Letztes Gefecht am Saber River - Elmore Leonard - E-Book

Letztes Gefecht am Saber River E-Book

Elmore Leonard

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Beschreibung

Paul Cable war für die Konföderierten in den amerikanischen Bürgerkrieg gezogen. In Tennessee hatte er sich dem 8. Texas-Kavallerie-Regiment angeschlossen, das unter dem Befehl von General Nathan Bedford Forrest stand. Als Cable im November 1864 mit seinen Kameraden den Duck River überquerte, um die Unionskavallerie zurückzudrängen, wurde er schwer verwundet. Von da an war der Krieg für ihn vorbei, obwohl im Osten des Landes noch gekämpft wurde. Er kehrt mit seiner Familie nach Arizona zurück, um sein altes Leben wieder aufzunehmen. Aber in Arizona haben sich die Dinge geändert. Vor dem Gesetz gilt Cable als Rebell, und zwei Brüder, beide Anhänger der Union, haben sein Hab und Gut konfisziert. Wahrscheinlich ist für Cable der Krieg doch noch nicht vorbei. Denn niemand vertreibt ihn ungestraft von seinem Land …

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Seitenzahl: 302

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Elmore Leonard

Letztes Gefecht am Saber River

Roman

Aus dem Englischen von Florian Grimm

Die Originalausgabe erschien 1959 unter dem Titel

»Last Stand at Saber River« bei Dell Publishing, New York.

© Elmore Leonard Inc. 1959, 1980

© Verlagsbuchhandlung Liebeskind 2024

Alle Rechte vorbehalten

Umschlagmotiv: Robert McGinnis

Umschlaggestaltung: Robert Gigler, München

eISBN 978-3-95438-180-7

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1

Paul Cable saß im Schatten der Pinien, nach vorn gebeugt, die Stiefel gekreuzt und die Ellenbogen auf die Knie gestützt. Er hob noch einmal das Fernglas, und das zweigeschossige Lehmhaus, das vierhundert Meter entfernt den Hang hinunter lag, erschien still vor seinen Augen.

Es war Denamans Laden. Ein einfacher, hellbrauner Bau, typisch für den Süden Arizonas, mit einer hölzernen Laderampe, aber ohne Vordach, das vor der Sonne schützte. Es war der einzige Gemischtwarenladen von Hidalgo bis Fort Buchanan im Norden, und vor Ausbruch des Krieges diente er auch als Poststation von Hatch & Hodges.

Der Laden war ihm vertraut, und es war gut, ihn zu sehen, weil es bedeutete, dass Cable und seine Familie fast zu Hause waren. Martha war neben ihm, die Kinder standen dicht dahinter. Sie konnten es kaum erwarten, nach zweieinhalb Jahren wieder in ihre Heimat zurückzukehren. Aber der Anblick eines Mannes, den Cable nie zuvor gesehen hatte – ein Mann mit nur einem Arm –, hielt sie zurück.

Er stand auf der Laderampe, gegenüber dem leeren, sonnenüberfluteten Hof, und starrte auf die Weidenbäume, die den Fluss hinter dem Haus verdeckten. Die rechte Hand hatte er in die Hüfte gestemmt, sein linker Ärmel steckte straff und ordentlich in seiner Hosentaille. Die verblichenen, roten Buchstaben des Schriftzuges DENAMAN’SSTORE liefen in voller Breite über der Schwingtür des Ladens.

Cable beobachtete den Mann. Er hatte irgendetwas an sich.

Vielleicht, weil er nur einen Arm hatte. Nein, dachte Cable, das erinnert dich an die zweieinhalb Jahre Krieg, aber du hast etwas gespürt, noch bevor du gesehen hast, dass er nur einen Arm hat.

Ihm wurde bewusst, dass dies die Kriegsgewohnheiten mit sich brachten, die er angenommen hatte, um zu überleben. Die Gewohnheit, keiner Regung zu trauen, die man nicht sofort zuordnen konnte. Die Gewohnheit, sich nicht blind in etwas hineinzustürzen. Er hatte gelernt, sich in Geduld zu üben, die Situation sicher einzuschätzen, bevor man zur Tat schritt. So sicher, wie man eben sein konnte.

Cables Fernglas streifte über die verwitterte Fassade des Lehmhauses und folgte dem Blick des Einarmigen zu den Weidenbäumen und dem Fluss, der versteckt hinter den herunterhängenden Zweigen lag.

Eine junge Frau mit einem Eimer in der Hand trat zwischen den Bäumen hervor, und Cable sagte: »Da kommt Luz. Hier …« Er gab das Fernglas an seine Frau weiter, die sich hingekniet hatte und nun auf ihren Fersen saß, während sie mit einer Hand ihre Augen vor dem Sonnenlicht abschirmte.

Martha Cable hob das Fernglas. Nach einem Augenblick sagte sie: »Es ist Luz Acaso. Aber irgendwas an ihr ist anders.«

»Aus ihr ist eine erwachsene Frau geworden«, sagte Cable. »Sie muss jetzt achtzehn sein.«

»Nein«, sagte Martha. »Etwas anderes. Ihre Haltung. Die Art, wie sie sich bewegt.«

Sie beobachtete durch das Fernglas, wie die junge Frau mit langsamen Schritten über den Hof ging. Sie schaute zu Boden und hob erst den Blick, als sie an der Rampe angelangt war und die Stufen hochstieg. Als sie aufschaute, konnte man ihr warmes, ernstes Gesicht im Sonnenlicht erkennen. Martha erinnerte sich an Luz’ wissenden Blick, an ihre leicht geöffneten Lippen, immer bereit für ein Lächeln oder lauthals loszulachen. Nun aber lag Müdigkeit in ihrem Gesichtsausdruck. Ihre Augen wanderten zu dem Mann auf der Rampe, der sie anblickte. Dann schaute sie rasch weg und trat in den Laden.

Sie ist müde oder krank, dachte Martha. Oder sie hat Angst.

»Ist sie ins Haus gegangen?«, fragte Cable.

Martha senkte kurz das Fernglas und nickte. »Aber der Mann steht immer noch da. Cable, ich glaube, sie hat Angst vor ihm.

»Vielleicht.« Er beobachtete, wie Martha den Mann auf der Laderampe in Augenschein nahm. »Aber warum sollte sie, wenn Denaman da ist?«

»Wenn er da ist«, sagte Martha.

»Wo sollte er sonst sein?«

»Ich wollte gerade dieselbe Frage stellen.«

»Gut, nehmen wir an, dass er sich im Haus aufhält.«

»Und Manuel?« Sie meinte Luz’ Bruder.

»Manuel kann überall sein.«

Martha beobachtete immer noch den Mann auf der Rampe, um sich einen Eindruck von ihm zu verschaffen. Er war groß, kräftig gebaut, aber schlank, mit schwarzem Haar und einem Schnurrbart. Vielleicht Ende dreißig. Sein linker Arm fehlte zwischen Schulter und Ellbogen.

»Ich glaube, er war im Krieg«, sagte Martha.

»Wahrscheinlich.« Cable nickte nachdenklich. »Aber auf welcher Seite?« Darauf kommt’s an, sagte er sich. Du traust ihm nicht. Jeder Mann erweckt aus der Ferne dein Misstrauen, deine Abneigung. Es ist gut, vorsichtig zu sein, aber damit kann man es auch übertreiben.

Er dachte kurz an John Denaman, den Mann, der ihm am Anfang geholfen hatte. Vor zehn Jahren hatte er ihn dazu überredet, sich hier im Tal des Saber River niederzulassen. Es wäre gut, John wiederzusehen. Und es wäre gut, Luz zu sehen, mit ihr zu sprechen und mit Manuel. Luz’ und Manuels Vater hatte für Denaman gearbeitet, bevor eine Krankheit ihn plötzlich dahinraffte. Danach zog John die beiden auf, als wären es seine eigenen Kinder.

»Er geht jetzt ins Haus«, sagte Martha.

Cable wartete einen Augenblick. Dann wandte er sich um, hievte sich hoch und sah seine Tochter, die nur wenige Fuß von ihm entfernt stand. Clare war sechs, sie war ihr ältestes Kind: ein zierliches, ruhiges Mädchen, mit den dunklen Haaren und Augen seiner Mutter und ansatzweise deren feinen, markanten Gesichtszügen. Sie sah ihrer Mutter ähnlich, genau wie die Jungen nach ihrem Vater kamen. Unsicher stand sie da, die Hände vor der Brust verschränkt.

»Schwester, du trommelst deine Jungs zusammen.«

»Fahren wir weiter?«

»In ein paar Minuten.«

Er blickte ihr nach, bis sie inmitten der Bäume verschwunden war, und einen Augenblick später hörte er die schrille Stimme von einem der Jungen. Das musste Davis sein, fünf Jahre alt. Sandy, nicht ganz vier, war bestimmt direkt hinter ihm, machte jede Bewegung seines Bruders nach. Fast jede.

Cable holte seinen braunen Wallach zwischen den Bäumen hervor und stieg auf. »Er wird wieder rauskommen, wenn er mich hört«, sagte er. »Aber warte, bis du uns miteinander reden siehst, bevor du runterkommst. Verstanden?«

Martha nickte. Sie lächelte zaghaft, als sie sagte: »Es wird wahrscheinlich ein alter Freund von Denaman sein.« »Wahrscheinlich.«

Cable gab dem Rotfuchs die Sporen und ritt den blassgelben Ausläufer des Hangs hinunter. Er saß aufrecht und fest im Sattel, sein rechtes Knie berührte den Schaft seines Karabiners, ein Spencer, und sein rechter Ellbogen den Walker Colt an seiner Hüfte. Die Augen hatte er auf den Laden gerichtet. Der Mann konnte ein Späher sein, dachte er. Vielleicht waren die zweieinhalb Jahre nicht vorbei.

Sobald er beschlossen hatte, zur Armee zu gehen, verkaufte er seinen gesamten Viehbestand, die ganzen Rinder, zweihundertfünfzig Stück, und alle Pferde bis auf drei. Er hatte seine Frau und die Kinder in den Planwagen gesteckt und nach Sudan, Texas, gebracht, zu Marthas Eltern. Er tat dies, weil er unerschütterlich an die Konföderation glaubte wie an seine Freunde, die für sie ins Feld gezogen waren.

Wegen seiner Prinzipien hatte er den Saber River in Arizona hinter sich gelassen und war nach Chattanooga, Tennessee, geritten, mit einem Gewehr, einem Revolver und zwei Pferden. Dort schloss er sich dem 8. Texas-Kavallerie-Regiment von J. A. Wharton an, das unter dem Befehl von General Nathan Bedford Forrest stand.

Drei Wochen später, als Forrest auf Murfreesboro vorrückte, erlebte Cable die ersten Kampfhandlungen und wurde verwundet. Am 3. September wurde Paul Cable zum Captain ernannt und General Forrests Eskorte zugeteilt. Vom Soldaten zum Captain in nur drei Wochen – das kam vor unter Forrests Kommando. Nach Murfreesboro wurde er noch zwei Mal verwundet, das dritte und letzte Mal am 28. November 1864 an einem Ort namens Huey’s Mills. Er wurde von einer Salve aus dem Sattel geholt, als sie den Duck River überquerten, um Wilsons Unionskavallerie nach Franklin, Tennessee, zurückzudrängen. Cable wurde mit Schusswunden an der linken Hüfte und am Oberschenkel ins Lazarett in Columbia gebracht. Am 8. Dezember teilte man ihm mit, er solle sich nach Hause begeben, »auf welchem Weg auch immer«. Es gab Männer, die schwerere Verletzungen davongetragen hatten als er und die sein Feldbett brauchten. Und bald würde es eine ganze Flut von Verwundeten geben, denn General Hood stand kurz davor, in Nashville über die Yankees herzufallen. Geh nach Hause, wurde ihm gesagt, und danke Gott für deine Schussverletzungen.

Für Cable war der Krieg also vorüber, obwohl im Osten noch gekämpft wurde und er ihn immer noch in den Knochen spürte. Er war noch keine dreißig, ein Mann mit hagerem Gesicht und überdurchschnittlich groß, aber er sah älter aus, nachdem er unter Nathan Bedford Forrest gedient hatte: Auf Chickamauga folgten Fort Pillow, Brice’s Crossroads und Thompson’s Station, drei Angriffe in West Tennessee und hundert namenlose Scharmützel. Er war ein besonnen auftretender Mann, daran hatte der Krieg nichts geändert. Ein klar denkender Mann, der sich selbst Lesen und Schreiben beigebracht hatte, die Grundregeln, dann hatte ihm seine Frau geholfen.

Martha Sanford Cable war jetzt siebenundzwanzig. Ein Mädchen aus dem Westen von Texas, das aber auf einer Klosterschule in New Orleans erzogen worden war. Vor sieben Jahren hatte sie Sudan verlassen und war als Paul Cables Ehefrau an den Saber River gezogen, um ihm dabei zu helfen, ein Haus zu bauen, und ihm eine Familie zu schenken …

Nun kehrten sie zurück in das Haus, das sie gebaut hatten, mit der Familie, die sie gegründet hatten. Sie waren bei Denamans Laden angelangt, nur vier Meilen von ihrem eigenen Stück Land entfernt.

Und Cable erreichte den Hof des Ladens, die Augen immer noch auf die Rampe gerichtet und die Schwingtür, die von der fahlen Fassade des Lehmhauses eingefasst war. Er zog bei seinem Rotfuchs die Zügel an und ritt im Schritt weiter.

Der rechte Türflügel öffnete sich und der einarmige Mann trat heraus. Er ging bis zum Rand der Laderampe, blieb dort stehen und schaute auf Cable herab. Seinen Daumen hatte er am Gürtel eingehakt.

Cable kam näher. Er hatte die Augen fest auf den Mann gerichtet, ergriff aber erst das Wort, als er das Pferd einige Meter vor ihm zum Stehen gebracht hatte. Vom Sattel aus waren Cables Augen auf Kniehöhe des Mannes.

»Ist John Denaman da?«

Der Mann verzog keine Miene. »Er ist nicht mehr hier.«

»Ist er weggezogen?«

»Könnte man sagen.«

»Vielleicht kann ich mit Luz sprechen.«

Die eingefallenen Wangen und der buschige Schnauzbart, der seine Mundlinie bedeckte, gaben dem Mann einen harten, knorrigen Gesichtsausdruck, aber nicht angespannt. »Sie kennen Luz?«, fragte er.

»Seit sie acht ist«, antwortete Cable. »Seit dem Tag, als ich zum ersten Mal einen Fuß in dieses Tal gesetzt habe.«

»Nun …« Der Anflug eines Lächelns veränderte die finstere Miene des Mannes. »Dann müssen Sie Cable sein.«

Cable nickte.

»Heimgekehrt aus dem Krieg.« Der Mann schien immer noch zu lächeln. »Luz hat von Ihnen und Ihrer Familie gesprochen. Ihr Bruder auch. Er erzählt, dass Sie gemeinsam die Apachen in die Flucht geschlagen haben, als die Ihre Herde überfielen.«

Cable nickte. »Wo ist Manuel?«

»Irgendwo unterwegs.« Der Mann hielt inne. »Waren Sie schon bei sich zu Hause?«

»Wir sind auf dem Weg dorthin.«

»Dann werden Sie eine Überraschung erleben.«

Cable blickte ihn gleichgültig an. »Was soll das heißen?«

»Das werden Sie schon herausfinden.«

»Ich glaube, Sie wechseln das Thema«, sagte Cable sanft. »Ich habe Sie gefragt, was aus John Denaman geworden ist.«

Einen Augenblick lang blieb der Mann stumm. Dann wandte er sich um und rief durch die offene Tür: »Luz, komm raus hier!«

Cable musterte ihn. Er sah, wie das knochige Gesicht des Mannes wieder auf ihn herabblickte, und fast im selben Moment tauchte die junge Frau im Türrahmen auf. Cables Hand tippte an die gekräuselte Krempe seines Huts.

»Luz, mein Schatz, es ist schön, dich zu sehen.« Er sprach warmherzig, und er wäre auf die Rampe gesprungen, um ihr einen Kuss zu geben, wenn die Anwesenheit dieses Mannes ihn nicht davon abgehalten hätte.

»Paul …«

Er sah in ihren Augen und an ihrem Mund, wie überrascht sie war, aber nur einen Augenblick lang, dann erwiderte sie seinen Blick mit einem Lächeln, das ernst war und freudlos, ein Lächeln, das sich just in dem Moment verflüchtigte, als der einarmige Mann das Wort ergriff.

»Luz, erzähl ihm, was mit Denaman geschehen ist.«

»Sie haben es ihm nicht gesagt?« Sie blickte kurz zu Cable und schien zu zögern. »Er ist tot, Paul. Er ist vor fast einem Jahr gestorben.«

»Vor neun Monaten«, sagte der einarmige Mann. »Ich kam Ende August hierher. Er starb im Monat zuvor.«

Cables Augen hefteten sich auf den Mann. Er blickte ihn durchdringend an, denn er hatte gespürt, dass Denaman tot war, er hatte es gespürt an der Art und Weise, wie der Mann sprach, am Tonfall seiner Stimme.

»Sie hätten es mir geradeheraus erzählen können«, sagte Cable.

»Nun, jetzt wissen Sie es.«

»Man könnte meinen, Sie würden ein Spiel daraus machen.«

Der Mann blickte ungerührt zu Cable herunter. »Warum belassen Sie es nicht dabei?«

»Paul«, sagte Luz, »es kam völlig unerwartet. Er war nicht krank.«

»Sein Herz?«

Luz nickte. »Er ist kurz nach Mittag zusammengebrochen, und am Abend war er tot.«

»Und Sie sind zufälligerweise einen Monat später hier aufgetaucht«, sagte Cable und blickte den Mann erneut an.

»Warum fragen Sie nicht gleich, was ich hier treibe?« Beim Geräusch des zweispännigen Planwagens auf dem abfallenden Hang blickte der Mann auf. »Ist das Ihre Familie?«

»Meine Frau und die drei Kinder.«

Der Mann schaute wieder nach unten. »Sie haben die lange Reise vergebens gemacht.« Er schien fast zu lächeln.

»Gut«, sagte Cable, »und warum?«

»In Ihrem Haus leben ein paar Männer.«

»Wenn das so ist, werden sie ausziehen müssen.«

Das Lächeln kam nicht, aber der Mann starrte gebannt auf Cable herab. »Kommen Sie rein, und ich erzähle es Ihnen.« Dann drehte er sich abrupt um, warf noch einmal einen Blick auf den Planwagen und trat in den Laden.

Cable konnte die klirrenden, knarzenden Geräusche des Wagens hören, der nun ganz nah war, aber er nahm seine Augen nicht von Luz, bis sie ihn ansah.

»Luz, wer ist das?«

»Sein Name ist Edward Janroe.«

»Der Mann tut so, als gehöre ihm der Laden.«

Sie hob kurz die Augen. »Das tut er. Die Hälfte davon.«

»Aber warum …«

»Kommen Sie?« Janroe stand in der Tür. Er blickte Cable an und deutete mit einem Kopfnicken auf Luz. »Der muss man alles aus der Nase ziehen. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass die Mühe nicht lohnt.« Er wartete, bis sich Cable im Sattel rührte, um abzusteigen. »Ich bin im Haus«, sagte er und trat von der Tür weg.

Cable ließ die Zügel fallen und über den Boden hängen. Er schwang sich vom Pferd und ging die Stufen zur Rampe hoch. Einen Moment lang blickte er stumm zu Luz Acaso.

»Bist du mit ihm verheiratet?«

»Nein.«

»Aber er lebt seit acht Monaten hier und besitzt die Hälfte des Ladens?«

»Davon kann man halten, was man will.«

»Ich will nichts davon halten. Ich will wissen, was hier los ist.«

»Er wird dir alles sagen, was du wissen willst.«

»Luz, glaubst du etwa, ich will herumschnüffeln? Ich will dir helfen.«

»Ich brauche keine Hilfe.« Sie sah an ihm vorbei auf den Wagen, der gerade auf den Hof fuhr.

In Ordnung, dachte er. Zwing sie nicht dazu. Dann ging ihm auf, dass Martha ohnehin besser mit Luz sprechen konnte. Warum also auf der Sache herumreiten und sie verunsichern? Martha würde in wenigen Minuten alle Einzelheiten aus ihr herausgekitzelt haben.

Cable klopfte ihr sachte auf die Schulter und trat an ihr vorbei in das Halbdunkel des Ladens.

Er ging die Theke entlang, die die Vorderwand säumte, wobei er mit der Hand über ihren speckigen, abgenutzten Rand fuhr und den Blick über die fast leeren Regale wandern ließ. Es gab vereinzelte Konserven, Stoffballen, Arbeitskleidung, Kartons, bei denen man nicht wusste, was in ihnen steckte. An einem Holzbalken darüber hingen Rochester-Öllampen, Eimer und Seilbündel. Die meisten Waren in den Regalen sahen schon älter aus, als würden sie seit Langem hier liegen.

Cable senkte den Blick und blieb beinahe stehen, als er Janroe am Ende der Theke entdeckte, an der Tür, die in den nächsten Raum führte. Janroe beobachtete jede seiner Bewegungen.

»Sie gehen ganz normal«, sagte Janroe sanft. »Haben keine sichtbaren Wunden. Aber ohne Verletzung hätten die Sie sicher nicht laufen lassen.«

»Wenn ich länger gehe, merkt man es«, sagte Cable. »Oder wenn ich zu lange im Sattel sitze.«

»Das hört sich genau nach der Art von Wunde an, die man sich wünscht. Wo haben Sie sich die geholt?«

»Auf dem Marsch nach Nashville.«

»Mit Hood?«

»Vor ihm. Mit Forrest.«

»Sie haben Glück gehabt. Ich meine, dass Sie noch ganz sind.«

»Schätze schon.«

»Das kann auch anders laufen. Ich habe unter Kirby Smith gedient, ein Jahr lang, von Sommer ’61 an, und wir sind den Kentucky River hochmarschiert, in Richtung Lexington. In der Nähe von Richmond stießen wir auf einen Yankee-General namens Bull Nelson.« Janroes Augen verengten sich, und er verzog leicht den Mund, als er sich daran erinnerte. »Er hatte nur junge Rekruten, eine zusammengewürfelte Einheit, und ich kann Ihnen sagen, wir haben es denen so richtig gegeben. Haben sie niedergemäht und in die Hölle geschickt, und diejenigen, die wir verschont haben, sind gerannt, wie man noch nie jemanden um sein Leben laufen gesehen hat. Danach hat die Kavallerie alles zusammengekehrt, und wir haben an diesem einen Nachmittag über viertausend Gefangene gemacht.«

Janroe hielt inne, und seine Stimme wurde leiser. »Aber sie hatten eine Batterie auf einem Kamm postiert, hinter einer Steinmauer. Ich bin mit einigen Männern da hoch, um sie zu stellen … und am nächsten Tag wachte ich mit einem Arm weniger in einem Feldlazarett in Richmond auf.«

Er beobachtete Cable genau. »Verstehen Sie, was ich meine? Wir haben sie zurechtgestutzt. Die Schlacht war aus und vorbei. Aber wegen dieser einen Batterie, die zu grün hinter den Ohren war, um aufzugeben, oder zu ängstlich, habe ich einen gesunden Arm verloren.«

Aber du hast noch einen Arm übrig und bist nicht mehr im Krieg, dachte Cable und hätte es beinahe laut ausgesprochen. Stattdessen nickte er nur und schaute auf die Regale.

»Vielleicht hat Luz Ihnen gerade erzählt, dass ich bei der Armee war«, meinte Janroe.

»Nein, sie sagte nur Ihren Namen und dass ein Teil des Ladens Ihnen gehört.«

»Das ist doch mal ein Anfang. Was wollen Sie sonst noch wissen?«

»Warum Sie hier sind.«

»Sie haben es gerade selbst gesagt. Mir gehört ein Teil dieses Ladens.«

»Was hat Sie dann hergetrieben?«

»Sie sind ein misstrauischer Mensch.«

»Hören Sie«, sagte Cable ruhig, »John Denaman war mein Freund. Er stirbt urplötzlich, und dann tauchen Sie auf und übernehmen die Hälfte seines Ladens.«

»Das ist richtig. Wollen Sie wissen, wie er gestorben ist?«

Als Cable keine Antwort gab, hob Janroe die Augen zu den fast leeren Regalen. »Er hatte nicht genug Waren auf Lager. Es kam zu selten Geld rein. Das machte ihm Sorgen, weil er nicht wusste, wie es mit dem Geschäft weitergehen sollte.« Janroe senkte den Blick wieder auf Cable. »Er sorgte sich sogar wegen Luz und Vern Kidston. Die beiden pflegten Umgang miteinander, habe ich gehört, und der alte Mann hatte Meinungsverschiedenheiten mit Vern. Wegen unterschiedlicher politischer Ansichten, könnte man sagen. Es war eine Verknüpfung von mehreren Dingen, die den Alten umgebracht hat. Sorgen und sein fortgeschrittenes Alter. Und wenn Sie glauben, dass da noch irgendetwas anderes im Spiel war, ist das reine Einbildung.«

»Kommen wir noch einmal auf Vern Kidston zurück«, sagte Cable. »Ich habe noch nie von ihm gehört. Mit dem, was Sie erzählen, kann ich nicht viel anfangen.«

Janroes schmales Lächeln verschwand. »Vern kam vor etwa zwei Jahren hierher, habe ich gehört. Er verdient seinen Lebensunterhalt, indem er die Kavallerie der Unionstruppen mit Pferden versorgt. Er bringt sie hoch nach Fort Buchanan.«

»Lebt er hier in der Nähe?«

»Im dem alten Toyopa-Haus. Wie weit ist das von Ihnen entfernt?«

»Ungefähr sechs Meilen.«

»Man erzählt, Vern hat es wieder hergerichtet.«

»Das muss ihn eine Menge Arbeit gekostet haben. Das Haus war halb niedergebrannt.«

»Vern hat genügend Männer.«

»Ich muss ihn treffen.«

»Das werden Sie. Das werden Sie ohne jeden Zweifel.«

Cable hatte seine Augen auf Janroe geheftet. »Es scheint, als könnten Sie es kaum erwarten.«

»Da kommt wieder Ihr argwöhnischer Charakter zum Vorschein.« Janroe richtete sich auf und ging ins Nebenzimmer. »Kommen Sie. Es ist Zeit für einen Drink.«

Cable folgte ihm, während er die Augen durch den Raum schweifen ließ, der ihm noch gut in Erinnerung war: von der Tür, die zur Küche führte, über den Rollschreibtisch und den Hatch-&-Hodges-Kalender bis zum offenen Kamin in der Ecke und den lederbezogenen Stühlen; zu den Porträts der Heiligen Familie und den Landschaftsbildern der Sierra Madre an den Wänden, zur Treppe, die ins Obergeschoss führte (vier Zimmer gab es oben, erinnerte sich Cable), und schließlich zum runden Esstisch, der zwischen den vorderen Fenstern stand. Er beobachtete, wie Janroe in die Küche ging und mit einer Flasche Mescal und zwei Gläsern wiederkam. Die Gläser hielt er mit seinen Fingern fest, die Flasche hatte er sich unter den Arm geklemmt.

Janroe deutete mit einem Nicken auf den Tisch. »Setzen Sie sich. Sie werden einen Drink gebrauchen können.«

Cable zog einen Stuhl heran und stieg darüber hinweg. Er beobachtete, wie Janroe Platz nahm und die Gläser mit dem klaren, farblosen Schnaps füllte.

»Hat es mit Vern Kidston zu tun, dass ich einen Drink brauche?«

Janroe nahm einen Schluck von seinem Mescal und stellte das Glas dann vorsichtig auf den Tisch. »Vern ist derjenige, der in Ihrem Haus lebt. Nicht Vern selbst, einige seiner Männer.« Janroe beugte sich vor, als wartete er auf Cables Reaktion. »Sie leben in Ihrem Haus, und ein Teil von Verns Pferdeherde grast auf Ihrer Weide.«

»Nun …«, Cable hielt das Glas hoch und betrachtete es im Licht, das durch das Fenster hinter Janroe fiel, »ich kann es ihm nicht verdenken, es ist gutes Weidegras.« Er nahm einen Schluck von dem süßlichen Schnaps. »Aber nun wird er dafür sorgen, dass seine Männer ausziehen. Das ist alles.«

»Glauben Sie das?«

»Wenn er das Haus nicht räumt, hole ich das Gesetz.«

»Welches Gesetz?«

»Fort Buchanan. Das liegt am nächsten.«

»Und auf welche Seite, glauben Sie, werden sich die Yankees schlagen«, fragte Janroe, »auf die des ehemaligen Rebellen oder auf die des Mustangfängers, der sie mit Pferden versorgt?«

Janroe schaute auf, und Cable drehte sich auf seinem Stuhl um, als Luz den Laden betrat. Hinter ihr kam Martha, die Sandy an der Hand hielt und Clare und Davis vor sich herschob.

»Wir werden sehen«, sagte Cable und erhob sich. Er streckte die Hand aus, während Davis auf ihn zulief und sich an sein Bein drückte.

»Mr. Janroe, das ist meine Frau Martha.« Er schaute zu Janroe hinüber, der keine Anstalten machte, sich zu erheben. »Der Junge hier heißt Davis. Der Kleine ist Sanford, und unsere Tochter, die fast sieben ist, heißt Clare.« Cable zwinkerte seiner Tochter zu, aber die starrte unverhohlen auf Janroes leeren Hemdsärmel.

Martha legte ihre Hand auf die Schulter des Mädchens und lächelte den sich immer noch am Tisch fläzenden Mann an.

»Mr. Janroe«, sagte Martha ruhig, »Sie wissen nicht, wie gut es tut, wieder hier zu sein.« Sie befürchtete, eines der Kinder könnte nach Janroes fehlendem Arm fragen. Cable wusste das. Er sah es ihr an, obwohl Martha nach außen hin gelassen blieb.

Luz sagte: »Ich habe sie zum Abendessen eingeladen.«

Janroe starrte Clare an. Als sie wegschaute, hefteten sich seine Augen auf Davis, als wollte er ihn herausfordern, etwas zu sagen. Dann, ganz langsam, lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und blickte Luz an.

»Nimm die Kinder mit. Sie essen in der Küche.«

Luz zögerte, nickte dann rasch und hielt Sandy die Hand hin. Der Junge sah zu ihr hoch und klammerte sich am Rock seiner Mutter fest.

»Sie sind daran gewöhnt, bei mir zu sein«, sagte Martha freundlich. Sie schob Clare sanft nach vorne und lächelte Luz zu, aber die junge Mexikanerin erwiderte das Lächeln nicht. »Während Cabe … während Paul nicht da war, hatten die Kinder kaum Kontakt zu Fremden. Ich fürchte, sie sind im Augenblick etwas scheu.«

»Wenn sie hier essen«, sagte Janroe, »dann essen sie in der Küche.«

Martha errötete. »Mr. Janroe, ich wollte nur erklären …«

»Mrs. Cable, da gibt es nichts zu erklären. In diesem Haus sitzen Kinder nicht zusammen mit Erwachsenen am Tisch.«

Martha spürte Zorn in sich aufsteigen und blickte hinüber zu ihrem Mann, zu Cable, der gelassen dastand, mit jener ruhigen, undurchdringlichen Miene, die zu lesen und zu respektieren sie gelernt hatte. Es steht mir nicht zu, ihm zu antworten, dachte sie. Aber der Drang war zu stark, und sie konnte ihre Worte nicht zurückhalten, obwohl ihre Stimme ruhig und kontrolliert war, als sie sprach: »Da Sie es nun drei Mal wiederholt haben, Mr. Janroe, werden wir uns für immer und ewig daran erinnern, dass in diesem Haus Kinder nicht mit Erwachsenen zusammen essen.«

»Mrs. Cable.« Janroe sprach leise. Er hatte sich aufrecht hingesetzt und seine Hand lag flach auf dem Tisch. »Wenn Ihr Mann hier in der Gegend einen Freund hat, dann bin ich es. Nicht, weil ich für den Süden oder gegen den Norden bin. Nicht, weil ich auf der Seite dessen bin, der im Nachteil ist. Sondern, weil ich keinen Grund habe, mit Ihrem Mann keinen freundschaftlichen Umgang zu pflegen. Aber das ist natürlich eine recht dünne Basis für eine Freundschaft.«

»Wenn Sie meinen, dass ich unhöflich war«, sagte Martha geduldig, »dann entschuldige ich mich hierfür. Vielleicht habe ich …«

»Einen Augenblick.« Janroe hob die Hand, um sie zu unterbrechen. »Ich möchte, dass Sie etwas verstehen. Ich habe es nicht nötig, mich bei Ihrem Mann anzubiedern. Wenn Sie nicht bei mir kaufen, dann in Fort Buchanan, und das ist einen Zwei-Tages-Ritt entfernt. Hinzu kommt, dass ich mit den Kidstons gute Geschäfte mache. Die kaufen die meisten Waren, sobald ich sie geliefert bekomme. Und ich sage Ihnen jetzt schon, wenn die erfahren, dass ich mich mit Ihrem Mann einlasse, werden sie kommen und lautstark verlangen, dass ich damit aufhöre.«

»Mr. Janroe …«

»Aber wissen Sie, was ich denen antworten werde? Ich werde ihnen sagen, dass sie ihre Geschäfte in Buchanan machen oder zur Hölle fahren sollen! Denn niemand kommt in mein Haus und sagt mir, was ich zu tun habe und was nicht. Nicht Vern Kidston oder sein Bruder, und auch nicht Sie oder Ihr Mann.«

Janroe lehnte sich auf seinem Stuhl zurück.

»So läuft das hier, Mrs. Cable. Ich rate Ihnen, darüber nachzudenken, bevor Sie das nächste Mal aussprechen, was Ihnen gerade in den Kopf kommt.«

Wieder herrschte Stille. Cable sah an ihren starren Zügen um Mund und Nase herum, wie angespannt seine Frau war, wie sehr sie sich beherrschen musste. Sie funkelte Janroe an.

»Martha«, sagte Cable sanft, »warum bringst du die Kinder nicht in die Küche? Vielleicht könnt Ihr Luz beim Aufdecken helfen.« Martha blickte ihn an, sagte aber nichts. Sie reichte Davis die Hand, sammelte ihre Kinder um sich und folgte der jungen Frau in die Küche.

»Ihre Frau scheint einen starken Charakter zu haben«, sagte Janroe, als sich Cable wieder setzte.

»Sie tritt für das ein, woran sie glaubt.«

»Ja«, sagte Janroe. »Eine willensstarke Frau. Ich habe bemerkt, dass Sie sie gefragt haben, als Sie ihr sagten, sie solle in die Küche gehen. Sie sagten: ›Warum bringst du die Kinder nicht …‹«

Cable starrte ihn an. »Ich glaube, das habe ich gesagt.«

»Ich habe die Erfahrung gemacht, es ist besser, man sagt den Frauen, was sie zu tun haben, man fragt nicht. Besonders bei Ehefrauen. Sie waren eine Weile weg, und Ihre Frau konnte sich einige Freiheiten erlauben. Aber jetzt sind Sie zurück und sollten Ihren Platz als Familienoberhaupt wieder einnehmen.«

Cable beugte sich vor und stützte seine Arme auf die Tischkante. »Mr. Janroe, ich schlage vor, Sie kümmern sich um Ihre eigenen Angelegenheiten.«

»Ich gebe Ihnen nur einen guten Rat. Ob Sie ihn annehmen, liegt bei Ihnen.«

»Alles, was ich bislang über Sie weiß«, sagte Cable ruhig, »ist, dass Sie gerne reden. Ich habe keinen Grund, Ihren Rat zu befolgen. Ich habe keinen Grund, Sie oder Ihr Auftreten zu respektieren.« Er sah, dass Janroe zu sprechen anhob. »Warten Sie. Sie haben meiner Frau einen Vortrag darüber gehalten, was sie Ihrer Meinung nach verstehen sollte. Ich habe danebengestanden und zugesehen, wie Sie sie beleidigt haben. Aber jetzt sage ich Ihnen eines, Mr. Janroe: Hätten Sie nicht das Pech, nur einen Arm zu haben, würden Sie solche Sachen nie sagen. Sie mögen ein willensstarker, kompromissloser Mann sein, dem es egal ist, was andere denken, und der sich nichts vorschreiben lässt. Vielleicht sind Sie sogar ein bewundernswerter Mann. Aber hätten Sie noch beide Arme, ich hätte Ihnen das Kinn gebrochen.«

Janroe starrte Cable an, seine Brust hob und senkte sich mit jedem Atemzug. Er blieb stumm.

»Es tut mir leid, dass ich das sagen musste«, meinte Cable nach einem Moment. »Aber jetzt wissen wir beide, woran wir sind. Sie haben Ihre Vorstellungen, ich habe meine. Sollten sie über Kreuz sein, dann kommen wir beide wohl nicht miteinander aus.«

Janroe nahm einen Schluck Mescal, ohne Hast, und stellte das Glas sachte wieder auf den Tisch. »Sie haben unter Bedford Forrest gedient«, sagte er. »Waren Sie Offizier?«

»Ich wurde zum Captain ernannt.«

»Das zeichnet Sie aus, nicht wahr? Offizier unter Forrest …«

»Kommt darauf an, von welcher Seite aus man das betrachtet.«

»Wie lange waren Sie bei ihm?«

»Ab Juni ’62.«

»Fast jeden Tag im Sattel. Im Freien leben und kämpfen …?«, Janroe nickte langsam. Dann hob er erneut sein Glas. »Damit könnten Sie mir schon das Kinn brechen.«

»Vielleicht hätte ich das nicht sagen sollen.«

»Machen Sie jetzt keinen Rückzieher. Ich bin nur realistisch, ich entschuldige mich nicht. Ich sagte, Sie könnten …«

Cable blickte ihn an. »Vielleicht sollten wir noch mal von vorn anfangen.«

»Nein, ich glaube, wir haben es weit gebracht in der kurzen Zeit.«

»Nur wissen Sie mehr von mir als ich von Ihnen«, sagte Cable.

»Sie brauchen über mich nichts zu wissen«, meinte Janroe, »die Kidstons sind Ihr Problem.«

»Ich werde mit ihnen reden.«

»Aber warum sollten die mit Ihnen reden?« Janroe sah ihn aufmerksam an. »Sie sind allein gegen … sagen wir, fünfzehn Mann. Sie sind ein ehemaliger Konföderierter auf Unions-Territorium. Die Kidstons selbst sind Yankees. Sie verkaufen die meisten ihrer Rinder und alle Pferde an die Unionsarmee. Verns Bruder Duane hat sogar eine Einheit befehligt, aber jetzt ist er wieder hier und hat den Krieg mitgebracht. Alle sollen ihn mit ›Major‹ anreden, und mit Verns Reitern springt er um, als wären sie seine persönliche Kavallerie.« Janroe schüttelte den Kopf. »Die müssen Ihnen nicht zuhören.«

Cable zuckte die Achseln. »Wir werden sehen.«

»Wie werden Sie sich versorgen?«, fragte Janroe. »Das ist Ihr dringlichstes Problem.«

»Fürs Erste«, sagte Cable, »plane ich, Vorräte zu kaufen und vielleicht auf die Jagd zu gehen. Aber bald schon werde ich mir Rinder zulegen und eine neue Herde aufziehen.«

»Und wo wollen Sie die herkriegen?«

»Aus dem Süden. Der Bruder von Luz hat Freunde in Sonora. Denen habe ich meine Rinder verkauft, als ich mich zum Kriegsdienst gemeldet habe, mit der Abmachung, dass ich so viele zurückkaufe, wie ich mir leisten kann, wenn ich nach Hause komme.«

»Manuel ist gerade dorthin unterwegs«, sagte Janroe.

Cable schaute auf. »Wann wird er zurück sein?«

»In ein paar Tagen, nehme ich an. Aber Ihre Probleme haben Sie jetzt. Wie gesagt, einige von Verns Männern leben in Ihrem Haus.«

»Ich werde mit ihnen reden«, sagte Cable.

»Einer von ihnen war heute Morgen hier. Bill Dancey.« Janroe verstummte, als Luz an den Tisch trat. Sie deckte Teller auf und stellte eine Schüssel mit Eintopf in die Mitte. Janroe fragte: »Wo steckt seine Frau?«

»Bei den Kindern.« Luz servierte ihnen, während sie sprach.

»War Dancey heute Morgen hier?«

»Ich habe sonst keinen gesehen.«

»Wer ist noch da oben bei ihm?«

»Ich glaube, Royce und ein Mann namens Joe Bob Dodd.«

»Erzähl Mr. Cable von ihnen.«

Luz ließ den Blick schweifen, als würde sie sich die beiden bildlich vorstellen, bevor sie sich an Cable wandte. »Bill Dancey ist der Chef. Er ist ein großer Mann und trägt einen Bart und ist vielleicht zehn Jahre älter als die anderen. Dieser Royce und der, den man Joe Bob nennt, sehen sich ähnlich, sie sind schlank und haben schmale Gesichter und tragen ihren Hut immer tief in die Stirn gezogen. Sie wirken träge, und wenn sie herumstehen, stemmen sie die Hände in die Hüften und erzählen einander irgendwelche Geschichten und lachen darüber, aber ihr Lachen ist nicht echt. Ich glaube, sie sind Texaner.«

»Das sind sie«, meinte Janroe. »Bei Dancey bin ich mir nicht sicher. Aber man sagt, dass dieser Joe Bob und Royce zusammen mit Joe Bobs älteren Brüdern, Austin und Wynn, aus der Texas-Brigade von Sherod Hunter desertiert sind, als sie hier durchzog, und Duane Kidston hat sie angeheuert. Die Leute erzählen sich, dass Duane einen Anfall bekäme, wenn er wüsste, dass die beiden für die Rebellen gekämpft haben.« Janroe hielt inne. »Royce und Joe Bob sind die in Ihrem Haus. Austin und Wynn sind wahrscheinlich im Haupthaus.«

Cable sagte: »Sie meinen, ich sollte nicht nach Hause zurückkehren?«

»Ich sage Ihnen nur, wie es ist. Sie machen, was Sie für richtig halten.«

»Wir fahren, sobald wir aufgeladen haben.«

Janroe sah von der Laderampe aus zu, wie der Planwagen mit Cables Rotfuchs im Schlepptau sich in Richtung Weidenbäume entfernte. Seine rechte Hand massierte behutsam seinen Armstummel, während er sich selbst ermahnte, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen oder nervös zu werden und unüberlegt zu handeln.

Aber bei Gott, mehr hätte er sich vom Schicksal nicht erhoffen dürfen – ein ehemaliger Rebell, der einfach hier aufkreuzte, der nach Hause zurückkehrte und die Kidstons auf seinem Land vorfinden würde.

Er ist meine Waffe, sagte sich Janroe. Nach Monaten des Wartens, des Beobachtens und des Abwägens, wie er seinen Plan in die Tat umsetzen konnte, ohne unter Verdacht zu geraten, stand ihm nun alles klar und deutlich vor Augen. Wenn nötig, würde er sich sogar bei Martha für seine Worte entschuldigen. Es war ihm zu schnell rausgerutscht, mehr nicht. Er würde alles ausräumen, denn Cables Anwesenheit war weit wichtiger als der Umstand, wo die Kinder aßen oder ob sie überhaupt aßen. Er würde darauf achten müssen, sich nicht an irgendwelchen Kleinigkeiten festzubeißen, wenn er sich dadurch anderer Möglichkeiten beraubte.

Denk in Ruhe über alles nach, sagte er sich, jetzt, da sich die Gelegenheit bietet. Nur nicht ins Straucheln kommen, er steht direkt vor dir und wartet, du musst ihn nur zu nehmen wissen.

Cable würde ihm helfen, Vern und Duane Kidston zu töten – dessen war sich Janroe tief in seinem Inneren gewiss. Und als er an Cables Frau dachte, beschloss er, dass Cable, wenn alles vorüber war, genauso tot sein würde wie die zwei Männer, die er ins Grab bringen würde.

Cable durchquerte den Fluss in der Nähe des Ladens und folgte seinem Lauf in Richtung Norden, in das sonnenüberflutete, weitläufige Tal. Dann ging es weiter nach Westen, denn die Ebene neigte sich dorthin, und der Fluss folgte ihr. In der Ferne säumte eine niedrige Bergkette das Tal. Auch die nahen Hänge waren vollkommen mit grünschwarzen Kiefern bedeckt, aber dahinter ragten schlotartige Sandsteinfelsen stumm in den Himmel. Jenseits dieser Felsen befanden sich die Ländereien der Kidstons.

Sandy schlief, Davis und Clare saßen auf der Heckklappe, und Davis hielt die Zügel des Rotfuchses. Martha saß neben Cable und hörte zu, wie er erzählte, was Janroe über die Kidstons gesagt hatte.

Als er geendet hatte, meinte Martha: »Was, wenn sie nicht gehen, Cabe? Die Männer in unserem Haus?«

»Wir werden sehen.«

»Ich meine, wir müssen an die Kinder denken.«

»An die Kinder und an vieles andere auch«, sagte Cable.