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Beschreibung

Im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung bekommt das Verfassen eigener mündlicher, schriftlicher und/oder digitaler bzw. multimodaler Texte einen immer höheren Stellenwert. Dies geschieht häufiger auch in einer Fremdsprache, weshalb entsprechende fremdsprachige Kompetenzen im kommunikativen, kompetenzorientierten Unterricht angebahnt werden sollten. Die Produktion diverser Lerner:innentexte ist zwar bereits zentraler Bestandteil des Fremdsprachenunterrichts, jedoch fehlt eine systematische Konzeptualisierung sowie empirische Forschung zum Potenzial von Lerner:innentexten für die Entwicklung diverser Kompetenzen. Dieser Leerstelle begegnet der vorliegende Band mit theoretisch-konzeptionellen, praktischen und empirischen Beiträgen aus Grundschul-, Sekundarstufen- und Hochschuldidaktik.

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Seitenzahl: 406

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Nora Benitt / Katharina Delius / Daniel Becker / Torben Schmidt (Hrsg.)

Lerner*innentexte im Fremdsprachenunterricht

Theorie, Praxis, Forschung

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Diese Veröffentlichung wurde aus Mitteln des Publikationsfonds NiedersachsenOPEN, gefördert aus zukunft.niedersachsen, unterstützt.

 

Nora Benitt, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Rostock https://orcid.org/0009-0009-5467-9200

Katharina Delius, Institut für Anglistik und Amerikanistik, Universität Potsdam https://orcid.org/0000-0003-0781-4595

David Becker, FCBG Realschule Gummersbach https://orcid.org/0000-0001-5258-3664

Torben Schmidt, Institute of English Studies, Leuphana Universität Lüneburg https://orcid.org/0000-0001-6579-2115

 

DOI: https://doi.org/10.24053/9783381129126

 

© 2025 • für den gesamten Band bei den Herausgeber:innen, für die einzelnen Beiträge bei den Autor:innen.

 

Das Werk ist eine Open Access-Publikation. Es wird unter der Creative Commons Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen | CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, solange Sie die/den ursprünglichen Autor/innen und die Quelle ordentlich nennen, einen Link zur Creative Commons-Lizenz anfügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Werk enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der am Material vermerkten Legende nichts anderes ergibt. In diesen Fällen ist für die oben genannten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 0175-7776

ISBN 978-3-381-12911-9 (Print)

ISBN 978-3-381-12913-3 (ePub)

Inhalt

Lerner*innentexte im Fremdsprachenunterricht: Theorie, Praxis und Forschung1 Lerner*innentexte aus theoretisch-konzeptioneller Perspektive: Definition, Klassifikationsansätze und theoretisches Potenzial1.1 Definition und Textverständnis1.2 Potenziale, Klassifizierung und Funktionen von Lerner*innentexten2 Lerner*innentexte aus praktischer Perspektive: Methoden und Ansätze2.1 Produkt- und Handlungsorientierung2.2 Prozessorientierung und generisches Lernen2.3 Aufgabenorientierung2.4 Zur Bewertung von Lerner*innentexten3 Lerner*innentexte aus empirischer Perspektive: Studien mit und über Lerner*innentexte3.1 Erkenntnisse zu Sprechkompetenzen3.2 Sprachliche Handlungsfähigkeit und Teilhabe an Diskursen3.3 Umgang mit und Wertschätzung von Lerner*innentexten im Literaturunterricht3.4 Textliche Komplexität und Erzählqualität4 Ausblick und Struktur des BandesLiteraturLernende als kulturelle Akteur/innen – Lernendentexte als fremdsprachige kulturelle Äußerungen1 Lernendentexte als Schlüssel zu einem kommunikativen Fremdsprachenunterricht2 Lernendentexte als kulturelle Äußerungen und Diskursteilhabe3 Lebensweltliche Textkompetenzen, Textwelten und Diskurssphären4 Der semiotische Textbegriff5 Die generische Form von Texten: Plädoyer für ein Genre-CurriculumLiteraturAutor*innen des Alltags: Zur Notwendigkeit einer Didaktik literarischer Lerner*innentexte1 Einleitung2 Die Bedeutung literarischer Lerner*innentexte in der Literaturlandschaft des 21. Jahrhunderts3 Zum Stand von literarischen Lerner*innentexten im Englischunterricht3.1 Lerner*innentexte und literarische Kompetenz3.2 Lerner*innentexte und die Methodik des Literaturunterrichtes4 Dimensionen einer Didaktik literarischer Lerner*innentexte4.1 Curriculare Dimension4.2 Genre-Dimension4.3 Didaktische Dimension4.4 Bildungsdiskursive Dimension4.5 Persönliche Dimension5 SchlussbetrachtungLiteraturLerner*innentexte als Handlungen in und Reflexionen von Situationen: Konzeptionelle und praktische Überlegungen zur Global (Citizenship) Education im Englischunterricht1 Einleitung2 Orientierung: Ein global turn? Zur Debatte über Bildung für nachhaltige Entwicklung, Globales Lernen und Global Citizenship Education3 Transformation: Baustellen einer ökologisch und politisch erweiterten Kulturdidaktik4 Beispiele zur praktischen Arbeit mit Lerner*innentexten: situation maps und politisch beratende Reden5 Fazit und AusblickLiteraturverzeichnisHypertext fiction als digitale Lerner*innentexte schreiben1 Einleitung2 Multimodale Komposition als Schreibansatz für Lerner*innentexte3 Das Potenzial von hypertext fiction als digitale Lerner*innentexte4 Ein umfassenderes Verständnis von Schreiben – das Wheel of Writing4.1 Der Einfluss von Schriftsprache und Schriftzeichen4.2 Der Einfluss von Textstruktur und Schreibwerkzeug5 Der Designprozess von hypertext fiction5.1 Pre-Design Aktivitäten beim Schreiben von hypertext fiction5.2 While-Design Aktivitäten beim Schreiben von hypertext fiction5.3 Post-Design Aktivitäten beim Schreiben von hypertext fiction6 Fazit: Schreibkompetenz umfassend mit hypertext fiction fördernReferencesZur Ko-Konstruktion von Lerner*innentexten im Englischunterricht der Primarstufe1 Lerner*innentexte und Fachdidaktik: Ein Exkurs2 Kinder entwerfen, gestalten und inszenieren Texte3 Zur Entstehung von Lerner*innentexten im frühen Fremdsprachenunterricht3.1 Ein Beispiel aus dem Unterricht einer 2. Klasse3.2 Skizze der Reihe in Verbindung mit verwendetem Material4 Ko-Konstruktionen: Arrangements und Prozesse5 Lerner*innentexte im Kontext: Versuch einer BilanzLiteraturverzeichnisMon quartier, ma famille, ma chambre. Einschätzungen von Französischlernenden des ersten Lernjahrs zu audiovisuellen Lerner*innentexten als Kompetenzprüfungen1 Einleitung2 Auf dem Weg zu einer digitalen Prüfungskultur3 Lernstandserhebung über digitale auditive und audiovisuelle Lerner*innentexte4 Fallstudie 1. Lernjahr Französisch, Gymnasium Berlin4.1 Zum Kontext der Lernaufgabe, deren Anleitung und Einsatz von Hilfsmitteln4.2 Teilstudie 1: Analyse der Lerner*innentexte (ausgewählte Aspekte)4.3 Teilstudie 2: Wahrnehmungen der Lernenden zum Arbeitsprozess und Lernprodukt4.4 Diskussion der Ergebnisse4.5 Limitationen5 Fazit und AusblickBibliografie(Auto)Biography matters – Working with autobiographical learner texts in English language teaching1 Introduction2 Autobiographical learner texts: Theoretical and conceptual underpinnings2.1 Definitions2.2 The role of autobiographical learner texts: Potential and challenges3 Research study3.1 Design, setting & data3.2 Task description and exemplary learner texts4 Findings and discussion5 Guiding principles & outlookReferences„Anne was 7 years old and lived in a pretty liddl house“ – Assessing Narrative Competence in Written Narrative Texts from English Language Classrooms1 Introduction2 Written narrative competence in learner texts3 Assessing written narrative competence3.1 The CWiLT corpus3.2 The RANT coding manual3.3 Procedure4 Case study: Assessing a sample narrative text4.1 Overall impression4.2 Language system4.3 Event4.4 Situation4.5 Character4.6 Style4.7 Coherence5 Quantitative analysis5.1 Development of overall impression and total score5.2 Development of narrative categories6 Discussion and limitations7 Conclusion and implications for classroom practiceReferencesAppendixLernen, auf Lerner*innentexte hin zu planen. Universitäre Lehrarrangements zur besseren Berücksichtigung der Zieltexte in aufgabenorientierten studentischen Planungen im Praxissemester – ein Erfahrungsbericht1 Einleitung2 Das Modul „Schulpraktische Studien“ an der Freien Universität Berlin3 Vor der Intervention oder: Allmähliche Bewusstwerdung des Problems. Berücksichtigung des Aspekts „Textsorte“ im Modul „Schulpraktische Studien“ 2021/224 Erste Lehrintervention im Wintersemester 2022/234.1 Veränderungen in der Lehre4.2 Ergebnisse und neue Erkenntnisse5 Zweite Lehrintervention im Wintersemester 2023/246 Fazit und Schlussfolgerungen7 Zum Sinn einer Reflexion über Studierenden- und Lehrendentexte statt über Schüler*innentexteLiteraturAutor*innenbiographien

Lerner*innentexte im Fremdsprachenunterricht: Theorie, Praxis und Forschung

Katharina Delius, Nora Benitt & Daniel Becker

Im Laufe ihrer Schulzeit produzieren Lernende eine Vielzahl von Texten. Im Fremdsprachenunterricht kann es sich dabei um Gedichtinterpretationen, Erlebnisberichte, argumentative Essays, Blogeinträge, Podcasts, Erklärvideos oder szenische Interpretationen handeln. Diese Lerner*innentexte unterscheiden sich in zahlreichen Aspekten wie ihrem Ausmaß, ihrer Komplexität oder ihrer medialen Repräsentation – vor allem aber auch in der mit ihnen verbundenen Zielausrichtung bzw. Verwendung. Gerade im Fremdsprachenunterricht kommt Lern*innentexten eine besondere Bedeutung zu, da die Sprache hier nicht nur Ausdrucksmittel, sondern auch Lerngegenstand selbst ist. Lerner*innentexte können auf verschiedene Weise genutzt werden: So sind sie Teil oder finales Produkt des sprachlichen Lernprozesses, geben den Lernenden die Möglichkeit, eigene Meinungen, Gedanken und Gefühle zum Ausdruck zu bringen (beispielsweise im Anschluss an die Beschäftigung mit literarischen oder faktualen Texten), dienen als Kommunikationsmittel im unterrichtlichen Kontext und darüber hinaus, oder werden zur Bewertung oder Reflexion der Kompetenzen der Lernenden genutzt. Lehrkräften oder Forscher*innen können Lerner*innentexte Einblicke in die Sprachkenntnisse bieten (vgl. Mukherjee & Götz 2015; Fandrych et al. 2022). Darüber hinaus geben sie Aufschluss über genutzte Kommunikationsstrategien der Lernenden und zeigen, ob in der gegebenen Lehr-Lern-Situation „die Sprache in sinnvollen Kontexten (meanigful contexts), durch bedeutsame Interaktionen (meanigful interactions) nachhaltig und mit Perspektive gelernt (meanigful learning)“ wurde (Legutke 2009: 213). Doch zu diesen und weiteren Aspekten gibt es kaum empirische Forschung, obwohl Aufrufe zu einer systematischen Beschäftigung mit Lerner*innentexten im Unterricht nicht neu sind (u. a. Legutke 2007; 2009). Auch Fragen nach den Arten von Lerner*innentexten, die im Unterricht tatsächlich produziert werden, oder dem Verhältnis von Lerner*innentexten zu den in Prüfungssituationen eingeforderten Texten sind noch unbeantwortet. Bislang liegen nur einzelne Studien und Publikationen vor, die Lerner*innentexte aus theoretisch-konzeptioneller, empirischer oder praktisch-methodischer Perspektive in den Blick nehmen (z. B. Mukherjee & Rohrbach 2006; Diehr et. al. 2007; Ruhm 2009; Diehr & Polte 2009; Schmidt 2009; Peuschel 2012; Kimes-Link 2013; Fekete 2016; Gerlach & Götz 2021; Wisniewski et al. 2022; Fandrych & Wallner 2024) und auf die wir in den folgenden Abschnitten Bezug nehmen werden. Dieser Sammelband, der an ein im Frühjahr 2023 stattgefundenes Symposium an der Leuphana-Universität Lüneburg anknüpft, möchte den wissenschaftlichen Diskurs über Lerner*innentexte aufgreifen und Impulse für die weitere Beschäftigung aus theoretisch-konzeptioneller, empirischer und praktisch-methodischer Perspektive setzen.

Nach einer grundlegenden Auseinandersetzung mit dem Begriff des Lerner*innentextes (im Fremdsprachenunterricht) auf theoretisch-konzeptioneller Ebene und den in der Theorie postulierten didaktischen Potenzialen (Abschnitt 1) betrachtet der einleitende Beitrag vorhandene methodisch-didaktische Ansätze zum Einsatz und Umgang mit Lerner*innentexten (Abschnitt 2) und gibt einen Überblick über bereits existierende empirische Studien und bestehende Forschungslücken (Abschnitt 3). Aus dieser Übersicht ergeben sich eine Reihe an Fragestellungen, denen die einzelnen Beiträge dieses Sammelbandes nachgehen (Abschnitt 4).

1Lerner*innentexte aus theoretisch-konzeptioneller Perspektive: Definition, Klassifikationsansätze und theoretisches Potenzial

1.1Definition und Textverständnis

Möchte man sich den Fragen nach der Bedeutung und dem Potenzial von Lerner*innentexten im Fremdsprachenunterricht annähern, ist er unerlässlich, sich zunächst grundlegend damit auseinanderzusetzen, was eigentlich unter einem Lerner*innentext verstanden wird. Legutke zufolge handelt es sich nicht nur um klassische geschriebene und monomodale Texte, sondern auch um alle multimedialen und multimodalen Äußerungsformen, die von Lernenden produziert wurden (Legutke 2007: 131). Diesem Verständnis liegt demzufolge ein erweiterter Textbegriff zugrunde, der sich nicht allein auf rein schriftsprachliche Äußerungsformen beschränkt, sondern alle sprachlichen, aber auch nicht-sprachlichen Äußerungen umfasst. Doch ab wann kann man von einem Text sprechen? Zählt ein ausgefüllter Lückentext bereits als Lerner*innentext, wie Kolb und Klippel (2022: 131) in ihrer Auseinandersetzung mit unterrichtsbezogenen Dokumenten (2022) suggerieren, wenn sie als Beispiele für Lerner*innentexte u. a. „ausgefüllte Arbeitsblätter“ aufführen? Die Unschärfe, die mit dem Begriff des Textes im alltäglichen Sprachgebrauch, vor allem aber auch in den Diskursen innerhalb der unterschiedlichen Fachdisziplinen wie der Linguistik, Philosophie, Semiotik, Kulturtheorie oder Soziologie verbunden ist (vgl. dazu z. B. Klemm 2022a, 2022b), überträgt sich unausweichlich auch auf den Begriff des Lerner*innentextes. Nach Klemm (2022b) lassen sich dennoch die folgenden Kriterien als disziplinüberschreitend auflisten: Texte bestehen demnach „aus einer Kombination sprachlicher Zeichen“ (2), sie „haben Grenzen, sie sind abgeschlossene und autonome Ganzheiten“ (2), sie „besitzen einen strukturellen und inhaltlichen Zusammenhang (Kohäsion, Kohärenz)“ (2), sie „haben (zumindest) ein erkennbares Thema“ (3), sie „haben (mindestens) einen Verfasser und einen Rezipienten“ (3), und sie „haben eine kommunikative Funktion und einen sozialen Sinn“ (3). Wie Klemm (2022b) jedoch überzeugend darlegt, müssen selbst scheinbar gut nachvollziehbare Kriterien wie Kohäsion und Kohärenz als wesentliche Textkriterien vor dem Hintergrund der Vielfalt möglicher Ausprägungen von sprachlichen und nicht-sprachlichen Produkten hinterfragt werden:

Manchem Gedicht fehlt ganz bewusst jegliche Kohäsion, und auch Kohärenz ist nur mit erheblichem gedanklichen Aufwand herzustellen. Können aber Nicht-Texte Gedichte sein? Wer zieht hier die Grenze? […] Letztlich lasst sich Textualität somit weder an strukturellen noch an inhaltlichen Zusammenhängen innerhalb einer Zeichenkette festmachen, sondern ist sehr abhängig von der jeweiligen Kontextualisierung. (2f.)

Auch das Kriterium der Abgeschlossenheit („Texte haben Grenzen, sie sind abgeschlossene und autonome Ganzheiten“, Klemm 2022b: 2) muss kritisch betrachtet werden, denn ansonsten könnte beispielsweise der Fortsetzungsroman im Internet nicht als Text bezeichnet werden. Klemm selbst schlussfolgert, dass letztlich alle Kriterien, die zur Definitionsfrage herangezogen werden, wie das Vorhandensein (mindestens) eines Verfassers und eines Rezipienten, eines Themas, einer kommunikativen Funktion und eines sozialen Sinns, auf ähnliche Weise hinterfragt werden können. Dies würde jedoch im Umkehrschluss bedeuten, dass es unmöglich wäre, zu beschreiben, was als Text gilt und was nicht. Weniger als nach einem universell gültigen Textbegriff zu suchen, sollten stattdessen eher diejenigen Kriterien ausgewählt werden, die bezogen auf den jeweiligen Kontext, die Perspektive, das Problem oder die Zielsetzung relevant erscheinen (vgl. Klemm 2022b: 5-9). Von besonderer Relevanz gelten nach Klemm „pragmatische und semantische Aspekte“ (kommunikative Funktion, wesentliche Handlung, Thema“ (2022b: 5), wohingegen strukturelle Merkmale eher nachgeordnet sein können.

Wichtig ist es darüber hinaus, den einzelnen Text auch in seinem Diskurskontext zu betrachten, denn „Texte verweisen in ihrer sprachlich-diskursiven Gestalt nicht nur stets über sich selbst hinaus auf Kontexte der sozialen und kulturellen Interaktion und Kommunikation; vielmehr ist genau diese ihnen eingeschrieben bis hinunter auf die Ebene der Lexik, der Syntax und der textuellen Struktur“ (Hallet 2022: 18). Dies bedeutet im Umkehrschluss aber, dass die Frage, ob es sich bei einer wie auch immer gearteten Äußerung oder Äußerungsform um einen Text handelt, nicht unbedingt losgelöst von den die Äußerung umgebenden Diskursen beantwortet werden kann.

Bezogen auf Lerner*innentexte werfen diese Überlegungen zum Textbegriff weitere Detailfragen auf. Denn es liegt ein sehr spezifischer Kontext vor, in dem Äußerungen generiert werden: der Lehr‑/Lernkontext. Insbesondere das Textkriterium der kommunikativen Funktion weist einen doppelartigen Charakter auf: So hat ein Großteil der in diesem Kontext produzierten Äußerungen oder Texte eine andere kommunikative Funktion als der mit ihnen eigentlich, d. h. außerhalb des Unterrichts, verbundenen Funktion. Als Beispiel kann hierfür der im deutsch- und fremdsprachlichen Literaturunterricht gern genutzte Tagebucheintrag aufgeführt werden: Während diese Textsorte in ihrem ,natürlichen‘, d. h. außerunterrichtlichen Kontext, primär der Verarbeitung persönlicher, individueller Erfahrungen, Erlebnisse und Gedanken dient und meist von niemand anderem als dem*r Autor*in rezipiert wird, verschiebt sich diese Kommunikationssituation im unterrichtlichen Kontext: Die Lernenden sollen beispielsweise aus der Perspektive einer literarischen Figur heraus deren Gefühlswelt verbalisieren und damit ihr Textverständnis oder ihre sprachlichen Kompetenzen unter Beweis stellen. Der Tagebucheintrag wird zudem von der Lehrkraft, ggf. auch von Mitschüler*innen, gelesen und möglicherweise sogar bewertet. Gleichzeitig sollen die Lernenden über die Arbeit an diesem Textprodukt auch ein Verständnis für seine außerweltliche kommunikative Funktion entwickeln, um ihre fremdsprachige Diskursfähigkeit zu fördern (vgl. Legutke 2009: 205). Dies bedeutet aber, dass die „Texte“, die im Unterricht entstehen, auch Teil des Lernprozesses sind und daher mit Blick auf die oben genannten Textkriterien nochmals anders betrachtet werden müssen: Ein Lerner*innentext ist unter Umständen (noch) nicht kohäsiv oder abgeschlossen, aber eben nicht, weil die Autor*in dies so beabsichtigt hat, sondern weil er/sie sich selbst im Lernprozess befindet: Lerner*innentexte sind „trotz unvermeidlicher sprachlicher und textueller Unzulänglichkeiten Beiträge zum Prozess des Verstehens und Lernens, Mitteilungen für andere, die sehr persönliche Züge tragen können“ (Legutke 2009: 210). Im Unterricht können also auch Texte entstehen, die zwar ebenfalls Teil des Lernprozesses sind, die sich aber dennoch ihre primäre kommunikative Funktion erfüllen, wie z. B. eine Textnachricht einer Schülerin an ihre Partnerin im virtuellen Austauschprojekt.

1.2Potenziale, Klassifizierung und Funktionen von Lerner*innentexten

Lerner*innentexten weisen besondere Potenziale für unterschiedliche Lehr-/Lernkontexte auf. Ganz grundsätzlich wird Lerner*innentexten zugesprochen, dass sie „die Zielorientierung [erhöhen] und in vielfältiger Weise zur individuellen Kompetenzentwicklung bei[tragen]“ (Hoffmann & Stober 2018: 6). So können beispielsweise ein Lernen mit allen Sinnen sowie soziales und kooperatives Lernen ermöglicht werden. Zudem kann die Ausrichtung des Lehr-/Lernprozesses auf die Produktion konkreter Lerner*innentexte eine motivierende Wirkung auf die Lernenden haben (Hoffmann & Stober 2018: 6). Von besonderer Bedeutung für die Steigerung der Motivation der Lernenden wird dabei die Wertschätzung ihrer Textprodukte betrachtet, denn Lob, Wertschätzung und überhaupt Beachtung gelten als Grundbedürfnisse des Menschen (vgl. Bastkowski & Engelke 2015). Für Minuth (2012) ist die „Präsentation dieser Produkte […] selbst Teil der Verstehensprozesse und die nötige Form von Veröffentlichung, die das Individuum in seiner sozialen Vernetzung sichtbar macht und auf dem ihm gebührenden Platz wertschätzt“ (59). Werden Lerner*innentexte vor anderen präsentiert und damit veröffentlicht, sei es in der eigenen Lerngruppe, in der Schulgemeinschaft oder über das Internet, erhalten sie darüber auch eine konkrete Nutzung. So kann beispielsweise das selbst gestaltete Lernposter zur Veranschaulichung eines bestimmten sprachlichen Phänomens Mitschüler*innen als Lernhilfe dienen oder eine Präsentation von Projekten zur Umsetzung der UN-Nachhaltigkeitsziele in der Schulöffentlichkeit anderen Lehrkräften, Lernenden oder Eltern Einblicke in die Gestaltungsideen der präsentierenden Lernenden bieten. Die Erfahrung, dass die eigenen Produkte rezipiert werden, kann die Selbstwirksamkeit stärken und zudem zur „Identifikation mit der eigenen Schule und Schulkultur beitragen“ (Hoffmann & Stober 2018: 6). In diesem Zuge stellt sich auch die Frage nach der Bewertbarkeit von Lerner*innentexten und damit einhergehend Überlegungen zu angemessenen Bewertungskriterien, die wir in Abschnitt 2.4 diskutieren.

Für den fremdsprachendidaktischen Kontext ergeben sich nach Legutke (2009: 210f.) folgende spezifische Potenziale von Lerner*innentexten:

Sie bringen die Individualität des Einzelnen oder Gruppe zum Ausdruck. […]

Sie bieten den Produzent/innen die Möglichkeit der Identifikation.

Sie sind Träger von Bedeutung und in dieser Funktion des Zielsprachentexten im Lernprozess gleichwertig.

Sie haben einen Adressatenbezug und sind insofern Ausdruck mitteilungsbezogenen Sprachhandelns.

Sie sind für die Schüler/innen Sprachexperimente, die bei aller Planung die Überraschung und damit den Reiz des ungewissen Ausgangs mit sich bringen.

Sie bieten die Möglichkeit des kreativen Spiels mit Sinn, Form und Funktion von sprachlichen und nichtsprachlichen Gestaltungsmitteln.

Sie sind Gegenstand individueller und gemeinsamer Reflexion, die den Lernenden ihre Grenzen und Möglichkeiten des Umgangs mit sprachlichen und nicht sprachlichen Ausdrucksmitteln bewusst macht.

Lernertexte sind schließlich Anlass zur Fremdbewertung durch die Lehrer/innen bzw. durch Vertreter der Lerngruppe und bieten zugleich die Chance zur Selbstbewertung.

Lerner*innentexte können zudem maßgeblich zur Sprachsensibilisierung und -förderung beitragen. Über die Erstellung und Analyse von Lerner*innenkorpora können sich Lernenden gezielt mit ihren individuellen Fehlern auseinandersetzen, was motivierend und konstruktiv für die Sprachkompetenzentwicklung sein kann (vgl. Mukherjee & Rohrbach 2006: 228). Lehrkräfte und Forscher*innen eröffnet die Arbeit mit Korpora von Lerner*innentexten Einblicke in die tatsächlichen Kompetenzen und Probleme individueller Lernender und in „potential correlations between individual sets of learning contexts and their effects on a specific learner’s output” (Mukherjee & Götz 2015: 424; vgl. auch Fandrych et al. 2021: 18-20).

Hinsichtlich der Frage nach einer möglichen Klassifizierung von Lerner*innentexte findet sich bei Caspari (2022: 204-206) ein umfassender Vorschlag. Lerner*innentexte werden hier nach Medium und Textsorte bzw. Genre geordnet, wie z. B. das Märchen unter ‚mündlich – monologisch‘ oder der Buch‑/Filmtrailer unter ,multimedial – multimodal‘. Der Klassifizierungsvorschlag leistet damit einen wichtigen Beitrag, die Vielzahl und Vielseitigkeit von Lerner*innentexten aufzuzeigen und oft übersehene Formen, wie z. B. eine Notiz, sichtbar zu machen. Allerdings kann entsprechend oben diskutierter Kriterien der Textcharakter einiger Formate (z. B. in der Kategorie ,schriftlich – kleine Formen‘: Grammatikregeln oder Beispielsätze) durchaus hinterfragt werden. Caspari teilt Lerner*innentexte in drei Hauptkategorien ein: 1. mündlich (monologisch, dia‑/multilogisch, theatral, medial unterstützt), 2. schriftlich (kleine Formen, Sach- und Gebrauchstexte, graphisch gestaltet, Schreiben über Texte, das Lernen dokumentieren, literarische bzw. literarisierende Texte), 3. multimedial (multimodal). Darüber hinaus listet sie Beispiele für eher freie und stärker vorgegebene mündliche, schriftliche und multimodale/multimediale Textsorten (Caspari 2022: 209). Einschränkend konstatiert Caspari selbst jedoch mögliche Unschärfen ihrer Systematisierung:

Neben der Verwendung unterschiedlicher Kategorien besteht eine Unschärfe darin, dass viele Textsorten nicht eindeutig definiert und dass Mehrfachzuordnungen möglich sind. Außerdem sind für viele Textsorten inzwischen auch multimodale Realisierungsmöglichkeiten entwickelt worden. (203)

Besonders deutlich wird der beschrieben Umstand der vielfältigen Realisierungsoptionen am Beispiel der Textsorte Gedicht. Die Formate eines Gedichts reichen von einer langen Ballade über ein kurzes Haiku bis hin zu multimedial gestalteter Instapoetry und mündlich vorgetragenen Poetry-Slam-Texten. All diese Formate weisen (selbst innerhalb ihres eigenen Formats) sehr unterschiedliche Textmerkmale im Hinblick auf Länge, sprachliche Kohärenz, Medium und Modalität ab, so dass sie problemlos je nach Realisierungsform allen drei Hauptkategorien (mündlich, schriftlich, multimedial) zugeordnet werden könnten.

Aufgrund der beschriebenen möglichen Mehrfachzuordnungen, der fehlenden Trennschärfe der Kategorien, der Unschärfe des Textbegriffes und der Tatsache, dass ein und dieselbe Textart sehr unterschiedlich realisiert werden kann, nehmen wir deshalb von den genannten drei Hauptkategorien und einer Klassifikation von Lerner*innentexten gemäß verschiedener Textualitätsmerkmale Abstand. Stattdessen soll eine alternative Kategorisierung zur Diskussion gestellt werden, welche die bisherige textuelle Perspektive um eine Ordnung von Lerner*innentexten nach ihrer didaktischen Funktion erweitert. Dieser Einteilung liegt der Gedanke zugrunde, dass Lerner*innentexte, trotz all ihrer vielseitigen textlichen Erscheinungsformen, in ihrer kontextuellen Verortung dennoch eine gemeinsame Rahmung erfahren: Alle Arten von Lerner*innentexten erscheinen stets im Kontext des fremdsprachlichen Unterrichts und sind somit, fernab ihrer textlichen Unterschiede, grundlegend als in einen didaktisch geplanten und methodisch aufbereiteten Lehr-Lernprozess eingebundene Artefakte zu betrachten. Vor diesem Hintergrund lässt sich argumentieren, dass Lerner*innentexte nicht primär isoliert durch ihnen inhärente textuelle Merkmale, sondern durch ihre genaue Positionierung im Lehr-Lern-Kontext definiert werden sollten; mit anderen Worten: Lerner*innentexte sollten aus der Perspektive der Unterrichtsplanung betrachtet werden. Ausgehend von der Annahme, dass der Materialeinsatz im Unterrichtsgeschehen nicht willkürlich geschieht, stellt sich somit vordergründig die Frage nach der Absicht und Zielsetzung, die das Verfassen einer bestimmten Art von Lerner*innentext in einer spezifischen Unterrichtsphase erfüllen soll (d. h., warum lädt die Lehrkraft Lernende dazu ein, gerade jetzt diese Art von Text produzieren?). Im Folgenden seien beispielhaft einige mögliche didaktische Funktionen von Lerner*innentexten im Fremdsprachenunterricht genannt. Grundsätzlich können Lerner*innentexte auch mehrere der aufgeführten Funktionen gleichzeitig übernehmen:

Aktivierung von Wissen und Meinungen (kognitive Ebene): z. B. durch Mindmaps, Auflistungen, unstrukturierte Notizen

Ausdruck subjektiver Empfindungen (affektive Ebene): z. B. durch kreative Textproduktion, eigene Gedichte, Podcasts oder Visualisierungen

Unterstützung des Lernprozesses und Entwicklung von Sprachbewusstheit (metakognitive Ebene): z. B. durch kontinuierliche Arbeit am eigenen Portfolio, Führen eines Lerntagebuches, Dokumentation und systematische Analyse von Fehlern

Einüben linguistischer und kommunikativer Fertigkeiten: z. B. durch auszufüllende Arbeitsblätter oder Lückentexte im Kontext der Wortschatzarbeit

Erprobung außerunterrichtlich relevanter Textgenres in vielfältigen Repräsentationsformen: z. B. durch das Schreiben und Vortragen einer politischen Rede oder die Produktion eines Erklärvideos

Vertiefung des (Text-)Verständnisses: z. B. durch das Verfassen eigener Analysen oder argumentativer Essays auf Grundlage eines zuvor rezipierten Textes

Ergebnisdarstellung: z. B. durch (gemeinsam gestaltete) Poster oder Videos

(Peer-)Feedback und Reflektion: z. B. durch gegenseitig ausgefüllte Feedbackbögen oder kurze persönliche Kommentare in schriftlicher, mündlicher oder multimodaler Form

Eine Kategorisierung nach didaktischen Funktionen schließt die Einteilung nach Textsorten bzw. ‑genres nicht aus, jedoch können verschiedene Absichten tendenziell mit bestimmten textlichen Ausdrucksformen in Verbindung gebracht werden. Die hier aufgeführte Kategorisierung soll daher eher nicht als Ablösung, sondern als Ergänzung bisheriger Klassifikationsansätze von Lerner*innentexten verstanden werden.

Neben den in der Literatur vorrangig aus theoretischer Sicht diskutierten Potenzialen, Klassifizierungen und Funktionen von Lerner*innentexten, richten wir im nachfolgenden Abschnitt den Blick auf die Unterrichtspraxis und betrachten Methoden und Ansätze im Umgang mit Lerner*innentexten und deren Bewertung.

2Lerner*innentexte aus praktischer Perspektive: Methoden und Ansätze

Damit Lerner*innentexte die oben aufgeführten Funktionen tatsächlich erfüllen bzw. ihr Potenzial entfalten können, braucht es entsprechende Lehr-/Lernangebote, Prinzipien und Methoden. Denn Lerner*innentexte bzw. die Aufgaben zu ihrer Produktion sind nicht per se motivierend oder Ausdruck mitteilungsbezogenen Sprachhandelns, wie sich z. T. in den Einblicken in die Praxis (vgl. Abschnitt 4 Lerner*innentexte aus empirischer Perspektive) zeigt. In der Produktion von Lerner*innentexten finden die für den Fremdsprachenunterricht im Allgemeinen postulierten Prinzipien der Produkt- und Handlungsorientierung, der Prozessorientierung und der Aufgabenorientierung Anwendung. Im Folgenden werden diese Prinzipien mit Blick auf Lerner*innentexte erörtert.

2.1Produkt- und Handlungsorientierung

Das didaktische Prinzip der Produktionsorientierung im Fremdsprachenunterricht ist, wie der Name bereits ableiten lässt, besonders eng mit der Ausrichtung des Lernprozesses auf konkrete (Handlungs‑)Produkte verbunden. Sie „folgt dem Ziel, dass am Ende eines handlungsorientiert geplanten Fremdsprachenunterrichts ein ,Produkt‘ steht, welches zugleich eine Würdigung des Arbeitsprozesses ermöglicht, als auch Ausgangspunkt für weiteres Handeln und/oder Anschlusskommunikation sein kann“ (Abendroth-Timmer & Gerlach 2021: 259). Deutlich wird damit auch die Verknüpfung mit dem Prinzip der Handlungsorientierung, denn „[h]andlungsorientierter Unterricht ist ein ganzheitlicher und schüleraktiver Unterricht, in dem die zwischen dem Lehrer und den Schülern vereinbarten Handlungsprodukte die Gestaltung des Unterrichtsprozesses leiten“ (Jank & Meyer 2011: 315). Lerner*innentexte sollten demzufolge nicht nur eine Rolle am Ende des Lernprozesses, sondern immer auch währenddessen spielen; sie rücken damit in das Zentrum des Unterrichtsgeschehens. Gleichzeitig sollten die in den Lernprodukten reflektierten diskursiven Formen aber auch Relevanz außerhalb des unterrichtlichen Kontextes aufweisen. So müssen sich

Lehrende die Frage stellen, welche sinnstiftenden Diskurse im Unterricht ausgelöst werden können und ob die Lernenden im außerschulischen Kommunikationskontext das angebotene diskursive Format tatsächlich verwenden würden. (Abendroth-Timmer & Gerlach 2021: 42)

Aufgabenstellungen hin zu solchen für die Lernenden relevanten Handlungsprodukten sollten „emotionale Bedürfnisse der Schüler befriedigen sowie zum Aushandeln eigener Ideen und Intentionen anregen“ (Bach & Timm 2013: 17). Im Fokus stehen „emotionales und inhaltliches Engagement und die eigene Sprechabsicht, die über das (im Unterricht zu entwickelnde) intuitive Sprachgefühl realisiert wird […] – notfalls unter Verzicht auf Korrektheit im Detail“ (Bach & Timm 2013: 17).

In besonderer Weise mit den Prinzipien der Handlungs- und Produktionsorientierung verbunden ist der Literaturunterricht. Geprägt von der Rezeptionsästhetik, zielt die Umsetzung handlungs- und produktionsorientierter Verfahren auf das Verstehen des literarischen Ausgangstextes (vgl. Surkamp 2007: 91). Im Gegensatz zu analytisch-kognitiven Zugängen (die aber durchaus kombiniert werden sollten, vgl. Surkamp 2007: 101) beziehen handlungs- und produktionsorientierte Verfahren den gesamten Körper über „produktive, affektive und imaginative Momente“ (Surkamp 2007: 91) in die Lese-, Verstehens- und Aushandlungsprozesse ein. Dabei entstehen ganz unterschiedliche Lerner*innentexte: schriftsprachliche Produkte wie Transformationen oder Fortsetzungen des Ausgangstextes, szenische Gestaltungen wie die Umsetzung eines Standbildes auf der Basis einer Textstelle, visuelle Gestaltungen wie das Zeichnen von Bildern zu einem Text oder akustische Gestaltungen wie die Vertonung einer Dramenszene (vgl. Surkamp 2007: 94). Die Offenheit gegenüber den möglichen Lesearten des Ausgangstextes eröffnet den Lernenden subjektive Deutungsspielräume, was sich in kreativen Lerner*innentexten widerspiegeln kann.

2.2Prozessorientierung und generisches Lernen

Das didaktische Prinzip der Prozessorientierung fußt auf der Vorstellung, dass Fehler Bestandteil des Lernprozesses sind, und zeigt Lernenden Wege auf, wie sie ihre Lernprobleme bewältigen können (Multhaup & Schädlich 2025: 392). Mit Blick auf die Förderung der produktiven Kompetenzen im Fremdsprachenunterricht wie Sprechen, Schreiben oder Mediation gelten prozessorientierte Zugänge als besonders dienlich (vgl. Abendroth-Timmer & Gerlach 2021: 260). Weniger als um das sprachlich korrekte fertige Produkt geht es bei der Prozessorientierung um das schrittweise Durchlaufen des Lernprozesses, der jedoch durchaus in ein Lern- oder Handlungsprodukt mündet – oft ein mündlich, schriftlich und/oder digital verfasster Lerner*innentext. Die zentralen Phasen eines prozessorientierten Vorgehens umfassen Planung, Entwurf, Rückmeldung, Überarbeitung sowie ggf. Veröffentlichung (vgl. Keller 2020: 162; Porsch 2020: 73). Zur Unterstützung werden entsprechende Lernstrategien präsentiert und eingeübt und die Lernenden erhalten in den unterschiedlichen Phasen scaffolding sowie iteratives Feedback durch Peers und die Lehrkraft, das über mehrere Überarbeitungsschleifen hin zur Optimierung des Produkts führt (vgl. Porsch 2020: 73; Abendroth-Timmer & Gerlach 2021: 260). Insbesondere durch diese Optimierungsschleifen und das Ziel, das Produkt am Ende zu veröffentlichen, wird deutlich, dass einerseits den Zwischenprodukten und andererseits den finalen Lerner*innentexten auch im prozessorientierten Ansatz eine große Rolle zukommt. Dabei wird sich vermehrt für eine Verbindung zum Ansatz des generischen Lernens ausgesprochen (vgl. Keller 2020: 163; Hallet 2016: 111-114), der ein besonderes Augenmerk auf die typischen generischen Merkmale des zu produzierenden Textes legt. Anhand verschiedener Beispieltexte erarbeiten die Lernenden u. a. Situation und Adressatenschaft, Diskursstruktur sowie charakteristische chunks, bevor sie in den eigenen Produktionsprozess über kooperative Lernarrangements und Feedbackschleifen einsteigen.

2.3Aufgabenorientierung

Ebenfalls eng mit der Produktion von Lerner*innentexten verbunden ist das Konzept der Aufgabenorientierung oder auch des Task-based Language Learning. Es zielt darauf ab, „die Schüler aktiv, engagiert und mit eigenen Initiativen und Ideen am Lerngeschehen zu beteiligen“ (Piepho 1996, 45). Je nach Art und Umfang der Zielaufgabe, kann diese auch im Rahmen von Projektunterricht erarbeitet werden, der „den Lernenden bei der Festlegung der Themen und Arbeitsweisen ein hohes Maß an Mitbestimmung zuweist und auf arbeitsteilig kooperative Formen der Problemstellung, Problemlösung und Ergebnispräsentation setzt“ (Legutke 2025: 391). Die Projektplanung sollte dabei auf einem Aushandlungsprozess zwischen den Lehrkräften und den beteiligten Lernenden basieren und den Lernraum Klassenzimmer auf weitere reale und/oder virtuelle Räume ausweiten (vgl. Schart 2020: 50f). Ob im aufgabenorientierten Unterricht oder im Rahmen eines größeren Projekts: Am Ende des Bearbeitungsprozesses einer Lernaufgabe- bzw. einer Aufgabensequenz steht ein konkretes Produkt bzw. ein Lerner*innentext, auf das die Lernenden möglichst selbstbestimmt zuarbeiten und für das sie unterschiedliche Kompetenzen aktivieren müssen (Mertens 2025: 14). Dies können beispielsweise Lernplakate oder Posterpräsentationen, Reden oder Vorträge, Videopräsentationen, Handouts, Broschüren oder Ausstellungen sein (vgl. dazu ausführlicher Hallet et al. 2020: Kap. XIII). Auf welchem Weg die Lernenden die Aufgabe lösen und wie das Produkt inhaltlich gestaltet ist, wird in einer Lernaufgabe nicht vorbestimmt (vgl. Müller-Hartmann & Schocker 2020: 52). Allerdings, und hier zeigen sich deutliche Verbindungslinien zum Genre-Ansatz, müssen die Lernenden im Laufe der Aufgabenbearbeitung klare Vorstellungen von der generischen Form des erwarteten Produkts entwickeln (vgl. Hallet 2013: 5). Die erwarteten Äußerungsformen sollten möglichst solchen entsprechen, die auch in der außerschulischen Realität für die Lernenden bedeutsam sind oder sein werden (Mertens 2025: 14, vgl. auch Prinzip der Handlungsorientierung). Mit dieser Prämisse können die Lerner*innentexte selbst kommunikativ bedeutsam werden – insbesondere, wenn sie mit einer breiteren Öffentlichkeit als nur mit der Lehrkraft und dem Mitschüler*innen geteilt werden und entsprechend wertgeschätzt werden. In der komplexen Kompetenzaufgabe als eine Form von Lernaufgaben werden Lernende nicht nur als solche verstanden, sondern vor allem als „kulturelle Aktanten und Subjekte von Diskursen und Prozessen“ (Hallet 2013: 4). Produkte von komplexen Kompetenzaufgaben sind deshalb von besonderer Relevanz, da sie als Mittlerinnen zwischen der schulischen und der außerschulischen Realität und den darin jeweils verankerten kulturellen und sozialen Diskursen, Praktiken, Aktivitäten und Prozessen fungieren (Hallet 2013: 4).

2.4Zur Bewertung von Lerner*innentexten

Vor dem Hintergrund der skizzierten didaktischen Grundsätze, die in Bezug auf die Veranlassung und Begleitung von Lerner*innentexten im Fremdsprachenunterricht angelegt werden sollten, wie u. a. thematische Offenheit, die Möglichkeit, eigene Gedanken, Gefühle, Meinungen und Verstehensprozesse zu versprachlichen oder auch nonverbal darzustellen und kreativ mit der bzw. den Fremdsprachen umzugehen, stellt sich notwendigerweise die Frage nach der Bewertung. Zu unterscheiden gilt es dabei zwischen formativer und summativer Bewertung, also der in den Lernprozess integrierten Bewertung, die meist informell über mündliche und kurze schriftliche Rückmeldungen, auch durch die Peers, abläuft, und der das Ergebnis fokussierenden Bewertung (Vogt 2023: 3). Für Lerner*innentexte erscheinen beide Arten der Bewertung relevant, da, wie oben beschrieben, nicht nur das finale Produkt, sondern auch der Weg dorthin in den Blick genommen werden sollte. Dazu eignen sich vor allem alternative Prüfungsformen wie z. B. Portfolios oder kooperative Verfahren (vgl. Langela-Bickenbach & Vogt 2022). Zentral für insbesondere die summative Bewertung ist Transparenz hinsichtlich der Bewertungskriterien, die bestenfalls im Vorfeld mit den Lernenden gemeinsam erarbeitet wurden (vgl. Hyland 2004: 172; Vogt 2023: 3). Folgt man den Prinzipien der Aufgabenorientierung, bei der die Lernenden u. a. möglichst lebensweltlich relevante Probleme mit Hilfe integrierter Kompetenzen auf kooperative Weise bearbeiten sollen, müssen die daraus entstehenden Produkte auf zumindest ähnliche Weise beurteilt werden: mehrperspektivisch und kooperativ (vgl. dazu ausführlicher Vogt 2023). Gleiches gilt für mögliche Testaufgaben, die einem aufgabenorientierten Unterricht folgen (vgl. Diehr et al. 2007). Für die Beurteilung insbesondere kreativer Lerner*innentexte im Literaturunterricht liefert Surkamp (2007: 103) eine Liste möglicher Fragen, die u. a. darauf abzielen zu prüfen, wie sorgfältig die Arbeit ausgeführt wurde, ob der Text in sich stimmig und kohärent ist, ob der Bezug zur Aufgabe hergestellt wurde, inwieweit die ggf. vorgegebene Textstruktur eingehalten wurde oder wie der Text die Individualität und den persönlichen Hintergrund der Lernenden widerspiegelt. Für Hallet (2011) ist jedoch „[t]iefergehendes, interpretierendes, problematisierendes und reflexives – also gerade höherwertiges – Verstehen nicht testbar im psychometrischen Sinn und wird daher in den Standard-Tests weder erfragt noch erfasst“ (183). Noch problematischer ist die Beurteilung des sprachproduktiven Könnens; es ist immer komplex, situations- und adressatengebunden und liefert Lernertexte, die als solche nicht standardisierbar sind (vgl. dazu auch Fandrych et al. 2021: 19-20 zu mündlichen Lerner*innentexten). Darüber hinaus erscheint es insbesondere bei solchen Texten, die autobiografisch inspiriert sind, mehr als fraglich, ob eine Bewertung – sei es auf sprachlicher oder auf struktureller Ebene – nicht dem Bestreben entgegensteht, im Fremdsprachenunterricht persönlich relevante und möglicherweise sensible Themen zu bearbeiten. Schließlich werden laut Caspari (1995) kreative Texte „nicht für den/die Lehrer/in erstellt, sondern primär mit der Absicht, etwas mitzuteilen; diese Texte sagen nicht nur etwas über das Sprachkönnen des Schülers/der Schülerin aus, sondern etwas über ihre Person und Persönlichkeit“ (245). Dementsprechend sensibel sollten Lehrkräfte mit dem Thema Rezeption und Bewertung persönlicher Lerner*innenteste umgehen und sich ihrer Verantwortung als Vertrauensperson und Kommunikationspartner*in bewusst sein, falls Lernende beispielsweise traumatische Erlebnisse in ihren Texten bearbeiten (vgl. dazu auch Benitt in diesem Band).

3Lerner*innentexte aus empirischer Perspektive: Studien mit und über Lerner*innentexte

Wie bereits einleitend bemerkt, ist die empirische Studienlage zu Forschungsprojekten, die sich dezidiert mit Lerner*innentexten in fremdsprachlichen Lehr-/Lernkontexten beschäftigen bzw. diese als einzige Datenquelle nutzen, übersichtlich (vgl. Caspari 2022: 211). Dies verwundert vor dem Hintergrund der mit ihnen verbundenen Funktionen und Potenziale, insbesondere auch aus forschungsmethodologischer Perspektive. So konstatiert Caspari (2022), dass der

große Gewinn einer Arbeit mit unterrichtsbezogenen Texten darin [liege], dass diese nicht gezielt für Forschungszwecke verfasst wurden, sondern in natürlichen Kontexten entstanden sind. Das heißt, dass es keine durch Design und Instrumente verursachte Beeinflussungen, Begrenzungen und Artefakte gibt, sondern dass sie das Resultat authentischer Lehr-/Lern- bzw. Aus- und Fortbildungssituationen in der Gegenwart oder der Vergangenheit sind. (209)

Lerner*innentexte können somit wertvolle Einblicke in die unterrichtliche Realität bieten, wie z. B. Lernende mit unterschiedlichen Aufgabeninstruktionen umgegangen sind oder über welche Wege sie zum finalen Textprodukt gekommen sind (Portfolio), welche Qualitäten die Texte in Bezug auf Inhalt, Textsortenangemessenheit, sprachliche Kompetenz und Kreativität sowie Komplexität aufweisen, welche Interessen die Lernenden haben oder welche Themen im Unterricht eigentlich behandelt werden (vgl. Caspari 2022: 210). All dies ist mit anderen Datenquellen nur eingeschränkt möglich.

Ähnlich wie die Studienlage ist auch die Forschungsliteratur zum Umgang mit Lerner*innentexten als Daten begrenzt (vgl. Caspari 2022: 207). Aus solchen Forschungsarbeiten, die Lerner*innentexte zwar nicht unbedingt alleinig in den Fokus rücken, sie aber durchaus als eine Datenquelle zur Beantwortung der jeweiligen Forschungsfrage nutzen, können jedoch wertvolle Rückschlüsse sowohl auf inhaltliche Erkenntnisse als auch methodologische Herausforderungen gezogen werden. Zu diesen Studien zählen u. a. die Forschungsprojekte von Diehr et al. (2007) zur Entwicklung, Erprobung und Evaluation von Sprechkompetenzen im Englischunterricht der Primarstufe, von Ruhm (2009) zur mündlichen Erzählkompetenz auf Englisch in Jahrgang 10, von Peuschel (2012) zur Sprachkompetenzentwicklung und gesellschaftlichen Teilhabe von jungen erwachsenen Deutschlernenden im Rahmen von Projektarbeiten zur Gestaltung von Radiobeiträgen, von Freitag-Hild (2010) zum transkulturellen Lernen mit Migrationsliteratur im Englischunterricht, von Kimes-Link (2013) zum Umgang mit literarischen Texten im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe durch Lernende und Lehrkräfte, sowie von Delius (2020) zur Entwicklung von Lehr-/Lernsettings zur Förderung der Sprechkompetenz im Englischunterricht in der Sekundarstufe 1. Korpuslinguistische Studien stellen Lerner*innentexte hingegen in den zentralen Fokus. Dazu zählen die Forschungsprojekte von Götz und Gerlach (2021) zur genreanalytischen Betrachtung von kreativen Schreibprodukten im Englischunterricht der Sekundarstufe I, von Wisniewski et al. (2022) zum Verhältnis von Sprache und Studienerfolg deutschlernender Bildungsausländer*innen sowie von Fandrych und Wallner (2024) zu Positionierungskonstruktionen von Studierenden mit Deutsch als Erst- und Zweitsprache in studentischen Vorträgen an der Universität. Im Folgenden soll auf ausgewählte Ergebnisse einzelner dieser Studien im Hinblick auf Lerner*innentexte eingegangen werden.

3.2Sprachliche Handlungsfähigkeit und Teilhabe an Diskursen

Interessant mit Blick auf die möglichen Zusammenhänge von Aufgabeorientierung sowie Projektunterricht und Lerner*innentexten ist vor allem die Arbeit von Peuschel (2012), deren Zielsetzung in der Gewinnung von Einsichten „in das Handeln von Lernenden in Projekten im Kontext Lehren und Lernen der Fremd- und Zweitsprache Deutsch“ (4) bestand. Peuschel versteht das Lernen in Projektform als Handeln, „in dem sich gesellschaftliche Teilhabe und lernersprachliche Entwicklung verbindet“ (2012: 2). In den von ihr wissenschaftlich begleiteten Projekten erarbeiteten und produzierten erwachsene Deutschlernende Radio- und Podcastbeiträge, die in lokalen Medien veröffentlicht wurden. Als Datenquellen für die empirische Studie wurden neben Beobachtungsprotokollen und Lerntagebüchern vor allem die im Projekt entstandenen Lerner*innentexte verwendet, und zwar insgesamt 87 Tonaufnahmen (Probeaufnahmen sowie die finalen Beiträge) und 95 schriftliche Texte (u. a. Beitragsskripte, Notizen, Stichpunkte und Vorversionen, Übersetzungen und Übersetzungsversuche) (Peuschel 2012: 66). Die Lerner*innentexte wurden mittels des ethnographischen Verfahrens der dichten Beschreibung rekonstruiert und analysiert (vgl. Peuschel 2012: 84). Die Interpretationen dieser Analysen sollten „die Zusammenhänge zwischen der Entwicklung der Radioprodukt(ion)e(n), der Teilhabe der Lernenden sowie ihrer Sprachlichen Tätigkeit“ (Peuschel 2012: 2) aufdecken. Als zentrale Ergebnisse führt Peuschel u. a. auf, dass die Radioprojekte „für den Zeitraum ihrer Durchführung Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeit“ (2012: 200) waren und für die Lernenden z. T. reale Teilhabemöglichkeiten an der Kommunikation mit der Zielsprachengesellschaft eröffneten. Diese Ergebnisse lassen sich mit der oben beschriebenen Zielausrichtung komplexer Kompetenzaufgaben in Einklang bringen, nach der in solchen Aufgaben entstandene Lerner*innentexte als Mittlerinnen zwischen unterrichtlichen und realen sozialen und kulturellen Kontexten fungieren sollten (vgl. Hallet 2013: 4). Zudem konnte die dichte Beschreibung der verschiedenen (Zwischen-)Produkte der Lerner*innen zeigen, wie eine solche Entwicklung von Projektproduktionen verläuft, „wie die Lernenden darin durch sprachbezogenes sprachliches Handeln ihre eigenen Äußerungen gestalten und welche projektspezifischen Handlungsketten dafür von besonderer Bedeutung sind“ (Peuschel 2012: 207). Auch aus forschungsmethodologischer Perspektive ist Peuschels Studie von Interesse, da sie aufzeigt, „dass die sorgfältige Analyse von Lerner*innenprodukten detaillierte Einblicke in individuelle und kollaborative Prozesse der Texterstellung, in Entwicklungsverläufe bei der Textproduktion sowie in die Zusammenhänge zwischen sprachlicher Tätigkeit und Teilhabeoptionen erlaubt“ (Caspari 2022: 212).

3.3Umgang mit und Wertschätzung von Lerner*innentexten im Literaturunterricht

Eine weitere qualitative Forschungsarbeit, die Lerner*innentexte zumindest als eine von mehreren Datenquellen nutzte, ist die von Kimes-Link (2013), die anhand von vier Fallstudien im Englischunterricht der gymnasialen Oberstufe untersuchte, wie dort literarische Texte rezipiert wurden, wie auf ihrer Grundlage Interaktion stattfanden und welche Ergebnisse dabei erzielt wurden und über welche Aufgaben und Methoden Lehrkräfte den Unterricht steuerten (10). Zur Beantwortung dieser Forschungsfragen wurden die Daten aus Feldnotizen, Videoaufzeichnungen der Unterrichtsstunden, retrospektiven Interviews mit den Lehrkräften und Lernenden sowie ausgewählten schriftlichen Schüler*innenprodukten (im Unterricht angefertigte Texte und ausgefüllte Arbeitsblätter, Hausaufgaben) trianguliert (Kimes-Link 2013: 101). Von besonderem Interesse für die vorliegende Betrachtung sind dabei Ergebnisse, die Einblicke in den Umgang mit den entstandenen Lerner*innentexten eröffnen. Während sie einige positive Beispiele skizziert, wie es Lehrkräften gelang, die Lerner*innenprodukte gezielt in den weiteren Unterrichtsdiskurs einzubinden und darüber u. a. Missverständnisse im Textverstehen zu klären und Bedeutungen gemeinsam auszuhandeln (Kimes-Link 2013: 360), wurden auch verschiedene Herausforderungen in der Praxis deutlich: So zeigt Kimes-Link u. a. auf, dass die entstandenen Lerner*innentexte teilweise nicht beachtet bzw. ausreichend gewürdigt wurden, was das didaktische Potenzial der Aufgabenstellung wie das Erreichen eines tiefergehenden Textverständnisses nicht ausschöpfen würde (2013: 358; 359; 367). Beispielsweise geht eine Lehrkraft trotz explizitem Wunsch der Lernenden nicht auf ein von ihnen verfasstes Sonnet zu Shakespeares Romeo and Julia und den darin vorgenommenen Perspektivwechsel ein, „sondern nutzt [es] […] lediglich als Ausgangspunkt und Diskussionsstimulus für eine Thematisierung […] [einer Figur], die ohne Weiteres auch ohne die kreative Transformation der Lernenden möglich gewesen wäre“ (Kimes-Link 2013: 367). Auch in einem zweiten Beispiel versäumt es die Lehrkraft in Ermangelung von Unterrichtszeit, die von Lernenden verfassten Kurzgeschichten, in denen sie die Perspektive der Erzählenden aus dem Ursprungstext ändern sollten, im Unterricht aufzugreifen und zu besprechen (Kimes-Link 2013: 368). Damit bleibt auch ein Feedback zu und die Korrektur von sprachlichen wie strukturellen Schwierigkeiten der Lerner*innentexten aus (Kimes-Link 2013: 368). An anderer Stelle fehlte darüber hinaus eine kriterienorientierte Beurteilung von durch die Lernenden umgesetzten Rollenspielen (Kimes-Link 2013: 359). Beobachtet werden konnte zudem, dass bei der Umsetzung handlungs- und produktionsorientierter Verfahren wie von Rollenspielen bisweilen ein Rückbezug zum literarischen Ausgangstext ausblieb bzw. keine vertiefende Auseinandersetzung zwischen Lerner*innenprodukten und literarischem Text im Unterrichtsgespräch erfolgte (Kimes-Link 2013: 357f.).

Hinsichtlich der Frage nach den Wirkungen handlungs-und produktionsorientierter Verfahren zeigt Kimes-Link an konkreten Beispielen aus der Unterrichtspraxis auf, wie die beteiligten Lernenden über Aufgabenstellungen wie das kreative Umschreiben des literarischen Ausgangstextes, das Bauen von Standbildern oder die Entwicklung von Rollenspielen zu Perspektivwechseln angeregt wurden und ein differenziertes Verständnis von Charakteren und Figurenkonstellationen entwickeln konnten (2013: 360; 364; 376). Das Füllen von textuellen Leerstellen eröffnete den Lernenden, so Kimes-Link, „einen 'Spielraum' für eigene Vorstellungen und Sinndeutungen und ermöglicht[e] ihnen so, sich den Text persönlich anzueignen und ihre individuellen Interpretationen mit denen ihrer Mitschüler auszuhandeln“ (Kimes-Link 2013: 359f.). Schließlich resümiert Kimes-Link, dass es, um im fremdsprachlichen Literaturunterricht Aushandlungsprozesse zu initiieren und Verstehensprozesse zu fördern, vor allem „eine sorgfältig aufeinander abgestimmte Verzahnung analytischer, kreativer und intertextueller Aufgabenformate und eine konsequente Task-orientation in Form einer intensiven Vor- und Nachbereitung einzelner Aufgaben [brauche]“ (Kimes-Link 2013: 377).

3.4Textliche Komplexität und Erzählqualität

Ein besonderer Kontext der empirischen Auseinandersetzung mit Lerner*innentexten stellt der der Korpuslinguistik dar. Studien aus diesem Feld finden sich allerdings bis dato vorranging im Bereich Deutsch als Fremd- oder Zweitsprache (für ein Übersicht zur Forschung mit Korpora gesprochener Lerner*innensprache siehe Fandrych et al. 2021: 18-20) bzw. im internationalen Raum (für eine Übersicht siehe Mukherjee & Götz 2015). So untersuchten beispielsweise Wisniewski et al. (2022) in ihrer Längsschnittstudie die Sprache und den Studienerfolg bei Bildungsausländer*innen und nutzten dafür die beiden online verfügbaren Lernerkorpora DISKO (ein longitudinales Korpus, das die in Schreibtests produzierten Texte von erwachsenen internationalen DaF-Lernenden enthält) sowie MIKO (ein multimodales Korpus bestehend aus Vorlesungen und den dazugehörigen Mitschriften der Studierenden). Die Studie lieferte Hinweise auf die zentrale Rolle von Deutschkompetenzen für den Studienerfolg von Bildungsausländer*innen. Zudem wurden die heterogenen Sprachkompetenzen der Studierenden zu Studienbeginn deutlich. Weitere Studien mit Lernerkorpora (wie dem ebenfalls online verfügbaren Korpus MERLIN aus Ergebnissen von Sprachtests) fokussieren u. a. den Grammatikerwerb in der Zweitsprache (z. B. Wisniewski 2022). Mit Hilfe der Daten aus den Korpora lassen sich „Bezüge auf die L2-Kompetenz der Lernenden herstellen und z. B. Fragen nach typischen sprachlichen Merkmalen auf einzelnen Niveaustufen des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen (GER) beantworten“ (1).

Ein Forschungsprojekt aus dem Bereich der Englischdidaktik ist das von Gerlach und Götz (2021). Ziel der noch laufenden Studie ist es, Aussagen zur Entwicklung „textlicher Komplexität und Qualität des Genres Erzählung in kreativen Schreibprodukten über verschiedene Jahrgänge hinweg im Sinne einer Erzählkompetenz“ (Gerlach & Götz 2021: 211) und zu möglichen Abhängigkeiten von „textlicher Komplexität und Qualität des Genres Erzählung von Schulform, Alter/Klassenstufe und Geschlecht“ (212) treffen sowie mögliche „schreibdidaktische[] Empfehlungen [] für das prozessorientierte Begleiten von Lernenden“ (212) geben zu können. Dafür sammelten die Forscher*innen 321 Schreibprodukte von Lernenden aus unterschiedlichen Schulformen und Jahrgangsstufen (inklusive Angaben zum Alter, Geschlecht sowie letzter Schulnote in Deutsch und Englisch), in denen sie basierend auf einem Bildimpuls eine freie Geschichte auf Englisch verfassen sollten (212). Die Textqualität wird von einer Gruppe von Rater*innen „anhand einer leicht adaptierten Fassung des Analyserasters von Wespi & Oosterlander“ (212) bewertet. Erste Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Textlänge mit voranschreitender Jahrgangsstufe um ca. 100 Wörter ansteigt, wobei dieser Effekt stark von der Englischnote der Lernenden abhängt. Zudem wurde deutlich, dass Mädchen durchschnittlich längere Texte geschrieben haben als Jungen (215).

Einblicke in die Möglichkeiten der Arbeit mit Lernerkorpora im Englischunterricht erlaubt die Studie von Mukherjee und Rohrbach (2006), für die über zwei darauffolgende Jahre ein kleiner Lernerkorpus von 32000 Wörtern aus schriftlichen Klausuren eines Oberstufenkurses erstellt wurde (221). Das Korpus ermöglichte es der Lehrkraft u. a. das Spektrum des allgemeinen und themenbezogenen Wortschatzes zu analysieren, den die Lernenden individuell oder als Gruppe verwendeten, die Interimssprache der Lernenden zu bewerten und ihnen maßgeschneidertes Feedback zu geben und die Sprachentwicklung individueller Lernenden und der gesamten Gruppe über die Zeit weg zu beobachten. Die Lernenden selbst konnten auf der Basis des Korpus eigene Fehler als Ausgangspunkt für datengesteuerte Lernaktivitäten nutzen (Mukherjee & Rohrbach 2006: 223). Insbesondere diese Aktivitäten hätten das Potenzial, so Mukherjee und Rohrbach, die Lernenden zur Reflexion über ihren eigenen Sprachgebrauch zu motivieren und damit zur Entwicklung ihrer Sprachbewusstheit beizutragen (Mukherjee & Rohrbach 2006: 228).

Die hier nun in Kurzform vorgestellten Studien und Teilergebnisse verdeutlichen, dass das forschungsmethodologische Potenzial, das in Lerner*innentexten als Datenquellen empirischer Studien gesehen wird, durchaus erfüllt werden kann und sich darüber zahlreiche relevante Einblicke in die Generierung von und den Umgang mit ihnen eröffnen. Erkennbar und auch in vielen der vorgestellten Studien von den Autor*innen thematisiert, sind jedoch auch die Herausforderungen, die mit dieser Art der Datenquelle zusammenhängen. Das betrifft vor allem