Leibniz' Philosophie - Hans Poser - E-Book

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Hans Poser

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Beschreibung

Dreihundert Jahre nach Leibniz' Tod ist sein Denken so aktuell wie eh und je. Nicht nur, dass wir in der Infinitesimalrechnung die von ihm eingeführten Symbole verwenden oder uns in allen Computersprachen seiner binären Codierung von Begriffen und Aussagen bedienen – es sind vielmehr die Fragen nach dem Verhältnis von Ich und Welt, von Möglichkeit und Notwendigkeit, von Wissenschaft und Metaphysik, von Sein und Sollen, mit denen wir uns in der wissenschaftlich-technischen Welt von heute in ganz ähnlicher Weise konfrontiert sehen wie Leibniz. In vier Jahrzehnten seiner Forschungs- und Lehrtätigkeit hat sich Hans Poser, einer der gegenwärtig bedeutendsten Leibniz-Forscher, mit beinahe allen Aspekten des Leibniz'schen Denkens befasst und legt mit diesem Band eine systematisch angeordnete Zusammenführung seiner Überlegungen vor, die um das spannungsvolle Verhältnis von Metaphysik und Wissenschaft und deren Voraussetzungen kreisen. Neben einer Einführung in Leben und Werk (I.) enthält der Band umfangreiche Kapitel zu den Themenbereichen Logik, Modalität, Zeichen und Sprache (II.), zur Metaphysik (Monadenlehre, Theodizee, Nouveau Essais – III.), zu Leibniz' Wissenschaftsauffassung (IV.) sowie zu Leibniz als Erfinder, Ingenieur und Wissenschaftsorganisator (V.). Darstellungen zu Leibniz' Unterstützung der jesuitischen China-Mission, zur Rechtsphilosophie und zur Universalharmonie (VI.) schließen den Band ab. Im Leibniz-Jahr 2016 liegt damit eine Gesamtdarstellung des Leibniz'schen Denkens vor, die auf Grund der klaren Gliederung des Bandes und der guten Lesbarkeit der einzelnen Abschnitte auch als Einführung in leibnizisches Philosophieren gelesen werden kann.

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Hans Poser

Leibniz’ Philosophie

Über die Einheit vonMetaphysik und Wissenschaft

Herausgegeben von Wenchao Li

Meiner

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographischeDaten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.eISBN PDF: 978-3-7873-2860-4eISBN eBook: 978-3-7873-3037-9

www.meiner.de

© Felix Meiner Verlag Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Konvertierung: Bookwire GmbH

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

I. EINFÜHRUNG – LEBEN UND WERK

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646 –1716)

1. Lebensweg

2. Das Werk

3. Wirkung

II. GRUNDLAGEN – LOGIK, MODALITÄT, ZEICHEN UND SPRACHE

Zum logischen und inhaltlichen Zusammenhang der Modalbegriffe bei Leibniz

1. Allgemeine Bemerkungen zur Rolle der Modalbegriffe

2. Die Bestimmung der reinen Modalbegriffe in den Elementa juris naturalis

3. Die Bestimmung der Modalbegriffe in den Generales Inquisitiones

Leibniz’sche Handlungsmodi zwischen Ontologie und Deontologie

1. Die systembildende Kraft von Modalbegriffen

2. Logische als ontische Modalitäten

3. Deontisch-juridische Modalitäten

4. Das Prinzip des Besten, moralische Notwendigkeit und Freiheit

5. Das Problem der Existenz

6. Die Geistmonade als handelndes Wesen

Signum, notio und idea. Elemente der Leibniz’schen Zeichentheorie

1. Die Bedeutung einer Zeichenkunst

2. Die Zeichenträger: signum und character

3. Die Designata: notio, res und idea

4. Die Denotation: expressio und analogia

5. Die vollkommene Charakteristik als imago creationis

6. Bereichsspezifische Charakteristiken

7. Der Ursprung der Denotation und die natürlichen Sprachen

8. Schlussbemerkungen

Der Begriff der Idee bei Leibniz

1. Von Platon zu Leibniz

2. Quid sit Idea

3. Idea vera und Idea falsa

4. Idea, notio und die regio idearum

5. Die Erkenntnis der Ideen

Zeichentheorie und natürliche Sprache bei Leibniz

1. Exprimere in der Monadenlehre

2. Begriffstheorie

3. Erkenntnistheorie und Zeichentheorie

4. Zeichen und Idee

5. Repraesentatio und Analogie

6. Die vollkommene Characteristica als Imago creationis

7. Grammatica Rationis und natürliche Sprachen

8. Sprachphilosophie

9. Sprache und Weltbild

10. Ausblick

III. METAPHYSIK: MONADENLEHRE – THEODICÉE – NOUVEAUX ESSAIS

Entelechie und Monade. Zu einem Kapitel neuzeitlicher Aristoteles-Rezeption

1. Philosophia perennis

2. Aristoteles‘ Entelechiebegriff

3. Die frühneuzeitliche Philosophie als Anti-Aristotelismus

4. Leibniz’ Descartes-Kritik

5. Die Monade als Substanz

6. Philosophia perennis renovata

Ens et unum convertuntur. Zur Leibniz’schen Einheit der Monade

1. Ens et unum in der Tradition

2. Leibnizens Unterscheidung von unum per se und unum per accidens

3. Ontologie und Begriffstheorie

4. Das modale Problem der Einheit

5. Die Unio als principe actif

Perzeptionen und Appetitus: Die inneren Prinzipien der Monaden und ihre ontisch-epistemische Hierarchie

1. Die individuelle Substanz

2. Perzeptionen als nichtbewusste und bewusste Monadenzustände

3. Appetitus: Die innere Dynamik der Substanzen als Strebung

4. Die Grade der Erkenntnis als Grade der Perzeption

5. Die petites perceptions und die Gründe für ihre Existenz

6. Die Repräsentationsfunktion der Perzeptionen

Der Appetitus der Monade: Die Evolution von Werden und Erkennen

1. Denken als Apperzeption der Monade

2. Der vollständige Begriff der individuellen Substanz

3. Vis activa

4. Mens agit

5. Denken und Finalität

6. Schluss

Phaenomenon bene fundatum. Leibnizens Monadologie als Phänomenologie

1. Leibniz und die Phänomenologie

2. Leibnizens Phänomenbegriffe

3. Reale und imaginäre Phänomene

4. Metaphysik der Phänomene

Leibniz’ dreifaches Freiheitsproblem

1. Die Freiheit Gottes

2. Die Freiheit des Individuums

3. Freiheit und durchgängige Kausalität

4. Freiheit und Instinkt

Zwischen Instinkt und Vernunft. Leibniz’ Konzept der Willensfreiheit in den Nouveaux Essais

1. Instinkt und psychische Kausalität

2. Instinkt und Vernunft

3. Freier Wille in den Nouveaux Essais

4. Zusammenstimmung von Freiheit und Instinkt

Von der Zulassung des Übels in der besten Welt. Über Leibniz’ Theodizee

1. Der Spott Voltairs

2. Leibniz und das Theodizeeproblem

3. Der Grundgedanke der Leibniz’schen Theodizee

4. Die Prinzipien und die möglichen Welten

5. Das Reich der Ideen und der möglichen Welten

6. Das Übel in der Welt

7. Das Freiheitsproblem

8. Der Mensch als Richter

Leibniz und der Gedanke einer universellen Harmonie

1. Einheit und Vielheit

2. Die musikalische Harmonie

3. Das Empfinden und Denken der Harmonie

4. Die Einheit der Monade und die prästabilierte Harmonie

5. Die Universalharmonie

6. Die menschliche Schöpfung: Harmonie in der Vervollkommnung der Welt

IV. ZWISCHEN METAPHYSIK UND WISSENSCHAFT

Leibniz’ Metaphysik heute: Die Synthese von Panlogismus und Pandynamismus

1. Der Wandel der Deutungen der Leibniz’schen Metaphysik

2. Die Grundlage der Dynamik

3. Die drei modalen Stufen facultas – dispositio – potentia

4. Die Leibniz’sche Verwendung der Modalia im Lichte der drei Stufen

5. Die dritte Stufe: Potentia oder vis

6. Der Ursprung der Dynamik: Potentia Dei

7. Leibniz heute

Analogia und Expressio bei Leibniz

1. Der Begriff der Analogie

2. Leibniz’ Aussagen zur Analogie

3. Expressio und Analogia

Leibnizens Theorie der Relationalität von Raum und Zeit

1. Newtons Raum- und Zeitmetaphysik

2. Raum und Zeit als Ordnungsstrukturen

3. Die Widerlegung der Absolutheit von Raum und Zeit durch das Prinzip des zureichenden Grundes

4. Gegen die Substantialisierung des Raumes

5. Erkenntnistheoretische und methodologische Kritik

6. Physik und Metaphysik

Die Idee der Unendlichkeit und die Dinge. Infinitum und Immensum bei Leibniz

1. Infinitum, indefinitum und immensum

2. Teil und Einheit

3. Raum und Zeit

4. Dinge und Monaden

5. Die Erkennbarkeit des Unendlichen

Erfinden als Wissenschaft. Leibniz’ Ars inveniendi

1. Projekte einer Ars inveniendi als Ars combinatoria

2. Die Leibniz’sche Ars combinatoria

3. Von der Kombinatorik zur Ars inveniendi

4. Die Infinitesimalrechnung als Paradigma

5. Einbettung und Ausweitung

6. Von den notwendigen Wahrheiten zur Kontingenz

7. Aufnahme und Weiterführung bei Christian Wolff

8. Heutige Bemühungen um eine Entwurfswissenschaft

V. THEORIA CUM PRAXI

Erfindungen für das bonum commune. Leibniz als Ingenieur

1. Die Mehrung des Gemeinwohls

2. Technik als Arbeitserleichterung

3. Technik als Freisetzen für Besseres

4. Technik zur Vergrößerung des Ansehens des Erfinders

5. Technik zur Vergrößerung der Einnahmen des Erfinders und des Landesherren

6. Theoretischer Erkenntnis, Erfindung, Dialog und Transformation in der Praxis

Leibniz und seine Pläne zur Aufrichtung einer Societät der Wissenschaften

1. Akademiepläne der Mainzer Zeit

2. Die Praxis zur Theorie: Die Berliner Societät

3. Die Akademien von Wien und St. Petersburg

Die Schwierigkeit, Theorie und Praxis zu vereinen: Das Akademiekonzept und die Technikwissenschaften

1. Die nützliche Akademie

2. Leibniz als Erfinder

3. Theoretische und praktische Wissenschaft

4. Systematik als Voraussetzung praktischer Wissenschaft

5. Die Maschinenmetapher

6. Die Erfindung des Neuen

7. Die Akademie und die Technikwissenschaften

VI. EPILOG

Propagatio fidei per scientias. Leibniz’ Gründe für die Unterstützung der jesuitischen China-Mission

1. Wissenschaft und Lebenssinn

2. Die jesuitische China-Mission

3. Die Novissima Sinica

4. Die Seinsordnung als Rechtsordnung: Die Justitia universalis

5. Die Grundprinzipien

6. Das Prinzip des Besten und die Universalharmonie

Abkürzungen der Leibniz-Schriften und Ausgaben

Nachweise erster Veröffentlichungen

Anmerkungen

Vorwort des Herausgebers

Dreihundert Jahre nach dem Tod von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) ist sein Denken so aktuell wie eh und je. Nicht nur, dass wir in der Infinitesimalrechnung die von ihm eingeführten Symbole verwenden oder uns in allen Computersprachen seiner binären Codierung aller Begriffe und Aussagen bedienen – es sind vielmehr die Fragen nach dem Verhältnis von Ich und Welt, von Möglichkeit und Notwendigkeit, von Wissenschaft und Metaphysik, von Sein und Sollen, mit denen wir uns heute in einer wissenschaftlichtechnischen Welt in ganz ähnlicher Weise konfrontiert sehen wie Leibniz.

All dieses veranlasste den Herausgeber, eine Auswahl von Hans Posers deutschsprachigen Leibniz-Aufsätzen, die um das spannungsvolle Verhältnis von Metaphysik und Wissenschaft und seine Voraussetzungen kreisen und bisher zerstreut erschienen sind, systematisch angeordnet in einem Band zusammenzuführen. Ein Résumée des hier Gebotenen erübrigt sich, dessen Reichtum erschließt sich mehr als holzschnittartig bereits aus der Struktur des Inhaltsverzeichnisses. So enthält der Band neben einer Einführung in Leben und Werk (I.) umfangreiche Beiträge zu den Themenbereichen Logik, Modalität, Zeichen und Sprache (II.), zur Metaphysik (III.), zu Leibniz’ Wissenschaftsauffassung (IV.) sowie zu Leibniz als Erfinder, Ingenieur und Wissenschaftsorganisator (V.). Darstellungen zu Leibniz’ Interesse an der jesuitischen China-Mission, zur Rechtsphilosophie und zur Universalharmonie (VI.) schließen den Band ab.

Wegen der guten Zugänglichkeit sind Beiträge zu den Studia Leibnitiana, deren Supplementa und Sonderhefte nicht aufgenommen. Um den geschlossenen Charakter der hier wiedergegebenen Einzelbeiträge zu wahren, wurde darauf verzichtet, Wiederholungen zu tilgen, jedoch wurden die Quellenangaben vereinheitlicht und zumeist ergänzt um Verweise auf die inzwischen erschienenen Bände der Leibniz-Akademie-Ausgabe; zur besseren Übersicht wurden die ursprünglichen Anmerkungen kapitelweise durchnummeriert und als Endnoten angehängt. Eine Abkürzungsliste findet sich am Ende des Bandes. Die jeweiligen deutschen Fassungen der lateinischen oder französischen Leibniz-Zitate sind an die gängigen Übersetzungen angelehnt, ohne diese jeweils zu benennen. Darüber hinaus sind die Texte unter Verwendung neuen Rechtschreibung durchgesehen worden.

Der Herausgeber dankt Hans Poser für die Überlassung der Beiträge; Manfred Meiner und Marcel Simon-Gadhof danken Autor und Herausgeber für die Aufnahme ins Programm des Meiner Verlages und für die gute Betreuung.

Der Druck wurde ermöglicht durch Zuschuss der Leibniz-Stiftungsprofessur der Leibniz Universität Hannover.

Hannover/Berlin, im Mai 2016 W. Li

I.Einführung – Leben und Werk

Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716)

Die neuzeitliche Philosophie ist in ihren beiden großen Entwicklungslinien, in der des Empirismus und der des Rationalismus, gekennzeichnet durch eine Hinwendung zum Subjekt. Das Individuum tritt uns seit der Renaissance als Kristallisationspunkt des Denkens entgegen; von ihm aus werden Sinn- und Weltverständnis entfaltet und auf menschliche Vernunft und Erfahrung als die beiden neuen Begründungsinstanzen gestützt. Lockes Tabula rasa ist die Tabula rasa eines Erkenntnissubjekts, Descartes’ Meditationen sind die Selbstreflexion des einzelnen denkenden Ich. In der Leibniz’schen Philosophie schließlich kulminiert diese Entwicklung in der Ersetzung der beiden cartesischen Substanzen oder der einen spinozistischen Substanz durch eine Substantialisierung des Individuums. An die Stelle der klassischen Substanzenlehre tritt eine unendliche Fülle sich selbst bestimmender, nur ihrem eigenen inneren Gesetz unterworfener und damit autonomer individueller Substanzen. Die inneren Gesetze erscheinen in ihrer Harmonie miteinander als Naturgesetze der Phänomene, erkennbar im Zusammenwirken von Vernunft und Erfahrung des reflektierenden Individuums. In der Leibniz’schen Monadenlehre gewinnt damit das neuzeitliche Selbstverständnis des Menschen seine angemessene Fundierung.

Dennoch erscheinen uns heute Leibniz’ Monadenlehre und seine Hypothese einer prästabilierten Harmonie ebenso fremd wie seine Lösung des Theodizeeproblems als Problem des Verhältnisses von Vernunft und Glaube, von göttlicher Güte und menschlichem Leiden. Unvorstellbar erscheint es uns, unsere Welt als die beste aller möglichen zu sehen; wir neigen zu Voltaires Spott im Candide. Doch ist dieser Spott gerechtfertigt? Friedrich II., in seinen Urteilen nicht weniger dezidiert als Voltaire, hatte Leibniz »eine Akademie für sich« genannt, und Kant spricht bei aller Kritik von ihm als dem »berühmten Leibniz«. Leibniz ist der erste deutsche Philosoph der Neuzeit, der Weltgeltung erlangte und dessen Gedankengut für mehr als ein halbes Jahrhundert die deutsche Aufklärung bestimmte.

Aus der Universalität jener Fragen, denen Leibniz sich gewidmet hat, sollen im Folgenden zentrale Elemente seines philosophischen Denkens herausgelöst werden. Nur andeutungsweise können im Abriss seines Lebensweges seine Tätigkeiten als Mathematiker, Jurist, Historiker, Naturwissenschaftler, Techniker und Geologe berührt werden, obwohl sie sich für ihn zu einer Einheit zusammenschließen, die in ihren wechselseitigen Bezügen eine wesentliche Stütze seines Gedankengebäudes darstellt.

1. Lebensweg

Zwei Jahre vor Ende des Dreißigjährigen Krieges, am 21. Juni 1646, wurde Gottfried Wilhelm Leibniz in Leipzig geboren. Sein Vater war Jurist und zuletzt Professor der Moralphilosophie, seine Mutter die Tochter eines angesehenen Rechtswissenschaftlers. Leibniz’ Vater verstarb früh. Er hinterließ eine umfangreiche Bibliothek, die dem Achtjährigen zugänglich gemacht wurde, nachdem er ohne fremde Hilfe Latein gelernt hatte. Als Zwölfjähriger begann er über Probleme der Logik nachzudenken. Schon damals beschäftigte ihn der Plan, eine »Art Alphabet der menschlichen Gedanken« aus Grundbegriffen und Grundaussagen allen Denkens zu entwickeln, bei dem sich »durch Verknüpfung seiner Buchstaben und der Analyse der Worte, die sich aus ihnen zusammensetzen, alles andere entdecken und beurteilen lässt«. Was sich hier abzeichnet, ist der sein ganzes Lebenswerk begleitende Gedanke eines umfassenden Zeichensystems, einer Characteristica universalis auf kombinatorischer Grundlage.

Noch nicht fünfzehnjährig begann Leibniz 1661 ein allgemeines, vorwiegend philosophisches Studium in Leipzig. Anregungen und eine gründliche Einführung in die Probleme der Schultradition erhielt er von dem Theologen Adam Scherzer und vor allem von dem Philosophiehistoriker Jakob Thomasius, dem Vater des Frühaufklärers Christian Thomasius. 1663 erwarb er das Baccalaureat mit der Schrift De principio individui;deren Probleme, das Verhältnis von Sein, Individuum und Einheit, sollten zu den Grundproblemen seines Philosophierens werden. Damals kam Leibniz erstmals mit den Schriften Bacons, Keplers, Galileis und Descartes’ in Berührung.Sein erwachendes Interesse ließ ihn für ein Semester nach Jena zu dem Mathematiker, Astronomen und Physiker Erhard Weigel wechseln. Der Pythagoreer Weigel vermittelte ihm den Gedanken einer umfassenden, durch Zahlen charakterisierbaren Harmonie der Welt. Nach der Rückkehr nach Leipzig wandte sich Leibniz dem Jurastudium zu. Weil er seines jugendlichen Alters wegen nicht zur Promotion zugelassen wurde, zog er an die Universität Altdorf bei Nürnberg, wo er 1667 mit einer so hervorragenden Leistung promovierte, dass man ihm eine Professur anbot, die er jedoch ausschlug. Danach war er in Nürnberg zeitweilig Sekretär der Rosenkreuzer, um Zugang zu deren Kunst zu finden, zu jener Ars magna des Raimundus Lullus, über deren Möglichkeit er als Jugendlicher gegrübelt hatte und in der der Logos zugleich als Geist, Wort und Zeichen die Synthese der Dinge erfassen sollte. Schon vor Abschluss seines Studiums hatte er seine Dissertatio de Arte Combinatoria (Abhandlung über die Kombinatorik)veröffentlicht, die den logischen Grundlagen einer solchen Kunst gewidmet war.

Wohl auf Empfehlung von Baron Boineburg widmete Leibniz 1667 seine kleine Schrift zur Reform des Rechtswesens, die Nova methodus discendae docendaeque jurisprudentiae (Neue Methode, die Rechtswissenschaft zu lernen und zu lehren), dem Kurfürsten Johann Philipp von Schönborn in Mainz. Dieser nahm ihn daraufhin in seine Dienste: Leibniz sollte an einer Umarbeitung des Corpus juris zu einem Gesetzeswerk für alle christlichen Nationen mitwirken. Schon 1670 wurde Leibniz zum Rat am Kurmainzischen Revisionsgericht ernannt, einem der wichtigsten Gerichte des Reiches. In die Mainzer Zeit fällt die Auseinandersetzung mit Fragen des Naturrechts und mit theologisch-philosophischen Problemen, veranlasst durch die von Boineburg und dem Kurfürsten gestützten Reunionsbemühungen der christlichen Konfessionen. Diese Verhandlungen sollte Leibniz im Auftrage des hannoverschen Hofes mit Spinola und Bossuet seit 1679 mit Unterbrechungen bis 1702 ergebnislos fortführen, ebenso ergebnislos wie die von 1697 bis 1706 dauernden Bemühungen um einen Zusammenschluss wenigstens der evangelischen Konfessionen. Weiter entstanden in Mainz erste Entwürfe zu einer deutschen Akademie entsprechend dem französischen und englischen Vorbild, aber unter verstärkter Einbeziehung praktischer Fragestellungen. Probleme der Wissenschaftsorganisation und der Wissenschaftssystematik beschäftigten Leibniz von da an bis zu den ausgereiften Plänen der Berliner Akademie auf der organisatorischen Seite und bis zu den Entwürfen einer Scientia generalis und Characteristica universalis als Universalwissenschaft bzw. universeller Logik und Zeichentheorie auf der systematischen Seite.

1672 reiste Leibniz in geheimer Mission mit seinem Ägyptischen Plan, sein Consilium Aegyptiacum, nach Paris, um Ludwig XIV. zu einem Krieg gegen Ägypten zu bewegen. Damit sollte die Türkengefahr für Europa gebannt und eine Beendigung der europäischen Eroberungskriege des Sonnenkönigs erreicht werden. Der Plan war ebenso erfolglos wie eine frühere Denkschrift Leibnizens zur polnischen Königswahl. Erst Napoleon besetzte Ägypten – ohne Kenntnis des Leibniz’schen Entwurfes. – Schon vor seiner Abreise hatte Leibniz in seiner Neuen physikalischen Hypothese, der Hypothesis physica nova, den Versuch unternommen, eine Bewegungslehre zu schaffen; doch in Paris sah er bald, wie wenig er in die moderne Mathematik und Physik eingedrungen war. Angeleitet von Huygens, im Umgang mit Mitgliedern der Académie des sciences und durch die Lektüre unveröffentlichter Manuskripte von Pascal und Descartes gelang es ihm nicht nur, die Lücken zu schließen, sondern selbst wesentlich zum Fortschritt der Mathematik beizutragen: Über die Summation unendlicher Reihen wurde er – unabhängig von Newton – zur Entwicklung der Differential- und Integralrechnung geführt. (Der Leibnizens Alter überschattende Prioritätenstreit hieraus mit dem Plagiatsvorwurf seitens der Newton-Anhänger wurde erst 1690 entfacht und 1712 zu Leibniz’ Ungunsten von der Royal Society entschieden.) Zuvor schon hatte Leibniz eine Rechenmaschine für alle vier Grundrechnungsarten entwickelt. Als er sie 1673 der Royal Society anlässlich einer diplomatischen Londonreise vorführte, wurde er zu deren Mitglied gewählt. Auch philosophischen Fragen widmete sich Leibniz in Paris. Die Confessio philosophi (Bekenntnis des Philosophen) von 1673 ist Beleg für die Grundlegung seiner Lösung des Theodizeeproblems (der Rechtfertigung des Übels in der Welt angesichts der Güte Gottes) durch den Gedanken der unvermeidlichen Zulassung des Übels, wenn Gott unter unendlich vielen möglichen Welten die beste wählt und erschafft. Leibniz’ populäre Essais de Theodicée sur la bonté de Dieu, la liberté de l’homme et l’origine du mal (Versuche über die Theodizee, über die göttliche Gerechtigkeit, die Freiheit des Menschen und den Ursprung des Übels) von 1710 entfalteten diesen Gedanken vor dem Hintergrund des ausgebildeten Systems. – Die Begegnung mit Männern wie Huygens, Colbert, Malebranche und Arnauld in Paris, mit Oldenburg, Boyle und Newton in London ließen Leibniz den Anschluss an die Gelehrtenrepublik finden. Sie führte schließlich zu einer grundsätzlichen Klärung der eigenen philosophischen und naturwissenschaftlichen Position. Etwa 1678 liegen für Leibniz so entscheidende Auffassungen wie die Ablehnung des Atomismus und des Substanzcharakters des Ausgedehnten fest; ebenso finden wir die Vorstellung von der Substantialität des Individuums und von dessen dynamischem, die Welt spiegelnden Charakter wie auch die Lösung des Theodizeeproblems angelegt. Die Durchgestaltung zu einem Ganzen findet sich in einem ersten Entwurf im Discours de Métaphysique (Metaphysische Abhandlung) und hinsichtlich der begriffstheoretischen Fundierung in den parallel entstandenen Generales Inquisitiones de analysi notionum et veritatum (Allgemeine Untersuchungen über die Analyse der Begriffe und Wahrheiten) von 1686. Ein Jahrzehnt später, im Systeme nouveau de la nature et de la communication des substances, aussi bien que de l’union, qu’il y a entre l’âme et le corps (Neues System der Natur und der Gemeinschaft der Substanzen wie der Vereinigung zwischen Körper und Seele) von 1695, veröffentlichte Leibniz erstmals eine Gesamtdarstellung seiner Metaphysik. Wenig später verwendet er die Bezeichnungen »Monade« und »prästabilierte Harmonie«, die Schlüsselbegriffe der späten Zusammenfassungen seines metaphysischen Denkens in der sogenannten Monadologie und den damit übereinstimmenden Principes de la Nature et de la Grâce, fondés en raison (Die Vernunftprinzipien der Natur und der Gnade) von 1714.

Leibniz’ politische Mission in London und Paris wurde durch den plötzlichen Tod Boineburgs und Johann Philipps von Schönhorn hinfällig. Mittellos und ohne die erhoffte, mit Bezügen verbundene Wahl zum Mitglied der Académie des sciences (sie erfolgte erst 1700) trat er als Hofrat und Bibliothekar in die Dienste Johann Friedrichs von Braunschweig-Lüneburg, eines allseits aufgeschlossenen Herzogs. Der Weg nach Hannover führte ihn über London und Amsterdam, wo er mit Spinoza zusammentraf. Nach einem Besuch Leeuwenhoeks, des Erfinders des Mikroskops, gelangteLeibniz Ende 1676 nach Hannover, das seine Wirkungsstätte bleiben sollte. Dort diente er drei Herzögen: nach dem Tode Johann Friedrichs (1679) dessen Bruder Ernst August und ab 1698 Georg Ludwig (dem späteren König Georg I. von England), die beide wenig Verständnis für das Genie an ihrem Hofe hatten – oder aus der Sicht Georg Ludwigs: für die »lebende Enzyklopädie«, die immer dann höchst eigenwillig auf nicht genehmigten Reisen war, wenn man ihrer bedurft hätte. Im Gegensatz hierzu verband Leibniz eine tiefe Freundschaft mit der Schwester Elisabeths von der Pfalz, der Herzogin Sophie, Gemahlin Ernst Augusts, und mit deren Tochter Sophie Charlotte, der späteren preußischen Königin. Die Gespräche mit letzterer waren die Grundlage der beiden großen populären Werke Leibnizens, der Essais de Theodicée und der Auseinandersetzung mit Lockes Essay concerning human understanding, den Nouveaux Essais sur l’entendementhumain (Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand)von 1703/05. Da Locke 1704 starb, veröffentlichte Leibniz das Manuskript nicht; es erschien erst 1763.

Nach dem Scheitern seiner Projekte zur Entwässerung der Harzbergwerke durch Windräder wurde Leibniz 1685 als Hofhistoriograph beauftragt, eine Geschichte des Welfenhauses zu schreiben. Bemüht um eine methodisch durch Quellen gesicherte Geschichtsschreibung, unternahm er 1687–1690 eine ausgedehnte Reise über Süddeutschland und Wien nach Rom und Neapel. In Wien erläuterte Leibniz dem Kaiser seine Pläne einer kaiserlichen Akademie, in Rom fand er schnell Zugang zu den bedeutendsten Wissenschaftlern Italiens. Ihm wurde die Stelle eines Kustos der Vatikanischen Bibliothek mit der Aussicht auf die Kardinalswürde angetragen; doch da dies an eine Konversion gebunden war, lehnte er ab. Der Hauptzweck der Reise wurde erreicht: Es gelang Leibniz, den gemeinsamen Ursprung der Welfen und des Hauses Este nachzuweisen und umfangreiches Quellenmaterial sicherzustellen, das er in den Folgejahren veröffentlichte. Die Welfengeschichte jedoch wurde nie zu Ende geführt, eine Quelle ständigen Verdrusses mit dem Herzog. Dennoch fand sich Leibniz nach der Reise auf dem Höhepunkt seiner Erfolge am Hofe: Seine staatspolitischen Schriften, seine historische Forschung und seine Gutachten führten zur Verleihung der Kurwürde an das Haus Hannover und zur Anerkennung der Erbfolge in Sachsen-Lauenburg.

In Italien entstand – gestützt auf Material aus den Harzbergwerken und aus italienischen Gruben, vom Vesuv und von den Phlegräischen Feldern – eine Naturgeschichte der Erde, die Protogaea, die Leibniz der Welfengeschichte voranstellen wollte. Ebenso konzipierte er 1687 eine Bewegungslehre, die Dynamica, von der nur ein kurzer Auszug veröffentlicht wurde. Kurz vor seinem Tode stellte Leibniz seine Auffassung noch einmal im Briefwechsel mit Samuel Clarke dar, dessen Antworten von Newton gebilligt waren. Leibniz’ Auffassungen der Relativität von Raum und Zeit, der Notwendigkeit einer Voraussetzung des Prinzips des zureichenden Grundes bei aller erfahrungswissenschaftlichen Forschung und schließlich einer dynamischen Begründung der Physik haben dabei über die Physik hinaus Bedeutung für seine Philosophie.

1700 wurde endlich die von Leibniz angeregte Preußische Akademie gestiftet und Leibniz zum Präsidenten auf Lebenszeit ernannt – um doch als persona non grata 1711 an der Eröffnung nicht teilzunehmen. Pläne für die sächsische und für die kaiserliche Akademie zerschlugen sich aus finanziellen Gründen; die in Gesprächen mit Zar Peter dem Großen angeregte russische Akademie wurde erst nach Leibniz’ Tod verwirklicht. – In den Folgejahren war Leibniz ständig auf Reisen. Als er 1712 ohne Urlaub zu nehmen nach Wien fuhr, sperrte Georg Ludwig seine Bezüge und verbot dem 1714 Zurückgekehrten, dem nach London verlegten Hof vor Abschluss der Welfengeschichte zufolgen. Leibniz, der Hannoversche und Russische Geheime Rat und Reichshofrat, starb am 14. November 1716 in Hannover; das Begräbnis fand ohne einen Vertreter des Hofes statt.

2. Das Werk

Das Anliegen des Rationalismus ist die Begründung der Erkenntnis durch Vernunft. Dass und wie die Welt mit den Mitteln der ratio erfassbar ist, sollte durch Descartes’ methodische Regeln und durch Spinozas Vorgehen more geometrico gesichert werden. Leibniz nimmt diesen Anspruch auf, doch zugleich ist es sein Ziel, das zentrale Element des neuzeitlichen Denkens mit dem tradierten Gedankengut zu versöhnen: Die von Descartes und Spinoza verhöhnte aristotelische Logik wird von ihm in ungleich leistungsfähigerer Gestalt rehabilitiert; das der aristotelischen Tradition entstammende Verständnis substantieller Formen mit innerer, zielgerichteter Dynamik und die damit verbundene Finalerklärung treten neben die Kausalerklärung; die Rettung der Phänomene, vom Empirismus kritisch gegen den Rationalismus verfochten, soll ihren Platz haben in Gestalt unverzichtbarer, aber ohne Vernunft nie zu erlangender Tatsachenwahrheiten. All diese Elemente werden von Leibniz zu einem Ganzen verwoben, dessen Schlussstein die Monadenlehre bildet. Doch um zu ihr Zugang zu finden, müssen die sie tragenden Teile freigelegt werden. Weil logische und metaphysische Überlegungen bei Leibniz innigst verflochten sind, sollen seine Prinzipien aller Vernunfterkenntnis und seine Auffassung von der Struktur der Begriffe an den Anfang gestellt werden. Daran erst wird sich eine Behandlung der Monadenlehre anschließen, gefolgt von einer Skizze des Theodizee- und Freiheitsproblems.

a) Nichts ist ohne Grund

Die Sicherung des Wissens ist nicht so voraussetzungslos, wie es Descartes’ Methodenlehre scheinen lässt; denn wieso ist Erkenntnis überhaupt möglich, wieso ist die Welt mit der Vernunft erfassbar? Für Leibniz ist diese Frage der Ausgangspunkt, und er beantwortet sie mit seinem »großen Prinzip«: Nihil est sine ratione sufficiente, nichts ist ohne zureichenden Grund. Dieses allgemeine Prinzip des Grundes im weitesten Sinne ist, so würden wir heute sagen, die apriorische Voraussetzung aller Erkenntnis; ohne es wären weder Logik noch Mathematik, weder die cartesische Reflexion noch Lockes angeblich nur auf Erfahrung beruhende Erkenntnis möglich. Das Prinzip ist seinerseits nicht weiter begründbar, weil eine Begründung zirkulär wäre; es lässt sich allenfalls plausibel machen, denn würde es nicht gelten, könnte Gott etwas ohne Grund schaffen, also etwas Unbegründetes denken.

Wenngleich nichts ohne Grund ist, so sind doch die Gründe jeweils sehr unterschiedlich. Deshalb zerfällt das allgemeine Prinzip des Grundes seinerseits in das Prinzip des Widerspruchs und der Identität und das Prinzip des zureichenden Grundes im engeren Sinne. Das Prinzip des Widerspruchs und der Identität wird vonLeibniz unterschiedlich formuliert, mal im Sinne des Bivalenzprinzips – jede Aussage ist entweder wahr oder falsch – (Theodizee I § 44), mal als »Prinzip des Widerspruchs, kraft dessen wir alles als falsch bezeichnen, was einen Widerspruch einschließt, und als wahr alles das, was dem Falschen kontradiktorisch entgegengesetzt ist« (Monadologie § 31, vgl. 2. Brief an Clarke, § 2); schließlich in ontologischer Form: Etwas kann nicht zugleich sein und nicht sein (vgl. Nouveaux Essais [= NE] IV.7 § 12). Die letzte Formulierung zeigt, dass Leibniz jede logische Aussage zugleich als ontologische sieht. In der Fassung des Bivalenzprinzips gilt das Prinzip für alle Aussagen, reicht aber nicht aus, festzustellen, dass eine Aussage wahr ist. In der Fassung der Monadologie hingegen wird darüber hinaus für einige Fälle der Wahrheitswert einer Aussage bestimmt: Wahr sind danach Aussagen, deren Negation einen Widerspruch enthält, insbesondere also Identitäten. Da Leibniz diese Bestimmung zugleich als Definition der Notwendigkeit verwendet und die Vernunftwahrheiten als die notwendigen Wahrheiten definiert, ergibt sich, dass die Vernunftwahrheiten diejenigen Aussagen sind, die allein aufgrund des Widerspruchsprinzips wahr sind. Zu ihnen zählen alle mathematischen, geometrischen und logischen Aussagen, von denen Leibniz (fälschlich) annimmt, sie seien durch eine Rückführung auf identische Aussagen beweisbar. – Da das Prinzip des Widerspruchs als Grundprinzip des Denkens eine fundamentale Eigenschaft aller Wahrheiten (ihre Widerspruchsfreiheit), insbesondere der notwendigen Wahrheiten (die Widersprüchlichkeit, also Falschheit ihrer Negation) ausdrückt, kann es nicht auf göttlicher Willkür beruhen, ebensowenig wie Logik und Mathematik.

Nun gibt es Aussagen, deren Negation keinen logischen Widerspruch enthält: die kontingenten Aussagen. Die wahren kontingenten Aussagen sind die den Vernunftwahrheiten entgegengesetzten Tatsachenwahrheiten. Sie genügen dem Prinzip des zureichenden Grundes im engeren Sinne. Es besagt, dass »niemals etwas ohne eine Ursache oder einen bestimmten Grund geschieht« (Theod. I § 44). Es ist nicht auf das Prinzip des Widerspruchs rückführbar; es ist also nicht notwendig, sondern selbst kontingent. Damit, so können wir sagen, stellt es eine apriorische, aber nicht (logisch) notwendige Voraussetzung aller Tatsachenerkenntnis dar. Mit Nachdruck betont Leibniz, man könne nicht aufgrund von Experimenten feststellen, dass die Natur gesetzmäßig sei; vielmehr setzt jede Beobachtung und jedes Experiment deren Gesetzmäßigkeit voraus! Kants Auffassung, der Verstand schreibe der Natur die Gesetze (eigentlich: die Gesetzesform) vor, hat hier ihre Wurzeln.

Das Prinzip des zureichenden Grundes – künftig immer im engeren Sinne – gilt erstens für Sachverhalte dieser Welt, indem es ausspricht, dass jeder Sachverhalt eine kausale Ursache und damit eine nicht abreißende unendliche Kausalkette besitzt. Es gilt zweitens für menschliche Handlungen; dann spricht es aus, dass es zu jedem Handeln eine vollständige Kausalkette gibt, die auch die inneren Zustände einschließt. Schließlich gilt das Prinzip für das Handeln Gottes, denn Gott handelt nie aus Willkür; entsprechend verlangt das Prinzip finale Gründe göttlichen Handelns. Da Gott aber nur das Beste will, nennt Leibniz das Prinzip des zureichenden Grundes in dieser Gestalt das Prinzip des Besten, das den zureichenden Grund für die Existenz dieser Welt und damit eines jeden einzelnen Dinges angibt. Es besagt, dass Gott von den logisch möglichen Welten diejenige ausgewählt und geschaffen hat, die die reichste an Erscheinungen und zugleich die geordnetste ist (vgl. Discours de Métaphysique § 6). Gott muss diesem Prinzip nicht im Sinne einer logischen Notwendigkeit folgen, sondern nur im Sinne einer moralischen Notwendigkeit. Hierbei setzt Leibniz voraus, dass etwas nicht deshalb gut ist, weil Gott es will, sondern dass Gott etwas will, weil es gut ist: Gott kann das, was gut ist, ebensowenig festsetzen wie das, was logisch wahr ist. Auch wenn Leibniz hierin keine Einschränkung der Allmacht Gottes sieht, sondern nur eine Feststellung über das Wesen Gottes, wird damit ein Schritt in Richtung des Deismus und eine Lösung der Philosophie von der Bindung an den Gottesbegriff getan. Denn erstens unterscheiden sich menschliche und göttliche Vernunft nur graduell, nicht aber prinzipiell; zweitens fungiert Gott nur als Bezeichnung für das logisch und moralisch Vernünftige, nicht aber als Garant dieser Vernünftigkeit. Was bleibt, ist der die Welt schaffende und in ihrer Existenz erhaltende Gott.

Das Prinzip des zureichenden Grundes bezeichnet einmal Ursachen (causae), ein andermal Gründe (rationes). Man könnte deshalb meinen, man habe es der Sache nach mit zwei Prinzipien zu tun; doch damit würde eine entscheidende Intention Leibnizens verfehlt: Jedes Ereignis dieser Welt, ausgedrückt in einer Tatsachenwahrheit, ist zugleich sowohl Teil einer Kausalkette als auch Ausdruck des Willens Gottes als Schöpfer dieser Welt, also Element einer finalen Begründung: causae sind eigentlich rationes. Eben darum ist die Welt für den Menschen verstehbar, obwohl er die unendlichen Begründungsketten nicht zu überschauen vermag.

Die Abhängigkeit der Prinzipien voneinander lässt sich zusammenfassend darstellen:

Damit ist die Bedeutung der Prinzipien jedoch noch nicht ausgeschöpft. Das Prinzip des Widerspruchs verlangt, dass die Negation einer wahren Aussage falsch ist. Die Negation einer Tatsachenwahrheit T ist also falsch, aber sie enthält keineswegs einen Widerspruch, sonst wäre T eine Vernunftwahrheit. So gesehen begrenzt das Prinzip des Widerspruchs nicht nur die Vernunftwahrheiten,sondern etabliert auch den Bereich der möglichen Aussagen, das »Reich der Möglichkeiten« oder »Reich der Ideen«, weil Leibniz Möglichkeit im Sinne des scholastischen possibile logicum als Widerspruchsfreiheit definiert.

b) Das Reich der Ideen und die möglichen Welten

Das Bestehen des Reiches der Ideen ist für Leibnizens philosophisches Denken von größter Bedeutung; denn es ist die Grundlage der göttlichen Wahl wie der menschlichen Freiheit und damit seiner Lösung des Theodizeeproblems. Mit dem Rekurs auf das Reich der Ideen überwindet er Spinozas durchgängigen Determinismus; auf diesem Rekurs beruht schließlich die Ablehnung der cartesischen Auffassung, die Welt müsse alle überhaupt möglichen Zustände irgendwann einmal annehmen. Nun erscheinen nach dem Bisherigen Bezeichnungen wie »Reich der Ideen«, »Enthaltensein eines Widerspruchs«, »Auflösung in Identitäten« oder »mögliche Welten« als bloß metaphorisch und wenig geeignet, eine solche Last metaphysischer Argumente gegen Descartes und Spinoza zu tragen. Gestützt wird dieser Eindruck durch den an platonische Dialoge gemahnenden Schlussmythos der Theodicée, wo Leibniz die möglichen Welten als Kammern einer Pyramide darstellt, durch die Pallas Athene den staunenden Sextus führt: In jeder Kammer ist sein Leben in anderen Varianten dargestellt, wobei das oberste Gemach, das die wirkliche Welt wiedergibt, das vollkommenste ist. Doch während Platons Mythen das Unsagbare ausdrücken sollen, haben alle eben genannten Bezeichnungen bei Leibniz eine ganz präzise Bedeutung im Rahmen seiner Begriffstheorie. Ihr wollen wir uns jetzt zuwenden.

Eine Voraussetzung des Leibniz’schen Denkens ist die Annahme, die Welt lasse sich im Prinzip (für Gott oder für ein unendliches Denken) mit wahren kategorischen Aussagen vollständig erfassen. (Kategorisch sind Aussagen des Typs »A ist B« im Gegensatz zu hypothetischen Aussagen – »Wenn A, dann B« –‚ zu disjunktiven – »A ist B oder C« – und zu relationalen Aussagen – »A steht zu B in der Relation R«.) Die Ausdrückbarkeit der Welt in wahren Aussagen ist letztlich dadurch gesichert, dass die Welt die Realisierung einer im Reiche der Ideen rein gedanklich, also begrifflich bestehenden möglichen Welt ist. Problematischer ist die Beschränkung auf kategorische Aussagen. Sie stellt eine einschneidende Einschränkung dar; denn nach heutigem Verständnis lassen sich Relationsaussagen nicht auf kategorische Aussagen zurückführen. Leibniz versucht denn auch keine völlige Rückführung, sondern eine Darstellung, die äußerlich auf eine kategorische Aussage hinausläuft, während er der Sache nach betont, dass eine Relation ein »ens rationis« als Ausdruck einer gedachten Ordnung ist. (Vgl. Ishiguro, Kap. V und Mugnai, Kap. 7.)1

Die Rückführung der Wahrheitsfrage auf die Struktur von Begriffen wirft eine Reihe von Problemen auf. Zunächst stellt sich die Frage, ob es absolut einfache Begriffe überhaupt gibt. Leibniz beantwortet sie nur in einem indirekten Existenzbeweis, dem jener für die Existenz der Monaden als unteilbaren Einheiten ganz analog ist und der später in Russells und Wittgensteins Logischem Atomismus die Existenz unzerlegbarer Elementarsätze begründen sollte: Es muss absolut einfache Begriffe geben, »denn wenn wir nichts durch sich selbst begreifen, begreifen wir überhaupt nichts. Es wäre dann nämlich so, wie wenn ich einem mich Fragenden stets mit Worten antwortete, die er nicht versteht, und dem, der mich nach der Erklärung dieser Worte fragte, wieder mit anderen Worten, die er nicht versteht; und so mag ich immer weiter gehen: er wird nichts verstehen« (FS 123 u. 506; vgl. A VI.4.277). Die Leibniz’schen absolut einfachen Begriffe sind damit etwas grundsätzlich anderes als Lockes simple ideas, die der Wahrnehmung entstammen (wie »gelb« oder »heiß«): Sie sind die gänzlich von der Erfahrung unabhängigen Atome des Denkens, also so fundamentale Begriffe wie die aristotelischen Kategorien. Beispiele, die Leibniz nennt, sind »ens« und »possibile«.

Der Inhalt der absolut einfachen Begriffe kann nur unmittelbar erkannt werden; denn wäre er definierbar, wären die Begriffe weiter zerlegbar. Daraus folgert Leibniz, dass die absolut einfachen Begriffe logisch voneinander unabhängig sind, dass also eine beliebige Konjunktion von ihnen niemals einen Widerspruch enthält. Tatsächlich ist dies ein zusätzliches Postulat. Hieran mag es liegen, dass Leibniz die von ihm geforderte Ergänzung des cartesischen ontologischen Gottesbeweises nur skizziert, nie aber durchführt: Nach Leibniz’ Auffassung kann nämlich von Gottes Vollkommenheit nur dann auf seine Existenz geschlossen werden, wenn die Widerspruchsfreiheit des Begriffs Gottes als des vollkommensten Wesens bewiesen ist; das aber würde gelingen, wenn man »Gott« durch alle absolut einfachen, eine Vollkommenheit ausdrückenden Prädikate definierte und deren widerspruchsfreie Kombinierbarkeit zeigte; letzteres aber bleibt Postulat. Dennoch ist dieser Gedankengang Leibnizens aufschlussreich, zeigt er doch die enge Verflechtung logischer und metaphysischer Fragestellungen.

Die Bildung möglicher Welten kann man sich im Rahmen der Leibniz’schen Begriffstheorie folgendermaßen vorstellen: Angenommen, alle absolut einfachen Begriffe seien gegeben. Unter Verwendung der Negation und der Konjunktion als logische Verknüpfung, wobei auch die Bildung unendlich langer Begriffe erlaubt sein soll, lassen sich alle möglichen, d. h. widerspruchsfreien Begriffe des Reiches der Ideen bilden. Im göttlichen wie im menschlichen Denken kann es keinen Begriff geben, der damit nicht erfasst wird. Alle so gebildeten Begriffe lassen sich nun mit einer Kopula verbinden, so dass Aussagen entstehen, von denen man diejenigen, die keinen Widerspruch enthalten, als die Menge der möglichen Aussagen zusammenfassen kann. Letztere zerfällt unter der Bedingung widerspruchsfreier Vereinbarkeit von Aussagen (Leibniz spricht von »Kompossibilität«) in maximal konsistente Teilmengen; diese Mengen enthalten also alle Aussagen, die jeweils ohne Auftreten eines Widerspruchs gleichzeitig wahr sein können. Da alle Vernunftwahrheiten miteinander und mit jeder wahren oder falschen kontingenten Aussage verträglich sind, sind sie in jeder dieser Teilmengen enthalten. Da die euklidische Geometrie zu den Vernunftwahrheiten gehört, ist auch das, was begrifflich dem Raum in der geschaffenen Welt entspricht, in diesen Teilmengen enthalten; Ähnliches gilt für die Zeit als Ordnungsrelation. Schließlich gibt es keine einzige kontingente Aussage, die nicht wenigstens einer der Teilmengen angehört. Diese Teilmengen sind deshalb das, was Leibniz mögliche Welten nennt. Sie existieren nur im Reich der Ideen und stehen Gott zur Wahl. Da das Prinzip des zureichenden Grundes bei ihrer Bildung nicht herangezogen wurde, sind sicherlich auch sehr »chaotische« Welten darunter, bei denen man offenlassen mag, ob sie für Leibniz als realisierbare Welten in Frage kämen; die geordneten und insofern dem Prinzip des Grundes genügenden Welten sind aber in jedem Falle erfasst. Damit hat die so spekulativ erscheinende Sprechweise von den möglichen Welten im Schlussabschnitt der Theodicée eine begriffstheoretische Fundierung gefunden.

Von der eben vorgeführten, gänzlich abstrakten Konstruktion, deren letzter Schritt (die Bildung maximal konsistenter Mengen) von Leibniz nicht vorgenommen wurde, gelangt man auf folgendem, wieder bei Leibniz zu findenden Weg zu den individuellen Substanzen: Die möglichen individuellen Substanzen der möglichen Welten entsprechen denjenigen Begriffen, die nur als Subjekte, nie als Prädikate in den Aussagen auftreten – eine scholastische Bestimmung der Substanz, die Leibniz verschiedentlich übernimmt. Berücksichtigt man, dass Raum und Zeit aus der Sicht der Begriffsanalyse Ordnungsrelationen sind, die im synthetischen Aufbau in die Bildung der zusammengesetzter Begriffe eingehen und die für alle Individuenbegriffe definiert sein müssen, so folgt, dass jede Zustandsbeschreibung eines Individuums einer möglichen Welt jedwede Zustandsbeschreibung eines jeden anderen Individuums dieser Welt enthalten muss: Der »vollständige Begriff der individuellen Substanz« (Disc. Mét. § 8) gibt also – wenn auch auf verschlüsselte Weise – Vergangenheit und Zukunft der betreffenden Substanz sowie die Beziehung zu jeder anderen Substanz der fraglichen möglichen Welt an. Damit haben wir im vollständigen Begriff der individuellen Substanz den Zentralbegriff jenes Anteils der Monadenlehre erreicht, dessen Verständnis durch die Leibniz’sche Begriffstheorie begründet wird.

Dennoch hat der Schlussmythos der Theodicée trotz der begriffstheoretischen Fundierung der möglichen Welten eine Berechtigung; denn die Konstruktion beruht auf dem der Unterscheidung von Vernunft- und Tatsachenwahrheiten vorausliegenden analytischen Wahrheitsprinzip. Dieses aber ist für menschliche (also endliche) Beweise nur auf Vernunftwahrheiten anwendbar, Tatsachenwahrheiten hingegen führen bei dem Versuch einer Analyse ins Unendliche (Mon. § 36): Jene unendlichen Begriffsketten, deren Bildung Teil der Konstruktion ist, sind durch menschliches Denken nicht ausschöpfbar. Die Konstruktion umreißt also einen Bereich des göttlichen Denkens. Wieso Leibniz derartige Begriffsbildungen dennoch für zulässig, ja, für erforderlich hielt, soll der nächste Abschnitt zeigen.

c) Menschliche Erkenntnis und Characteristica universalis

Nur um den Preis einer Übersteigung menschlicher Erkenntnisfähigkeit gelingt Leibniz eine Darstellung möglicher Welten und der vollständigen Begriffe individueller Substanzen; doch die Erfolge bei der Behandlung unendlicher Gegebenheiten in der Infinitesimalrechnung sah er als Legitimation für ein solches Vorgehen an. Dies heißt nicht etwa, dass menschliches Denken fähig wäre, Unendliches tatsächlich zu überschauen, sondern nur, dass es zu einer abkürzenden, »symbolischen Erkenntnis« zu gelangen vermag: Es kann Begriffe wie »mögliche Welt« und »vollständiger Begriff einer individuellen Substanz« bilden; aber deren besondere Inhalte sind ihm weder überschaubar noch a priori einsehbar. Wenn jedoch menschliches Denken überhaupt zu einem Verständnis des Verhältnisses von Gott und Welt gelangen will, so nur auf dem Wege einer symbolischen Erkenntnis, in der Komplexes, insbesondere Unendliches, unter Verlust an Inhalt durch endliche Zeichen dargestellt wird.

Die symbolische Erkenntnis ordnet Leibniz als ein neues Element in die von ihm präzisierte cartesische Stufung der Erkenntnisgrade ein: Eine Erkenntnis ist dunkel, wenn sie nicht genügt, eine Sache wiederzuerkennen; andernfalls ist sie klar. Sie ist verworren, wenn sich hinreichende Unterscheidungsmerkmale der Sache nicht angeben lassen (obwohl sie vorhanden sind), andernfalls distinkt; distinkt ist deshalb auch die Erkenntnis der absolut einfachen Begriffe, sofern Menschen einer solchen Erkenntnis fähig sind. Eine Erkenntnis ist inadäquat, wenn eine Auflösung in distinkte Begriffe nicht gegeben ist, anderenfalls adäquat. Eine adäquate Erkenntnis besteht demnach in der Zerlegung eines Begriffes bis indie absolut einfachen Begriffe. Wird hingegen nur ein Teil der Zerlegung überschaut und durch zusammenfassende Begriffe abgekürzt, ist die Erkenntnis blind oder symbolisch. Die intuitive Erkenntnis schließlich besteht in der unmittelbaren Zusammenschau aller Elemente der Zerlegung in absolut einfache Begriffe. Von der Erkenntnis der absolut einfachen Begriffe abgesehen, bleibt die intuitive Erkenntnis Gott vorbehalten (Meditationes de cognitione, veritate et ideis (Be obachtungen über die Erkenntnis, die Wahrheit und die Ideen); BC I, 22 ff./GP IV.422 ff./A VI.4.585 ff.). Damit wird die symbolische zur wichtigsten Form menschlicher Erkenntnis, weil alles menschliche Denken auf Zeichen angewiesen ist (GP VII.204/A VI.4.918).

Die Abstufung der Grade der Erkenntnis ruht ebenso wie die Konzeption möglicher Welten und möglicher Substanzen auf der Theorie absolut einfacher Begriffe als den Atomen allen Denkens. Damit stellt sich die bislang ausgeklammerte Frage, ob dem menschlichen Denken eine bis zu ihnen führende Analyse möglich ist und ob diese Begriffe in ihrer Gesamtheit angegeben werden können. Nach ergebnislosen Versuchen gelangte Leibniz zu der Überzeugung, dass »die Analyse der Begriffe nicht hinreichend im menschlichen Vermögen zu liegen scheint, dass wir nämlich zu ursprünglichen Begriffen oder zu dem gelangen, was durch sich selbst eingesehen wird« (FS 77/C 514/A VI.4.530; vgl. Meditationes‚a. a. O.). Das »menschliche Gedankenalphabet« besteht vielmehr nur aus relativ einfachen Begriffen, für die eine einfache Kombinatorik keineswegs die Bildung widerspruchsfreier Begriffe garantiert.

Sowohl die Widerspruchsfreiheit dieser relativ einfachen Begriffe als auch die Bedingungen ihrer Kombinierbarkeit sind allein der Erfahrung zu entnehmen. Zu den Prinzipien der Vernunfterkenntnis müssen darum solche der Tatsachenerkenntnis hinzutreten. Wenn Leibniz von Kant und Hegel der Vorwurf gemacht wird, als Erkenntnis nur Vernunfterkenntnis gelten zu lassen, so ist dies angesichts dieser Sachlage unberechtigt. Vielmehr stellt die Erfahrung eine unverzichtbare Quelle menschlicher Erkenntnis dar. Grundlage der Erfahrungserkenntnis sind die elementaren Tatsachenwahrheiten (vgl. NE IV.2 § 1).Sie sind als Bewusstseinsinhalte unmittelbar gegeben und ebensowenig weiter zerlegbar wie die Identitäten als elementare Vernunftwahrheiten. Zu den elementaren Tatsachenwahrheiten rechnet Leibniz sowohl die Wahrnehmungen als auch das cartesische »cogito ergo sum« (De Synthesi et Analysi universali (Die Methode der universellen Synthesis und Analysis); BCI.41/GP VII.293/A VI.4.54032 f., bzw. NE, a. a. O.). Im Gegensatz zu den elementaren Vernunftwahrheiten werden elementare Tatsachenwahrheiten »verworren und dennoch klar« erkannt, weil sie – aus der Sicht der göttlichen Analyse – sehr wohl weiter zerlegbar sind; nur für den Menschen sind sie »nicht durch etwas Gewisseres zu beweisen«. Als bloß klare Erkenntnis können sie zu Irrtümern führen, wenn sie mit Begriffen verknüpft werden, mit denen sie unvereinbar sind. Deshalb wird ein kontrollierendes Kriterium erforderlich. Leibniz sieht es in der »Übereinstimmung der Phänomene untereinander«. Dieses Kohärenzkriterium ist durch das Prinzip des zureichenden Grundes legitimiert, weil die Phänomene »nicht planlos zustande kommen, sondern eine Ursache haben« (De Synthesi; BCI.46/GP VII.296/A VI.4.540 f.). Im Alltag besteht das Kriterium in einem nicht weiter reflektierten Vergleich mit Gewohntem; im Wissenschaftsbetrieb dagegen hat die Übereinstimmung methodisch anhand einer »bisher bewährten Hypothese« zu erfolgen (De modo distinguendi phaenomena realia ab imaginariis (Über die Methode, reale Phänomene von imaginären zu unterscheiden); BC II.125/GP.320/A VI.4.1501 f.). Das sicherste Verfahren aber ist nach Leibniz die erfolgreiche Vorhersage künftiger Phänomene aus vergangenen und gegenwärtigen. All dies, so betont er, ist jedoch kein Beweis, sondern führt nur zu »bedingter Gewissheit« oder »Wahrscheinlichkeit«.

Da die vorausgesetzten Hypothesen selbst nur bedingt gewiss sind, gilt auch für sie, dass sie nur so lange Verwendung finden, »bis eine andere bessere Hypothese auftaucht, die dieselben Phänomene besser oder eine größere Zahl von Erscheinungen ebenso gut erklärt« (A VI.4.2000). Dies hat Auswirkungen auf Leibniz’ Auffassung vom Aufbau erfahrungswissenschaftlicher Theorien. Dabei gelingt es ihm, eine Konzeption zu entwickeln, die wesentlich fruchtbarer ist als diejenige Descartes’ (der eine Ableitung der physikalischen Prinzipien und der Stoßgesetze aus Eigenschaften Gottes versuchte), die aber im Gegensatz zu empiristischen Begründungsversuchen den von Descartes entwickelten Begriff der physikalischen Theorie aufnimmt. Der Grundgedanke ist folgender: Naturwissenschaften sind durch Erfahrung und Induktion nicht begründbar; vielmehr setzen sie methodologische Prinzipien voraus, ohne die geordnete Erfahrungserkenntnis gar nicht möglich ist. Leibniz nennt neben dem grundlegenden Prinzip des zureichenden Grundes beispielsweise das Kontinuitätsprinzip (»Die Natur macht keine Sprünge«) und das Prinzip der Gleichheit von actio und reactio. Aus diesen Prinzipien sind nicht etwa Naturgesetze ableitbar; vielmehr sind die Prinzipien die Bedingung der Möglichkeit der Formulierung von Naturgesetzen als Hypothesen. Sie gelten deshalb a priori. Da sie keine Vernunftwahrheiten sind, sondern aus dem Prinzip des Grundes in Gestalt des Prinzips des Besten folgen, sind sie (obwohl a priori) kontingent; in der Terminologie Kants wären sie als synthetische Urteile a priori zu bezeichnen.

Naturgesetze haben zunächst den Status von Hypothesen, die durch Prognosen an der Erfahrung überprüft werden. Leibniz beschreibt für dieses Verfahren ein uns heute als hypothetisch-deduktive Methode vertrautes Vorgehen, ergänzt durch ein Verfahren, das der Mill’schen Parametervariation entspricht (A VI.4.2000–2001). Eine darüber hinausgehende apriorische Absicherung, die die Naturgesetze als moralisch notwendig erweist, ist allerdings in Einzelfällen möglich, dann nämlich, wenn eine direkte Ableitung aus dem Prinzip des Besten erfolgt, so beim Fermat’schen Gesetz, beim Impulserhaltungssatz und beim Satz von der Erhaltung der kinetischen Energie. Da allerdings weder das Prinzip des Besten von Leibniz eindeutig formuliert wird noch die von ihm skizzierten Ableitungen seinen Ansprüchen an Beweise genügen, mag man darin nur einen Hinweis darauf sehen, dass das »Reich der Gründe« und das »Reich der Zwecke« einander in diesen Naturgesetzen berühren: Für jedwedes Ereignis ist sowohl eine Kausalerklärung als auch eine Finalerklärung möglich. Doch die beiden Reiche »durchdringen einander, stören einander aber nicht« (Specimen dynamicum;BC I.272/ GM VI.243): Erfahrungswissenschaft kann (und muss) unabhängig von Finalerklärungen betrieben werden. Worauf es Leibniz ankommt, ist der Nachweis, dass die Prinzipien erfahrungswissenschaftlicher Erkenntnis selbst nicht der Erfahrung entstammen. Darum kann er jenem Locke’schen Satz »Nichts ist im Geist, was nicht vorher in den Sinnen war« hinzufügen: »– ausgenommen der Geist selbst« (NE II.1 § 2). Die cartesischen eingeborenen Ideen (in Gestalt der relativ einfachen Begriffe und in Gestalt der Gesetze der kombinatorischen Logik) sind als Dispositionen in uns angelegt und werden durch Sinneseindrücke aktualisiert. Doch während die Beweise der Vernunftwahrheiten allein aus dem Verstand stammen (NE I.1 § 5), entstammen die elementaren Tatsachenwahrheiten der Erfahrung. Die Naturgesetze als menschliche Hypothesen nehmen eine Mittelstellung zwischen beiden ein und sind auf beide Wurzeln der Erkenntnis angewiesen (NE IV.11 § 1).

Auf diesem Hintergrund entwickelt Leibniz den Plan einer gänzlich neuen, umfassenden Wissenschaft. Denn wenn es gelingt, in einer Universalwissenschaft als einer enzyklopädischen Scientia generalis die uns zugänglichen relativ einfachen Begriffe des menschlichen Gedankenalphabets zu ermitteln, wenn es darüber hinaus gelänge, deren spezifische Verknüpfungsregeln durch Erfahrung zu gewinnen, so stünde am Ende eine Characteristica universalis. Sie wäre als Mittel der symbolischen Erkenntnis die alles umfassende Zeichenkunst, die es gestattet, nicht nur jedes wissenschaftliche Problem durch Zeichenoperationen zu lösen, sondern zugleich – als Ars invendiendi, als Erfindungskunst – nützliche neue Erkenntnisse allein »durch Rechnen« zu gewinnen. In ihr erst hätte der Jugendtraum vom Gedankenalphabet seine Erfüllung, Weigels pythagoreische Vorstellung von der Welt als Zahlenharmonie ihre Begründung und Anwendung ebenso erfahren wie Galileis Auffassung vom Buch der Natur als in mathematischen Zeichen geschriebenem.

d) Die Monade als seelenhafte Substanz

Nach der bisherigen Darstellung könnte man meinen, was als beste Welt geschaffen werde, sei die raumzeitliche Welt. Das aber trifft nach Leibniz’ Auffassung erst in zweiter Linie zu; Gott als oberste Substanz schafft vielmehr eine unendliche Zahl individueller, seelenhafter Substanzen, die Monaden. In ihnen ist die sichtbare Körperwelt fundiert, aber ihr kommt nur eine abgeleitete Realität zu. Die Monadenlehre gilt der Beantwortung der Frage, was das Wesen der Dinge, was die Substanz ist. Unter Substanz wird traditionell dasjenige verstanden, was unvergänglich und unzerstörbar als Einheit und als beharrender Träger der wechselnden Eigenschaften für sich besteht, ohne eines anderen zu bedürfen. Auf die Substanz als das Wesen der Dinge und auf die Freilegung ihrer Eigenschaften muss deshalb alles Streben nach Erkenntnis ausgerichtet sein; denn erst hier kann es seinen letzten Fixpunkt finden. Descartes hatte die Frage nach dem Wesen der Dinge mit einer Dreisubstanzenlehre beantwortet: Die oberste Substanz ist Gott; ihr untergeordnet, weil von ihm geschaffen, sind die res cogitans als denkende und nicht ausgedehnte Substanz und die res extensa als ausgedehnte und nicht denkende Substanz. Diese Lehre schien geeignet, den beiden das neuzeitliche Denken prägenden Bezugspunkten – Vernunft und Natur – die ihnen gebührende Vorrangstellung einzuräumen: Die res cogitans, an der alle vernünftigen Wesen gleichermaßen teilhaben, begründet nicht nur die Gleichheit der Menschen, sie sichert als unveränderliche Substanz die Unumstößlichkeit der auf ihr ruhenden Vernunfterkenntnis, und sie sichert die Autonomie des reflektierenden Ich. Die res extensa auf der anderen Seite schien geeignet, die neuzeitliche Naturwissenschaft zu begründen; denn durch die von Descartes intendierte Rückführung aller Eigenschaften der Materie auf Ausdehnung musste die Natur in geometrischen Begriffen darstellbar, mithin mathematisch erfassbar sein: Hier schien die befriedigende Begründung für jene so fruchtbare Galilei’sche These vom Buch der Natur gefunden, das in mathematischen Zeichen geschrieben ist. Mit dem Dualismus von res cogitans und res extensa hatte sich Descartes jedoch Probleme aufgeladen, die die ganze Substanzenlehre in Frage stellten, allen voran das Problem des Zusammenhangs von Leib und Seele. Ein wechselseitiges Einwirken beider war durch den Substanzcharakter ausgeschlossen; und Descartes’ Ausweg, einen influxus physicus anzunehmen, war mit seinem eigenen Ansatz unverträglich. Malebranche hatte das Problem durch die Theorie der »Gelegenheitsursachen« zu lösen gesucht. Danach bewirkt Gott bei jeder Veränderung auf der einen Seite zugleich eine parallele Veränderung auf der anderen. Spinoza schließlich hatte die cartesische Dreisubstanzenlehre zugunsten eines Monismus aufgegeben; Gott allein wird Substanzcharakter zugesprochen, während Denken und Ausdehnung als Attribute Gottes gesehen werden. Leib und Seele sind damit nur zwei Betrachtungsweisen ein und desselben; sie stimmen deshalb zwangsläufig überein.

Mit allen drei Lösungen hat sich Leibniz intensiv auseinandergesetzt. Seine Kritik geht zunächst von einem Argument aus, das die Grundlagen der Physik betrifft: Erstens bedarf es zur Feststellung der Bewegung eines Körpers solcher Eigenschaften, die nicht auf Ausdehnung reduzierbar sind; denn wären alle Körpereigenschaften nur durch Ausdehnung bestimmt, ließe sich gar nicht sagen, dass es dieser Körper sei, der erst diese, dann jene Lage eingenommen habe. Zweitens ist die Größe der Ausdehnung nicht absolut, sondern nur relativ: Ein absoluter Raum, so argumentiert Leibniz gegen Newton im Briefwechsel mit Clarke, ist weder feststellbar, noch kann er möglich sein, weil Gott keinen Grund hätte, die Welt eher an dieser als an irgendeiner anderen Stelle des absoluten Raumes zu schaffen: Der Raum (und ebenso die Zeit) ist nur eine relationale Ordnung. Drittens verlangt die Behandlung von Bewegungs- und Stoßgesetzen, dass etwas durchaus Nichtmaterielles als konstant angesehen wird, nämlich die »lebendige Kraft «, die kinetische Energie mv2. Wenn aber etwas Immaterielles, also fraglos Unausgedehntes, das Unveränderliche der Bewegung der Körper ist, kann die Ausdehnung nicht das Wesen der Körper ausmachen. Diesem Argument misst Leibniz weit mehr als nur physikalische Bedeutung zu, zeigt es doch, dass man in der Physik nicht auskommen kann ohne einen Kraft - (heute: Energie-)Begriff, der an die Stelle einer Geometrisierung der Physik eine Dynamisierung setzt: Indem ein sich bewegender Massepunkt in sich in jedem Augenblick die Dynamik trägt, dem nächsten Zustand zuzustreben, enthält er ein finales Element, das der vorantreibenden Kraft der Seele entspricht. Zu diesen Kritikpunkten tritt ein metaphysisches Argument hinzu, das allerdings die Ablehnung des Atomismus voraussetzt: Da die Materie bis ins Unendliche teilbar ist, kann es in der Ausdehnung keine echte Einheit geben. Damit ist die Auffassung, Raum und Zeit, das Ausgedehnte oder die Körper könnten Substanzcharakter haben oder Attribute Gottes sein, nach Leibniz nicht mehr haltbar. Vielmehr sind Körper Erscheinungen, Phänomene. So gelangt Leibniz zu seinem durchgängigen Idealismus der Monadenlehre.

Da die Ausdehnung als Substanz ausscheidet, bleibt die res cogitans; sie wird jedoch von Leibniz gegenüber der cartesischen Auffassung wesentlich modifiziert. Er verlängert sie über den Bereich des Bewussten nach ›unten‹ in das Unbewusste und splittert sie auf in eine unendliche Zahl voneinander verschiedener Individuen, die Monaden. Monaden sind Einheiten, einfache Substanzen, die keine Teile haben (Mon. § 1); sie werden nur von Lebewesen – Menschen, Tieren, Pflanzen – verkörpert, niemals von anorganischen Körpern (GP II.520); die Monade ist dabei dasjenige, was einen Organismus zu einer Einheit macht. (Die seit Hegels Geschichte der Philosophie, Teil III.2, Kap. 1 C 1, § 2a, immer wieder anzutreffende Missdeutung, auch Unorganischem sei der Charakter von Monaden zuzusprechen, geht wohl auf Christian Wolffs Fassung der Monadenlehre zurück.) Monaden sind also immaterielle, gleichsam »metaphysische Punkte«, die als Substanzen auf natürliche Weise weder herstellbar noch zerstörbar sind. Monaden sind überdies durch einen inneren Dynamismus gekennzeichnet. Da sie sich nur hinsichtlich ihrer inneren Zustände, der Perzeptionen, unterscheiden, beruht dieser auf einem inneren Streben, dem Appetitus, der jede Monade von einer Perzeption zur nächsten nach einem ihr innewohnenden Gesetz fortschreiten lässt; deshalb nennt Leibniz Monaden auch Entelechien (Mon. § 14, 15 u. 18). Unter den Monaden gibt es nun je nach Art der Perzeptionen Unterschiede, die den Graden der Erkenntnis korrespondieren. Die oberste Stufe stellen Perzeptionen dar, die mit»Selbstbewusstsein« begleitet sind und eine »reflexive Erkenntnis« beinhalten; sie heißen Apperzeptionen,und die der Apperzeption fähigen Monaden nennt Leibniz vernünftige Seelen oder »Geister«. Den nächstniedrigeren Grad bilden die distinkten und von Erinnerung begleiteten Perzeptionen; die solcher Perzeptionen fähigen Monaden heißen Seelen. Doch muss es auch Perzeptionen unterhalb dieser bewussten Stufe geben; denn unter Voraussetzung der Kontinuität aller Abläufe könnte ein Mensch nie aus tiefem Schlaf zu vollem Bewusstsein gebracht werden, wenn es nicht unbewusste Wahrnehmungen gäbe (§ 22–24). Diese Erweiterung der res cogitans in den Bereich verworren-unbewusster Wahrnehmungen führt auf dem untersten Niveau zu den schlummernden (einfachen, nackten) Monaden (§ 24), während Gott die oberste, ständig mit völliger Deutlichkeit apperzipierende Monas monadum ist. Dazwischen liegen die Tiermonaden und die zwischen Perzeption und Apperzeption pendelnden Geistmonaden menschlicher Individuen. Die Einbeziehung unbewusster Wahrnehmungen löst zwei Ärgernisse der cartesischen Substanzenlehre – wäre doch ein nichtdenkender, weil schlafender Mensch nicht mehr als res cogitans existent; und wäre doch ein Hund, da er kein Selbstbewusstsein hat, eine jaulende Maschine, wenn er den Knüppel sieht, mit dem er geschlagen wurde. Leibniz aber kann dem Hund, der Erinnerung hat, eine Tierseele zusprechen, während ein Mensch eine der Apperzeption fähige Geistmonade bleibt, auch wenn er schläft.

Monaden mit deutlichen Perzeptionen nennt Leibniz »tätig«, solche mit bloß verworrenen »leidend«. Dies führt zu einer Ordnung der Monaden; deren Erscheinungsform ist der Körper, den Leibniz auch als Aggregat bezeichnet. Beide Bestimmungen hängen darin zusammen, dass jeder Körper als Aggregat aus Teilen zusammengesetzt ist, denen Monaden niedrigerer Stufe, also mit verworreneren Perzeptionen entsprechen (§ 63–70). So kommt jeder Monade ein Körper zu, der gerade diejenigen Beziehungen ausdrückt, die zwischen den Monaden bestehen; nur die göttliche Monade bildet hiervon eine Ausnahme, denn sie ist »allein vom Körper gänzlich losgelöst« (§ 72). Das Verhältnis von Körper und Seele ist damit in der Monadenlehre als ein Hervorgehen der Erscheinung des Körpers aus dem Zustand der tätigen oder leidenden Monade bestimmt. Das cartesische Problem der Parallelität von res cogitans und res extensa kann hier gar nicht auftreten, weil das eigentlich Reale die inneren Zustände der Monaden sind. Die Frage, wie sich die Vergänglichkeit des Leibes mit der behaupteten Unvergänglichkeit der Substanz, also mit der Unsterblichkeit der Seele verträgt, wenn jede Monade (außer der göttlichen) von der Erscheinungsform eines Körpers begleitet ist, löst Leibniz folgendermaßen: Der Tod, so meint er, bedeute nur den Übergang von einer apperzipierenden zu einer schlummernden Monade, der sehr wohl in leidender Gestalt der Teil eines organischen Körpers entspricht; hatten doch Leeuwenhoeks Mikroskope die Belebtheit des Wassertropfens ebenso gezeigt wie die Belebtheit des Spermas, so dass die Körperhaftigkeit der Seelenmonade vor der Geburt sogar empirisch aufweisbar ist. Schon 1676, Jahrzehnte vor der Monadenlehre und kurz vor dem Besuch bei Leeuwenhoek, schreibt Leibniz: »Es gibt keinen Teil der Materie, der nicht wirklich in mehrere Teile geteilt ist; daher ist kein Körper so klein, dass in ihm nicht eine Welt unendlicher Geschöpfe enthalten ist« (Pacidius Philalethi;C 622/A VI.3.565 f.). So führt die Monadenlehre zu der Vorstellung von einem durch und durch beseelten Universum.

Auch wenn mit der Allbeseelung das ursprüngliche Leib-Seele-Problem aufgelöst ist, kehrt es doch an anderer Stelle wieder. Substanzen sind dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht durch Äußeres – also durch andere Substanzen – beeinflusst werden können. Eine Einwirkung der Monaden aufeinander ist also ausgeschlossen; Monaden sind, bildhaft formuliert, fensterlos (Mon. § 7). Wie aber ist dieses mit einem Tätigsein und Leiden verträglich, das sich im phänomenalen Bereich als körperlicher Organismus, also in kausalen Abhängigkeiten, manifestiert? Leibnizens Lösung hierfür ist sein Prinzip der prästabilierten Harmonie. Es beruht darauf, dass jede Monade – zumeist verworren und jede unter einem anderen Gesichtspunkt – das ganze Universum »ausdrückt«, »repräsentiert« oder spiegelt (§ 56). Diese Repräsentation umfasst alle vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Zustände aller anderen Monaden. Sie beruht nicht etwa auf der Einwirkung der Monaden aufeinander; was phänomenal als kausale Ursache-Wirkung-Beziehung wahrgenommen wird, beruht vielmehr auf einem »idealen Einfluss«, der insofern »durch Vermittlung Gottes zustande kommt«, als Gott beim Denken der möglichen Weltläufe schon vor derSchöpfung den Weg jeder einzelnen individuellen Substanz denkt (§ 51). Da aber »in jeder möglichen Welt alles miteinander in Verbindung steht« (Theod. I § 9), müssen die inneren Eigenschaften jeder individuellen Substanz auf das Ganze des möglichen Weltlaufs abgestimmt sein und ihn virtuell enthalten. Deshalb entsprechen einander die Perzeptionsfolgen der Monaden der geschaffenen Welt (als Realisierung einer gedachten möglichen Welt) im Sinne der prästabilierten Harmonie in Form eines idealen Einflusses, dem wiederum im phänomenalen Bereich der Körper ein kausaler Einfluss entspricht. Die prästabilierte Harmonie ist also primär eine Harmonie der Monaden; der Leib-Seele-Parallelismus ergibt sich als eine Folgerung aus ihr.

e) Die Deutung der Monadenlehre

Als Theorie individueller, ideeller und dynamischer Substanzen, die, obwohl fensterlos, das ganze Universum spiegeln und prästabiliert miteinander harmonieren, birgt die Monadenlehre in der apodiktischen Kürze ihrer Aussagen Schwierigkeiten, sie als begründete Teile eines Systemzusammenhangs zu begreifen. Schon Chr. Wolff erhebt deshalb den Vorwurf, die Monadenlehre sei nicht ausreichend begründet. Diesem Vorwurf soll nun durch ihre Einordnung in das Ganze der Leibniz’schen Philosophie begegnet werden.

Generalisierend betrachtet lassen sich vier Interpretationsrichtungen der Monadologie ausmachen, die von je verschiedenen Ansatzpunkten ausgehen: Der traditionell-metaphysischen Interpretation (Fischer, Gurwitsch) folgend wird die Monadenlehre in die »Restprobleme Descartes« (Krüger, in: Hauptwerke, S. XVII) eingeordnet. Die metaphysische Substanzenlehre dient ihr zur Leitschnur der Interpretation. Die mechanistische Deutung (Dillmann, Gueroult) geht davon aus, dass Leibnizens physikalische Untersuchungen die eigentliche Quelle seines metaphysischen Denkens ausmachen, so dass die Monadenlehre als die späte philosophische Überhöhung einer in der Hypothesis physica nova angelegten und in der Dynamica ausgearbeiteten physikalischen Auffassung verstanden wird: Der Dynamismus der Monadenwelt entspringt der Übertragung dynamischer Modelle aus der Physik in die Metaphysik. Die mathematische Deutung (Mahnke) sieht in der Monadenlehre (und ihrer Darstellung einer unendlichen Vielheit der Welt in der Einheit der Monade) die metaphysische Ausprägung der Integralrechnung. Die logisch-begriffstheoretische Deutung (Couturat, Russell, z. T. Cassirer) versteht Leibniz’ Metaphysik als ableitbar aus seiner Begriffs- und Urteilslehre; sie kann dabei auf eine Vielzahl von Manuskripten – von der Ars combinatoria bis hin in die späten Lebensjahre Leibnizens – verweisen, die erst 1903 durch Couturat erschlossen wurden und die eine entscheidende Umorientierung des Leibniz-Verständnisses zur Folge gehabt haben.

Historisch-genetisch betrachtet ist es unmöglich, einem der Interpretationsansätze den Vorrang zu geben, denn entscheidende Schritte erfolgten teils auf den Tag parallel. Vielmehr wird man sagen müssen, dass alle vier Betrachtungsweisen, einander wechselseitig stützend und vorantreibend, von Leibniz gleichzeitig verfolgt wurden. Leibniz besaß die Fähigkeit, Anregungen der entlegensten Bereiche aufeinander zu beziehen und zu synthetisieren. Da überdies keiner der Ansätze ausreicht, die Monadenlehre insgesamt zu begründen, stellt sich allein die Frage nach dem geeignetsten Zugang. In diesem Sinne liegt ein Ausgang von der Leibniz’schen Begriffstheorie nahe.

Wir sahen, wie Leibniz den Begriffen »mögliche Welt« und »vollständiger Begriff der individuellen Substanz« lange vor der Ausformulierung der Monadenlehre einen prägnanten Sinn gab. Nach der vorgeführten Konstruktion gilt für die Substanzen einer jeden möglichen Welt, dass sie, wenn sie geschaffen werden, das Universum spiegeln, weil sie jede andere Substanz ihrer möglichen Welt aufgrund der Kompossibilitätsforderungen explizit berücksichtigen. Sie sind fensterlos, weil sie als realisierte Begriffe nur scheinbar kausal wirken, tatsächlich aber alle rationes in sich tragen: Wenn zu dem vollständigen Begriff der individuellen Substanz eben diese individuelle Substanz geschaffen wird, so bedarf sie keines Einwirkens von außen; denn sie hat alle Zustandsänderungen in sich, weil sie in ihrem vollständigen Begriff berücksichtigt sind. Die Substanzen harmonieren prästabiliert, weil sie als Begriffsgefüge prästabiliert sind. Von den Zentralthesen der Monadologie sind also durch den logisch-begriffstheoretischen Ausgangspunkt die Substantialität des Individuums, die Fensterlosigkeit der Monaden, die Spiegelungsthese und das Prinzip der prästabilierten Harmonie begründbar.