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Englische Ladies, weiße Villen, traumhafte Gärten, rauschende Feste und ein Gartenwettbewerb, der von manchen Teilnehmern sehr ernst genommen wird. Mit alldem hätte Andrea nicht gerechnet so nah am beschaulichen Örtchen Niederheid am Niederrhein. Und mal wieder trügt die Idylle. Oder sind der vergiftete Gartenteich, die getöteten Seidenhühner und der zu jung gestorbene Dackel tatsächlich nur Unglücke? Und dann geschieht auch noch ein gut getarnter Mord. Oder war es doch nur ein Unfall? Und was hat der unter schlimmen Vorwürfen gefeuerte Chefgärtner damit zu tun? Zudem muss Andrea sich mit einem neune, glühenden Verehrer herumschlagen.
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Seitenzahl: 307
Veröffentlichungsjahr: 2024
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Der Schein, der Schein,
der leistet Großes,
verdreht das Sein
und meint Famoses.
Die Bilder sind wieder ganz toll geworden.
Danke, Mama.
ALLE FIGUREN SIND FREI ERFUNDEN. ÄHNLICHKEITEN
SIND ZUFÄLLIG.
ANDREA JANSEN
aus Frankfurt am Main. Sie will Jura studieren.
Ein vorbereitendes Praktikum macht sie bei Hofmeister in Niederheid am Niederrhein.
POLIZEIOBERKOMMISSAR NICK WILMS
bleibt Polizeioberkommissar, weil er in Niederheid blieben will. Er ist Andreas bester Freund.
FERDINAND UND YASMIN HOFMEISTER
Schlichter und Notar, bei dem Andrea ihr Praktikum macht. Yasmin engagiert sich stark in der Gemeinde. Beide sind anerkannt und geachtet.
MARION GUSTAFS
Polizeikommissarin und Freundin von Andrea.
JENNIFER TREILERT
Kriminalhauptkommissarin des LKA. Sie ist zuständig, wenn es in Niederheid einen Mord gibt.
PIA SINDWER
Ärztin und Gerichtsmedizinerin.
ANNA REI
Andreas beste Freundin. BKA-Beamtin.
SAMIRA
eine Tigerkatze, die zu Andreas Leben gehört.
JO UND EVA-MARIA PETERS
ein junges Ehepaar mit modernen Bauernhof.
Freunde von Andrea, Jo ist Nicks bester Freund.
EHEPAAR LEUTER
weiß Alles über Jeden. Sie wollen einen Freund für Andrea finden.
HOLGER BOREJAANS, JAN BRECHTSOHN, ARMIN THEMEN UND MALTE LOHDEN
sind Freunde von Nick und Jo. Holger und Malte sind Bauern, Jan ist Hufschmied, Armin der protestantische Pastor.
PAUL FRIEDRICHS
Pflanzenexperte aus Andreas Nachbarschaft.
LIESCHEN
eine esoterische Frau, die Andrea unverhofft ins Herz geschlossen hat.
LISA WILMS
Nicks Oma (Oma Lissi).
LADY EDNA WILLSFRESH, ELEONORE ELIASSON, LILI JARNSWITCH
60-70-jährige, reiche Damen, die in Deutschland stationierte, englische Soldaten geheiratet haben.
Deshalb werden sie „Lady“ genannt. Sie nehmen am Wettbewerb um den schönsten Garten teil.
DENIS KUPFERMARK
ein junger Mann, der eine Affäre mit Lady Eleonore hat. Er arbeitet als Gärtner.
BRUNO VELTEN
ein Bauer. Er hat Land von Lady Willsfresh gepachtet.
In diesem Krimi geht es das ein oder andere Mal um Pflanzenschutzmittel. Ich habe den Text vor zehn Jahren geschrieben. Die Pflanzenschutzbestimmungen, die Zulassungssituation und das Pflanzenschutzmittelangebot ändern sich laufend. Das heißt, das was vor zehn Jahren aktuell war, ist heute völlig überholt.
Ich habe den Text nicht angepasst. Zum einen ging das nicht, weil ich dann die Geschichte teilweise hätte neu schreiben müssen (und heute – glaube ich – die „passenden“ Mittel gar nicht mehr existieren), zum anderen habe ich seit Jahren nichts mehr mit professionellem Pflanzenschutz zu tun und hätte mich erst wieder umfassend einlesen müssen.
Das zweite, das ich anmerken möchte ist: heutzutage wird oft und schnell über Diskriminierung nachgedacht. In diesem und auch den folgenden Krimis ist der protestantische Pastor oft Ziel von Spott und „nicht freundlichen“ Kommentaren.
Das spiegelt nicht meine Meinung wieder! (Und im Grunde auch nicht die Meinung der Großmäuler, die sich in diesem Buch entsprechend äußern!)
Kapitel eins
Kapitel zwei
Kapitel drei
Kapitel vier
Kapitel fünf
Kapitel sechs
Kapitel sieben
Epilog
Andrea genoss die frische, würzige Frühlingsluft. Sie hatte das Fenster von Nicks Geländewagen weit geöffnet und hielt die Nase in den Fahrtwind. Weil es aber recht kühl war, trug sie ihren Wintermantel bis oben geschlossen. Nick beobachtete sie amüsiert aus den Augenwinkeln. Außer ihr kannte er nur Frauen, die Kälte verabscheuten. Andrea tat das eigentlich auch, aber für den Geruch der Frühlingsluft nahm sie die Kälte in Kauf.
„Riecht das hier immer so im Frühling?“ wollte sie wissen. Sie sah ihn an und schloss das Fenster.
„Mmh.“
„Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich schon vor fünf Jahren hierhergekommen.“
Nick sah sie überrascht an: „Und du wärst hier geblieben?“ fragte er skeptisch.
Sie zuckte mit den Schultern: „Warum nicht?“
Er schwieg verwirrt. Sie hatte schon oft erzählt, wie gut ihr die Gemeinde Niederheid am Niederrhein gefiel. Aber sie hatte noch nie erwähnt, dass sie länger bleiben wollte als das eine Jahr, in dem sie ihr Praktikum beim Notar Hofmeister machte.
„Willst du nicht mehr zurück nach Frankfurt?“
Sie überlegte und meinte schließlich: „Doch.
Aber hier ist es auch schön!“
Nick grinste: „‚Auch’? Was ist denn an Frankfurt schön? Asphalt, Beton und Straßenschilder?“
Sie lachte: „Nein. Aber es gibt auch schöne Ecken. Außerdem leben meine Freunde und meine Familie da. Und es ist viel mehr los als hier.“
„Ich dachte, dir gefällt es, dass es hier so ruhig ist. Zumindest erzählst du das immer, wenn wir uns beschweren, weil nichts los ist.“
„Es ist beides schön. Hier gibt’s Natur und Ruhe, da gibt’s Partys und Kultur.“
Nick grinste: „Partys gibt’s hier auch, nur Kultur nicht.“ Er bog auf die Zufahrt zu Eva-Maria und Jo Peters´ Bauernhof ab. Sie waren zum Mittagessen eingeladen. Die letzten Vorbereitungen für Jos Geburtstagsfeier am Wochenende sollten besprochen werden. Jo wurde dreißig Jahre alt.
„Warum stellst du dein Auto eigentlich immer genau zwischen die beiden Schlepper?“ fragte Andrea.
„Warum nicht?“
„Hast du keine Angst, dass Jo da mal kurz drüber fährt, weil er den übersieht, wenn er schnell aufs Feld muss?“
Nick lachte. Sein bester Freund war wie alle Landwirte: wenn das Wetter es zuließ, waren sie mit ihren Schleppern auf den Feldern. Und wenn der Regen nachließ, konnten sie nicht schnell genug dort sein. „Der weiß, wieviel der Wagen kostetund dass er bezahlen muss, wenn er den beschädigt.“
„Und daran denkt der, wenn er pflügen, säen oder sowas machen kann?“
Nick zuckte mit den Schultern: „Wenn nicht, bekomme ich ein neues Auto.“
Andrea lachte: „Das ist gut! Das versuche ich ab jetzt auch! Ich glaube, mein Auto hält nicht mehr lange.“
Nick grinste nur.
„Fabian hat gestern angerufen“, fiel Andrea ein, als sie über den Hof zur Küchentür gingen.
Nick war überrascht: „Warum das denn?“
„Er hat gefragt, wohin er meine Sachen bringen soll, die noch in seiner Wohnung waren“, erklärte Andrea. Sie zeigte nicht, was sie davon hielt und erwiderte Nicks Blick nicht.
Nick wusste mittlerweile, was das bedeutete.
„Dafür ruft der an? Und vorher schafft er es nicht anzurufen, um zu fragen, wie es dir geht?“ regte er sich auf.
„Mmh“, machte Andrea.
„Tut mir leid, Andrea. Das ist nicht fair“, murmelte er.
Sie nickte.
„Versuch, ihn zu vergessen. Der hat dich nicht verdient. – Kopf hoch“, fügte er an, als sie nicht reagierte, und drückte sie kurz.
Sie lächelte leicht zu ihm auf: „Danke. Ich versteh´s nur einfach nicht: was ist passiert?“
Nick kannte Fabian nur als jemanden, der seine Freundin vernachlässigte. Da Andrea aber lange mit ihm zusammen gewesen war, musste es mal anders gewesen sein. Aber das konnte Nick nicht beurteilen.
Andrea sah ihn an: „Du bist ein Mann: kannst du mir das erklären? Bin ich zu weit weg? Als ich in Frankfurt war, war alles in Ordnung…“
„Aber ich bin nicht Fabian“, brummte Nick dazwischen.
Sie sah ihn erstaunt an, dann lächelte sie: „Stimmt!“ Sie legte ihren Arm um seine Taille. Das tat sie manchmal, seitdem sie mit Fabian Schluss gemacht hatte. „Du bist aufmerksamer und für deine Freunde da, wenn sie dich brauchen.“
Er legte seinen Arm um ihre Schultern: „Ich hoffe doch, dass ich ‚aufmerksamer‘ bin! Fabian war überhaupt nicht ‚aufmerksam‘, als er hier war.“ Sie waren vor der Türe stehengeblieben.
„Das war mal anders“, murmelte sie.
Nick hob ihr Gesicht so, dass sie ihn ansehen musste: „Glaube ich dir. Aber ich habe ihn so nicht kennengelernt und ich bin froh, dass du den arroganten, selbstverliebten und ignoranten Kerl los bist.“
Erst war Andrea sprachlos. So hatte ihr bester Freund ihr noch nicht gesagt, was er von Fabian hielt. „Das denkst du von ihm?“
Er nickte: „So habe ich ihn kennengelernt.“
Andrea schwieg. „Ich kenne ihn auch anders“, murmelte sie nach einer Weile.
„Das hoffe ich. Sonst wäre es erschreckend, dass du so lange mit ihm zusammen warst.“
Andrea seufzte: „Lass uns bitte das Thema wechseln: das macht mich irgendwie traurig. – Ich bin froh, dass du mein Freund bist: du kannst gut zuhören.“
Nick lächelte und klopfte an Peters Küchentür.
Doch bevor er öffnen konnte, tat Jo es von innen: „Ich dachte, ihr klopft gar nicht mehr“, murrte der rothaarige Hüne. Er trug seinen Sohn auf dem Arm, der Andreas Lächeln erwiderte, als er sie sah.
„Sie macht mich verrückt“, erklärte Jo.
Nick grinste: „Deshalb hast du sie doch geheiratet, oder nicht?“
„Nee. Ich wollte, dass Joschi geboren wird und er auch Geschwister bekommt…“
„Der ist von mir, hat sie dir das immer noch nicht gesagt“, meinte Nick und nahm Jo den Jungen ab.
Jo grinste: „Soll das heißen, ich hätte dich heiraten müssen?“ Nick lachte nur und wandte sich dem Baby zu.
„Wo ist Eva denn?“ wollte Andrea wissen, als sie am Küchentisch saßen.
„Überall gleichzeitig“, knurrte Jo. „Ich weiß nicht, ob sie den Papst eingeladen hat, aber sie tut so.“
Nick sah auf. Er hatte Jos kleinen Sohn gekitzelt, der vergnügt krähte und nach Nicks Fingern griff. „Der Papst kommt? Dann kann ich also doch nicht in Jeans und Hemd kommen?“
Jo warf ihm einen finsteren Blick zu.
Nick lachte: „Stell dich nicht so an. Sie ist so! Und das weißt du. Du bist das nur nicht mehr gewöhnt, weil du während ihrer Schwangerschaft einen Grund hattest, sie ganz kurz zu halten.“
Jo nickte: „Stimmt.“
„Wann kommt das nächste Kind?“
Jo grinste: „Damit ich ihr wieder verbieten kann, so hektisch zu sein? Ist noch ein bisschen früh, oder? Joschi ist erst vier Monate alt.“
Nick grinste: „Ich denke nur an deine Nerven.“
„Soll ich sie mal holen?“ fragte Andrea dazwischen.
„Nee“, brummte Jo. Er setzte Kaffee auf: „Sie bügelt und telefoniert. Und schreibt auf, was wir noch alles vergessen haben.“
Andrea sah Jo erstaunt an. Sie sagte lieber nichts.
„Ich glaube, sie würde noch nebenbei Kuchen backen, wenn das ginge“, brummte Jo.
Andrea lachte: „Und warum sind wir hier? Sie scheint doch alles im Griff zu haben?“ Dafür erntete sie einen genervten Blick von Jo.
„Wenn sie die Planung nicht wieder umgeworfen hat, wollten wir dich fragen, ob du den Streuselkuchen von Oma Lissi mitbringen kannst?“ wandte Jo sich an Nick.
Der nickte: „Klar, kann ich machen. Ich muss sie sowieso mal besuchen, dann frage ich sie nach dem Rezept.“
Andrea sah die beiden großen Männer verwirrt an: „Wessen Oma ist das?“
„Meine“, erklärte Nick.
„Aber mich mag sie lieber“, feixte Jo.
„Von wegen!“ grinste Nick. „Wir sind beide eigentlich mit acht Großeltern aufgewachsen“, erklärte er.
Nick grinste breit, als er wieder mit Andrea im Auto saß: „Ich habe nie verstanden, wie er es schafft, Eva zu bändigen, aber im Moment tut er mir sogar leid.“
Andrea kicherte: „Es hat ihn doch niemand gezwungen, sie zu heiraten, oder?“
„Doch. Sie hat Land. 100-150 Morgen. Da wird jeder Bauer schwach. Und ich fürchte, er war verliebt.“
Andrea lachte: „Das ist er noch! Wieviel ist ein Morgen?“
„2.500 Quadratmeter.“
„Also ein Viertel Hektar?“ Sie hatte noch nie mit Flächenmaßen größer als Quadratmetern zu tungehabt, bevor sie in die ländliche Gemeinde gekommen war. Jo gab ihr bei jeder Gelegenheit Nachhilfe in allen Bereichen der Landwirtschaft – sehr zu Nicks Belustigung, der immer froh war, dass er vom ‚Unterricht’ verschont blieb.
„Mmh“, bestätigte Nick.
„Also 25-35 Hektar. Ist das viel?“
„Mmh. Wäre sie hässlich und dumm, sie hätte trotzdem mehrere Ehemänner zur Auswahl gehabt.“ Er grinste breit: „Für manche Bauern hätte sie wahrscheinlich auch eine ansteckende Krankheit haben können.“
Andrea kicherte, dann sah sie Nick tadelnd an.
Er schmunzelte: „Du hast gefragt!“
„Darf ich Eva das sagen?“
„Die weiß das. Und das nutzt sie auch als Druckmittel gegen Jo.“
„Ehrlich? Wie? Warum?“
„Hast du noch nie gehört, wie sie ihm vorwirft, er hätte sie nur wegen ihres Geldes geheiratet?“
„Doch… ach so: viel Land oder viel Geld bedeuten Reichtum.“
„Mmh.“
„Und… hat… hat Jo sie…“
„Nein. Der hätte selbst genug Land gehabt, um eine Familie zu ernähren. Der war völlig verrückt nach ihr. Seit dem Kindergarten schon. Ihr Erbteil Land war für ihn nur eine nette Zugabe. Und umgekehrt auch. – Hast du was dagegen, wenn wireben bei meiner Oma vorbei fahren? Das liegt fast auf dem Weg.“
„Nichts dagegen“, meinte Andrea. Sie kannte fast niemanden aus Nicks Familie.
Nick hielt wenig später am Straßenrand vor einem Fachwerkhäuschen. Sie waren in Heidberg, einem kleinen Nachbarort von Niederheid. Andrea verliebte sich sofort in das kleine Hexenhäuschen mit dem vor Blumen überquellenden Garten. Sie konnte ihre Augen gar nicht mehr von der bunten Pracht wenden.
Der Polizist kam um das Auto herum und blieb neben ihr stehen: „Du sagst ja gar nichts.“ Der Hüne grinste insgeheim. Es war selten, dass etwas Andrea die Sprache verschlug. Sie redete nicht so viel wie zum Beispiel Eva, aber dass sie gar nichts sagte, war trotzdem selten.
„Ich…“ Sie seufzte: „Irgendwann habe ich auch so einen Garten! Ganz sicher!“
„In Frankfurt? Da musst du aber erst den Beton aufstemmen“, feixte Nick.
Sie bedachte ihn mit einem finsteren Blick: „Du warst noch nie in Frankfurt. Da, wo Mama wohnt, ist es schön und grün…“
„Haben die den Beton grün angestrichen?“
Andrea lachte auf. „Blödmann“, kicherte sie und boxte ihn in den Bauch. „Vielleicht ziehe ich ja nach Ostbayern!?“
„Warum das denn?“
„Damit ich möglichst weit von dir weg wohne und du mich nicht mehr ärgerst.“
Nick lachte: „Nix dagegen. Dann werde ich nicht dauernd verprügelt.“
„Verdient hast du’s. Wo wohnt jetzt deine Oma?“
„Hier“, er wies auf den blumenüberwucherten Garten und das herrliche kleine Häuschen mit dem dunklen Fachwerk.
„Ehrlich? Dann ziehe ich zu deiner Oma“, entschloss sich Andrea. Bewundernd folgte sie Nick über den gepflasterten Weg zum Haus. Der Weg führte durch ein kleines Stück ordentlichen Rasen, der von Blumenbeeten umsäumt wurde. Große, farbenprächtige Iris wechselten sich mit bunten Rhododendren und Azaleen ab. Eine Magnolie zeigte einige späte rote Blüten und mehrere Kamelien reckten die letzten ihrer perfekt-symmetrischen Blüten in die Sonne. Hornveilchen durchbrachen hier und da den blauen Blütenteppich der Vergissmeinnicht, Pfingstrosen zeigten ihre ersten kugelrunden Blütenknospen. Insgesamt sah Andrea mehr Pflanzen, als sie benennen konnte. An einer Stelle wuchsen blau und violett blühende Stauden, dazwischen Akelei. An einer anderen Stelle sah sie Maiglöckchenblätter und ihre knospigen Ähren. Die Clematis am Zaun zum Nachbarn öffneten ihre ersten Blüten.
„Andrea!“ Nicks kräftige Hand riss sie aus dem Staunen.
Verwirrt sah sie ihn an: warum tat er ihr weh?
Er grinste leicht: „Tschuldigung. Ich hab keine Lust, dich aus dem Brunnen zu fischen.“
Überrascht sah Andrea den alten Brunnen, gegen den sie fast gestoßen wäre. „Ist…“
Nick schob sie auf den Weg zurück und ließ sie vorgehen. Er schob sie fast.
„Ist der Brunnen… echt?“
„Mmh. Ist zusammen mit dem Haus gebaut worden.“
Sie ging ein paar Schritte, dann drehte sie sich so abrupt um, dass Nick gegen sie stieß.
„Ey. Was denn jetzt?“
„Erbst du das Haus mal?“
Erst belustigt, dann laut lachend sah er sie an: „Heiratest du mich dann?“
„Ja, klar!“
Kichernd legte Nick einen Arm um ihre Schultern und zog sie sanft weiter: „Oma hat drei Kinder und elf Enkel. Ich fürchte, da bleibt nicht viel. – Du musst dir einen anderen Grund suchen, um mich zu heiraten“, riet er.
Andrea lachte auf: „Ich überlege mal: vielleicht finde ich ja einen. Aber… nachdem, was ich bisher in der Gemeinde gehört habe, haben viele einen Grund, dich zu heiraten. Nur du hast noch keinen Grund gefunden, eine von denen zu heiraten.“
Nick grinste: „Stimmt. Und ich glaube nicht, dass ich noch einen finde…“
„Ist da wirklich keine, mit der du dir vorstellen kannst, eine Familie zu gründen?“ Sie war stehengeblieben und sah zu ihm auf. Er war etwa anderthalb Köpfe größer als sie.
Nick zögerte: eine gab es…
„Ich meine: du kennst die ganze Gemeinde und die Nachbargemeinden: irgendwo muss doch eine Frau für dich wohnen?“
„Bestimmt“, erklärte er nach kurzem Zögern.
„Aber die will mich dann wahrscheinlich nicht.“
Andrea sah ihn prüfend an: warum hatte er gezögert? Und warum dachte er, die Frau wollte ihn nicht? „Was meinst du damit? Ich dachte… Ich dachte, du kriegst alle Frauen, die du willst?“
Nick seufzte: „Und noch viel mehr…“
„Ja, klar“, lachte Andrea. „Jo hat mir schon erzählt, wie bedauernswert du bist, weil du dich nicht gegen deine Verehrerinnen wehren kannst.“
Nick sah sie irritiert an. Es passte nicht zu seinem besten Freund, dass er jemandem so was erzählte. Selbst Andrea würde er das nicht erzählen.
Jo wusste, wie gern Nick die hübsche, intelligente und lebensfrohe Blondine hatte.
„Er wollte mich glauben lassen, dass du mit weniger Frauen… du weißt schon… wenn die Frauen dir eine Wahl ließen“, erklärte Andrea grinsend.
„Na ja, er hatte die Nacht durchgefeiert, ich glaube mit dir, Jan, Holger und so, und er war noch ziemlich blau. Ich fand es süß: ich glaube, er hat gedacht, er müsste dich verteidigen.“
„Und? Muss er?“
„Du bist mein Freund! Deine Frauengeschichten interessieren mich nicht. Hauptsache, dir geht’s gut, du bleibst ehrlich und findest irgendwann eine Frau, mit der du alt werden willst… Obwohl: wenn du mit fünf Frauen alt werden willst – und das nervlich schaffst – soll mir das auch Recht sein.“
Nick lachte auf. Er drückte Andrea kurz an sich: „Danke, aber eine reicht vollkommen!“
„Vielleicht gibt es ‚die Richtige’ gar nicht? Vielleicht bist du zu romantisch?“
„Zu romantisch“, wiederholte er sehr amüsiert.
„Das hat mir noch niemand gesagt.“ Er drückte auf den Klingelknopf neben der Haustüre.
„Vielleicht wollten die Frauen nie eine Beziehung, weil du sie mit deinem Bedürfnis nach Romantik erdrückt hast?“
„Biest!“ lachte Nick. „Es lag nicht an den Frauen, dass es keine Beziehung gab! – Hallo Oma.“
Andrea hatte das Gefühl, noch nie besseren Tee getrunken zu haben, als den bei Nicks Oma auf der sonnenüberfluteten Terrasse unter blühendem Blauregen. Die Bienen summten von einer Blüte zur nächsten, ein weißer, zotteliger Hund lag zu ihren Füßen und wärmte sie und der Duft von Tausend Blumen erfüllte die Luft. Nick sprach mit seiner Oma über Familienangelegenheiten. Andreahörte nur mit halbem Ohr zu. Sie kannte die meisten Namen nicht und konnte kaum folgen. Oma Lissi war klein, etwas rundlich und fröhlich. Sie hatte Nick zur Begrüßung liebevoll in die Arme geschlossen und kichernd protestiert, als ihr Enkel sie hochgehoben hatte. Aber sie war stolz darauf, dass er so groß und stark war, das hatte Andrea ihr angesehen. Andrea war freundlich und etwas neugierig begrüßt worden.
Nach einer Weile bemerkte Andrea aus den Augenwinkeln, wie Nick seine Oma mit einem Kopfnicken auf sie aufmerksam machte. Anschließend fragte er: „Ist alles in Ordnung, Andrea? Entschuldige, dass wir nur über…“
„Kein Problem!“ unterbrach sie ihn strahlend.
„Der Garten ist so schön! Ich… ich bin froh, dass ich nicht mitreden musste“, erklärte sie etwas verlegen.
Nick lachte.
Sie wusste, dass er über sie lachte, aber das störte sie nicht. Er lachte sie nicht aus.
Seine Oma sah Andrea prüfend an: „Meinen Sie das Ernst?“
„Ja, klar! Warum denn nicht?“
„Nein, nein! So war das nicht gemeint! Sie sind die neue Schlichterin, oder?“
„Ja, na ja, ich arbeite als Praktikantin bei Hofmeister. Ich bin nicht…“
„Aber Sie schlichten schon viele Streits. Ferdinand hält große Stücke auf Sie und erzählt immerwieder, wie froh er ist, dass Sie ihn unterstützen.
Ich wusste nicht, dass solche Gesetzesverfechter auch schöne Sachen sehen.“
Erst stutzte Andrea, dann lachte sie auf. „Von Ihnen hat er das!“ Sie deutete auf Nick: „Das stimmt nicht! Ich… Außerdem ist Nick auch ein ‚Gesetzesverfechter’. Sogar noch mehr als ich!“
Oma Lissi grinste: „Da haben Sie Recht. Aber kein gutes Beispiel: er hat kein Auge für schöne Blumen.“
„Hab ich wohl. Ich muss nur nicht darüber reden“, meinte Nick.
Seine Oma winkte ab: „Das kann jeder behaupten. Aber ganz stimmt es nicht, was ich gesagt habe. Er hat schon eine Auge für Schönes: er wurde seit seiner Jugend immer nur mit den schönsten Mädchen gesehen.“
Nick verdrehte die Augen.
Andrea lachte: „Und er hat eine Schwäche für schönes, kühles Bier.“
Jetzt lachte Oma Lissi auf. Sie nickte: „Stimmt!
Männerfreuden halt.“
Eine Weile redeten die beiden Frauen über den Garten. Andrea fragte viel und Oma Lissi antwortete freudig und ausführlich. Nick beobachtete die beiden Frauen, die sich miteinander unterhielten, als würden sie sich schon seit Jahren kennen. Nur das ‚Sie’ erinnerte immer wieder daran, dass sie sich eigentlich fremd waren. Als Andrea nach einem Gemüsegarten fragte, stand Oma Lissi auf:„Kommen Sie, wir gehen hin.“ Andrea war Feuer und Flamme.
„Was habe ich getan?“ fragte Nick, als seine Oma sich wieder zu ihm auf die Terrasse setzte.
Andrea bewunderte noch die Blumenbeete. „So hast du immer geguckt, wenn ich was angestellt hatte.“
Oma Lissi lachte: „Gar nichts, Nicki, gar nichts! Ich frage mich nur… Warum hast du sie mitgebracht?“
„Wir waren bei Jo zum Essen eingeladen. Der feiert Samstag seinen Geburtstag und wollte gerne deinen Kuchen haben. Ich hab das Rezept nicht und es ist nur ein kleiner Umweg, hier vorbeizukommen.“
Die ältere Frau nickte. „Wird sie die Mutter meiner Urenkel?“
Nick sah sie verblüfft an. Er schwieg, weil ihm keine Antwort einfiel.
„Deine Geschwister habe ich das zu oft gefragt, dich noch nie. Einmal darf ich fragen!“ verteidigte sie sich.
Er nickte langsam: „Ich weiß es nicht… Wenn sie mich will, ja.“
Seine Oma musterte ihn prüfend. Sie kannte jeden ihrer Enkel gut und Nick war ihr einer der liebsten, weil er immer ehrlich war, auch wenn es für ihn Ärger bedeutete. Schon als Kind hatte er ihrihre Fragen ehrlich beantwortet, was nicht bedeutete, dass er ihr alles gesagt hatte. Er hatte einfach nur die Fragen beantwortet. Als er älter wurde, hatten sie daraus eine Art Wettbewerb gemacht: wenn sie die richtigen Fragen stellte, erzählte er ihr alles, wenn sie dumme Fragen stellte, erfuhr sie nichts. Drei Fragen hatte sie stellen dürfen. Und meistens hatte sie genau die richtigen Fragen gestellt.
„Was bedeutet das?“
„Ich weiß es nicht.“ Nick zuckte mit den Schultern: „Ich weiß nicht, ob sie… mich lieben kann. Im Moment denkt sie noch sehr oft an ihren Exfreund.“
„Aber du liebst sie?“
Der große Mann nickte: „Ja. – Aber sie weiß das nicht. Ich will sie nicht… Sie soll erst mit ihrem Exfreund abschließen.“
Seine Oma nickte: „Gut. Das ist sicher wichtig.
Ich werde meinen Mund halten. Versprochen!“ Sie strahlte Nick an: „Ich freue mich für dich, Nicki!
Sie ist eine tolle Frau! Ich drücke dir alle Daumen!“
Nick schüttelte den Kopf: „In vier Monaten ist ihr Praktikum zu Ende und dann geht sie nach Frankfurt zurück. Jura studieren und in die Kanzlei ihres Vaters einsteigen.“
„Die Zukunft ist noch nicht geschrieben, Nick.
Warte ab, was kommt und lebe jetzt. Hör auf eine alte Frau.“
„Du bist nicht alt!“
„Doch! Und das ist auch richtig so: ich habe erwachsene Enkel!“
„Andrea, wollen Sie vielleicht gleich mitkommen zum Komitee für den Wettbewerb um den schönsten Garten? Ich glaube, daran hätten Sie viel Spaß: Lady Willsfresh hat einen wunderschönen Garten, den Sie sich angucken könnten.“
Andrea sah die kleine Frau, die jünger aussah, als sie sein musste, überrascht an. Nicks Oma hatte weißes Haar mit schwarzen Strähnen an den Schläfen und grüne Augen. Sie lachte gerne und hörte aufmerksam zu, wenn jemand etwas sagte.
Sie schien immer ein bisschen besser zu verstehen, was gesagt wurde, als sie zugab.
Sie erklärte: „Normalerweise gehe ich mit meiner Mitbewohnerin dahin, aber die besucht ihren Sohn in England. Sie können gerne mitkommen, sich alles angucken, mitessen und -trinken und dann fahren wir wieder. Lady Willsfresh wird nichts dagegen haben und ich bin froh, wenn ich angenehme und bodenständige Begleitung habe.“
Perplex sah Andrea von Oma Lissi zu Nick. Der nickte ermutigend.
„Äh… Danke… Ich… Ist das nicht etwas seltsam? Wir kennen uns kaum und… ich kenne da auch niemanden… Ich… Warum nehmen Sie nicht Nick mit?“
„Sie sind genau die Richtige dafür: Sie haben Spaß an Gärten und gute Umgangsformen…“
Nick tat, als habe er sich verschluckt. Er erntete einen amüsierten aber finsteren Blick von Andrea.
Seine Oma ließ sich nicht unterbrechen: „Und Nick kann ich nicht mitnehmen: die Ladies sind ganz verrückt nach jungen Männern. Die würden ihre Gastgeberpflichten vergessen und ihn verführen. Und ich kann es meinem Sohn und meiner Schwiegertochter kaum erklären, wenn ihr Sohn von einer einundsechzigjährigen, englischen Lady vernascht werden würde.“
„Da habe ich noch mitzureden“, brummte Nick.
Aber seine Oma widersprach: „Das haben schon viele gedacht. Bisher bin ich noch jedem gutaussehenden, jungen Mann, der mal da zu Besuch war, viel zu früh morgens im Haus einer der Ladies begegnet.“
„Das meinen Sie nicht ernst?“ fragte Andrea atemlos.
„Doch. Also… es sind jetzt nicht so viele, wie es sich anhört. Aber eine Hand reicht schon nicht mehr, um die jungen Männer aufzuzählen – wenn man Lady Willsfreshs und Lady Eleonores Affären zusammen zählt. – Keine Angst, Andrea, junge Frauen haben das Problem nicht.“
„Ich komme gerne mit“, freute sich Andrea. Sie grinste Nick an: „Sei nicht traurig: du wärst eh nicht glücklich geworden – bei so wenig Romantik.“
Sie freute sich diebisch über Nicks strafenden Blick und Oma Lissis neugierigen Nachfragen.
Pünktlich um sechs Uhr stiegen Andrea und Nicks Oma aus dem Kleinwagen der älteren Frau.
Andrea sah staunend die Fassade der Villa von Lady Willsfresh hinauf. Das weiße, viktorianische Haus beeindruckte durch Großzügigkeit, Eleganz und imposante Rosenbeete drum herum. Eine breite Treppe führte in eine große Eingangshalle, die mit dicken Teppichen ausgelegt worden war.
Von dort führten Türen und Treppen in andere Teile des Hauses. Gegenüber der Eingangstür sahAndrea durch eine deckenhohe Glasfront über eine breite Terrasse in den Garten. Staunend folgte sie Nicks Oma. Sie war froh, dass Oma Lissi darauf bestanden hatte, dass Andrea sich bei ihr unterhakte. Sie hätte sonst den Anschluss verpasst und alles Mögliche in der großen, hellen Empfangshalle umgelaufen. Alle Gäste, die Andrea sah, waren in schwarz gekleidet, wie sie selbst auch. Oma Lissi war eingefallen, dass es neben dem Treffen des ‚Komitees zur Wahl des schönsten großen Gartens’ noch einen weiteren Grund für das Treffen gab: die Beerdigung eines Dackels. Andrea hatte gelacht, als Lissi davon berichtete. Doch Oma Lissi hatte sie gewarnt, das nicht zu tun, wenn das trauernde Frauchen dabei wäre. Beileidsbekundungen würden erwartet, hatte Andrea erfahren.
Zielstrebig zog Lissi Andrea auf die Terrasse.
Unterwegs grüßte sie einige der Diener und bat sie um Wasser und Apfelschorle. „Setzen wir uns hierher“, meinte Oma Lissi und deutete auf einen Tisch am steinernen Geländer der Terrasse.
Von ihrem Sitzplatz aus konnte Andrea den parkähnlichen Garten teilweise übersehen. Große Rhododendron-Büsche blühten überreich und bunt, der Rasen war englisch-perfekt, jedes der Beete mit Buchsbaumhecken eingefasst. Frisch grüne und auch noch nicht ausgetriebene Sträucher versprachen eine andauende Blütenfülle über das ganze Jahr hinweg. Andrea konnte gar nicht genug sehen. Oma Lissi wechselte mit jedem deranderen Gäste einige Worte und stellte ihnen Andrea vor. Die begrüßte die neuen Bekannten jedes Mal freundlich, schaffte es aber nicht, ihre Augen lange von dem wunderbaren Garten abzuwenden.
Erst als sich eine elegante, etwa sechzigjährige Dame mit teurem Kleid und wertvollem Schmuck zu ihnen setzte, erwachte Andreas Neugier für die Menschen in ihrer Umgebung. Lissi stellte die Frau als Lady Eleonore vor.
Die Lady war groß und schlank, hatte braune Augen und dichtes, dunkles Haar. Sie sprach mit aufgesetztem englischem Akzent, wenn sie deutsch sprach: „Nice! Nice to see such a young face in unseren Reihen. Kommen Sie jetzt öfter?“
Andrea stolperte dem Sprachwechsel etwas hinterher, dann lächelte sie freundlich: „Nein, ich bin nur als Vertretung für… für… für Frau Wilms’ Freundin hier.“ Sie hoffte, dass ‚Wilms’ Oma Lissis Nachname war. Ihr war nicht aufgefallen, dass sie ihren Nachnamen nicht kannte.
„Ach, my dear, kommen Sie ruhig öfter! You are very welcome! Sie sind mein Gast, my personal guest! Excuse me“, sie stand auf, drückte kurz Andreas und Oma Lissis Hand und rauschte davon.
Fasziniert sah Andrea ihr nach. Die Frau hatte sie beeindruckt, wodurch genau, vermochte sie nicht zu sagen.
„Jetzt kennen Sie die exzentrischste und egozentrischste der Ladies“, erklärte Lissi pragmatisch. „Sie hat Charisma, jede Menge, und sie kannalle mitreißen, wenn sie von etwas begeistert ist. Aber sie kann auch vernichtend urteilen, wenn ihr etwas nicht in den Kram passt. Sie hat eine scharfe Zunge und einen unbeugsamen Willen, weshalb die meisten Angst vor ihr haben. Und… ich halte es auch für besser, ihr nicht zu widersprechen.
Das kann sie fuchsteufelswild machen. Und wundern Sie sich nicht, dass Sie ihr ‚persönlicher Gast’ sind, obwohl das Anwesen Willsfresh gehört: die Lady macht da keinen Unterschied.“
Andrea sah die freundliche Frau überrascht an, konnte aber nicht antworten.
„Und nennen Sie mich doch bitte ‚Lissi’. ‚Frau Wilms’ klingt so… so vornehm. Oder ‚Lisa’, wenn Ihnen das lieber ist.“
Andrea nickte: „Ja, gerne. Ich wusste nur nicht…“
„Eliza, come, der Tisch ist besser. Come here and bring your lovely friend here“, rief Lady Eleonore über mehrere Tische hinweg. Sie folgten der Aufforderung. Bedauernd stellte Andrea fest, dass sie nun nicht mehr am Geländer saßen und sie nicht mehr direkt in den Garten gucken konnten.
Sie saß nun an der Hauswand, neben Lisa, Lady Eleonore gegenüber.
„Wo gucken Sie hin, all the time? I’m here“, bemerkte Lady Eleonore plötzlich spitz.
Andrea sah sie überrascht an. Ertappt kicherte sie: „Entschuldigung. Aber der Garten ist so schön.
Ich kann mich einfach nicht von dem Anblick losreißen.“
Sie erntete einen missbilligenden Blick und erfuhr: „Lady Willsfreshs Garten ist tatsächlich sehr schön, isn`t it, Eliza? Fourteen times she won the price für den schönsten Garten. Aber wir wollen mal sehen, ob nicht dieses Jahr ich gewinne. This year wird sogar Herr Friedrich von meinem Garten überzeugt sein… Oh, my dear! Oh, you are looking wonderfully, my poor sweety“. Lady Eleonore rauschte zwischen den Tischen hindurch zu einer rundlichen Frau mit großer Sonnenbrille und wirrer Frisur. Sie nahm sie in die Arme.
„Das ist Lady Willsfresh“, erklärte Lisa leise. „Ihr Dackel ist gestorben. Den beerdigen wir gleich vor dem Komitee-Treffen.“
„Aber große Konkurrentinnen sind die nicht, oder?“
„Öffentlich nicht, nein. Aber hinten rum will Lady Eleonore unbedingt den Titel ‚schönster Garten’ haben. Es wurmt sie unglaublich, dass sie nicht gewinnt. Ihr Mann hat den Garten so gut in Ordnung gehalten, dass er vierzehn Mal hintereinander den ersten Platz gemacht hat. Dann hat sie angefangen, ihren Mann auf Reisen zu schicken, um freie Hand für ihre Liebhaber zu haben. Seitdem ist ihr Garten verfallen. Erst in den letzten Jahren bemüht sie sich wieder ernsthaft um den Titel. Wenn Willsfresh dieses Jahr gewinnt, ist Eleonores Rekord gebrochen und das will sie unbedingt verhindern. Sie erzählt auch schon mal richtig widerliche Geschichten über die Anderen, speziell über Lady Willsfresh und unseren Vorsitzenden. Sie unterstellt ihm, parteiisch zu sein. Er ist in dem Jahr unser Vorsitzender geworden, als Lady Willsfresh das erste Mal gewonnen hat. Aber Lady Willsfresh steht Eleonore in nichts nach, wenn es um gemeine Gerüchte geht.“
„Das klingt nach Schlammschlacht?“
„Mmh, ist es meistens. Aber von den großen Gärten haben wir glücklicherweise nur drei.
Hauptsächlich mache ich wegen der mittleren Gärten hier mit: die anzugucken und zu bewerten macht Spaß. Die Besitzer sind auch Konkurrenten, aber sie sind durchweg fair und haben Freude am Wettbewerb. Den Wettbewerb unter den großen Gärten wollten wir schon einige Male abschaffen, aber Lady Eleonore und Lady Willsfresh haben es immer verhindert…“
„…und immer mit Intrigen und Bestechung. Guten Abend.“ Am Tisch stand eine große, schlanke Frau mit dunkelblondem Haar.
„Hallo Lili“, lächelte Lisa und umarmte die Frau.
„Das ist Andrea Jansen, eine Freundin meines Enkels. Andrea, Lili Jarnswitch ist unsere dritte ‚Lady’.“
„Oh, ja“, lachte die umwerfend gut aussehende Frau. Sie war auf zurückhaltende Weise elegant,im Gegensatz zu Lady Eleonore. „Hallo Frau Jansen, freut mich.“
„Hallo. Warum betonen Sie das ‚Lady’ so?“ wunderte sich Andrea.
„Ich bin keine ‚Lady’“, Lili Jarnswitch setzte sich. „Wir werden von den Deutschen nur so genannt, weil wir englische Offiziere geheiratet haben. Eigentlich sind wir ganz normale ‚Mrs’, wenn es schon Englisch sein muss. Sonst müssten wir auch mit Vornamen angesprochen werden. Aber so haben die Deutschen einfach das ‚Frau’ durch ‚Lady’ ersetzt und schon waren wir klassifiziert: deutsche Frauen englischer Offiziere.“
„Aber…“ Lisa sah sich um: „Lady Eleonore will das nicht hören. Die wird fuchsteufelswild, wenn sie nicht mit ‚Lady’ angesprochen wird. Sie ist auch die Einzige, die sich mit Vornamen – wie eine echte Lady – ansprechen lässt.“
„Sie haben englische Offiziere geheiratet? Und warum sind Sie hier?“ fragte Andrea neugierig.
„Ich bin Deutsche. Damals, als die Engländer kamen, habe ich mir den Bestaussehendsten geangelt und der war halt Offizier.“
Da Andrea sie verständnislos ansah, erklärte Nicks Oma: „Die Engländer waren als Besatzer nach dem zweiten Weltkrieg hier. Viele junge Mädchen waren damals ganz verrückt nach denen. Die sahen ja auch schick aus in ihren Uniformen. Aber ich war vor dem Krieg schon mit Nicks Opa verlobt.
Und der sah auch ohne Uniform schick aus“, grinste die kleine Frau.
Lady Jarnswitch lachte: „Das haben sich die eingeredet, die das Pech hatten, keinen Engländer abzukriegen! – Ja, okay: dein Mann sah gut aus“, lenkte die Offiziersgattin grinsend ein, als sie Lisas angriffslustiges Gesicht sah.
„Wo ist Gerti?“ wollte Lili Jarnswitch wissen.
„Die besucht doch ihren Jüngsten in London.“
„In London?“
„Ja. Lady Eleonore hat ihm doch eine Stelle bei einer Londoner Firma vermittelt.“
„Oh. Hat er… Hat sie…“
„Nein, nein! Sie hat ihn nicht… abgeschoben.
Sie hat ihn nie gesehen. Ich glaube, das war eine ganz selbstlose Tat.“
Lili Jarnswitch zog ungläubig die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts.
„Sie meinen… was Sie eben angedeutet haben, weshalb Nick nicht mit darf?“ fragte Andrea atemlos.
„Nick! Ach, du lieber Himmel! Nein, den hübschen Jungen muss man wirklich von hier fern halten!“ entsetzte sich Lady Jarnswitch. „Dem verfällt die alte Gottesanbeterin sofort und träufelt ihm so viel zuckersüße Lieblichkeiten ins Hirn, dass der arme Junge gar nicht mehr weiß, was er tut – und hoffentlich aufwacht, bevor sie ihn zum Frühstück verspeist! – Obwohl: sie ist erstaunlich monogam in letzter Zeit, oder?“
Oma Lissi nickte: „Mmh, ich glaube schon. Ich habe von niemand anderem gehört als von diesem Gärtner.“
„Ich auch nicht. Ist aber auch ein hübsches Kerlchen. – Vielleicht wird sie langsam ruhiger?“
Lisa lachte: „Das kann ich mir nicht vorstellen.
Ist der Gärtner hier? Er ist doch immer in ihrer Nähe?“
Lady Jarnswitch schüttelte den Kopf: „Ich wüsste, wenn ich ihn gesehen hätte!“
Lisa grinste: „Lady Lili hat nämlich auch eine Schwäche für junge, gutaussehende Männer. Aber sie bevorzugt langfristige Beziehungen…“
„Und ich betrüge meinen Mann nicht: der ist seit neun Jahren tot.“
„Und Lady Eleonore…“
„Die schickt ihren Mann in Urlaub“, erklärte Lili Jarnswitch Andrea. „Der ist maximal zwei Wochen im Jahr zu Hause.“
„Wäre ich auch – freiwillig – wenn ich mit ihr verheiratet wäre“, meinte Lisa nüchtern.
Andrea hörte den beiden Freundinnen noch eine Weile zu. Sie erfuhr Klatsch und Tratsch über fast jeden der Anwesenden. Die beiden Frauen lachten über die Schwächen und Missgeschicke ihrer Bekannten genauso wie über ihre eigenen. Sie hatten nicht die skandalschwangeren und sensationslüsternen Stimmen wie beispielsweise das Ehepaar Leuter.
Als Andrea wider Erwarten ein bekanntes Gesicht entdeckte, entschuldigte sie sich.
„Herr Friedrichs!“ Sie lief dem weißhaarigen, freundlichen Mann nach.
Es erschien ein strahlendes Lächeln auf seinem Gesicht, als er sie sah: „Frau Jansen! Das ist aber schön, Sie zu treffen! Was machen Sie hier?“
„Nicks Oma hat mich eingeladen. Sie sagt, hier kann man sich tolle Gärten ansehen.“
„Ja, das stimmt! Aber gerade hier ist es auch ein Schlangennest. Kommen Sie: wir haben noch etwas Zeit. Wir gehen ein paar Schritte.“
„Es wird dunkel…“
„Keine Sorge: die Damen haben eine horrende Stromrechnung, damit man ihren Garten zu jeder Tages- und Nachtzeit bewundern kann.“
Andrea sah den freundlichen älteren Mann an: „Sie scheinen nicht begeistert davon zu sein?“
„Nein, bin ich nicht. Es ist nicht mehr natürlich… Aber wir… Wir sind uns nicht darüber im Klaren, dass wir auch ohne die großen Gärten einen guten Wettbewerb ausrichten können.“
„Wie meinen Sie das?“
„Na ja, also… Mal ganz unter uns…“
„Ja natürlich“, versicherte Andrea, als Herr Friedrichs zögerte.
„Also mir persönlich wäre es lieber, wenn wir die Wettbewerbe unter den großen Gärten aufgeben.
Sie erfordern mehr Zeit und Aufwand, als sie Bedeutung haben. Aber andere aus dem Komitee…sind… sagen wir mal… Günstlinge der reichen Damen. Wir stimmen im Komitee mehrheitlich ab und bisher haben die Damen immer eine Mehrheit erreicht. Und so bin ich machtlos.“
„Sie sind auch in dem Komitee? Das wusste ich gar nicht!“
„Doch, seit vierzehn Jahren. Ich bin der Vorsitzende.“
Andrea lachte: „Das hätte ich mir auch denken können.“ Sie hakte sich bei dem Mann unter: „So sehr, wie Sie Pflanzen lieben.“
Mit einer adretten Verbeugung bedankte Herr Friedrichs sich für die Ehre und führte Andrea zur Terrasse zurück: „Kommen Sie: wir müssen jetzt diese unsägliche Beerdigung hinter uns bringen.
Lady Willsfresh hat sogar einen Priester gefunden… Unglaublich! Wir dürfen gespannt sein, welcher Religion ihr Hund angehörte.“
Andrea lachte. Sie liebte den klugen, humorvollen Mann für seine kleinen, netten, altmodischen Gesten. Niemand sonst würde sich mit einer Verbeugung dafür bedanken, dass sie sich bei ihm unterhakte.
Die Beerdigung belustigte Andrea. Die geladenen Gäste versammelten sich an einer kleinen, reich mit Blumen geschmückten Kapelle. Ein kleiner, schwarzgekleideter Mann mit großem Kreuz an einem Rosenkranz um den Hals hielt eine rüh