Der Tod als Waffe - Alfred Hackensberger - E-Book

Der Tod als Waffe E-Book

Alfred Hackensberger

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Beschreibung

Alfred Hackensberger über die Frage, was Flüchtlinge dazu bringt, ihr ganzes Leben - oftmals mit Arbeit, Familie und Haus - zurückzulassen. Es sind Träume und Visionen von einem besseren Leben: Sie träumen vom Norden als Ort der unbeschränkten Möglichkeiten, der Disziplin verlangt, jedoch Stabilität und Wohlstand garantiert. Auswanderung als ein Akt der Revolte von Menschen, die die gleiche Freizügigkeit genießen wollen, wie Europäer es tun.

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Seitenzahl: 25

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Alfred Hackensberger Der Tod als Waffe

Flüchtlinge und ihre Träume

Jeden Tag fahre ich an ihnen vorbei: auf dem Weg zur Schule, zum Einkaufen, in die Stadt oder zum Strand. Bei jeder roten Ampel klopfen sie an meine Fensterscheibe. Junge Männer, die mit leidender Miene die Hand an den Mund führen und sagen, sie haben Hunger. Junge Mütter deuten auf ihre am Rücken festgeschnallten Babys und sagen, sie brauchen Milch. Es sind Menschen aus Nigeria, Kamerun, Mali oder aus dem Tschad, aber auch aus Syrien und Pakistan, die sich zum Heer der professionellen Bettler gesellen, die in Tanger zum Straßenbild gehören. Die meisten Flüchtlinge geben offen zu, sie wollten von der marokkanischen Hafenstadt aus nach Spanien. Die wenigen, die behaupten, in Marokko Arbeit zu suchen, haben Angst. Das ist verständlich, denn ihr Trip, den sie über die Meerenge von Gibraltar vorhaben, ist illegal, und sie befürchten Probleme mit der Polizei. Die behandelt sie in der Regel wenig zimperlich und kann sie völlig überraschend nach Rabat, Casablanca oder Marrakesch verfrachten. Aber Ausreden ergeben in Tanger wenig Sinn. Sie werden nur mit einem müden Lächeln quittiert. Jeder weiß, wozu die Fremden gekommen sind.

Die marokkanische Millionenstadt am Mittelmeer, an der äußersten Nordspitze des afrikanischen Kontinents, gilt seit über 20 Jahren als Sprungbrett für Migranten nach Europa. Es ist die beständigste Route. Momentan ist sie jedoch in Vergessenheit geraten. Im Brennpunkt steht zurzeit Libyen, von dem aus Tausende von Flüchtlingen nach Italien in See stechen und dabei Hunderte von ihnen ihr Leben lassen. Wie lange Libyen allerdings noch Transitland bleibt, hängt vom Verlauf des Bürgerkriegs ab. In jedem Fall ist es nur ein temporäres Schlupfloch, so wie das vorher Mauretanien oder der Senegal waren. Auf Druck Europas machen die lokalen Sicherheitsbehörden irgendwann dicht, und die Flüchtlingsströme sickern aus.

In Tanger ist es anders. Denn von hier aus sind es nicht Hunderte Seemeilen, sondern nur 14 Kilometer, die Afrika vom europäischen Kontinent trennen. Marokkos Polizei und Militär verhindern zwar das Auslaufen von Flüchtlingsbooten nahezu vollständig. Aber die kurze Strecke scheint so verlockend, dass nonstop Flüchtlinge anreisen – egal wie groß oder klein die Chancen sind, auf die andere Seite des Mittelmeers zu gelangen. Laut Registrierung des katholischen Hilfswerks Caritas in Tanger sollen es rund 20 000 Menschen sein, die den Norden Marokkos belagern und auf ihre europäische Chance warten. Wahrscheinlich sind es mehr, denn nicht alle sind bei der Caritas gemeldet. Und für die Bewohner von Tanger, einschließlich mir, scheinen es so viele zu sein wie nie zuvor. Vor zehn oder 15 Jahren wohnten sie in billigen Pensionen in der Altstadt, und es gab einige Camps außerhalb der Stadt. Heute müssen sie auf die Vorstädte von Tanger ausweichen, und dort gibt es unzählige Lager im Freien. Mit ein Grund für den Anstieg: Der Weg über Tanger ist die weitaus weniger gefährliche Route. Libyen ist Bürgerkriegsland, und von dort auf wackeligen, überfüllten Booten das gesamte Mittelmeer zu überqueren, grenzt beinahe an Selbstmord.

Traum vom Paradies