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Immer mehr Hundehalter geben sich heute mit einfachen Anleitungen und Methoden nicht zufrieden. Das Interesse, Lernvorgänge wissenschaftlich begründet zu verstehen, ist groß. Um den inzwischen beachtlichen Wissensstand praktisch umzusetzen, kommt man an soliden Grundkenntnissen über Lerntheorien, Gehirnfunktionen und dem Wissen über die Fähigkeiten unserer Hunde nicht vorbei. Hundebesitzer, die Lerngesetze verstehen und anwenden möchten, finden im vorliegenden Buch von Prof. Ekard Lind eine gründliche Aufarbeitung der umfangreichen Lernthematik, informativ und spannend geschrieben, bereichert durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis, an denen man das "Warum" nachvollziehen kann.
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ISBN-eBook: 978-3-95464-051-5
ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-039-3
Bildnachweis: Alle Fotos und Grafiken Prof. Ekard und Helenira Lind außer
S. 18 zweites von rechts unten: Michael F. Schöniker
S. 18 rechts unten: Wikimedia/ Jastrow
S. 18 links unten: Bibi-Saint-Pol
S. 18 zweites von links unten: Bibi-Saint-Pol
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Ekard Lind
Lerngesetze
verstehen und anwenden
in Alltag, Arbeit und Sport mit dem Hund
Meiner Frau Helenira Lind gewidmet
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Was ist Lernen?
1.Mensch und Hund
Über die Seele des Hundes
Hunde sind uns ähnlich – und anders!
Das Weltbild des Beseelten
Tastsinn
Thermoregulation
Sehvermögen
Geruchssinn
Hörsinn
Geschmacksinn
Reaktionsfähigkeit und Schnelligkeit
Hunde lernen anders
2.Neurobiologie des Lernens
Das Gehirn
Die Evolution des Gehirns
Riechen und Sehen
Neuronen, Synapsen und Gliazellen
Leistung des Gehirns
Das Bauchgehirn und das Mikrobiom
Lernen als Informationsverarbeitung
Signalübertragung – Repräsentationen
Das Limbische System
Gedächtnis
Arbeitsgedächtnis
Langzeitgedächtnis
Was passiert im Schlaf?
Vergessen
Vergessen im Langzeitspeicher
Gedächtnis: Zusammenfassung
Handlungsorientiertes Lernen - Lerntypentheorie
3.Lernforschung
Lernforschung im Überblick
Lernen aus verschiedenen Blickwinkeln
4.Lernformen (nicht assoziative)
Lerndisposition
Habituation, Sensitivierung und Dishabituation
Prägung
5.Die vier großen Lerntheorien
Theorie der Konditionierung
Instrumentelle Konditionierung
Edward Lee Thorndike
Verhalten als Werkzeug – Trial-and-Error
Instrumentelle Konditionierung in der Praxis
Klassische Konditionierung
Iwan Petrowitsch Pawlow
Reflexe, Reize, Reaktionen
Kontingenz
Kontiguität
Wiederholung
Löschung und Erholung
Konditionierung höherer Ordnung
Klassisch konditioniertes Signallernen
Gegenkonditionierung
Übergang zum Behaviorismus – Watson und Guthrie
Guthries Pferde- und Hundebeispiele
Operante Konditionierung
Burrhus Frederic Skinner
Operante Konditionierung
“Belohnung“ und “Bestrafung”
Positive und negative Verstärkung
Positive und negative Bestrafung
Primäre und sekundäre Verstärker
Zeitliche Koppelungs-Varianten
Verstärkerpläne
Kritik an Bestrafung und Belohnung
Kritik am Behaviorismus
Kritik an positiver und negativer Bestrafung:
Kritik an Belohnung
Kognitive Lerntheorien
Gestaltpsychologie (Ganzheitstheorie)
Wende zu kognitiven Lerntheorien
Kognitionsleistungen bei Tieren
Beobachtung und Nachahmung
Anmerkungen zur Sprache
Albert Banduras „Lernen am Modell“
Einfluss auf die Pädagogische Psychologie
Lernformen (assoziative)
Diskrimination und Generalisation
Vermeidungsverhalten – abergläubisches Verhalten
Generalisationslernen
Hinweisreize – Marker – Brückensignale
Aufbau einer Signalkontrolle
6.Kognitive Fähigkeiten des Hundes
Gedächtnis
Zeitgefühl
Mengenunterscheidung
Objektpermanenz
Umweg-Versuche
Hunde lernen von Artgenossen
Unterscheidung
Wie verstehen Hunde unsere Worte?
Hunde „lesen“ und imitieren Menschen
Blickkontakt
“Do as I do”- Experiment
Sozialer Einfluss des Menschen
Aus Fehlern lernen?
Wissen über sich selbst und über andere
7.Emotion
Lernhemmnisse Stress und Angst
Modell der emotionalen Trägheit
Methode: Stimmungsmodifikation
Einstimmen – Start- und Abschluss-Ritual
Methode: Punktuelle Korrektur
Methode: Memory Refresh
8.Motivation
Intrinsische und extrinsische Motivation
Die sieben klassischen Motivationsquellen
Grundausrüstung und Hilfsmittel
Futter, Spielzeug und andere Lockmittel
Motivationsobjekt
Ansprechsegmente
Intensität und Ausbildung
Eignung für interaktives Spiel
1. Ball
2. Beißwurst
Balljunkie
Wege aus der Sucht
Abgeben und Auslassen der Beute
Fehler vermeiden, zulassen oder korrigieren
9.Lernformen und Methoden
Clickertraining
Impulskontrolle
„Geistiger Zügel“
Shaping (schrittweise Annäherung)
Selbstverstärkung und Free-Shaping
Chaining (Verkettung)
Token-Konditionierung
Premack-Prinzip
Leitwirkungen und Targets
Reizüberschattung und Reizkombination
Kontingenz – Blocking
Flooding und Implosion
Individuelles, komplexes Coaching
10.Was Lernen beeinflusst
Lernkurven
Lernzuwachs
Gedächtnishemmungen – Lernhindernisse
Vergessenskurven, Lern- und Behaltensstrategien
Wozu Vergessen gut ist
Lernen im Hinblick auf Behalten
Resonanz-Modell
Nachwirkzeit
Strategien gegen Vergessen
Gutmann–Modell
Behalten und Vergessen bei Hunden
Wiederholen und Üben
Pausen
Wissen und Können
Anspruchsniveau
Lern- und Trainingsrituale
Warm up – Cool down
Einstimmen - Start - Abschluss
Methode: Ideal - Moment
Absichern
Ausblick – Schlusswort
Anhang
Vorwort
Das vorliegende Buch wurde für Hundebesitzer geschrieben, die mehr über Lernen erfahren möchten als nur das Notwendigste. Es richtet sich an diejenigen, die Lerngesetze verstehen und anwenden möchten und weder Zeit noch Möglichkeit haben, den in der umfangreichen Fachliteratur verstreuten Stoff selbst aufzuarbeiten. Eines der Ziele bestand daher in einer gründlichen, aber komprimierten Darstellung des aktuellen Wissensstandes, und zwar im Hinblick auf Mensch und Hund. Und es war wichtig, die zahlreichen, immer noch kursierenden falschen Vorstellungen über Lernen anzuführen und zu korrigieren.
Neben dem Bildungswert zeichnet sich das vorliegende Fachbuch durch umfangreichen Praxisbezug aus. Zahlreiche Beispiele aus Alltag, Arbeit und Sport machen Hundeverhalten verständlich und öffnen den Blick für die Möglichkeiten einer ethisch fundierten, erfolgreichen und zeitgemäßen Einflussnahme. Theorie- und Praxisbeispiele, bereichert durch Beiträge des Autors, können den Leser dem Ziel einer ethisch und ethologisch ausgerichteten Mensch-Hund-Beziehung näherbringen.
Sich mit Lernen – mit dem des Hundes und mit dem des Menschen – zu befassen, verspricht neben besserem Hundeverständnis und besseren Übungsergebnissen eine umfassende Bereicherung und Veränderung der eigenen Persönlichkeit. Zugegeben, die Materie ist umfangreich. Aber genau darin liegt der Reiz: Es gibt ungeahnt viele Möglichkeiten der Verhaltensbeeinflussung; und die Beschäftigung mit Lernen, den Theorien, Gesetzen, Modellen und Methoden setzt Neugier, Spannung und Motivation frei. Umso mehr, wenn nicht nur isoliertes Fachwissen, sondern gleichermaßen dessen praktische Umsetzung im Vordergrund steht.
Der Autor will nicht nur über das Lernen schreiben, sondern er will vor dem Hintergrund einer langjährigen Erfahrung als Hochschul-, Kinder- und Tiertrainer-Pädagoge auch das Lernen des Lesers fördern. Daher stehen neben solidem Fachwissen zahlreiche, interessante Zusammenhänge, kritische Anmerkungen, übergreifende Vergleiche, und vieles, was man über Lernen immer schon wissen wollte. Daher ist der Stoff nicht auf Hunde begrenzt, sondern es werden auch Verbindungen zu anderen intelligenten Tieren gezogen. Dies alles trägt dazu bei, über den “Rand des Hundenapfs” hinauszublicken und Lernen umfassend zu verstehen.
In der modernen Pädagogik bemüht man sich aus mehreren Gründen, dem Stoff Emotionale Etikette anzuheften. Nicht nur, um ihn lebens- und praxisnah darzustellen. Fakten und Formeln merkt man sich leichter, wenn sie emotional „verpackt“ wurden. Was den ganzen Menschen anspricht, vermittelt Lebensnähe und verspricht Anwendbarkeit. Und es motiviert! So kann Lernen hautnah erlebt, verinnerlicht und besser behalten werden.
Ein weiteres Anliegen besteht darin, die zahlreichen unterschiedlichen Begriffe, die einem in der Literatur für ein- und dieselbe Sache begegnen, aufzuführen. Wo erforderlich, wurden diese differenziert, um damit ein wenig Licht in den Begriffsdschungel zu bringen. Dasselbe gilt für unterschiedliche, aber gleichbedeutende Kürzel.
Lernen bedeutet nicht nur, dem Hund etwas beizubringen, – möglichst erfolgreich; – mit anderen Worten, – ihn zu konditionieren. Ebenso wichtig ist es, ungewollte Konditionierungen vorauszusehen, zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um sie zu vermeiden; oder, falls schon passiert, sie zu entschärfen.
Sich mit Lernen zu beschäftigen heißt auch, die Grenzen der verschiedenen Theorien kennen zu lernen, ihr Ineinandergreifen zu verstehen und die sklavische Zuordnung in „klassische“ und „operante Konditionierung“ als realitätsfremde Hypothese zu entlarven.
Theorie und Praxis dieses Buches führen den Leser schließlich zur Anwendung. Durch wiederholtes, inneres Vorstellen der Beispiele wird man nach und nach feststellen, dass man Lernen in seinen vielen Facetten tatsächlich vorstellen kann. Und von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, das Gelernte erfolgversprechend selbst anzuwenden, – mit dem eigenen Hund: als Hundebesitzer, Trainer, Sportler oder Therapeut.
Jeder Hundebesitzer verfolgt andere Ziele. Daher kann nicht jeden alles ansprechen. Aber aus den Beispielen in diesem Buch kann sich der Leser das für ihn Wichtige herausnehmen und auf seine ganz persönliche Form der Mensch-Hund-Beziehung übertragen. Und: Die Beispiele laden ein zu kreativer, individueller Umgestaltung.
Was der Leser zu seinem Lernerfolg beitragen kann, ist vor allem Geduld. Im „Diagonal-Lesestil“ oder in ein paar Tagen wird man sich den reichhaltigen Stoff kaum aneignen können. Man lasse sich daher Zeit beim Lesen – man stelle sich die Beispiele in Ruhe vor, noch besser, man probiere sie prakisch aus, und man nehme sich nicht zu viel Stoff auf einmal vor!
Zum Umfang: Innere Ablehnung vor viel Lernstoff fußt meistens auf einem fundamentalen Irrtum, und damit sind wir mitten im Thema: Mehr und mehr, Neues und noch mehr Neues zu lernen wird oft mit dem Anfüllen eines begrenzten Gefäßes verglichen. Die Vorstellung, Lernen könnte belastend, zu schwer oder zu viel werden, das Gefäß zu eng oder zu klein, ist jedoch falsch. Je mehr wir lernen, desto leichter und schneller werden wir uns Neues aneignen können. Keine Angst vor “viel”. Die fünfte Fremdsprache führt nicht, wie man vielleicht meinen mag, zu mehr Verwechslung. Das Mehr an Wissen belastet nicht! Es macht frei! Das neu Erworbene kommt uns beim Unterscheiden zu Hilfe. Aber, wie gesagt, alles braucht seine Zeit. Lernen lässt sich nicht erzwingen. Man erinnere sich an den Lehrsatz: „Öfter und weniger behält man besser als selten und viel“. – Soviel zum einen Ende an der Leine, dem Menschen. Und nun zur anderen Seite, dem Hund:
Wir neigen zur Vorstellung, der Hund lerne speziell das, was wir ihm vermitteln. Diese Ansicht ist überholt. Der Hund lernt, ähnlich wie wir Menschen, immer! Selbst in der Nacht, im Schlaf, ist das Gehirn aktiv und macht seine “Hausaufgaben”. Und: Hunde lernen ihren angeborenen Lernfähigkeiten (Lerndisposition) entsprechend, und sie lernen, ganz wie wir Menschen, bevorzugt das, was in ihrem Interesse liegt; was sie gerne tun oder sich wünschen. Dies so zu beeinflussen, dass „keiner dem anderen Gewalt antut“ (Schiller), hat der Autor bereits zu Beginn seiner kynologischen Tätigkeit in dem einfachen Bekenntnis gefunden:
„… Worauf es ankommt in der Hundeerziehung ist, die Ziele des Menschen zu Motivationen des Hundes umzugestalten und Aufgaben so zu vermitteln, dass sie der Hund annehmbar und lustvoll erlernen und ausführen kann“ (E. Lind 1997: Vortrag Tierschutztag in der Schweiz)
Prof. Ekard Lind, Februar 2013
Was ist Lernen?
Lernen ist eine der Grundvoraussetzungen für Leben. Dies gilt für Mensch und Tier. Lernen befähigt, sich dem Lebensraum optimal anzupassen, ökologische Nischen zu besetzen und, wo möglich, Einfluss auf die Bedingungen zu nehmen. Arten, die es besonders gut verstanden, den Lebensraum vorteilhaft zu nutzen, gelang es, sich über Jahrmillionen zu behaupten. Haifische oder Krokodile sind jedoch nicht nur Beispiele erfolgreicher Anpassung (Adaption) an ihre Umweltbedingungen. Diese und andere im Wasser oder hybrid (im Wasser und an Land) lebenden Arten profitierten davon, dass sich der Lebensraum Wasser über die Jahrtausende weniger gegensätzlich und spektakulär veränderte wie die Bedingungen an Land.
Eine fliehende Spielbeute ruft unwillkürlich Nachjagen hervor.
Im Rahmen optimaler Anpassung hat die Natur in langer Zeit zwei biologische Systeme hervorgebracht, die sich beide, jedes auf seine Weise, als höchst effizient erwiesen haben: Verhaltensweisen, die ererbt vorliegen (Erbkoordinaten) und nicht gelernt werden müssen, und Verhaltensweisen, die im Laufe des Lebens entwickelt und angeeignet werden (Adaption). Lebewesen, die über beide Systeme verfügen und diese getrennt und kombiniert einzusetzen vermögen, konnten selbst in unterschiedlichen Lebensräumen und trotz gravierender ökologischer Veränderungen überleben. Einer der profiliertesten Vertreter hierfür ist der Wolf. Auf der einen Seite verfügt er über zahlreiche Erbverhalten, wie beispielsweise das schnelle, automatische Zupacken, andererseits ist er in der Lage, Verhaltensweisen entsprechend abzuändern oder auch neu zu erwerben. Inzwischen wissen wir, dass auch Hunde in der Lage sind, – ähnlich wie Anthropoiden (Menschenaffen), – gemachte Erfahrungen auf neue Situationen zu übertragen, ja sogar neue Handlungen den Bedingungen entsprechend geistig vorauszudenken und ohne zu experimentieren umzusetzen.
Zu den herausragenden Antrieben höherer Lebewesen zählen: Überleben, Fortpflanzung und sozialer Status. Erst die Fähigkeit des Lernens schafft Möglichkeiten für deren erfolgreiche Umsetzung. Darüber hinaus vermittelt Lernen Lust und steigert das Selbstwertgefühl. Ganz zu schweigen von den zahllosen Stimmungen, Affekten und Motivationen, die sich beim Lernen einstellen und dieses bereichern.
Der Begriff Lernen umfasst zwei Bedeutungen: Nachspüren als beabsichtigter (intentionaler) Prozess des Individuums und Spur hinterlassen als das, was Lernen zur Folge hat, beispielsweise in der Form des unabsichtlichen (inzidentellen) Lernens. Tiger, die einmal in eine Falle geraten sind, verändern ihr Verhalten. Aber sie haben diesen Lernprozess nicht beabsichtigt. Nichts desto weniger haben sie Entscheidendes gelernt! Sie meiden fortan Fallen und auch das Terrain, in dem diese Erfahrung gemacht wurde; und dies lebenslang – auf Grund einer einzigen nicht aktiv geplanten und herbeigeführten – Erfahrung; als Folge eines einzigen Lernvorganges. Auch Hunde sind zu beidem fähig, zu unbeabsichtigtem und beabsichtigem Lernen.
Aus neurobiologischer Sicht beruht menschliches Erleben und Verhalten auf Prozessen der Informationsverarbeitung. Die moderne Gedächtnisforschung geht zunehmend in eine integrative Verständnisrichtung des Lernens, wobei Neurowissenschaft, Pädagogik, Sozialwissenschaft, Lehr-Lern-Forschung sowie Unterrichtspraxis und Schulorganisation immer mehr ineinander greifen. Hierbei erfahren manche pädagogische Altwahrheiten aktuelle, wissenschaftlich begründete Bestätigung. Aber obwohl man inzwischen viel über das lernende Gehirn weiß, sind noch viele Fragen bei weitem nicht erschöpfend beantwortet.
Was gehört alles zum Lernen? Oder: Worauf baut Lernen auf? Was sind die Voraussetzungen, damit Lernen stattfinden kann? Wie sollen wir vorgehen, damit beim Lehren möglichst gut gelernt werden kann? Welche sind die begünstigenden, welche die hinderlichen Faktoren? Welche Möglichkeiten gibt es, wo setzt man was ein und wie lassen sich die verschiedenen Theorien miteinander verbinden? Fragen über Fragen, die es im Verlauf dieses Buches zu beantworten gilt.
Eine fundamentale und zugleich die älteste Ursache für Lernen ist die Entfaltung und Erhaltung des individuellen Lebens und Überlebens. Lernen dient dazu, Nachteile und Gefahren abzuwenden, den äußeren und inneren Zustand (psychosomatische Befindlichkeit) zu verbessern und das Leben nach den individuellen Wünschen und den gegebenen Möglichkeiten bestmöglich zu gestalten. Darüber hinaus ist Lernen lustvoller Selbstzweck. So sollte es zumindest sein.
Im Volksmund heißt es: Man lernt aus Erfahrung. Da fällt einem die heiße Herdplatte ein, die einen lebenslang gültigen Lerninhalt vermittelt. Oder man denkt, wenn es um Lernen geht, an Wissen und Können und an die Fähigkeiten der Erinnerung und des Abrufens. Doch Lernen bedeutet noch mehr. In den folgenden Abschnitten werden wir uns dem „Wunder Lernen“ von verschiedenen Seiten her nähern.
1. Mensch und Hund
Über die Seele des Hundes
Die Mensch-Hund-Beziehung ist vermutlich vierzehn- bis fünfzehntausend Jahre alt. In dieser langen Zeit sind sich beide Spezies erstaunlich nahe gekommen. Die Wertschätzung für den Hund reicht weit zurück. Schon der griechische Philosoph Plato (428 v. Chr. – 348 v. Chr) hält große Stücke auf den Hund, den er als edel und lernwillig bezeichnet.
Auch sein Zeitgenosse, Diogenes von Sinope (um 400 v. Chr. – 324 v. Chr), der wie viele andere Redner als Philosoph in Olympia auftrat, hatte eine hohe Meinung über Hunde. Dies und die Tatsache, dass er ein Bettlerleben führte, so quasi „wie ein Hund“, brachte ihm den Spitznamen Kyon (Hund) ein. Immer wieder nahm er Hunde oder auch deren Verhalten zum Gegenstand seiner Provokationen: Zu Knaben, die Angst vor ihm hatten, sagte er: “Keine Angst, Kinder, ein Hund frisst kein Grünzeug.“ Und als man ihm wie einem Hund einen Knochen zuwarf, pinkelte er wie ein Hund darüber und ging weg.
Sokrates 469 v. Chr. – 399 v.Chr.
Platon 427 v. Chr. – 348 v. Chr.
Diogenes 400 v. Chr. – 324 v. Chr.
Alexander der Große 356 v. Chr. – 323 v. Chr.
Von Plutarch (45 – 125 n. Chr) stammt die bekannte Überlieferung folgender Begebenheit: Alexander der Große (356 v. Chr. – 323 v. Chr.) trat vor Diogenes, der in einer Tonne lag, und bot ihm die Erfüllung eines Wunsches an. Diogenes sagte: „Geh mir ein wenig aus der Sonne“. Darauf antwortete Alexander: „Wäre ich nicht Alexander, ich wünschte, Diogenes zu sein.“ Diogenes und Alexander sollen der Legende nach am gleichen Tag gestorben sein.
Die von Diogenes gegründete Philosophenschule wurde unter dem Namen Kyniker (Hunde-Denker) bekannt. Der heute noch gekannte Begriff Zyniker hat darin seinen Ursprung. Nun verstehen wir auch die Wortherkunft Kynos und Kynologie. Beides geht auf das griechische Wort „Kyon“ zurück.
Über die Zeiten hinweg wurden zahllose Hymnen auf den Hund verfasst. Von Johann Wolfgang v. Goethe (1749 – 1832) stammt der Satz: „Dem Hunde, wenn er gut erzogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen.“ Und Heinz Rühmann (1902 – 1994) sagte: „Man kann auch ohne Hund leben, aber es lohnt sich nicht.“
Weniger einheitlich wurde die Frage danach, ob und wie viel Verstand oder gar Bewusstsein der Hund habe, beantwortet. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen des Rationalismus, begann man unter dem Einfluss des katholischen Klerus den Tieren allgemein die Seele abzusprechen. Da aus damaligem Verständnis Seele und Bewusstsein als untrennbar miteinander verbunden angenommen wurden, konnte der Hund, dem keine Seele zustand, natürlich auch kein Bewusstsein haben. Bei Plato hingegen gelten Menschen und Tiere als beseelte Lebewesen, und auch das alte Testament ist voll von tierethischen Aussprüchen wie: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“ und: „Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht“. Auch in Ägypten galten Tiere als geheiligt und es war ein Verbrechen, sie zu misshandeln. Bei Paulus wartet a l l e s Geschaffene sehnsüchtig und unter seinen Leiden stöhnend auf die Befreiung (Röm 8,19-22)
In der nachchristlichen Theologie allerdings wurde der Mensch von seinen Naturbanden „befreit“ und in den Mittelpunkt des Kosmos gestellt (anthropozentrisches Weltbild). Die Leugnung der Wurzeln ebenso wie die Selbstüberhebung hatte verheerende Auswirkungen. Sie führte zur Weltfeindlichkeit des Mittelalters und wirkt noch bis in unsere Zeit. Hier einige Zitate, beginnend im Mittelalter:
Thomas von Aquin (1225 – 1274), einer der bedeutendsten katholischen Kirchenlehrer, sagte: „Die Seele des Tieres ist nicht teilhaftig eines ewigen Seins …“ Und René Descartes (1596 – 1650) schrieb: ... Nichts könne „... schwache Geister vom geraden Pfad der Tugend mehr abweichen lassen als die Annahme, die
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