Letzter Fasching - Herbert Dutzler - E-Book + Hörbuch

Letzter Fasching Hörbuch

Herbert Dutzler

4,8

Beschreibung

Mörderisches Maskentreiben im Ausseerland: Gasperlmaier ermittelt inkognito! Ausnahmezustand im Ausseerland: die "Maschkera" sind los! Der alljährliche Faschingsumzug in Bad Aussee steht vor der Tür und alle sind voller Vorfreude. Doch die freudige Stimmung in der Kurstadt ist getrübt: Eine Morddrohung, die im Ausseer Faschingskomitee eingelangt ist, sorgt für Besorgnis unter den Faschingswütigen. Ein Trommelweib soll mit dem Leben büßen! Um einem möglichen Anschlag vorzubeugen, wird Inspektor Franz Gasperlmaier zur verdeckten Ermittlung eingeteilt. Er soll, getarnt als eines der traditionellen Trommelweiber, unerkannt beim Umzug mitmarschieren. Doch aller Vorsicht zum Trotz enden die Faschingsfeierlichkeiten bereits kurz nach Beginn - mit einem grausamen Mord! Der Koch eines renommierten Bio-Hotels aus der Umgebung wird erstochen aufgefunden. Bald schon stellt sich heraus, dass das Mordopfer in krumme Geschäfte und dubiose Machenschaften verwickelt war. Die Liste der Tatverdächtigen scheint immer länger zu werden ... Der sechste Fall des beliebten Dorfinspektors Franz Gasperlmaier Heiß ersehnt, lang erwartet: Auch der neueste Fall des sympathischen Inspektors Franz Gasperlmaier bietet alles, was das Krimiherz begehrt: eine mächtige Portion Spannung, ein liebenswürdiger Ermittler, der mit dörflicher Gemütlichkeit und einer gehörigen Prise Humor die Mörder quer durch das schöne Ausserland jagt!

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Zeit:14 Std. 7 min

Sprecher:Florian Eisner

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Herbert Dutzler

Letzter Fasching

Ein Altaussee-Krimi

Inhaltsverzeichnis
Cover
Titel
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Danksagung
Herbert Dutzler
Zum Autor
Impressum
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1

Auf diese Zusammenkunft hätte Gasperlmaier gern verzichten können. Obwohl die Frau Doktor dabei war, die er nun schon seit mehr als einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Die orangeroten Strähnen waren aus ihrem Haar verschwunden, und es war kürzer geschnitten, mit so einem sanften Schwung nach innen am unteren Ende. Die Frisur stand ihr gut, soweit er das beurteilen konnte. Obwohl sie auch heute wieder das nicht ganz weiße Kostüm trug, in dem er sie – wie lange war das jetzt her? – zum ersten Mal gesehen hatte, fand er, dass sie ein wenig fülliger geworden war. Man konnte es daran erkennen, dass die Bluse über der Brust etwas spannte, zwischen den Knöpfen wurde der Stoff ein wenig auseinandergezogen. Es war ja auch kein Wunder, wenn man nach der Geburt eines Kindes oben herum ein bisschen zulegte. Pro Kind eine Körbchengröße mehr, hatte seine Christine gemeint.

Im Polizeiposten in Altaussee hatte man sich am Faschingssonntag nach dem Frühschoppen zusammengesetzt, um zu beratschlagen, wie man mit der Drohung verfahren solle, die der Weissensteiner Wilfried, das Obertrommelweib der Ausseer Bürgertrommelweiber, gestern zugestellt bekommen hatte. Einer weniger, so stand es darin zu lesen, würde zurückkehren, wenn die Ausseer Trommelweiber am Faschingsmontag ausrückten.

„EINER WENIGER WERDET IHR SEIN, WENN IHR AM MONTAG ZURÜKKOMMT. EINER MUSS STERBEN. DAS GOTTLOSE SPECKTAKEL MUSS EIN ENDE HABEN. HALTET EINKEHR.“

So stand es, orthografisch freilich nicht ganz einwandfrei, in aus der Schillingzeitung ausgeschnittenen Lettern auf dem Zettel, den der Kahlß Friedrich gleich in eine Plastikfolie hineingesteckt hatte, nachdem ihm der Wilfried den Zettel gebracht hatte. Der war – ohne Kuvert oder Absender – am Samstag plötzlich in seinem Postkasten aufgetaucht. Mitten in der Samstagszeitung war er gesteckt.

Der Kahlß Friedrich war Gasperlmaiers ehemaliger Postenkommandant, seit mehr als einem Jahr schon in Pension. Dennoch mischte er sich immer noch gerne in Ermittlungen ein, die eigentlich Gasperlmaier führte, der dieses ehrenvolle Amt vom Friedrich übernommen hatte. Der Wilfried war mit dem Zettel nicht etwa auf den Polizeiposten in Bad Aussee, sondern direkt zum Kahlß Friedrich gegangen, der praktisch sein Nachbar war. Der eine gehörte noch zu Bad Aussee, der Friedrich, der zwei Häuser weiter traunaufwärts wohnte, bereits zur Gemeinde Altaussee.

Gasperlmaier blickte aus dem Fenster. Draußen stoben die Schneeflocken waagrecht vorbei. Für den Fasching, der vor allem in Bad Aussee mit großer Begeisterung und Hingabe gefeiert wurde, musste man diesmal mit Wetter rechnen, das zwar der Jahreszeit angemessen, dem Faschingstreiben aber nicht gerade dienlich war. Er selber hatte für das ganze Verkleidungstheater, das man hier im Ausseerland als „Maschkera“ bezeichnete, wenig übrig, er fand mit den Uniformen der Polizei und der freiwilligen Feuerwehr sowie seiner Tracht mit Lederhose und Janker das Auslangen. Am allerwenigsten konnte er es leiden, wenn man sich zu allem Überfluss noch Farbe ins Gesicht schmieren musste.

„Wir lassen uns doch von den Terroristen den Fasching nicht kaputt machen!“, rief der Wilfried und klatschte mit der flachen Hand auf den Schreibtisch von Gasperlmaier, sodass der aus seinen Gedanken hochfuhr. „Wir brauchen Polizeischutz! Und die Ausseer haben keine Zeit für uns, die haben mit den Straßensperren schon genug zu tun. Außerdem ist der Grill Peter, der Ausseer Postenkommandant, im Krankenstand. Der hat sich den Fuß verstaucht, gestern, beim Faschingsrodelrennen.“ Gasperlmaier seufzte. Die Trommel­weiber waren eine uralte Faschingstradition in Bad Aussee. Jeden Faschingsmontag zogen Männer als Frauen verkleidet mit Blasmusik und Trommelgedröhn durch den Ort, machten vor jedem Geschäft Halt, um den angebotenen Schnaps zu trinken, und vor jedem Wirtshaus, um dem gespendeten Bier zuzusprechen. Die Männer trugen dabei Masken vor dem Gesicht und weiße Frauenkleidung, eine Jacke, einen Unterrock und ein Spitzen­häubchen.

Und mit der Besetzung der Polizeiposten war es im Ausseerland überhaupt ein Riesenproblem im Fasching. Schon Jahre im Voraus versuchten die Kolleginnen und Kollegen, sich für die berühmten heiligen drei Faschingstage Sonntag, Montag und Dienstag freizunehmen. Da hatte er noch Glück, dass er selber kein Maschkera sein wollte und die Manuela, seine Kollegin auf dem Posten in Altaussee, nicht aus der Gegend stammte und mit dem Fasching sowieso nicht viel anfangen konnte. Nur mehr bis morgen hatten sie Zeit, sich zu überlegen, wie man die Sicherheit des Umzugs der Trommelweiber gewährleisten konnte. Wieder einmal ein Sonntag, an dem er statt die Skier anzuschnallen in die Uniform hatte schlüpfen müssen.

Die Frau Doktor setzte sich ihm gegenüber hin und schlug die Beine übereinander. Ihre Schuhe waren weder für das Wetter noch die Beschaffenheit der Wege in Altaussee geeignet. Halbschuhe mit hohen Absätzen, in hellbraun diesmal. Aber, so sagte sich Gasperlmaier, einen Tatort gab es diesmal ja nicht zu besichtigen. Man hatte die Chefinspektorin, die im fernen Liezen ihren Dienst tat, für diese Krisensitzung extra herbeibeordert. „Dass es sich um Terroristen handelt, glaube ich nicht“, meinte sie und nahm den Zettel noch einmal zur Hand, um ihn genauer zu studieren. „Ehrlich gesagt, glaube ich an einen dummen Scherz, von jemandem, der etwas gegen den Fasching oder die Trommelfrauen hat.“ „Trommelweiber! Weiber, bitte!“, korrigierte der Wilfried, wobei er belehrend den Zeigefinger hob. Die Frau Doktor zog die Augenbrauen hoch. „Ist ja schon gut. Trommelweiber, natürlich.“

Der Wilfried war erst seit zwei Jahren das Obertrommelweib der Bürgertrommelweiber in Bad Aussee. Das ganze übrige Jahr leitete er ein Hotel, das er vor einem halben Jahr endlich von seinem über achtzigjährigen Vater geerbt hatte. Obwohl der Wilfried schon seit mehr als zwei Jahrzehnten die Geschäfte geführt hatte, hatte der Alte sich standhaft geweigert, ihm das Haus auch zu überschreiben, solange er noch lebte. Und so war das Erbe erst an den Wilfried übergegangen, als der Alte bei der Apfelernte von der Leiter gefallen war, sich den Oberschenkel gebrochen und sich davon nicht mehr erholt hatte. Gasperlmaier konnte sich noch gut an das Begräbnis und den Leichenschmaus erinnern, er hatte lange gedauert und es war lustig zugegangen. „Ich hab’s ihm eh tausendmal gesagt!“, hatte der Wilfried, besonders nach dem vierten oder fünften Bier, immer wieder wiederholt, „dass er nicht mehr auf die Leiter soll. Aber er hat halt nicht hören wollen! Stur war er halt!“ Davon konnte Gasperlmaier ein Lied singen. Seine Mutter war zwar noch nicht ganz achtzig, aber bockig und eigensinnig war sie für zwei. Vor kurzem hatte Gasperlmaier sie dabei ertappt, wie sie, mit einem Bein auf dem Fensterbrett im ersten Stock stehend, die Fenster geputzt hatte. Auf denen sich ohnehin höchstens ein, zwei kleine Flecken Fliegendreck niedergelassen haben konnten, seit sie das letzte Mal zum Großputz ausgerückt war. Es war halt nicht einfach mit den alten Leuten. Ob er auch einmal so stur werden würde? Zu befürchten war es.

Der Friedrich nahm die Folie mit dem Drohbrief zur Hand und klopfte mit dem Finger auf ein Wort. „Vor allem steht da ‚Einkehr‘. Das ist ein katholisches Wort. So ein Islam würde das niemals schreiben.“ Die Manuela mischte sich ein. „Moslem heißt das. Der Islam ist die Religion, sein Anhänger heißt Moslem. Aber das Wort kann ja auch Täuschung und Tarnung sein. Andererseits gibt es auch genug katholische Wahnsinnige!“

Die Manuela Reitmair war nach Altaussee versetzt worden, als der Friedrich zunächst in den Krankenstand und bald darauf in die Pension gegangen war. So war Gasperlmaier privat wie beruflich beinahe nur noch von Frauen umgeben. Ein Glück, dass wenigstens der Friedrich ihm die Treue gehalten hatte und ihn mit Rat und Tat unterstützte. Wenn der nicht auf seine alten Tage noch draufgekommen wäre, dass er fast sein ganzes bisheriges Leben ohne Frau an seiner Seite verbracht hatte und dieser Umstand dringend zu ändern war. Fast hatte man den Eindruck, er wolle aufholen, was er in sechzig Jahren versäumt hatte, so oft musste er Gasperlmaier absagen, weil er wieder einmal einen Termin mit einer Verehrerin hatte. Der Friedrich hatte sogar fast zwanzig Kilo abgenommen. „Überlebensstrategie!“, pflegte er, darauf angesprochen, zu sagen. „Schöner werd ich nimmer, aber man muss ja nicht unbedingt vor dem Achtzigsten an einem Schlaganfall sterben oder von der Zuckerkrankheit blind werden. Wo es doch noch so viel Schönes zu sehen gibt!“ Momentan war der Friedrich mit der durchaus ansehnlichen Inhaberin eines Trachtengeschäfts liiert, die nur wenige Jahre jünger war als er. Gasperlmaier fand die neue Liebe des Friedrich meist viel zu stark geschminkt, und für ihr Alter trug sie zu tiefe Ausschnitte. Das aber war des Friedrichs Sache, nicht seine.

Die Frau Doktor stand auf, ging zum Fenster und sah in den Schneesturm hinaus. Dann betrachtete sie mit kummervollem Blick ihre Schuhe. „Wenn ich das gewusst hätte …“ „Der Wetterbericht hat aber schon …“, setzte Gasperlmaier an, konnte seinen Satz aber nicht vollenden, weil ihn ein vernichtender Blick der Frau Doktor traf. „In meiner Sonntagsplanung stand auch nichts von einer Fahrt zu einer Krisensitzung nach Altaussee!“, fauchte sie. „Noch ein Glück, dass meine Schwester Zeit für die Sophie gehabt hat!“ Sie seufzte. Die Frau Doktor hatte nämlich eine kleine Tochter, etwa drei Jahre alt musste die jetzt sein, rechnete Gasperlmaier. Vielleicht erst zweieinhalb. Wer der Vater war, das hielt die Frau Doktor streng geheim, und man durfte sie auch nicht darauf anreden. Gasperlmaier hatte schon den einen oder anderen Kollegen aus Liezen misstrauisch beäugt, wenn er dort unten zu tun hatte. Es beschäftigte ihn schon sehr, wer der Vater dieses Kindes sein konnte, und vor allem, warum sich die Frau Doktor so bedeckt hielt. Am Ende war es gar kein Kollege, sondern irgendein durchreisender Tourist gewesen? Vielleicht sogar ein Übeltäter, den sie hinter Schloss und Riegel gebracht hatte? Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass man von solchen Vorfällen hörte.

„Habt ihr in letzter Zeit irgendwen verärgert, gibt es jemanden, der eine Mordswut auf die Trommelweiber hat, vielleicht, weil er nicht aufgenommen worden ist oder weil ihr ihm irgendeinen Streich gespielt habt?“, fragte die Frau Doktor. Der Wilfried schüttelte den Kopf. „Streiche spielen wir schon gar niemandem. Aber es gibt natürlich immer ein paar, die gerne Trommelweiber wären, und die schon jahrelang auf die Aufnahme warten. Wir nehmen halt nicht jeden.“ „Ja, und wer käme da in Frage? Wer wartet schon jahrelang auf die Aufnahme?“ Die Frau Doktor setzte sich wieder hin, direkt dem Wilfried gegenüber, und schlug neuerlich die Beine übereinander. Der Rock rutschte dabei gehörig die Oberschenkel hinauf. Gasperlmaier fragte sich, ob das Kostüm wirklich das gleiche sein konnte wie damals bei dem Mord am Kirtag. Das war doch schon so lange her. Und eine modebewusste Frau wie die Frau Doktor, ob die so ein Kostüm jahrelang behielt?

„Ausgeschlossen habt ihr einen!“, grinste der Friedrich. Die Frau Doktor wandte sich ihm zu und hob die Augenbrauen. „Na bitte! Den sollten wir gleich überprüfen. Vielleicht sparen wir uns dadurch viel Mühe.“ Der Friedrich lachte, Gasperlmaier und der Wilfried stimmten in sein Lachen mit ein, was die Frau Doktor dazu bewog, die Augenbrauen noch höher zu ziehen. „Da müssten wir nach Graz hinunterfahren!“, gab der Wilfried zu bedenken. „Nach Graz?“ Die Frau Doktor blickte verblüfft von einem zum anderen. „Reden Sie doch schon! Oder sag du was, Franz!“ So nannte Gasperlmaier normalerweise nur seine Frau, und selbst die nur dann, wenn etwas ganz Ernstes vorgefallen war. Doch Gott sei Dank ergriff der Friedrich das Wort, der konnte die ganze Geschichte ohnehin viel besser erzählen.

„Der ehemalige Landeshauptmann, der war Ehrenmitglied bei den Bürgertrommelweibern“, begann er, „und Bad Aussee war eine Statutarstadt, das heißt, es hat hier eine Expositur der Bezirkshauptmannschaft Liezen gegeben. Und mit dieser ganzen Zusammenlegerei von Bezirken und Gemeinden haben sie uns diese Expositur gestrichen. Dass wir von den Ennstalern da unten regiert werden, das lassen wir Ausseer uns nicht gefallen.“ „Und das wäre ja noch gar nicht das Schlimmste gewesen!“, mischte sich der Wilfried ein. „Sie haben uns sogar das Autokennzeichen genommen! Das ‚BA‘! Deswegen wäre ich ja dafür, dass wir überhaupt aus der Steiermark austreten und zu Oberösterreich gehen! Wenn wir nicht überhaupt zusammen mit dem Rest des Salzkammerguts ein eigenes Bundesland gründen!“ „Und deswegen“, schloss der Friedrich, „haben sie den damaligen Landeshauptmann von den Trommelweibern ausgeschlossen.“

„Ja, jetzt sollten wir nicht aus den Augen verlieren, worum es überhaupt geht“, meinte die Frau Doktor. Gasperlmaier fand auch, dass das Theater mit den Autokennzeichen ein wenig zu weit ging. Schließlich gab es die erst seit ein bisschen mehr als fünfundzwanzig Jahren, und da musste man nicht gleich eine Tradition daraus machen, die man mit Zähnen und Klauen verteidigte. „Der Landeshauptmann“, sagte er deswegen, „der scheidet aus.“ Die Frau Doktor nickte, ebenso wie der Friedrich. „Ich trau ihm alles zu!“, meinte hingegen der Wilfried, von dem man aber auch wusste, dass er ein politischer Gegner des Ex-Landeshauptmanns war, weil er für eine andere Partei im Gemeinderat saß.

„Das Problem ist“, fuhr die Frau Doktor fort, „dass wir nicht allzu viel Zeit haben. Der Umzug der Trommelweiber ist morgen, ich kann euch nicht wegen so einem Zettel eine Hundertschaft schicken, aber wir müssen morgen präsent sein. Unauffällig. Damit wir sofort eingreifen können, wenn etwas passiert.“ „Der Postenkommandant könnte doch als Trommelweib verkleidet mitmarschieren!“, mischte sich die Manuela ein. „Der Fasching ist ja geradezu ideal für eine solche verdeckte Ermittlung. Niemand wird ihn erkennen!“

Gasperlmaier liefen kalte Schauer über den Rücken, er winkte heftig ab. Er, als Trommelweib verkleidet? War denn so etwas überhaupt erlaubt? „Nein, nein!“, beeilte er sich, sofort klar Stellung zu nehmen. „Ich komm dafür nicht in Frage! Ich nicht!“ „Warum denn nicht? Du bist ein Ausseer, du bist ein Mann, du hast alle Voraussetzungen. Ich würde wahrscheinlich ein bisschen auffallen!“ Die Manuela legte die Hände unter ihre Brüste und lachte. Sie hatte natürlich Recht. Gasperlmaier war auch bisher nicht entgangen, dass man die Manuela nur schwer mit einem Mann hätte verwechseln können, selbst mit Kostüm und Maske. Schließlich arbeitete er täglich mit ihr zusammen. Und außerdem hatte sie, als er sie kennengelernt hatte, nur ein dünnes, eng anliegendes Radtrikot getragen. Aus einer recht misslichen Situation hatte sie ihn damals herausgeholt, so erinnerte er sich. Aber in der Öffentlichkeit auf körperliche Merkmale anzuspielen, das fand er peinlich. Er wandte sich ab.

Der Wilfried wiegte den Kopf hin und her. „Ich weiß auch nicht, ob das eine so gute Idee ist. Erstens einmal ist der Gasperlmaier ein Altausseer, und kein Bad Ausseer. Und zweitens hat er ja nicht einmal die Aufnahmsprüfung bei den Trommelweibern gemacht!“ Gasperlmaier wurde schwarz vor den Augen. Energisch winkte er ab. Diese Prüfung beinhaltete nämlich das Austrinken eines Viertelliterglases Schnaps in einem Zug, nebst der Einnahme verschiedener anderer ekelerregender Substanzen.

„Ich sag Ihnen was, Herr Weissensteiner!“ Die Frau Doktor wurde jetzt energisch. „Ich halte das für eine ausgezeichnete Idee. Der Gasperlmaier kann sich so unauffällig im Zug mitbewegen, niemand wird auf ihn achten, und er kann beobachten, ob etwas Verdächtiges passiert. Woher er kommt, oder ob er eine Aufnahms­prüfung gemacht hat, das kann doch dabei keine Rolle spielen! Er bleibt ja Polizist und will gar nicht Mitglied werden. Stimmt’s, Franz?“ Gasperlmaier beeilte sich zu nicken, schüttelte aber gleich darauf den Kopf, damit ihm das Nicken nicht als Zustimmung zu diesem abenteuerlichen Plan ausgelegt werden konnte.

„Ich, ich kann das gar nicht machen!“, protestierte er schwach. „Ich kann ja gar nicht musizieren!“ „Das brauchst du auch nicht!“ Der Friedrich war ihm heute keine große Hilfe. Alle, so schien es ihm, hatten sich gegen ihn verschworen. „Du brauchst nur die Trommel zu schlagen, im Takt des Faschingsmarschs, und das wirst du ja wohl hinbekommen!“ Der Friedrich grinste. Fast schien es Gasperlmaier, als wolle er ihn absichtlich in die Situation hineinreiten, obwohl der Vorschlag ja von der Manuela gekommen war. „Also – abgemacht. Herr Weissensteiner, Sie müssen den Franz jetzt nur noch mit dem Kostüm und den entsprechenden Utensilien ausstatten.“ Die Frau Doktor erhob sich. Er wurde anscheinend nicht mehr gefragt. Man hatte über seinen Kopf hinweg beschlossen, dass er morgen als Trommelweib verkleidet durch Bad Aussee ziehen und dabei die Augen nach einem Drohbriefschreiber offenhalten musste, der angekündigt hatte, ein Trommelweib umzubringen. Was, wenn es ihm selber an den Kragen ging? Wer konnte ein Trommelweib vom anderen hinter der Maske unterscheiden? Gasperlmaier spürte deutlich, wie sich sein Magen zusammenzog.

Wenig später konnte er sich beim Punsch vor der Bäckerei Maislinger ein wenig entspannen. Die Frau Doktor war nach Hause gefahren, die Manuela versah weiterhin ihren Bereitschaftsdienst, und der Weissensteiner Wilfried war nach Aussee hinunter, um die Vorbereitungen für den morgigen Umzug der Trommelweiber zu Ende zu führen. Außerdem hatte er versprochen, später noch bei Gasperlmaier mit einem Trommelweiberkostüm vorbeizuschauen. Gasperlmaier fürchtete sich schon vor der unvermeidlichen Anprobe. „Prost!“ Der Friedrich hob seinen Pappbecher, zum Anstoßen waren die Gefäße nicht geeignet.

Der Schneefall hatte zwar etwas nachgelassen, dennoch pfiff immer noch ein eisiger Wind die verschneite Dorfstraße herauf. Man erwartete den bescheidenen, dennoch aber herbeigesehnten Altausseer Faschingszug, der meist aus wenig mehr als den verkleideten Musikern der Salinenkapelle bestand. Was der Begeisterung aber keinen Abbruch tat. Die Verkäuferinnen der Bäckerei Maislinger standen, trotz ihrer spärlichen Verkleidung als Gardemädchen, gut gelaunt vor den Lautsprechern der Musikanlage, die laute Schlagermusik gegen den Wind ankämpfen ließ, und hüpften im Takt. Wenn sie nicht gerade Punsch auszuschenken hatten. Gasperlmaier nahm einen großen Schluck von der dampfenden Flüssigkeit. „Schau, Gasperlmaier“, meinte der Friedrich. „So schlimm wird’s schon nicht werden. Gehst halt mit, beim Umzug morgen, und nach ein paar Stunden ist es eh wieder vorbei. Und ein Essen kriegst auch, und mehr als genug zu trinken!“ Er stieß Gasperlmaier mit dem Ellenbogen in die Seite, dem aber nicht zum Feiern zumute war. Vor allem am Trinken hatte er in den letzten Monaten ein wenig die Freude verloren, nachdem ihm sein Arzt eine beginnende Fettleber diagnostiziert hatte. Der Friedrich hatte zwar gemeint, die habe er schon seit zwanzig Jahren, und sein Onkel, der ihm einen uralten Mercedes vererbt hatte, sei samt Fettleber zweiundneunzig geworden, aber darauf, so fand Gasperlmaier, konnte man sich nicht verlassen. Missmutig starrte er in seinen bereits fast geleerten Becher. Wie viel Alkohol da wohl drinnen gewesen war?

„Ich weiß nicht recht“, sagte er. „Was soll ich denn da eigentlich tun? Und wie soll ich verhindern, dass etwas passiert?“ Der Friedrich winkte ab. „Aber geh! Du marschierst einfach mit und hältst die Augen offen. Es wird schon nichts passieren. Und dann hast acht Stunden Dienst geschoben und gehst heim, kriegst den ganzen Tag sogar als Arbeitstag bezahlt, so musst es sehen!“ Er wandte sich an eine der Verkäuferinnen. „Gibst mir noch einen Punsch? Und für den Gasperlmaier auch noch einen, der braucht ein bisserl Aufheiterung.“ Gasperlmaier stürzte den letzten Schluck hinunter und nahm den neuen Becher in Empfang. „Was ist denn mit dir, Gasperlmaier?“ Die Verkäuferin, die ihm seinen Becher reichte, das war die Barbara, die Hübscheste von allen. Groß war sie, und dunkelhaarig. Und als Gardemädchen machte sie mit ihren langen Beinen schon was her. „Ah, es ist nur wegen dem Sonntagsdienst …“, murmelte Gasperlmaier eine wenig überzeugende Ausrede vor sich hin. „Komm, Gasperlmaier, jetzt tanzt du mit mir eine Runde!“ Die Barbara nahm ihm den Becher aus der Hand, fasste ihn entschlossen um die Mitte und drückte ihn an sich. Seine Augen waren etwa auf der Höhe ihres Kinns. Zu den Klängen des „Fliegerliedes“ zog sie ihn über den rutschigen Untergrund. Um nicht als Spielverderber dazustehen, gab er sein Bestes, während der Friedrich im Takt zur Musik klatschte und die Umstehenden mit einfielen. Im Vorbeiwirbeln sah Gasperlmaier gleich mehrere Handys auf sich gerichtet. Das fehlte noch, dass von seinem Tänzchen womöglich Minuten später Aufnahmen im Internet kursierten. Er wollte sich schon befreien, als die Barbara ihn von sich aus losließ.

„Sie kommen!“ Von weitem hörte man die Klänge des Faschingsmarschs langsam herannahen, immer wieder verweht vom böigen Wind. Gasperlmaier musste seine Dienstmütze tiefer in die Stirn ziehen, damit sie ihm nicht davonflog. Die Musik aus den Boxen erstarb, als sich die Blaskapelle näherte. Im Schlepptau der Musiker, so konnte Gasperlmaier erkennen, befanden sich einige Gestalten, die Schubkarren vor sich herschoben, in denen maskierte Narren saßen, jeweils mit Bierflaschen in den Händen. Gasperlmaier konnte Fetzen einzelner Trinklieder erkennen, bevor die Musiker ihre Instrumente absetzten und sich zum Punschstand begaben. „Ja, servus, Gasperlmaier, servus, Kahlß. Gehst heut als Polizist, Gasperlmaier, was? Sauber! Originell!“ Der Ostermeyer Edi, der bei der Salinenkapelle die Klarinette blies, war bereits sehr gut aufgelegt und dementsprechend gesprächig. „Servus, Edi“, antwortete der Friedrich. „Schön habt’s gespielt!“ Der Edi zog seine Handschuhe an und schloss die Finger um einen Becher Punsch, der ihm gereicht wurde. „Scheiß Wetter!“, fluchte er. „Und uns erzählen’s immer was von der Erderwärmung!“ Gasperlmaier wollte nach Hause, er war bis auf die Knochen durchgefroren, trotz Punsch. „Ich muss dann einmal …“, meinte er, doch anscheinend hatte ihn der Edi falsch verstanden. „Kannst ja gleich dort hinten in den Schnee brunzen! In zehn Minuten sieht’s eh keiner mehr!“ Gasperlmaier war nicht zum Lachen zumute. Außerdem hatte er Hunger. „Ich geh jetzt heim, Friedrich, weißt eh …“ Er ließ seinen Satz unvollendet, steckte die Hände in die Jackentaschen und wandte sich zum Gehen.

Mit nassen Socken und eiskalten Zehen betrat Gasperlmaier das Vorhaus. In ihrer Straße schien schon länger kein Schneepflug mehr vorbeigekommen zu sein. Fast stolperte er über ein Paar Skischuhe, das gegen den Heizkörper gelehnt stand und einen unangenehmen Geruch verströmte. Gleich daneben versperrte ein Paar Snowboardboots den Weg in die Küche. Aus dem Wohnzimmer vernahm er unverkennbare Wortfetzen einer amerikanischen Fernsehserie. Ach ja. Seine beiden Kinder waren ja über die Semesterferien zu Hause und verdienten sich ein Zubrot als Ski- und Snowboardlehrer auf dem Loser. Wobei seine Tochter Katharina für die Snowboardanfänger, sein Sohn Christoph hingegen für die Skifahrer zuständig war.

„Schon daheim?“, wunderte er sich. Christoph sah kaum zu ihm auf. „Wir haben schon Schluss gemacht für heute. Die Eltern haben ihre Kinder früher geholt, wegen dem Wetter.“ Er langte in eine Packung Chips, die er in der linken Hand hielt, und stopfte sich eine Ladung in den Mund. Die Katharina stand wenigstens auf. „Hallo, Papa! Wie war’s bei der Besprechung?“ Sie umarmte ihn und drückte ihm sogar ein Küsschen auf die Wange. Gasperlmaiers Laune besserte sich etwas. Wenigstens eine im Haus, die sich freute, dass er wieder da war. Der Christoph und die Katharina waren nur mehr selten zu Hause. Während er schon das vierte Jahr in Wien Medizin studierte, stand die Katharina im zweiten Jahr ihres Tourismusstudiums an der Fachhochschule in Salzburg.

„Wo ist denn die Mama?“ „In der Küche, sie macht uns ein Abendessen. Heute gibt’s was Italienisches. Sozusagen zum Faschingfeiern.“ Gasperlmaier lief das Wasser im Mund zusammen. Wenn seine Christine ankündigte, dass es zur Feier irgendeines Tages etwas Besonderes zu essen gab, durfte man sich wirklich freuen, denn sie war eine ausgezeichnete und fantasiebegabte Köchin. Während sich seine Kochkenntnisse auf das Grillen von Fleisch und auf das Anrichten von Salat beschränkten. Gasperlmaier schnupperte. Was ihm in die Nase stieg, war aber nicht der Duft italienischen Essens, sondern der muffige Geruch schweißnasser Skisocken. Er warf Christoph einen missbilligenden Blick zu. Tatsächlich saß der noch in Skiunterwäsche und feuchten Socken vor dem Fernseher, noch dazu mit den Füßen auf ihrem neuen Sofa. „Du gehst aber schon noch duschen, gell?“ Während Christoph zur Antwort nur grunzte, mischte sich die Katharina ein. „Ich hab’s ihm eh schon gesagt, dass seine Socken stinken!“ Gasperlmaier begab sich in die Küche.

„Du kannst mir gleich einen Parmesan reiben, ich hab nicht mehr genug“, empfing ihn seine Christine. Als er versuchte, sie auf den Nacken zu küssen, rief sie jedoch: „Verschwind! Stör mich nicht!“ „Also was jetzt?“ „Parmesan!“ Sie zeigte auf Reibe, Käse und Teller, die neben ihr auf der Küchenanrichte standen. In der Pfanne brutzelten schon Schnitzel mit Parmesanpanier, daneben stand ein Topf mit dampfender Tomatensoße. „Die Nudeln müssten auch zugestellt werden.“ „Die Kinder …“, gab Gasperlmaier zu bedenken. „Die sind den ganzen Tag am Berg gewesen, in diesem Sauwetter, lass sie halt in Ruh!“, wandte die Christine ein. Etwas verstimmt machte er sich ans Käsereiben. Was sollte das heißen, den ganzen Tag im Sauwetter? Skifahren war schließlich Vergnügen, und er war es, der sich den Nachmittag im Büro um die Ohren hatte schlagen müssen. Mit dem Ergebnis, dass er das Opfer war, das morgen undercover den Umzug der Trommelweiber zu überwachen hatte. „Tisch decken!“, schrie die Christine so laut, dass er zusammenzuckte. Damit waren wenigstens, so schien es ihm, die Kinder gemeint.

Der Christoph prustete los, sodass er ein wenig Tomatensoße über den Tisch verspritzte. „Der Papa undercover bei den Trommelweibern? Das gibt’s ja nicht!“ Gasperlmaier nahm einen Schluck von seinem sauren Radler. Das Zeug schmeckte ja nach gar nichts. Aber seit seine Blutwerte nicht mehr ganz zufriedenstellend waren, schüttete ihm die Christine immer wieder Mineralwasser ins Bier. „Schmeckt genauso!“, versicherte sie ihm. Davon allerdings, dachte er bei sich, verstand sie nun einmal wirklich nichts. „Reiß dich zusammen!“, konterte Gasperlmaier. „Da gibt’s nichts zu lachen. Das ist eine ernst zu nehmende Drohung!“ Er verfluchte sich dafür, dass er den Mund wieder einmal nicht halten hatte können. Aber mit irgendwem musste er ja schließlich seine Sorgen teilen. Mit wem denn, wenn nicht mit der Familie? „Ich bin schon gespannt auf die Verkleidung“, nuschelte der Christoph, was ihm einen warnenden Blick seitens der Christine eintrug. „Sprich bitte nicht mit vollem Mund.“ „Woher kriegst du’s denn, das Kostüm?“, wollte die Katharina wissen. „Der Weissensteiner Wilfried, der bringt mir eins vorbei. Und die Trommel auch.“ Die Katharina und die Christine, so fiel ihm auf, hatten jetzt schon mehrmals vielsagende Blicke getauscht. Und die Katharina hatte das Wort „Kostüm“ so seltsam betont. Gab es da irgendwas, das man vor ihm geheim halten wollte? Er sah zwischen den beiden hin und her, die aber im Moment ungerührt ihre Parmesanschnitzel entzweisägten. Piccata Milanese hieß das Gericht, hatte die Christine gemeint. Ausgezeichnet schmeckte es, obwohl er früher gedacht hatte, Nudeln passten auf keinen Fall zu einem Schnitzel. „Und dass mir ja keiner etwas verlauten lässt über diese Geschichte, auf Facebook oder so!“ Gasperlmaier hob warnend seine rechte Hand mit dem Messer. Der Christoph schüttelte nur den Kopf und kicherte in sich hinein. Plötzlich zog er sein Handy aus der Hosentasche. „Apropos Facebook!“, murmelte er, während er mit einer Hand Nudeln aufrollte und mit der anderen mithilfe seines Daumens auf dem Bildschirm herumwischte. „Nicht beim Essen!“, mahnte die Christine, doch Christoph hatte schon gefunden, wonach er gesucht hatte. „Der Papa hat heute anscheinend schon ausgiebig gefeiert!“ Er hielt ihm das Handy vor die Nase, um es gleich darauf in der Runde herumzuzeigen. Gasperlmaier suchte nach seiner Brille, doch die Klänge des „Fliegerliedes“ ließen ihn bereits Böses ahnen. Die Christine schob ihre Brille, die sie meist in ihrem Haar stecken hatte, vor die Augen und griff nach dem Handy. „Der Papa mit der feschen Barbara!“, kicherte sie. „Na ja, ein bisschen Spaß muss am Faschingssonntag auch sein“, grinste sie und drückte ihm das Handy in die Hand. Manchmal ärgerte es Gasperlmaier, dass die Christine niemals auch nur einen Hauch von Eifersucht zeigte, selbst wenn sie ihn beim Tanz mit einer hübschen Bäckereiverkäuferin sah. Traute sie ihm nicht zu, dass er auch andere Frauen verführen konnte? Er besah sich selbst das verhängnisvolle Video. Es war wackelig und verschwommen, und manchmal sah es so aus, als würde er direkt in den Ausschnitt der Barbara starren. Was natürlich nicht stimmte, denn weder hatte es einen Ausschnitt gegeben, noch hatte er auch nur in die Nähe desselben geschaut. Das war wirklich unbedingt nötig gewesen, dass er vor dem morgigen Einsatz auch noch die Aufmerksamkeit der Internet­öffentlichkeit auf sich zog. Bis morgen würden ein paar Hundert Altausseer das Video gesehen, und ein paar Dutzend natürlich auch süffisante Kommentare dazu abgegeben haben. Ein weiterer Beweis dafür, dass niemand das Internet brauchte, namentlich Facebook. Wenigstens war es jetzt schon zu spät dafür, als dass der Vorfall auch noch Aufnahme in den Faschingsbrief finden konnte.

Draußen läutete es. Die Katharina stand hastig auf, „ich bin eh schon fertig!“, und eilte zur Tür. „Papa! Für dich!“ Gasperlmaier wischte sich den Mund ab und trank seinen Radler aus. Das musste der Wilfried sein, mit seinem Kostüm für morgen. „Servus!“, begrüßte er ihn. „Magst ein Bier?“ Der Wilfried schüttelte den Kopf. „Nein, ich hab grad. Und außerdem muss ich heut eh noch ins Wirtshaus, am Faschingssonntag bleibt doch niemand daheim!“ Er lachte und schwenkte eine große Plastiktasche, die er in der Linken hielt. Mit der Rechten umarmte er eine große Trommel, die Gasperlmaier skeptisch beäugte. „Probieren musst es aber schon noch!“, meinte der Wilfried. „Wo gehen wir denn hin?“

Niemals in seinem Leben hatte Gasperlmaier ein Frauenkostüm getragen, das war ihm im tiefsten Inneren zuwider. Warum, das wusste er selbst nicht so recht. Und jetzt sollte er in den Genuss kommen, noch dazu bei einem geheimen Polizeieinsatz, bei dem er einen fangen sollte, der eine gefährliche Drohung gegen die Trommelweiber abgegeben hatte. „Komm halt herein!“ Gasperlmaier winkte den Wilfried ins Wohnzimmer. Er hatte kurz überlegt, das Kostüm außerhalb der Sichtweite seiner Kinder anzuprobieren, um sich nicht ihrem Spott aussetzen zu müssen. Doch in diesem Fall kam nur das eheliche Schlafgemach in Frage, und das war ihm dann doch zu intim, da wollte er keinen Fremden drinnen haben. Er schloss die Tür zwischen Küche und Wohnzimmer, während der Wilfried bereits den Inhalt des Plastiksacks auf das Sofa beförderte. „So“, sagte er. „Schau her! Wird dir gefallen!“ Gasperlmaier fand das Grinsen des Wilfried etwas schmutzig. „Weißt eh, das ist eine Ehre, dass man das tragen darf! Noch nie hat einer das Gewand der Trommelweiber anziehen dürfen, der nicht vorher die Aufnahmsprüfung bestanden hat.“ Gasperlmaier besah sich die Ausrüstung. Eine weiße Bluse mit Spitzen an der Knopfleiste, an den Schultern waren noch rosa Epauletten aufgenäht. Daneben ein langer, weißer Rock mit hellblauen Spitzenvolants. „Jetzt zieh’s halt schon einmal an! Ich hab ja nicht ewig Zeit!“ Seufzend nahm Gasperlmaier die Bluse zur Hand und zog sie über sein Hemd. Weit genug war sie, zudem viel zu lang. Er griff nach dem Rock, der einen elastischen Gummibund hatte. „Die Bluse gehört drüber!“, erläuterte der Wilfried, als Gasperlmaier Anstalten machte, die Bluse in den Rockbund zu schieben. „Das Schürzerl!“ Der Wilfried hielt eine rosarote Schürze mit aufgenähter Tasche in die Höhe. „Arme hoch!“ Gasperlmaier gehorchte, und der Wilfried band ihm die Schürze gleich um. „Jetzt noch das Hauberl!“ Hoffentlich kam jetzt niemand aus der Küche. Er setzte die Haube auf und kam sich unglaublich dämlich vor. „Die Larve!“ Der Wilfried reichte ihm eine Gummilarve mit leuchtend roten Lippen, die er sich über das Gesicht zog. Hinter dem Kopf wurde sie mit einem Gummiband befestigt. „Nein, so ist es falsch“, korrigierte der Wilfried. „Der Gummi von der Larve kommt unter die Haube.“ Gasperlmaier begann zu schwitzen. Im Wohnzimmer war es viel zu heiß für diese Maskerade. „Wenn’s dir morgen zu kalt ist, kannst auch noch weiße Handschuhe dazu anziehen. Fesch schaust aus!“ Der Wilfried klopfte Gasperlmaier anerkennend auf die Schulter und trat einen Schritt zurück, um sein Opfer fachmännisch zu begutachten.

Die Küchentür öffnete sich, Gasperlmaier fuhr herum und blickte durch die schmalen Schlitze der Maske der Christine in die Augen. Die zuckte kurz, schlug die Hand vor den Mund und begann zu glucksen. „Dass ich das noch einmal erleben darf! Mein Mann in Frauenkleidern!“ Natürlich waren seine Kinder darauf aufmerksam geworden, dass es etwas zu sehen gab, und lugten ebenfalls von der Küche aus ins Wohnzimmer. „Wahnsinn! Der Papa!“, kicherte der Christoph und zog sein Handy aus der Hosentasche. „Nix da! Kein Foto!“ Jetzt wurde Gasperlmaier aber zornig. Verstand denn der Bub nicht, dass es geheim bleiben musste, dass er bei den Trommelweibern mitmarschierte? Ganz abgesehen davon, dass der Anstand es verlangt hätte, dass er seinen Vater nicht der Lächerlichkeit preisgab. Aber da hoffte er beim Christoph wohl vergeblich. „Weg mit dem Ding! Du weißt doch, was wir besprochen haben!“ Wenigstens die Christine unterstützte ihn.

„So, und jetzt probieren wir noch das mit dem Trommeln!“ Der Wilfried drückte ihm die große Trommel in die Hand und warf ihm den breiten Lederriemen über den Kopf, an dem sie befestigt war. „So musst du sie halten“, instruierte er Gasperlmaier, indem er das Instrument zurechtrückte. „Und jetzt hau drauf!“ Gasperlmaier kam sich unsagbar blöd vor. Konnte man nicht wenigstens die unnötigen Gaffer wegschicken? Doch die dachten gar nicht daran, auf das Schauspiel zu verzichten. Zaghaft führte er den Schlegel gegen das Trommelfell, allzu zaghaft. „Fester!“ Na, dann eben fester. Gasperlmaier zog entschlossen durch, laut hallte der Trommelschlag im engen Wohnzimmer wider. „Schon besser! Aber ich hab dir auch den Faschingsmarsch mitgebracht, damit du den Rhythmus üben kannst.“ Der Wilfried fischte eine CD aus der Innentasche seines Rocks. „Habt’s ihr einen CD-Player?“ Der Christoph drängte sich vor, nahm dem Wilfried die CD ab und hockte sich vor die Stereoanlage. „Das braucht’s jetzt aber wirklich nicht, das geht dann schon!“, versuchte Gasperlmaier sich zu verteidigen, doch der Wilfried winkte ab, und Sekunden später bereits schallte der Klang des Ausseer Faschingsmarschs durchs Wohnzimmer. Der Wilfried machte ihm pantomimisch vor, wie er den Rhythmus zu schlagen hatte. Gasperlmaier folgte seinen Anweisungen, aber nur ein paar Sekunden lang. Der Schweiß lief ihm bereits in Strömen über das Gesicht und den Rücken. Wie kam er eigentlich dazu, sich hier vor seiner Familie zum Deppen machen zu lassen? Rundum das Gekicher der Frauen, dazu noch das schäbige Grinsen vom Christoph! Er legte den Schlegel weg, zog den Lederriemen über den Kopf und stellte die Trommel auf den Boden. Häubchen und Larve flogen in hohem Bogen aufs Sofa. „Schluss jetzt mit der Vorstellung! Es genügt, wenn ich morgen den ganzen Tag in dem Zeug herumlaufe!“ So schnell er konnte, entledigte er sich des Rocks und der Bluse. Ein Knopf sprang ab und schlug mit einem lauten Klirren gegen den Schirm der Stehlampe. „Aber geh“, beschwerte sich die Christine. „Jetzt kann ich dir den Knopf auch noch annähen!“

„Magst einen Schnaps?“ Endlich hatte er sich aus dem Kostüm befreit. „Da sag ich nicht nein, aber nur einen ganz kleinen!“ Der Wilfried deutete mit zwei Fingern die Größe des Schnapses an, den er zu trinken bereit war. Gasperlmaier bedeutete ihm, in die Küche zu folgen, nahm den Obstler und zwei Stamperl aus der Kredenz und schenkte großzügig ein. Der Wilfried beschwerte sich nicht darüber. „Prost!“ Sie stürzten die Schnäpse hinunter. Gasperlmaier dachte einen Augenblick an seine Fettleber, bevor sich Wärme und Entspannung, vom Magen ausgehend, in ihm breitmachten. „Krieg ich auch einen?“ Der Christoph hatte sich neben ihm auf die Küchenbank geschoben. „Für was?“, fragte Gasperlmaier etwas verärgert. „Fürs Lästig-Sein?“ Der Christoph schüttelte nur den Kopf, stand von der Bank auf und zog sich zurück. Im Hinaufgehen über die Stiege trällerte er die letzten Takte des Faschingsmarschs vor sich hin, mit dem dazugehörigen Text: „Und an Doppelliter Bier, und an Doppelliter Bier …“ Der einfache Vers wurde in der Regel zahllose Male wiederholt. Wenn er nicht auffallen wollte, würde der morgige Tag ein schwerer werden, vor allem für seine Leber, fürchtete Gasperlmaier.

2

Das Wetter hatte sich zwar gebessert, aber nur ein wenig. Das Thermometer hatte acht Grad minus gezeigt, als Gasperlmaier sich für den Abmarsch bereitgemacht hatte. Unter der dünnen Bluse musste eine Winterjacke Platz finden, und sicherheitshalber zog er auch eine warme Skiunterhose an. Man konnte ja nicht wissen. So stand er nun im frisch gefallenen Schnee vor dem ersten Geschäft, das die Trommelweiber an diesem Morgen besuchten. Der Geschäftsführer war bereits mit einem Karton vor seinen Laden getreten und hatte Bierflaschen an die Trommelweiber verteilt. Erst jetzt kam Gasperlmaier drauf, dass er ein Problem hatte. Er durfte seine Maske nicht lüften, solange Zuschauer anwesend waren, die ihn erkennen hätten können. Denn sonst wäre sein Inkognito schnell aufgeflogen. Die Trommelweiber waren zwar informiert worden, dass sie heute unter Polizeibegleitung ausrücken mussten, aber vor allen anderen galt es, seine Identität geheim zu halten. Er wusste nicht recht, was er nun mit der Bierflasche anfangen sollte, die ihm in die Hand gedrückt worden war. Wenn er die Larve ein klein wenig hochschob, sodass nur der Mund zu sehen war? Es funktionierte, allerdings konnte er so nichts sehen, wann immer er einen Schluck nahm. Das war jetzt eben so. Aber was würde beim Mittagessen passieren? Spätestens dann musste er zumindest gegenüber dem Wirt und seinem Personal seine Identität preisgeben. In der Besprechung gestern war gar nicht diskutiert worden, wie er sich in diesem Fall verhalten sollte. Die anderen hatten es sich leicht gemacht: „Gasperlmaier, du gehst als Trommelweib!“, hatte es geheißen. Eine Detailplanung des Einsatzes war verabsäumt worden. Und die Frau Doktor war weit weg und machte sich wahrscheinlich einen schönen Tag.

Die Musiker wandten sich zum Gehen, was bedeutete, dass auch Gasperlmaier seine schwere Trommel wieder aufnehmen musste. Vorsichtige Blicke nach rechts und links klärten ihn darüber auf, dass bei weitem nicht alle Trommeln so voluminös und unhandlich waren wie seine eigene. Eine kleinere hätte es für ihn durchaus auch getan. Hatte ihm der Wilfried mit voller Absicht so ein Monstrum umgehängt? Etwas entnervt schloss er sich dem Zug an. Die Musiker hatten bereits begonnen, den Faschingsmarsch zu intonieren, dessen Melodie in Gasperlmaiers Ohren heute irgendwie bedrohlich widerhallte. Das Schreiten im Takt und das gleichzeitige Losdreschen auf die Trommel fiel ihm schon leichter als ganz zu Beginn. Er schlug nun etwas fester zu und blickte sich ein wenig um. Viele Zuschauer waren noch nicht auf den Beinen, und immer noch schneite es leicht. Gott sei Dank hatte der Wind etwas nachgelassen, und das Marschieren und Trommeln wärmte auch einigermaßen auf.

Man kam nur wenige Schritte weit, bis wieder Halt gemacht wurde, diesmal vor einem Sportgeschäft. Eine junge Verkäuferin drängte sich mit einem Tablett voller Schnapsstamperln durch die Menge der Trommelweiber, die, einer nach dem anderen, ihre Larven hochschoben, um den Schnaps durch ihre Gurgeln zu jagen. Gasperlmaier wiederholte, versteckt zwischen zwei recht umfangreichen Trommelweibern, das Manöver von vorhin. Wohlige Wärme breitete sich in seinem Magen aus. Die Frage war nur, wie er den Tag überstehen sollte, wenn das so weiterging.

Sie waren noch nicht einmal am Kurhausplatz vor dem Hotel Kaiser Franz angekommen, und Gasperlmaier schwitzte bereits, trotz des ausgesprochen winterlichen Wetters. Außerdem begannen die Schnäpse und die ein, zwei Seidel Bier bereits ihre Wirkung zu tun. Gasperlmaier spürte eine gewisse Leichtigkeit, und die Trommel war ihm gar keine Last mehr. Beschwingt schlug er, mehr oder weniger im Rhythmus mit der Blasmusik, auf das Trommelfell ein. Dabei musste er sich immer mehr konzentrieren, seine Blicke unauffällig umherschweifen zu lassen. Schließlich hatte es eine Morddrohung gegeben, das durfte man nicht vergessen. Ein Trommelweib war ihm bereits aufgefallen, das niemals seine Maske hochschob und auch keinen der angebotenen Schnäpse angerührt hatte. Den musste er im Auge behalten. Was schwierig war, weil er sich immer wieder in der letzten Reihe des Zugs einordnete.

Es ging nun rechts hinüber, in die Bahnhofstraße, und über die Postbrücke. Gleich danach lag links die Sparkasse, und da würde die erste größere Pause gemacht werden. Würstel und Brote sollte es geben. Und ausgerechnet vor der Bank hatte sich bereits eine größere Menge Schaulustiger angesammelt. Den Gusto auf ein Paar Würstel würde er sich wohl verkneifen müssen. Die letzten Takte des Faschingsmarschs verklangen, die Kapelle setzte ihre Blasinstrumente im Eingangsbereich der Bank ab, wo sie einigermaßen sicher vor dem immer noch fallenden Schnee waren. Gasperlmaier blickte nach oben. Durch die Schlitze in der Maske glaubte er wahrzunehmen, dass sich der Himmel allmählich aufhellte. Vielleicht würde der Schneefall im Laufe des Tages doch noch aufhören. Schon tauchten erste Mitarbeiter der Bank mit Bierflaschen und Tabletts mit Schnapsstamperln auf. Gasperlmaier schaute sich um, konnte aber das verdächtige Trommelweib nirgends ausmachen. Er musste sich unauffällig ein wenig durch die Menge schleichen. „Nimmst dir ein Flaschl?“ Eine hübsche, dunkelhaarige Bankmitarbeiterin in kurzer Lederhose und kariertem Hemd stieß ihn an und hielt ihm ihr Tablett vor die Nase. Die musste ja erbärmlich frieren, dachte Gasperlmaier bei sich. Eilig nahm er sich eine Flasche vom dargereichten Tablett und schraubte den Verschluss ab. Seltsam, dass er schon wieder Durst hatte.

Er blickte vorsichtig um sich, um festzustellen, ob er es riskieren konnte, die Maske hochzuschieben. Eigentlich standen zu viele Zuschauer herum, und er konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob jemand darunter war, der ihn erkennen hätte können. Waren das da drüben nicht zwei Schulfreundinnen von seiner Katharina? Also, vorläufig kein Bier. Missmutig starrte er in den Flaschenhals.

Überhaupt wurde es jetzt schwierig: Einzelne Trommelweiber hatten ihre Larven hochgeschoben und begaben sich auf den Weg zur öffentlichen Toilette hinüber, die auf der anderen Seite der Brücke lag. Natürlich. Wenn oben viel hineingegossen wurde, musste unten auch wieder was hinaus. Gasperlmaier drückte auf seinen Bauch, um festzustellen, ob er auch schon musste. Eine Zeit lang würde er es wohl noch aushalten.

In diesem Moment packte ihn jemand am Arm. „Komm mit in die Bank!“, flüsterte ihm ein Trommelweib ins Ohr. Die Stimme schien durch die Maske verzerrt, jedenfalls konnte er sie nicht zuordnen. Gasperlmaier wurde unsicher. Warum sollte er jemandem folgen? Damit er die Situation vor der Bank nicht mehr im Blick behalten konnte? Es galt jetzt, aufmerksam zu bleiben. „Ich bin’s, der Wilfried!“, flüsterte der, der ihn am Arm hielt, als er merkte, dass Gasperlmaier Widerstand leistete. „Komm mit hinein!“ Nun folgte er ihm durch das Foyer mit den ganzen Automaten, die die Banken heutzutage aufstellten, um ihre Arbeit den Kunden aufzuhalsen. Gasperlmaier hatte weder eine Freude mit den Automaten, die ihm unheimlich schienen und oft nicht das taten, was er von ihnen wollte, noch mit den Bankbeamten, denen gegenüber er leise Vorurteile hegte. Er hing dem Glauben an, dass sie nichts anderes im Sinn hatten, als einen über den Tisch zu ziehen.

Der Wilfried schob seine Maske hoch, ein verschwitztes Gesicht kam darunter zum Vorschein. Im Schalterraum der Bank waren sie unter sich. Der Wilfried schob ihm einen Pappteller mit einem Paar Würstel hin. „Damit du auch nicht verhungern musst. Draußen musst du ja inkognito bleiben!“ Er grinste. Gasperlmaier schob seine eigene Maske hoch und merkte erst jetzt, dass sein Gesicht ebenfalls schweißnass war. Er zog umständlich ein Taschentuch aus der Hose, die natürlich unter dem weißen Rock versteckt war, und wischte sich übers Gesicht. „Dank dir, Wilfried!“ Er biss in die Wurst, nicht ohne sie vorher ausgiebig in Senf und Kren eingetunkt zu haben. Mit einem Schluck Bier spülte er nach. Das tat gut. Und außerdem war es nicht schlecht, für eine Weile hier im Trockenen zu stehen. „Ich muss wieder hinaus!“, erklärte der Wilfried und verschwand durch die automatische Tür. Gasperlmaier stand mit Wurst und Bier in der Hand im stillen, menschenleeren Schalterraum und kam sich wie aus dem Verkehr gezogen vor. Hatte er nicht den Auftrag erhalten, den Zug der Trommelweiber undercover zu überwachen? Und nun stand er allein hier herinnen, ohne dass er auch nur ein einziges Trommelweib in seinem Blickfeld hatte.

„Grüß Gott, Herr Gasperlmaier!“ Die Bankangestellte, die ihm vorhin sein Bier gegeben hatte, stand nun mit einem Tablett mit Schnapsstamperln vor ihm. Hübsch war sie, das musste man ihr lassen. Kohlrabenschwarzes Haar rahmte ein recht farbenfroh geschminktes Gesicht ein. An den Beinen allerdings, so stellte er fest, hatte die Kälte draußen für Gänsehaut gesorgt. „Psst!“ Er legte die Hand vor den Mund. „Ich bin inkognito da! Ich bin ja gar kein Trommelweib!“ Das Mädchen zog die Stirn in Falten. „Nicht? Aber …“ „Ich kann jetzt nicht darüber reden!“, zischte Gasperlmaier. „Und du vergisst am besten, dass du mich hier gesehen hast.“ Woher kannte ihn das Mädchen überhaupt? Er konnte sich nicht erinnern, sie jemals gesehen zu haben. Oder doch? Unruhig blickte er zur automatischen Tür und auf den Wurstrest in seiner Hand. Sobald er das letzte Stück im Mund hatte, würde er schauen, dass er wieder hinauskam, damit ihm niemand vorwerfen konnte, er sei seinem Auftrag nicht nachgekommen. „Kennen Sie mich denn nicht mehr? Wissen S’ noch, damals, am Strand, da wollten Sie mich unbedingt fotografieren!“ Als sie lächelte, so ein wenig verschmitzt, als mache sie sich über ihn lustig, fiel es Gasperlmaier wie Schuppen von den Augen. Tatsächlich hatte er das Mädchen schon einmal gesehen, als sie am Strand des Altausseer Sees nach einem Verdächtigen gesucht hatten, die Frau Doktor, der Kahlß Friedrich und er selbst. Halbnackt war sie damals dort am Ufer gelegen. In einem roten Bikini­höschen. Und auf den Hintern, da hatte sie einen Schmetterling tätowiert gehabt. Oder war es doch ein Adler gewesen? Aber, dass er sie hatte fotografieren wollen, davon konnte doch keine Rede sein! Sie hatte ihm ihre Kamera praktisch in die Hand gedrückt!

„Wollt ich gar nicht!“, verteidigte er sich, schob die schönen Erinnerungen ärgerlich zur Seite und stopfte sich den Wurstzipfel in den Mund. „Was ist jetzt mit dem Schnaps? Die anderen warten schon darauf!“ Eigentlich, so dachte Gasperlmaier bei sich, war es keine gute Idee, jetzt schon wieder Hochprozentiges zu trinken, aber sein Bier, so stellte er fest, war bereits leer, und mit irgendwas musste man ja nachspülen. „Gibst halt einen her“, brummte er. „Dankschön!“ „Bitte, Herr Inspektor. Gerne wieder!“ Sie schenkte ihm noch ein verschmitztes Lächeln, ähnlich wie vorhin, und folgte Gasperlmaier, der sich beeilte, wieder hinauszukommen.

Draußen hatte zwar der Schneefall aufgehört, der Großteil der Trommelweiber war aber noch immer mit Schnaps, Bier und Würsteln beschäftigt. Gasperlmaier zog erschrocken seine Larve vor das Gesicht, er hatte vergessen, sich zu verhüllen, bevor er das Bankgebäude verließ. Durch die engen Sehschlitze musterte er die Gruppe der Trommelweiber, die laut und fröhlich die Bierflaschen gegeneinanderkrachen ließen. Er merkte, dass er jetzt doch aufs Klo musste. Aber immerhin, einige der anderen Trommelweiber waren auch schon in diese Richtung verschwunden, und es konnte nicht schaden, auch dort einmal Nachschau zu halten. Er trat auf die Brücke hinaus, wo ihn ein Windstoß erfasste, der ihm fast die Haube vom Kopf riss und seinen weißen Spitzenrock flattern ließ. Unmöglich war das, in so einem Gewand herummarschieren zu müssen. Und von einer Wetterbesserung konnte eigentlich gar keine Rede sein. Mit einer Hand hielt er Haube und Larve fest und näherte sich der öffentlichen Toilette.

Tatsächlich standen zwei Trommelweiber am Pissoir und unterhielten sich lautstark und angeregt, während sie ihr Geschäft verrichteten. Der eine hatte sogar eine Zigarette zwischen die Zähne geklemmt, während der andere schon bedenklich schwankte. Gasperlmaier sorgte sich, ob der Mann überhaupt noch in der Lage war, mit seinem Strahl zielsicher die Pissoirschüssel zu treffen. Es war ein großer, grobschlächtiger Kerl mit einem dicken Bauch und langen, etwas ungepflegt wirkenden grauen Haaren, die ihm bis weit in den Nacken hinunterhingen.

Gasperlmaier zog sich in die Kabine zurück. Erstens war er beim Wasserlassen sowieso lieber für sich, und zweitens wollte er vermeiden, in die Unterhaltung der beiden mit hineingezogen zu werden. Sie unterhielten sich nämlich, so schien ihm, über genau die schwarzhaarige Bankangestellte, mit der Gasperlmaier selbst soeben zusammengetroffen war. Eine „geile Katz“ nannte der eine sie, und der andere machte irgendeine, wie Gasperlmaier fand, zwar zutreffende, aber in der Wortwahl und im Ton unangebrachte Bemerkung über die Größe ihrer Brüste. Er konzentrierte sich auf seine Tätigkeit und versuchte, die Unterhaltung draußen, die ohnehin bald abbrach, auszublenden.

Als er die Kabine verließ, standen bereits zwei andere Trommelweiber an den Pissoirschüsseln, daneben auch ein Bursch, völlig unpassend bekleidet mit einer kurzen Lederhose. Der musste ja elendiglich frieren. Oder vielleicht war er schon so betrunken, dass er nichts mehr spürte.

Überhaupt war es Gasperlmaier schleierhaft, wie es möglich war, dass ihnen im Ausseerland im Fasching nicht rudelweise die Leute erfroren. Nicht wenige machten sich nächtens nach durchzechten Tagen und Abenden auf den Heimweg, zumindest meist nicht mehr, wie es früher noch üblich gewesen war, mit dem Auto oder dem Moped, sondern zu Fuß. Und manch einen, der auf dem Heimweg umgekippt und mitten auf dem Gehsteig einfach eingeschlafen war, hatte Gasperlmaier bei einem Streifengang schon aufgefunden. Gott sei Dank immer rechtzeitig, bevor er noch erfroren war. Aber es konnte ja nicht jeder das Glück haben, von der stets wachsamen Exekutive gefunden und entsprechend versorgt zu werden.

Als Gasperlmaier sich wieder der Gruppe der Trommelweiber näherte, blickte ihm das auffällige Trommelweib, das die Maske noch nie vom Gesicht gezogen hatte, entgegen und schien ihn zu mustern. Wer konnte das sein? Plötzlich stellte er fest, dass das Bier und der Schnaps zu viel für ihn geworden waren. Durch die engen Sehschlitze der Maske zusätzlich behindert, konnte er seinen Blick nicht mehr schärfen, die Trommelweiber samt ihren Instrumenten verschwammen vor seinen Augen. Unsicher tastete er nach dem Brückengeländer, er fühlte sich schwindelig. Einen Moment nur wollte er sich festhalten, dann würde es schon wieder gehen. Er verfluchte die Maske, die ihn, wie er fand, am Atmen hinderte und innen eigentlich ganz grauenhaft stank. Wenn er sie nur hätte abnehmen können!

Plötzlich gab es inmitten der Trommelweiber Aufregung, Stimmen wurden laut, Flüche wurden ausgestoßen. „Sakra, das gibt’s ja nicht!“, hörte Gasperlmaier. War am Ende etwas passiert, das er verhindern hätte sollen? Er drängte sich um die abgestellten Trommeln herum durch die Gruppe, um zu sehen, was geschehen war. Da traf ihn fast der Schlag. Mit allem hatte er gerechnet, nur damit nicht. Inmitten der Trommelweiber stand seine Tochter Katharina, als Trommelweib verkleidet, nur hatte sie Maske und Haube abgenommen und ihr üppiges dunkles Haar fiel ihr über die Schultern, als sie es ausschüttelte. „Eine Sauerei ist das!“, ereiferte sich das Trommelweib zu Gasperlmaiers Linker. „Durchg’haut g’hört’s, des Gfrast!“ Rundum erhoben sich ebenfalls Stimmen, sogar eine Bierflasche krachte vor Katharinas Füßen auf den Boden und zerbarst, ihr Inhalt wurde rasch vom frisch gefallenen Schnee aufgesaugt. „Es muss aufhören, dass immer nur die Männer alles dürfen und alle Traditionen für sich beanspruchen!“, rief die Katharina. „Damit muss endlich Schluss sein! Prost!“ Sie hob eine Bierflasche, die sie in der rechten Hand gehalten hatte, und nahm einen kräftigen Schluck. „Hast eh Narzissenkönigin werden dürfen! Und jetzt schleich dich!“, meinte einer aus der Menge. Die Katharina war nämlich vor ein paar Jahren die Narzissenkönigin des Ausseerlandes gewesen, mit ein Grund, warum jeder in der Gruppe der Trommelweiber sie kannte. Die Narzissenkönigin wurde alljährlich im Mai anlässlich eines großen Blumenfestes gewählt und durfte das Ausseerland bei allerlei Terminen ein ganzes Jahr repräsentieren. Leider, so erinnerte sich Gasperlmaier, hatte es auch dabei einige Zwischenfälle gegeben, denn die Katharina war eben widerborstig und hatte nicht immer genau die Botschaften in die Welt hinausgetragen, die sich der Tourismusverband von ihr gewünscht hätte.

„Deine Tochter ist das?“ Vor ihm baute sich ein Trommelweib auf, das sicher einen Kopf größer war als er selbst. Gasperlmaier konnte deutlich den Bier- und Schnapsgeruch in dessen Atem riechen. Jetzt galt es, sich eine sichere Antwort zu überlegen, und zwar schnell. Das jedoch war seine Sache gar nicht. Vor allem unter Stress gelangen ihm selten passende und sinnvolle Antworten, vor allem auf Fragen, die so vorgebracht wurden wie die gerade. „Lass mich in Ruh!“, brachte er noch heraus, da hatte ihn sein Gegner schon kräftig am Arm gepackt und begann, ihn durchzuschütteln. „Lass meinen Papa aus, sonst zieh ich dir die Bierflasche über den Schädel!“ Die Katharina baute sich drohend, mit der Flasche in der erhobenen Hand, vor ihnen auf, während er selbst unter dem schmerzhaften Griff um seinen Oberarm stöhnte. Schon hatte sich ein Kreis interessierter Beobachter um sie geschlossen, die gespannt darauf warteten, wie sich die Situation weiter entwickeln würde. Niemand machte Anstalten, die Katharina oder den Angreifer, der Gasperlmaier immer noch fest umklammert hielt, aufzuhalten. „Schlag doch zu! Traust dich eh nicht!“, war eine Stimme zu vernehmen. Die Augen der Katharina blitzten, Gasperlmaier sah es genau, und in dem Moment, als sie ausholte, um tatsächlich zuzuschlagen, griff jemand von hinten nach der Bierflasche und riss sie der Katharina aus der Hand. „Und du, du lässt jetzt den Gasperlmaier los! Auf der Stelle!“ Jetzt erst erkannte Gasperlmaier, dass es der Bürgermeister war, der Manzenreiter Leo, der sich zu ihren Gunsten in die Auseinandersetzung eingemischt hatte. Er schnappte sich sowohl Gasperlmaier als auch die Katharina. „Kommt’s mit!“ Er schob beide vor sich her in den Schalterraum der Bank, in dem Gasperlmaier zuvor schon seine Würstel verzehrt hatte.

„Und jetzt“, sagte der Leo, ließ sie beide los und verschränkte die Arme vor der Brust, „erklärt’s ihr mir einmal, was das Ganze da soll. Was da los ist, und warum ihr zwei mir hier den ganzen Fasching durcheinanderbringt’s!“ Natürlich hatte sich die Katharina schneller gefasst als Gasperlmaier, der noch am Räuspern und Überlegen war, während sie schon die Sätze herausschoss wie Giftpfeile. „Ihr Männer glaubt immer, die ganze Welt ist nur für euch da! Und ihr könnt entscheiden, wo die Frauen mitmachen und wo nicht! Und wenn wir wo mittun dürfen, da müssen wir schön brav fragen, wie bei der Feuerwehr, und dann entscheidet erst wieder ein Haufen alter Männer, was wir dürfen und was nicht! Damit ist jetzt Schluss!“ Der Manzenreiter Leo, schien Gasperlmaier, wich ein wenig vor dem Zorn der Katharina zurück. Einerseits, so fand er, hatte sie ja Recht. Aber andererseits war er immer eher dafür, alles so zu lassen, wie es war, damit es keine Unruhe und keinen Aufstand gab. Denn wie man sah, bedeutete das alles im Endeffekt mehr Arbeit für die Polizei, und das konnte schließlich nicht in seinem Sinne sein. Auch nicht im Sinn des Staates, für den er arbeitete, denn für den verursachte jeder unnötige Aufruhr nur überflüssige Kosten. Aber mit solchen Überlegungen brauchte man der Katharina nicht zu kommen, das wusste er aus leidvoller Erfahrung.

Der Leo dagegen strich sich mit den Fingern der Rechten über den Bart. „So unrecht hast ja nicht, Katharina. Aber du suchst dir halt für deine Ideen oft den falschen Ort und die falsche Zeit aus. Weißt eh, recht glücklich waren wir mit dir als Narzissenkönigin ja nicht, weil du da auch gleich Revolution machen wolltest. Und jetzt bringst uns noch den Fasching durcheinander.“

Die Katharina schnappte sich drei Flaschen Bier aus einer Kiste, die neben dem Bankomaten stand, und reichte dem Bürgermeister und Gasperlmaier je eine. „Da, nehmt’s! Das beruhigt!“ Wortlos öffneten alle drei ihre Bierflaschen, stießen sie zusammen und nahmen tiefe Schlucke. Gasperlmaier erinnerte sich daran, dass ihm vorhin auf der Postbrücke schon beinahe schlecht geworden war, er musste aufpassen mit dem Bier. Und vor allem mit dem Schnaps. „Du musst dir“, fuhr der Leo fort, „andere Gelegenheiten suchen, wenn du in der Politik mitmischen willst. Da kandidierst du eben für den Gemeinderat oder so.“ Die Katharina zischte verächtlich. „Das ist auch Politik, Leo, gerade das, wenn ihr selbstherrlich beschließt, dass nur Männer Trommelweiber sein dürfen. Und dann noch behauptet, dass das rein aus Tradition nicht anders in Frage kommt. Alles ist Politik!“

„Aber in Altaussee“, warf Gasperlmaier bescheiden ein, „da hättest doch eh gehen dürfen! Da gehen nur Frauen als Trommelweiber!“ Die Katharina nahm noch einen tiefen Schluck. Gasperlmaier sah es gar nicht gern, dass seine Tochter das Bier nur so in sich hineinschüttete. Hoffentlich vertrug sie es wenigstens. „In Altaussee!“, fauchte sie. „Da seid ihr Männer doch zu faul, eine Trommelweibergruppe auf die Beine zu stellen! Nur deshalb gehen da die Frauen! Und die hätten garantiert kein Problem damit, wenn ihr mitgehen würdet.“

„Sag einmal, Gasperlmaier“, meldete sich der Leo zu Wort, „da fällt mir gerade auf, dass nicht nur deine Tochter nichts bei den Trommelweibern verloren hat. Du selber bist ja auch kein Mitglied, und nicht einmal ein Ausseer? Was soll denn das Ganze eigentlich? Ist das eine Art Verschwörung, ein Komplott der Altausseer gegen uns? Oder was?“ Gasperlmaier räusperte sich. Die Katharina sah ihn interessiert an, sie wusste ja, warum er heute inkognito mitmarschiert war.

„Also“, meinte er, und plötzlich traf ihn die Erkenntnis wie ein Keulenschlag. Die Katharina selbst hatte den Drohbrief verfasst und beim Weissensteiner Wilfried in den Postkasten gesteckt! Und mit dem religiösen Unterton, so mit „gottlos“ und „Einkehr“, da hatte sie von sich ablenken wollen. „Einer weniger wird zurückkommen“ oder so, war da gestanden. Da hatte sie sich selbst gemeint, weil sie es von vornherein so geplant hatte: sich zu enttarnen, sobald sich genügend Zuschauer angesammelt hatten, damit es auch ein ordentliches Spektakel gab. „Das hätt ich aber nicht von dir gedacht!“, fuhr er die Katharina an, „dass du uns so zum Narren hältst! Da hätt ich ja gar nicht mitgehen brauchen, wenn ich das gewusst hätte! Da hätten wir uns den ganzen Zirkus erspart! Da kannst du jetzt vors Gericht kommen, wegen der Drohung, und dann ist es aus mit dem Studieren!“

Er atmete schwer, hatte sich richtig in Rage geredet und so wild mit seiner Bierflasche herumgestikuliert, dass er etliches Bier im Schalterraum der Bank verspritzt hatte. Der Janker des Leo hatte auch etwas abbekommen, der wischte an seinen Rockaufschlägen herum. Die Katharina starrte ihren Vater verständnislos an, während der Leo murmelte: „Ich kenn mich überhaupt nicht mehr aus. Wenn’s mich bitte aufklären würdet’s?“ Gasperlmaiers Wut war bereits im Begriff zu verrauchen, dennoch fuchtelte er weiterhin mit den Armen herum, ohne dass er dem Leo eine Antwort zukommen ließ. Die Katharina schien fast ein wenig kleinlaut. „Sollen wir’s ihm sagen, Papa? Was meinst du?“ „Was sagen? Jetzt redet schon!“ Gasperlmaier wand sich. Sollte er nicht zuvor mit der Frau Doktor reden? Immerhin waren es Polizeiinterna, um die es ging. Aber immerhin war der Bürgermeister ja eine Amtsperson. „Wenn du’s nicht weitererzählst? Musst mir versprechen!“, mahnte Gasperlmaier mit erhobenem Zeigefinger. „Er ist undercover mitgegangen, wegen einer Ermittlung. Da hat es eine Drohung gegen die Trommelweiber gegeben. Aber natürlich nicht von mir! Ich bin ja nicht blöd!“ Sie funkelte ihn an. Natürlich war die Katharina ihm wieder einmal zuvorgekommen, weil er nicht schnell genug die richtigen Worte gefunden hatte.

Kurze Zeit später war der Manzenreiter Leo voll ins Bild gesetzt. „Ja, aber wenn du … wenn die Drohung nicht von dir stammt, dann solltest du, Gasperlmaier, dich schleunigst wieder unter die Trommelweiber mischen. Man weiß ja nie!“ Unwillig zog Gasperlmaier sich die Maske vors Gesicht. „Und was machen wir mit ihr?“ Er deutete auf die Katharina. „Die bleibt vorerst einmal bei mir. Und wenn ihr weitergezogen seid, dann lass ich sie hinaus. Wir müssen ja nicht riskieren, dass die Situation draußen noch eskaliert.“ Gasperlmaier nickte. Das hielt er für eine gute Lösung. Aber zu Hause würde über dieses Theater noch einmal zu reden sein. Wo die Katharina doch sogar gewusst hatte, dass es eine Morddrohung gab. Er durchschritt die automatische Tür. Draußen hatten bereits alle Trommelweiber ihre Instrumente wieder aufgenommen, nur seine eigene Trommel stand, halb eingeschneit, neben dem Eingang der Bank. Seufzend legte er sich den Lederriemen über den Kopf, während der Weissensteiner Wilfried mit seinem langen Stock, an dem eine ganze Menge Beugel baumelten, das Zeichen zum Aufbruch gab.