Lesbisch für Anfängerinnen: Willkommen in der WG - Celia Martin - E-Book

Lesbisch für Anfängerinnen: Willkommen in der WG E-Book

Celia Martin

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Beschreibung

Neuauflage der "Lesbisch für Anfängerinnen"- Trilogie Teil 1 Coming-out mal anders herum. Ein heiterer lesbischer Liebesroman Tina ist frisch getrennt und braucht dringend eine neue Bleibe. Hals über Kopf zieht sie in eine nette Frauen-WG. Sie ahnt nicht, dass ihre neuen Mitbewohnerinnen alle lesbisch sind. Und wie hätten die wissen können, dass Tina es nicht ist? Behutsam beginnt die Annäherung. Tina lernt täglich dazu und erfährt am eigenen Leib, wie das Coming-out funktioniert. Bei ihr halt anders herum. Für den praktischen Teil von "Lesbisch für Anfängerinnen" wäre gerne Astrid zuständig. Aber dann taucht Tinas Ex wieder auf. Er will sie zurück und lässt nicht locker. Tina wird sich entscheiden müssen. Auch für das Leben, das dann zu ihrer Liebe gehört. Heiter, turbulent, romantisch.

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur Neuauflage

Vorwort zur Erstauflage

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Lesbisch für Anfängerinnen geht weiter!

Dank

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Impressum

Celia Martin

Lesbisch für Anfängerinnen:

Willkommen in der WG!

Roman

Lesbisch für Anfängerinnen: Willkommen in der WG!

Celia Martin

© 2009 Butze Verlag

© 2024 Celia Martin

Alle Rechte vorbehalten.

Cover unter Verwendung von Motiven

aus Canva und

©Shutterstock (257056219)

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage der 2009 erschienenen Ausgabe

gleichen Titels, veröffentlicht im Butze Verlag, Uetersen

Dieses eBook, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt und darf ohne Zustimmung der Autorin nicht vervielfältigt, wiederverkauft oder weitergegeben werden.

Vorwort zur Neuauflage

Liebe Leserin, lieber Leser,

manchmal verfliegt die Zeit schneller, als man denkt.

Beim Erscheinen meines Erstlingswerks »Lesbisch für Anfängerinnen – Willkommen in der WG!« im Jahr 2008, das zunächst als Hörbuch, später auch in anderen Ausgaben, auf den Markt kam, war ungewiss, ob die Geschichte um die heterosexuelle Tina, deren Leben gehörig durcheinandergewirbelt wird als sie versehentlich in einer Lesben-WG landet, das Publikum mitreißen würde. Erfreulicherweise wurde das Buch ein großer Erfolg. Zwei weitere und eine Weihnachtsgeschichte rund um Tina und die WG-Frauen folgten. Dass ich immer noch so herzliche und positive Rückmeldungen dazu erhalte, freut mich sehr!

Der Butze Verlag, in dem die Erstausgaben erschienen, hat leider Ende 2023 sein Programm eingestellt, die Rechte der Reihe fielen an mich zurück. Sollte ich die Geschichten in der Schublade liegen lassen? Ganz sicher nicht, ich habe mich entschieden, sie zu überarbeiten und neu auf den Markt zu bringen.

Ich hoffe, dass die Erlebnisse von Tina und ihren neu gewonnenen Freundinnen weiterhin für unterhaltsame Lesestunden sorgen. Doch eines ist mir vorneweg wichtig: Geschrieben wurden die Bücher zu einer Zeit, seit der sich vieles verändert hat. Besonders die technischen Möglichkeiten einer zunehmend virtuellen Welt als auch die öffentliche Wahrnehmung queeren Lebens.

Zeitlos sind jedoch die Themen, die ich rund um das lesbische (Liebes-)Leben meiner Figuren aufgreife. Auch wünsche ich mir, dass Sie in den Texten das gelegentliche Augenzwinkern erkennen, mit denen ich viele Szenen geschrieben habe.

Viel Spaß bei der Lektüre wünscht

Celia Martin

März 2024

Vorwort zur Erstauflage

Ein bisschen frech sollte sie sein, humorvoll, dennoch zum Nachdenken anregen und außerdem viele Facetten des lesbischen und vielleicht-oder-vielleicht-doch-nicht-lesbischen Lebens zeigen.

So stellte ich mir nicht nur meine Hauptperson Tina, sondern auch die ganze Geschichte vor. Bei der Entstehung des Manuskripts wurden mir dann die unterschiedlichen Protagonistinnen so vertraut, dass ich manchmal nachsehen musste, ob nicht vielleicht schon eine von Ihnen in meiner Küche sitzt ...

Ich kann beim Schreiben in eine neue Welt abtauchen und alles um mich herum vergessen. Dann lebe ich eine Zeit lang mit meinen Figuren und den Irrungen, Wirrungen und gefühlvollen Momenten, die ich für sie – und manches Mal auch sie für mich – bereithalte(n).

Nun wünsche ich mir, dass meine Leserinnen und Leser das Ergebnis voller Spannung und Freude mit mir teilen!

Prolog

Die Taube schiss Reimund genau auf den dunklen Anzug, linke Schulter, etwas oberhalb des Herzens. An seinem Hochzeitstag hat man das nicht so gerne. Wir schauten alle nach oben, Reimund gequält, Frauke, seine Braut entsetzt, die Gäste mit tiefernstem Gesicht. Jetzt nur nicht lachen, dachte ich und war wohl mit diesem Gedanken nicht alleine. Die Mutter des Bräutigams versuchte hektisch, das Malheur mit einem Papiertaschentuch zu entfernen, aber das machte alles nur noch schlimmer. So strömten wir mit einigen Minuten Verspätung in die Kirche und die Zeremonie begann nicht ganz so entspannt wie vorgesehen. Aber was heißt schon entspannt. Ist man das etwa, wenn man sich bindet, bis dass der Tod einen scheidet, wie es ja so schön heißt?

Dem Brautpaar war an diesem Tag eine gewisse Nervosität anzumerken. Auch ich war hyperhibbelig. Die Turbulenzen der letzten Wochen und Monate hatten ihre Spuren hinterlassen, sodass ich bei all den ergreifenden Worten, die der Pfarrer nun vorne sprach, ständig an ganz andere Dinge denken musste. Dinge, die mit der Kirche nichts, aber auch gar nichts zu tun hatten. Meine eigenen Gefühlsverirrungen hielten mich auf Trab. Wie war es nur so weit gekommen, fragte ich mich. Hätte man mich vor ein paar Monaten gefragt, welche Wünsche ich an das Leben habe, hätte ich glatt gesagt, es solle alles so bleiben, wie es ist. Aber das war ja nun ganz und gar nicht mehr der Fall. Im Gegenteil!

Ich betrachtete die Braut, meine Kollegin, die trotz all dem Stress der Hochzeitsvorbereitungen nun so glücklich aussah, wie man es von einer Frau an ihrem Hochzeitstag erwartete. Unwillkürlich musste ich laut aufseufzen und schaute dann mit unschuldigem Blick über die Köpfe der anderen Hochzeitsgäste hinweg auf die Kirchenfenster.

Ja vor ein paar Monaten noch hätte ich gesagt, nichts solle sich ändern. Wenn ich morgens aufstand, beneidete ich mich oft selbst um mein Leben. Wie ging es mir doch gut! Dachte ich ..., bis sich plötzlich ein Karussell zu drehen begann. Es fing alles so harmlos an ...

Kapitel 1

Ich rekelte mich auf meinem Sofa, knabberte Bananenchips und verfolgte die Dramen des Alltags, die sich zu diesem Zeitpunkt auf dem Bildschirm abspielten. Es lief die Lindenstraße, wie jeden Sonntag. Und wieder einmal hatten mich die Höhen und Tiefen im Leben der Serienfiguren in ihren Bann gezogen. Burkhard, mein Freund, hatte unsere Wohnung schon vor einer halben Stunde verlassen um, wie jeden Sonntag, Fußball zu spielen.

Wir waren schon einige Jahre zusammen und nicht mehr darauf fixiert, jede freie Minute miteinander zu verbringen. Ich überlegte schon, was ich wohl anschließend Feines kochen könnte, um danach das Wochenende mit einem Glas Wein und einem Fernsehkrimi oder einem spannenden Buch aufs Sofa gekuschelt ausklingen zu lassen.

Beim Abspann klingelte das Telefon. Es war meine Freundin Doris, der mal wieder die Decke auf den Kopf fiel. Sie wollte noch ein wenig mit mir um die Häuser ziehen. Doris ist Single und meistens nicht so glücklich mit ihrem Los. Ich zögerte und schwankte zwischen dem ruhigen Abend, auf den ich mich eingestellt hatte und einem Kneipenbummel mit meiner besten Freundin. Doch ihre Unternehmungslust war so ansteckend, dass ich mich überreden ließ. Wenn ich gewusst hätte, was mich erwartet, hätte ich mich wahrscheinlich nicht einen Zentimeter vom Fleck gerührt! Aber so nahm alles seinen Lauf ...

Wenig später klapperten wir gut gelaunt diverse Gartenlokale ab. In diesem Jahr war der Frühsommer schon angenehm warm. Viele Leute waren unterwegs und genossen das schöne Wetter. Schoppen voller Apfelwein standen auf den blanken, rotbraun schimmernden Holztischen, darunter und dazwischen lagen oder balgten sich Hunde aller Rassen und Größen. Gelächter und Gläserklingen lagen in der Luft.

Wir fanden nicht sofort einen freien Platz. Erst in der dritten Gartenwirtschaft schienen wir Glück zu haben. Doris steuerte gerade zielstrebig auf einen Tisch zu, an dem sich in diesem Moment einige Leute erhoben. Da sah ich ihn! Nur ein paar Meter trennten uns voneinander.

Nicht eine Sekunde glaubte ich, mich zu täuschen, war mir sofort ganz sicher, dass er es war und nicht einfach ein Fremder, der ihm ähnelte. Jeden Moment, so glaubte ich, musste er aufblicken und mich sehen, meinen Blick spüren. Aber er hätte mich wohl noch nicht einmal gesehen, wenn ich laut seinen Namen gerufen hätte, so vertieft war er in das Fingerspiel mit einer mir völlig fremden Frau. Sie war eine dieser Blondinen, die ich noch nie ausstehen konnte. Filigran, zart gebräunt und unauffällig vom Edelsten gekleidet, soweit ich das sehen konnte. Bestimmt trug sie Perlenohrringe unter dem glatten Blondhaar. Ich blickte wie gebannt auf die Situation vor mir.

Burkhard starrte sie an wie ein brünstiger Hirsch, während er ihre Fingerspitzen liebkoste und sie spielte offenbar die in Versuchung geratene Unschuld. Das war genau die Masche, die bei ihm zog. Da konnte er den ungestümen Eroberer geben und sein Repertoire abspulen. Bevor er, von Kampf und Sieg erschöpft, den weniger anstrengenden Alltag an meiner Seite auskostete, um dann nach einer gewissen Zeit zu neuen Abenteuern aufzubrechen. Ich kannte das. Ich kannte das viel zu gut. Es war mir klar, wie es ablaufen und wie es enden würde, aber ich hatte gehofft, nein, wirklich geglaubt, es nicht noch einmal erleben zu müssen.

Oh nein!

Die Frau am Tisch vor mir drehte sich irritiert herum. Wahrscheinlich hatte ich laut gesprochen.

»Tina, kommst du?» Doris hielt den Tisch im Stehen besetzt. Ihre Stimme schien mir auf einmal ziemlich durchdringend. Mein Blick flog zurück zu den zwei Turteltauben. Aber nein, von dort drohte keine Gefahr entdeckt zu werden. Kein Erdbeben hätte die beiden momentan aufgeschreckt. Ich winkte Doris stumm, aber sehr energisch heran.

»Lass uns bitte nicht hierbleiben!«

»Aber warum denn nicht?«

Das klang ungeduldig. Kein Wunder, wir liefen schon eine Weile herum und es war ja nicht einfach gewesen, einen Platz zu finden.

»Leute aus meiner Firma«, log ich geistesgegenwärtig, »da habe ich Sonntagabend keine Lust darauf.«

»Ach so, wo denn?«

Doris war schon immer recht neugierig gewesen.

»Da hinten«, deutete ich vage an und drehte mich zum Weggehen.

»Ist das so schlimm?«, maulte sie und ihr war deutlich anzumerken, dass sie nicht einverstanden war. Dennoch folgte sie mir, vermutlich hatte ich sie mit meinem ungewohnt energischen Auftreten beeindruckt.

Ich war nur froh, dass sie Burkhard mit seiner blonden Schnepfe nicht gesehen hatte. Mir war speiübel. Auf gar keinen Fall wollte ich jetzt mit Doris darüber reden. Oder gar mit Burkhard. Eine Szene in einem voll besetzten Lokal war wirklich das Letzte, was mir einfallen würde.

Wir fanden dann überraschend schnell Plätze in einem anderen Lokal, aber von dem Abend ist mir kaum noch etwas in Erinnerung geblieben. Zu deutlich hatte ich das Bild von Burkhard und seinem blonden Flirt vor meinen Augen. Ansonsten waberte nur Nebel durch mein Gehirn. Ich erzählte Doris dann etwas von plötzlichen, starken Kopfschmerzen und drängte darauf, bald heimzugehen. Nicht eben begeistert folgte sie mir. Sie hatte sich den Abend ganz anders vorgestellt. Ich mir auch, natürlich.

Unsere Wohnung war leer, als ich heimkam, es war mir recht so. Ich kochte mir eine heiße Milch mit Honig und ging ins Bett. Zur Ruhe kam ich nicht. Burkhard kam sehr viel später und ich stellte mich schlafend. Ich hätte nicht die Kraft gehabt, auch nur einen einzigen Satz mit ihm zu reden. Aber eines war mir an diesem Abend klar geworden: Etwas würde und musste sich ändern!

Ich bin jetzt 30 Jahre, beruflich mäßig erfolgreich, arbeite als Sachbearbeiterin in der Versicherungsbranche, sehe ganz passabel aus und bin mit meinem Leben im Großen und Ganzen recht zufrieden. Schon immer war ich ein eher häuslicher Typ und liebe es, gemütlich allein oder zu zweit, mit schönem Essen und schöner Musik, Büchern und Filmen.

Ständig in Kneipen und Bars unterwegs zu sein, macht mich eher müde, und wilde Nächte (außer die mit Burkhard) reichen mir ab und zu. Stattdessen lade ich lieber Freunde ein, koche gern, schätze einen guten Wein und Menschen mit trockenem Humor.

Burkhard habe ich mit Mitte zwanzig auf dem Fest einer ehemaligen Schulfreundin kennen gelernt. Es funkte sofort zwischen uns, aber es dauerte noch eine Weile, bevor wir zusammenkamen. Er umwarb mich lange und heftig, das gefiel mir und ihm. In meinen vorhergehenden Beziehungen ging es eher auf eine kumpelhafte Art freundschaftlich zu. Die Rolle der Femme fatale war mir fremd. Meine Männer waren nett, freundlich und handwerklich begabt. Wenn wir uns trennten, blieben wir Freunde, und unsere gemeinsamen Bekannten kamen nicht in Gewissenskonflikte, wen von uns beiden sie denn nun zu ihren Gartenfesten und Geburtstagsfeiern einladen sollten.

Mit Burkhard kam eine neue Variante ins Spiel. Er brachte Lachs und Champagner als sonntägliche Morgengabe ans Bett und las mir augenzwinkernd erotische Literatur bei Kerzenlicht vor. Er legte mir rote Rosen aufs Frühstückstablett und entführte mich zu romantischen Wochenenden in schnuckelige kleine Hotels. Ich kam mir vor wie eine Prinzessin. Er war der Ritter, der mein Herz gewinnen wollte.

Viele meiner Bekannten waren skeptisch, betrachteten meinen Verehrer als Filou. Doch zunächst lief alles gut. Wir waren verliebt, zogen zusammen, gaben uns erotischen Höhenflügen hin. Er brachte ein Prickeln in mein Leben, etwas Glitzerndes, etwas, das den Alltag aus dem Alltäglichen hob. Das war’s, was ich besonders an ihm liebte. Und er, der schöne Leichtfuß, liebte meine Ruhe und Beständigkeit. »Bei dir bin ich zu Hause«, sagte er, »noch nie habe ich mich bei einem Menschen so wohl gefühlt.«

Ich dachte, alles wäre in Ordnung. Bis das mit den Frauengeschichten anfing. Das erste Mal war es ein Schock, den er mit Worten glattbügelte. Das Übliche. Eine heiße Nacht nach einer Fete. Ich besuchte gerade meine Eltern, er ging alleine zum Fest eines Arbeitskollegen. Ein zerknirschtes Geständnis, nachdem ich Gerüchte gehört hatte. Ich war aus meinem Wolkenheim gefallen, konnte es nicht begreifen. Aber ich verzieh ihm. Doch dem Versprechen, dass es nicht wieder vorkommen sollte, folgten weitere Flirts und Eskapaden. Irgendwann war klar, dass es so nicht mehr weiterging. Ich dachte an Trennung. Aber Burkhard versprach mir, es würde nie wieder vorkommen. Und beschwor mich, bei ihm zu bleiben. Ich glaubte ihm, weil ich ihm glauben wollte. Und jetzt das.

»Schluss«, dachte ich »Schluss und vorbei.«

Aber der Gedanke, ohne ihn zu sein, war genauso unerträglich wie die Vorstellung, dass alles so weiterging. Ich ahnte, dass schwierige Zeiten auf mich zukommen würden. Aber ich hatte keine Vorstellung davon, wie schwierig …

»Zehn Schritte zur harmonischen Partnerschaft«, versprach der Buchtitel im Schaufenster. Ich stand vor dem Frauenbuchladen, war zufällig hier vorbeigekommen. Inmitten all der wahrscheinlich feministisch und politisch korrekten Literatur über friedfertige Frauen, die zwar nicht einparken konnten, aber dafür leidenschaftlich liebten, wen sie wollten, grinste mich dieser Titel geradezu an. Na schön. Ich konnte ja wenigstens mal reinlesen. Mich plagte die unangenehme Vorstellung, dass ich schuld war an Burkhards Fremdgehen und somit am Scheitern unserer Beziehung. Obwohl es mich Überwindung kostete, hatte ich am Morgen nicht mit ihm über meine Entdeckung vom Vortag gesprochen. Der Stachel in meinem Herzen saß zu tief. Aber ich stellte mir viele Fragen. Hatten wir zu wenig Sex? Hätte ich mich mehr mit seinem Hobby beschäftigen, und die Auf- und Abstiegstendenzen deutscher Fußballvereine verfolgen müssen? Hatte ich zu häufig vegetarisch gekocht, obwohl er doch so gerne dicke Steaks aß?

Fragen über Fragen.

Hat er dich denn umsorgt, wenn du Menstruationskrämpfe hattest?, fragte eine kleine gemeine Stimme in meinem Ohr. Hat er dich jemals gefragt, wie’s in Deinem Tai Chi Kurs war? Wollte er Deine Freundinnen kennenlernen? Nein, nein und nochmals nein. Es ging hin und her und war einfach schwierig zu beantworten. Tat ich ihm unrecht oder er mir?

Ich betrat den Laden, obwohl ich schon ahnte, dass es sich hier um ein Refugium feministisch-korrekter Geschlechtsgenossinnen handelte, zu denen ich mich noch nie gezählt hatte. Zu harmoniebedürftig sei ich, hatte ich von dieser Seite oft erfahren.

Die Frau an der Kasse streifte mich mit einem professionell freundlichen Blick. Sie war gerade in ein Gespräch mit einer anderen Kundin vertieft.

Ich schlich mich ins Hinterzimmer. An den Holzregalen waren Hinweise angebracht. »Psychologie«, »Missbrauch«, »Schwangerschaft«, »Sexualität« usw. Da ich weder wusste, unter welcher Rubrik ich »Harmonie« suchen musste, lief ich der besseren Orientierung halber erst einmal an allen Regalen entlang.

»Stell dir vor, Dein Typ würde seinen Schwanz bei anderen Frauen nicht in der Hose lassen können«, trompetete eine empörte Stimme an mein Ohr. Erschrocken blieb ich stehen. Kannte mich hier etwa jemand? Jemand auf der anderen Seite des Regals mit Fachliteratur für die emanzipierte Frau im Dschungel der Beziehungskonflikte?

»Die Paulina ist einfach zu blöd«, antwortete eine andere. Es traf also noch mehr, ich war nicht allein. Aber neugierig. Ich trat näher ans Regal. Ich lauschte.

»Der Manfred ist jetzt schon so oft fremdgegangen. Der ändert sich nie. Und alle, alle wissen Bescheid. Nur die Paulina glaubt immer noch, er ändert sich. Als ob ein Leopard seine Flecken verlieren würde!«

Die beiden Stimmen bewegten sich langsam auf den Ausgang zu. Ich bewegte mich mit, auf der anderen Seite des Regals.

»Ja, stell dir vor, sie macht das immer wieder mit, jedes Mal das volle Programm. Und lernt nichts daraus und verzeiht ihm immer wieder.«

Mir schwindelte. Lernte auch ich nichts daraus? Doch! Ab jetzt schon.

»Es langt«, dachte ich. »Ich ziehe aus. Ich kann einfach nicht mehr bei ihm bleiben.« So schwach fühlte ich mich in diesem Moment, dass ich mich am Türrahmen festhalten musste. In meinem Kopf schien alles durcheinanderzuwirbeln, als wäre er eine Schneekugel, die jemand zu heftig geschüttelt hatte. Ich versuchte, tief und gleichmäßig zu atmen. Langsam wurde es besser. Als ich wieder klar sehen konnte, fiel mein Blick auf die Pinnwand, genau vor mir.

»Zimmer frei in WG, 20 qm, 250,- warm«, stand darauf. Die beiden Venusspiegel im Text sollten wohl auf eine reine Frauen-WG hinweisen.

Wenn das kein Wink des Schicksals war! Wunderbar. Ich hatte es so eilig, dass ich gleich den ganzen Zettel abriss, anstatt nur eines der ausgeschnittenen Teilchen mit der Telefonnummer mitzunehmen.

»Toll, genau das, was ich brauche«, murmelte ich grimmig zwischen zusammengebissenen Zähnen und stürmte aus dem Laden. Ein Buch hatte ich nicht gefunden. Mir war nicht mehr nach Harmonie. Mir war nach etwas ganz anderem …

»Ja!!?«

Die Frau an der Tür streckte mir einen total zerwuselten, rötlich-braunen Kurzhaarschnitt entgegen.

»Äh, also ...«, urplötzlich verließ mich meine Courage.

»Die Annonce?«, fragte sie vorsichtig.

»Haben wir beide vorhin telefoniert?!«

Jetzt erkannte ich die Stimme, die mir gehetzt den Weg beschrieben hatte.

»Genau! Oh, ich dachte nicht, dass du so schnell hier bist.«

Kunststück, ich war eigentlich gerade um die Ecke gewesen.

»Genau genommen habe ich schon eine Kundin, es dauert noch einen Moment.«

Das war mir neu, dass man Zimmerinteressentinnen als Kundin bezeichnete. Aber ich hatte ja auch keine Erfahrung mit Wohngemeinschaften.

»Suse!«, rief jemand drängend im Hintergrund.

»Na ja, vielleicht kann ich mir das Zimmer ja ein anderes Mal ansehen.« Ich wandte mich zum Gehen.

»Das Zimmer!«

In ihrem Kopf schien etwas sortiert zu werden.

»Ach so!«, rief sie zu meiner Überraschung, was mich auf dem Treppenabsatz wieder kehrtmachen ließ.

»Ich hab dich am Telefon ja überhaupt nicht gefragt, auf welche Anzeige du dich meldest.«

Ich fragte mich, wofür sie wohl noch inseriert hatten.

»Genau genommen war es keine Anzeige, sondern ein Zettel im ...«

»Suse!«, das klang jetzt richtig ungeduldig. Die Angesprochene wurde jetzt ziemlich hektisch.

»Komm rein. Ich bin Susanne.«

Eine feste Hand drückte meine. Interessierte braune Augen musterten mich kurz von oben bis unten. Mit einer Handbewegung deutete sie auf das Innere der großen Altbauwohnung, die ich als mein zukünftiges neues Heim anstrebte. Vom langen Flur gingen mehrere Türen ab, eine davon stand offen. Von dort kam auch die Stimme.

»Moment!«, rief die zerzauste Empfangsdame und zeigte auf das hinterste Zimmer auf der linken Seite.

»Schau es dir einfach an. Küche ist gleich hier vorne, das Bad hinten rechts. Ruf’ mich, wenn du fertig bist.«

Damit verschwand sie, um sich wieder ihrer Kundin zu widmen.

Ein wenig schüchtern trat ich ein. Obwohl der Raum leer war, kam ich mir merkwürdig vor, wie ein Eindringling.

Das Zimmer war entzückend. Eigentlich waren es schon anderthalb Räume, weil sich, durch eine Art Alkoven getrennt, neben dem Hauptraum noch ein zweiter, kleiner Raum befand, in dem bereits ein paar Regale angebracht waren. Prima, ich würde mir den Kleiderschrank sparen und hätte dafür ein Ankleidezimmer. Die Fenster waren groß und gaben den Blick auf eine wenig befahrene Straße frei. Leider kein Balkon. Trotzdem stand meine Entscheidung sogleich fest. Dieses Zimmer würde ich mieten. Ich ging wieder in den Gang hinaus, warf noch ein paar kurze Blicke in Bad und Küche, die angenehm sauber waren. Dann klopfte ich vorsichtig an die Tür, hinter der die Frau verschwunden war.

»Du, die ist voll im Coming-out« hörte ich gerade noch eine Stimme, bevor die Struwelfrau im Türrahmen auftauchte. Sie schien ein wenig erhitzt und das Muskel-T-Shirt ebenfalls. Merkwürdig war das schon. Was trieb sie da eigentlich? Als hätte sie meine Frage verstanden, flüsterte sie: »Ich übe noch. Dich habe ich zuerst für eine Interessentin gehalten. Ich eröffne gerade einen mobilen Massageservice.«

Nervös fuhr sie sich durch die Haare. Kein Wunder, dass diese kreuz und quer standen. Ihre Wangen brannten. Die Frau war mir sofort sympathisch. Sie hatte so etwas rührend Unperfektes und gleichzeitig Zutrauliches an sich.

»Gute Idee«, meinte ich etwas zerstreut. In Gedanken richtete ich schon das Zimmer ein und von Massageservices verstand ich nun wirklich nichts.

»Suuuse!«, rief es schon wieder, was bei meinem Gegenüber Hektik auslöste.

»Geht das klar mit dem Zimmer?«, fragte ich schnell. Nicht, dass da noch etwas dazwischenkam.

»Klar!«

Eine Frau, ein Wort. Schon war sie wieder halb im Zimmer verschwunden. Nun gab es für mich kein Zurück mehr.

»Ich ziehe dann morgen ein«, rief ich ihr hinterher und sie winkte mich auf eine irgendwie nette Art zur Tür hinaus.

»Geht klar. Ich bin morgen nicht da, aber ich sage den anderen Bescheid.«

Die Tür schlug zu, ich war draußen und innerhalb von zehn Minuten, stolze Mieterin eines WG-Zimmers geworden.

Und nun? Ich marschierte erst einmal ins Café Cristallino und gönnte mir eine Eis-Schokolade. Langsam wurde mir bewusst, was ich gerade getan hatte. Es war ernst geworden. Ich würde aus der gemeinsamen Wohnung mit Burkhard aus- und in eine WG mit lauter mir jetzt noch unbekannten Frauen einziehen. Noch kannte auch mich keine der anderen Mitbewohnerinnen, aber Susanne, genannt Suse, würde das ja sicher regeln, sodass meinem Einzug nichts im Wege stand. Doch ich sollte schnell feststellen, dass ich mich in meiner neuen Bekannten ein wenig geirrt hatte.

Kapitel 2

Die Trennung von Burkhard fiel mir schwer, daher machte ich es kurz. Ich hatte mir kurzfristig einen Tag Urlaub genommen und, sobald er aus dem Haus war, um zur Arbeit zu gehen, meinen gesamten Krempel in Koffer und Kisten gepackt. Möbel, die es lohnte mitzunehmen, hatte ich sowieso keine. Aber jede Menge Bücher, sodass die Jungs vom Studenten-Schnelldienst ganz schön ins Schwitzen kamen. Für Burkhard hinterließ ich in der Küche einen Zettel, dass ich seine Frauengeschichten leid sei und mich endgültig von ihm trenne. Und weil mir dann doch auf einmal so merkwürdig flau und melodramatisch zumute war und ich außerdem befürchtete, er könne mich mit seinem Charme wieder umstimmen, fügte ich noch hinzu, er solle mich bloß nicht suchen. Mein Entschluss stand fest, ich wollte nie wieder etwas mit ihm zu tun haben.

Am Tag darauf stand ich nachmittags also zum zweiten Mal vor der Tür der großen Altbauwohnung. Wahrscheinlich noch nervöser als beim ersten Mal. Diesmal öffnete mir eine andere Frau. Sie war groß, glattes, blondglänzendes Deckhaar fiel lässig chic über einen akkurat ausrasierten Nacken. Ihre bloßen Füße schauten unter schwarzen Leggins hervor, darüber trug sie ein weites, weißes T-Shirt, das an den Ärmeln aufgekrempelt war.

Darunter offensichtlich nichts. Es wogten zwei beachtliche Kurven für eine so schlanke Person, was auch das Personal vom Studenten-Schnelldienst offensichtlich sehr interessiert zur Kenntnis nahm. Der strenge Blick und die ernst zusammengepressten vollen Lippen wirkten allerdings nicht besonders einladend.

»Hallo!«

Ich versuchte ein freundliches Gespräch zu beginnen.

»Ich bin Tina.«

Sie übersah meine ausgestreckte Hand und musterte kühl, sehr kühl, meine Kisten und den verschwitzten Studenten-Schnelldienst.

»Du willst doch nicht etwa hier einziehen?«

Ihre Stimme war ganz dunkel und distanziert. Die Frage irritierte mich jetzt aber sehr. Eine Sekunde lang dachte ich daran, sofort wieder umzukehren.

Noch hatte Burkhard nichts gemerkt, noch könnte ich heimlich, still und leise wieder in mein kuscheliges Nest. Dummerweise tauchte in meiner Fantasie gerade jetzt die blonde Pissnelke mit den Perlen und den schlanken Fingern auf, was mir einen energischen Ruck verpasste.

»Doch«, hörte ich mich mit fester Stimme sagen. »Doch. Genau das will ich.«

Stirnrunzelnd betrachtete sie mich.

»Mit wem hast du gesprochen?«, fragte sie dann schnell.

Ich las in ihrem Gesicht, dass sie schlimme Befürchtungen hegte. Ob das an mir lag? Machte ich denn einen so schlechten Eindruck? Meine Schultern strafften sich wie von allein. Ich wusste, was jetzt gleich passieren würde: Meine Stimme würde sich verwandeln in »die Stimme für unzufriedene Kunden, die eine kompetente Ansprechpartnerin wollen und sie auch kriegen.«

Es wirkte. Warum auch nicht? Versicherungsnehmer sind ja auch nur Menschen, und gute Fortbildungen machen sich eben auch außerhalb des Büros bezahlt. Die Position der Blonden als Zerberus an der Tür geriet leicht ins Wanken.

»Ich habe gestern mit Susanne alles geregelt. Sie weiß Bescheid«, tat ich kund, kühl und selbstbewusster, als ich mich fühlte.

»Oh Göttin.«

Das schien ihren schlimmsten Befürchtungen zu entsprechen.

»Hätte ich mir gleich denken können.«

Das klang ziemlich verbittert. Doch dann trat sie endlich beiseite und gab mir und meinem Tross den Weg frei.

»Du weißt ja dann schon, wo’s langgeht«, winkte sie uns durch. Ein anklagendes »Suse hat natürlich keiner von uns Bescheid gesagt« schickte sie dann doch noch mit einem bitteren Unterton hinterher.

Eine ganze Weile später – der Studenten-Schnelldienst war bereits wieder verschwunden und ich saß noch immer zwischen lauter vollen Kisten, weil mir jede Energie fehlte, auch nur zum Auspacken anzusetzen – klopfte es an der Tür.

»Willst du Kaffee? Ich koche grade welchen.«

Klar wollte ich. Und auch den großen Brandy, den es in der geräumigen und gemütlichen Küche gab, in die ich ihr bereitwillig folgte.

Martha, so hieß die Blonde, klärte mich am großen Holztisch ein wenig über die Wohngemeinschaft auf, wobei sie mich neugierig ansah. Außer ihr und Susanne, genannt Suse, wohnte noch Lilli hier und außerdem eine Freundin von ihr, Claire, die aber fast nie da war, weil sie zum einen noch ein Zimmer in ihrer Heimatstadt Paris hatte und zum anderen Stewardess und daher naturgemäß viel unterwegs war.

»Suse hat Claires Zimmer früher ab und zu als Gästezimmer benutzt. Aber das gab bösen Stunk, seither ist die Bude tabu.«

Fand ich gut. Fremde Leute würde ich in meinem eigenen Bett auch nicht mögen.

»Wir haben einen Küchen- und Putzplan.«

Marthas Kopf wies mit wenig Begeisterung in die Ecke, in der der Plan unübersehbar hing. Ferner erfuhr ich, dass aus der gemeinsamen Haushaltskasse alles bezahlt wurde, was alle benutzen. Butter, Zucker, Putzmittel, Tampons usw. Bei diesen Worten blickte sie mich streng an, um dann mit den Regeln für längere Besuche fortzufahren, die einem mir noch undurchsichtigen, komplizierten Verfahren folgten.

Ich hatte noch nie in einer WG gewohnt. Und ich kannte auch keine Leute, die dies taten. Die Fragen, die innerhalb eines solchen Zusammenlebens auftauchten, hatte ich mir noch nie gestellt. Bei Burkhard und mir war das alles ganz easy gegangen. In Gelddingen war er großzügig und ich vorsichtig, den Haushalt schmissen wir ohne große Probleme, denn wir sind beide ordentlich, und Geschirrberge oder herumliegende Klamotten hatte es bei uns nicht gegeben. Aber so eine Zweierbeziehung war ja wohl auch etwas anderes als eine WG. Und außerdem vorbei. Ich verscheuchte den Gedanken sofort wieder.

Nach einem aufmerksamen Blick auf mein Glas schenkte Martha mir Brandy nach. Sie räusperte sich und blickte kurz auf den Tisch, bevor sie weitersprach. Der starke Alkohol tat meinen Nerven gut und ich nahm noch einen großen Schluck. Jetzt war mir nicht nur leichter, sondern auch leicht schwindelig.

Martha redete gerade von Übernachtungsgästen, und dass die Wohnung ja recht groß sei und auch nicht übermäßig hellhörig. Dabei musterte sie mich interessiert. Als ich nicht sofort reagierte, setzte sie nach.

»Du brauchst also keine Zurückhaltung zu üben.«

»Okay«, sagte ich matt. Schien, als ob Kaffee und Brandy sich in meinem Magen doch nicht so gut vertrugen.

»Irgendwas zu erwarten bei dir?«

Neugierig war sie schon. Ihr Blick hatte was durchdringend Forschendes. Ich dachte an Burkhard und seine blonde Schnepfe und an die werweißwievielen anderen, die ich gar nicht kannte und dass Gott mich davor behüten möge, ihn jemals mit hierher zu bringen.

»Nein!«, antwortete ich mit Nachdruck.

»Oho«, Martha grinste breit über ihrer Kaffeetasse. Darauf war so ein komisches Symbol, ein Schmetterling mit ziemlich langem Unterleib, oder war es eine Streitaxt?

»Trennungskiste!«

»Ja«, gab ich kläglich zu. Mein Zustand ließ sie jetzt wohl das Schlimmste befürchten.

»Falls du darüber reden willst …« – ich schüttelte stumm den Kopf, was sie enorm zu erleichtern schien, »… bin ich nicht die richtige Ansprechpartnerin. Warte, bis Käthe kommt. Sie ist eine Freundin von Susanne und Sozialpädagogin. Bei ihr kannst du dich richtig ausheulen.«

Schlagartig wurde ich müde. Sozialpädagogin hin oder her. War wohl doch ein wenig zu viel gewesen.

»Ich geh’ in mein Zimmer«, flüsterte ich matt und schwankte auf die noch unbezogene Matratze, auf der ich sofort in tiefen und festen Schlaf fiel.

Ein paar Stunden später wurde ich durch mir völlig fremde Laute geweckt. In den Jahren meines Zusammenlebens mit Burkhard hatte ich mich an die ihm eigene Geräuschkulisse, vom Rasierapparat bis hin zum Fußballspiel im Fernsehen, gewöhnt. Unbekannte Geräusche in meiner Wohnung versetzen mich allerdings leicht in Panik.

Durch die Wände drangen dumpfes Gepolter und kurze, scharfe Laute. Mühsam erhob ich mich. Meine Zunge war pelzig und ich hatte Kopfschmerzen. Jeder Knochen tat mir weh. Die Uhr zeigte kurz nach acht Uhr abends. Ich hatte knapp zwei Stunden geschlafen. Verwirrt torkelte ich in dem halbdunklen Zimmer herum und stieß mir den Fuß an einer Bücherkiste. Ich war todmüde und erschöpft. Es schien, als ob der ganze Stress und die Aufregung über Burkhards Verhalten und die Trennung sich jetzt auf einen Schlag bei mir bemerkbar machten. Gut, dass ich für morgen noch einen Tag Urlaub eingereicht hatte. Ich schleppte mich durch den spärlich beleuchteten Flur. Die Geräusche kamen aus einem der Zimmer.

Die Tür war nur angelehnt und ich spähte hinein. Eine drahtige, dunkelhaarige Frau übte anscheinend eine Kampfsportart. Bewundernswert, mit welch kraftvoller Eleganz sie sich bewegte. Ich hätte kein Kerl sein wollen, dem sie ihre Künste zeigte. In der Küche brannte Licht, aber keiner war dort. Ich nahm mir aus einem Kasten unter der Spüle eine Flasche Mineralwasser und verzog mich wieder in mein neues Zimmer. Lange hockte ich auf dem Bett in dem immer dunkler werdenden Raum. Leise drang Verkehrslärm von der Straße herauf, verebbte immer mehr.

Die dunkelhaarige Kampfsportlerin hörte ich noch eine Weile, danach lief im Bad Wasser. Irgendwann klappte die Wohnungstür und jemand machte sich in der Küche zu schaffen. Sehr viel später, ich war schon fast am Einschlafen, kam noch jemand, scheinbar in Begleitung. Aus dem Flur war Gekicher zu hören, Rascheln und Füßetrappeln. Jetzt kehrte Ruhe ein. Irgendwann meinte ich, einen unterdrückten Schrei zu hören. Dann schlief ich tief und fest und traumlos.

Es gibt einen Spruch, der besagt, dass der Traum, den man in der ersten Nacht in einem fremden Bett hat, sich bewahrheitet. So gesehen hätte in meinem Leben zunächst nicht viel passieren dürfen. Aber genau das Gegenteil war der Fall. Schon der nächste Tag brachte mehr als eine Überraschung für mich.

Unten auf der Straße knallte ein Auspuff. Erschreckt fuhr ich hoch. Wo bin ich? Was ist los?, schoss es mir durch den Sinn. Langsam klärte sich die Situation in meinem Kopf. Ich hatte Burkhard verlassen.

Ich war hier in eine Frauen-WG eingezogen. Ich hatte gestern einen ziemlich anstrengenden Tag und außerdem hatten mich zwei läppische Brandys (zugegeben, Martha hatte beim Einschenken ganz schön zugelangt) umgeschmissen. Allerdings – jetzt fiel es mir wieder ein – hatte ich am Vortag ja überhaupt nichts gegessen, von ein paar Vollkornkeksen zum Frühstück einmal abgesehen. Und überhaupt, außer der überraschten Martha und der schusseligen Susanne schien auch niemand zu wissen, dass ich in dieses Zimmer eingezogen war. Ich sah an mir herunter. Ich hatte doch tatsächlich in meinen Klamotten, auf der nackten Matratze gepennt, ungewaschen, noch nicht einmal die Zähne waren geputzt. Es herrschte eindeutig Ausnahmezustand bei mir.

Mein Blick schweifte im Zimmer umher. Wo war mein Kulturbeutel? Lauter unausgepackte Kisten starrten stumm zurück. Wo war überhaupt was, und wie sollte ich das alles bewältigen? Auspacken, das Badezimmer finden. Was, wenn ich einen Riesenfehler gemacht hatte? Wer waren diese Frauen denn? Lauter Fremde. Und dann die ganze Organisation. Es gab nun viel zu tun für mich. Ich musste mich ummelden, einen Nachsendeantrag bei der Post stellen, Burkhard als Begünstigten aus meiner Lebensversicherung streichen lassen und die Einladung zu Steffis Geburtstag absagen, weil Steffis Freund ein guter Freund von Burkhard war, und, und, und.

Ein riesiger Berg von Verpflichtungen und Dingen, die zu erledigen waren, erschien vor meinem geistigen Auge. Wie sollte ich das bloß schaffen? Mich verließ der Mut. Auf einmal schien es mir den Boden unter den Füßen wegzuziehen und ich fragte mich, ob meine Entscheidung richtig gewesen war.

Ein leises Klopfen kam von der Tür. Ich war zu matt, um zu antworten. Vorsichtig schob sich ein rötlicher Wuschelschopf herein.

»Hallo, guten Morgen.«

Susannes Miene war zerknirscht und schuldbewusst.

»Kann ich reinkommen?«, ihr Blick fiel auf das Chaos um mich herum »oder magst du mit mir frühstücken? Die anderen sind alle schon weg.«

Kein Wunder, ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass berufstätige Mitmenschen bereits seit einigen Stunden auf den Beinen waren.

Nachdem ich im Bad meinen ramponierten Zustand notdürftig aufpoliert hatte, gesellte ich mich zu Susanne an den großen runden Holztisch in der Küche. Es gab Kaffee, Milch, Brötchen, Käse, Honig und Müsli. Auf einen Schlag verspürte ich einen riesigen Hunger. Susanne stellte – nach einem prüfenden Blick – noch ein großes Glas frisch gepressten Orangensaft vor mich hin.

»Tut mir leid, ich hatte tatsächlich vergessen, den anderen Bescheid zu sagen. Ich hoffe, du bist mir nicht allzu böse.«

Sie wurstelte wild in ihren Haaren. Ich berichtete von Marthas Reaktion, als sie mich mit Sack und Pack vor der Tür stehen sah.

»Sie sah aus, als wolle sie mich gleich wieder nach Hause schicken«, erklärte ich der zerknirschten Susanne.

Dann fragte ich nach der Kampfsportlerin und erfuhr, dass es sich dabei um Lilli handelte.

»Sie treibt viel Sport«, seufzte Susanne und tupfte mit dem Finger ein paar Krümel von ihrem Teller »und hat eine absolut tolle Figur.« Seufzend schaute sie an sich herab und drapierte das locker fallende T-Shirt noch ein wenig lockerer um ihre weibliche Silhouette.

»Claire, die im Zimmer daneben wohnt, ist im Moment unterwegs, aber sie wird nächste Woche hier sein«, fuhr sie fort, »dann kennst du uns alle.«

Ich verkniff mir die Frage, was wohl passieren würde, wenn eine der anderen Frauen nicht mit mir als Mitbewohnerin einverstanden wäre. Ich musste aufhören, mir über alle möglichen Dinge Sorgen zu machen. Ich musste erst einmal essen. Und tatsächlich, nach dem Frühstück sah ich die Welt schon mit optimistischeren Augen. Der Tag war warm und sonnig, die Wohnung ruhig und hell, und ich konnte mir mit Susanne alle Gemeinschaftsräume inklusive Keller, in dem die Fahrräder standen, ansehen.

Im Bad räumten wir ein Regal für mich frei und auch in der Küche ein Fach. Dann musste Susanne weg. Bis ihr Massageservice lief, jobbte sie an einer Tankstelle, erzählte sie. So sprang sie plötzlich auf, rief »Ach Shit, ich bin schon wieder zu spät dran!«, drückte mir einen Schlüsselbund in die Hand und stürmte türschlagend aus der Wohnung. Ich war allein.

Langsam ließ ich Wasser in die gläserne Kaffeekanne laufen, stellte das Frühstücksgeschirr zusammen und räumte die Lebensmittel in den Kühlschrank zurück.

Es tat gut, mich an gewohnten Verrichtungen festzuhalten, um mich so langsam an meine neue Umgebung zu gewöhnen. Die Tageszeitung – »wir haben ein gemeinsames Abo« – lag aufgeschlagen auf einem der Stühle, aber es fehlte mir die Konzentration, darin zu lesen.

In einer Schublade fand ich Block und Bleistift und schrieb zunächst einmal einen Einkaufszettel für meinen späteren Einkauf im Supermarkt. Danach stellte ich eine zweite Liste zusammen mit all den Dingen, die zu tun waren und hängte sie in meinem Zimmer hinter die Tür. Dann krempelte ich die Ärmel hoch und fing an auszupacken.

Am selben Abend hatte ich den größten Teil meiner Kisten bereits verstaut, mein »Ankleidezimmer« gesaugt, die Regale abgewaschen und mit frischem, duftenden Lavendelpapier ausgelegt. Kleider und Wäsche lagen sortiert an ihren Plätzen. Die Bücherregale hatte ich in der alten Wohnung stehen lassen, daher waren die Bücherkisten vorübergehend an der Wand gestapelt. Ich würde mir am nächsten Samstag im Mitnahmemarkt Regale besorgen. Gottseidank reichten meine handwerklichen Kenntnisse aus, um Lampen aufzuhängen, Jalousien zu befestigen und meine Stereoanlage anzuschließen. Zuletzt hängte ich zwei schöne gerahmte Poster auf und bezog die Matratze, die mir vorläufig als Schlafstatt dienen würde, und das Bettzeug mit meiner schönsten Bettwäsche. Meine drei Schönheitsutensilien hatte ich im Bad verstaut und außerdem auch noch ein paar Sachen zum Essen eingekauft. Zum Einstand hatte ich aus dem Supermarkt zwei Flaschen Sekt mitgebracht. Susanne hatte mir gesagt, am Abend würden alle Frauen da sein. Sie selbst wollte für das gemeinsame Abendessen Pizza und Rotwein mitbringen.

Als ich mich so in meinem neuen Domizil umblickte, waren die Ängste des Morgens schon wieder fast vergessen. Zu sehen, was ich geschafft hatte und den ganzen Tag so aktiv gewesen zu sein, war mir ausgesprochen gut bekommen.

Am Abend wartete ich in der Küche auf die anderen Frauen.

---ENDE DER LESEPROBE---