Liebe mich so wie ich bin - Lotte R. Wöss - E-Book
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Liebe mich so wie ich bin E-Book

Lotte R. Wöss

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Beschreibung

Ein Jahr ist vergangen, seit seine Freundin Dani Jos mit einer anderen im Bett erwischt hat. Sie trennte sich noch in derselben Nacht von ihm. Was niemand weiß: Jos hat sie absichtlich vergrault.

Jos ist komplett überrascht, als Danis Mutter in sein Büro stürmt. Wütend zeigt sie ihm ein Foto, auf dem Dani mit ihrem Sohn auf dem Arm zu sehen ist. Jos ist schockiert. Ist das etwa sein Kind?

Von Frau Kaiser erfährt er, dass der Junge krank ist. Sie verlangt von ihm, Dani und dem Baby zur Seite zu stehen, ob er nun will oder nicht. Jos ist bereit, sich Urlaub zu nehmen und sofort zu Dani nach Miami zu fliegen. Doch Jos hat zwiespältige Gefühle. Er wollte niemals Kinder und das aus gutem Grund. Denn Jos hütet ein schreckliches Geheimnis.

Liebe mich so wie ich bin ist der zweite Teil der Einfach-Liebe-Reihe. Alle Bände sind in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden. Sie können unabhängig voneinander gelesen werden.

Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel Mit Fingerspitzen für immer.

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Seitenzahl: 361

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1 Alarmierende Nachricht vor Weihnachten
2 Der Jahrestag
3 Die Krankheit
4 Das schlimme Ende
5 Behindert?
6 Erste Annäherung
7 Feiertage
8 Silvester
9 Diagnose
10 Abschied
11 Eine neue Dimension
12 Allein
13 Die perfekte Therapie?
14 Das Institut
15 Hilferuf
16 Ein halbes Gespräch
17 Das Richtige?
18 Ein schwerer Weg
19 Neubeginn
20 Entwicklung
21 Hochzeit
22 Ein wichtiger Schritt
23 Schnell gefreit und doch gereut?
24 Ein erstes Gespräch
25 Verzögerung
26 Der Schwager
27 Ein Band wie Spinnweben
28 Heimflug
29 Reggie
30 Tante Hanna
31 Wer sagt die Wahrheit?
32 Die Familie
33 Das Kinderzentrum
34 Besuch
35 Sag kein Wort!
36 Carlas Blog
37 Herrenabend
38 Aussprache
39 Konstantin
40 Die Reaktion der Gräfin
41 Jos ist sauer
42 Die Schlange
43 Schwägerinnen
44 Männerrunde
45 Abschied
Das Wort zum Schluss
Weitere Bände der Einfach-Liebe-Reihe

LOTTE R. WÖSS

Liebe mich so wie ich bin

Über das Buch:

 

Ein Jahr ist vergangen, seit seine Freundin Dani Jos mit einer anderen im Bett erwischt hat. Sie trennte sich noch in derselben Nacht von ihm. Was niemand weiß: Jos hat sie absichtlich vergrault.

 

Jos ist komplett überrascht, als Danis Mutter in sein Büro stürmt. Wütend zeigt sie ihm ein Foto, auf dem Dani mit ihrem Sohn auf dem Arm zu sehen ist. Jos ist schockiert. Ist das etwa sein Kind?

 

Von Frau Kaiser erfährt er, dass der Junge krank ist. Sie verlangt von ihm, Dani und dem Baby zur Seite zu stehen, ob er nun will oder nicht. Jos ist bereit, sich Urlaub zu nehmen und sofort zu Dani nach Miami zu fliegen. Doch Jos hat zwiespältige Gefühle. Er wollte niemals Kinder und das aus gutem Grund. Denn Jos hütet ein schreckliches Geheimnis.

 

Liebe mich so wie ich bin ist der zweite Teil der Einfach-Liebe-Reihe. Alle Bände sind in sich abgeschlossen und durch wiederkehrende Figuren miteinander verbunden. Sie können unabhängig voneinander gelesen werden.

 

Der Roman ist eine Neuauflage und erschien ursprünglich unter dem Titel »Mit Fingerspitzen für immer«.

Über die Autorin:

 

 

 

Lotte R. Wöss, geboren 1959 in Graz, absolvierte nach der Matura die Ausbildung zur Diplom-Krankenschwester.

Schon als Kind schrieb und dichtete sie, es folgten Artikel und Gedichte für kleine Zeitungen, doch erst im reiferen Alter fand sie zurück zu ihrer Leidenschaft, dem Schreiben, und veröffentlichte ihren Debütroman “Schmetterlinge im Himmel” als Selfpublisherin. Mittlerweile hat sie zahlreiche Liebesromane, Krimis und auch Kurzgeschichten veröffentlicht, sowohl als Selfpublisherin, als auch in Verlagen.

Ihr bevorzugtes Genre bleiben aber Liebesgeschichten mit Tiefgang. Die Entwicklung, die ein Mensch machen kann, die Möglichkeit an sich selbst zu arbeiten und einen Reifeprozess durchzumachen – das ist für Wöss Thema Nummer Eins.

 

 

 

Lotte R. Wöss

 

Liebe mich so wie ich bin

 

Einfach Liebe

Band 2

 

 

 

 

Liebesroman

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

 

© 2022 Empire-Verlag

Empire-Verlag OG, Lofer 416, 5090 Lofer

 

Lektorat: Michael Lohmann

https://www.worttaten.de/

Korrektorat: Enya Kummer

 

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

 

Cover: Chris Gilcher

http://buchcoverdesign.de/

Illustrationen: Adobe Stock ID 108960389, Adobe Stock ID 252377206 und freepik.com

1 Alarmierende Nachricht vor Weihnachten

Auf seinem Schreibtisch stand ein Weihnachtsengel. Am Fenster klebten Strohsterne. Seine Sekretärin Annika hatte eine romantische Ader. Ihm hingegen waren diese Details, mit denen sie seinem Büro eine weihnachtliche Note gegeben hatte, nicht einmal aufgefallen. Jos Heim hatte bereits seine vierte Tasse Kaffee neben dem Computer stehen und sah sich zum dritten Mal dieselbe Zahlenkolonne an.

Es würde tadellos funktionieren. Sein Cousin Klaus hatte beschlossen, eine sogenannte Ehe auf Vertragsbasis einzugehen, um mit seiner Zukünftigen gemeinsam ein Kombinationsprodukt auf den Markt zu bringen.

Hochzeitskuss.

Es würde ein Renner werden, dessen war sich Jos gewiss. Was ihm nicht gefiel, war das Motiv der Ehe, einzig und allein aus pragmatischen Gründen. Ohne Gefühle. Dabei schien Klaus' neue Frau so überhaupt nicht zu ihm zu passen – rein äußerlich gesehen.

Erst im Juni war die Hochzeit zwischen seinem Cousin und einer italienischen Schönheit geplatzt. Niemand wusste Näheres über dieses Fiasko, doch Klaus war in letzter Zeit nur ein Schatten seiner selbst gewesen. Seit er jedoch diese eigenartige Vernunftehe auf Geschäftsbasis anstrebte, schien er wie ausgewechselt, lebenssprühend und energiegeladen.

Kurz, das Gegenteil von Jos.

Er stand neben sich und musste sich nicht groß erklären, warum. Vor über einem Jahr hatte er sich von seiner Freundin Dani getrennt. Ein endgültiger Schlussstrich, dafür hatte er gesorgt. Aber es hatte entsetzlich wehgetan. Dani fehlte ihm. Sie hatte sich mehr gewünscht, als er ihr hatte geben können. Ehe, Familie, Kinder …

Er wollte keine Kinder. Niemals.

Kinder waren hilflose kleine Wesen und in jeder Hinsicht darauf angewiesen, dass Erwachsene sich um sie kümmerten. Das war zu gefährlich.

Trotzdem wünschte er sich Dani zurück. Seine Intrige gegen sie erschien ihm jetzt boshaft und grausam. Dabei hatte er es gut gemeint. Ein Ende mit Schrecken war doch schließlich besser als umgekehrt.

Aber in den Nächten verfolgte ihn ihr kalkweißes Gesicht. Immer wieder. Sie war richtiggehend krank geworden. Am nächsten Tag war sie gegangen, still, ohne Szenen und Aufhebens.

Sie hatte sämtliche Wärme aus seinem Leben genommen und Dunkelheit zurückgelassen. Mittlerweile war sie verheiratet. Mit jemandem, der ihr vermutlich all das geben konnte, zu dem er nicht imstande war.

Seine eigene Schuld.

Aber hatte er eine Wahl gehabt?

Die Sprechanlage piepte. »Herr Heim, eine Frau Kaiser möchte Sie sprechen.«

Ein Stromschlag. Dani? Nach so langer Zeit? Hatte er Halluzinationen? War es möglich, einen Menschen durch intensives An-ihn-Denken, herbeizuholen?

»Einen Moment.«

Warum war sie hier? Jos presste die Hände aneinander.

Wollte sie ihn zurück?

Oh Gott, woher sollte er die Kraft nehmen, sie ein zweites Mal aus seinem Leben zu schießen?

Er durfte sie nicht sehen! Schon beugte er sich über die Sprechanlage.

»Ich bin beschäftigt …«

Er brach ab, da die Türe bereits aufgestoßen wurde. »Ich lasse nicht zu, dass du eine Ausrede erfindest, warum du mich nicht empfangen kannst. Du bist weder der Bundespräsident noch George Clooney.«

Danis Mutter! Mit der gewohnten Energie. Vergangenen Frühling hatte er es gewagt, bei ihr anzurufen. Die Sehnsucht hatte ihn dazu getrieben. Sie hatte ihm erzählt, dass Dani bald heiraten würde.

Nun stand sie also bei ihm im Büro. Jos schoss durch den Kopf, dass erst vor drei Monaten seinem Cousin Klaus, in dessen Arbeitszimmer ein paar Türen weiter, ein Heiratsantrag gemacht wurde.

Natürlich hatte diese Frau, die sich wie ein Racheengel vor ihm aufbauschte, nichts dergleichen im Sinn.

»Richtig heilige Hallen sind das hier!« Ihre altmodische Handtasche hielt sie wie einen Panzer an sich gedrückt. Sie hatte zwei Kinder allein großgezogen, nachdem sie ihren Mann früh durch Krebs verloren hatte. Jos hatte sie als liebevoll und freundlich in Erinnerung.

Davon war jetzt freilich nichts zu spüren. Sie war auf dem Kriegspfad. Er erhob sich.

»Darf ich dir eine Tasse Kaffee anbieten? Oder etwas anderes?«

Jos zermarterte sich das Hirn, was Frau Kaiser von ihm wollte. Dennoch blieb er höflich.

Sie wies auf seinen Stuhl.

»Setz dich wieder hin, bevor du umfällst.«

»Wie bitte?«

»Ich habe dir eine Nachricht zu überbringen. Von Dani, falls du dich bei deinen zahlreichen Liebschaften noch an meine Tochter erinnern kannst.«

Er schluckte. Selbstverständlich hatte Dani ihr Einzelheiten vom Bruch ihrer Freundschaft erzählt, daher sah sie ihn bestimmt im schlechtesten Licht.

»Wie geht es ihr?« Eine banale Frage. Doch Jos war an der Antwort wirklich interessiert.

Dani fehlte ihm wirklich. In diesem Moment spürte er es wie noch nie in den vergangenen zwölfeinhalb Monaten.

»Sie lebt in Amerika!«

»Das hast du mir schon das letzte Mal gesagt.«

»Richtig. Du hattest ja angerufen. Wolltest du sie damals zurückhaben? Zu Kreuze kriechen?«

Jos wand sich innerlich. Das Gespräch drohte unangenehm zu werden. Er hatte Dani absichtlich tief verletzt, damit es niemals ein Zurück geben könnte. Auf einmal wurde er von Wut darüber gepackt, dass Danis Mutter der Sehnsucht erneut Nahrung gab.

»Ich habe in zehn Minuten einen Termin.« Die Frau sollte zur Sache kommen. Er wollte sich nicht mit Vergangenem abgeben, sondern in die Zukunft schauen. Es gab keine Möglichkeit mehr, alles ungeschehen zu machen. Und es durfte auch niemals sein.

Frau Kaiser setzte sich und kramte in ihrer Handtasche. Zu Jos' Überraschung zog sie ein Foto heraus, sah es kurz liebevoll an, ehe sie es ihm auf den Schreibtisch knallte.

»Es wird Zeit, dass du deine Pflicht erfüllst!«

Jos starrte auf das Bild, sah es und doch wieder nicht. Dani! Im Bruchteil einer Sekunde zwinkerte er sie an. Lag da in ihren Armen ein Baby? Ein Kloß im Hals blockierte seine Stimmbänder.

»Das ist Noah, dein Sohn.«

Frau Kaiser stand auf, stützte sich mit beiden Händen auf den Schreibtisch und beugte sich vor. »Dani wollte nicht, dass du es erfährst. Mittlerweile sind aber Umstände eingetreten, die es ratsam erscheinen lassen, dich an deine Pflichten zu erinnern.«

Jos fühlte sich wie in einer Wattewolke. Er war Vater? Ein Albtraum! Genau das hatte er verhindern wollen.

Das Baby sah so winzig aus. Vollkommen hilflos.

Nein!

Dani war schwanger gewesen und hatte ihm nichts gesagt? Er verstand die Welt nicht mehr.

Deutlich sah er noch ihr Gesicht vor Augen, so ohne Hoffnung und desillusioniert. Er hatte sie tief verletzt, sodass ihr schlecht geworden war. Sie war ins Bad gestürzt, er hatte ihr Würgen gehört. Warum war ihm das damals nicht aufgefallen?

Frauen und Übelkeit – hallo?

Was hatte er getan?

Danis Mutter beobachtete ihn aufmerksam. Halt, da war doch noch was! Er sah ihr ins Gesicht.

»Du hast behauptet, sie wäre verheiratet?«

Sie ließ sich in den Stuhl zurücksinken. »Ich habe gelogen. Dani wollte dir nichts von dem Baby erzählen. Du hast sie schändlich hintergangen und ich kann sie verstehen. Aber dieses Kind hier hat ein Recht auf seinen Vater!«

Mit dem Zeigefinger deutete sie auf das Foto.

»Wo sind die beiden?«

»Dani lebt seit einem halben Jahr bei Lukas in Miami. Sie dachte, es wäre eine gute Idee, einen Ozean zwischen euch zu bringen. Sie ist tüchtig, trotzdem hat sie die Arbeit und Verantwortung unterschätzt, die so ein kleines Wesen mit sich bringt.«

Jos rang immer noch um Worte. Er musste einiges verarbeiten. Dani hatte ihm die Schwangerschaft verschwiegen, war in die USA gezogen und hatte seinen Sohn geboren. Und jetzt war ihre Mutter da und drängte ihn dazu, die Initiative zu ergreifen.

»Weiß Dani davon, dass du hier bist?«

»Nein!«

»Dann wird mein Besuch dort so willkommen sein wie Hagel kurz vor der Ernte.«

»Möglich. Kannst du es ihr verdenken? Keine Frau wird gerne betrogen. Warum hast du nicht den Anstand gehabt, vorher mit ihr Schluss zu machen?«

Jos spürte Scham in sich aufsteigen. Niemals konnte er Frau Kaiser von seinem abgekarteten Spiel erzählen. Sie würde ihn noch mehr verachten, als sie es bereits tat.

Nur Dani hatte ein Recht auf Aufklärung.

Ein Sohn! Konnte das tatsächlich wahr sein?

»Ich werde zu ihr fliegen.« Er hatte seine feste Stimme wiedergefunden.

»Wird deine jetzige Freundin nichts dagegen haben?«

»Ich habe keine Freundin!«

»Dann war es nur ein einmaliger Ausrutscher?« Frau Kaiser erhob sich. »Nicht, dass ich dafür Verständnis hätte. Und Dani wird dir niemals verzeihen. Aber für das Wohl des Kindes solltet ihr zu einer Einigung kommen, dass ihr euch beide um ihn kümmern könnt.«

Jos nickte.

»Außerdem …« Frau Kaiser schien unschlüssig, ob sie weitersprechen sollte oder nicht.

Jos sah sie erwartungsvoll an. Was kam noch?

»Also gut, ich sage es besser gleich. Mit dem Kind stimmt irgendetwas nicht. Er entwickelt sich langsamer als andere Babys. Daher ist es Zeit, dass du dich einbringst.«

»Mein Sohn ist krank?«

»Er ist ständig krank, Fieber, Bronchitis, Ausschläge. Kein Arzt weiß, weshalb. Deswegen bin ich der Meinung, dass du als Vater seiner Mutter zur Seite stehen solltest. Auch wenn ihr kein Paar mehr seid, so habt ihr die Verantwortung für dieses Kind.«

 

Als Frau Kaiser gegangen war, saß Jos noch lange regungslos an seinem Schreibtisch.

Hasste ihn Dani so sehr? Warum sonst hätte sie ihm die Schwangerschaft verschweigen sollen?

»Ich will keine Kinder - niemals!« Das hatte er ihr von Anfang an klargemacht.

Hatte sie gedacht, er würde sie zu einer Abtreibung zwingen?

Jos hatte schon lange keinen Urlaub mehr gemacht. In einer Woche war ohnehin Weihnachten. Er würde in die Staaten fliegen.

Ob er dem kleinen Noah ein Vater sein konnte? Er wusste es nicht. Aber zumindest finanziell sollte es seinem Sohn an nichts fehlen.

Sein Kind. Er musste sich an den Gedanken gewöhnen.

Tante Hanna würde rasen vor Zorn.

Er griff zum Telefon. »Spricht etwas dagegen, wenn ich mir ein paar Tage freinehme?«

»Über Weihnachten?« Klaus klang ruhig wie immer.

»Eigentlich dachte ich an sofort.« Im Kopf überschlug er, wie schnell er packen konnte und wann der nächste Flug nach Miami ging. »Die Kalkulationen bezüglich ›Hochzeitkuss‹ sind fertig. Während der Weihnachtsfeiertage passiert ohnehin nichts.«

»Es ist noch eine Woche bis Weihnachten.«

»Ich hatte keinen Sommerurlaub.«

»Bist du zum Familien-Silvester wieder hier?«

»Wahrscheinlich schon.« Familien-Silvester im Hause Heim von Werlenbach versäumte man nicht. Jeder verehrte ihre Mutter, Gräfin-Witwe Sofia, niemand würde sie ohne triftigen Grund versetzen.

Dani hatte er jedoch von der Familie ferngehalten. Denn er wollte nicht, dass sie sich irgendwelche Hoffnungen auf die Zukunft machte.

Er hatte keine.

Und doch hatte er nun einen Sohn.

Tante Hanna und Reggie würden ihm Vorwürfe machen. Was nützte das? Es war zu spät.

Noah.

Obwohl er es noch kaum glauben konnte.

 

Am selben Abend saß Jos bereits am Flughafen Franz-Joseph-Strauß in München und wartete auf den Flug nach New York, mit Umsteigeticket nach Miami.

Er holte sein Handy aus der Tasche und wählte die Nummer seiner Tante.

»Josef, das freut mich aber, dass du anrufst!« Wie immer klang sie fröhlich. Sie war die Einzige, die ihn und Reggie bei ihren richtigen Namen nannte.

»Tante Hanna, ich rufe vom Flughafen an. Leider muss ich nach Amerika und werde es vermutlich nicht schaffen, am 23. zurück zu sein.«

»Oh je! Das ist das erste Mal, dass du über Weihnachten fort bist!«

Jos musste schlucken, denn er spürte, dass seine Tante den Tränen nahe war.

»Es tut mir leid, aber es ist wichtig.«

»Welches Geschäft ist bedeutender als Weihnachten?«

Jos schwieg. Er wollte seine Tante nicht anlügen, die letzte Verwandte, die ihm mütterlicherseits geblieben war.

»Ist es etwa privat?« Tante Hanna war schlau, wie ein Fuchs. »Josef, es wird doch nicht ein Mädchen dahinterstecken? Du weißt, dass …«

»Tante Hanna, ich bin erwachsen!«

»Natürlich. Trotzdem …«

Jos seufzte resigniert. Wissen schützt vor Torheit nicht!

Aber das Kind war bereits in den Brunnen gefallen.

Was für ein dämliches Sprichwort!

Er beendete das Telefonat mit ein paar Floskeln und versprach, sich auf jeden Fall vor Weihnachten zu melden.

Das Gespräch mit Reggie schob er auf. Sein Bruder würde sich nicht so kurz abspeisen lassen wie seine Tante. Außerdem wurde gerade sein Flug aufgerufen.

Im Flugzeug schaltete er das Handy aus und lehnte sich im Sitz zurück. In ein paar Stunden würde er seinen Sohn kennenlernen. Würde Dani sich freuen, ihn zu sehen? Sicher nicht, so wie er sie aus seinem Leben gestoßen hatte.

2 Der Jahrestag

Dreizehn Monate zuvor

 

Schon an der Wohnungstüre spürte er, dass etwas anders war. Musik klang aus dem Wohnzimmer und er hörte Dani in der Küche rumoren und mitsingen.

Jos teilte ihre Stimmung nicht. Seine langjährige Sekretärin hatte gekündigt und er musste eine Dienstreise verschieben. Außerdem war es endgültig so weit: Sein Cousin Klaus hatte diesem kaltherzigen Miststück Giulia Caspari, die es nur auf seinen Titel und Reichtum der Familie abgesehen hatte, einen Heiratsantrag gemacht. Bereits jetzt hatte die italienische Schönheit begonnen, ein Hochzeitsfest gigantischen Ausmaßes zu organisieren, obwohl das Horror-Event erst im Juni stattfinden würde.

Er zog seine Schuhe aus und betrat die Küche. Dani schüttelte Salatdressing im Becher.

»Fein, du bist schon da!« Sie flog auf ihn zu und umarmte ihn. Er küsste sie, denn er konnte nicht anders. Seit dieser Wirbelwind in sein Leben getreten war, lief vieles vergnüglicher. Die Alltagssorgen fielen von ihm ab wie ein schwerer Mantel, und er atmete frei.

Durch die offene Türe blickte er ins Wohnzimmer auf einen festlich gedeckten Tisch. Was hatte er vergessen? Danis Geburtstag war doch erst im Sommer.

Er löste sich von ihr. »Gibt es etwas zu feiern? Bist du befördert worden?«

Sie lachte. Im letzten Jahr hatte sie ihre Ausbildung als Grundschullehrerin abgeschlossen; sie liebte die Arbeit mit den Kindern.

»Wir haben Jahrestag, Jos! Genau vor einem Jahr haben wir uns kennengelernt.« Sie strahlte. Er fühlte, wie sich in seinem Magen ein Knoten formte.

Das konnte nicht sein. Seine Affären dauerten höchstens ein paar Monate. Nie ein ganzes Jahr. Wie hatte das passieren können?

»Ich habe uns den 2012er Sancerre gekühlt, für besondere Anlässe.« Dani griff in den Kühlschrank. »Mach ihn schon mal auf. Rate, was ich gekocht habe!«

Er fühlte sich wie ein Automat. Dani feierte den Jahrestag. Als nächsten Schritt würde sie vermutlich einen Heiratsantrag erwarten. Dem musste er den Riegel vorschieben. Sofort. Er würde nicht heiraten, nie und niemanden.

Dani sah ihn an und bemerkte seine Missstimmung. Allerdings deutete sie die Ursache falsch.

»Du hattest wohl einen schlimmen Tag?«

»Linda hat gekündigt. Sie zieht mit ihrem Verlobten nach Berlin.«

»Das ist schade. Aber du findest eine neue! Ein wenig Geduld beim Einarbeiten, das wird schon.«

»Wenn du das sagst! Du hast enorm viel Erfahrung mit der Schulung von Sekretärinnen.«

Zum Glück reagierte Dani nicht auf seine Ironie.

Sie griff nach den Topflappen. »Setz dich, ich bringe das Essen gleich!«

Jos trat ins Wohnzimmer, öffnete den gekühlten Wein und goss ihn ein. Kerzen brannten, frische Blumen schmückten den Tisch. Sein Appetit war schlagartig vergangen.

Wie hatte er es so weit kommen lassen?

»Ich muss vorher duschen!« Zeit schinden und die Fassung wiedergewinnen. Heute wollte er noch gute Miene zum bösen Spiel machen. Es wäre zu grausam gewesen, nach diesem Empfang den Schlussstrich zu ziehen.

Herr im Himmel, er brauchte schleunigst einen wirksamen Einfall!

»In Ordnung«, tönte es aus der Küche. »Dann schiebe ich die Lasagne nochmals in den Ofen zurück.«

Lasagne! Eine seiner Lieblingsspeisen. Er wusste, dass Dani selbst nicht so eine Freundin von Nudelgerichten war, aber ihm zuliebe kochte sie häufig Pasta.

Das Jahr mit Dani war toll gewesen. Nein, das traf es nicht.

Fantastisch!

Sie war unkompliziert, fröhlich und verlangte nie etwas für sich. In keiner Weise führte sie sich so kapriziös auf wie Giulia, die Verlobte seines Cousins.

Das vergangene Jahr war das glücklichste seines Lebens gewesen. Dani hatte sich in ihn verliebt.

Und er? Diese Frage war nicht erlaubt. Er durfte sich an keine Frau binden. Seine emotionale Unabhängigkeit musste gewahrt werden. Schon einmal war seine Welt aus den Fugen geraten. Das würde er nicht nochmals riskieren. Familie und Kinder – das wäre niemals etwas für ihn.

Dennoch überfiel ihn bittere Wehmut, während das heiße Wasser auf ihn niederprasselte. Dani hatte Sonne in sein Leben gebracht, und jetzt sah er sich gezwungen, sich zu trennen. Für ihn würde nur kalte Dunkelheit bleiben. Doch es musste sein. Aber nicht heute! Diesen Tag wollte er sich noch gönnen.

Erleichtert setzte er sich an den Tisch. In der Auflaufform dampfte der italienische Nudelauflauf.

Dani hob ihr Glas. »Ich möchte dir etwas sagen, Jos«, begann sie.

Die Freude war ihr anzusehen. Er wäre gerne aufgesprungen, denn er wollte ihre Liebeserklärung nicht hören. Und nichts anderes würde kommen.

»Das vergangene Jahr mit dir war das schönste in meinem Leben!« Ihre Stimme war leise, doch ihre Augen strahlten im Kerzenschein. »Ich hoffe von Herzen, dass noch viele folgen werden. Am liebsten alle!«

Jos schluckte und drehte das Glas in seinen Händen. Was sollte er darauf antworten?

Es drängte ihn, mit dieser Frau ein Happy End zu feiern. Aber so etwas gab es nur in Romanen. Niemals im richtigen Leben. Zumindest nicht für ihn.

So hob er nur sein Glas, stieß mit ihr an und sie tranken. Wenn Dani enttäuscht war, ließ sie sich nichts anmerken. Er lobte die Lasagne mit vorgespielter Begeisterung und fragte nach ihrem Tag.

Dani ging sofort auf das Thema ein und sprach voll Enthusiasmus von ihrer neuen Nachhilfeschülerin, die nach einem Unfall monatelang den Unterricht versäumt hatte.

»Sie ist dermaßen fleißig und konzentriert, weit hinaus für ihr Alter. Ich denke, dass sie spätestens zu Weihnachten den Stoff aufgeholt haben wird.«

»Schön für sie!«

Dani runzelte die Stirne. »Was ist los, Jos? Hast du noch mehr Probleme außer der Kündigung?«

»Tut mir leid, ich habe bereits den ganzen Tag Kopfschmerzen.« Gelogen!

Sofort verzog sich Danis Miene vor Mitgefühl. Sie stand auf.

»Ich hole dir eine Tablette.«

»Ich habe vor dem Essen eine geschluckt!« Zum zweiten Mal eine Lüge. »Die Hochzeit von Klaus liegt mir auch im Magen. Er macht einen Fehler, wenn er diese Ziege heiratet.«

»Wirst du mich mitnehmen?« Die Frage überraschte Jos dermaßen, dass er zu seinem Glas griff und einen tiefen Schluck nahm.

Er hatte Dani absichtlich von seiner Familie ferngehalten. Es gab ein ungeschriebenes Gesetz, seine Freundin erst dann vorzustellen, wenn es etwas Ernstes war. Und das hieß Hochzeit. Jos hatte jedoch keine Ambitionen zu heiraten. Er würde Dani niemals in seine Familie einführen.

»Das Spektakel ist erst im Juni!« Hinhaltetaktik. Das durchschaute sie sofort.

»Das heißt also nein!« Klang ihre Stimme traurig?

»Jos, du kennst meine Mutter und meinen Bruder. Ich hingegen habe nur einen deiner Brüder kurz gesehen und da haben wir kein Wort gewechselt.«

»Meine Familie ist nicht so spannend.« Lahme Ausrede.

»Selbst die Dümmste muss merken, dass du mich nicht wirklich als Freundin akzeptierst. Was bin ich für dich? Eine Affäre, die dummerweise nun schon zu lange dauert?«

Sie hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.

»Dani, mach kein Drama draus. Ich werde dich beizeiten mal mitnehmen, aber …«

»Die Hochzeit wäre ein guter Zeitpunkt! Es sind noch ein paar Monate bis dahin.«

»Bestimmt nicht!« Wenn er sie als Begleitung für ein dermaßen offizielles Ereignis wählte, könnte er ihr gleich den Ehering an den Finger stecken. Sein ältester Bruder war ein Graf von Werlenbach. Seine Hochzeit würde ein Medienereignis werden. Zwangsweise würde auch er im Rampenlicht stehen.

Dann sah er die Enttäuschung auf Danis Gesicht.

»Es wäre alles andere als Spaß für dich«, lenkte er ein. »Eine Adelshochzeit ist eine steife Angelegenheit.«

Sie spielte mit dem Dessertlöffel.

»Ich bin nicht gut genug für deine Familie, nicht wahr? Wirst du mich überhaupt mal mitnehmen? Haben wir beide eine Zukunft? Eine Heirat - irgendwann?«

Da war sie, die Frage, die er gefürchtet hatte.

Bis zu diesem Abend, bei Pasta, Sancerre und Jahrestag, hatte Dani niemals Forderungen gestellt. Warum auf einmal jetzt?

Ein Jahr war zu lang. Jos hatte es trotzdem genossen. Und heute Abend war er definitiv nicht bereit, es zu beenden.

»Wir sind erst ein Jahr zusammen. Es war ein wundervolles Jahr und es ist fantastisch, dass du daran gedacht hast, das Ganze zu feiern. Du bist mir wichtig geworden, dennoch ist es zu früh, an eine Ehe zu denken.«

Er stand auf, umrundete den Tisch und zog sie hoch.

»Genießen wir das, was wir haben. Ich will dich spüren und den Tag vergessen. Den Abend mit dir natürlich nicht.«

Er küsste sie, und wie immer erwiderte Dani seinen Kuss mit einer Wärme und Leidenschaft, die sein Gehirn ausschaltete. Doch nach kurzer Zeit löste sie sich von ihm.

»Möchtest du überhaupt einmal heiraten? Familie? Kinder?«

Auf keinen Fall Kinder!

Er umschloss sie fest. »Momentan nicht! Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Ich will dich, Dani! Lass uns unseren Jahrestag genießen!« Er näherte sich wiederum ihren Lippen.

»Es wartet noch Tiramisu!«

»Später!«

Sie ließ sich von ihm mitziehen. Und in der leidenschaftlichen Umarmung rückte das unangenehme Gespräch in den Hintergrund. Dennoch wusste Jos, dass er diese Beziehung beenden musste, so schwer es ihm auch fallen mochte. In ihm nahm ein furchtbarer Plan Gestalt an.

Sein Vorhaben würde ihnen beiden das Herz brechen.

3 Die Krankheit

»Du siehst aus … wie ein Schatten!«

Lukas musterte seine Schwester mit Sorgenfalten auf der Stirn. »Du musst wieder einmal raus. Sogar deine Sommersprossen sind blass. Nimm dir ein Beispiel an Anna. Ein paar Stunden bei einem Babysitter hat noch keinem Kind geschadet.«

Dani fühlte sich ständig müde. Seit Ende Februar lebte sie schon bei ihrem Bruder und dessen Frau in Miami. Anfangs erschien es ihr gut, Deutschland und ihre gescheiterte Beziehung zu Jos hinter sich zu lassen. Im sechsten Monat schwanger, hatte ihr Bruder sie ermuntert, zu ihnen zu ziehen, da auch seine Frau Anna ein Baby erwartete. Kevin war sechs Wochen älter als Noah, konnte brüllen und essen, krabbelte durch die Gegend, brabbelte den ganzen Tag vergnügt vor sich hin. Sobald er seine Eltern sah, lachte und freute er sich.

Noah war anders.

Sein Schreien klang wie das Wimmern eines Kätzchens. Er schlief wenig, jammerte viel und versteifte sich, sobald ihn jemand hochnahm und an sich drückte. Am schnellsten beruhigte er sich, wenn Dani ihn in sein Bettchen legte und die Lichterkette über seinem Bett einschaltete. Die bunten Lämpchen fixierte er mit starrem Blick.

Außerdem fieberte er häufig, hatte Bronchitis, Durchfälle und erbrach sich. Er trank schlecht. Oft hatte sie bis zu zwei Stunden lang versucht, ihre Brustwarzen irgendwie in seinen kleinen Mund zu bekommen. Seine Gewichtszunahme war zudem gering.

Der Arzt hatte ihr schließlich geraten abzustillen. »Manche Kinder vertragen die Muttermilch nicht so gut!« Ihre Milch wäre einfach zu dünn, was auch immer das heißen mochte.

Stillen war ein intimer Akt zwischen Mutter und Kind und Dani fühlte sich um diese Vertraulichkeit betrogen. Sie war am Boden zerstört annehmen zu müssen, dass ihre Muttermilch offenbar ihrem Sohn nicht genug war.

Doch trotz der Umstellung auf Flaschenkost hatte sich an seinem schlechten Trinkverhalten wenig geändert. Nur, dass sie jetzt darum kämpfte, ihn an der Flasche saugen zu lassen. Es stimmte einfach etwas nicht mit ihrem Baby.

Dani spürte, dass Noah krank war.

Aber sie konnte es nicht benennen. Noah sah Dani nie an. Seine braunen Augen – sie ähnelten denen seines Vaters – irrten immer irgendwo in der Gegend herum und blieben an Gegenständen hängen. Gesichter interessierten ihn nicht. Es kamen keine gezielten Laute aus seinem Mund. Und gelacht hatte er noch nie.

Auch sah man ihm sein Alter von fast sieben Monaten keineswegs an; neben seinem Cousin wirkte er winzig.

Dani wurde neidisch, wenn ihre Schwägerin Anna Kevin herumtrug, mit ihm schmuste und er fröhlich gluckste. Noah ließ jegliche Küsse stoisch über sich ergehen und zeigte keinerlei Reaktion. Was fehlte ihm bloß?

Lukas sah sie an. »Anna meint, dass du ihn möglicherweise zu sehr verwöhnst.«

»Verwöhnen? Das lässt er doch überhaupt nicht zu! Ich darf ihn nicht einmal zu mir ins Bett nehmen. Er hat gejammert, bis ich ihn in sein eigenes gelegt habe. Die farbigen Lichter sind das Einzige, das ihn zur Ruhe bringt. Abgesehen davon schläft er höchstens vier Stunden am Stück!«

»Du wirst dich damit abfinden müssen, dass er behindert ist.« Anna war hinzugetreten, Kevin auf dem Arm, der seinen Kopf auf ihre Schulter gelegt hatte und träge in die Gegend blinzelte.

»Anna!« Lukas nahm ihr das Kind ab, das sich nun seinerseits an Lukas schmiegte.

»Jemand muss es einmal sagen. Noah ist total gestört und zurückgeblieben.«

»Der Kinderarzt meint, manche Kinder entwickeln sich eben langsamer.« Dani tat es fast körperlich weh, ihren Bruder mit seinem Sohn so vertraut zu sehen.

»Er ist ein Trottel!«

Dani zuckte zusammen. Hatte Anna den Arzt oder Noah gemeint?

»Wenn ich du wäre, würde ich in eine Spezialklinik gehen. Er braucht spezielle Behandlung.«

Dani schluckte. Anna war nicht bösartig veranlagt, dennoch lief alles momentan komplett aus dem Ruder. Lukas hatte geglaubt, die beiden Frauen könnten sich gegenseitig unterstützen.

Das war gründlich danebengegangen.

Tatsächlich hatte Dani neben ihrem Kind keinerlei Zeit übrig. Glaubte Anna, sie würde nicht selbst gerne wissen, welch geheimnisvolles Leiden Noah mit sich trug?

Lukas schlug in dieselbe Kerbe.

»Anna hat recht. Du solltest zu einem anderen Arzt gehen!«

»Ich habe Angst vor dem, was herauskommen könnte.«

Eine tödliche Krankheit … Danis größte Sorge. Lukas strich ihr eine Strähne aus dem aufgelösten Haar.

»Wenn man weiß, mit welchem Gegner man es zu tun hat, lässt er sich besser bekämpfen. Denk nicht immer gleich ans Schlimmste. Vielleicht braucht Noah nur ein bestimmtes Medikament? Das gibt es, dass den Kindern irgendein Enzym fehlt … oder so. Außerdem solltest du Jos von Noah erzählen. Er hat ein Recht darauf und er hat finanziell die Mittel für sämtliche speziellen Behandlungen.«

Es klang halbherzig. Dani war sich bewusst, dass alle dachten, Noah wäre ernstlich krank. Sogar ihre stets positiv eingestellte Mutter hatte im November bei ihrem Besuch so etwas angedeutet.

Noah würde kostspielige Untersuchungen brauchen. Hier in den USA musste man für jeden Handgriff extra bezahlen.

»Jos war absolut gegen ein Kind.«

Zumindest mit ihr. Tränen traten in Danis Augen, als sie das Wimmern ihres Sohnes aus dem Nebenraum hörte. Er hatte kaum eine Stunde geschlafen. Sie wollte zu seinem Bett stürzen, doch Lukas hielt sie auf.

»Lass ihn weinen! Möglicherweise hört er von selbst wieder auf.«

Es stimmte. Manchmal beruhigte sich Noah alleine besser, als wenn sie ihn zu sich nahm.

Was sagte das über ihre Qualitäten als Mutter aus?

»Es nützt nichts, die Augen zu verschließen, Dani. Noah hat eine Krankheit. Vielleicht ist es nichts Schlimmes, aber er benimmt sich alles andere als normal. Du solltest ihn im Klinikum testen lassen. Eventuell ist er allergisch und verträgt irgendetwas nicht.«

Konnte es eine dermaßen harmlose Ursache sein?

Dani ließ sich auf einen Stuhl sinken. Tief im Inneren wusste sie, dass es nicht so einfach sein würde. Noah war krank. Er würde möglicherweise niemals gesund sein. Er würde spezielle Therapien und Betreuung benötigen und nie alleine leben können.

Behindert.

Zum ersten Mal geisterte das Wort in ihrem Kopf herum und wollte nicht mehr heraus.

Ihr Bruder ahnte wohl, was in ihr vorging.

»Mach dich nicht kaputt, Dani! Aber es wird Zeit, dass du dich den Tatsachen stellst. Nimm Hilfe an! Ich werde für Noah einen Termin im Klinikum vereinbaren. Da wird er sämtlichen Tests unterzogen. Ruf Jos an! Er ist Noahs Vater und trägt ebenfalls Verantwortung für ihn.«

Die Vaterschaft würde Jos nicht anzweifeln können. Der Kleine war eine Miniaturausgabe von ihm, lediglich seine Haarfarbe war strohblond.

»Was, bitteschön, soll ich ihm sagen? Hallo, ich habe ein Souvenir von dir und außerdem ist er behindert. Nein, ich schaffe das allein. Ich brauche nichts von Jos, kein Geld und keine sonstige Hilfe. Für ihn war ich nur eine Affäre.«

Lukas erwiderte nichts darauf. Er hatte es für eine gute Idee gehalten, Dani nach Amerika zu holen; er hatte hier einen Zwei-Jahres-Vertrag. Anna wäre nicht allein im fremden Land. Anfangs hatte sie kaum Englisch gesprochen, Dani hingegen beherrschte es perfekt. Nun aber fürchtete Lukas, die falsche Entscheidung getroffen zu haben. Der Aufenthalt hätte Dani vom Liebeskummer ablenken sollen und sie hatte ursprünglich geplant, im Herbst wieder zu arbeiten. Ihre Mutter, seit Kurzem in Rente, hatte versprochen, ihren Enkel zu betreuen. Noahs Zustand ließ jedoch einen Heimflug nicht zu, obwohl Dani Heimweh hatte und ihre Mutter und ihre Freundinnen fehlten.

Und immer noch Jos! Selbst wenn sie das niemals zugegeben hätte.

Sie wollte es ihm nicht sagen?

Am Telefon war das vielleicht wirklich keine glückliche Lösung. Aber in Deutschland war jemand, der für Dani durch Brennnesseln gegangen wäre: ihre Mutter.

In Lukas reifte eine Idee.

Dani wäre wütend geworden, hätte sie geahnt, was Lukas ausheckte.

Sie saß am Kinderbett, massierte Noahs Bauch und nahm mit einiger Erleichterung zur Kenntnis, dass sein Wimmern langsam leiser wurde. Sie entspannte etwas und war dennoch schnell wieder bei diesem Albtraumtag.

 

4 Das schlimme Ende

Zwölfeinhalb Monate zuvor

Zwei Wochen waren vergangen. Nach einer leidenschaftlichen Nacht hatte sich Jos benommen, als hätte es den Jahrestag und das Gespräch nie gegeben. Aber Dani sah ihre Liebe fortan in neuem Licht. Der Abend hätte der Beginn einer höheren Stufe in ihrer Beziehung sein sollen. Tatsächlich war es jedoch ein Rückschritt.

Wollte Jos eine Zukunft mit ihr? Sie bezweifelte es von Tag zu Tag mehr. Trotzdem, heute musste sie es ihm sagen. Sie hatte es schon zu lange hinausgezögert. Auch wenn Jos Heirat und Familie ausschloss, hatte er ein Recht, es zu erfahren.

Sie würde nicht die erste alleinerziehende Mutter sein. Für sie war es selbst ein Schock gewesen. Der grippale Infekt Ende August musste die Wirkung der Pille aufgehoben haben. Niemals hätte sie absichtlich eine Schwangerschaft herbeigeführt. Aber nach der letzten Aussprache sah Dani mit aller Klarheit, dass Jos ihr genau das unterstellen würde.

Dennoch fühlte sie sich verpflichtet, es ihm zu sagen. Bald würde es zu sehen sein. Der Geburtstermin war für den 15. Mai errechnet.

Die Einkaufstaschen wogen schwer. Jos würde erst später aus dem Büro kommen, daher hatte sie zum Kochen genügend Zeit. Penne all’arrabiata heute Abend. Nach einem wohlschmeckenden Essen verkraftete man auch Hiobsbotschaften bekanntlich besser.

Vielleicht würde es Jos sogar gefallen, Vater zu werden?

Dani schob diesen Gedanken energisch zur Seite. Aber sie hoffte sehr, dass sie zusammen eine gute Lösung finden würden. Ein Baby ließ doch alle Herzen dahinschmelzen. Es war etwas anderes, über eine Möglichkeit zu reden und die abzulehnen, als sich mit einer Tatsache konfrontiert zu sehen. Jos würde aus dem Häuschen sein.

Er musste sich einfach freuen.

Dani sperrte die Wohnungstüre auf, streifte ihre Schuhe von den Füßen und trug die Einkaufstüten in die Küche. Im Vorraum hängte sie ihre Jacke auf den Bügel, dann …

War es das Gekicher einer Frau?

Konnte das wahr sein oder befand sie sich in einen Albtraum? Jos kam jeden Tag regelmäßig später nach Hause.

Dani spürte Hitze in sich aufsteigen und zitterte plötzlich. Sie wollte es nicht tun und musste doch.

Mit Schwung öffnete sie die Schlafzimmertüre.

Es war … grauenhafter als in ihren ärgsten Vorstellungen.

Auf dem breiten Doppelbett, in dem sie zahlreiche leidenschaftliche und zärtliche Stunden erlebt hatte, lag ein bildhübsches Mädchen in Strapsen. Jos hatte zwar Jeans an, war aber in eindeutiger Pose über sie gebeugt und massierte ihre Brüste. Sie bemerkten Dani überhaupt nicht, fixierten sich mit entrückten Blicken.

Dani entfuhr ein Schmerzenslaut. Peinlicherweise wurde ihr so schlecht, dass sie nur an den beiden vorbei ins Bad stürmen konnte. Bis zu diesem Zeitpunkt war sie von Schwangerschaftsübelkeit verschont geblieben, doch nun erbrach sie sich heftig.

In ihrem ganzen Leben hatte sie sich noch nie dermaßen miserabel gefühlt.

Jemand rüttelte an der Tür, aber selbst wenn sie es gewollt hätte, wäre sie nicht in der Lage gewesen zu öffnen. Sie hockte vor der Kloschüssel und würgte sich die Seele aus dem Leib.

Draußen laute Stimmen. Die Frau kreischte, Dani konnte nichts verstehen. Offenbar stritten sie und schließlich hörte Dani eine Tür schlagen.

»Dani, mach auf! Du bist schon zu lange da drin. Bitte, lass mich dir helfen!«

Welche Ironie! Was gab es da zu helfen?

Die Übelkeit ließ langsam nach, stattdessen tropften nun Tränen ins Klo.

Es war aus! Jos hatte sie betrogen, womöglich nicht zum ersten Mal. Wie naiv sie gewesen war! Sie hatte sich tatsächlich eine Zukunft erträumt, ein ›Sie lebten glücklich für immer‹.

Als ob es so was geben würde!

Sie musste ihre Fassung wiedergewinnen. Jos durfte niemals erfahren, in welchem Ausmaß er sie getroffen hatte.

In diesem Moment war es ihr nicht möglich, über das werdende Leben zu sprechen. Irgendwann, aber nicht heute. Für sie und Jos gab es kein ›uns‹ mehr. Nur die Verantwortung für ihr Kind.

Sie würden es mit einem Anwalt besprechen. Sachlich und friedlich.

Allerdings war sie dazu in ihrem Zustand nicht in der Lage. Momentan würde sie Jos aus Wut und Trauer ein Küchenmesser in den Bauch rammen. Es war nur noch ihr Stolz übrig, an den sie sich klammerte.

Nach einer heißen Dusche fühlte sie sich ruhiger.

Kälte war in ihr.

Sie öffnete die Türe und fand Jos auf dem Bett sitzend, den Kopf in den Händen vergraben. Er sah auf.

»Geht es dir besser? Das wollte ich nicht!«

Was dann?, fragte sie sich. In ihr Badetuch gewickelt ging sie zum Schrank und holte sich ein Nachthemd heraus. Ohne Scham ließ sie das Tuch fallen und schlüpfte hinein.

»Ich schlafe heute auf der Couch und morgen bin ich weg! Passt dir das?«

»Dani, ich …« Jos sah aus, als würde er gleich in Tränen ausbrechen.

Sie ignorierte ihn und erreichte das Wohnzimmer. Ihr war leicht schwindlig und sie wollte nur die Augen schließen und vergessen können.

Zum Glück war ihr Jos nicht nachgekommen. Was gab es denn noch zu sagen? Es war vorbei.

In der Nacht wachte sie auf. Sie hatte nichts zu Abend gegessen, aber ihr Baby brauchte Nahrung. Sie war nicht mehr nur für sich selbst verantwortlich.

Die Schlafzimmertüre war geschlossen. Ob Jos geblieben war oder woanders übernachtete?

Tränen stiegen in ihr auf. Wie hatte sie sich dermaßen täuschen können? Niemals hätte sie Jos Untreue zugetraut.

In der Küche stellte sie fest, dass Jos die gekauften Lebensmittel versorgt hatte. Dani beschloss, einen heißen Kakao zu trinken, das würde sie am ehesten beruhigen. Zum Glück war die schreckliche Übelkeit vorbei.

Sie war nicht die erste Frau, der das passierte. Und für ihr Kleines würde sie stark sein.

Trotzdem verbrachte sie die kommenden Stunden schlaflos und kämpfte fortwährend mit Tränen.

Sie erwachte erst um acht Uhr. Jos war bereits weg. Er musste sich auf Zehenspitzen aus der Wohnung geschlichen haben.

Sie telefonierte mit ihrem Bruder. Auf Lukas war immer Verlass. Nach dem frühen Krebstod ihres Vaters waren ihre Mutter, Lukas und sie aneinandergerückt. Seit er verheiratet war, gehörte auch seine Frau Anna in den Kreis.

Lukas kam eine halbe Stunde später und nahm sie fest in die Arme. Anna war mitgekommen und zu dritt packten sie Danis Sachen. Zum Glück fand Dani Kartons im Keller, sodass sie die Wohnung komplett von ihrem Eigentum befreien konnte. Das einzige Schmuckstück von Jos – eine wunderschöne Kette mit einem Herzanhänger - ließ sie auf dem Küchentisch zurück.

Nach knapp drei Stunden war alles verstaut. Die schweren Kisten trug Lukas, denn auch Anna war schwanger. Dani löste den Wohnungsschlüssel von ihrem Bund und legte ihn neben die Halskette.

Wehmütig sah sie sich um. Jos war ihre große Liebe und so leicht konnte sie ihn nicht aus dem Herzen reißen.

Lukas drückte sie an sich.

»Du brauchst Zeit, Dani. Komm heim, Mama wartet schon auf dich.«

Also würde sie mit achtundzwanzig Jahren nochmals in die Arme ihrer Mutter kriechen, wie ein Kleinkind.

Beim Klicken der Wohnungstür wurden ihre Wangen wieder feucht. Energisch wischte Dani die Tränen fort.

5 Behindert?

Dani atmete erleichtert auf. Sie war mit dem Kinderwagen zum Strand spaziert, während Noah vor sich hin gejammert hatte – bis er fasziniert die in der Sonne glitzernden Lamettastreifen zu fixieren begann. Dabei hatte ihn der Schlaf übermannt.

Dani nutzte die Verschnaufpause und setzte sich auf eine Bank mit Blick aufs Meer. Es war ungewöhnlich, Weihnachten im Sommer zu erleben, sie genoss die Wärme.

Zumindest von außen. In ihrem Inneren hatte sich ein kalter Knoten der Angst gebildet. Noah war im Miami Children’s Hospital durchgecheckt worden. Die gute Nachricht war, dass ihm körperlich nichts fehlte. Aber es gab auch eine schlechte Botschaft: Die Verdachtsdiagnose, die tonnenschwer über ihr hing.

Autismus.

Konnte das stimmen? Ihr Baby ein Autist?

Gleich nach Neujahr hatte sie einen Termin beim renommierten Kinderpsychiater Dr. Stone vereinbart.

Dani hatte erst mal im Internet über diese Krankheit nachlesen müssen. Und sie war so schlau wie zuvor. Ihr Sohn würde sein Leben lang behindert sein, so viel war klar. Egal wie sich seine Behinderung auswirken würde – es war unheilbar.

Aber Autist war nicht gleich Autist.

---ENDE DER LESEPROBE---