Lernen im Religionsunterricht - Friedrich Schweitzer - E-Book

Lernen im Religionsunterricht E-Book

Friedrich Schweitzer

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Beschreibung

Die Grundaufgaben des Religionsunterrichts Was kann der Religionsunterricht leisten? Bislang kommt die Religionspädagogik, in der Praxis wie in der Wissenschaft, schnell in Verlegenheit, wenn sie auf die Frage nach dem Lernen im Schulunterricht überzeugende Antworten geben soll. Der vorliegende Band versucht, dies zu klären und dabei auch Perspektiven für die praktische Weiterentwicklung des Religionsunterrichts aufzuzeigen.

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Veröffentlichungsjahr: 2024

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Friedrich Schweitzer

Lernen im Religionsunterricht

Was der RU leisten kann und wie er seine Ziele erreicht

Vandenhoeck & Ruprecht

Dr. Dr. h. c. Friedrich Schweitzer ist Seniorprofessor für Praktische Theologie/ Religionspädagogik an der Universität Tübingen. Er leitet das Evangelische Institut für berufsorientierte Religionspädagogik in Tübingen (EIBOR).

Online-Angebote oder elektronische Ausgaben sind erhältlich unter www.utb.de

Mit einer Abbildung und einer Tabelle

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der

Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind

im Internet über https://dnb.de abrufbar.

© 2024, Vandenhoeck & Ruprecht, Robert-Bosch-Breite 10, D-37079 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe

(Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Brill Wageningen Academic, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau und V&R unipress.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Umschlagabbildung: © Net Vector/shutterstock

Umschlaggestaltung: siegel konzeption | gestaltung, Stuttgart

Satz: SchwabScantechnik, GöttingenEPUB-Erstellung: Lumina Datamatics, Griesheim

UTB-Band-Nr. 6088

ISBN 978-3-8463-6088-0

Inhalt

Zur Einleitung

1Die Ausgangsfrage: Was kann der Religionsunterricht leisten?

2Problemwahrnehmungen und aktuelle Herausforderungen

2.1Reli – nur eine Erholungsstunde?

2.2Kein Lernfach, aber geforderte Rechenschaft

2.3Gehört Religion (noch) zum „Weltwissen“ von Kindern und Jugendlichen?

2.4Was trägt der Religionsunterricht zu Religious Literacy bei?

2.5Kompetenzorientierung – bei beliebigen Inhalten?

2.6Internationale Debatten: die „Krise des Religionsunterrichts“ – eine „Krise des Wissens“?

2.7Lernen im Religionsunterricht als drängende Frage

Teil 1:Ein religionspädagogisch-bildungstheoretischer Rahmen – fünf Antwortversuche

3Zur Begründung religionspädagogischer und bildungstheoretischer Kriterien

4Was gibt der Religionsunterricht zu lernen?

4.1Religion, Religionen und Weltanschauungen kennenlernen

4.2Religiöse und weltanschauliche Zusammenhänge verstehen

4.3Religiöse Urteilsfähigkeit ausbilden

4.4Orientierung in der religiös-weltanschaulichen Vielfalt gewinnen

4.5Den eigenen Glauben klären

5Rückfrage: kein ethisches Lernen im Religionsunterricht?

6Lerninhalte, Lernwege und Lernprinzipien: ein Implikationsverhältnis

7Zusammenfassung

Teil 2:Entfaltungen

8Was gehört heute zum religiösen Weltwissen? Perspektiven jenseits falscher Enzyklopädie

8.1Auswahlkriterien

8.1.1Die Bildungsbedeutung von Wissen als Auswahlkriterium

8.1.2Weltwissen religionspädagogisch

8.1.3Das Christentum kennen, die Welt verstehen, mündig werden: Grundlegende Perspektiven im Anschluss an Luther, Comenius und Kant

8.1.4Zur Bedeutung religionsbezogenen Wissens im individuellen, kirchlichen und gesellschaftlichen Leben

8.1.5Bildungstheoretische Präzisierungen: „Weltwissen“, „kanonisches Orientierungswissen“, kulturelle „Initiationen“

8.1.6Religionspädagogische Konkretionen: Religious Literacy, religiöse Allgemeinbildung, religiöse Alphabetisierung

8.1.7Über das Brauchen hinaus: Eigenwert religiösen Wissens und die Debatte über Powerful Knowledge

8.1.8Zusammenfassung

8.2Inhaltsstrukturen religionsbezogenen Weltwissens

8.2.1Bildungspläne auf dem Prüfstand

8.2.2Prinzipien der Bildungsplankonstruktion: vom traditionellen Religionslehrplan über die Curriculumtheorie zu Kompetenzorientierung und Elementarisierung

8.2.3Klassische didaktische Kategorien neu gewendet: fundamental, exemplarisch, elementar

8.2.4Zuordnung zu Jahrgangsstufen: das Problem der Sequentialität

8.2.5Vier grundlegende Strukturen: Glaube, Geschichte, Lebenspraxis, Sinnhaftigkeit von Religion

8.2.6Zusammenfassung

9Was bedeutet Verstehen im Blick auf Religionen und Weltanschauungen?

9.1Anknüpfungspunkte in Bildungswissenschaft und Theologie

9.2Verstehen als Thema der Religionsdidaktik

9.3Der weitere Hintergrund: Überlieferung und Vergegen-wärtigung – Verstehen als religionsdidaktische Grundaufgabe

9.4Religionsdidaktische Konkretionen: die Vielfalt religiöser Ausdrucksformen und die Vielfalt des Verstehens

9.4.1Geschichten und Narrativität

9.4.2Texte und Textualität

9.4.3Riten und Ritualität

9.4.4Ästhetik

9.4.5Multimedialität, Digitalität und Virtualität

9.4.6Ethik

9.4.7Interreligiosität

9.5Schritte des Verstehens im Religionsunterricht als Aufgabe der Unterrichtsgestaltung

9.5.1Interesse entwickeln

9.5.2Zusammenhänge entdecken – Verstehen durch einordnen

9.5.3Relevanz für das eigene Leben wahrnehmen und die gesellschaftliche Bedeutung religiöser und weltanschaulicher Zusammenhänge erkennen

9.6Zusammenfassung

10Wie sich religiöse Urteilsfähigkeit bilden kann

10.1Was soll zu welchem Zweck beurteilt werden? Mündigkeit, Teilhabe und Verantwortung

10.2Urteilsfähigkeit im Horizont von Individuum, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften

10.3Kriterien identifizieren und begründen

10.4Formen der Urteilsbildung im Religionsunterricht

10.4.1Ein Modell ethischer Urteilsbildung

10.4.2Ein Modell religiöser Urteilsbildung

10.5Sinn und Grenzen von Urteilen wahrnehmen

10.6Zusammenfassung

11Religiöse Orientierung in der religiös-weltanschaulichen Vielfalt ermöglichen

11.1Religiöser Orientierungsbedarf: Herausforderungen und Anforderungssituationen

11.2Was bedeutet religiöse Orientierungsfähigkeit?

11.3Wie kann der Religionsunterricht zur religiösen Orientierungsfähigkeit beitragen?

11.3.1Lernaufgaben angesichts der Vielfalt von Kirchen und Religionsgemeinschaften

11.3.2Lernaufgaben angesichts gesellschaftlicher Herausforderungen: Werte, gesellschaftlicher Zusammenhalt, politische Konflikte

11.4Religiöse Orientierungsfähigkeit als Ziel religions-pädagogischer Biografiebegleitung

11.5Zusammenfassung

12Den eigenen Glauben klären

12.1Die Suche nach Gewissheit als Ausgangspunkt

12.2Glauben lehren, lernen oder klären?

12.3Wie kann der eigene Glauben geklärt werden?

12.4Religion – wozu eigentlich (noch)?

12.5Zusammenfassung

Teil 3:Perspektiven für ein religionspädagogisches Lernverständnis

13Braucht der Religionsunterricht ein eigenes Lernverständnis?

13.1Lerninhalte statt Lernformen? Lernformen statt Lerninhalte?

13.2Religionsunterricht empirisch: exemplarische Problemanzeigen

13.3Allgemeiner Lernbegriff und Domänenspezifität

13.4Lernen theologisch: Glaube und Ethik

13.5Zusammenfassung

14Impulse aus Bildungswissenschaft und Pädagogischer Psychologie

14.1Bildung und Lernen bildungswissenschaftlich: pädagogische Lernbegriffe und ihre Bedeutung für die Religionsdidaktik

14.1.1Religionsunterricht als Angebot für alle Schüler:innen

14.1.2Systematisch geplanter und strukturierter Unterricht

14.1.3Bildung als normativer Horizont allen Unterrichts

14.1.4Bezug auf erlebte Gegenwart und offene Zukunft

14.1.5Pädagogische Lernprinzipien: Vielfältige Formen und Dimensionen des Lernens nutzen

14.2Bildung und Lernen pädagogisch-psychologisch: zur Bedeutung der empirischen Lernforschung für die Religionsdidaktik

14.2.1Kognitive Aktivierung

14.2.2Angebots-Nutzungs-Modell

14.2.3Einstellungen und Vorurteile

14.3Zusammenfassung

15Religionsdidaktische Lernprinzipien

15.1Die handwerkliche Qualität des Unterrichts sichern

15.2Fachliche Qualität und Elementarisierung

15.3Erfahrungs-, Subjekt- und Handlungsorientierung

15.4Lernen als Beziehungsgeschehen

15.5Der weitere Horizont: Religionsunterricht und Persönlichkeitsbildung

15.6Über die Schule hinaus: religiöses Lernen als personale Transformation und Rekonstruktion

15.7Zusammenfassung

Teil 4:Vom Lehren zum Lernen: Praxis des Religionsunterrichts im Perspektivenwechsel

16Von den Kindern und Jugendlichen ausgehen: Religionsdidaktik im Perspektivenwechsel gestalten

17Relevante und zentrale Fragen identifizieren: Elementarisierung als übergeordneter Horizont

18Den Perspektivenwechsel vollziehen: von der Instruktions- zur Ermöglichungsdidaktik

19Das Lernen begleiten und befördern: Unterstützung, Beziehungen und Lernkultur

20Lehr-Lernstrategien kriteriengeleitet auswählen: religionsdidaktische Lernprinzipien und empiriebasierte Fachdidaktik

21Sich der Ergebnisse vergewissern: Prüfungen, Erfolgskontrolle und Feedback

22Das Ende zum Anfang machen: Erfahrungen im Unterricht als Ausgangspunkt für die Unterrichtsentwicklung

Literatur

Zur Einleitung

1Die Ausgangsfrage:Was kann der Religionsunterricht leisten?

Die Frage, was der Religionsunterricht leisten kann, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Sie stellt sich aber jeder Religionslehrkraft alltäglich ebenso wie der wissenschaftlichen Religionspädagogik. Auch in Bildungspolitik und Öffentlichkeit wird sie diskutiert, heute oft kritisch. Sie betrifft in grundlegender Weise das Lernen im Religionsunterricht und damit nach heutiger Auffassung das, wovon der Sinn eines Schulfachs insgesamt abhängt. Zugleich erscheint das Lernen im Religionsunterricht vielen in Öffentlichkeit und Politik, aber auch Eltern allzu unbestimmt oder sogar diffus. Nicht zuletzt sehen viele Schüler:innen im Religionsunterricht primär eine Gelegenheit, sich vom Schulstress zu erholen.

Dabei ist Lernen heute wieder neu zum Megathema geworden, national wie international. Vor dem Hintergrund internationaler Schulleistungsvergleichsuntersuchungen wird kritisch gefragt, wie es um den Kompetenzerwerb in der Schule steht und wie entsprechende Fähigkeiten, die dann häufig als Literacy bezeichnet werden, ausgeprägt sind. Das betrifft auch die Religious Literacy, an der es vielfach zu fehlen scheint. Heftig debattiert wird zudem international die aus England stammende These, die „Krise des Religionsunterrichts“ sei im Kern eine „Krise des Wissens“.

Hinter solchen Wahrnehmungen kann eine Blickverengung stehen. Der Religionsunterricht soll kein „Lernfach“ sein, sondern hat ein besonderes Profil, das häufig mehr mit den beteiligten Personen als mit den Inhalten zu tun zu haben scheint. Dennoch: In der Schule bleibt die Frage nach dem Lernen unausweichlich, auch für den Religionsunterricht.

Bislang kommen Religionslehrkräfte ebenso wie Religionspädagog:innen in der Wissenschaft schnell in Verlegenheit, wenn sie auf die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht überzeugende Antworten geben sollen. Auch die Bildungspläne für den Religionsunterricht führen in dieser Hinsicht meistens kaum weiter. In vielen Fällen wirken sie eher zufällig – wie ein Gemisch aus fortgeschriebenen Traditionen und allgemeinen bildungspolitischen Vorgaben. Sie lassen nicht recht erkennen, welche dann auch in Wissenschaft und Politik, Schule und Öffentlichkeit überzeugende Systematik ihnen zugrunde liegt. Und wenn es beispielsweise darum geht, warum bestimmte Inhalte einer bestimmten Jahrgangsstufe zugeordnet werden, fallen vor allem die in den Bundesländern unterschiedlich getroffenen Entscheidungen ins Auge: Wie soll hier der Eindruck von Beliebigkeit vermieden werden?

Beantwortet werden muss die Frage nach dem Lernen aber auch von jeder einzelnen Religionslehrkraft, die für sich selbst und für andere klären will, was die Schüler:innen aus einer Stunde oder aus einem Schuljahr Religion eigentlich „mitgenommen“ haben. Dabei geht es nicht nur um verantwortliche Rechenschaft, sondern immer auch um die Weiterentwicklung des eigenen Religionsunterrichts und damit um die nicht immer leicht aufrechtzuerhaltende Motivation im Lehrberuf.

Dieses Buch versucht, die damit für Wissenschaft und Praxis angesprochenen Fragen zu klären und zugleich Perspektiven für die praktische Weiterentwicklung des Religionsunterrichts aufzuzeigen. Damit wendet es sich ebenso an Religionslehrkräfte wie an Multiplikator:innen sowie wissenschaftlich in der Religionspädagogik Tätige.

Im Einzelnen werden drei Grundaufgaben beschrieben: religiöse und weltanschauliche Traditionen in Geschichte und Gegenwart kennenlernen (Wissen), religiöse und weltanschauliche Zusammenhänge deuten (Verstehen) sowie den reflektiert-kritischen Umgang damit zu fördern (Urteilsfähigkeit). Diese Grundaufgaben werden im Religionsunterricht in den doppelten Horizont einer gesellschaftlichen und existenziellen Positionierung gestellt (religiöse Orientierungsfähigkeit und existenzielle Klärung).

Die Plausibilität dieser Darstellung setzt zugleich ein spezifisch religionspädagogisches Lernverständnis voraus. Lernen mit einem transzendenten Horizont sieht anders aus als in anderen Fächern der Schule, auch wenn der Religionsunterricht ebenso Anteile umfasst, die mit anderen Fächern vergleichbar sind. Religiöses Lernen bezieht sich letztlich auf eine Transformation und Rekonstruktion der Person, die aber weit über die Schule hinausweist und deshalb auch nicht einfach Ziel des Unterrichts sein kann. Auch das Lernen im Religionsunterricht ist Schule und soll Schule bleiben.

Der letzte Teil des Buches ist der Frage gewidmet, wie das Lernen im Religionsunterricht konkret unterstützt werden kann. Dazu werden Perspektiven für einen religionsdidaktischen Perspektivenwechsel im Horizont des Lernens beschrieben.

Damit stellt diese Publikation eine notwendige Weiterführung meines Buches „Religion noch besser unterrichten“ (Schweitzer, 2020) dar, das sich stärker auf die Unterrichtsentwicklung sowie das Wie des Unterrichtens bezieht. Demgegenüber soll nun auch das Was des Lernens in den Blick genommen werden – nicht im Sinne einer isolierten Konzentration allein auf Inhalte, sondern durchweg im Horizont der tatsächlichen Lernprozesse im Unterricht.

Wie am Inhaltsverzeichnis abzulesen ist, wird in Teil 1 in knapper und zum Teil thesenhafter Form vorgestellt, was in den weiteren Teilen des Buches dann genauer entfaltet wird. Insofern folgt die Darstellung einer konzentrischen Anlage, bei der die zentralen Fragen mehrfach aufgenommen werden. Die dabei zu berücksichtigenden Diskussionszusammenhänge sind weit gespannt und betreffen mehrere wissenschaftliche Disziplinen. Um der Lesbarkeit willen wurden die Literaturverweise beschränkt. Die Verweise sind jedoch so gewählt, dass sie gezielt weitere Informationen bieten, auch im Blick auf die in diesem Buch nicht erwähnte Literatur.

Hinter diesem Buch stehen zahlreiche Gespräche und mitunter kontroverse Diskussionen, für die ich mich an dieser Stelle nur summarisch bedanken kann – bei Kolleg:innen in Praxis und Wissenschaft, Mitarbeiter:innen an der Universität Tübingen sowie Studierenden in zahlreichen Lehrveranstaltungen. Besonderen Dank schulde ich den studentischen Mitarbeiter:innen, ohne deren Hilfe auch dieses Buch nicht hätte entstehen können: Raffaela Ehrenfeuchter, Antonia Lehmann, Angelika Frescher und Marie Straßer, die mich unermüdlich mit Literatur versorgt und auch Teile des Textes „probegelesen“ haben. Ebenso dankbar bin ich dem Verlag und namentlich Elisabeth Schreiber-Quanz für die wiederum sehr hilfreiche Begleitung des Vorhabens.

2Problemwahrnehmungen und aktuelle Herausforderungen

2.1Reli – nur eine Erholungsstunde?

Fragt man die Schüler:innen, wie sie den Religionsunterricht wahrnehmen, so scheint vielfach die Einschätzung vorzuherrschen, dass dieses Fach für sie vor allem eine Art Erholungsstunde darstellt. Zu diesem Ergebnis führt jedenfalls eine zusammenfassende Auswertung von Befragungen von Schüler:innen in verschiedenen Bundesländern aus den letzten zwanzig Jahren (Schwarz, 2019). Für die Kinder und Jugendlichen scheint dies nicht unbedingt ein Problem zu sein – schließlich erleben sie die Schule vielfach als „stressig“, was nicht zuletzt mit Leistungsanforderungen und Schulnoten zusammenhängen dürfte. Wenn es in manchen Fächern anders zugeht – vielleicht in Kunst und Sport oder eben Religion –, dann ist ihnen dies durchaus willkommen. Für die Religionslehrkräfte hingegen kann diese Wahrnehmung recht enttäuschend sein. Bietet ihr Unterricht wirklich nicht mehr als willkommene Erholung?

Auch in Öffentlichkeit und Politik kann die Wahrnehmung von „Reli als Erholungsstunde“ das Fach nicht stärken. In den knappen Zeitrastern der Schule sind Erholungsstunden nicht vorgesehen – dafür gebe es schließlich die Pausen! Vor allem erscheint es nicht verantwortbar, dafür erhebliche finanzielle Ressourcen in Gestalt kostspieliger Deputate für Lehrkräfte einzusetzen.

Gewiss: Weder bei den Schüler:innen noch in Politik und Öffentlichkeit ist dies die einzige Wahrnehmung. Die weiterreichende Bedeutung des Religionsunterrichts für die Klärung existenzieller Fragen, für die Persönlichkeitsentwicklung sowie die Wertebildung ist vielfach ebenfalls bewusst und anerkannt. Dennoch sollte der offenbar weithin vorherrschende Eindruck von „Reli als Erholungsstunde“ zu denken geben. Wird die Frage, was in diesem Fach denn eigentlich zu lernen sei (und auch tatsächlich gelernt wird!), in der religionspädagogischen Theorie und Praxis genügend ernst genommen? Oder werden Antworten darauf vielleicht noch immer als eher selbstverständlich vorausgesetzt und nicht wirklich geklärt?

Der Klärungsbedarf erwächst ebenso aus der Praxis. Wenn sich auch den Religionslehrkräften selbst, zumindest immer wieder einmal, die Frage stellt, was die Kinder oder Jugendlichen wohl aus ihrem Unterricht mitnehmen konnten, sind sie auf solche Antworten angewiesen. Anlass dafür kann eine besonders gut gelungene Unterrichtsstunde sein, nach der sich das beglückende Gefühl einstellt, dass heute zumindest einigen Schüler:innen wirklich etwas aufgegangen oder ein schwerer Groschen gefallen ist. Manchmal gibt es im Unterricht Momente, in denen Lernen spürbar oder sichtbar wird. In anderen Fällen aber scheint sich der Unterricht eher dahinzuschleppen und es bleibt schwer zu sagen, was jemand daraus vielleicht mitnehmen konnte oder nicht.

Aber ist die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht diesem Fach überhaupt angemessen und richtig gestellt? Ist Lernen im Religionsunterricht wirklich so wichtig?

2.2Kein Lernfach, aber geforderte Rechenschaft

Vielfach wird das Lernen in der religionspädagogischen Literatur eher nebenbei behandelt. Auf jeden Fall scheint es nicht die erste Frage zu sein, die sich hier stellt. Zwar gibt es durchaus Veröffentlichungen, die sich auf „religiöses Lernen“ beziehen (vgl. bes. Kießling, 2003; Porzelt, 2009), aber dabei geht es eher um Grundsatzfragen wie die, was im Blick auf Religion überhaupt gelernt werden kann. Damit steht vor allem die Lehrbarkeit von Religion zur Debatte und weniger das Lernen im Religionsunterricht, auch wenn sich beides überschneidet. Solche Grundsatzfragen sind für den Religionsunterricht bedeutsam, aber eine Auskunft zum alltäglichen Religionsunterricht ergibt sich daraus noch nicht. Vielmehr brechen sogleich Rückfragen auf: Geht es in Schule und Religionsunterricht tatsächlich um „religiöses Lernen“? Ist es nicht angemessener, hier zurückhaltender von einem Lernen in Bezug auf Religion oder im Horizont von Religion zu sprechen? Wäre der Alltag von Unterricht nicht mit allen weiterreichenden Erwartungen religiöser Art bloß hoffnungslos überfordert?

Auch eine grundsätzliche Abwehr der Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht („kein Lernfach!“) führt aber nicht weiter. Denn ein Schulfach, in dem es nichts zu lernen gibt, kann es kaum geben. Das würde dem Sinn der Schule als einer staatlichen Pflichtveranstaltung zutiefst widersprechen und würde vor allem auch nicht der Tatsache gerecht, dass die Schüler:innen im Rahmen der Schulpflicht an diesem Unterricht teilnehmen müssen. Daran ändert die Wahlmöglichkeit zwischen Religion und Ethik kaum etwas. Denn auch dann geht es um einen Pflichtunterricht, und diese Pflicht lässt sich kaum anders rechtfertigen als damit, dass in der Schule etwas Wichtiges gelernt wird. Das gilt für alle Fächer gleichermaßen, wenn auch nicht in gleicher Weise. Lernen ist nicht immer gleich Lernen, sondern hängt von Fächern und Gegenständen ab. Aber auch im Kollegium oder bei der Schulleitung ließe sich kaum auf Zustimmung zu einem Fach hoffen, in dem es – ausdrücklich – nichts zu lernen gibt.

Dennoch bleibt es für die Identität des Religionsunterrichts wichtig, dass er tatsächlich kein „Lernfach“ sein soll. Mit diesem Anspruch verbindet sich aber nicht einfach die Auffassung, dass es hier tatsächlich „nichts“ zu lernen gebe. Vielmehr soll im Religionsunterricht durchaus etwas erreicht werden, sowohl in der Sicht der Religionslehrkräfte als auch der wissenschaftlichen Religionspädagogik (vgl. zur Sicht der Lehrkräfte Lehner-Hartman, 2014). Wie bei allen Fächern geht es auch hier um Kenntnisse und Fähigkeiten beispielsweise des Verstehens und Urteilens, die deshalb in diesem Buch genauer beschrieben werden.

Auch im Religionsunterricht soll also etwas gelernt werden, aber eben in einem anderen Sinne als beispielsweise im Bereich der Naturwissenschaften oder der Fremdsprachen –, ohne dass diesen Fächern unterstellt werden könnte, dass sie „bloße Lernfächer“ wären. Wenn dies zutrifft, braucht der Religionsunterricht allerdings auch ein ausweisbares Lernverständnis, das seinen Zielen gerecht wird und das dennoch im Horizont des mit der Schule verbundenen Verständnisses von Lernen plausibilisiert werden kann.

Wenn es dabei auch im Religionsunterricht nicht einfach um „religiöses Lernen“ gehen kann, so müssen andere Bestimmungen für das religionsunterrichtliche Lernverständnis gefunden werden. Am nächsten liegt dafür der Bezug auf religiöse Bildung und damit auf eine bestimmte Sachthematik, also auf das Thema Religion im weitesten Sinne. In der Begrifflichkeit der heutigen Bildungsdiskussion stellt Religion eine eigene Inhaltsdomäne dar und müssen Bestimmungen zum Lernen im Religionsunterricht aus der Eigenart dieser Domäne erwachsen – im Sinne einer Inhalts- oder Domänenspezifität des Lernens. Es muss beschrieben werden, was es bei dieser Domäne zu lernen gibt, welche inhaltlichen Anforderungen sich bei der Erschließung dieser Domäne ergeben und welche Kenntnisse und Fähigkeiten dafür erforderlich sind. Der Begriff der religiösen Bildung macht zugleich bewusst, dass diese Erschließung reflektiert und kritisch sein muss (vgl. Schweitzer, 2014b). Lernen im Religionsunterricht ist daher so zu bestimmen, dass dieses Lernen auf den Erwerb oder die Ausbildung der für eine reflexive und kritische Erschließung von Religion erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten zielt. Dabei handelt es sich allerdings noch um eine lediglich formale Bestimmung, die erst dadurch weiter an Aussagekraft gewinnen kann, dass diese Kenntnisse und Fähigkeiten inhaltlich ausgewiesen und im Einzelnen beschrieben werden.

Für den Religionsunterricht wird darüber hinaus häufig darauf hingewiesen, dass dieser Unterricht nicht einfach von einer bestimmten Thematik oder von Inhalten lebt, sondern immer auch von einer besonderen Beziehungsqualität, die in diesem Unterricht erfahren werden kann (vgl. Boschki, 2003). Mit dem Hinweis auf diese Qualität kann dabei Unterschiedliches gemeint sein. An erster Stelle wird zumeist an die Beziehung zwischen den Religionslehrkräften und den Schüler:innen sowie an die Beziehungen zwischen den Schüler:innen in der Lerngruppe gedacht. Erwartet wird dann von der Religionslehrkraft, dass sie in besonderem Maße Zuwendung und Offenheit zeigt sowie ein persönliches Interesse an den Schüler:innen, das spürbar über die formale und institutionell vorgegebene Lehrer:innen- und Schüler:innenrolle hinausreicht. Mitunter schwingen dabei sogar seelsorgerliche Aspekte mit, vor allem aber die Wahrnehmung, dass es bei Religion immer auch um eine sehr persönliche Thematik geht und dass diese im Unterricht zumindest ein Stück weit – soweit es die Schule zulässt – erfahrbar sein sollte.

Damit ist zugleich ein zweiter Aspekt von Beziehungsqualität angesprochen, nämlich die Beziehung sowohl der Lehrkräfte als auch der Schüler:innen zum Inhalt. Auch wenn beispielsweise Bibeltexte zunächst einfach Texte wie alle anderen Texte sind, die man lesen oder hören muss, um sie kennenzulernen, so gehört es doch zugleich zur Eigenart dieser Texte, dass sie vom Glauben sprechen und damit die Leser:innen dazu herausfordern, ihr persönliches Verhältnis zu diesem Glauben zu klären. Sie haben vielfach Anredecharakter und wollen die Leser:innen existenziell ansprechen. Damit ist eine weitere konstitutive Dimension von Lernen im Religionsunterricht berührt. Dieses Fach soll die Möglichkeit existenzieller Klärungen eröffnen – in der Auseinandersetzung mit religiösen Deutungen des eigenen Lebens, aber auch in gesellschaftlichen Zusammenhängen, die sich heute nur noch im globalen Horizont begreifen lassen.

Ein dem Religionsunterricht angemessenes Lernverständnis muss also sowohl in der Inhaltsdimension als auch in der Beziehungsdimension entfaltet werden. Für sich genommen lässt sich aus keiner dieser beiden Dimensionen allein ein solches Lernverständnis gewinnen. Kommunikation über Religion ohne Inhalte ist nicht denkbar, und eine bloße Vermittlung von Inhalten würde den Zielen des Religionsunterrichts widersprechen. Vielmehr scheint es gerade das Ineinander von Inhalten und Beziehungen zu sein, auf das es für das Lernen im Religionsunterricht ankommt.

Was dies für das Verständnis von Lernen im Religionsunterricht bedeutet, muss im Folgenden genauer geklärt werden. Zunächst aber soll noch auf weitere Zusammenhänge eingegangen werden, aus denen die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht erwächst. Dazu gehört vor allem die Sorge, dass sich heute ein religiöser Analphabetismus breitmache und es vielfach an religiöser Sprachfähigkeit mangele. Zwei Debatten machen das besonders deutlich – etwas weiter zurückliegend zum „Weltwissen“ von Kindern und Jugendlichen sowie aktuell zur sogenannten Religious Literacy.

2.3Gehört Religion (noch) zum „Weltwissen“ von Kindern und Jugendlichen?

Vor zwanzig Jahren veröffentliche Donata Elschenbroich (2001) ein kleines Buch „Weltwissen der Siebenjährigen. Wie Kinder die Welt entdecken können“, das damals erhebliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Autorin beschreibt darin die Ergebnisse einer breit angelegten Befragung von Menschen in der ganzen Gesellschaft dazu, was Kinder bis zu diesem Alter, also bis etwa zum Schuleintritt, schon erlebt haben sollten und was sie können und wissen sollten.

An diesem Buch entzündeten sich auch religionspädagogisch kontroverse Fragen, abzulesen an einer Stellungnahme von Karl Ernst Nipkow (2011), einem der damals führenden Fachvertreter. Denn auf der vor der Befragung von Elschenbroich erstellten Liste waren zwar auch einige wenige religiöse Themen zu finden: „einmal auf einem Friedhof gewesen sein“, „ein Gebet kennen“, „in einer Kirche (Moschee, Synagoge …)“ gewesen sein (Elschenbroich, 2001, S. 21 f.). Bei der späteren Auflistung wichtiger Themen kommen die religiösen Themen aber nicht mehr vor (vgl. S. 28 ff.), auch wenn die Autorin durchaus eine gewisse religiöse Bildung für Kinder bejaht (vgl. S. 119 ff.).

Nipkow kommentierte dies kritisch so, dass „Religion im Alltag der Kinder“ offenbar „auch aus der Perspektive der befragten Erwachsenen ihren früheren Rang verloren“ habe (Nipkow, 2011, S. 106). Eine Ausnahme stellte dabei ein von Elschenbroich befragter Erzbischof dar. Denn dieser Mann äußert in religiöser Hinsicht klare Erwartungen („das Kreuzzeichen machen können“, „die Messe regelmäßig besuchen“, S. 107). Wie Nipkow kritisch feststellt, passen solche kirchlichen Erwartungen aber kaum zu dem Begriff des „Weltwissens“ (S. 107). Kritisch zu sehen sei jedoch auch das Buch von Elschenbroich selbst, weil es von einem Selbstwiderspruch geprägt sei: Die von der Autorin berichteten Gespräche mit Pädagog:innen, aber auch mit Eltern lassen nach Nipkow deutlich ein ausgeprägtes Interesse an religiösen Fragen erkennen und verweisen auf die religiösen Fragen der Kinder selbst – ihre sogenannten „großen Fragen“ (S. 107). Insofern sei kaum nachzuvollziehen, dass religiöse Themen bei der am Ende gebotenen Bestimmung des für Kinder erforderlichen Weltwissens keine Berücksichtigung mehr finden. Für Erziehungswissenschaftler:innen wie Elschenbroich gehört Religion offenbar nur sehr bedingt zu dem erforderlichen Weltwissen.

Nipkow nahm dies darüber hinaus zum Anlass, zu fragen, wie es denn nach Auskunft der Bildungspläne im Blick auf das bis zum Ende der Schulzeit zu erwerbende Weltwissen stehe. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass diese Bildungspläne zwar auch in Zeiten der Kompetenzorientierung ein breites Wissen voraussetzen oder dessen Vermittlung einfordern, dass sie eine Antwort auf die Frage nach einer „begründeten Auswahl“ aber schuldig bleiben. Ein verlässliches religiöses „Weltwissen“ werde nicht gewährleistet (Nipkow, 2011, S. 111).

Nipkow entwickelt dann selbst einen Vorschlag, den er einerseits aus einem globalen Horizont heraus formuliert und andererseits in den Zusammenhang der Elementarisierung stellt. Dieser Vorschlag ist nach wie vor interessant und soll deshalb an späterer Stelle in diesem Buch genauer erörtert werden (→ S. 75). Zunächst kommt es nur darauf an, dass es sich namentlich für die Erziehungswissenschaft heute keineswegs mehr von selbst versteht, dass Religion zum Weltwissen gehört und daher auch in Gestalt von Religionsunterricht in der Schule präsent sein muss. Damit gewinnt die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht noch eine weitere Bedeutung. Es geht auch um die Stellung des Faches in der Schule: Ohne eine bildungstheoretisch plausible Antwort darauf, was im Religionsunterricht aus welchen Gründen gelernt werden soll, fehlt dem Fach in erziehungswissenschaftlicher Sicht jede Begründung.

Der Begriff des „Weltwissens“ bietet für solche Begründungen, aber auch sonst noch nicht genutzte Chancen. Denn dieser Begriff stammt nicht aus der Wissenschaft, sondern bewegt sich eher auf einer alltagsnahen Ebene, die gerade auch für eine breitere Öffentlichkeit oder auch für die Bildungspolitik zugänglicher ist als wissenschaftliche Begriffe. Deshalb soll die Frage nach religionsbezogenem Wissen als Bestandteil des für Kinder und Jugendliche erforderlichen Weltwissens in diesem Buch eigens aufgenommen werden (→ S. 60 ff.).

In der Gegenwart hat der Bezug auf Religious Literacy eine ähnliche Funktion. Auch hier geht es um eine möglichst allgemeinverständliche Anforderung an die Kenntnisse und Fertigkeiten, über die Menschen verfügen sollten, und zugleich um den Beitrag, den der Religionsunterricht dazu leisten kann.

2.4Was trägt der Religionsunterricht zu Religious Literacy bei?

Der Begriff Religious Literacy ist verhältnismäßig neu. Er kommt aus der internationalen Diskussion, hat aber auch im deutschsprachigen Bereich Aufnahme gefunden. Dabei ist dieser Begriff nur schwer zu übersetzen. In der Regel geht es in dieser Diskussion um die Wahrnehmung, dass es jungen Menschen an einem entsprechenden Wissen oder an religionsbezogener Sprach- und Deutungsfähigkeit fehle. Deshalb, so das Argument, können sie religiöse Phänomene nicht „lesen“. Vom Religionsunterricht und von der Schule insgesamt wird dann eine Unterstützung von Religious Literacy gefordert.

Ihren Ursprung hatte die Debatte um Religious Literacy im United Kingdom und in den USA (vgl. Wright, 1993; Prothero, 2007). Auch dort stand die fehlende Literacy im Vordergrund. Die Debatte wurde inzwischen in vielen anderen Ländern aufgenommen und weitergeführt – von Schweden bis nach Australien (von Brömssen, 2013; Halafoff et al., 2020). Mitunter hat die Wahrnehmung mangelnder religiöser Sprach- und Deutungsfähigkeit sogar zu regelmäßig wiederkehrenden Evaluationen des Wissens von Schüler:innen geführt, etwa in Gestalt standardisierter Tests, wiederum in Australien und schon seit längerer Zeit in Schweden, wo solche Tests in allen Fächern durchgeführt werden und dementsprechend nicht nur im Blick auf Religious Literacy (vgl. Schweitzer et al., 2022).

Große Aufmerksamkeit findet bis heute die ebenfalls aus den USA stammende Darstellung von Diane Moore „Overcoming religious illiteracy: A cultural studies approach to the study of religion in secondary education“ (2007), der sich auch die American Academy of Religion unterstützend angeschlossen hat. Bei diesem Projekt stehen vor allem die von Religion und Religionen ausgehenden Wirkungen auf Kultur, Gesellschaft und Politik im Vordergrund. Ziel ist es, die Schüler:innen dazu zu befähigen, die entsprechenden Zusammenhänge wahrnehmen und deuten zu können (genauere Informationen dazu unten, → S. 81 ff.).

In den USA gibt es in der Schule in der Regel allerdings keinen Religionsunterricht, sodass bei diesem Projekt offenbleibt, auf welche Bildungsangebote es sich bezieht. In Deutschland und Europa hingegen führt fehlende Religious Literacy unmittelbar zu der Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht. Allerdings muss dann eigens bildungstheoretisch geklärt werden, was zu einer solchen Literacy gehören soll. In dieser Hinsicht bleibt die Debatte bislang weithin begründete Antworten schuldig (vgl. Schweitzer et al., 2022).

Bildungstheoretische Fragen im Blick auf Religious Literacy haben erst in der aktuellen Diskussion stärkere Aufmerksamkeit gefunden (s. bes. Biesta et al., 2019). Den Ausgangspunkt stellt dabei die Frage nach dem Wissen dar. Bildungstheoretisch weiterführende Perspektiven werden dann vor allem mit dem Begriff Powerful Knowledge verbunden, der auf den Bildungssoziologen Michael Young (2008) zurückgeht. Damit ist ein Wissen gemeint, das dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Forschung entspricht und das insofern die zu einer bestimmten Zeit am besten bewährten Erkenntnisse über die Welt bietet. Schule und Unterricht haben demzufolge eine Pflicht, die Weitergabe dieses Wissens an die junge Generation zu gewährleisten.

Enttäuschend bei der Debatte über Religious Literacy bleibt bislang jedoch, dass es den entsprechenden Darstellungen an einer empirischen Grundlage fehlt. Soweit überhaupt empirische Befunde konsultiert oder selbst empirisch nach der Ausprägung der bei Kindern und Jugendlichen tatsächlich vorhandenen Religious Literacy gefragt wird, kommen vor allem allgemeine Umfragen in der Bevölkerung in den Blick, die sich eher an der Meinungsforschung als an bildungstheoretischen Bestimmungen orientieren. Nach solchen Bestimmungen wird daher in der vorliegenden Darstellung noch genauer zu fragen sein. Wenn Religious Literacy erworben oder aufgebaut werden soll, muss zunächst geklärt werden, wie es um das religionsbezogene Wissen und Verstehen von Kindern und Jugendlichen steht und welche didaktischen Strategien in diesem Falle empfehlenswert sind (erste Befunde bei Schnaufer et al., 2023).

Zunächst ist festzuhalten, dass die Debatte um Religious Literacy einen Problemhorizont eröffnet, der im Blick auf das Lernen im Religionsunterricht grundlegende Fragen aufwirft. Wenn eine solche Literacy als gesellschaftlich, aber auch für die individuelle Orientierung erforderlich angesehen wird und wenn zugleich wahrgenommen wird, dass es heute weithin an einer solchen Sprach- und Deutungsfähigkeit fehlt, ergeben sich entsprechende Erwartungen an den Religionsunterricht: Was trägt dieser Unterricht zu Religious Literacy bei? Und wie kann dieser Beitrag gestärkt werden?

2.5Kompetenzorientierung – bei beliebigen Inhalten?

Die derzeit wohl am weitesten verbreitete Antwort auf die Frage danach, was im Religionsunterricht zu lernen ist, bezieht sich auf die Kompetenzen, deren Erwerb im Religionsunterricht unterstützt werden soll. Das gilt auch für die Bildungspläne, die sich inzwischen in wohl allen Bundesländern in zentraler Weise als durch den Kompetenzbegriff bestimmt zeigen.

In seiner aktuellen Verwendung geht der Kompetenzbegriff vor allem auf die internationalen Untersuchungen aus der Empirischen Bildungsforschung zurück, die – neben dem Begriff der Literacy – mit dem Kompetenzbegriff operieren (vgl. grundlegend Deutsches PISA-Konsortium, 2001). Kennzeichnend für den Ansatz der PISA-Studien ist dabei der Versuch, Fähigkeiten und Fertigkeiten als Kompetenzen unabhängig von den Inhalten zu erfassen, die in den Bildungsplänen der untersuchten Länder in sehr unterschiedlicher Art und Weise und damit in kaum miteinander vergleichbarer Form vorgeschrieben sind. Für die bei diesen Studien vorrangig erfassten Bereiche von Sprache, Mathematik und Naturwissenschaften leuchtet dieser Ansatz zumindest insofern ein, als es hier am Ende auf allgemeine Fähigkeiten, etwa des Textverstehens oder der mathematischen Modellierung von Problemen, ankommt und nicht auf die einzelnen Inhalte, anhand derer solche Fähigkeiten ausgebildet wurden. Allerdings kann auch beispielsweise im Blick auf das Fach Deutsch gefragt werden, ob hier tatsächlich eine völlige Austauschbarkeit zwischen verschiedenen Romanen oder Dramen besteht oder ob es nicht doch auch, im Sinne der jeweiligen kulturellen Zusammenhänge und Traditionen, auf die Kenntnis bestimmter Texte ankommt. Hier könnte dann etwa mit der hervorgehobenen Wirkungsgeschichte solcher Werke in einem Kulturraum argumentiert werden, auch wenn dies rasch vor das bekannte – und eben ungelöste – Kanonproblem führt. Einen allgemein als „Bildung“ vorauszusetzenden Literaturkanon gibt es bekanntlich nicht mehr. Im vorliegenden Zusammenhang entscheidend ist, dass aus der Kompetenzdiskussion keine Antwort auf die Frage nach den Inhalten des Lernens erwächst. In dieser Hinsicht wird im Kompetenzdiskurs vielmehr auf bildungstheoretische Grundlegungen verwiesen, aus denen Kompetenzbeschreibungen allererst folgen könnten (vgl. Klieme et al., 2003, S. 7).

Für den Religionsunterricht ergab sich hinsichtlich der Kompetenzorientierung von Anfang an die Verlegenheit, dass sich für dieses Fach eine Austauschbarkeit und damit letztlich Beliebigkeit der Inhalte kaum plausibel machen lässt. Schon verschiedene Bibeltexte weisen bekanntlich jeweils ein höchst individuelles Gepräge auf. Von einer allgemeinen Kompetenz, biblische Texte verstehen zu können, lässt sich insofern kaum sprechen. Auch wenn im Blick auf das Ziel des Religionsunterrichts beispielsweise ganz allgemein von „religiöser Kompetenz“ gesprochen wird, so wie dies bei dem damals bundesweit ersten kompetenzorientierten Bildungsplan in Baden-Württemberg der Fall war, sah man sich alsbald gezwungen, den allgemeinen Kompetenzbeschreibungen auch inhaltsbezogene Kataloge hinzuzufügen (vgl. Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, 2004). Diese wurden dann – vom Kompetenzbegriff her gesehen, der ja gerade nicht an bestimmte Inhalte gebunden sein sollte – missverständlich als „inhaltsbezogene Kompetenzen“ bezeichnet. Ähnliche Inhaltskataloge finden sich heute auch in anderen kompetenzorientierten Bildungsplänen. Offen blieb und bleibt dabei freilich die Frage, wie eine begründbare Auswahl der Inhalte vorgenommen werden soll und auf welche Weise eine solche Auswahl im jeweiligen Bildungsplan erreicht wurde.

Derzeit liegt vielen Bildungsplänen für den Religionsunterricht in den verschiedenen Bundesländern eine Systematik zugrunde, die sich an den Begriffen Mensch, Welt und Verantwortung, Bibel, Gott, Jesus Christus, Kirche und Kirchen, Religion und Religionen orientiert. Theologisch können gegen diese mehr oder weniger vom Apostolischen Glaubensbekenntnis ausgehende Systematik diverse Einwände erhoben werden. Beispielsweise bleiben die für den christlichen Glauben entscheidenden Verbindungen etwa zwischen Christologie und Gotteslehre hier eher undeutlich. Fragen der religiösen Pluralität werden nur in einem gesonderten Themenbereich akzentuiert, während sie sich heute doch gerade auf alle Themen beziehen müssten, auf das Thema Gott (Stichwort: monotheistische Religionen) ebenso wie auf das Thema Jesus Christus (Stichwort: Jesus im Judentum und im Koran). Dieser Einwand betrifft zugleich die Didaktik, da entsprechend gegliederte Bildungspläne eine separate Behandlung der religiösen Pluralität nahelegen, was religionsdidaktisch nicht immer einleuchtet. Noch weiter reicht die religionsdidaktische Anfrage, ob die in den Bildungsplänen genannten Themen denn nicht viel stärker von den Interessen der Schüler:innen her formuliert sein müssten und ob die Bildungspläne das subjektorientierte Profil des Religionsunterrichts nicht auch von vornherein kenntlich machen sollten (vgl. Kliemann, 2016). Die Themen im Ethikunterricht erscheinen in dieser Hinsicht gerade Jugendlichen offenbar häufig viel attraktiver (vgl. Schweitzer et al., 2018).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Kompetenzorientierung nur zu einer teilweisen Antwort auf die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht geführt hat und dass inhaltsbezogene Antworten von diesem Ansatz auch nicht erwartet werden können, weil die Konstruktion von Kompetenzbeschreibungen von vornherein nicht auf Inhalte bezogen sein soll. Dadurch entsteht für die kompetenzorientierten Bildungspläne eine empfindliche Lücke, die derzeit offenbar nur pragmatisch oder heuristisch geschlossen werden kann – etwa durch die beschriebene Themensystematik, die sich theologisch und religionsdidaktisch allerdings gleichermaßen als Problem erweist.

2.6Internationale Debatten: die „Krise des Religionsunterrichts“ – eine „Krise des Wissens“?

Von einer „Krise des Religionsunterrichts“ kann derzeit insbesondere im Blick auf das United Kingdom gesprochen werden, wo eine Abschaffung des Fachs diskutiert wird. Auch in anderen Ländern wird aber eine ähnliche – drohende oder bereits fortschreitende – Marginalisierung des Religionsunterrichts wahrgenommen (vgl. Schreiner, 2020). Für das United Kingdom hat die Commission on Religious Education (2018) aufgrund ihrer kritischen Diagnosen vorgeschlagen, den Religionsunterricht aufgrund seiner Qualitätsprobleme durch ein Fach „Religion and Worldviews“ zu ersetzen. Dabei spielt die Frage nach dem Wissen, das im Religionsunterricht erworben werden soll, eine wichtige Rolle. Da diese Frage in der jüngeren religionspädagogischen Diskussion kaum Beachtung gefunden habe, sei es nun höchste Zeit, dies zu ändern.

Ganz in diese Richtung gehen auch die kritischen Einschätzungen von Richard Kueh, Her Majesty’s Inspector, Schools & Subject Lead (Religious Education) bei Ofsted, der britischen Aufsichtsbehörde für Schule und Unterricht. Kuehs Einschätzungen haben großes Aufsehen erregt, und sie sind in der Tat herausfordernd, auch über das United Kingdom hinaus.

Für Kueh steht die Krise des Religionsunterrichts in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Wissen:

„Der Grund, warum der Religionsunterricht sich in einer Krise befindet, liegt darin, dass er im Blick auf das Wissen nach wie vor von einer signifikanten und gewichtigen Problematik belastet wird. Vor dem Hintergrund der eigenen Tradition des Faches, in der die legitimierende Begründung für den Religionslehrplan sich bewegt hat und bewegt, nämlich mit der Berufung auf vielfältige (allgemein formuliert) nicht wissensbasierte Begründungen (von spiritueller Begegnung bis zu Sozialkapital und der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen in einem demokratischen Kontext), ist es der Religionspädagogik nicht gelungen, einen starken und kohärenten Konsens über den Stellenwert, die Funktion und den Nutzen von Wissen in diesem Fach zu finden. Wenn es überhaupt Hoffnung auf ein funktionsfähiges Modell für den Religionsunterricht gibt, dann müssen Praxis und Theorie den dringenden Bedarf dafür erkennen, einem anerkannten Verständnis des Wissens, das dieser Unterricht eröffnet, einen deutlichen Schub zu verleihen.” (Kueh, 2018, S. 53, im Original kursiv)

So kann es auch nicht überraschen, dass der daran anschließende Forschungsbericht der staatlichen Aufsichtsbehörde Ofsted (Ofsted, 2021) einen ausführlichen Teil zu „curriculumbezogenen Lernfortschritten und Debatten über Wissen im Religionsunterricht“ einschließt. Ausgangspunkt ist dabei die ausdrückliche Annahme, dass ein „Religionsunterricht von hoher Qualität“ von dem Wissen abhängig ist, das in diesem Fach erworben werden kann.

Zumindest teilweise beruft sich auch Kueh (2018) für diese Annahme auf die bereits erwähnten Arbeiten von Michael Young (Young, 2008; s. auch Young, 2013) zu „powerful knowledge“. Was dies im Einzelnen für den Religionsunterricht bedeutet, wird aber nicht genauer dargelegt. Der Erwerb von Wissen wird eingeklagt, aber es wird nicht gesagt, worin dieses Wissen bestehen soll. Insofern kann diese Debatte vor allem als Krisendiagnose bezeichnet werden. Auf jeden Fall verdeutlicht sie erneut, warum es heute so wichtig ist, nach dem Lernen im Religionsunterricht zu fragen.

2.7Lernen im Religionsunterricht als drängende Frage

Die bislang aufgenommenen Wahrnehmungen und Auseinandersetzungen zum Religionsunterricht führen aus unterschiedlicher Perspektive zu der Einschätzung, dass es derzeit in Praxis und Wissenschaft gleichermaßen an überzeugenden Antworten auf die Frage fehlt, was im Religionsunterricht gelernt werden kann und was hier gelernt werden soll. Noch weiter zugespitzt geht es um die Realität dieses Lernens und darum, was in diesem Fach tatsächlich gelernt wird. Diese Situation ist unbefriedigend, und dies zugleich nach mehreren Seiten hin. Den Religionslehrkräften macht sie es schwer, motivierende Erfolgserlebnisse für sich selbst ebenso wie für die Schüler:innen hinsichtlich einer auf das Lernen bezogene Zielsetzung zu identifizieren. Denn das Gefühl erfolgreichen Unterrichts setzt ein klares Bewusstsein davon voraus, wie weit man – heute oder in diesem Schuljahr – auf dem Weg zu diesem Ziel vorangekommen ist. Zugleich untergräbt es zwangsläufig auch die Stellung des Religionsunterrichts in der Schule, wenn gegenüber Kolleg:innen, Schulleitungen, Eltern, Öffentlichkeit und Politik nicht plausibel dargelegt werden kann, was in diesem Unterricht erreicht werden soll. So ist es nicht erstaunlich, dass es heute auch in Deutschland und anderen Ländern immer wieder Initiativen zur Abschaffung des Religionsunterrichts gibt oder zumindest dafür, diesen Unterricht durch ein „besseres“ Fach zu ersetzen. Wie deutlich geworden ist, berufen sich solche Initiativen nicht nur auf Religionskritik oder Säkularismus, sondern häufig auf die Zielunsicherheit und die in der Folge unzureichende Qualität des Religionsunterrichts. Auch wenn solche Vorwürfe, wie leicht zu erkennen ist, in der Regel eher auf Vorurteilen als auf empiriebasierten Befunden beruhen, unterstreichen bereits die politischen Folgen entsprechender Argumente die Notwendigkeit, gerade im Blick auf das Lernen im Religionsunterricht überzeugendere Antworten zu gewinnen und klare Zielhorizonte auszuweisen. Dieser Aufgabe muss sich dieses Buch stellen.

Hinsichtlich der religionspädagogischen Diskussion überraschend ist wohl vor allem die hervorgehobene Rolle, die dabei das im Religionsunterricht zu erwerbende Wissen spielt. In der Religionsdidaktik ist diese Frage lange Zeit eher vernachlässigt worden und auch der aktuelle Kompetenzdiskurs bietet genau dazu keine Antworten. Die Konzentration auf Kompetenzen als allgemeine Fähigkeiten ist zwar auch als eine Antwort auf die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht zu verstehen, aber wenn dabei beispielsweise von Deutungsfähigkeit oder auch von Urteilsfähigkeit gesprochen wird, bleibt offen, was genau hier eigentlich gedeutet und beurteilt werden soll. Kommt es darauf tatsächlich nicht weiter an? Und was würde dies für die fachliche Identität von Religionsunterricht bedeuten?

Teil 1:Ein religionspädagogisch-bildungstheoretischer Rahmen – fünf Antwortversuche

Ein Schulfach sowie seine Inhalte und Ziele lassen sich nicht einfach theoretisch deduzieren. Sie sind historisch gewachsen und Ausdruck bestimmter theologischer und pädagogischer Überzeugungen sowie politischer Entscheidungen. Insofern sind sie kontingent. Für die Praxis ebenso wie für die Wissenschaft bleibt dies aber unbefriedigend. Wenn nicht erklärt werden kann, warum etwas so sein soll, wie es ist, müssen darauf bezogene Entscheidungen willkürlich erscheinen. Ohne sachliche und fachliche Begründungen lassen sich auch keine Perspektiven für die Weiterentwicklung von Unterricht beschreiben.

Aus diesem Grund wird im Folgenden ein Rahmen entwickelt, der sich sowohl an religionspädagogischen als auch bildungstheoretischen Kriterien orientiert. Dabei ist die Transparenz des Begründungsverfahrens entscheidend, weshalb dieses Verfahren eigens ausgewiesen werden muss.

3Zur Begründung religionspädagogischer und bildungstheoretischer Kriterien

In der Einleitung zu diesem Buch wurden diverse Diskussionszusammenhänge aufgenommen, die in der nicht zureichend beantworteten Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht münden. Wenn Antworten auf diese Frage nicht bloße Behauptungen bleiben sollen, muss geprüft werden, wie ein dabei vorausgesetzter religionspädagogisch-bildungstheoretischer Rahmen gewonnen werden kann. Prinzipiell bieten sich dafür verschiedene Möglichkeiten an.

Die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht könnte so verstanden werden, dass geprüft werden soll, was tatsächlich in diesem Unterricht gelernt wird. So gesehen ginge es um eine empirische Darstellung, etwa im Anschluss an die internationalen Schulleistungsuntersuchungen wie PISA oder, in der Religionspädagogik, das Projekt QUIRU (Qualität und Qualitätsentwicklung im RU, vgl. Schweitzer, 2020; Schweitzer & Rutkowski, 2022; mit interessanten Fallstudien aus einem anderen Kontext: Hennecke, 2012). Schon in der Einleitung zu diesem Buch ist aber deutlich geworden, dass heute beim Thema Lernen im Religionsunterricht Fragen aufbrechen, die sich nicht allein empirisch beantworten lassen, sondern eine theoretische Klärung erfordern. Das gilt vor allem für die Ziele, die im Unterricht erreicht werden sollen. Für normative Fragen bietet die Empirie keine ausreichenden Bestimmungsgründe. Aus dem Sein folgt auch hier kein Sollen. Umgekehrt darf eine Darstellung von Zielen nicht einfach losgelöst von der Realität geschehen, wenn sie nicht in praxisfernen Erwartungen stecken bleiben soll. Im Folgenden werden daher durchweg ebenso theoretische wie empirische Zugänge zu berücksichtigen sein.

Aus diesen Überlegungen folgt aber noch nicht die Art und Weise, wie der gesuchte religionspädagogisch-bildungstheoretische Rahmen zu gewinnen ist. Im Folgenden sollen dafür drei Wege beschritten werden: Erstens wird nach den Funktionen gefragt, die ein solcher Rahmen erfüllen soll. Zweitens kommen schon dabei die unterschiedlichen Adressat:innen in den Blick und drittens sollen vor diesem Hintergrund die Konstruktionsprinzipien für den gesuchten Rahmen geklärt werden.

Funktionen:

Was soll der religionspädagogisch-bildungstheoretische Rahmen leisten?

Die erste Funktion der vorliegenden Darstellung bezieht sich auf die Identität des Faches Religionsunterricht. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, diese Identität zu bestimmen, so wie dies beispielsweise in der religionspädagogischen Lehrbuchliteratur geschieht (vgl. Rothgangel, Adam & Lachmann, 2013; Schweitzer, 2019; Schröder, 2021). Mit der Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht wird allerdings eine bestimmte Perspektive gewählt. Die Gründe dafür wurden zum Teil bereits in der Einleitung angesprochen. Sie lassen sich zu der These verdichten, dass Bestimmungen zur Identität des Religionsunterrichts heute nur noch dann überzeugen können, wenn sie zumindest einen Schwerpunkt auf das Lernen in diesem Fach legen. Anders ausgedrückt, werden Aussagen zur Identität des Faches nur dann tragfähig sein, wenn dabei klar wird, was im Religionsunterricht gelernt werden kann.

Einer solchen auf das Lernen im Religionsunterricht bezogenen Bestimmung der Identität des Faches kommt auch für die Aus- und Fortbildung und damit für die Professionalität von Religionslehrkräften entscheidende Bedeutung zu. Denn in beiden Fällen geht es darum, welche Kenntnisse und Fähigkeiten – angehende oder in der Praxis tätige – Lehrkräfte brauchen, um Lernen im Religionsunterricht zu ermöglichen. Insofern beruhen auch alle Richtlinien für das Studium oder für das Referendariat und Vikariat auf Annahmen, die den Zusammenhang zwischen einer bestimmten Form der Ausbildung und dem Lernen im Religionsunterricht betreffen. Ähnlich verhält es sich bei der Ausgestaltung der Fortbildung für den Religionsunterricht. In beiden Fällen bleiben die entsprechenden Annahmen bislang allerdings weithin implizit oder unbestimmt, was den Erfolg der Ausbildung empfindlich einschränken kann. Zugespitzt: Nur wenn diese Annahmen transparent sind und wissenschaftlich-diskursiv geprüft werden können, sind begründete Hoffnungen auf den Ausbildungserfolg erreichbar.

Richtlinien für die Ausbildung sowie Angebote von Fortbildungsprogrammen stellen aber nur einen äußeren Rahmen dar. Entscheidend ist am Ende die individuelle Nutzung durch Studierende, Referendar:innen und Religionslehrkräfte, so wie dies heute sowohl für den Unterricht als auch für die Aus- und Fortbildung mit dem Angebots-Nutzungs-Modell dargestellt wird (vgl. Helmke, 2015; → S. 256). Im Unterricht wie in der Aus- und Fortbildung wird demnach ein Angebot bereitgestellt, das erfolgreich genutzt werden kann, aber eben nicht in allen Fällen auch so genutzt wird. Daraus ergibt sich, dass angehende ebenso wie bereits ausgebildete Religionslehrkräfte dazu in der Lage sein müssen, sich im Blick auf die verschiedenen Angebote selbstständig zu orientieren, um eine für sie selbst sinnvolle Nutzung zu erzielen. Das lässt sich auch als Implikation der für den Religionslehrberuf angestrebten und weiter anzustrebenden Professionalität verstehen (vgl. Simojoki et al., 2021). Zu dieser Professionalität gehört nicht zuletzt ein hohes Maß an Autonomie, die allerdings nicht einfach auf persönlichen Vorlieben beruhen kann, sondern eine Vertrautheit mit einem Professionswissen voraussetzt.

Antworten auf die Fragen nach dem Lernen im Religionsunterricht haben also eine grundlegende Bedeutung für das Fach Religion und für die Professionalität der Lehrkräfte. Das gilt sowohl im Blick auf das Was als auch – mit der didaktischen Tradition formuliert – das Wie. Es muss geklärt werden, was gelernt werden soll und auf welche Art und Weise dies geschehen soll. Damit ist zugleich das Lehren in seinem Verhältnis zum Lernen angesprochen, da es im Unterricht anders als etwa beim informellen Lernen in der Familie auf strukturierte, intentional unterstützte Lernprozesse ankommt. Informelles Lernen vollzieht sich gleichsam von selbst, ungeplant und ohne institutionelle Vorgaben, beispielsweise im Umgang mit Medien. Formales Lernen hingegen, wie es im Zentrum der Schule steht, ist geplant und findet in einem institutionellen Rahmen statt, der auf die Ermöglichung des Lernens zugeschnitten ist. In einem Bild gesprochen lassen sich die Bestimmung und Beschreibung des Lernens im Religionsunterricht als eine anatomische Aufgabe verstehen: Dabei müssen die einzelnen Bestandteile oder Komponenten dieses Lernens sowie ihr Zusammenspiel identifiziert werden. Der Sinn einer solchen Anatomie liegt dabei nicht in einem abstrakten Erkenntnisinteresse, sondern er erwächst aus dem für Wissenschaft und Praxis gleichermaßen zentralen Anliegen, den Unterricht weiterzuentwickeln und zu verbessern.

Eine solche Anatomie des Lernens im Religionsunterricht ist zugleich eine entscheidende Voraussetzung für die religionspädagogische Unterrichtsforschung. Untersuchungen zum Religionsunterricht lassen sich nur planen, wenn ein Gesamtbild des Unterrichts verfügbar ist, an dem sich die Fragestellungen einzelner Untersuchungen orientieren können. Erst ein solches Gesamtbild erlaubt es auch, verschiedene Forschungsergebnisse aufeinander zu beziehen. Nicht zuletzt wird auf diese Weise sichtbar, was bislang schon erforscht ist und wo sich noch ganz unerforschte Bereiche finden. Tatsächlich ist die religionspädagogische Unterrichtsforschung insgesamt noch wenig fortgeschritten (vgl. den Überblick bei Schweitzer & Boschki, 2018), sodass die vorliegende Darstellung auch in dieser Hinsicht Klärungsaufgaben erfüllen soll.

Die verschiedenen Adressat:innen und ihre Erwartungen

Bei der Beantwortung der Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht müssen verschiedene Adressat:innen in den Blick genommen werden.

Wie bei allen Fächern der Schule ist auch beim Religionsunterricht zunächst an die Bezugswissenschaft zu denken, ohne die das Fach seine Kontur verlieren würde. Insofern muss das Lernen im Religionsunterricht den Erwartungen der wissenschaftlichen Theologie gerecht werden. Das gilt auch dann, wenn der Religionsunterricht inzwischen Erkenntnisse aus weiteren Wissenschaften einschließt – aus den Human- und Sozialwissenschaften ebenso wie aus der Religionswissenschaft oder der Kulturforschung, die unter verschiedenen Bezeichnungen betrieben wird. Ein Schulfach, das einfach aus einer Vielzahl und Vielfalt von Wissenschaften gespeist wird, ohne dass es eine integrierende Perspektive gäbe, ist schwer denkbar. Es bliebe unklar, ob es hier überhaupt noch einen fachlichen Zusammenhang gibt.

Alle Fächer der Schule stehen aber nicht nur im Horizont einer Bezugswissenschaft, die ihre fachliche Identität bedingt, sondern sie müssen zugleich bildungstheoretisch ausgewiesen sein. In dieser Hinsicht kommt es nicht nur darauf an, dass eine bestimmte inhaltliche Domäne in der Schule präsent ist, sondern was ein Fach zur Bildung von Kindern und Jugendlichen beiträgt (vgl. Benner, 1987). Eine solche Verknüpfung zwischen fachlichen Inhalten auf der einen und den Kindern und Jugendlichen auf der anderen Seite ist der Anspruch einer Bildungstheorie (vgl. Tenorth, 1994, 2020; Baumert, 2002). Auch wenn heute nicht mehr davon auszugehen ist, dass der Fächerkanon der Schule direkt aus einer bestimmten Bildungstheorie abgeleitet werden kann, bleibt dennoch die Forderung bestehen, dass der Bildungsbeitrag jedes einzelnen Faches ausweisbar sein muss. Neben den theologischen muss der Religionsunterricht deshalb ebenso bildungstheoretischen Erwartungen gerecht werden.

Im Falle des Religionsunterrichts ist allerdings eine wichtige Besonderheit zu beachten: Der Bezug auf die Theologie hängt hier auch damit zusammen, dass dieser Unterricht nicht einfach eine „Kunde“ als lediglich informative Darstellung von Sachverhalten sein soll, sondern dass er die Möglichkeit existenzieller Klärungen im Blick auf letzte Fragen des Menschseins ermöglichen soll. Dies wird mit dem heute nur noch schwer verständlichen Begriff der Bekenntnisorientierung zum Ausdruck gebracht. Im Hintergrund steht dabei das Grundgesetz, das die Erteilung des Religionsunterrichts „in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften“ vorsieht (Art. 7,3). Deshalb gehören auch die Religionsgemeinschaften – im Falle des christlichen Religionsunterrichts also die Kirchen – zu den Adressaten bei der Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht. Antworten müssen auch in einem kirchlichen Horizont plausibel sein, obwohl Schule und Kirche nicht in eins gesetzt werden dürfen. Ähnlich stellt sich die Situation etwa beim islamischen Religionsunterricht dar, obwohl es hier keine mit den Kirchen vergleichbaren Religionsgemeinschaften gibt (vgl. Schweitzer & Ulfat, 2022). In der Bindung an eine Religionsgemeinschaft liegt allerdings auch ein Konfliktpotenzial: Immer wieder wurden und werden von kirchlicher Seite oder auch von anderen Religionsgemeinschaften Erwartungen hinsichtlich der Vermittlung eines katechetischen Wissens formuliert, die unter religionsdidaktischen Aspekten wenig sinnvoll erscheinen. Ein bekanntes Beispiel dafür sind Kataloge mit auswendig zu lernenden Texten oder Liedern, wie sie auch in manchen Bildungsplänen noch enthalten sind.

Religion ist jedoch keineswegs nur ein Thema der Wissenschaft oder der Kirche. Sie ist immer auch ein gesellschaftliches Phänomen, weshalb bei der Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht ebenso die gesellschaftliche Plausibilität dieses Faches auf dem Spiel steht. In Öffentlichkeit und Politik, aber auch bis hinein in die Schulen, wird Religion heute ambivalent wahrgenommen. Auf der einen Seite wird nach wie vor anerkannt, dass Religion ein wichtiger Teil des Lebens ist und dass die Auseinandersetzung mit letzten Fragen für die Wertebildung ebenso bedeutsam ist wie für die Persönlichkeitsentwicklung insgesamt. Auf der anderen Seite stehen problematische Entwicklungen wie etwa der Fundamentalismus besonders im Bereich des Islam, aber auch im Christentum vor Augen und es wird gefragt, wie schulisch mit solchen Tendenzen umgegangen werden soll. Ohne Zweifel markiert heute auch sonst das Zusammenleben in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft den Horizont, in dem sich insbesondere für eine weitere Öffentlichkeit das Lernen im Religionsunterricht einzig noch plausibilisieren lässt.

Religionspädagogisch gesehen können aber weder die Wissenschaft noch die Religionsgemeinschaften noch Politik und Öffentlichkeit an erster Stelle stehen, wenn tragfähige Bestimmungen zum Lernen im Religionsunterricht gefunden werden sollen. Für die Religionspädagogik der Gegenwart stellt vielmehr der Begriff der Subjektorientierung eine Art unhintergehbares Axiom dar, von dem her alle Erwartungen an den Religionsunterricht kritisch zu beurteilen sind (vgl. Grümme, 2022). Auch wenn sich der Begriff der Subjektorientierung bei genauerer Prüfung keineswegs in jeder Hinsicht als tragfähig erweist (vgl. Schweitzer, 2022a), bleibt richtig, dass das Lernen im Religionsunterricht vor allem für diejenigen sinnvoll und gewinnbringend sein muss, die ihn als Schüler:innen besuchen. Dabei geht es nicht nur um eine normative Setzung, sondern um eine Implikation der Schule als Institution. Welche Aufgaben auch immer die Schule sonst noch erfüllen mag, können Sinn und Recht dieser Institution nur darin bestehen, dass sie etwas für Kinder und Jugendliche leistet und sie in ihrem Aufwachsen unterstützt.

Leser:innen mögen sich aber aus gutem Grund bereits gefragt haben, ob sich vom Lernen im Religionsunterricht sinnvoll sprechen lässt, wenn nicht auch die Religionslehrkräfte von Anfang an mit im Blick sind. Das Verhältnis zwischen Lehren und Lernen wird heute zwar nicht mehr einfach als ein transitiver Zusammenhang verstanden. Das Lehren kann das Lernen nicht determinieren – es kann nur ein Lernangebot bereitstellen, dessen Aufnahme und Rezeption immer von den Schüler:innen abhängt. Gleichwohl spielen die Religionslehrkräfte eine konstitutive Rolle für das Lernen. Daher sind alle Bestimmungen zum Lernen im Religionsunterricht auch daraufhin zu prüfen, was sie für die Religionslehrkräfte bedeuten, ob sie ihnen einleuchten und ob es ihnen überhaupt möglich erscheint, die entsprechenden Aufgaben wahrzunehmen. Darüber hinaus soll eine Darstellung zum Lernen im Religionsunterricht gerade den Lehrkräften Möglichkeiten an die Hand geben, ihren Unterricht weiterzuentwickeln.

Konstruktionsprinzipien: Auf welchen Voraussetzungen kann ein religionspädagogisch-bildungstheoretischer Rahmen heute beruhen?

Zusammenfassend kann bislang festgehalten werden, dass sich der gesuchte religionspädagogisch-bildungstheoretische Rahmen auf die Schüler:innen und deren Selbstwerdung, auf die fachliche und bildungstheoretische Identität des Religionsunterrichts, die Professionalität der Religionslehrkräfte sowie die gesellschaftlichen und kirchlichen Erwartungen beziehen muss. Daraus ergeben sich zwar noch keine unmittelbaren inhaltlichen Konsequenzen, aber diese Bestimmungen schließen grundlegende Implikationen hinsichtlich der Kriterien ein, mit deren Hilfe ein religionspädagogisch-bildungstheoretischer Rahmen festgelegt werden kann.

Da es im Horizont des Religionsunterrichts immer um eine möglichst wirksame Unterstützung des Lernens geht, ist es darüber hinaus sinnvoll, eine weitere normative Dimension einzubeziehen, nämlich in Gestalt von Bestimmungen zu „gutem Religionsunterricht“. Ohne solche Bestimmungen wäre eine Weiterentwicklung von Religionsunterricht kaum denkbar. Hinsichtlich solcher Bestimmungen hat sich, wie an anderer Stelle gezeigt (Schweitzer, 2020), ein dreifacher Horizont herauskristallisiert, der auch im vorliegenden Zusammenhang Orientierung bieten kann. Demnach ist „guter Religionsunterricht“ als „guter Unterricht“, als „guter Fachunterricht“ sowie als „Fach mit einem besonderen Profil“ zu verstehen. Er unterliegt den Ansprüchen unterrichtlicher Qualität, wie sie für alle Fächer in der Bildungswissenschaft sowie heute besonders in der Pädagogischen Psychologie oder Empirischen Bildungsforschung formuliert werden. Er muss den mit der Inhaltsdomäne „Religion“ verbundenen fachlichen und fachdidaktischen Ansprüchen gerecht werden. Nicht zuletzt aber soll auch der für den Religionsunterricht in besonderer Weise bedeutsame Anspruch, dass in diesem Fach existenzielle Fragen Raum finden, zu seinem Recht kommen.

Im vorliegenden Zusammenhang führt dies zu fünf Prinzipien für die Konstruktion eines religionspädagogisch-bildungstheoretischen Rahmens, in dem die Frage nach dem Lernen im Religionsunterricht weiter geklärt werden kann:

–Der Religionsunterricht muss den fachlichen Ansprüchen gerecht werden, die heute in der Fachwissenschaft, also primär der Theologie, anerkannt sind.

–Der Religionsunterricht muss den Ansprüchen der Fachdidaktik, also primär der Religionsdidaktik, gerecht werden.

–Der Religionsunterricht muss bildungstheoretischen Maßstäben entsprechen.

–Der Religionsunterricht muss Raum für existenzielle Klärungsprozesse bieten.

–Der Religionsunterricht muss so ausgestaltet werden, dass seine Bedeutung im gesellschaftlichen Horizont erkennbar wird.

Es ist leicht, zu erkennen, dass diese fünf Prinzipien nicht einfach nebeneinanderstehen können, sondern ineinandergreifen müssen. Unterricht muss beispielsweise zugleich fachliche und fachdidaktische Kriterien erfüllen. Dieser Anspruch lässt sich auch nicht in eine zeitliche Abfolge bringen, sodass einmal die fachlichen und danach die fachdidaktischen Ansprüche zum Zuge kommen. Vielmehr geht es um eine konsequente Verbindung dieser Prinzipien. Das gilt auch dann, wenn die Implikationen dieser Prinzipien im Folgenden nacheinander dargestellt werden. Durchweg muss die Verschränkung aller fünf Prinzipien bewusst bleiben.

Allerdings können diese Prinzipien in Spannung zueinander treten. Beispielsweise war dies in der Vergangenheit schon im Verhältnis zwischen Fachwissenschaft und Fachdidaktik mitunter der Fall, wenn sich theologische Themensetzungen in fachdidaktischer Sicht kaum mit den Interessen und Lernmöglichkeiten der Schüler:innen verbinden ließen. Auch zwischen fachlichen und fachdidaktischen Auffassungen einerseits und bildungstheoretischen Kriterien andererseits bestand in der Geschichte von Religionsunterricht und Religionspädagogik nicht immer Harmonie. Ein berühmt gewordenes Beispiel ist der Vorwurf einer „Verleugnung des Kindes“, die der Religionspädagogik von pädagogischer Seite gemacht wurde (Loch, 1968). Strittig kann aber auch die Frage sein, was es bedeutet, dass im Unterricht eine existenzielle Dimension zum Zuge kommen soll. In diesem Falle kann beispielsweise an den sogenannten Performativen Religionsunterricht gedacht werden, bei dem insbesondere liturgische Vollzüge im Unterricht erprobt werden sollen (vgl. Dressler, 2006). In der religionsdidaktischen Diskussion wird es häufig als übergriffig wahrgenommen, wenn etwa – wie es bei diesem Ansatz heißt – „probeweise“ gebetet, gesegnet usw. werden soll. Darüber hinaus kann die bei diesem Ansatz gewählte Schwerpunktsetzung bei liturgischen Vollzügen, die dann als „die Praxis“ des christlichen Glaubens verstanden werden, als einseitig hinterfragt werden. Die Praxis des christlichen Glaubens lässt sich kaum auf liturgische Vollzüge beschränken, die vielen Menschen, die sich als Christ:innen verstehen, offenbar nicht besonders wichtig sind.

Vor diesem Hintergrund soll nun in einer ersten Annäherung versucht werden, Religionsunterricht in die Perspektive fachlicher, fachdidaktischer, bildungstheoretischer, existenzieller sowie gesellschaftlicher Ansprüche und Bezüge zu rücken.

Fachliche Ansprüche an den Religionsunterricht

In der Vergangenheit wurden fachliche Ansprüche hinsichtlich der Schulfächer, also nicht nur des Religionsunterrichts, sondern aller Fächer, mitunter so verstanden, dass diese die jeweilige wissenschaftliche Disziplin möglichst vollständig abbilden sollten. Unterricht stellt dann gleichsam die jeweilige Wissenschaft en miniature dar. Im Falle des Religionsunterrichts wäre das eine Mini-Theologie. Mit dem Begriff der „Abbilddidaktik“ werden solche Vorstellungen in den Fachdidaktiken seit langem grundsätzlich abgelehnt (vgl. Blankertz, 1969). Hinter dieser Kritik stehen verschiedene Argumente: Schon aus zeitlichen Gründen, also der Begrenztheit der Schulzeit insgesamt sowie der im Schulalltag immer knappen Zeitkontingente, kommt für den Unterricht von vornherein nur eine Auswahl fachlicher Inhalte infrage, was allgemein anerkannt ist. Weiterhin liegt Schulfächern und wissenschaftlichen Disziplinen jeweils eine eigene Logik zugrunde. Die Logik der Schule folgt dem Ziel der Bildung von Kindern und Jugendlichen, während in der Wissenschaft Forschungsperspektiven im Vordergrund stehen müssen, die zum Teil überaus komplex und hochspezialisiert sind. Abbilder der Wissenschaft können Schulfächer daher nicht sein.

Während demnach Forderungen nach einer möglichst vollständigen Aufnahme von Wissenschaften in der Schule abzulehnen sind, ist eine andere Forderung sehr plausibel: Wissenschaftliche Erkenntnisse, die im Unterricht aufgenommen werden, müssen dem aktuellen Stand der Forschung entsprechen. Da sich aber auch im Blick auf den Stand der Forschung der Einwand gegen Abbildungsverhältnisse wiederholt, ist eine eingeschränkte Formulierung angemessener: Die in der Schule präsentierten Erkenntnisse dürfen dem Stand der Wissenschaft nicht widersprechen. Wenn sich beispielsweise hinsichtlich der Entstehungszeit biblischer Schriften in den letzten Jahrzehnten in der wissenschaftlichen Theologie stark veränderte Auffassungen durchgesetzt haben, so kann auch im Religionsunterricht nicht an früheren Auffassungen festgehalten werden.

Eigene Beachtung verdient in diesem Zusammenhang auch das Kontroversitätsprinzip, das im Rahmen des sogenannten Beutelsbacher Konsenses für den Politikunterricht formuliert wurde und das inzwischen auch in anderen Fächern Beachtung findet: „Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen“ (Bundeszentrale für Politische Bildung, 2011; religionsdidaktisch vgl. dazu Herbst, 2021). In der Religionspädagogik ist bislang allerdings noch wenig geklärt, ob dieses Prinzip auch auf das Verhältnis zwischen Religionsunterricht und Theologie anzuwenden ist. Prinzipiell leuchtet dies jedoch durchaus ein. So wäre es nicht angemessen, theologisch-ethisch kontroverse Themen wie etwa das „therapeutische Klonen“ (vgl. dazu bspw. EKD, 2005) im Religionsunterricht nur von einer der Positionen in diesem Streit her darzustellen. In solchen Fällen lässt sich das Kontroversitätsprinzip unmittelbar auf den Religionsunterricht anwenden.

Neben solchen allgemeinen Zusammenhängen zwischen Fachwissenschaft und Religionsunterricht gibt es zumindest manchmal auch ausdrückliche fachwissenschaftliche Stellungnahmen. Ein eindrückliches Beispiel stellen die Stellungnahmen aus der Heidelberger theologischen Fakultät zum damaligen Bildungsplan in Baden-Württemberg dar, die diesem Bildungsplan insbesondere eine „Verharmlosung“ theologischer Inhalte, eine Verflachung sowie sogar eine „Selbstsäkularisierung“ zum Vorwurf machen (vgl. Rupp & Schmidt, 2001). Im Einzelnen soll darauf erst später in diesem Buch eingegangen werden (→ S. 60 ff.). Zunächst ist nur der Hinweis wichtig, wie kontrovers sich die Verhältnisse zwischen Theologie und Religionsunterricht auch heute noch darstellen können.

Stellungnahmen wie die aus Heidelberg hinterlassen allerdings nicht zuletzt bei Religionslehrkräften ein deutliches Unbehagen. Auf der einen Seite treffen sie ihr theologisches Gewissen: Wer wollte schon für eine „Verharmlosung“ theologischer Inhalte oder gar für eine Verflachung des Glaubens verantwortlich sein? Auf der anderen Seite ist den Lehrkräften nur allzu bewusst, dass bei den wissenschaftlich-theologischen Stellungnahmen die Schüler:innen und das, was mit ihnen im Unterricht erreicht werden kann, oft gar nicht im Blick sind. Der bloße Hinweis darauf, dass zwischen wissenschaftlicher Theologie und Bildungsplänen eine Lücke klafft, hilft noch nicht weiter.

Fachdidaktische Ansprüche

Fachdidaktik ist die Theorie des Lehrens und Lernens in einem bestimmten Fach. Ihre Grundaufgabe kann als Transformation wissenschaftlicher Erkenntnisse in Themen für den Unterricht beschrieben werden. Dazu gehört an erster Stelle die erforderliche Auswahl von Inhalten, die nicht allein von den Wissenschaften her zu begründen ist. Damit der Unterricht das Lernen von Kindern und Jugendlichen unterstützen kann, müssen die Inhalte unter dem Aspekt ausgewählt werden, was sie für die Schüler:innen jetzt sowie in Zukunft bedeuten können. Genau darin kommt die Eigenlogik von Unterricht oder Bildung im Unterschied zur Logik von Forschung und Wissenschaft zum Ausdruck.

Ebenso wichtig wie die Auswahl von Inhalten ist aber deren fachdidaktische Erschließung.