Letzte Tage in Beirut - Alfred Hackensberger - E-Book

Letzte Tage in Beirut E-Book

Alfred Hackensberger

3,0

Beschreibung

Letzte Tage in Beirut versetzt uns mitten ins Pulverfass des Nahen Ostens. Am 14. Februar 2005 wird Rafik Hariri, Ex-Premierminister und Milliardär, durch eine Autobombe imZentrum Beiruts getötet. Bei dem Attentat sterben 21 Menschen, darunter auch die Frau des deutschen Globus-Korrespondenten im Libanon, Klaus Steinbacher. Steinbacher ist erschüttert und zieht sich ins Gebirge zurück. Dort will er einen alten Freund und Informanten besuchen - der auch ein ehemaliger Kriegsherr aus dem Bürgerkrieg ist. Steinbacher stößt auf große Mengen an Drogen, das Haus ist eine Festung mit Granatwerfern auf dem Dach und bewaffneten Wächtern. Der Journalist wird im selben Nebenhaus einquartiert wie Ismail Zugari Gonzalez, der das Haus auf der Bekaa-Ebene als Basis für seinen Auftrag nutzt, alle am Anschlag auf Hariri Beteiligten verschwinden zu lassen. In diesem kargen Gebirge, in dem nur Familienclans und Waffen zählen, treffen der Journalist und der professionelle Mörder aufeinander… Ein Attentat, viele Fragen: Konnte die Bombe trotz der Störsignale aus dem Autokonvoi ferngezündet werden? Wer ist die anonyme Leiche am Tatort? Wer will die Täter schützen? Angelehnt an die Fakten - und wilde Theorien - zum Attentat auf den ehemaligen Ministerpräsidenten und Unternehmer in Beirut, spinnt Alfred Hackensberger einen packenden Thriller in Nahost.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 181

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
3,0 (16 Bewertungen)
5
3
0
3
5
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



 

ALFRED HACKENSBERGER

LETZTE TAGE IN BEIRUT

THRILLER

Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg

Schützenstraße 49 a · D-22761 Hamburg

www.edition-nautilus.de

Alle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus 2014

Originalveröffentlichung · Erstausgabe Februar 2014

Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg

www.majabechert.de

Druck und Bindung:

Beltz Bad Langensalza

1. Auflage

Print ISBN 978-3-89401-790-3

E-Book EPUB ISBN 978-3-86438-154-6

E-Book PDF ISBN 978-3-86438-155-3

Inhalt

Vorspiel

14. Februar 2005 07.00 Uhr Flughafen Charles de Gaulle Paris

14. Februar 2005 07.20 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

14. Februar 2005 07.25 Uhr Residenz Hariri Beirut

14. Februar 2005 07.30 Uhr Vor der Residenz Hariris Beirut

14. Februar 2005 10.45 Uhr Fabrikhalle an der Schnellstraße nach Bourj Hammoud Beirut

14. Februar 2005 11.00 Uhr Flug Middle East Airline 206, Paris – Beirut 37 834 Fuß über dem Mittelmeer

14. Februar 2005 11.50 Uhr Villa von Ayehi Bara Beirut

14. Februar 2005 12.20 Uhr Beirut

14. Februar 2005 12.35 Uhr In der Nähe der Amerikanischen Universität Beirut

14. Februar 2005 12.50 Uhr Vor dem Hotel Monroe, Ahmad-Chawki-Straße Beirut

14. Februar 2005 12.54 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Stadtteil Hamra, Beirut

14. Februar 2005 13.46 Uhr Nachrichtenagentur Reuters Beirut

14. Februar 2005 14.20 Uhr Middle East Airline, Flug 206, Paris – Beirut

14. Februar 2005 15.30 Uhr Residenz Hariri Beirut

14. Februar 2005 15.51 Uhr Vor dem Gebäude der Vereinten Nationen Beirut

14. Februar 2005 16.28 Uhr Al-Jazeera-Büro Beirut

14. Februar 2005 16.35 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

14. Februar 2005 16.45 Uhr Hotel Le Meridien Commodore Beirut

14. Februar 2005 17.55 Uhr Residenz Hariri Beirut

14. Februar 2005 18.07 Uhr Hotel Le Meridien Commodore Beirut

14. Februar 2005 18.53 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

14. Februar 2005 19.10 Uhr In der Nähe der Arabischen Universität Tarek-el-Shidadi-Straße, 34, 1. Stock, Wohnung C Beirut

14. Februar 2005 19.20 Uhr Hotel Commodore Beirut

14. Februar 2005 19.46 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

14. Februar 2005 20.14 Uhr Hotel Commodore Beirut

14. Februar 2005 20.15 Uhr Hauptgebäude der Nationalen Sicherheit Beirut

14. Februar 2005 20.25 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

14. Februar 2005 22.12 Uhr Palast des Präsidenten Baabda, Beirut

14. Februar 2005 21.50 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

14. Februar 2005 23.25 Uhr Amerikanisches Krankenhaus Beirut

15. Februar 2005 00.30 Uhr Vor dem Hotel St. Stefan Beirut

15. Februar 2005 08.25 Uhr Haus Mohammed Bekaa-Tal

15. Februar 2005 08.55 Uhr Telefongespräch Abu Taleb Nassar – Mohammed Miktari

15. Februar 2005 09.04 Uhr Haus Mohammed Bekaa-Tal

15. Februar 2005 09.47 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

15. Februar 2005 10.21 Uhr Fernsehsender »Zukunft« Aktuelle Nachrichten

15. Februar 2005 10.58 Uhr Amerikanisches Krankenhaus Beirut

15. Februar 2005 14.35 Uhr 12. Stock, Penthouse 2, Mahdi-Gebäude Beirut

15. Februar 2005 17.35 Uhr Amathi-Residenz, Appartement 14 F Beirut

15. Februar 2005 20.30 Uhr Internationaler Flughafen Beirut

15. Februar 2005 21.27 Uhr Telefongespräch Mohammed – Nabil

15. Februar 2005 21.39 Uhr Otman-Straße Beirut

15. Februar 2005 22.13 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

16. Februar 2005 02.44 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

16. Februar 2005 7.35 Uhr Fabrikgelände in der Nähe der Schnellstraße nach Burj Hammoud Beirut

16. Februar 2005 9.50 Uhr St.-Andrews-Kirche Beirut

16. Februar 2005 13.34 Uhr »Zukunft TV« Sondersendung von der Beerdigung Hariris

16. Februar 2005 17.30 Uhr Haret Hreik, Stadtteil unter der Kontrolle der Hisbollah Beirut

16. Februar 2005 18.25 Uhr Stadtzentrum Beirut

16. Februar 2005 22.14 Uhr Amathi-Residenz, Appartement 14 F Beirut

16. Februar 2005 23.30 Uhr Märtyrer-Platz Beirut

17. Februar 2005 00.08 Uhr Penthouse, Grand Hills Hotel & Spa, Metn Mount Libanon

17. Februar 2005 01.25 Uhr Telefongespräch zwischen Sezin Celik und Kahn bin Salah, vom Organisationskomitee der Freien Arabischen Union mit Partner Israel, (FAU-mpI)

17. Februar 2005 02.30 Uhr Mohammeds Erholungszentrum, Bungalow C Bekaa-Tal

17. Februar 2005 09.30 Uhr Penthouse, Grand Hills Hotel & Spa, Metn Mount Libanon

17. Februar 2005 11.30 Uhr Haus von Mohammed Bekaa-Tal

17. Februar 2005 12.11 Uhr Telefongespräch Mohammed – Nabil

17. Februar 2005 13.35 Uhr In der Nähe des Märtyrer-Platzes Beirut

17. Februar 2005 13.41 Uhr Schnellimbiss, Burj Hammoud Beirut

17. Februar 2005 13.55 Uhr Grand Hills Hotel Spa Metn Mount Libanon

17. Februar 2005 18.52 Uhr Appartement, Sin el-Fin Beirut

18. Februar 2005 01.20 Uhr Mohammeds Erholungszentrum, Bungalow B Bekaa-Tal

18. Februar 2005 10.03 Uhr Telefongespräch Steinbacher – Olaf

18. Februar 2005 11.30 Uhr Penthouse, Grand Hills Hotel & Spa, Metn Mount Libanon

18. Februar 2005 16.21 Uhr Appartement, Sin el-Fin Beirut

18. Februar 2005 18.00 Uhr Stadtzentrum Beirut

18. Februar 2005 21.16 Uhr Mehdi-Allee 122 Haret Hreik Beirut

18. Februar 2005 23.38 Uhr Werkstatt Furn al Chebak Beirut

19. Februar 2005 02.32 Uhr Mohammeds Haus Bekaa-Tal

19. Februar 2005 12.27 Uhr Mohammeds Erholungszentrum Bekaa-Tal

19. Februar 2005 12.35 Uhr Gathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement A Beirut

19. Februar 2005 14.17 Uhr In der Nähe des Golfclubs auf dem Weg zum Internationalen Flughafen Beirut

19. Februar 2005 19.03 Uhr Grand Hills Hotel, Konferenzzimmer II, Metn Mount Libanon

Nachtrag

Nachwort

Wer am Valentinstag jemanden mit 2500 Kilogramm Sprengstoff in die Luft jagt, soll man den einen Spaßvogel oder einen Zyniker nennen?

VorspielOktober 2004Yakamoto-EinkaufszentrumSagamihara, Japan

Ideal, sagt Jun, als er den Mitsubishi Canter Van, Baujahr 2002, auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums Yakamoto sichtet. Unauffällig, ohne Extras, lautet die Bestellung seines Chefs. Es dauert keine fünf Minuten, bis der Kleintransporter geöffnet und kurzgeschlossen ist. Zufrieden fährt Jun auf die Schnellstraße in die Nacht hinaus.

Drei Tage später ist der Kleintransporter mit neuen Papieren auf dem Containerschiff Cassandra Express Richtung Vereinigte Emirate unterwegs. Von dort geht es weiter in den Libanon. Einen Monat lang steht der Mitsubishi Canter Van im Autohaus Karami in Tripoli. Am Donnerstag, dem 30. Dezember, betritt ein schlanker junger Mann das Geschäft, der dem Verkäufer wegen seiner blauen stechenden Augen in Erinnerungen bleibt. Ohne zu handeln kauft der Kunde den Mitsubishi für 8500 Dollar und bezahlt in bar.

Ausdehnung heißer Gase

Startgeschwindigkeit: 8750 Meter pro Sekunde.

Resultat: 2,6 auf der Richterskala.

Begleiterscheinungen: fliegende Asphaltbrocken, Metallteile und Glassplitter, geplatzte Trommelfelle, zerrissene Lungen, verbrannte Körper, Schädeltraumata, Schockzustände, abgerissene Arme und Beine.

Was bleibt: Schutt und Matsch aus Dreck, Blut, Wasser. Dazwischen: ein Moment, in dem sich das Stöhnen der Verletzten, die Hilfeschreie der Überlebenden, die sich blutüberströmt auf den Beinen halten, mit den ersten Rufen der Heraneilenden mischen. Das Zischen des Wassers aus geborstenen Leitungen und die verzweifelten Laute des Entsetzens.

Grundsätzliches: Der Hauptzweck einer Bombe ist, möglichst schnell großen Schaden zuzufügen. Wie man das erreicht, mag von Bombentyp zu Bombentyp verschieden sein, aber prinzipiell ist der Funktionsmechanismus gleich. Die Energie wird von der Bombe auf das Zielobjekt übertragen. Diese Energie ist in chemischen Sprengstoffen, einem relativ kleinen Medium, gespeichert und wird bei der Explosion freigesetzt. Spürbar wird sie erst bei einer schlagartigen Ausdehnung von heißen Gasen, die eine Druckwelle erzeugen und Teile mit hoher Geschwindigkeit herumschleudern. Chemische Reaktionen zeichnen sich durch extreme Geschwindigkeit aus, ohne die es keine wahrnehmbaren Ergebnisse geben würde. Chemische Reaktionen müssen unmittelbar im Anschluss an den enormen Energieausstoß fähig sein, diese Energie in kinetische umzuwandeln. Ohne die Produktion sich ausdehnender Gase verbleibt die Energie einfach als Hitze in den Stoffen.

Aus den Notizen Klaus Steinbachers

Schuld hatte die durchsichtige Designer-Taft-Bluse meiner Textchefin vor über zwanzig Jahren. Besser gesagt, was unter dem transparenten Stoff gut sichtbar lag, bei jeder Bewegung am rauen Taft rieb und den Beruf des Journalisten unwiderstehlich zu machen schien.

So absurd es auch sein mag, im Nachhinein glaubt man immer, einen Anfang gefunden zu haben. Als gäbe es eine Logik, die hinter allem liege. Und mit den immer gleichen Fragen glaubt man, diese Logik zu entschlüsseln, zu durchbrechen und damit irgendwie reversibel zu machen.

Was hätte man anderes tun können? Wie und wann anders entscheiden, in eine andere Richtung gehen sollen? Warum, um Himmels willen, hat man nur das getan, was man getan hat, und nichts anderes?

Es ist ein melancholisches Nachdenken, bei dem man an sich selbst zweifelt und Schuldgefühle hat. Gerade wenn, wie in meinem Fall, das Schreckliche Gestalt angenommen hat und alles zu spät kommt. Wenn das, was einem so wichtig war, von einem Moment auf den anderen nicht mehr da ist. All das, was zum ersten und einzigen Mal im Leben Glück und Zufriedenheit gebracht hat. Es läutet das Telefon, und nach wenigen Worten ist es plötzlich vorbei. Ein Nichts tut sich auf, das man nie für möglich gehalten hat. Schon gar nicht den Schmerz, der einen innen, von der Mitte heraus, wie ein Schwelbrand erfasst.

14. Februar 200507.00 UhrFlughafen Charles de GaulleParis

Zwei Stunden vor Abflug des Middle East Airline Flugs ME 206 nach Beirut stellt sich François Pelligrande in die Warteschlange am Check-in-Schalter im Terminal 2. Am Tag zuvor war er mit British Airways 0316 aus London mit zwanzigminütiger Verspätung um 17.50 in Paris gelandet. Auf der Passagierliste stand ein britischer Staatsbürger mit dem Namen David Gary Rindford. Er übernachtete im Sheraton Airport Hotel, in dem ein Einzelzimmer in der Clubetage im vierten Stockwerk auf seinen richtigen Namen, Ismail Zugari Gonzalez, gebucht war. In diesem Hotel steigt er ab, wenn er von Paris aus, gerade frühmorgens, weiterreist. Es befindet sich direkt im Flughafenterminal 2, und er kann zu Fuß zum Check-in-Schalter gehen. Zwei Stockwerke tiefer eine Bahnstation, von der man in 35 Minuten zum Gare du Nord fährt. Mit dem TGV ist jede größere französische Stadt innerhalb weniger Stunden erreichbar. Nach Brüssel fährt man eineinhalb, nach Amsterdam knapp vier Stunden.

Nach der Dusche hatte er im Bett Nachrichten auf BBC und Al Jazeera gesehen. Nebenbei mit seiner Frau SMS hin- und hergeschickt, schließlich ist Valentinstag.

+34612498099 14. Februar 2005 06:01 Uhr

Großer Kuss, Liebling, zum Valentin! Du schläfst bestimmt noch. Kinder auch. Frühstück im Bett. Muss gleich los. Wetter kalt, Regen. Grauenvoll. Melde mich aus Beirut.

Bis dann I.

+34662423568 14. Februar 2005 06:02 Uhr

Danke. Kuss zurück. Ich u. Kinder im Bett. Noch dunkel. Wetter warm. Gute Reise! Schlafe wieder. Liebe dich! Pass auf dich auf! Alicia

Das Frühstück war pünktlich aufs Zimmer gekommen. Doppelter Espresso, ein Kännchen mit kalter Milch, warmes französisches Weißbrot, italienische Salami, frische Ananas aus Honduras, weich gekochtes Öko-Ei und frisch gepresster Orangensaft. Draußen war es noch dunkel und das Wetter so, wie es der Wetterbericht vorhergesagt hatte. Heftige Regenschauer mit Graupel, starke Windböen, die Temperatur bei 1 Grad unter null. Ismail kann Kälte nicht ausstehen. Er lebt deshalb auf den Kanarischen Inseln. Das ganze Jahr Shorts und T-Shirt.

Der Weg vom Hotel Sheraton zu Gate F war wie immer um diese frühe Uhrzeit trostlos. Die Rollos der Geschäfte, Bars und Restaurants geschlossen, nur in den Zeitungsständen brannte Licht. Auf den Laufbändern Reisende wie Statuen. Am Rand Putzfrauen, die Böden reinigten, Mülltüten entsorgten und durch neue ersetzten. Wortlose, abwesende Geister, die wie mit magischen Gerätschaften hantierten. In Beirut soll das Wetter angenehm sein, hatte er sich sagen lassen. Nachdem im Januar in den Bergen viel Schnee gefallen und eine Eiseskälte bis an die Küste nach Beirut hinabgestiegen war. Aber jetzt Sonne und blauer Himmel, 20 Grad.

Er muss dabei gelächelt haben, denn die Frau vor ihm in der Schlange lächelt zurück, mit ihren viel zu großen, braun umrandeten Lippen. Sie wirft ein Ende ihres dunkelgrünen Schals um die Schulter, als warte sie darauf, dass er sie anspricht.

Fünfzehn Minuten später legt Ismail seinen Pass auf den Schalter. Er hat ein offenes Ticket und die Ausreise soll über Damaskus erfolgen. Mit dem Kleinbus von der Busstation Charles Helou wie ein Tourist, der einen Ausflug in die syrische Hauptstadt macht, um die Umayaden-Moschee und den Altstadt-Souk zu sehen.

– Sie haben nur Handgepäck. Warum haben Sie nicht online eingecheckt, dann hätten Sie sich die Warterei sparen können?

– Ich weiß es nicht. Ich glaube, in manchen Dingen bin ich ein altmodischer Mensch.

Die uniformierte Frau lacht, als habe er einen tiefgründigen Witz gemacht. Sie klebt ein gelbes Hand-Luggage-Schild um den Haltegriff seines Plastikkoffers.

– Wo wollen Sie sitzen? Fenster, Gang, Mittelplatz?

– Bitte am Fenster. Ich sehe gerne, wohin ich fliege.

Die Boeing 777 ist nur etwas über die Hälfte besetzt. Ismail ist erleichtert, es wird ein angenehmer Flug. Er sitzt alleine in Reihe 16 am Fenster. Beim Start lehnt er sich zurück, schließt die Augen, genießt den Schub, der die Maschine in die Luft bringt. Von Paris ist bei dem Regenwetter nicht viel zu sehen. Sehr schnell geht es in die Wolken. Ein grauer Schleier vor dem Fenster.

14. Februar 200507.20 UhrGathani-Gebäude, 5. Stock, Appartement ABeirut

Klaus Steinbacher, Korrespondent des Globos, kann nicht mehr schlafen. Mit einer Tasse Kaffee sitzt er am Schreibtisch und schaltet den Laptop ein. Auf der Startseite neben den Agenturmeldungen das Wetter von Tanger: bewölkt, 15 Grad, Regen.

Wenigstens wegen des Wetters hat es sich gelohnt, sagt er sich mit dem Blick aus dem Fenster: strahlend blauer Himmel und Sonne in Beirut. Ansonsten können sich Steinbacher und seine Frau nur schwer an das Leben in der libanesischen Hauptstadt gewöhnen. Nach eineinhalb Jahren ist der Reiz des Neuen vorbei. Am liebsten würden sie wieder zurückgehen in ihre marokkanische Idylle. Aber ein Posten als Korrespondent wird einem nicht alle Tage angeboten. Schon gar nicht mit 45 Jahren. Seine Frau hat ebenfalls einen Job gefunden als Bibliothekarin. Finanziell sind sie abgesichert. Zum ersten Mal seit vielen Jahren. Trotzdem bleibt das Heimweh nach Tanger, der Stadt, in der sie sich kennengelernt haben. Der weißen Stadt an der Meerenge von Gibraltar.

Bevor ich trübselig werde, sagt sich Steinbacher, gehe ich lieber an die Arbeit. Er liest Nachrichten im Internet und überlegt Themen, die er der Redaktion anbieten könnte. Im Irak wurden gestern die Ergebnisse der Wahlen bekanntgegeben. Die schiitischen Kandidaten, abgesegnet von Großayatollah al-Sistani, bekamen insgesamt 48 Prozent der Stimmen, gefolgt von einer Kurdischen Allianz mit 26 Prozent. Israel will morgen die Leichen von 15 palästinensischen Kämpfern als Zeichen des guten Willens in den Gaza-Streifen zurückschicken. Nichts Weltbewegendes in seiner Region. Steinbacher bleibt stattdessen in Deutschland beim 60-jährigen Jubiläum der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg hängen. 3000 Neonazis waren gestern durch die ostdeutsche Stadt marschiert. Eine der größten Demonstrationen der extremen Rechten seit Ende des Kriegs, liest der Journalist. Bei der offiziellen Zeremonie wurden Kränze an der Gedenkstätte für die 20 000 Opfer niedergelegt. Die Neonazis verteilten Luftballons mit der Aufschrift: Bombenterror der Alliierten – damals wie heute. Hiroshima, Nagasaki, Dresden und heute Bagdad. Die Polizei verhinderte mit Wasserwerfern einen Zusammenstoß von Rechtsextremen mit antifaschistischen Gegendemonstranten.

Durch die offene Balkontür von Steinbachs Arbeitszimmer dröhnt das laute Gehupe der Taxis bis zu ihm in den fünften Stock. Er stöhnt genervt und schließt die gläserne Schiebetür.

Aus den Notizen Klaus Steinbachers

Nun sitze ich hier, 4000 Kilometer weiter. Vor dem Fenster das Neongrün der Moschee und das rote Plastikkreuz einer Kirche. Am Himmel Flugzeuge im Landeanflug. Zwei Minuten von hier sind die teuren Strandbäder, neben denen die Abwasserrohre ins Meer gehen. Mädchen trainieren im Fitnessstudio für das ewig junge Leben, mit operierten Nasen, Silikonbrüsten und falschem Pferdeschwanz. Die Araber wollen hier keine Araber sein, nennen sich Phönizier und sind für Familie, Gott und Vaterland. Ach, Beirut mag früher eine Perle des Ostens gewesen sein, heute ist es schrecklich verbaut, verschmutzt und ekelhaft westlich verlumpt. Richtig wehmütig wird es einem da wieder einmal, ganz schwer ums Herz. So sentimental und schon wünscht man sich zurück …

14. Februar 200507.25 UhrResidenz HaririBeirut

Rafik Hariri ist bereits wach, als Fouad an die Tür klopft. Mit einem Knopfdruck auf die Fernbedienung öffnen sich die Vorhänge. Blauer Himmel und Sonne, der Wetterbericht sagt 22 Grad voraus. Von unten melden sich die Vögel, die in ihren Volieren im Garten gefüttert werden. Sie pfeifen, als hätten das Leben und die ganze Welt erst heute Morgen begonnen, denkt sich Fouad. Unschuldige Geschöpfe, die von all dem, worüber wir uns den Kopf zerbrechen, nichts wissen.

Das Vogelgezwitscher wird plötzlich vom Lärm zweier Kampfflugzeuge übertönt. Israelische Jets über Beirut.

Fouad reckt den Kopf aus dem Fenster und nickt zufrieden. Die Flugzeuge durchbrechen ausnahmsweise nicht mit einem dröhnenden Donner die Schallmauer.

Hariris Diener und persönlicher Sekretär geht nebenan ins Frühstückszimmer und überprüft das Arrangement: Labneh, libanesischer Joghurt mit Olivenöl, kleine Salattomaten, in Streifen geschnittene Gurken, fünf Toastbrotscheiben in ein weißes Tuch gehüllt, damit sie warm bleiben, dazu der unverzichtbare doppelte Espresso in einem Kännchen, ohne Milch, aber mit Zucker auf einer Warmhalteplatte mit Kerze. Und ein frisch gepresster Orangensaft. Wie immer alles bestens.

Nach der Dusche sitzt Hariri im Morgenmantel allein beim Frühstück. Seine beiden Söhne sind geschäftlich in Saudi-Arabien. Seine Frau in Paris. Ein paar Tage Tapetenwechsel, wie sie sagte. Er hat ihr langstielige dunkelrote Valentins-Rosen schicken lassen.

Fouad steht im begehbaren Kleiderschrank und sucht aus den 123 Anzügen, sechs Smokings und fünf Fracks etwas Passendes für diesen Tag. Er wählt einen dunkelblauen Anzug, zweireihig, weißes Hemd mit Kentkragen und Umschlagmanschette. Das wirkt für die heute anstehende Parlamentssitzung etwas formeller, obwohl der Chef die Kombination nicht so gerne hat. Dazu einen weißblauen Schlips.

Als es im siebten Stock an der Tür klingelt, sind es die Zeitungen von heute. Fouad bringt sie ins Frühstückszimmer.

Hariri liest die Titelseiten und beginnt zu lachen.

Olivenölskandal – Hariri hat Wähler mit Öl bestochen – Mitarbeiter seiner Firma verhaftet.

– Fouad, man will mich kompromittieren. Man hat es auf mich abgesehen. Diese Ölgeschichte ist nur eine kleine Kampagne, eigentlich eine Bagatelle. Aber es wird mehr kommen, da bin ich mir sicher.

Hariri will einen Schluck Kaffee nehmen. Die Tasse ist leer. Fouad schenkt nach und füllt auch das Glas mit Orangensaft.

Hariri ist seltsam besorgt. Das kennt Fouad von seinem Chef nicht. Der mehrfache Milliardär ist der mächtigste Mann im Libanon. Ohne seine Firmen und Investitionen würde die Wirtschaft des Landes zusammenbrechen. Mit seinem Medienimperium aus Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsendern hat er Einfluss auf die öffentliche Meinung. Der französische Präsident und der König von Saudi-Arabien gehören zu seinen besten Freunden. Und an Verleumdungen sollte Hariri gewöhnt sein. Seit Jahren wird er der Korruption in Politik und Wirtschaft bezichtigt. Der Skandal um Solidiere hängt ihm bis heute nach. Am Ende des Bürgerkriegs soll er Gebäude, die im Stadtzentrum Beiruts noch standen, bombardiert haben lassen. So konnte er sie billig aufkaufen und für den Wiederaufbau Subventionen kassieren. Seine Firma kaufte über die Jahre alle Häuser und Grundstücke – bis auf das St. Stefan Hotel und den dazugehörigen Yacht-Club. Deren Besitzer konnte weder mit Geld, Drohungen noch Gerichtsklagen dazu bewegt werden, seinen Besitz aufzugeben. An einer seiner Häuserfassaden hängt ein riesiges Transparent mit der Aufschrift: Stoppt Solidiere! Bei diesem Gedanken überkommt Hariri miese Laune. Heute übertüncht sie seine Unsicherheit.

– Dieser Bastard Al Yrouki. Der kann es nicht lassen. Um nichts in der Welt wollte er mir sein verfluchtes Anwesen verkaufen. Sogar seinen Zugang zum Meer habe ich ihm genommen. Dieser Kerl stellt sich gegen die Zukunft. Was ich aus diesem Grundstück gemacht hätte. Stadtmitte, direkt an der Corniche. Eine Attraktion für die Hauptstadt!

– Und eine Goldgrube.

– Natürlich, Fouad! Was für eine Goldgrube! Aus reiner Menschenliebe kaufe ich nichts! Aber nun so etwas. Ein Transparent gegen mich persönlich! Den kriege ich noch. Unser Solidiere beschmutzen wollen!

14. Februar 200507.30 UhrVor der Residenz HaririsBeirut

Vor dem Haus drehen die Bomben-Spürhunde ihre erste Runde. Drei Schäferhunde und zwei Weimaraner, in Berlin ausgebildet.

Man braucht ein gutes Verhältnis zum Tier, behauptet Mounir, der Leiter der Hundestaffel, um gute Arbeit und solide Sicherheit zu liefern. Dreimal, manchmal auch viermal am Tag wird im Umkreis von 300 Metern der Residenz jedes geparkte Fahrzeug untersucht. Jeder Hundeführer hat eine Begleitperson, ausgerüstet mit Detektoren für Metall und chemischen Sprengstoff. Dazu Decoder und Werkzeuge, um einen Wagen im Notfall öffnen zu können. In den schwarzen Ledergürteln tragen die Sicherheitsleute Schlagstock, Pfefferspray und natürlich Handschellen. Im Halfter eine Pistole, Marke Glock 22, mit 15-Schuss-Magazin. Schusstraining ist einmal die Woche. Bereit stehen auch AK 47, die bewährte Kalaschnikow, Schnellfeuergewehre M4, M16, mit und ohne Granatenwerferaufsatz, dazu Tränengas- und Blitzgranaten.

Heute zählt Mounir insgesamt 18 PKW, dazu einen Kleintransporter.

– Alles alte Bekannte. Unsere Nachbarn. Aber trotzdem, jedes einzelne Fahrzeug wird so geprüft, als hätten wir es nie gesehen. Ahmed und Adil gehen zuerst …

Der Rest des Satzes wird vom Donner eines Kampfflugzeuges unterbrochen, das die Schallmauer durchbricht. Mounir wartet, bis der Lärm abgeklungen ist, mit den Händen in den Hüften, den Blick in den blauen Himmel.

– Verdammt schönes Wetter heute. Sie können es nicht lassen, aber diese miesen Kerle bringen uns nicht durcheinander.

– Sie fotografieren uns, sagt Ahmed lachend, weil wir so hübsch sind. Er fährt sich affektiert durch seine kurzen Haare.

Alle lachen.

– Spaß vorbei, meine Freunde. Ahmed, ab mit Adil zum oberen Teil der Straße. Mohammed und Issam, ihr nach unten. Ich werde die Gehsteige und Hauseingänge mit Bellissimo absuchen. Habe ich etwas vergessen? Issam?

– Unter den Wagen sehen, ob da ein Teil dran ist, das da nicht hingehört, und die Räder abklopfen.

– Habt ihr das alle mitbekommen, ihr Schläfer?! Und nun ab!

Heute sind die Hunde unruhig, gefunden wird jedoch nichts.

– Das warme Wetter, meint Mounir auf dem Weg in die Einsatzräume. Aber vielleicht hören die sensiblen Vierbeiner auch das feine Brummen des Vierzylinder-Viertakt-Motors mit Turbolader. Eine Drohne kreist oben am Himmel als unsichtbarer Punkt und sendet ihre Kamerabilder von der Residenz, den Männern mit Hunden und Straßen der Umgebung in Sekundenbruchteilen verschlüsselt weiter.