umgekehrt

Hinzu kommt, dass die aktuellen Umweltveränderungen vielen Tierarten in die Karten spielen. Wechselwarme Tiere wie etwa Quallen, Zecken und Insekten profitieren davon, wenn sich die Kälte durch den Klimawandel weltweit zurückzieht. Es erweckt sie im wahrsten Sinne zum Leben. Hier haben wir sozusagen eine Umkehrung des Anpassungsprinzips: Die Tiere müssen sich nicht mehr der Umwelt anpassen, sondern sie können entspannt abwarten, wie sich die Umwelt zu ihren Gunsten verändert. So wurde Mannheim zu Zeiten Friedrich Schillers vom »kalten Fieber« heimgesucht, der Malaria. Tausende Bürger erkrankten daran, darunter auch der Autor des »Wallenstein«, weil damals Mücken über den Betten kreisten, die den zuständigen Erreger übertragen konnten. In den 1920ern verschwand dann die Krankheit von der Bildfläche, um nach dem zweiten Weltkrieg durch die Flüchtlingsströme noch einmal kurz zurückzukehren. Doch seitdem ist Ruhe, weil sich die Überträgermücken in andere, nassfeuchtere Gegenden zurückgezogen haben und lieber Kühe als den Menschen stechen. Doch das kann sich wegen des Klimawandels bald wieder ändern. Denn die ägyptische Tigermücke ist bereits auf dem Weg nach Deutschland, sie führt Krankheiten wie Zica und Gelbfieber in ihrem Gepäck.

Worüber man aber an dieser Stelle schon unbedingt sprechen muss: dass sich die Tierwelt nicht nur über ihre genetische Flexibilität der Umwelt anpasst, sondern in dieser Hinsicht – ähnlich wie der Mensch – oft auch auf eine beachtliche Intelligenz zurückgreifen kann. Bei einigen Tieren liegt sie offen auf der Hand, wie etwa bei Affen und Elefanten. Bei anderen erschließt sie sich hingegen mehr auf den zweiten Blick.

Intelligenz ohne Schädel: Kraken haben alles im Griff

Paul lebte im Ruhrgebiet, aber seine ursprüngliche Heimat war die Nordsee vor der Küste Südenglands. Seine große Zeit kam bei der Fußball-EM 2008 und zwei Jahre später bei der WM, als ihn das Management des Sea Life Centre in Oberhausen dazu bestimmte, die Ergebnisse – vorzugsweise für Spiele mit deutscher Beteiligung – vorherzusagen. Und zwar dadurch, indem er Miesmuscheln aus unterschiedlichen Behältern zog, die mit den Nationalfarben der teilnehmenden Länder bemalt waren. Seine Trefferquote war hoch, in zwölf von vierzehn Partien tippte er auf den richtigen Sieger. Paul, der Octopus vulgaris aus dem Ruhrgebiet, erntete über Deutschland hinaus viel Anerkennung. Die Washington Post bescheinigte ihm »hellseherische Fähigkeiten«, sein Orakel-Procedere für das WM-Halbfinale Deutschland gegen Spanien wurde weltweit im Fernsehen übertragen.

Selbst die Wissenschaft debattierte über ihn. Statistiker forderten, dass seine hellseherischen Fähigkeiten unter standardisierten Bedingungen überprüft werden sollten. Ein Zoologe vermutete, dass Paul nur deshalb seine Muscheln bevorzugt aus dem Behälter mit deutscher und spanischer Flagge gezogen hätte, weil Kraken sich zu kräftigen Farben mit horizontalem Verlauf hingezogen fühlten. Einen Beweis für diese Behauptung hatte er allerdings nicht; bis heute ist noch nicht einmal klar, ob Kraken überhaupt Farben sehen können.

Der ungarische Verhaltensforscher Vilmos Csányi hält es deshalb für möglich, dass Paul manipuliert wurde. Denn, so sein Argument, der Krake sei »ein kluges Tier, das in der Lage ist, Probleme zu lösen«. So verfüge er über ein gutes Gedächtnis und sei fähig, eine Box zu öffnen, aber hinter dem Tier stehe »wahrscheinlich ein Fußballexperte, der die Lieblingsspeise des Kraken in der Box verbergen ließ, die jener Mannschaft zugeordnet war, deren Sieg er erwartete«. Das heißt: Paul ließ sich bestechen. Was zwar seine Orakeleigenschaften disqualifizierte, dafür aber umso eindrucksvoller dokumentierte, wie anpassungs- und lernfähig er war.

Solche Eigenschaften sind nämlich für Kopffüßer, zu denen neben den Kraken auch Tintenfische und Kalmare gehören, nicht ungewöhnlich. Denn die Cephalopoden, so ihr lateinischer Name, beeindrucken immer wieder durch hohe Intelligenz. Schon der bekannte Meeresforscher Jacques-Yves Cousteau wusste zu berichten: »Wenn ein Taucher die Augen eines großen Kraken auf sich gerichtet sieht, empfindet er eine Art Respekt, so als begegne er einem sehr klugen, sehr alten Tier.« Tatsächlich finden sich Kopffüßer in einem Irrgarten besser zurecht als ein Menschenaffe. Den Schraubverschluss eines Marmeladenglases zu öffnen ist für sie erst recht kein Problem – vorausgesetzt, dass in dem Glas kein Fruchtgelee, sondern eine fette Garnele auf sie wartet.

Im Frühjahr 2016 gelang einem Kraken namens Kinky die Flucht aus dem National-Aquarium von Neuseeland. Die dortigen Mitarbeiter rätseln bis heute, wie er das anstellte. Die vorherrschende Theorie lautet: Ein unachtsamer Techniker hatte einen Spalt am oberen Rand des Wassertanks offen gelassen, durch den sich das Weichtier durchquetschte, um sich dann – an seinen langen Armen – in ein Abflussrohr unterhalb des Besucherbereichs abzuseilen. In jedem Falle zeigte Kinky bei seiner Flucht geradezu planerische Weitsicht. »Wir wussten schon immer, dass er sehr neugierig ist«, so Aquariumsdirektor Rob Yarrel. »Aber offenbar ist er noch klüger, als wir dachten.«

Vermutlich verfügt jeder einzelne Kopffüßer sogar über eine individuelle Persönlichkeit. In einem Labor der Macquarie University in Sydney konfrontierte man Kraken mit einem Film, in dem eine Krabbe auf den Betrachter zumarschierte. Daraufhin liefen einige der Achtfüßer davon, andere wurden aggressiv, während wieder andere gelassen blieben und sich den Film weiter anschauten – sie fühlten sich offenbar bestens unterhalten. Als man das Experiment eine Woche später wiederholte, hatten einige Kraken ihre Persönlichkeit geändert. Aus dem einen oder anderen Angsthasen war ein entspannter Zuschauer und aus dem einen oder anderen Zuschauer ein aggressiver Kämpfer geworden. Was Studienleiterin Renata Pronk zu dem Fazit bringt: »Kraken haben offenbar keine lebenslange, sondern eine episodische Persönlichkeit.« Als Charakterschwäche sollte man das jedoch nicht auslegen. Denn erstens ist auch die Persönlichkeit des Homo sapiens nicht annähernd so stabil, wie er glaubt. Und zweitens kann ein wandelbarer Charakter auch für eine beachtliche Lernfähigkeit stehen. Oder anders ausgedrückt: Im Gehirn sind Kopffüßer ähnlich leistungsstark und flexibel wie ihre Arme.

Wobei zwischen beiden Organen ein enger Zusammenhang besteht. Aus der Evolution von Elefanten wissen wir, dass ihr IQ regelrecht explodierte, als sie mit ihrem Rüssel zu greifen begannen. Und auch der Mensch verdankt einen Großteil seiner Intelligenz der besonderen Konstruktion seiner Hand. Mit ihr kann er nämlich die Welt – taktil wie auch kognitiv – begreifen. Weswegen Entwicklungspsychologen betonen, dass man Kinder weniger vor der Glotze parken, als ihnen Gegenstände zum Betasten und Umschließen geben sollte. Denn das setzt im Gehirn Prozesse in Gang, die der visuelle Sinn allein nicht einmal annähernd anstoßen kann.

Die Intelligenz der Kopffüßer ist also eher naheliegend als überraschend, denn mit ihren Greifarmen können sie sich die Welt ähnlich gut erschließen wie der Homo sapiens mit seiner Hand. Dessen Zusatz »sapiens« würde auch einem Kraken gut zu Gesicht stehen: Octopus sapiens. Es würde besser klingen als das degradierende »vulgaris«. In jedem Falle aber dürfen wir von den Kopffüßern im Wettkampf gegen den Menschen eine Menge erwarten – und das zeigen sie momentan auch.

Seid umschlungen von Millionen!

Denn während das Leben im Meer für viele Lebewesen – infolge von Jagd, Dreck, Säuren und Wärme – unerträglich geworden ist und sich dort in den letzten vierzig Jahren die Bestände von über 1200 Wirbeltierarten halbiert haben, geht es den Kraken und ihren vielarmigen Kollegen so gut wie lange nicht mehr. Ein Forscherteam der University of Adelaide hat untersucht, wie sich weltweit zwischen 1953 und 2013 die Bestände von fünfunddreißig ausgewählten Kopffüßerarten entwickelt haben. Dazu zählten beispielsweise Riesenkraken und pazifische Flug-Kalmare, die weltweit und regelmäßig von Wissenschaftlern und Fischern eingefangen und statistisch erfasst werden.

Die australische Studie ergab: Im Unterschied zu vielen Wirbeltieren haben die Wirbellosen mit ihren Fangarmen alles bestens im Griff. Ihr Bestand hat größtenteils zugenommen, die Zahl der auf hoher See gefangenen Kalmare ist sogar drei Mal so hoch wie vor siebzig Jahren. Wer früher durch die Nordsee fischte, hatte nur in Ausnahmefällen einen der scheuen und vorsichtigen Tintenfische im Netz, mittlerweile jedoch findet man sie dort weitaus häufiger als Kabeljau und Hering. »Im Öko-System der Meere passiert offenbar etwas, was den Cephalopoden in großem Maße entgegen kommt«, erklärt Studienleiterin Zoë Doubleday.

Eine dieser Veränderungen betrifft die Temperatur: Das