Lerngesetze verstehen und anwenden - Ekard Lind - E-Book

Lerngesetze verstehen und anwenden E-Book

Ekard Lind

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  • Herausgeber: Kynos
  • Kategorie: Lebensstil
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2015
Beschreibung

Immer mehr Hundehalter geben sich heute mit einfachen Anleitungen und Methoden nicht zufrieden. Das Interesse, Lernvorgänge wissenschaftlich begründet zu verstehen, ist groß. Um den inzwischen beachtlichen Wissensstand praktisch umzusetzen, kommt man an soliden Grundkenntnissen über Lerntheorien, Gehirnfunktionen und dem Wissen über die Fähigkeiten unserer Hunde nicht vorbei. Hundebesitzer, die Lerngesetze verstehen und anwenden möchten, finden im vorliegenden Buch von Prof. Ekard Lind eine gründliche Aufarbeitung der umfangreichen Lernthematik, informativ und spannend geschrieben, bereichert durch zahlreiche Beispiele aus der Praxis, an denen man das "Warum" nachvollziehen kann.

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Seitenzahl: 672

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© 2015

Kynos Verlag Dr. Dieter Fleig GmbH

Konrad-Zuse-Straße 3, D-54552 Nerdlen/Daun

Telefon: 06592 957389-0

Telefax: 06592 957389-20

www.kynos-verlag.de

 

Grafik & Layout: Kynos Verlag

 

eBook-Ausgabe der Printversion

 

ISBN-eBook: 978-3-95464-051-5

ISBN der gedruckten Ausgabe: 978-3-95464-039-3

 

Bildnachweis: Alle Fotos und Grafiken Prof. Ekard und Helenira Lind außer

S. 18 zweites von rechts unten: Michael F. Schöniker

S. 18 rechts unten: Wikimedia/ Jastrow

S. 18 links unten: Bibi-Saint-Pol

S. 18 zweites von links unten: Bibi-Saint-Pol

S. 69: www.britannica.com

S. 98: Wikipedia/ Elsevier Publishing Company

S. 100: Wikipedia

S. 130: Wikipedia/silly rabbit

S. 177: geocities.ws

 

 

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www.kynos-stiftung.de

 

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Ekard Lind

Lerngesetze

verstehen und anwenden

in Alltag, Arbeit und Sport mit dem Hund

Meiner Frau Helenira Lind gewidmet

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Was ist Lernen?

1.Mensch und Hund

Über die Seele des Hundes

Hunde sind uns ähnlich – und anders!

Das Weltbild des Beseelten

Tastsinn

Thermoregulation

Sehvermögen

Geruchssinn

Hörsinn

Geschmacksinn

Reaktionsfähigkeit und Schnelligkeit

Hunde lernen anders

2.Neurobiologie des Lernens

Das Gehirn

Die Evolution des Gehirns

Riechen und Sehen

Neuronen, Synapsen und Gliazellen

Leistung des Gehirns

Das Bauchgehirn und das Mikrobiom

Lernen als Informationsverarbeitung

Signalübertragung – Repräsentationen

Das Limbische System

Gedächtnis

Arbeitsgedächtnis

Langzeitgedächtnis

Was passiert im Schlaf?

Vergessen

Vergessen im Langzeitspeicher

Gedächtnis: Zusammenfassung

Handlungsorientiertes Lernen - Lerntypentheorie

3.Lernforschung

Lernforschung im Überblick

Lernen aus verschiedenen Blickwinkeln

4.Lernformen (nicht assoziative)

Lerndisposition

Habituation, Sensitivierung und Dishabituation

Prägung

5.Die vier großen Lerntheorien

Theorie der Konditionierung

Instrumentelle Konditionierung

Edward Lee Thorndike

Verhalten als Werkzeug – Trial-and-Error

Instrumentelle Konditionierung in der Praxis

Klassische Konditionierung

Iwan Petrowitsch Pawlow

Reflexe, Reize, Reaktionen

Kontingenz

Kontiguität

Wiederholung

Löschung und Erholung

Konditionierung höherer Ordnung

Klassisch konditioniertes Signallernen

Gegenkonditionierung

Übergang zum Behaviorismus – Watson und Guthrie

Guthries Pferde- und Hundebeispiele

Operante Konditionierung

Burrhus Frederic Skinner

Operante Konditionierung

“Belohnung“ und “Bestrafung”

Positive und negative Verstärkung

Positive und negative Bestrafung

Primäre und sekundäre Verstärker

Zeitliche Koppelungs-Varianten

Verstärkerpläne

Kritik an Bestrafung und Belohnung

Kritik am Behaviorismus

Kritik an positiver und negativer Bestrafung:

Kritik an Belohnung

Kognitive Lerntheorien

Gestaltpsychologie (Ganzheitstheorie)

Wende zu kognitiven Lerntheorien

Kognitionsleistungen bei Tieren

Beobachtung und Nachahmung

Anmerkungen zur Sprache

Albert Banduras „Lernen am Modell“

Einfluss auf die Pädagogische Psychologie

Lernformen (assoziative)

Diskrimination und Generalisation

Vermeidungsverhalten – abergläubisches Verhalten

Generalisationslernen

Hinweisreize – Marker – Brückensignale

Aufbau einer Signalkontrolle

6.Kognitive Fähigkeiten des Hundes

Gedächtnis

Zeitgefühl

Mengenunterscheidung

Objektpermanenz

Umweg-Versuche

Hunde lernen von Artgenossen

Unterscheidung

Wie verstehen Hunde unsere Worte?

Hunde „lesen“ und imitieren Menschen

Blickkontakt

“Do as I do”- Experiment

Sozialer Einfluss des Menschen

Aus Fehlern lernen?

Wissen über sich selbst und über andere

7.Emotion

Lernhemmnisse Stress und Angst

Modell der emotionalen Trägheit

Methode: Stimmungsmodifikation

Einstimmen – Start- und Abschluss-Ritual

Methode: Punktuelle Korrektur

Methode: Memory Refresh

8.Motivation

Intrinsische und extrinsische Motivation

Die sieben klassischen Motivationsquellen

Grundausrüstung und Hilfsmittel

Futter, Spielzeug und andere Lockmittel

Motivationsobjekt

Ansprechsegmente

Intensität und Ausbildung

Eignung für interaktives Spiel

1. Ball

2. Beißwurst

Balljunkie

Wege aus der Sucht

Abgeben und Auslassen der Beute

Fehler vermeiden, zulassen oder korrigieren

9.Lernformen und Methoden

Clickertraining

Impulskontrolle

„Geistiger Zügel“

Shaping (schrittweise Annäherung)

Selbstverstärkung und Free-Shaping

Chaining (Verkettung)

Token-Konditionierung

Premack-Prinzip

Leitwirkungen und Targets

Reizüberschattung und Reizkombination

Kontingenz – Blocking

Flooding und Implosion

Individuelles, komplexes Coaching

10.Was Lernen beeinflusst

Lernkurven

Lernzuwachs

Gedächtnishemmungen – Lernhindernisse

Vergessenskurven, Lern- und Behaltensstrategien

Wozu Vergessen gut ist

Lernen im Hinblick auf Behalten

Resonanz-Modell

Nachwirkzeit

Strategien gegen Vergessen

Gutmann–Modell

Behalten und Vergessen bei Hunden

Wiederholen und Üben

Pausen

Wissen und Können

Anspruchsniveau

Lern- und Trainingsrituale

Warm up – Cool down

Einstimmen - Start - Abschluss

Methode: Ideal - Moment

Absichern

Ausblick – Schlusswort

Anhang

Vorwort

Das vorliegende Buch wurde für Hundebesitzer geschrieben, die mehr über Lernen erfahren möchten als nur das Notwendigste. Es richtet sich an diejenigen, die Lerngesetze verstehen und anwenden möchten und weder Zeit noch Möglichkeit haben, den in der umfangreichen Fachliteratur verstreuten Stoff selbst aufzuarbeiten. Eines der Ziele bestand daher in einer gründlichen, aber komprimierten Darstellung des aktuellen Wissensstandes, und zwar im Hinblick auf Mensch und Hund. Und es war wichtig, die zahlreichen, immer noch kursierenden falschen Vorstellungen über Lernen anzuführen und zu korrigieren.

Neben dem Bildungswert zeichnet sich das vorliegende Fachbuch durch umfangreichen Praxisbezug aus. Zahlreiche Beispiele aus Alltag, Arbeit und Sport machen Hundeverhalten verständlich und öffnen den Blick für die Möglichkeiten einer ethisch fundierten, erfolgreichen und zeitgemäßen Einflussnahme. Theorie- und Praxisbeispiele, bereichert durch Beiträge des Autors, können den Leser dem Ziel einer ethisch und ethologisch ausgerichteten Mensch-Hund-Beziehung näherbringen.

Sich mit Lernen – mit dem des Hundes und mit dem des Menschen – zu befassen, verspricht neben besserem Hundeverständnis und besseren Übungsergebnissen eine umfassende Bereicherung und Veränderung der eigenen Persönlichkeit. Zugegeben, die Materie ist umfangreich. Aber genau darin liegt der Reiz: Es gibt ungeahnt viele Möglichkeiten der Verhaltensbeeinflussung; und die Beschäftigung mit Lernen, den Theorien, Gesetzen, Modellen und Methoden setzt Neugier, Spannung und Motivation frei. Umso mehr, wenn nicht nur isoliertes Fachwissen, sondern gleichermaßen dessen praktische Umsetzung im Vordergrund steht.

Der Autor will nicht nur über das Lernen schreiben, sondern er will vor dem Hintergrund einer langjährigen Erfahrung als Hochschul-, Kinder- und Tiertrainer-Pädagoge auch das Lernen des Lesers fördern. Daher stehen neben solidem Fachwissen zahlreiche, interessante Zusammenhänge, kritische Anmerkungen, übergreifende Vergleiche, und vieles, was man über Lernen immer schon wissen wollte. Daher ist der Stoff nicht auf Hunde begrenzt, sondern es werden auch Verbindungen zu anderen intelligenten Tieren gezogen. Dies alles trägt dazu bei, über den “Rand des Hundenapfs” hinauszublicken und Lernen umfassend zu verstehen.

In der modernen Pädagogik bemüht man sich aus mehreren Gründen, dem Stoff Emotionale Etikette anzuheften. Nicht nur, um ihn lebens- und praxisnah darzustellen. Fakten und Formeln merkt man sich leichter, wenn sie emotional „verpackt“ wurden. Was den ganzen Menschen anspricht, vermittelt Lebensnähe und verspricht Anwendbarkeit. Und es motiviert! So kann Lernen hautnah erlebt, verinnerlicht und besser behalten werden.

Ein weiteres Anliegen besteht darin, die zahlreichen unterschiedlichen Begriffe, die einem in der Literatur für ein- und dieselbe Sache begegnen, aufzuführen. Wo erforderlich, wurden diese differenziert, um damit ein wenig Licht in den Begriffsdschungel zu bringen. Dasselbe gilt für unterschiedliche, aber gleichbedeutende Kürzel.

Lernen bedeutet nicht nur, dem Hund etwas beizubringen, – möglichst erfolgreich; – mit anderen Worten, – ihn zu konditionieren. Ebenso wichtig ist es, ungewollte Konditionierungen vorauszusehen, zu erkennen und entsprechende Maßnahmen einzuleiten, um sie zu vermeiden; oder, falls schon passiert, sie zu entschärfen.

Sich mit Lernen zu beschäftigen heißt auch, die Grenzen der verschiedenen Theorien kennen zu lernen, ihr Ineinandergreifen zu verstehen und die sklavische Zuordnung in „klassische“ und „operante Konditionierung“ als realitätsfremde Hypothese zu entlarven.

Theorie und Praxis dieses Buches führen den Leser schließlich zur Anwendung. Durch wiederholtes, inneres Vorstellen der Beispiele wird man nach und nach feststellen, dass man Lernen in seinen vielen Facetten tatsächlich vorstellen kann. Und von da aus ist es nur noch ein kleiner Schritt, das Gelernte erfolgversprechend selbst anzuwenden, – mit dem eigenen Hund: als Hundebesitzer, Trainer, Sportler oder Therapeut.

Jeder Hundebesitzer verfolgt andere Ziele. Daher kann nicht jeden alles ansprechen. Aber aus den Beispielen in diesem Buch kann sich der Leser das für ihn Wichtige herausnehmen und auf seine ganz persönliche Form der Mensch-Hund-Beziehung übertragen. Und: Die Beispiele laden ein zu kreativer, individueller Umgestaltung.

Was der Leser zu seinem Lernerfolg beitragen kann, ist vor allem Geduld. Im „Diagonal-Lesestil“ oder in ein paar Tagen wird man sich den reichhaltigen Stoff kaum aneignen können. Man lasse sich daher Zeit beim Lesen – man stelle sich die Beispiele in Ruhe vor, noch besser, man probiere sie prakisch aus, und man nehme sich nicht zu viel Stoff auf einmal vor!

Zum Umfang: Innere Ablehnung vor viel Lernstoff fußt meistens auf einem fundamentalen Irrtum, und damit sind wir mitten im Thema: Mehr und mehr, Neues und noch mehr Neues zu lernen wird oft mit dem Anfüllen eines begrenzten Gefäßes verglichen. Die Vorstellung, Lernen könnte belastend, zu schwer oder zu viel werden, das Gefäß zu eng oder zu klein, ist jedoch falsch. Je mehr wir lernen, desto leichter und schneller werden wir uns Neues aneignen können. Keine Angst vor “viel”. Die fünfte Fremdsprache führt nicht, wie man vielleicht meinen mag, zu mehr Verwechslung. Das Mehr an Wissen belastet nicht! Es macht frei! Das neu Erworbene kommt uns beim Unterscheiden zu Hilfe. Aber, wie gesagt, alles braucht seine Zeit. Lernen lässt sich nicht erzwingen. Man erinnere sich an den Lehrsatz: „Öfter und weniger behält man besser als selten und viel“. – Soviel zum einen Ende an der Leine, dem Menschen. Und nun zur anderen Seite, dem Hund:

Wir neigen zur Vorstellung, der Hund lerne speziell das, was wir ihm vermitteln. Diese Ansicht ist überholt. Der Hund lernt, ähnlich wie wir Menschen, immer! Selbst in der Nacht, im Schlaf, ist das Gehirn aktiv und macht seine “Hausaufgaben”. Und: Hunde lernen ihren angeborenen Lernfähigkeiten (Lerndisposition) entsprechend, und sie lernen, ganz wie wir Menschen, bevorzugt das, was in ihrem Interesse liegt; was sie gerne tun oder sich wünschen. Dies so zu beeinflussen, dass „keiner dem anderen Gewalt antut“ (Schiller), hat der Autor bereits zu Beginn seiner kynologischen Tätigkeit in dem einfachen Bekenntnis gefunden:

„… Worauf es ankommt in der Hundeerziehung ist, die Ziele des Menschen zu Motivationen des Hundes umzugestalten und Aufgaben so zu vermitteln, dass sie der Hund annehmbar und lustvoll erlernen und ausführen kann“ (E. Lind 1997: Vortrag Tierschutztag in der Schweiz)

Prof. Ekard Lind, Februar 2013

Was ist Lernen?

Lernen ist eine der Grundvoraussetzungen für Leben. Dies gilt für Mensch und Tier. Lernen befähigt, sich dem Lebensraum optimal anzupassen, ökologische Nischen zu besetzen und, wo möglich, Einfluss auf die Bedingungen zu nehmen. Arten, die es besonders gut verstanden, den Lebensraum vorteilhaft zu nutzen, gelang es, sich über Jahrmillionen zu behaupten. Haifische oder Krokodile sind jedoch nicht nur Beispiele erfolgreicher Anpassung (Adaption) an ihre Umweltbedingungen. Diese und andere im Wasser oder hybrid (im Wasser und an Land) lebenden Arten profitierten davon, dass sich der Lebensraum Wasser über die Jahrtausende weniger gegensätzlich und spektakulär veränderte wie die Bedingungen an Land.

Eine fliehende Spielbeute ruft unwillkürlich Nachjagen hervor.

Im Rahmen optimaler Anpassung hat die Natur in langer Zeit zwei biologische Systeme hervorgebracht, die sich beide, jedes auf seine Weise, als höchst effizient erwiesen haben: Verhaltensweisen, die ererbt vorliegen (Erbkoordinaten) und nicht gelernt werden müssen, und Verhaltensweisen, die im Laufe des Lebens entwickelt und angeeignet werden (Adaption). Lebewesen, die über beide Systeme verfügen und diese getrennt und kombiniert einzusetzen vermögen, konnten selbst in unterschiedlichen Lebensräumen und trotz gravierender ökologischer Veränderungen überleben. Einer der profiliertesten Vertreter hierfür ist der Wolf. Auf der einen Seite verfügt er über zahlreiche Erbverhalten, wie beispielsweise das schnelle, automatische Zupacken, andererseits ist er in der Lage, Verhaltensweisen entsprechend abzuändern oder auch neu zu erwerben. Inzwischen wissen wir, dass auch Hunde in der Lage sind, – ähnlich wie Anthropoiden (Menschenaffen), – gemachte Erfahrungen auf neue Situationen zu übertragen, ja sogar neue Handlungen den Bedingungen entsprechend geistig vorauszudenken und ohne zu experimentieren umzusetzen.

Zu den herausragenden Antrieben höherer Lebewesen zählen: Überleben, Fortpflanzung und sozialer Status. Erst die Fähigkeit des Lernens schafft Möglichkeiten für deren erfolgreiche Umsetzung. Darüber hinaus vermittelt Lernen Lust und steigert das Selbstwertgefühl. Ganz zu schweigen von den zahllosen Stimmungen, Affekten und Motivationen, die sich beim Lernen einstellen und dieses bereichern.

Der Begriff Lernen umfasst zwei Bedeutungen: Nachspüren als beabsichtigter (intentionaler) Prozess des Individuums und Spur hinterlassen als das, was Lernen zur Folge hat, beispielsweise in der Form des unabsichtlichen (inzidentellen) Lernens. Tiger, die einmal in eine Falle geraten sind, verändern ihr Verhalten. Aber sie haben diesen Lernprozess nicht beabsichtigt. Nichts desto weniger haben sie Entscheidendes gelernt! Sie meiden fortan Fallen und auch das Terrain, in dem diese Erfahrung gemacht wurde; und dies lebenslang – auf Grund einer einzigen nicht aktiv geplanten und herbeigeführten – Erfahrung; als Folge eines einzigen Lernvorganges. Auch Hunde sind zu beidem fähig, zu unbeabsichtigtem und beabsichtigem Lernen.

Aus neurobiologischer Sicht beruht menschliches Erleben und Verhalten auf Prozessen der Informationsverarbeitung. Die moderne Gedächtnisforschung geht zunehmend in eine integrative Verständnisrichtung des Lernens, wobei Neurowissenschaft, Pädagogik, Sozialwissenschaft, Lehr-Lern-Forschung sowie Unterrichtspraxis und Schulorganisation immer mehr ineinander greifen. Hierbei erfahren manche pädagogische Altwahrheiten aktuelle, wissenschaftlich begründete Bestätigung. Aber obwohl man inzwischen viel über das lernende Gehirn weiß, sind noch viele Fragen bei weitem nicht erschöpfend beantwortet.

Was gehört alles zum Lernen? Oder: Worauf baut Lernen auf? Was sind die Voraussetzungen, damit Lernen stattfinden kann? Wie sollen wir vorgehen, damit beim Lehren möglichst gut gelernt werden kann? Welche sind die begünstigenden, welche die hinderlichen Faktoren? Welche Möglichkeiten gibt es, wo setzt man was ein und wie lassen sich die verschiedenen Theorien miteinander verbinden? Fragen über Fragen, die es im Verlauf dieses Buches zu beantworten gilt.

Eine fundamentale und zugleich die älteste Ursache für Lernen ist die Entfaltung und Erhaltung des individuellen Lebens und Überlebens. Lernen dient dazu, Nachteile und Gefahren abzuwenden, den äußeren und inneren Zustand (psychosomatische Befindlichkeit) zu verbessern und das Leben nach den individuellen Wünschen und den gegebenen Möglichkeiten bestmöglich zu gestalten. Darüber hinaus ist Lernen lustvoller Selbstzweck. So sollte es zumindest sein.

Im Volksmund heißt es: Man lernt aus Erfahrung. Da fällt einem die heiße Herdplatte ein, die einen lebenslang gültigen Lerninhalt vermittelt. Oder man denkt, wenn es um Lernen geht, an Wissen und Können und an die Fähigkeiten der Erinnerung und des Abrufens. Doch Lernen bedeutet noch mehr. In den folgenden Abschnitten werden wir uns dem „Wunder Lernen“ von verschiedenen Seiten her nähern.

1. Mensch und Hund

Über die Seele des Hundes

Die Mensch-Hund-Beziehung ist vermutlich vierzehn- bis fünfzehntausend Jahre alt. In dieser langen Zeit sind sich beide Spezies erstaunlich nahe gekommen. Die Wertschätzung für den Hund reicht weit zurück. Schon der griechische Philosoph Plato (428 v. Chr. – 348 v. Chr) hält große Stücke auf den Hund, den er als edel und lernwillig bezeichnet.

Auch sein Zeitgenosse, Diogenes von Sinope (um 400 v. Chr. – 324 v. Chr), der wie viele andere Redner als Philosoph in Olympia auftrat, hatte eine hohe Meinung über Hunde. Dies und die Tatsache, dass er ein Bettlerleben führte, so quasi „wie ein Hund“, brachte ihm den Spitznamen Kyon (Hund) ein. Immer wieder nahm er Hunde oder auch deren Verhalten zum Gegenstand seiner Provokationen: Zu Knaben, die Angst vor ihm hatten, sagte er: “Keine Angst, Kinder, ein Hund frisst kein Grünzeug.“ Und als man ihm wie einem Hund einen Knochen zuwarf, pinkelte er wie ein Hund darüber und ging weg.

Sokrates 469 v. Chr. – 399 v.Chr.

Platon 427 v. Chr. – 348 v. Chr.

Diogenes 400 v. Chr. – 324 v. Chr.

Alexander der Große 356 v. Chr. – 323 v. Chr.

Von Plutarch (45 – 125 n. Chr) stammt die bekannte Überlieferung folgender Begebenheit: Alexander der Große (356 v. Chr. – 323 v. Chr.) trat vor Diogenes, der in einer Tonne lag, und bot ihm die Erfüllung eines Wunsches an. Diogenes sagte: „Geh mir ein wenig aus der Sonne“. Darauf antwortete Alexander: „Wäre ich nicht Alexander, ich wünschte, Diogenes zu sein.“ Diogenes und Alexander sollen der Legende nach am gleichen Tag gestorben sein.

Die von Diogenes gegründete Philosophenschule wurde unter dem Namen Kyniker (Hunde-Denker) bekannt. Der heute noch gekannte Begriff Zyniker hat darin seinen Ursprung. Nun verstehen wir auch die Wortherkunft Kynos und Kynologie. Beides geht auf das griechische Wort „Kyon“ zurück.

Über die Zeiten hinweg wurden zahllose Hymnen auf den Hund verfasst. Von Johann Wolfgang v. Goethe (1749 – 1832) stammt der Satz: „Dem Hunde, wenn er gut erzogen, wird selbst ein weiser Mann gewogen.“ Und Heinz Rühmann (1902 – 1994) sagte: „Man kann auch ohne Hund leben, aber es lohnt sich nicht.“

Weniger einheitlich wurde die Frage danach, ob und wie viel Verstand oder gar Bewusstsein der Hund habe, beantwortet. Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts, mit dem Aufkommen des Rationalismus, begann man unter dem Einfluss des katholischen Klerus den Tieren allgemein die Seele abzusprechen. Da aus damaligem Verständnis Seele und Bewusstsein als untrennbar miteinander verbunden angenommen wurden, konnte der Hund, dem keine Seele zustand, natürlich auch kein Bewusstsein haben. Bei Plato hingegen gelten Menschen und Tiere als beseelte Lebewesen, und auch das alte Testament ist voll von tierethischen Aussprüchen wie: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs“ und: „Der Gerechte weiß, was sein Vieh braucht“. Auch in Ägypten galten Tiere als geheiligt und es war ein Verbrechen, sie zu misshandeln. Bei Paulus wartet a l l e s Geschaffene sehnsüchtig und unter seinen Leiden stöhnend auf die Befreiung (Röm 8,19-22)

In der nachchristlichen Theologie allerdings wurde der Mensch von seinen Naturbanden „befreit“ und in den Mittelpunkt des Kosmos gestellt (anthropozentrisches Weltbild). Die Leugnung der Wurzeln ebenso wie die Selbstüberhebung hatte verheerende Auswirkungen. Sie führte zur Weltfeindlichkeit des Mittelalters und wirkt noch bis in unsere Zeit. Hier einige Zitate, beginnend im Mittelalter:

Thomas von Aquin (1225 – 1274), einer der bedeutendsten katholischen Kirchenlehrer, sagte: „Die Seele des Tieres ist nicht teilhaftig eines ewigen Seins …“ Und René Descartes (1596 – 1650) schrieb: ... Nichts könne „... schwache Geister vom geraden Pfad der Tugend mehr abweichen lassen als die Annahme, die Seele wilder Tiere sei von der gleichen Art wie unsere.“

Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts nahm der ethische Stellenwert der Tiere noch weiter ab. Nicht nur der Besitz der Seele wurde ihnen abgesprochen, sondern auch die Leidensfähigkeit. Der französische Philosoph Malebranche (1638 – 1715) sagte: „Tiere fressen ohne Vergnügen, weinen ohne Schmerz, handeln, ohne es zu wissen;- sieh ahnen nichts, fürchten nichts, wissen nichts.“

Vor einer Generation wurde auch in Deutschland noch ernsthaft darüber gestritten, ob Tiere Schmerz empfinden können oder nicht. Vieles von dem, was heute zweifelsfrei als gefangenschaftsbedingte Stereotypen angesehen wird, wollte beispielsweise die Pelzindustrie als „Anpassungsverhalten“ deklarieren.

Hunde können Schmerz empfinden, das ist inzwischen gesichert. Aber sie verbergen ihn oft. Man vermutet dahinter ein evolutionsbedingtes, rudimentäres Verhalten, durch welches Caniden sich den Verbleib in der Gemeinschaft sichern wollen. Indizien für Schmerz sind: Erweiterte Pupillen, Rückzug und ungewöhnlich langes Ruhen, Zusammenkauern, oder auch das Gegenteil: Unruhe, Zittern, Hecheln, Lautäußerungen wie Winseln, Kläffen, Belecken bis zum Benagen schmerzhafter Körperteile und natürlich wie beim Menschen: erhöhte Temperatur. Auch Aggressions-Attacken können auftreten.

Zurück zur „Seele“ des Hundes: Nach Descartes wurden Tiere eher mit gefühllosen Maschinen als mit intelligenten, gefühlvollen Lebewesen verglichen. Erst mit dem Aufkommen des Darwinismus verlor Descartes Weltbild zusehends an Bedeutung.

Charles Darwin (1809 – 1882) überzeugte mit seinen Vorstellungen der Evolution und leitete damit ein epochales Umdenken ein. Er schrieb:

„Sinne und Intuition, die vielfältigen Emotionen und Fähigkeiten der Liebe, Erinnerung, Aufmerksamkeit, Neugier, Nachahmung, logisches Denken usw., die den Menschen auszeichnen, sind in Ansätzen oder sogar voll ausgebildet auch in niederen Tieren zu finden.“

Heute zeigen wissenschaftliche Erkenntnisse, dass das Gehirn ebenso wie das Nervensystem des Hundes dem des Menschen verblüffend ähnlich ist. Gestalt und Volumenproportion des Großhirns, die einzelnen Gehirnteile zeigen den gleichen Aufbau. Dasselbe gilt für die Neuronen und deren Funktionsweise. Und auch beim Hund sind bestimmte Arbeitszentren an bestimmten Orten des Großhirns lokalisiert.

Charles Darwin (1809 – 1882)

Neuere Untersuchungstechniken, angewandt an der Tierärztlichen Hochschule Hannover in Zusammenarbeit mit der HZI-Gruppe und dem Broad-Institut-USA ermöglichten, DNA-Fragmente in voller Länge zu vergleichen. Der Aufwand hat sich gelohnt. Hierzu Helmut Blöcker, der Leiter dieses Projektes: „Vergleicht man das Pferdegenom mit dem des Menschen direkt von Chromosom zu Chromosom, so gibt es in etwa der Hälfte der Fälle sehr starke Übereinstimmung. Beim Vergleich Mensch zu Hund liegt dieser Wert nur bei etwa 30 Prozent.“

Nach diesem kurzen Ausflung in die aktuelle Forschung der Genomik zurück zu Darwin:

Heute können wir sagen: Immer mehr Studien zeigen, dass Hunde ihre Umwelt bewusst wahrnehmen, zahlreiche Handlungen intellektuell gestützt durchführen und ein intensives Gefühlsleben aufweisen.

Hunde sind uns ähnlich – und anders!

Das Weltbild des Beseelten

Oft werden Hunde mit Kindern verglichen. Der Gedanke scheint nicht abwegig, haben doch beide vieles gemeinsam. Vor allem das Weltbild des Kindes stützt diesen Vergleich. Kinder nehmen die aus der Sicht des Erwachsenen tote Materie ihres Umfeldes als beseelt an. Bei Hunden ist das ähnlich. Wenn sie beispielsweise mit Gegenständen konfrontiert werden, zeigen sie Handlungen, die vermuten lassen, dass für sie die Gegenstände tatsächlich lebend sind. Neue, unbekannte Gegenstände werden dann oft als gefährliche Lebewesen interpretiert, die ihnen ans Leder gehen könnten.

Der Schweizer Entwicklungspsychologe und Pädagoge Jean Piaget (1896 – 1980) erwähnt als Beispiel ein Kind, welches den Ball, der ihm unter den Schrank gerollt ist, inbrünstig bittet, wieder zurückzukommen oder er beschreibt ein anderes Kind, welches die Tasse, die umgestoßen wurde, bedauert und für krank hält. Es ist vor allem die Phase bis zum Schuleintrittsalter, in welchem Kinder – ähnlich wie Hunde – vornehmlich im Weltbild der Emotionen leben. Wenngleich Piagets Erklärungen zum sich wandelnden Realitätsverständnis des Kindes in vieler Hinsicht erweitert wurden, so sind sie dennoch als Kontrast-Beispiele geeignet, um auf den Unterschied des Kindweltbildes zur Sichtweise des Erwachsenen, der streng zwischen Materie und Lebewesen unterscheidet, hinzuweisen.

Je mehr unsere Kenntnisse über den Hund zunehmen, desto deutlicher wird, dass Hunde außerordentlich intelligent sind und dass sie ganz ähnliche Gefühle haben wie wir Menschen: Antipathie, Sympathie, Empathie (Mitgefühl), Zorn, Neid, Glück und Unglück, Stress, Frustration, Ausgeglichenheit und viele andere. Das ist nicht nur durch Gehirn-Scans nachweisbar, sondern zeigt sich im gesamten Ausdrucksverhalten: Lautäußerungen, Körper-Haltungen und -Bewegungen, Fang-, Lefzen-, Zungen- und Augen-Ausdruck, Ohrstellungen, Fell, Ruten-Haltung und -Bewegung sowie anderen Ausdruckskriterien.

Trotz dieser zahlreichen Parallelen, teils sogar Übereinstimmungen, ist der Hund dennoch ein anderes Wesen! Er ist wie seine Vorfahren ein Beutegreifer. Der Hund bringt sein vom Wolf stammendes Erbgut mit und ist für zahlreiche Lernvorgänge vorprogrammiert, die eben für einen Hund und nicht für den Menschen wichtig sind. Das, was wir als Intelligenz bezeichnen, hängt von den biologischen Koordinaten und der artspezifischen Erfahrungswelt ab. Der Hund hat ein deutlich anderes Weltbild als der Mensch – er lebt, was wir oft übersehen (!), in einer völlig anderen Reaktionsgeschwindigkeit und in anderem Handlungstempo, und er nimmt die Welt anders wahr als wir – mit anderen Sinnen! Probleme sind vorprogrammiert, wenn man diese Unterschiede verharmlost oder ignoriert.

Wenn wir mit dem Hund in einer für beide Teile gewinnbringenden Art und Weise umgehen wollen, kommen wir nicht umhin, uns in seine Welt zu versetzen, uns in ihn hineinzufühlen, aus seiner Sicht- und Erwartungsperspektive zu denken und sein Verständigungsvokabular zu erlernen.

Die Einsicht, dass der Hund in vielem anders ist als wir, entfernt uns nicht von ihm. Sie bringt uns vielmehr näher. Das sei vor allem an jene gerichtet, die den Hund permanent vermenschlichen und Fürsorge, Liebe, Autoritäts- und Regelanspruch einfach nicht in Einklang zu bringen vermögen – oder dies mangels Einsicht von vornherein nicht wollen.

Hält man sich vor Augen, dass es letztlich die spezifischen Sinneswahrnehmungen sind, die einen Großteil dessen ausmachen, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, so wird verständlich, dass uns die Sinneswelt des Hundes gut bekannt sein sollte. Auch der Mensch nimmt seine Umwelt zuerst einmal sinnlich wahr. Auffallend ist, dass man sich als Erwachsener in der Regel nicht mehr an Erlebnisse der frühen Kindheit erinnert (kindliche Amnesie). Als Ursache hierfür wird der Spracherwerb gesehen. Denn mit dem Spracherwerb ändert sich die Form der Erinnerung, die mehr und mehr Worte und Begriffe einbezieht. Infolge dieser Veränderung verliert sich zusehends die Fähigkeit, die in der frühen Erfahrungswelt gemachten Erfahrungen mit den neuen Erinnerungsfunktionen abzurufen. Je anspruchsvoller das Denken wird, desto mehr löst es sich von der reinen Sinnes-Wahrnehmung und -Erinnerung. An Stelle von Bildern treten dann gedanklich in Worte gefasste Zusammenhänge, Schlussfolgerungen oder Hypothesen.

Erinnern, Denken und Entscheiden wird wesentlich davon beeinflusst, wie viele und welche Details uns unsere Sinne vermitteln. Das gilt für den Menschen wie für den Hund. Hier eine kurzgefasste Gegenüberstellung der Wahrnehmungsunterschiede des Menschen und des Hundes:

Kein Wunder, dass das gegenseitige Kraulen und Beknabbern der Haut zum sogenannten Komfortverhalten von Hunden gehört, also einem Verhalten, das ein Ausdruck von Wohlbefinden ist.

Tastsinn

Bedingt durch die Fellhaare verfügt der Hund über eine ausgesprochen sensible Berührungswahrnehmung. Eine Berührung wird, bevor die Haut den Druck wahrnimmt, durch die längeren Deckhaare wahrgenommen. Je mehr Haare melden, desto größer die Berührungsfläche und je stärker die Berührung, desto intensiver die Ankündigung. Stärkerer Druck wird dann auf der Haut direkt gespürt, indem die tiefer liegenden Tast-Rezeptoren (Tastreiz-Aufnahme-Zellen) angesprochen werden. Der stark ausgeprägte Tastsinn des Hundes findet seinen Ausdruck in zahlreichen Ausprägungen: Im Beknabbern, Ablecken, Andrücken. In Verhaltensweisen, die Wohlbefinden (Komfortverhalten, Grooming) bekunden.

Der Hund verfügt noch über ein zusätzliches Tast-System, welches aus einzelnen, langen, festen und wesentlich dickeren Haaren besteht, den Vibrissen. Barthaare und Wimpern dienen der taktilen Frühortung (Spüren durch Berührung) und den Schutzreflexen.

Hunde können die Vibrissen auch bewegen. Je nach Situation werden sie auf mögliche Gefahrenobjekte ausgerichtet, etwa beim Laufen nach vorne oder nach unten: beim Aufnehmen eines Gegenstandes auf hartem Untergrund. Allein schon die Mikroturbulenz (kleinräumiger thermischer Wirbel), die bei der Annäherung eines Gegenstandes auftritt, reicht aus, um dem Hund die unmittelbare Nähe eines Objektes anzukündigen.

Die meisten Tastrezeptoren befinden sich im Gesicht. Nase und Lefzen sind besonders berührungssensibel. Auch an den empfindlichen Pfoten befinden sich zahlreiche Tast-Rezeptoren, um dem Hund zu signalisieren, auf welchem Untergrund er sich bewegt und ob dieser etwa nachgibt und dabei Geräusche verursacht, die den Jagderfolg beeinflussen könnten.

Auch der Mensch verfügt über einen ausgeprägten Tastsinn. Nicht nur die Geschicklichkeit der Hände ist in der gesamten Natur unerreicht. Neben Druck, Spannung und Temperatur kann der Mensch mit den Fingern Dickenunterschiede im Bereich von von 1/50 bis zu 1/100 mm spüren! Was die Wimpern betrifft: Auch dem Menschen stehen Wimpern im Sinne der reflexgesteuerten Schutzreaktion zur Verfügung. Für die Barthaare gilt dies jedoch nicht mehr.

Berührungen spielen beim Aufbau, Ausbau und Erhalt sozialer Bindungen zu anderen Hunden und zum Menschen eine wichtige Rolle. Es ist nachgewiesen, dass Hunde durch Berührung beruhigt werden können. Der Puls wird messbar langsamer, der Atem gleichmäßiger und vorausgegangene Muskelspannungen können gelöst werden. Hinzu kommt: Berührung trägt bei Kälte durch enges Beieinanderliegen zur Wärmeökonomie bei. Allein diese kurze Faktenaufstellung legt nahe, dass wir Menschen, vor allem jene aus den Zivilisationsregionen, oft zu wenig auf taktiler Ebene mit Hunden kommunizieren.

Thermoregulation

Die Haut ist bei Mensch und Hund das flächenmäßig größte Sinnesorgan. In ihm befinden sich die Rezeptoren für Wärme, Kälte, Druck, Berührung und Schmerz. Thermoregulation wird durch Wärme- und Kälterezeptoren, die ihre Informationen an das Gehirn weiterleiten, erreicht. Menschen und Hunde besitzen weit mehr Kälterezeptoren als Wärmerezeptoren. Beim Mensch wurden pro cm² durchschnittlich zwei Wärmepunkte und 13 Kältepunkte gemessen. Die Punkte sind unterschiedlich verteilt (Schubert 1977, S. 221). Im Gesicht beispielsweise befinden sich 50% sämtlicher Kältepunkte , auf der Zunge 16 – 19 pro cm² , in den Fingern nur drei. In manchen Regionen fehlen sie ganz. Wärmerezeptoren leiten Reize in einem Bereich zwischen 10 bis 40 Grad Celsius weiter, Kälterezeptoren zwischen ein bis minus 20 Grad. Extreme Wärme- oder Kälteeinwirkungen werden über Schmerzrezeptoren wahrgenommen.

Die Kälte- und Wärmerezeptoren des Hundes sind noch wenig erforscht, ebenso deren Verteilung. Man nimmt jedoch an, dass auch bei Hunden die Kälterezeptoren anzahlsmäßig bei weitem überwiegen und dass sich die meisten Rezeptoren im Nasenbereich befinden.

Da alle Säugetiere und Vogelartigen darauf angewiesen sind, ihre Körpertemperatur (Kerntemperatur) innerhalb bestimmter Grenzen zu erhalten (homöotherm), bedarf es bei Änderungen der Umgebungstemperatur bestimmter Anpassungsprozesse, die im Begriff Thermoregulation zusammengefasst sind. Werden die Grenzwerte deutlich über- oder unterschritten, geraten die Stoffwechselprozesse aus dem Gleichgewicht oder es kommt zur Beeinträchtigung der Organe oder des Gehirns, die bis zum Tode führen kann. Bei extremer Hitze beispielsweise kann es zu Schädigung des zentralen Nervensystems kommen (Hitzschlag).

Die Thermoregulation wird beim Menschen über mehrere Regulative erreicht. Gegen Kälte: Durch Muskeltätigkeit kann im Körper willkürlich (Bewegung) oder unwillkürlich (Zittern) Wärme erzeugt werden. Hinzu kommen die Regulative, Fett zu verbrennen, die Durchblutung von außen (Haut) nach innen auf die empfindlichen Organe und das Gehirn zu verlagern (Vasokonstriktion). Bei Wärmeeinwirkung laufen die Prozesse in entgegengesetzte Richtung: Die Temperatur wird von innen (Gehirn, Organe) nach außen (Haut) geleitet, indem die Gefäße an der Peripherie geweitet werden, um möglichst viel Blut aufzunehmen (Vasodilatation). Hinzu kommt das Schwitzen (Evaporation), welches auf Grund des Verdunstungsvorganges Kälte erzeugt.

Als letztes Regulativ ist das Verhalten zu nennen, welches bei allen Lebewesen entscheidend zur Thermoregulation beiträgt. Tiere suchen Schatten, kühlendes Wasser oder Wärme auf, Menschen bauen Häuser und installieren Heizungen oder Klimaanlagen. Ohne zusätzliche Ausgleichsvorgänge über Kleidung, Raumgestaltung und Heizung bzw Kühlung wäre der Mensch nicht in der Lage, vor allem extreme Kälte auszgleichen.

Die Kerntemperatur (auch Körpertemeratur) des Menschen (Temperatur im Innern) wird zwischen 36,3˚C und 37,4˚C, beim Hund zwischen38,0˚C bis 38,5˚C, bei größeren Rassen bis zu 39,0˚C und bei kleinen Rassen und Welpen bis 39,5˚C angegeben.

Auch Hunde verfügen über mehrere Systeme der Thermoregulation. Zur Erhaltung der Körpertemparatur wird die Haut mehr oder minder durchblutet – ähnlich wie beim Menschen. Der Hund verfügt jedoch noch über das Fell, welches eine breitere Regulation gegen Kälte und Hitze erlaubt. Durch entspechende Stellung der Fellhaare entsteht eine mehr oder minder dicke Fell-Luft-Schicht, die den Isolationswert erheblich zu verändern vermag.

Ein “dickes Fell” funktioniert nach demselben Prinzip wie Daunenfedern und schützt gegen Kälte (siehe auch Vogelartige: Aufplustern des Gefieders). Ein weiteres Regulativ zur Thermoregulation steht Hunden in Form von thermischen Fenstern zur Verfügung. Das sind jene Fellregionen, die schwach und dünner behaart sind und sich am Bruskorb, im Lendenbereich und zwischen den Vorderbeinen befinden. Durch entsprechende Körperhaltungen werden diese Fenster mehr oder weniger geschlossen oder geöffnet. Das Schließen thermischer Fenster (z.B.eingerolltes Liegen),in Verbindung mit Kontaktliegen trägt wesentlich dazu bei, dass Caniden (Wolfs- und Hundeartige) zum Teil extreme Kälte ertragen.

Bei überschüssiger Wärme steht Hunden neben den bereits erwähnten Regulativen noch das Hecheln zur Verfügung. Durch schnelles Einatmen über die Nase und Ausatmen über den Fang verdunstet Nasensekret, das im Nasenraum in großer Menge vorhanden ist. Dabei entsteht Verdunstungskälte. Der Vorteil dieser Funktion liegt darin, dass im Gegensatz zum Schwitzen kein Salz entzogen wird. Die Effektivität des Hechelns erklärt sich durch die riesige Fläche der Schleimhaut, die sich faltenartig im Nasen-Rachenraum des Hundes ausbreitet, zahlreiche Arterien und Venen enthält und größer ist als die gesamte Körperoberfläche. Durch den Verdunstungsprozess werden vor allem die Arterien und Venen gekühlt, um das empfindliche Gehirn gegen Überhitzung zu schützen.

Die Oberflächentemperaturmessung am Schlittenhund ergab bei einer Außentemperatur von 30˚C an der Schnauze 5˚C, auf der Nase 7,5˚C und an den Pfoten 0˚C, an den Schultern hingegen 37˚C und an der Außenseite der Oberschenkel 33˚C. Daran lassen sich sowohl die verschiedenen Kühlsysteme als auch die Verteilung der Wärme- und Kälterezeptoren näherungsweise ablesen. Die Unterschiede beim Menschen sind deutlich geringer. Bei einer Umgebungstemperatur von 20˚C misst man bei ruhig liegendem Menschen eine Schalentemperatur (Haut und darunter liegenden Schicht) an den Schultern von zirka 35˚C, an den Oberarmen 32˚C, an den Unterarmen 28˚C an den Oberschenkeln 34˚C und unterhalb vom Knie 31˚C.

Die Befeuchtung der Pfoten erzeugt infolge der dort stattfindenden Verdunstungskälte lediglich eine lolale Abkühlung und dient nicht der Thermoregulation des gesamten Körpers. Der Begriff Schwitzen ist daher irreführend. Die lokale Abkühlung der Pfoten könnte dazu dienen, den Temperaturunterschied zwischen kaltem Untergrund (Schnee) und Pfoten zu reduzieren, als Beitrag zur Kompensation des ständigen Kontakts mit kaltem Untergrund. Naheliegend ist darüber hinaus die Vermutung, dass das Duftsekret, welches zwischen den Zehen erzeugt wird, mit Feuchtigkeit vermischt wird, damit die Trittmarken am Boden besser haften und länger wirken und daher von Artgenossen besser wahrgenommen werden. Weitere Funktionen der Pfotenbefeuchtung könnten darin liegen, den Pfoten mehr Halt zu verleihen, gegen Ausrutschen zu sichern und die Haut durch Befeuchtung vor Rissen zu bewahren.

Sehvermögen

Das Sehvermögen der Wölfe und ihrer Nachfahren, der Hunde, hat sich im Laufe der Evolution den arteigenen Überlebensmöglichkeiten angepasst. Wölfe und Hunden sehen unterschiedlich und auch die rassebedingten Unterschiede sind zu berücksichtigen. Auch die Unterschiede zum Sehvermögen des Menschen sind beträchtlich. Hunde haben auf Grund der Augenanordnung ein weiteres Sehfeld als der Mensch. Hunde sehen ca 250 Grad, Menschen zirka 180 Grad (Sherman und Wilson 1975). Menschen sehen im Bereich von zirka 120 Grad dreidimensional, Hunde hingegen nur innerhalb maximal 90 Grad. Hunde sind nachtaktiv. Sie sehen in der Dämmerung daher wesentlich besser als der Mensch. Nur ein geringer Prozentsatz ihrer Fotorezeptoren besteht aus den für Farbwahrnehmung verantwortlichen Zapfen, der weit überwiegende Teil der Rezeptoren sind Stäbchen, die das Hell-Dunkel-Sehen ermöglichen. Hunde können sich sogar noch bei extrem wenig Licht gut bis sehr gut zurechtfinden. Diese Fähigkeit haben Menschen degenerativ verloren.

Während das menschliche Auge (oben) im gelb-grünen Bereich am empfindlichsten ist, können Hunde im grün-blauen Bereich am besten differenzieren. Hunde sehen rot als gelb (vereinfacht ausgedrückt).

Noch mehr als das unterschiedliche Spektrum der Wellenlänge wirkt sich der Bereich des Sensibilitätsmaximums aus. Die höchste Farbwahrnehmungssensibilität der Hunde liegt bei zirka 430 nm, das entspricht violett. Das menschliche Augen hingegen ist im gelb-grünen Bereich (zirka 555 nm) am empfindlichsten. Dort, wo in der Grafik 01 der Farbbalken die höchste vertikale Ausdehnung hat, sehen Hunde und Menschen Farben am deutlichsten. Auch beim Menschen sind die links und rechts vom Maximalwert liegenden Farbtöne besonders gut wahrnehmbar; Gelb- und Rottöne sowie Grüntöne. Hunde hingegen können Farbunterschiede bevorzugt im Bereich violett und den Blautönen differenzieren, was sich aus den jagdbedingten Erfordernissen in der Dämmerung, bei Nacht und innerhalb der vielen Blau-, und Dunkelblau- und Violetttöne im Wald, als Schatten und auf nächtlichen Wiesen- und Wasserflächen erklärt.

Nachtsehen, Sehschärfe und Bewegungssehen: Die Pupillen des Hundes erlauben wesentlich weitere Öffnungen, was mit der offenen Blende einer Kamera zu vergleichen ist. Je mehr Licht durch die Öffnung eintreten kann, desto besser sieht der Hund selbst bei schwachen Lichtverhältnissen. Hinzu kommt, Hunde besitzen mehr von jenen Rezeptoren, die für das Hell-Dunkel-Sehen verantwortlich sind: Stäbchen genannt. Eine weitere sehr effektive Funktion im Auge des Hundes ist die Fähigkeit, eintreffendes Licht zu reflektieren, was eine bessere Nutzung der eintreffenden Reize bewirkt und letztlich Nachtsehen ermöglicht. Die Reflektion kann man in der Nacht daran erkennen, dass die Augen des Hundes gelb oder grün aufleuchten, wenn sie angestrahlt werden.

Die Sehschärfe ist beim Menschen zirka sechs Mal besser ausgebildet als beim Hund. Der Hund hingegen kann in der Nacht nahezu gleich gut sehen wie am Tag, und er kann kleinste Bewegungsänderungen selbst auf weite Entfernung wahrnehmen. Hunde können bewegte Objekte noch aus 900 m sehen. Dieselben Objekte wurden, wenn sie sich nicht bewegten, von Hunden in rund 580 m nicht mehr erkannt (Studie an Polizeihunden 1936). Nicht bewege Objekte können Hunde tatsächlich nur unscharf wahrnehmen. Das hat weitreichende Konsequenzen. Ruft man den Hund aus einiger Entfernung ab, indem man ruhig stehen bleibt, kann es vorkommen, dass einen der Hund nicht oder nur sehr ungenau wahrnehmen kann. Ein Schritt zur Seite oder das Heben des Arms schafft hier wirkungsvolle Abhilfe. Das Erstarren der Beutetiere bei vermuteter Gefahr erklärt sich ebenfalls, zumindest teilweise, aus dem eingeschränktem Scharfsehen der Beutegreifer. Bewegungsvermeidung (Erstarren) bedeutet Tarnung.

Auch die Sehfrequenz liegt bei Hunden höher als bei Menschen. Menschen können unterhalb einer Bildfrequenz von 60 Bildern pro Sekunde einzelne Bilder unterscheiden. Ab 60 Bilder pro Sekunde wird die Bildfolge als fließende Bewegung erlebt. Hunde können zirka 70 bis 80 Bilder pro Sekunde wahrnehmen.

Dar Farbspektrum hat in vielerlei Hinsicht Einfluss. Lange war Hundespielzeug aus Naturkautschuk in rot hergestellt, ausgerechnet jener Farbe, die der Hund nicht sehen kann. Man dachte vermutlich daran, „rot wie Blut“ sei stimulierend. Hinzu kam, dass Rot in der Produktion billiger war als die meisten anderen Farben. Mit Rücksicht auf das Farbspektrum der Hunde hat der Autor bereits in den 90er Jahren für Hundespielzeug (Motivationsobjekte MO® und MOT®) die Farbe Gelb gewählt. Die Kordel war in dunkeviolett bzw. dunkelblau gehalten. Als Kontrast wäre Weiß zwar besser, aber weil weiß im Schnee und unter den Schaumkronen im Meer schwer auszumachen ist, wurde das helle Gelb favorisiert.

Gelbes, selbstaufrichtendes Wasserspielzeug MOT® - aqua. (Patent E.L. 2008)

Long-MOT® und Fun-MOT®, Erfindungen E.L. (D. Gebrauchsmuster 1998/1999), erste Motivationsobjekte mit zwei Gegenzugleinen, Haltekugeln und sinusförmigen Wülsten, heute weltweit verbreitet. (Bezugsquellen siehe Anhang)

Geruchssinn

Raubtiere, Insektenfresser und Huftiere, aber auch zahlreiche Fischarten, bezeichnet man auf Grund ihres ausgeprägten Geruchssinns als Makrosmatiker (Makrosmaten). Zu den Mikrosmatikern (Mikrosmaten), deren Geruchsinn weit weniger ausgeprägt ist, zählen Primaten (Menschenaffen und Menschen). Ohne die außergewöhnlichen Riechfähigkeiten der Hunde anzuzweifeln, sollte nicht übersehen werden, dass diese Einteilung keine Rückschlüsse darüber zulässt, ob und welcher Sinneskanal mehr benutzt oder wichtiger sei als andere. Nach aktuellem Wissensstand orientieren sich Hund mittels aller zur Verfügung stehenden Wahrnehmungskanäle: Durch Sehen, Hören, Riechen und weitere. Je nach Entfernung und Umständen bevorzugt oder kombiniert er Sinneseindrücke, wobei alle Kanäle ohne besondere Bevorzugung zum Einsatz kommen.

Die Riechleistungen der Hunde sind beeindruckend. Hunde können ihre Artgenossen durch direktes Beschnüffeln oder durch Lesen ihrer Markierungen oder Spuren erkennen. Sie können über den Geruch jedoch nicht nur die Identität des Anderen identifizieren, sondern auch sein Alter, Geschlecht und emotionale Befindlichkeit erfahren. Diese Fähigkeiten können sie auch auf Menschen anwenden. Hunde riechen, wenn wir traurig, nervös, ärgerlich oder glücklich sind.

Der Mensch verstand es früh, sich die Vorzüge der Riechleistung des Hundes zunutze zu machen, vor allem in der Jagd. Schon der athenische Geschichstschreiber Xenophon (~ 430 – ~ 355 v. Chr.) überliefert in seinem Traktat Kynegetikos (Zucht und Dressur von Hunden) eindrücklich, welchen Stellenwert Jagdhunde in der höheren Gesellschaft einnahmen und wie aufwändig Haltung und Ausbildung betrieben wurden. Es gab eigene Wärter und und wir würden heute sagen Trainer, die für die Jagdhunde verantwortlich waren. Die Hunde wurden oft besser gehalten als die Bediensteten. Und man wusste erstaunlich viel über das Ausdrucksverhalten der Hunde: „… sie müssen die Spur anlächeln, die Ohren locker hängen lassen, mit den Augen überall umherschweifen… und der Spur nachgehen… dem Jäger Zeichen geben durch schnelleres Laufen, genaueres Anzeigen mit ihrem Muth, mit dem Kopfe, mit den Augen, durch allerlei Bewegungen mit dem ganzen Körper, durch das Zurück- und Wiederhersehn nach dem Lager des Hasen…“ (Zeigegesten, Anm. des Autors).

Heute setzt man Spürhunde in der Sprengstoff-, Suchtmittel-, Fährten- und Mantrailing-Suche ein. Hunde werden immer öfter beim Diagnostizieren von Krankheiten eingesetzt, unter anderem bei Epilepsie, Diabetes und Krebs – und dies mit hoher Trefferquote. In Holland wurde ein Hund auf das schädliche Darmbakterium Clostridium difficile spezialisiert. Wissenschaftler der Universität Amsterdam konfrontierten den Hund mit Darmpatienten. Der Hund ist in der Lage, in wenigen Sekunden Personen, die mit Clostridium difficiee befallen waren, zu identifizieren. Auch Räume können von Hunden auf Schimmelbefall oder andere Schadstoffe geprüft werden.

Das Riechhirn des Hundes nimmt zirka 10 % der gesamten Hirnmasse in Anspruch und ist im Vergleich zum Menschen (dort zirka 1 %) ungleich größer. Aber nicht nur die Hirnmasse, auch die Anzahl der Rezeptoren gibt eine Vorstellung von der immensen Riechleistung des Hundes. Der Mensch verfügt über zirka 12 bis 40 Million Riechzellen, Hunde je nach Rasse über 220 Millionen bis 2 Milliarden. Es kommen jedoch noch weitere Faktoren hinzu, die in ihrer Gesamtheit einen Leistungsunterschied in der Größenordnung des Einmillionfachen (!) ergibt. Hunde nutzen eine bestimmte Atemtechnik, um in möglichst kurzer Zeit möglichst viele Rezeptoren anzusprechen. Sie bringen es hierbei auf 300 kurze Atemstöße pro Minute. Hunde können darüber hinaus Links- und Rechts-Riechen differenzieren (Stereo-Riechen). Hinzu kommt, sie nehmen Gerüche zusätzlich mit dem Geschmackssinn auf (Jacobsonsches Organ). Die von dort erhaltenen Informationen werden an das Limbische System weitergeleitet. Das Limbische System ist als Tor zu den Gefühlen an der Entstehung von Emotionen, als Kommunikator verschiedener Hirnregionen und an der Bildung von Hormonen beteiligt. Das Feuchterhalten der Hundenase dient dazu, Duftstoffe chemisch in Wasser zu binden und über den Schleim weiterzuleiten.

Aufbau einer kurzen Schrittfährte.

Die Sichtbarkeit der Fährte reduziert den Schwierigkeitsgrad (Anspruchsniveau) für Mensch und Hund und dient der Fehlervermeidung. In der traditionellen Boden-Fährtensuche ist man bestrebt, so früh wie möglich die Wahrnehmung allein auf die geruchliche Ebene zu lenken. Im Mantrainling hingegen werden alle Wahrnehmungsebenen und deren Kombination gefördert, wobei es vor allem auf die schnelle Entscheidung für die situativ erfolgverspechendste Ebene oder Kombination ankommt.

Hunde können geringste Geruchsunterscheidungen wahrnehmen. Thesen et al. fanden 1993 heraus, dass Hunde bei der Spurensuche drei Phasen nutzen: Während der Suchphase wird die Spur aufgenommen, lokalisiert und in Erkundungsverhalten umgesetzt. In der nachfolgenden Überprüfungsphase, wenn die Geruchsquelle beispielsweise geringer wird, die Richtung nicht klar ist oder Verleitungen auftreten, wird der Hund langsamer und folgt dann der Spur noch zirka zwei bis fünf Schritte. In der dritten Phase, der Entschlussphase, folgt der Hund nach getroffener Entscheidung der Spur wieder in schnellerem Tempo.

Mit tiefer Nase, direkt am Boden – so wie man den Hunden im traditionellem Hundesport Fährten beibringt – suchen Hunde eher selten. Wann immer es die Umstände erlauben, suchen sie oberhalb der Spur, denn dies ermöglicht ein wesentlich rascheres und ökonomischeres Spurfolgen, wobei auch visuelle Quellen einbezogen werden. Aus diesem natürlichen Suchverhalten ist das Mantrailing (Personensuche) entwickelt worden. Hunde können sogar Fährten von Individuen verfolgen, die durch Wasser gingen. Die individuellen Duftmoleküle sucht sich der Maintrailing-Hund unter anderem an Hautschuppen, die jedes Lebewesen zu Hunderttausenden verliert und die infolge thermischer Einflüsse (Mikroturbulenzen) schwebend über dem Boden gehalten werden. Je nach thermischen Bedingungen variabel schwebend: Auf-und absteigend oder auch (vorübergehend) auf einem bestimmten Niveau bleibend. Hautschuppen können sich mehrere Tage halten. Blutkörperchen können sogar bis zu zehn Tage Geruchsspuren hinterlassen. Beutetiere, die verletzt sind, werden daher oft schon in der Phase der Spurverfolgung fokussiert. Diese Phänomene erklären die oft unglaublichen Suchleistungen mancher Hunde. Mantrailing-Hunde finden auch Personen, die mitten durch die Großstadt gingen, auf belebten Straßen, durch Unterführungen und Tunnel.

Man nimmt an, dass Hunde in der Lage sind, die Konzentration zweier Geruchsmoleküle zu unterscheiden, die zeitlich nur 1 bis 2 Sekunden auseinander liegen. Das bedeutet, dass Hunde an einigen Schritten feststellen können, woher die Beute (oder der Mensch) kam und wohin er ging. Aus dieser Inforamtion leiten sie ab, in welche Richtung sie die Verfolgung aufnehmen müssen.

Der außergewöhnliche Geruchssinn der Hunde ist gepaart mit einer ebenso außergewöhnlichen Gedächtnisleistung. Hunde können sich an Individualgerüche anderer Hunde und Menschen noch nach Jahren und Jahrzehnten erinnern. Ihr Geruchsgedächtnis ist weitaus zuverlässiger als ihr Sehgedächtnis.

Aber auch der Geruchsinn des Menschen ist besser als vielfach angenommen. Nach einer neueren Studie, die Psychologen an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf durchgeführt haben, sind Menschen in der Lage, die Angst anderer riechend wahrzunehmen. Als Folge dieses unbewussten Vorganges wird eine Region im Gehirn aktiviert, die Mitleid erregt. Damit ist bewiesen, dass nicht nur im Tierreich, wo derartige Prozesse seit langem bekannt sind, sondern auch bei Menschen Gefühle nicht nur optisch, beispielsweise über Haltung, Bewegung, Mimik oder Gestik übertragen werden, sondern auch auf chemischem Wege.

Hörsinn

Das Ohr des Hundes dient wie beim Menschen der Wahrnehmung von Geräuschen und als Gleichgewichtsorgan. Darüber hinaus haben Hunde die Möglichkeit, ihre Ohren zu bewegen und damit die akustische Ortung zu optimieren. Und sie können aus der Stellung und Bewegung der Ohren anderen Gruppenmitglieder Rückschlüsse ziehen. Die Ohren leisten daher auch in der visuellen Kommunikation einen wichtigen Beitrag (unbewusste Signalgebung).

Die Ohrmuscheln werden durch 17 Muskeln bewegt und können stereoid gestellt werden. Die akustische Ortung der Hunde bewegt sich in einem Abweichungskoeffizienten von lediglich 2 %. Beim Menschen liegt der Wert beim Siebenfachen, bei zirka 15 %. Hinzu kommt: Hunde können nachweislich bestimmte Geräuschquellen selektieren, indem sie diese ausblenden oder fokussieren.

Hunde sind auf Grund ihres ausgeprägt feinen Hörsinns sehr geräuschempfindlich. Lärm kann bei bei Hunden Stress und Schmerz verursachen. Das betrifft auch lautes „Kommandieren“. Eine ruhige, angenehme akustische Signalgebung, bei Lob mit Bevorzugung hoher Stimmlagen, kommt dem Hund sehr entgegen und wirkt vertrauensbildend und motivierend.

Geschmacksinn

Endlich einmal eine Sinnesebene, wo der Mensch punkten kann! Hunde besitzen eine relativ geringe Anzahl an Geschmacksrezeptoren. Dies erklärt, weshalb bei Hunden dem Geruchssinn zur Nahrungserkennung sichtlich mehr Bedeutung zukommt als den Geschmacksnerven. Während der Mensch zirka 9.000 Geschmacksknospen besitzt, stehen dem Hund nur zirka 1.500 zur Verfügung. Die Geschmacksknospen des Hundes unterscheiden salzig – bitter – sauer und süß. Für fleischartige Substanzen und für das Schmecken von Wasser sind spezifische Geschmacksknospen vorhanden.

Reaktionsfähigkeit und Schnelligkeit

Schnelligkeit zählt im Tierreich zu den wichtigsten Fähigkeiten, die Überleben begünstigen. Das gilt für Jäger ebenso wie für Gejagte. Bruchteile von Sekunden entscheiden oft über Jagderfolg auf der einen und über Fluchterfolg auf der anderen Seite.

Betrachten wir erst einmal die Laufgeschwindigkeit: Der Mensch bewegt sich im Verhältnis zu den meisten Tierarten eher langsam. Mit 44 km/h (Spitzenleistung 100 Meter-Lauf) liegt er weit hinter einem Flusspferd (48 km/h) oder gar Pferden (69 km/h) oder einem Delphin im Wasser (55 km/h). Der Gepard als Schnellster auf der Erde kann 120 km/h schnell laufen – auf eine Distanz von zirka 400 Metern. Vögel sind allerdings noch deutlich schneller. Stachelschwanzsegler fliegen beim Insektenfang 335 km/h schnell, das ist wenig unterhalb der Spitzengeschwindigkeit eines Formel-Eins-Rennfahrzeuges und rund 80 bis 100 km/h höher als die Abhebgeschwindigkeit eines Airbus A 320. Wölfe laufen bis zu 60 km/h schnell, die meisten Haushunde schaffen zirka 30 km/h, lauftrainierte Windhunde bringen es auf bis zu 75 km/h, ein gut trainierter Malinois (belgischer Schäferhund) kommt kuzzeitig immerhin auf 50 km/h. Aber die reine Laufgeschwindigkeit ist längst nicht alles! In vielen Situationen kommt es mehr auf die allgemeine Reaktionsfähigkeit als auf das Laufen an.

Unter vielen verschiedenen Einteilungen der Schnelligkeit hat sich inzwischen das Modell von Martin, Carl und Lehnertz (1993) durchgesetzt. Sie unterscheiden:

•Reaktionsfähigkeit, die vor allem in der Startphase zum Ausdruck kommt;

•Beschleunigungsleistung, die nach dem Start bis zur Höchstgeschwiendigkeit gemessen wird;

•Schnelligkeitsleistung (Erzeugung maximaler Geschwindigkeit) als auch

•Schnelligkeitsausdauer (Geschwindigkeitserhalt und - abfall).

Diese Leistungsparameter unterscheiden sich je nach Hunderasse erheblich, liegen aber zumindest bei den Gebrauchshunderassen weit über der Leistungsfähigkeit des Menschen. Vor allem in der Reaktionsfähigkeit sind uns Hunde jeder Rassezugehörigkeit weit überlegen. Auch Stubenfliegen sehen und reagieren zirka zehn Mal schneller als Menschen. Eine Schlange (Calloselasma) erreicht eine in 40 cm Entfernung liegende Beute in sage und schreibe 0,033 Sekunden. Das ist schneller, als wir mit den Augen blinzeln können! Der Mensch ist im Vergleich zu zahlreichen Tierarten wie gesagt eher langsam. Das Überleben hat er anderen Fähigkeiten zu verdanken.

Schnelligkeit war früher überlebenswichtig. Davon profitieren Hunde heute noch. Sie sind hervorragende Schnelläufer und verfügen heute über eine exzellente Reaktionsgeschwindigkeit.

Die Kurzbeschreibung eines Reaktionsvorganges passt gut in unsere Thematik. Um auf einen eintreffenden Reiz mit einer Bewegung zu antworten, wird eine bestimmte Zeit benötigt, die Reaktionszeit. Der Vorgang verläuft in fünf Phasen. Zuerst tritt der Reiz (z.B. Signal) auf einen Rezeptor (Auge, Ohr, Haut, Nase, Mund). Hier ist zu berücksichtigen, dass auditorische Reize (auf Grund ihres geringeren Speicherbedarfs) wesentlich schneller verarbeitet werden als visuelle. Eine britische Gehirn-Forschergruppe an der Universität in Glasgow hat herausgefunden, dass Ohr und Gehirn die Fähigkeit besitzen, Warnsignale an das Auge weiter zu leiten. Auf diese Weise wird die schnellere Verarbeitung akustischer Reize mit den inhaltsreicheren visuellen vorteilhaft kombiniert.

Interessant ist nebenbei, dass sich die Reaktionsfähigkeit nicht trainieren lässt und dass diese neuronal bedingt großen Schwankungen unterworfen ist. In einer Studie, die in USA in Bezug auf Reaktionszeiten im Straßenverkehr durchgeführt wurde, hat man eine Reaktionzeit von etwa 0,7 bis 0,75 Sekunden ermittelt. Zieht man die 0,2 Sekunden, die von dieser Zeit für den Weg des Fußes bis zum Bremspedal in Anspruch genommen werden ab, so erhält man eine Reaktionszeit von rund 0,5 Sekunden. Unter normalen Bedingungen liegt die Reaktionszeit im Straßenverkehr allerdings deutlich höher, weshalb man in USA von einer gesetzlich festgelegten brake reaction time von 2,5 Sekunden ausgeht. International schwanken die Annahmen zwischen 1 und 2,5 Sekunden.

Hunde lernen anders

Obwohl das Gehirn des Hundes in Aufbau und Funktion zahlreiche Übereinstimmungen zu dem des Menschen aufweist, bestehen im Lernen doch wesentliche Unterschiede. Unterschiede, die nicht nur auf der Andersartigkeit der Sinneswahrnehmungen oder Schnelligkeit der Abläufe, sondern auf systembedingter, neuronaler Signalverarbeitung beruhen. Eines ist besonders hervorzuheben: Hunde verarbeiten Eindrücke und Erfahrungen in Verbindung der Umgebung, in welcher das Ereignis stattfindet (Kontext-Lernen). Hierbei können mehrere oder einzelne, aus der Sicht des Menschen eher „unwichtige“ Dinge zum Auslöser werden, um ein bestimmtes Verhalten oder eine bestimmte Stimmungsänderung hervorzurufen. Auf diese Weise wird der Besuch beim Tierarzt dem einen Hund zum Spießrutenlauf, dem anderen zum freudigen Ereignis, je nachdem, welche Erfahrungen dort vermittelt wurden. Auslöser für Angstreaktionen im ersten Fall kann der Geruch beim Eintreten, das Sehen des Wartezimmers, der weiße Mantel des Tierarztes oder der rutschige Fußboden im Behandlungsraum oder eine Kombination daraus sein.

Ähnliches gilt für Erwartungen, die weit in die Zukunft reichen. Der Mensch kann sich auf ein Ereignis motivieren, das erst in Jahren eintreten wird. Hunde brauchen – und hierin sind sie Kindern ähnlich – die erwartete Rückmeldung für ihr Verhalten sofort, also im Augenblick des Tuns oder zumindest in zeitlicher Nähe, und nicht erst nach Wochen, Monaten oder Jahren. Ein Hund ist nicht dafür geschaffen, sich engagiert einzusetzen, um in acht Wochen bei einer Prüfung zu glänzen. Er kann nicht einmal verstehen, weshalb man ihn schimpft, wenn er ausgebrochen ist und nach ein paar Stunden wieder zurückkommt. Damit sein Tun in hundlichem Sinne sinnvoll wird, müssen die Sinne im Tun tatsächlich angesprochen werden. Das heißt, der Trainer muss sich etwas einfallen lassen, um den verwehrten oder vorerst nicht zugänglichen Erfolg auf anderer Ebene zu ermöglichen. Die Belohnung muss im Training und nicht erst nach bestandener Prüfung folgen und wenn der Hund verstehen soll, dass er nicht selbstständig weglaufen darf, bedarf es anderer Maßnahmen als der viel zu spät einsetzenden “Bestrafung”. Dieser an sich einfache und allgemeine Tatbestand kann nicht oft genug wiederholt werden. Ihn umzusetzen, bleibt in der Mensch-Hund-Beziehung eine lebenslange, sich immer wieder neu und anders stellende Aufgabe. Denn in anderen als soeben beschriebenen Situationen ist es längst nicht so klar, was zu tun ist und wovon man Abstand nehmen sollte. Wir erinnern uns an den Leitsatz des Vorwortes: „... Die Ziele des Menschen in Motivationen des Hundes umzuwandeln“ – („Didaktisch-methodische Transformation“).

Wir wissen heute, dass Hunde beeindruckende Lernleistungen vollbringen können. Aber Menschen neigen auch zum Übertreiben. Berichte, nach welchen Hunde nahezu unvollstellbare Strecken zurückgelegt und wieder nach Hause gefunden haben, sind seit Generationen sehr beliebt. Tatsache aber ist, dass die meisten Hunde, die sich verirren oder irgendwie verloren gehen, nicht mehr zurückfinden. Edinger (1915) wollte es genau wissen und setzte seinen Schäferhund in Berlin wiederholt aus. Der Hund wäre ohne Mitwirkung von Hilfspersonen mehrfach verloren gegangen. Aber es stellte sich heraus, dass er mit der Zeit immer besser lernte, sich zu orientieren und zurückzufinden. Insgesamt kann man jedoch nicht von der oft gepriesenen Fähigkeit ausgehen, dass Hunde in unbekannter Umgebung auf weite Strecken und nach langer Zeit auf Anhieb zurückzufinden.

Die ersten Tierarztbesuche gut vorzubereiten und angenehm zu gestalten lohnt sich und hält in der Regel lebenslang vor.

2. Neurobiologie des Lernens

Das Gehirn

In weniger als zwei Jahrzehnten entwickelte sich die Gehirnwissenschaft zu einer der aufstrebendsten und weitreichendsten Forschungszweige unserer Zeit. Kaum eine Wissenschaftsdisziplin, die nicht von diesem Erkenntnisreichtum beeinflusst wird. Grund genug, das Organ Gehirn näher kennenzulernen. Aus Raummangel müssen wir uns jedoch auf das Wichtigste beschränken. Mehr über diese Thematik kann der umfangreichen Fachliteratur entnommen werden.

Das Gehirn ist das zentrale Regulations- und Steuersystem des Organismus aller höheren Lebewesen, also auch der Menschen und Hunde. Gehirn und Rückenmark bilden gemeinsam das Zentrale Nervensystem (ZNS), das im Zusammenspiel mit dem PNS (Peripheres Nervensystem) voll zur Entfaltung kommt. Die neueren Erkenntnisse, die von einem „zweiten und dritten Gehirn“ ausgehen, besprechen wir weiter unten.

Die Evolution des Gehirns

Der gewaltige Entwicklungssprung zur Sprache, zum logischen Denken, zur Abstraktion und zum Bewusstsein begann beim Menschen vor zirka 300.000 Jahren. Er manifestiert sich vor allem im Großhirn, in welchem darüber hinaus Langzeitgedächtnis, Wille und Kreativität untergebracht sind. Vor zirka 100.000 Jahren kam die rasche Entwicklung des menschlichen Gehirns langsam zum Stillstand. Man nimmt an, dass hierfür die Bildung sozialer Gemeinschaften die Ursache war. Die Vorteile der Gruppe brachten bessere Überlebenchancen. Die Vorteile des Einzelnen im Schutz der Gruppe nahmen noch einmal zu, als der Mensch der unsicheren und gefährlichen Jagd den Rücken kehrte und Ackerbau und Viehzucht den Vorzug gab. Dies war vor etwa 12.000 Jahren. Die Evolution des Gehirns beim Menschen gipfelt in der Bildung des individuellen Ich-Bewusstseins. Auch im Tierreich lässt sich eine Evolution des Gehirns nachweisen. Wenngleich diese nicht so weit reicht wie beim Menschen, so sind doch immer mehr Wissenschaftler heute der Überzeugung, dass auch Tiere ein Ich-Bewusstsein haben.