Lesereise Südengland - Michael Bengel - E-Book

Lesereise Südengland E-Book

Michael Bengel

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Beschreibung

Der Süden Englands zwischen Dover und Land's End ist eine der schönsten und geschichtsträchtigsten Gegenden der Britischen Inseln. Michael Bengel besucht die Wiege und den Garten Englands, die liebliche Grafschaft Kent, deren Burgen und stolze Herrenhäuser sich still in die grüne Landschaft schmiegen und in denen der Autor nicht nur auf den Spuren großer Männer wandelt, sondern auch auf denen der Schriftstellerinnen und einstmals Liebenden Virginia Woolf und Vita Sackville-West.Michael Bengel erkundet auch die Ortschaften und kleinen Städte dieses Landstrichs, berichtet, wie der Badeort Royal Tunbridge Wells zu seinem "Royal" kam, oder weshalb Rochester als Dickens-Stadt gilt, obwohl der große Schriftsteller hier nie gelebt hat. Im Westen, wo die lange Landzunge Cornwalls ins Meer hineinragt, wechselt die Landschaft: an der Küste schroffe Klippen, denen ein unermesslich großes Seemannsgrab vorgelagert ist, und im Hinterland das Moor. Vom Nachbarn nur auf Sichtweite entfernt, hat sich hier in Südengland, wo man das Festland "Europa" nennt, eine gewisse Lebensart herausgebildet, der der Autor mit viel Liebe und Sympathie in seinen Geschichten begegnet.

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Michael Bengel

Lesereise Südengland

Michael Bengel

Lesereise Südengland

Tea Time vor Land's End

Picus Verlag Wien

Copyright © 2012 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien Alle Rechte vorbehalten Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien Umschlagabbildung: © H. & D. Zielske / LOOK-foto Datenkonvertierung E-Book: Nakadake, Wien ISBN 978-3-7117-5115-7 Dieses E-Book ist urheberrechtlich geschützt

Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unterwww.picus.at

Prolog: Murder on the Isle of Wight

Die junge Frau war üppig, attraktiv und obendrein verabredet. Sie sah sich in der Halle suchend um und kam dann auf mich zu: »Wissen Sie, ob Mister Maitland schon eingetroffen ist?« In der Lounge und dem zum Rasen hin offenen Wintergarten waren zahlreiche Gäste zum Cocktail versammelt; einige, die man vom Frühstückstisch her kannte, andere offenbar von auswärts. »Um ehrlich zu sein«, sagte ich in gewähltem Englisch, »ich kenne, wenn man es genau nimmt, niemanden in diesem Haus. Aber fragen Sie den Manager nach Mister …« – Da hatte ich den Namen schon vergessen. Ich suchte nach dem Wirt und stellte ihn der jungen Dame vor. Dann ließ ich sie allein.

Eine halbe Stunde später war sie tot. Man fand sie nah der Küche in der Wäschekammer, ausgestreckt am Boden liegend. Sie lag mit dem Gesicht nach unten, doch ihre Locken und das blaue Cocktailkleid erkannte ich sofort. Ich hätte ihr vielleicht eine halbe Stunde davor besser helfen können, gerettet hätte ich sie damit aber nicht. Denn ihr Tod an diesem Freitagabend stand auf dem Programm, und das hieß »Murder Mystery«, ein Mordsgeheimnis, in der Tat, und der Gipfel aller Fragen war wie stets die Frage nach dem Täter: »Whodunnit?«

In keinem Land wird der gemeine Mord so sehr als schöne Kunst betrachtet wie in England. Die größte Gräueltat wird hier noch zum Pläsier, vorausgesetzt, sie ist erfunden – und man kann im Schutz der Leselampe voll Behagen mit dem Helden Mörder jagen.

Vom Detektivroman zur Mördersuche ist es dabei nur ein kleiner Schritt, und dieser Schritt ist auf der Insel mittlerweile so beliebt, dass sich an jedem Sommerwochenende in den Ferienhotels am Meer und auf dem Land die schönsten Todesfälle häufen. Auch Konferenzen, Dinnerpartys und Zusammenkünfte wohltätiger Zirkel werden erst durch eine Leiche zum Ereignis. Mag der Mörder auch der Gärtner sein: In jedem Fall ist er auch Schauspieler, der sich mit einer kleinen Handvoll von Kollegen in die Runde eingeschlichen hat und nun für einen Abend oder auch ein ganzes Wochenende lang mit falschen Fährten für die richtige Verwirrung sorgt, sehr zum Vergnügen der Gäste, die von Anfang an die erste Regel kennen: Der Täter ist unter uns. Auch unser Frauenmörder aus der Wäschekammer saß mit uns an irgendeinem Tisch, so viel war uns vorher zugesichert worden. Wir brauchten ihn bloß noch zu finden.

Ein Inspektor in elegantem Zivil, der mit am Nebentisch gesessen hatte, hielt uns von der Leiche ab: der Spuren wegen, wie er sagte. Blut war nirgendwo zu sehen. Nur ein Bissen gebackener Käse lag nah der Toten auf dem Boden. Eine untersetzte alte Dame in der Runde schaute triumphierend zu mir auf: »Ganz klar, ein aufgesetzter Steckschuss!« Hatte sie tatsächlich mehr gesehen als wir alle, oder hatte sie am Ende nur mehr ferngesehen? Die Obduktion der Leiche würde es beweisen. Der Pathologe sei schon alarmiert, bemerkte der Inspektor. Wir sollten uns derweil das Abendessen munden lassen. Er habe obendrein die Handtasche der Toten sichergestellt und bitte daher alle ins Restaurant, an ihren Platz.

Als Horsd’œuvre kam ein gebackener Camembert in Semmelbröselkruste auf den Tisch, der eine beklemmende Ähnlichkeit mit dem bisher einzigen Indiz vom Tatort aufwies. Ehe aber jemand sich ob dieser Peinlichkeit entrüsten konnte, trat Monsieur Hubert auf, Chefkoch eines Grandhotels in London, wie er stolz bemerkte, vorher im Savoy und im George V à Paris, »wuh sawee?« Mit einem südfranzösischen Akzent, der breiter war als seine Mütze hoch, verriet er das Rezept des raffinierten Camemberts und hielt die Zutaten auf einem weißen Teller hoch, bis ihn eine scharfe Stimme unterbrach. Sie kam vom Nebentisch, wo eine alte Lady die Erfahrung ihrer lebenslangen Haushaltsführung wie einen Fehdehandschuh in die Runde warf: »Monsieur Hubert! Wenn Sie jemals Chefkoch waren: Warum reden Sie von Camembert und zeigen uns stattdessen einen Brie?« Wir hatten eine erste Spur: einen Käse – und einen Verdächtigen!

Simon Dabell, der Inspektor, kam zurück: Ob jemand bekannt sei mit einer Annabelle Burton? Niemand meldete sich, und auch als sich erwies, dass Annabelle die Leiche war, wollte niemand außer mir sie je gesehen haben. Das war unvorsichtig genug, denn nun holte der Inspektor aus ihrer Handtasche einen Kalender hervor und ließ aus Daten, Namen und Notizen die schöne Tote noch einmal lebendig werden: So hatte sie Monsieur Hubert gekannt – und nicht nur ihn. Da war ein heimlicher Geliebter mit dem Kosenamen Thumper, der englischen Entsprechung für den Hasen Klopfer aus Walt Disneys »Bambi«, und beim Blättern fand sich auch der Name Maitland!

Das war mein Stichwort: »Sir!«, rief ich zum Inspektor hinüber und stand auf, »ich vermute, die junge Lady war hier mit einem ›Mister Maitland‹ verabredet!« Ein Raunen ging durchs Restaurant, währenddessen ich den »masskadeiihh«, den Muscadet, zu kosten hatte, den der Wirt mir eben präsentierte. Als der Wein probiert war, hatte sich zwei Tische weiter Folgendes herausgestellt: Der elegante Herr im Smoking hieß Charles Maitland und räumte widerstrebend ein, die Tote, wenn auch flüchtig nur, gekannt zu haben. Sie sei bei ihm beschäftigt, sagte er, vielmehr, nach Lage der Dinge: beschäftigt gewesen. Er sei der Inhaber des großen Londoner Hotels, in dem Monsieur Hubert beschäftigt sei, und mit der ganzen Tafelrunde in der Ecke über das Wochenende zu Besuch; neben ihm, im Rollstuhl und in Grau, Mrs. Maitland, seine Gattin, gegenüber eine attraktive Amerikanerin im roten Kostüm, die sich als Jane Rogerson aus Cincinnati vorstellte und mehr mit ihrem Handy und dem Rest der Welt beschäftigt schien als mit ihrer Tischgesellschaft. Sie sei die Agentin des Kochs und augenblicklich landesweit dabei, ihn groß im Fernsehen herauszubringen! Einen Koch mit einer solchen Karriere? Jetzt hatten wir schon vier Verdächtige.

Zum Hauptgang kam der Obduktionsbefund; und während wir den Lachs zerlegten, kamen wir der Wahrheit wieder ein Stück näher: Es war tatsächlich Gift, kein Schuss, dasselbe Gift, das auch in Spuren noch im Käse in der Wäschekammer steckte. Im Übrigen sei die Tote vor nicht langer Zeit durch einen Kaiserschnitt entbunden worden! Ein Aufschrei kam vom Ecktisch, an dem die vier Verdächtigen saßen: »Du Schuft!«, schrie Mrs. Maitland auf und goss ihrem Mann ein Glas Wein ins Gesicht. »Sogar ein Kind hast du mit ihr gehabt, du Klopfer, du – du Rammler!« Sie kramte einen Brief aus ihrem Abendtäschchen, glättete ihn und las, noch immer außer sich, die höchst lebendigen Liebkosungen der toten Annabelle Burton vor: »Dear Thumper – lieber Klopfer!«

Jetzt verlor auch Mr. Maitland seine Contenance. Den Tränen nahe, gab er zu, ein Kind mit Annabelle gehabt zu haben. Wohlgemerkt: gehabt. Das Kind sei nämlich gleich gestorben, und der Mörder sei Hubert, der Koch aus dem französischen Cahors. Und so hörten wir wohl allesamt in einem Ferienhotel auf den Klippen der Isle of Wight zum ersten Mal den lateinischen Namen eines tödlichen Erregers, diesmal mit dem schönsten englischen Akzent: »listeria monocytogenes« – in Rohmilchkäse weit verbreitet, auch in Schalentieren und in geräuchertem Fisch. Mit anderen Worten: die Krönung jeder Haute cuisine. Das schien den meisten einzuleuchten, waren sie doch gute Briten: Wer Froschschenkel und Innereien isst, der schlachtet, wenn es sein muss, wohl auch Säuglinge und junge Mütter! Motiv? Verschmähte Liebe, was denn sonst? Und wer wohl hätte eine bessere Gelegenheit gehabt, den Käse zu vergiften, als der Koch?

Maitland packte Hubert am Kragen und hielt ihm mit der anderen Hand ein silbernes Tablett mit dem letzten Stück vom Camembert hin, das offensichtlich aus der Küche stammte: »Jetzt iss das auf und stirb, du Mörder!«, rief er außer sich – und setzte höhnisch hinzu: »Vielleicht beweist der Käse ja auch deine Unschuld!« Monsieur Hubert sank wimmernd in die Knie, wand sich unter allerlei Beteuerungen, bis ihn Maitland triumphierend von sich stieß, einmal ohne Zögern in den Käse biss und mit der Serviette elegant die Krümel von den Fingerspitzen tupfte.

Wir waren allesamt betroffen, so mittendrin im heftigsten Geschehen. Wer würde wohl mit Käse morden? Niemand, der ansonsten gut bei Kräften war. Ein schrecklicher Verdacht kam in mir auf: Mrs. Maitland! Sie war seit einem Reitunfall vor langer Zeit gelähmt. Annabelle war jünger, hübscher und in jeder Hinsicht wohl beweglicher als sie. Hatte sie sich nicht mit dem zitierten Liebesbrief verraten? Allerdings: Auf diesen einfachen Gedanken wäre sie auch selbst gekommen. Dann hätte sie den Brief gewiss nicht noch herumgezeigt! War das Gift am Ende überhaupt für Annabelle bestimmt gewesen? Der Camembert, das hatte uns Hubert verraten, war seine liebste Vorspeise. Das wusste jeder, der ihn kannte: also diese vier auf jeden Fall.

Uns Übrigen blieb an den Tischen kaum die Zeit, uns über die Dessertauswahl auf dem Servierwagen zu beraten. Zum Kaffee sollten wir den Mörder haben. Noch einmal tat sich etwas in der Ecke: Mrs. Rogerson, die Agentin im roten Kostüm, schob schwankend ihren Stuhl zurück und bat uns alle, diese Störung zu entschuldigen. Ihr sei mit einem Mal so übel, es werde aber wohl gleich besser werden. Dann verschwand sie durch die Flügeltür zum Flur. Nach einer langen Schrecksekunde eilten zwei besorgte Damen hinterher auf die Toilette, und während wir zumindest einen Schrei und eine zweite Leiche zum Dessert erwarteten, kamen alle drei zurück, in der Mitte Jane, lebendig, wenn auch ein wenig verlegen.

Mit dem Kaffee kam noch einmal der Inspektor an den Tisch und teilte rote Zettel aus, auf denen wir den Mörder überführen sollten, mit Namen, Lösungsweg und näherer Begründung. Verdächtig waren alle vier, und alle hätten auch Gelegenheit gehabt, das Gift zu injizieren, genau genommen auch die Tote selbst. Aber niemand mordet ohne ein Motiv! Wie stand es da um Mrs. Anderson? War sie wirklich bloß Agentin, nicht vielleicht Huberts Geliebte? Und kam denn wirklich nur Hubert infrage? Nicht eher noch sein Chef? Mrs. Anderson als Jane, Charles Maitland als ihr Tarzan: Auszudenken war es allemal! War auch sie am Ende schwanger? Das hätte ihren Schwächeanfall leicht erklärt. Aber war das ein Motiv? Wofür? Und auch: für wen?

Oh, heilige Miss Marple, gesegneter Hercule Poirot! Ich strengte meine kleinen grauen Zellen an, denn schließlich konnten es nicht wirklich alle vier gewesen sein. Und siehe da: Mit einem Mal war alles klar! Ich schrieb die Lösung auf das Blatt und sah mit allen anderen den letzten Akt des Dramas: Charles Maitland bat Hubert noch einmal um Verzeihung wegen seines schrecklichen Verdachts. Er holte neue Gläser und entkorkte einen alten Bordeaux zur Versöhnung. Zwei Gläser goss er ein, und als Hubert noch zögernd dastand, ließ Maitland schon die Gläser klingen und trank genussvoll einen ersten Schluck. Nun folgte auch Hubert. Auf diesen Schrecken hatte er doch einen solchen Tropfen wohl verdient! Das Letzte, was er dann noch hörte, war die Wahrheit: Für ihn, Hubert, den Mörder seines Kindes und seinen Rivalen, hatte Maitland den bekannten Käse präpariert, nicht für Annabelle. Das arme dumme Mädchen hatte nur davon genascht. Jetzt war sie tot, nun wollte auch Charles Maitland nicht mehr leben. Aber Rache wollte er – und seine Ruhe! Und mit diesem Schlusswort brachen beide tot zusammen.

Beifall, Schrecken, Jubelrufe! Mancher war wohl nahe dran mit seiner Lösung, mancher war auch völlig überrascht. Aber nur einer konnte der Sieger sein, der Sherlock Holmes für diesen Abend. Der Inspektor bat um Ruhe, alle Zettel in der Hand, dirigierte mit dem Arm die Blicke aller in unsere Ecke und präsentierte meine Lösung: Nur der Mörder hatte wissen können, welcher Käse überhaupt vergiftet war. Hubert war fast vor Angst gestorben, als ihn Maitland von dem letzten Bissen kosten lassen wollte. Also konnte nicht Hubert, und also musste Maitland unser Mörder sein – »voilà pourquoi!«

Viele hatten auf die rätselhafte Mrs. Anderson getippt. Dabei war sie nur ein red herring, wie im Englischen die falsche Fährte heißt, die man bei der Schleppjagd durch die Büsche zieht. Ein Hering im roten Kostüm: Fast hätte man es ahnen können. Das Spiel war aus, und für die Siegerehrung war sogar die Tote wiederauferstanden. Den größten Beifall gab es für die kleinste Rolle: die schöne Annabelle Burton. So reizend wie schon einmal kam sie auf mich zu und gab mir diesmal einen Kuss, eine Urkunde und eine Flasche Champagner. Den Kuss gab ich artig zurück: Gerade ich war ihr das schuldig, dachte ich. Dann besah ich den Champagner. Er kam aus Kalifornien – und sein Name auf dem Flaschenetikett war »Tott«: wie »tot« mit Doppel-T.

Verstimmung, Nervenschwäche und schlechte Verdauung

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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