Liebe ist das schönste Motiv - Ursula Fuchs - E-Book

Liebe ist das schönste Motiv E-Book

Ursula Fuchs

0,0

Beschreibung

Über die Feiertage war Andrea bei ihrer Familie in Frankfurt. Im neuen Jahr kehrt sie nach Niederheid zurück. Doch bevor sie überhaupt da ankommt, muss sie sich um einen toten Schlachter und seine verstörte Witwe kümmern. Und dann ist da noch das mysteriöse Auto aus dem Ruhrgebiet auf dem Parkplatz im Wald - mit einer Leiche im Kofferraum, die niemand kennt. Außerdem würde Andrea gerne mit ihrem Freund Fabian sprechen. Doch der scheint verschollen zu sein. Und was hat Nick überhaupt für eine Laune?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 247

Veröffentlichungsjahr: 2023

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Voller Liebe, voller Hoffnung

soll das Glück für uns gedeihen.

Doch woanders scheint`s stets größer.

Soll denn Mord die Lösung sein?

Du hast wieder toll gemalt

und gezeichnet, Mama.

Danke.

ALLE FIGUREN SIND FREI ERFUNDEN. ÄHNLICHKEITEN

SIND ZUFÄLLIG.

Wichtige Personen

ANDREA JANSEN

aus Frankfurt a.M. will Jura studieren. Für ein

vorbereitendes Praktikum ist sie in der Gemeinde

Niederheid am Niederrhein. Sie will nach dem

Studium in die Kanzlei ihres Vaters einsteigen.

FERDINAND UND YASMIN HOFMEISTER

der Notar, bei dem Andrea ihr Praktikum macht.

Er arbeitet sein ganzes Leben lang in der Gemeinde.

Yasmin engagiert sich in der Gemeinde.

NICK WILMS

bleibt Polizeioberkommissar, weil er nicht in eine

größere Stadt versetzt werden will. Er ist zu Andreas

bestem Freund geworden.

MARION GUSTAFS

Polizeikommissarin und Freundin von Andrea.

PIA SINDWER

Ärztin und bei Bedarf Gerichtsmedizinerin.

ANNA REI

Andreas beste Freundin. BKA-Beamtin, die

Andrea mit Informationen zu Polizeiermittlungen

aushilft.

SAMIRA

eine graue Tigerkatze, die Andrea besuchen

kommt. Sie gehört mittlerweile zu Andreas Leben.

FABIAN

Andreas Freund, Anwalt für Wirtschaftsrecht,

Teilhaber der Kanzlei von Andreas Vater.

JO UND EVA-MARIA PETERS

ein junges Ehepaar mit einem modernen Bauernhof.

Andrea hilft ihnen im Stall. Vor kurzem

wurde ihr erster Sohn Aljoscha geboren.

EHEPAAR LEUTER

ein kleines, altes Ehepaar, das als Klatschpresse

des Dorfes fungiert. Sie wissen alles über jeden.

Sie wollen, einen Freund für Andrea finden.

HOLGER BOREJAANS, MALTE LOHDEN, JAN

BRECHTSOHN, ARMIN THEMEN

Freunde von Nick und Jo. Holger hat einen

Schweinemastbetrieb, Malte baut Getreide und

Kartoffeln an. Jan ist Hufschmied und Armin

protestantischer Pastor.

LUDWIG UND HEIDE LIEDNER

die älteren Leute betreiben etwas außerhalb der

Gemeinde eine Schlachterei.

HANNE GIESBERT UND PAUL FRIEDRICHS

Nachbarn von Andrea.

JASMIN KLEIN

Nicks Cousine. Als Jasmins Eltern sich trennten,

hat Andrea sie kennengelernt.

LIESCHEN

eine unscheinbare Frau mit seltsamen Ansichten.

Sie hat Andrea unverhofft in ihr Herz geschlossen.

FRAU GUTZHENRY

wohnt in Dortmund und betreibt dort mit ihrem

Mann einen Getränkehandel.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Epilog

Kapitel eins

Andrea hatte schlechte Laune. Richtig schlechte Laune. Außerdem war es dunkel, kalt und es lag Schnee. Bald würde die Fahrt zu Ende sein, würde sie zu Hause sein. ‚Zu Hause’. Nannte sie die kleine, gemütliche Wohnung im niederrheinischen Dorf Niederheid wirklich ‚zu Hause’? Sie rieb sich die Augen und öffnete das Fenster ihres alten Opels einen spaltbreit. Die frische, kühle Luft tat ihr gut. Im Radio sprachen sie seit Stunden über den Tsunami, der die Ostküste von Sri Lanka verwüstet hatte. 10.000 Menschen wurden nach Schätzungen der Experten vermisst, darunter auch viele Touristen, die den Jahreswechsel auf der tropischen Insel verbracht hatten. Andrea schaltete das Radio aus. Ihr taten die Menschen auf Sri Lanka leid. Aber sie mochte nicht noch einmal hören, wie der Moderator erklärte, was passiert war.

Still war es. Seit einer Stunde war ihr kein anderes Auto entgegengekommen. Sie fuhr zwischen hohen Bäumen auf einer Straße Richtung Westen. Der Schnee, den das Räumfahrzeug von der Straße geschoben hatte, war hässlich gelb und klumpig im Scheinwerferlicht. Am Niederrhein schien es wärmer zu sein als in Frankfurt, wo sie in der Nacht losgefahren war. Dicke Wolken schützten die Region vor zu starkem nächtlichen Auskühlen. Vor ihr im Westen waren sie rosa. Ihre Freunde aus Niederheid hatten ihr mal erklärt, dass ‚die Holländer’ mit ihren Gewächshäusern dafür verantwortlich waren. Wie genau, wusste Andrea aber nicht.

„Mein Mann… Mein Mann…“

Andrea trat das Bremspedal durch, als plötzlich eine Frau vor ihr auf die Straße lief. Quietschend kam das alte Auto zum Stehen. Noch bevor Andrea sich aufregen konnte, war die aufgeschreckte Frau an der Fahrertüre, zerrte daran und redete so schnell, dass Andrea nichts verstand.

„Mein Mensch… Mein Mensch…“

Konnte die Frau nicht jemand anderem vor das Auto springen? Und musste sie ausgerechnet dieses komische Platt sprechen? „Mensch“ und „Ehemann“ waren Synonyme in diesem Platt. Andrea fragte sich immer, ob Frauen wohl keine Menschen waren? Innerlich kochend stieg sie aus – oder folgte viel mehr dem Zerren der aufgeregten Frau.

„Was ist denn mit Ihrem Mann?“

„Mein Mensch… Komm! Mein Mensch…“

Missmutig folgte Andrea der Frau, die aufgeregt vorweg lief – vor sieben Uhr morgens. Ihre Wangen waren vor Kälte gerötet und ihre Hände kalt.

„Komm… Mein Mensch…“

Ihr Mann war tot. Er lag im Schnee vor einem großen Tor im Innenraum des Hofes. Schleifspuren zeigten, dass die Frau ihn durch das große Tor gezogen hatte. Wie sie das geschafft hatte, konnte Andrea sich nicht vorstellen. Der Mann war groß und übergewichtig. Sein Gesicht war unnatürlich rot und schwammig. Er sah nicht so aus, als wäre er zu Lebzeiten gesund gewesen. Er trug scheinbar Arbeitskleidung. Er war kalt. Das erschreckte Andrea etwas, als sie nach dem Puls fühlte. Aber sie nahm sich zusammen.

Andrea sah sich um: es war kein Bauernhof, auf dem sie sich befand, aber wie ein typischer Niederrhein-Bauernhof in Vierkant-Form mit abgeschlossenem Innenhof aufgebaut. Vielleicht war es früher ein Bauernhof gewesen. Andrea konzentrierte sich wieder auf die Frau und ihren toten Mann. Flüchtig dachte sie daran, dass dies ein guter Zustand für alle Männer wäre, verdrängte den Gedanken aber wieder.

„Mach wat! Mach doch wat“ schrie die Frau verzweifelt. Sie war kleiner als Andrea, rundlich, mit schwarzem Haar und roten Flecken im Gesicht. Sie war völlig außer sich – was Andrea verständlich fand – und trug eine geblümte Kittelschürze, dicke Baumwoll-Strumpfhosen, Hausschuhe und eine alte Strickjacke. Sie hatte scheinbar – wie ihr Mann – arbeiten wollen, obwohl Sonntag war.

Andrea schüttelte den Kopf: „Ich kann nichts mehr tut. Ihr Mann ist tot. Es tut mir leid.“

Die Frau sah Andrea einen Moment lang an, dann schrie sie auf und schlug sich die Hände vor das Gesicht. Sie lief weg. Es war ein Wunder, dass sie nicht über die alten, ausgeleierten Hausschuhe stolperte. Sie musste vom Schnee klatschnasse Strümpfe haben. Andrea hatte keine Lust ihr nachzulaufen. Aber sie musste es wohl: ihr Mann war gestorben und Andrea wusste nicht, wozu die Frau fähig war. Doch bevor Andrea einen Schritt tun konnte, war die Frau wieder da.

„Abba… Abba… Dat jeht doch nich…“ Die Frau umklammerte Andreas Arm, ließ sie wieder los und lief weg. Ihre dunklen Augen waren weit aufgerissen.

„Frau…“ Andrea wusste nicht mal, wie die Frau hieß. „Warten Sie… Frau…“

Andreas Rufe nutzten nichts. Die Frau lief aufgeregt zwischen den Gebäuden umher. Andrea gab auf. Nick sollte sich um die ganze Angelegenheit kümmern. Der wurde dafür bezahlt.

„Wilms?“ klang es fast unfreundlich aus Andreas Handy. Kein Wunder um diese Uhrzeit an einem Sonntagmorgen. Es war Andrea egal: er hätte sein Handy ausschalten sollen. Ihr war kalt und ihre Laune war noch schlechter geworden.

„Hallo Nick, hier ist Andrea. Hast du Dienst?“

„Nein, warum?“ Nick war offensichtlich erstaunt: „Bist du schon zurück?“

„Hat Marion Dienst?“ wollte Andrea wissen. Sie hatte keine Lust auf Smalltalk.

„Nein, Werner und David sind auf der Wache. Warum?“

„Sch…! `Tschuldigung. Dann ruf ich da an. Entsch…“

„Andrea! Was ist los?“ wollte der Polizeioberkommissar der Gemeinde mit Nachdruck wissen.

„Hier ist ein Toter. Seine Frau rennt völlig aufgelöst über den Hof…“

„Gewaltverbrechen?“

„Nee, glaub nicht. Kein Blut, keine Kampfspuren. Sieht so aus, als hätte er einen Herzinfarkt oder Schlaganfall oder so was gehabt. Aber jemand hat ihn auf den Hof gezogen. Keine Ahnung, warum. Aber das ist auch nicht mein Job.“

Nick kannte diesen Ton an Andrea. „Ich komme. Beruhigst du die Witwe solange?“

„Na toll! Die rennt hier rum wie ein Jungbulle, der eine stierige Kuh gesehen hat…“

Nick lachte auf: „Du bist zu oft mit Jo zusammen! Ich beeile mich, okay? Ich hol nur eben den Arzt ab.“

„Mmh“, murmelte Andrea, beschrieb Nick die Stelle, wo sie war und legte auf, ohne sich zu verabschieden.

Als Nick auf das Grundstück der Liedners kam, stand Andrea auf dem Hof, den Rücken zur Straße gewandt. Der Hof war hell erleuchtet. Die Witwe sah er nicht. Liedners betrieben seit Generationen eine kleine Schlachterei in Niederheid. Aber nach dem Tod von Ludwig Liedner würde die wohl nicht weiter geführt werden. Die Kinder des Ehepaars hatten kein Interesse daran.

„Morgen, Andrea. Alles in Ordnung?“

„Mmh! Morgen“, murmelte die hübsche Blondine.

Nick musterte sie kurz. Ihr verschlossenes Gesicht ließ ihn sachlich bleiben: „Wo ist die Witwe?“ Den Toten sah er: der lag an der Mauer zum Kühlhaus.

„Keine Ahnung. Mal hier, mal da. Aber ich hab geguckt, dass sie nicht wegläuft. Die ist nicht zu beruhigen.“

„Mmh, hab mal gehört, dass sie auf Stress völlig hysterisch reagiert“, brummte Nick.

„Du kennst die Leute?“

„Na ja, ein bisschen. Du weißt doch, dass das Dorf nicht groß ist. Heidemarie und Ludwig Liedner. Haben eine Schlachterei. Hinter dem Tor ist das Kühlhaus.“

„Ich guck mir den Toten mal an“, rief eine Frauenstimme, die Andrea nicht kannte, von hinten.

Erstaunt drehte Andrea sich um. Als sie die Frau sah, musste sie grinsen: „Jetzt weiß ich, warum du ‚den Arzt‘ abholen wolltest.“

Nick runzelte die Stirn: „Was meinst du?“

„Sie ist eine sehr hübsche, junge Frau!“

„Wir sind Kollegen“, murmelte Nick unzufrieden. „Ich musste sowieso bei ihr vorbei, da kann ich sie doch mitnehmen…“

Andrea sah Nick nach, der der Gerichtsmedizinerin zum Toten folgte.

In der folgenden halben Stunde sah Andrea der Gerichtsmedizinerin, Nick und dem Angestellten der Spurensicherung zu, wie sie arbeiteten. Nick sah sich auf dem Hof um und sprach mit der Witwe. Sie war ruhiger, beinahe gefasst. Die Gerichtsmedizinerin untersuchte den Leichnam und winkte schließlich den beiden Männern mit der Bahre. Dann kam sie zu Andrea: „Morgen. Pia Sindwer. Sie haben die Leiche gefunden?“

Andrea nahm ihre Hand: „Andrea Jansen. Morgen. Nein. Die Witwe hat die Leiche gefunden. Sie ist mir dann vors Auto gesprungen und ich hab Nick angerufen.“

„Mmh. Warum Nick? Nicht den Notruf?“

Andrea zuckte mit den Schultern: „Er war tot. Und Nick wäre sowieso gekommen.“

„Stimmt. Haben Sie die Leiche angefasst? Gedreht oder so was?“

Andrea sah die Frau erstaunt an. Sie war so groß wie sie selbst, hatte dickes dunkles Haar und schwarze Augen. Ihr Gesicht war freundlich.

„Nein, ich hab ihn nicht bewegt. Nur am Hals nach dem Puls gefühlt. Warum?“

„Bin nicht sicher…“ murmelte sie.

Andrea wurde hellhörig: „War es kein natürlicher Tod?“

„Mmh? Doch, denke schon. Bei seinen Gewohnheiten…“

„Was für Gewohnheiten?“

Pia Sindwer sah Andrea abschätzend an: „Ich denke, ich habe Ihnen schon mehr gesagt, als ich durfte.“

Als die Leiche abtransportiert und die Tochter der Witwe gekommen war, um ihrer Mutter beizustehen, kam Nick zu den beiden Frauen. Er trug eine gut sitzende Jeans und seine warme Winterjacke, keine Uniform. Aber er war ja auch nicht im Dienst.

„Was meinst du?“ wollte er von Pia wissen.

Die sah zweifelnd zu Andrea, aber Nick winkte ab: „Sie kriegt es sowieso raus.“

„Das darfst du nicht…“ meinte Pia überrascht.

„Schon gut. Brauchst du mich denn noch? Sonst fahre ich nach Hause“, bot Andrea Nick an.

„Zur Sicherheit brauch ich noch deine Aussage“, erklärte der große Mann mit den wirren, kurzen Locken. Dabei zog er seine gefütterte Jacke aus und hängte sie Andrea um die Schultern: „Dir ist eiskalt, oder? Ich muss noch mal kurz mit der Witwe sprechen, dann komm ich zu dir, in Ordnung?“

„Mmh.“

„Ich beeile mich. Was meinst du, Pia?“

„Herzversagen vor ein paar Stunden, zwölf bis fünfzehn. Es ist kalt im Kühlhaus. Jetzt ist es gleich sieben… also gestern zwischen sechzehn und neunzehn Uhr. Wahrscheinlich eher gegen Abend, weil seine Frau ihn ja sonst früher gesucht hätte. Bestimmt nach einem fettigen, salzigen, cholesterinreichen Essen, Bier und `nem Kurzen als Verdauungsschnaps. Genaueres sag ich dir nach der Obduktion. Er war nicht sehr gesund: Übergewicht, zu hoher Cholesterinspiegel, Nikotin, Alkohol, wenig Bewegung, einseitiges Essen. – Er war mein Patient. Heide kocht auch abends warm… Ich würde vermuten, er ist nach dem Abendessen noch mal nach seinen Produkten gucken gegangen, hat Probleme mit dem Herzen bekommen und ist gestorben. Seine Frau ist daran gewöhnt, dass er lange im Kühlhaus ist und hat sich keine Gedanken gemacht. Erst, als er heute Morgen nicht in der Küche auf seinen Kaffee wartete, hat sie sich gewundert und nachgesehen, wo er bleibt. Sie hat ihn im Kühlhaus gefunden und rausgezogen.“

„Die Tür vom Kühlhaus kann man von innen öffnen. Das hab ich getestet“, ergänzte Nick.

„Warum guckt sie erst am nächsten Morgen nach ihrem Mann?“ wunderte sich Andrea.

„Heide kannte ihn: wenn der einmal bei seinen Schweinehälften und weiß der Himmel was war, vergaß er die Zeit.“

„Mmh, sie sagt, sie hat sich erst gewundert, als ihr Mann um halb sechs nicht rein kam. Er stand wohl öfter schon um fünf oder so auf, brauchte dann aber um halb sechs seinen Kaffee“, brummte Nick.

„Mmh, und dafür hat er Heide auch geweckt: er kann… konnte keinen Kaffee kochen“, erzählte Pia.

„Und genau zu der Zeit bin ich hier vorbei gefahren und sie ist mir vors Auto gesprungen.“

„Nicht ganz: sie sagt, sie ist noch über den Hof gelaufen, erst zum Telefon, dann doch wieder zu ihrem Mann, dann doch zum Telefon und dann hat sie Scheinwerfer gesehen.“

Andrea zuckte mit den Schultern: „Das würde passen: nachdem sie mich aus dem Auto gezogen hat, ist sie auch wie von der Tarantel gestochen über den Hof gerannt.“

Nick grinste schief: „Dein Bild mit dem Jungbullen war schöner.“

Pia sah Andrea neugierig an, als Nick weg war: „Was war das denn eben?“

„Was?“

„Nick gibt seine Jacke nie ab! Da können die Verehrerinnen noch so hübsch sein oder noch so viel Bein oder Brüste zeigen. Er holt höchstens eine andere aus seinem Auto.“

Andrea zuckte mit den Schultern: woher sollte sie wissen, was in Nick vorging? Nett fand sie es trotzdem. Ihr war wirklich kalt und Nicks Jacke war dick und vorgewärmt. Außerdem roch sie gut. Ihre eigene Jacke roch muffig, weil sie sie nass ins Auto hatte legen müssen.

Da Andrea scheinbar nicht antworten wollte, schlug Pia vor: „Wir sollten ein Stück gehen, dann wird dir… Ihnen wärmer.“

Andrea nickte. Nach ein paar Schritten erklärte sie: „Ich kenne andere Leute, die mir von der Polizeiarbeit hier erzählen, wenn ich danach frage. Nicht Nick. Und auch keiner der anderen Polizisten hier. Niemand, den du kennst.“ Pia war ihr sympathisch und sie hoffte, dass sie das ‚du’ einfach übernehmen würde.

Pia musterte sie von der Seite.

„Nick hält sich an die Vorschriften“, fügte sie an. Es stimmte nicht ganz, aber der Zweck heiligte in dem Fall die Mittel.

Pia war skeptisch: „Ich kenne die ganze Stadt – fast. Wer…“

„Es ist wirklich niemand von hier. Ich komme auch nicht von hier.“

„Mmh, hab ich mir schon gedacht. Sonst würde ich dich kennen.“ Plaudernd liefen die Frauen über den Hof und warteten auf den Polizeioberkommissar.

„Guck mal.“ Andrea blieb stehen: „Hier ist irgendwer dauernd hin und her gelaufen.“ Sie wies auf Fußspuren im Schnee, nahe der Straße.

„Stimmt.“ Pia grinste: „Bestimmt Ludwig, weil er rauchen wollte und seine Frau es verboten hat. Heide ist davon überzeugt, dass er nicht mehr raucht – geraucht hat. Sie hat mir immer stolz von ihren Fortschritten mit Ludwig erzählt: ‚Er raucht nicht mehr. Das wollte er selbst und ich habe ihn nur dabei unterstützt’, ‚Ludwie trinkt nicht mehr so viel, hat er selbst entschieden’, oder ‚Ludwie isst jetzt mehr Gemüse. Gestern hat er sich sogar Grünkohl gewünscht’. In ein Kilo Grünkohl tut sie immer auch ein Kilo Speck. Und Schweinebraten dazu. Der Kerl wusste genau, wie er an sein Fleisch kommt. Und dann auch noch zwei warme Mahlzeiten am Tag, weil ‚im Kühlhaus is et kalt! Doa musste schon warm spachtele, dat du schön warm wirs’. Seine Blutwerte waren eine einzige Katastrophe! Aber Probleme hatte er nie.“

Andrea grinste: „Also ein Albtraumpatient!“

Pia kicherte: „Ja, absolut! Er hat uns Ärzte zur Weißglut gebracht: ‚Wat willste denn? Misch jeht et jut! Lass misch in Ruh mit dein dämliche Blutbild!’ Aber jetzt ist er doch tot…“

„Du bist auch Ärztin?“

Pia lachte: „Ja, hauptberuflich. Ich teile mir mit zwei Kollegen eine Praxis in Beinfreen – also im Nachbarort. Gerichtsmedizinerin bin ich nur bei Bedarf.“

„Fertig.“ Nick lächelte. „Erzählst du mir morgen, was heute passiert ist?“ fragte er Andrea. „Ich hol dich zum Frühstück ab.“

Pia machte ein erstauntes Gesicht, sagte aber nichts.

„Nee, muss arbeiten. Das bisschen, was ich weiß, kann ich dir auch jetzt erzählen.“

„Ich hab keine Lust mehr“, murrte Nick. „Ich hol dich morgen zum Mittagessen ab.“

„Nee. Ich erzähl dir jetzt was passiert ist, dann kann ich das anschließend vergessen.“

„Na gut, dann eben jetzt“, resignierte Nick.

Pia lachte auf: „Wie machst du das, Andrea? Der frisst dir ja aus der Hand!“

„Hättest du wohl gerne!“ murmelte Nick unzufrieden.

Pia lachte: „Ist doch nicht schlimm, Nick.“ Sie stieß ihn freundschaftlich in die Seite: „Es kann ganz schön nerven, immer alles zu bekommen, was man will. Ich setz mich schon mal ins Auto. Tschüss, Andrea. Wäre schön, wenn ich dich noch mal sehe.“

„Ja, das fände ich auch schön. Tschüss, Pia.“

„Wilms!“ Es klang genervt und Andrea verstand ihn.

„Hallo Nick. Entschuldige. Mein Auto springt nicht an.“

„Ich komm zurück.“ Er legte auf und wendete.

„Was ist los?“

„Ihr Auto springt nicht an.“

Pia lächelte nur.

„Warum lachst du?“

„Du musst wieder zurück. Aber anstatt noch schlechtere Laune zu kriegen, bekommst du bessere. Du tust wirklich alles für sie, oder?“

Nick grinste und zuckte mit den Schultern: „Zumindest ziemlich viel! – Ich mag sie einfach gerne. Und irgendwer muss auf sie aufpassen.“

„Warum?“ Nick erzählte Pia, wie Andrea in der Vergangenheit mehrere Morde in der Gegend aufgeklärt hatte und dabei immer selbst in Gefahr geraten war.

In Nicks Auto kuschelte Andrea sich in eine der Decken, die auf dem Rücksitz lagen. Amüsiert beobachtete Nick im Rückspiegel, wie sie sich so tief in der Decke vergrub, dass nur noch Nase und Augen zu sehen waren. Da auch Pia neben ihm aussah, als würde sie frieren, drehte er die Heizung hoch.

Nach einer Weile seufzte Andrea zufrieden und schob die Decke etwas zur Seite: „Nick, kannst du mich zu Jo und Eva bringen? Eva hat für mich eingekauft, weil mein Kühlschrank leer ist. Und ich bin zum Frühstück eingeladen.“

„Mmh, klar.“ Brummte der Polizist. „Jo hat auch noch mein Überbrückungskabel. Dann können wir anschließend versuchen, dein Auto damit zu starten.“

„Bist du auch zum Frühstück eingeladen?“

Nick grinste: „Jetzt ja.“

In Eva-Maria und Joachim Peters’ Küche wurden sie von einem vergnügt brabbelnden Kind begrüßt. Andrea vergaß, die Eltern zu begrüßen. Verzückt hob sie den fröhlichen, kleinen Jungen aus seinem Kinderwagen, redete und schmuste mit ihm.

„Sieben, nee, acht Wochen ist der jetzt alt, oder?“ überlegte sie.

„Mmh. Und dich hat er nicht vergessen. Er steht total auf Blondinen“, grinste die kleine, dunkelhaarige Eva. „Hallo, Andrea! Frohes neues Jahr!“

Andrea sah erstaunt auf und musste über sich selbst lachen: „Entschuldigt! Dich leg ich jetzt wieder in deinen tollen Kinderwagen, kleiner Aljoscha“, erklärte sie dem Jungen, dann begrüßte und umarmte sie Eva, Jo und Nick auch. Ihm hatte sie auch noch kein frohes neues Jahr gewünscht. Es war bei dem Todesfall einfach untergegangen.

Peters hatten ihre Kühe schon gefüttert und gemolken. Und da auf den Feldern Schnee lag, hatte Jo die Ruhe, lange mit seiner jungen Familie und seinen Freunden zu frühstücken. Normalerweise hielt den rothaarigen, wortkargen Hünen nichts am Esstisch, wenn er auf den Feldern arbeiten konnte.

Nach einer Weile fragte Eva: „Wie waren denn deine Feiertage, Andrea? Wir reden die ganze Zeit nur über uns. Entschuldige.“

„Kein Problem. Ich hatte auch schöne Feiertage. Ich hab den Freund meiner Schwester kennengelernt und endlich meinen Bruder wiedergesehen. Von Anna soll ich euch grüßen! Mama hat ganz toll gekocht und Onkel Bruno hat wieder ein neues Lied gelernt und gesungen. Der kann ganz toll singen, macht er aber leider nur als Hobby.“

„Ist der nicht Anwalt?“

„Oberstaatsanwalt, ja.“

Nick lachte: „Das kann ich mir nicht vorstellen: ein Anwalt, der Spaß am Singen hat. Die haben doch sonst nur ihre Paragraphen im Kopf?“

„Onkel Bruno nicht. Ich übrigens auch nicht, Herr Polizeioberkommissar! Und ich werde auch mal Anwältin!“

Nick grinste: „Dann genieß dein Leben jetzt noch. Wenn du Anwältin bist, redest du auch nur noch in Paragraphen.“

„Vielen Dank für euer Geschenk! Aber ihr müsst mir doch nichts schenken! Und das ist viel zu teuer…“ wandte Andrea sich an Eva und Jo, nachdem sie Nick strafend angesehen hatte.

„Nein!“ unterbrach Eva sie bestimmt. „Du hilfst uns jedes Wochenende im Stall und willst kein Geld haben. Du hilfst uns sehr, da bekommst du auch ein Geschenk! Gefällt es dir denn?“

„Ja, klar! Der ist super! Aber das weißt du doch: ich habe, seit ich hier bin, gejammert, dass mir ein großer Bilderrahmen für das Bild von meinem Bruder fehlt. Und das Buch hört sich auch gut an. Danke.“

„Da siehst du mal: wenn man jammert, bekommt man zwei Geschenke…“ brummte Nick. „Ich hab nur `ne Flasche Whisky bekommen…“ provozierte er Eva.

„Der war teuer! Und du kannst den auch gerne zurückgeben, wenn du den nicht willst!“ maulte sie erwartungsgemäß, was Nick freute.

„Außerdem helfe ich im Stall…“ meinte Andrea triumphierend.

Nick grinste: „Toll! Da ist es wenigstens warm! Jo meinte gestern, er müsste seine Schlepper waschen. Und ich musste helfen.“

Andrea sah erst Nick dann Jo sprachlos an. „Es war eiskalt!?“

Jo zuckte mit den Schultern: „War nötig und es war sonst nichts zu tun.“

Nick zwinkerte Andrea grinsend zu. Es hieß etwa: ‚so verrückt sind Bauern eben’.

„Was hat Fabian dir denn zu Weihnachten geschenkt?“ wollte Eva wissen.

Andrea schluckte. Sie schwieg. Leise sagte sie schließlich: „Nichts. Hab ihn gar nicht gesehen.“

Jo ließ seine Kaffeetasse wieder sinken. „Wie?“

Andrea zuckte mit den Schultern und starrte auf die Tischdecke: „Er hatte keine Zeit, musste sich auf irgendeinen Prozess vorbereiten.“

„Und du hast ihn gar nicht gesehen?“ vergewisserte sich Eva.

Andrea schüttelte nur den Kopf.

„Dem würde ich…“ Jo verstummte, als er einen warnenden Blick von Eva auffing.

„Das tut mir leid, Andrea! Dafür gibt es bestimmt einen guten Grund, und wenn er wieder Zeit hat, holt ihr das nach…“

„Ach, Schwachsinn!“ fuhr Andrea zwischen Evas Worte. „Der Idiot hat überhaupt kein Interesse an mir! Ich wette, der hatte sofort wieder vergessen, dass ich nach Hause komme! Der hat nur noch seinen verdammten Job im Kopf! – Oder er hat eine andere… Egal! Das Ergebnis ist das Gleiche! – `Tschuldigung!“ murmelte sie zum Schluss. „Ich hab euch das Frühstück verdorben. Tut mir Leid…“

„Mach dir mal um unser Frühstück keine Sorgen“, brummte Jo.

„Hast du nicht mal mit ihm gesprochen?“ wollte Eva wissen.

„Nein. Und wenn, dann hätte ich nach der Adresse gefragt, wo ich seinen dämlichen Ring hinschicken kann!“

Eva erschrak: „Schluss machen?“

Andrea zuckte mit den Schultern: „Das wäre nur ehrlich. Eine Beziehung ist das doch nicht mehr. – Aber mach mal Schluss, wenn du ihn nie siehst. Ich wollte nie im Leben am Telefon Schluss machen. Wenn ich das jetzt könnte, wäre ich froh! Aber ich erreiche ihn ja nie!“

„Bleibt SMS“, meinte Nick mit einem schwachen Grinsen.

Es wirkte: Andrea lachte auf: „Hab ich auch schon drüber nachgedacht. Aber so sauer bin ich dann doch noch nicht.“

„Willst du das denn sicher?“ brummte Jo.

Sie zuckte mit den Schultern: „Vielleicht nicht, wenn er eine gute Entschuldigung hat.“

„Liedner-Ludwig ist tot“, brummte Nick. Eva und Jo sahen von ihren Brötchen auf. „Mmh. Gestern. Seine Frau hat ihn gefunden. Lag aufm Hof im Schnee…“

„Ermordet?“ fragte Eva fast hysterisch.

Nick schüttelte den Kopf: „Nee, wahrscheinlich einfach Herzversagen. Ein genaues Ergebnis kommt noch.“

„Wie schrecklich! Die arme Heide! Ich fahr sie heute Nachmittag besuchen! Oder…“

„Warum mischt die Polizei da mit?“ unterbrach Jo seine Frau.

„Frau Liedner ist mir heute Morgen vors Auto gesprungen, weil ihr Mann tot war. Ich sollte helfen, aber da war alles zu spät. Also hab ich Nick gerufen“, erklärte Andrea.

„Ihr geht aber nicht von einem Verbrechen aus?“

„Nein“, antwortete Nick. „Ist reine Routine. Liedner war noch nicht alt genug für einen natürlichen Tod. Aber der Gesündeste war er auch nicht.“

„Wie alt war er?“

„Ende fünfzig.“

Für Jo war das Thema damit erledigt: „Was machst du heute, Nick?“

„Hab nichts vor.“

„Muss beim Fendt `n Reifen wechseln.“

Nick brummte etwas, was Andrea nicht verstand. Allein an Jos Gesichtsausdruck erkannte sie, dass Nick Jo helfen würde. Sie grinste: „Das geht nicht, Jo. Heute ist Sonntag und Beamte können sonntags nicht arbeiten.“

Von Jo erntete sie das erwartete Grinsen, von Nick einen strafenden, aber amüsierten Blick.

„Dann haben Beamte ja jeden Tag Sonntag“, feixte Jo und zwinkerte Andrea zu. Er ließ seinen besten Freund nicht zu Wort kommen: „Hast du Arbeitsklamotten mit?“

Nick schüttelte den Kopf und Eva bot an: „Ich hol dir welche von Jo.“

Die beiden Männer waren gleich groß und breit, aber Nick wirkte durch seine schlanke Taille athletischer. Jo war massiver gebaut. Er war zudem sehr sparsam mit seiner Mimik. Sein ganzes Repertoire an verschiedenen Gesichtsausdrücken sah man nur, wenn er mit seinen Kumpels in der Dorfkneipe saß. Trotzdem war er einer der liebsten und fürsorglichsten Menschen, die Andrea kannte. Das gleiche galt für Nick, der aber in seiner ganzen Art schon umgänglicher war als Jo.

Nick sah Andrea an: „Was hast du vor? Willst du noch länger bleiben?“

„Nein. Ich würde gerne langsam zu meinem Auto und dann Zuhause die Lebensmittel von Eva einräumen.“

„Mmh, dann bring ich dich jetzt zum Auto und wir gucken, ob wir das ans Laufen kriegen. Und dann fahr ich eben nach Hause, Arbeitsklamotten holen. Ich brauch die Überbrückungskabel, Jo.“

Andreas Auto sprang ohne Probleme an.

„Hat der das öfter?“ wunderte sich Nick.

Mmh, immer wenn es ihm zu kalt ist. Jetzt hat die Sonne auf die Motorhaube geschienen.“

„Damit solltest du in die Werkstatt fahren. Wir haben erst Januar.“

„Ich war schon in drei Werkstätten. Die finden nichts. Ich finde mich langsam damit ab, dass mein Auto eine Seele hat.“ Als Andrea Nicks Gesichtsausdruck sah, musste sie lachen. „Guck nicht so! Mein Auto und ich kennen uns jetzt seit elf Jahren. Wir sind die besten Freunde!“

Nick zog die Augenbrauen hoch und schwieg.

Andrea kicherte: „Du traust mir auch alles zu, oder? Da wird irgendein Kontakt nicht funktionieren, wenn der Motor zu kalt ist. Ich hab keine Ahnung davon. In der Werkstatt ist der Wagen immer untersucht worden, wenn der warm war und dann hat alles funktioniert.“

„Hast du den Mechanikern das nicht gesagt?“

„Doch! Sicher! Aber wer glaubt schon einer Frau?“

Nick sah sie erstaunt an, brummte etwas und fügte hinzu: „Fahr mal zu Jan Holten in Heidberg. Der ist gut. Der hilft dir bestimmt.“

„Der ist Mechaniker und ich bin immer noch eine Frau“, wandte Andrea ein.

„Fahr einfach hin. Ich geb` dir die Adresse. Ruf an, wenn er das Auto über Nacht da behält.“

Andrea zuckte mit den Schultern und nickte: es würde ja nichts kosten und im schlimmsten Fall auch nichts ändern.

„Gut, dann fahr ich Jo helfen. Komm gut nach Hause und grüß mir Sammy! Hab sie fast zwei Wochen nicht gesehen. Ich war da, um ihr Futter zu geben, aber das hat ihr wohl nicht gereicht. Als sie gemerkt hat, dass du weg bist, ist sie nicht mehr gekommen.“

Sammys richtiger Name war Samira. Die Tigerkatze besuchte Andrea regelmäßig. In kalten Nächten schlief sie auch gerne in Andreas Wohnung.

„Ja, klar! Mach ich! Danke, Nick! Ich sehe aber eben noch nach der Witwe… Wieso guckst du so? Darf ich das nicht? Eva will sie auch gleich besuchen…“

„Ihr Mann ist einen natürlichen Tod gestorben! Red ihr nichts anderes ein! Und dir auch nicht!“

Andrea nickte erstaunt. Wieso betonte er das so?

„Pia hat mir erzählt, wie hellhörig du geworden bist, als sie erwähnt hat, dass der Mann vielleicht bewegt worden ist. Seine Frau hat ihn aus dem Kühlhaus gezogen. Mach bloß die Pferde nicht scheu, Andrea! – Zumindest nicht, solange noch nichts feststeht. Bitte!“

„Ja, natürlich! Ich wollte nur fragen, wie es ihr geht. Keine Sorge!“ lächelte sie.

Ihr offenes Lächeln entwaffnete Nick. Er vergaß die Warnungen und lächelte zurück: „Gut! Schönen Tag. Bis bald!“

„Wä sind Sie denn?“ schnauzte Frau Liedner Andrea an.

Sie war größer als Andrea sie in Erinnerung hatte, und älter. Ihr Haar war grau meliert, ihre Augen müde und ihre Gesichtszüge schlaff und abweisend. Aber sie hielt sich aufrecht.

„Andrea Jansen. Hallo. Ich habe heute Morgen die Polizei gerufen, als Sie mich wegen Ihres Mannes angehalten haben.“

Misstrauisch musterte die Frau sie. „Dat waren Se nich! Se ware viel jünger!“

Solche Komplimente liebte Andrea. „Stimmt: genau sechs Stunden. Wie geht es Ihnen? Kann ich etwas für Sie tun?“

Skeptisch betrachtete die Frau sie: „Stimmt, Se ware dat doch! – Wenn et hell is, sind Se älter… Komm rein! Ich hab Kaffe.“

Frau Liedner drehte sich um und ging in den dunklen Flur ihres Hauses. Er war mit alten Balken getäfelt und roch muffig. Dicke Eichendielen hielten die Feuchtigkeit, dicke Teppiche und uralte Bilder den Staub. Unter jedem von Andreas Schritten knarrte das alte Holz. Gerade als Andrea sich Gedanken über die beste Ausrede machte, sofort wieder gehen zu können, öffnete Heidemarie Liedner eine Tür: „Komm rein. Meine Tochter hat misch noch der Tisch jedeckt, bevor et jejange is. Se sind nich von hier?“

Andrea trat in eine helle, freundliche Küche. Zwei große Fenster wiesen zum Hof, über eine Terrassentür kam man in den Garten. Eine fröhliche Tischdecke zierte den liebevoll gedeckten Frühstückstisch.

„Nein. Ich mache hier in Niederheid nur ein Praktikum bei Notar Hofmeister.“

„Wo kommen Sie denn her?“

Verblüfft sah Andrea Frau Liedner an. Die kicherte: „Ja, ich spreche auch Hochdeutsch. Brauch ich nur meistens nicht.“

„Ich komme aus Frankfurt.“

„Main oder Oder?“

„Main.“