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Ihr Job ist es, ihn vor traumhafter Bergkulisse zu verkuppeln – doch hinter der Kamera fliegen die Funken. Für Fans von Maxi Hofer und Lotte Römer »Bei uns in den Bergen holt der Mann ein Edelweiß aus der Wand, so wie ich das gestern gemacht habe. Eine Rose kaufen kann jeder. Ein Edelweiß aus der Felswand pflücken kann nur ein verliebter Mann.« Endlich darf sich Sybille beweisen: Sie bekommt den Auftrag für die Produktionsleitung der Serie »Wanted: Bäuerin«, bei der ein Bauer seine Frau fürs Leben finden soll. Ausgerechnet der zukünftige Schwager von Sybilles bester Freundin Emma bewirbt sich – Lukas, dessen Berghof in der Nähe des kleinen Feriendorfes am Glücksberg liegt. Schon bei ihrer ersten Begegnung funkt es zwischen den beiden. Doch Sybilles Lebensmittelpunkt ist Köln und Lukas ist in Südtirol fest verwurzelt. Und so sieht es aus, als hätte diese Liebe hinter den Kulissen niemals eine Chance. Band zwei der Reihe »Das Feriendorf am Glücksberg« – die Bücher sind einzeln lesbar.
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Veröffentlichungsjahr: 2024
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© Piper Verlag GmbH, München 2024
Redaktion: Maike Mergler
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Covergestaltung: Giessel Design
Covermotiv: Shutterstock (lcrms, Adwo, canadastock, Andrii Anna photographers)
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Cover & Impressum
Kapitel 1 – Mit nacktem Oberkörper
Lukas
Sybille
Kapitel 2 – In der großen Stadt
Lukas
Sybille
Kapitel 3 – Träume und Albträume
Lukas
Sybille
Lukas
Kapitel 4 – Was der Bauer nicht kennt …
Sybille
Kapitel 5 – Luft holen
Lukas
Sybille
Kapitel 6 – Almauftrieb
Sybille
Lukas
Sybille
Lukas
Sybille
Lukas
Kapitel 7 – Der Morgen danach
Sybille
Lukas
Sybille
Lukas
Sybille
Kapitel 8 – Fernweh
Sybille
Lukas
Sybille
Kapitel 9 – Unvorhergesehenes Wiedersehen
Sybille
Lukas
Sybille
Kapitel 10 – Eindringlinge
Lukas
Sybille
Lukas
Sybille
Kapitel 11 – Erste Herausforderungen
Lukas
Sybille
Kapitel 12 – Heumahd
Sybille
Lukas
Sybille
Lukas
Sybille
Kapitel 13 – Konkurrenten
Sybille
Lukas
Sybille
Kapitel 14 – Fern von dir
Lukas
Sybille
Kapitel 15 – Entscheidungen
Lukas
Sybille
Lukas
Kapitel 16 – Ein gutes Ende
Sybille
Lukas
Sybille
Lukas
Kapitel 17 – ???
Lukas
Sybille
Lukas
Sybille
Lukas
Sybille
Epilog
Lukas
Liebe Leserin, lieber Leser!
Rezept für Lukas’ Pesto
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Bedächtig legte Lukas den Hörer auf die Gabel und schnaufte aus. Der Verdacht, den er die ganze Zeit über schon hegte, hatte sich mit diesem Telefonat erhärtet. Warum nur hatte er sich auf diese verrückte Geschichte eingelassen? Er als Fernsehstar! Als hätte die Welt darauf gewartet, dass er, der rotbackige, grobschlächtige Bergbauer aus Südtirol, die Mattscheibe eroberte! Auf so eine bescheuerte Idee konnte wirklich nur Trixi kommen. Trixi, die Ex-Freundin seines Bruders Matt, die sich erst kürzlich mit einem neuen Lover aus dem Staub gemacht hatte. Sie war für das Marketing der Glücksalm, des Feriendorfs, das seine Brüder mit einem gemeinsamen Freund auf einer Südtiroler Hochalm betrieben, verantwortlich gewesen. Im Zuge der Werbemaßnahmen für ihr Gastgewerbe, hatte sie beschlossen, dass Lukas sich bei Wanted: Bäuerin bewerben sollte. Erstens, weil es allerhöchste Zeit sei, dass er unter die Haube komme, zweitens, weil der Medienrummel, den sein Auftritt unweigerlich nach sich ziehen würde, auch positive Auswirkungen auf die Glücksalm hätte.
Jetzt durfte er zusehen, wie er die Suppe, die sie ihm eingebrockt hatte, ausgelöffelt bekam. Nicht, dass er etwas dagegen gehabt hätte, »unter die Haube zu kommen«. Er hatte es versucht, war überall dort aufgetaucht, wo sich Menschen in seinem Alter trafen, war auf jedem Volksfest zu finden gewesen, sogar in die Stadtdisco hatte er sich gewagt, und er war offensiv auf die Mädels zugegangen – so wie Trixi es ihm geraten hatte. Doch wenn sich tatsächlich einmal eine auf ihn eingelassen hatte, war sie stets schreiend weggelaufen, sobald sie erfahren hatte, dass er einen Bergbauernhof bewirtschaftete. Metaphorisch natürlich. Die meisten von ihnen hatten einfach ohne Angabe von Gründen den Kontakt abgebrochen. Keine wollte etwas mit einem Bergbauern anfangen.
Er konnte sie sogar verstehen. Ein solcher Hof bedeutete viel Schweiß und Mühe. Geregelte Arbeitszeiten von neun bis fünf oder eine Fünf-Tage-Woche gab es hier nicht. Sein Arbeitstag begann morgens um vier Uhr und endete irgendwann nachts, wenn er die Buchhaltung erledigt hatte, die leider auch bei einem landwirtschaftlichen Betrieb anfiel. Wochenenden erkannte er nur an den farbigen Markierungen im Kalender; sein letzter Urlaub lag so lange zurück, dass seine Mutter noch gelebt hatte. Die Lage seines Hofes verbesserte seine Aussichten nicht gerade, denn hier oben kam die Abgeschiedenheit hinzu. Im Winter war der Knottnhof regelmäßig für mehrere Tage von der Außenwelt abgeschnitten. Keine verlockende Vorstellung für moderne Frauen, die sich gern mal auf einen schnellen Kaffee mit ihren Freundinnen treffen wollten.
Lukas seufzte. Ja, er verstand durchaus all diese Gründe der Damenwelt, ihn zu meiden. Trotzdem tat es weh. Er liebte sein Leben und den Bergbauernhof, den er von seinen Eltern geerbt hatte. Zu gern hätte er all das mit einer Frau an seiner Seite geteilt. Oft genug hatte er überlegt, ob er den Hof aufgeben und ins Dorf ziehen sollte, doch wenn er sein Land betrachtete, die bunt blühenden Wiesen, den nach Harz duftenden Wald, den Ausblick, der sich ihm direkt vor der Haustür auf das ganze Tal bot, dann wusste er, dass er nirgends sonst hingehörte.
»Lukas?« Die Stimme seiner Schwester Jo holte ihn aus seinen Gedanken. »Bist du da?«
»Hier.« Er verließ sein Schlafzimmer und polterte die Holztreppe, die von Generationen von Füßen der Familie Winkler abgewetzt war, hinunter in die Küche, in der Jo soeben ihrem Sohn Maxi einen Becher Milch hinstellte.
»Onkel Luki!« Maxis Augen leuchteten, und er sprang Lukas in die Arme.
»Neffe Maxi!«, witzelte er. Der Kleine wusste ganz genau, dass er den Titel Onkel nicht mochte, auch wenn er in seiner Rolle vollkommen aufging. Es fühlte sich seltsam an, wenn Maxi ihn so nannte, und wühlte Erinnerungen an seine verstorbene Mutter auf, die ihn als Jungen immer Luki gerufen hatte. Außerdem war er viel mehr als ein Onkel. Er war dabei gewesen, als Jo vor etwa vier Jahren in den Wehen gelegen hatte, hatte ihre Hand gehalten und ihr Mut zugesprochen, als wäre er selbst der werdende Vater. Der war nämlich über alle Berge und hatte die schwangere Jo allein gelassen. Vielleicht war das der Grund, warum er so eine starke Bindung zu seiner Schwester und ihrem Sohn hatte und warum diese ihm auch nach dem Tod ihrer Mutter auf dem Hof zur Seite stand, obwohl sie mit ihrem Job als Lehrerin und als alleinerziehende Mutter mehr als genug zu tun hatte.
»Heut hab ich eine Überraschung«, sagte er an seinen Neffen gewandt.
»Was denn?« Maxis Augen glänzten schon.
»Die Marilyn hat zwei Lämmer gekriegt. Magst du sie sehen?«
Maxi jubelte und begann wie wild auf der Stelle zu springen. »Ja! Darf ich? Bitte, Mami, bitte darf ich?«
»Wir gehen zusammen in den Stall«, stellte Lukas in Aussicht. »Wenn du versprichst, ganz leise zu sein und dich langsam zu bewegen. Du darfst Marilyn nicht erschrecken und ihre beiden Lämmer auch nicht.«
»Versprochen!« Der Knirps nickte feierlich. »Können wir jetzt in den Stall?«
Lukas wechselte einen amüsierten Blick mit seiner Schwester.
»Ich wollte eigentlich zuerst die Bestellung aus dem Bioladen mit dir durchgehen«, meinte die.
»Bitte!« Maxi sprang wie ein Floh auf seinem Platz auf und ab.
Lukas lachte leise. »Na los, du kleiner Rabauke. Die Bestellung hat bis nachher Zeit.«
Wenig später waren sie in dem kleinen Stall angekommen, wo das Schaf Marilyn mit seinen zwei Lämmern auf Maxi wartete. Ein paar Tage würden die drei noch hier auf dem Hof bleiben, dann ginge es wieder auf die Alm zum Rest der Herde. Während Maxi die Lämmer bestaunte, übergab Jo ihrem Bruder eine Liste mit der Bestellung des Bioladens im Tal.
»Es ist eh mehr oder weniger das Übliche. Sie brauchen Käse, Eier, Butter und ein paar Kaminwurzen. In die Himbeeren wollte ich am Wochenende gehen, dann kann ich auch die Marmelade liefern. Ach, und ich soll dich noch fragen, ob du regelmäßig Schafsmilch liefern könntest. Nicht viel. Und vielleicht nur kleine Flaschen, aber der Theodor meint, dass die Nachfrage steigt.«
Lukas überlegte kurz, dann nickte er. »Sollte machbar sein. Sag ihm, wir können mit einmal die Woche anfangen. Wenn es wirklich Abnehmer gibt, können wir auf dreimal die Woche steigern.«
»Wir könnten ihm auch Schafsjoghurt anbieten. Das kann ich übernehmen«, meinte Jo.
»Wenn du das wirklich schaffst?« Lukas sah sie skeptisch an. Er war froh über die Unterstützung seiner Schwester, aber er wusste, dass sie sich selbst oft zu viel abverlangte. Sie konnte nicht Nein sagen und arbeitete bis an den Rand der Erschöpfung und manchmal darüber hinaus. Seine Brüder nahmen sie oft in Beschlag, und er wollte sie nicht auch noch ausnutzen.
»Ach was! Joghurt macht nicht viel Arbeit. Milch aufkochen, die Bakterien zugeben und dann eine Nacht lang stehen lassen. Der macht sich quasi von allein.«
»Wenn du meinst.« Er war noch nicht vollends überzeugt.
Jo sah ihn von der Seite an. »Was ist denn heute los mit dir?«
Das war die nächste Eigenschaft, die er an seiner Schwester liebte: Sie war aufmerksam. Manchmal zu aufmerksam.
»Sie haben angerufen.«
»Wer?« Sie sah ihn an und plötzlich leuchtete ihr Gesicht auf. »Das Fernsehen? Echt? Sie haben dich genommen? Lukas! Das finde ich super!«
»Schön für dich«, grummelte er. »Ich nämlich nicht. Ich habe keine Lust auf tausend Fernsehfritzen, die auf meinem schönen Hof alles durcheinanderbringen.«
Sie sah verwirrt aus. »Ja, aber warum hast du dich dann beworben?«
»Weil Trixi mich überredet hat.« Er schnitt eine gequälte Grimasse. »Und du weißt ja, wie sie ist. Sie kann dir Mäusedreck für Pfeffer verkaufen, hat mir die Ohren vollgequasselt, sodass ich am Ende dachte, ich sei derjenige gewesen, der sich bewerben wollte.«
»Ja, das klingt nach ihr.« Jo betrachtete ihn nachdenklich. »Aber warum sagst du nicht einfach ab, wenn es dich so sehr nervt? Sie ist nicht mehr da. Du musst das nicht machen.«
»Wenn ich jetzt absage, denken die, ich bin völlig unzurechnungsfähig. Trixi hat ja recht. Es nützt der Glücksalm. Außerdem hab ich mit der Bewerbung irgend so eine Klausel unterschrieben, dass ich mich nur durch Zahlung einer Strafe aus der Sache zurückziehen kann.«
»Das ist ja fies.«
Er nickte. »Ist es. Und ich bin ein Idiot, weil ich das so unterschrieben habe. Und genau als diesen Idioten werden sie mich in der Sendung hinstellen.«
»Das glaube ich nicht.«
»Nein? Hast du das Format mal angeschaut? Ich nämlich schon, allerdings erst nach der Bewerbung. Und weißt du was? Das Format lebt davon, dass Bauern als tumbe Tölpel hingestellt werden, maulfaule Deppen, die nichts als Matsch in der Birne haben.«
»Nun, das können sie bei dir schon mal nicht bringen, weil das alles auf dich nämlich nicht zutrifft.«
»Glaub mir, sie können. Und sie werden.« Lukas schnaufte durch. Noch einmal durchlebte er das Gespräch mit der Dame, die ihn vor nicht einmal einer halben Stunde im Auftrag des deutschen Senders angerufen hatte.
»Hallo, hier Sybille Sommer. Spreche ich mit Lukas Winkler?«
»Ja, der bin ich. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Ich bin die Produktionsleiterin von Wanted: Bäuerin und freue mich, Ihnen mitteilen zu können, dass unsere Wahl auf Sie gefallen ist. Was sagen Sie?« In ihrer Stimme war Begeisterung mitgeschwungen, und er hatte sich gefragt, ob diese nur gespielt war oder ob sie wirklich dachte, dass ihm diese Nachricht eine riesige Freude bereitete.
»Hm«, machte er und überlegte krampfhaft, was er sagen sollte.
Doch sie erwartete anscheinend keine Antwort, denn sie fuhr bereits fort: »Ich möchte Sie zu einem Sondierungsgespräch einladen. Passt Ihnen kommende Woche Mittwoch?«
»Einladen?«
»Ja, nach Köln in unser Studio. Dann könnten wir auch schon gleich vor dem Green Screen die Bilder für Social Media und die PR-Abteilung machen. Damit die Mädels nicht die Katze im Sack kaufen müssen. Ich hab ein paar fabelhafte Aufnahmen von der Südtirol Marketing AG erhalten, die wir für den Hintergrund verwenden können. Die Dolomiten, ein Bergsee … Das kommt sicher gut an bei den Zuschauern. Sagen Sie, haben Sie eine Lederhose? Und können Sie die vielleicht fürs Shooting mitbringen? Ich buche das Hotel für Sie, die Reisespesen können Sie uns danach in Rechnung stellen. Reisen Sie mit dem Zug?«
Ihm war ganz schwindelig geworden von all den Informationen und Fragen, die aus ihr heraussprudelten, und er hatte geschwiegen, bis ihr plötzlich auffiel, dass von seiner Seite kein Beitrag zu dem Gespräch erfolgte.
»Sie sagen ja gar nichts«, meinte sie.
»Ich … wollte kommende Woche das Heu machen.«
»Oh, das klingt fabelhaft. Könnten Sie damit warten, bis das Kamerateam vor Ort ist? Sagen wir, bis Anfang Juli? Das macht sich sicher gut, wenn sie da im hohen Gras stehen, mit der Sense ausholen – vielleicht mit nacktem Oberkörper. Wobei … Das sollte ich vielleicht erst mit der Chefetage abklären. Für die ist das eventuell schon zu sexy. Wissen Sie was? Das mache ich, und dann gebe ich Ihnen Bescheid. Zurück zu meiner Frage. Mittwoch passt Ihnen?«
Nein, wollte Lukas sagen. Das ist genau der Tag, an dem ich das Heu machen wollte. Und nein, das konnte nicht bis Anfang Juli warten, und er würde ganz sicher nicht mit nacktem Oberkörper die Sense schwingen. Wozu hatten schlaue Köpfe all die Erfindungen gemacht, wie Mähmaschinen, Heuwender oder Traktoren? Er würde seiner Arbeit nachgehen wie sonst auch.
Er schnaubte. »Mit nacktem Oberkörper!«
»Erde an Lukas!«, riss ihn da Jos Stimme aus seinen Tagträumereien. »Was willst du mit nacktem Oberkörper?«
»Nichts. Die Produktionsleiterin will. Nämlich dass ich so das Heu mache. Mit der Sense. Im Juli.«
Jo starrte ihn einen Moment lang an, dann brach sie in Lachen aus. Sie kriegte sich gar nicht mehr ein, hielt sich an der Futterraufe aus Stahl fest und lachte, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen.
»Mama, weinst du?«, fragte Maxi besorgt.
»Nein. Nein. Ich … lache … O mein Gott, Lukas! Worauf hast du dich da bloß eingelassen?«
»Meine Rede. Wenn Trixi noch da wäre, würde ich ihr nachträglich den Hals umdrehen.«
»Oh, ich kenne da ein paar, die dir gern dabei helfen würden.«
Sybille legte den Hörer auf und schloss die Augen. Einatmen, ausatmen, beschwor sie sich selbst, doch immer, wenn sie an das Telefonat zurückdachte, beschleunigte sich ihre Atmung von Neuem.
Sie hatte das Bild von diesem Bauern allzu deutlich vor Augen. Nein, nicht das, mit dem er sich beworben hatte. Auch das war gut, und sie hatte auf den ersten Blick erkannt, dass dieser Kandidat viele Bewerberinnen auf den Plan rufen würde. Sie hätte ordentlich Auswahl, die sie nach einer ersten Sondierung an ihn weiterleiten würde. Das war gut, denn so konnte sie bereits vorab geeignete Bewerberinnen zusammenstellen. Welche, die auch optisch was hermachten. Und dann würden sich auch die Mädels vor dem Bildschirm reihenweise in den schmucken Südtiroler verlieben und eifersüchtig auf die drei Bewerberinnen sein. Die Zuschauerzahlen würden ins Unermessliche steigen, sie würde ihr erstes eigenständiges Projekt als Produktionsleiterin mit Bravour meistern und dann vielleicht auch anspruchsvollere Shows bekommen.
Doch das war es nicht, was sie dazu brachte, sich wie eine hungrige Löwin die Lippen zu lecken. Es war das Bild, das in ihrer Fantasie entstanden war. Wie er mit nacktem Oberkörper im hohen Gras stand. Das Spiel seiner Muskeln, wenn er mit der Sense ausholte, während die Julisonne den Schweiß auf seiner Haut funkeln ließ. Sie konnte es vor sich sehen, eine leichte Zeitlupe, dazu sexy Musik … Wieder beschleunigte sich ihr Atem.
»Alles gut?«, holte sie eine Stimme aus ihrem Tagtraum. Erwin, ihr Kollege und größter Konkurrent, musterte sie besorgt von seinem Schreibtisch aus. Er hatte wie sie darauf gehofft, die Produktionsleitung dieser Show zugeschanzt zu kriegen. Doch die Chefetage hatte sich für Sybille entschieden, worauf er um die Stelle als Produktionsassistent gebettelt hatte. Dieser Job war zwar weit unter seiner Würde, doch die Chefetage hatte seinem Wunsch entsprochen – aus welchem Grund auch immer. Sybille konnte es sich nur dadurch erklären, dass die Bosse wohl der Meinung waren, wenn man schon eine unerfahrene Produktionsleiterin mit der nächsten Staffel von Wanted: Bäuerin betraute, sollte sie zumindest einen erfahrenen Assistenten haben. Erwin hingegen hoffte wohl, sie bei einem Fehler zu ertappen, um am Ende doch selbst den Auftrag an Land ziehen zu können. Sie seufzte. Das würde sie nicht zulassen.
»Hat er dir einen Korb gegeben?«, bohrte ihr Kollege weiter. »Soll ich noch mal anrufen?«
»Nein, alles in Ordnung. Er kommt am Mittwoch. Sorgst du bitte dafür, dass das Fotostudio gebucht ist? Und als Fotograf hätte ich gern Rick.«
»Betrachte es als erledigt.«
Sybille nickte dankbar, nahm sich jedoch gleichzeitig vor, in einer Stunde zu überprüfen, ob Rick und das Studio für Mittwoch tatsächlich gebucht waren. Sicher war sicher.
Dann vertiefte sie sich in die Planung. Sie brauchte coole Settings – zumindest das garantierte der Drehort. In seiner Bewerbung hatte Bauer Lukas von einem Bergsee gesprochen, der sich ganz in der Nähe befinden sollte. Der war als Kulisse sicherlich nicht schlecht, nur brauchten sie eine Aktivität dort oben. Was würde sich wohl eignen? Wieder entstand ein Bild vor ihrem inneren Auge. Sein Gesicht mit diesen markanten Zügen, die sonnengeküsste Haut, das dunkelblonde, verstrubbelte Haar … sein nackter Körper von hinten, im Bergsee stehend, den Blick einem der schneebedeckten Gipfel zugewandt.
»Oh, ein Bergsee! Da kommt mir doch gleich eine Idee.« Sybille zuckte bei Erwins Worten zusammen. Er war von ihr unbemerkt aufgestanden und hatte sich hinter sie geschlichen, um über ihre Schulter auf den Bildschirm zu schauen. »Man könnte dort oben ein Picknick veranstalten, und die Bewerberinnen haben die Aufgabe, den Korb dafür zu packen. Der Bauer begutachtet den Inhalt und setzt sich zu der, die seinen Geschmack am ehesten getroffen hat.«
Erwins Worte wirkten wie eine kalte Dusche auf Sybille. Ihr Atem beruhigte sich, und das Bild des nackten Mannes verschwand aus ihren Gedanken. Dafür richtete sie ihre Aufmerksamkeit erneut auf ihre Aufgabe: Tolle Settings zu finden und geeignete Aufgaben für die Kandidatinnen zu entwickeln, aufgrund derer Lukas seine Wahl treffen konnte. Leider war Erwins Idee gut, und sie ärgerte sich ein bisschen darüber, dass sie nicht von ihr selbst stammte.
Notiz an mich selbst, mahnte sie sich in Gedanken. Keine nackten Oberkörper mehr. Fokussier dich, Bille.
Daher strahlte sie ihren Kollegen an. »Gute Idee«, lobte sie. »Da können wir auch gleich Product-Placement unterbringen. Informier dich doch mal über Hersteller von regionalen Spezialitäten, die wir mit ins Boot holen können.«
»Mach ich. Im Weinland Südtirol sollten sich doch ein paar Kellereien finden, die für so was zu haben sind.«
Sybille verzog das Gesicht. Und schon wieder waren sie beim Thema Alkohol. Irgendwie schien ein Markenzeichen dieses Formats zu sein, dass man Bauern einen erhöhten Alkoholkonsum unterstellte. In jeder Staffel, die sie angeschaut hatte, gab es wenigstens eine Folge, in der die Landwirte versuchten, ihre Zukünftigen unter den Tisch zu saufen – mit dem Ergebnis, dass sie selbst sternhagelvoll waren. Abgesehen davon, dass Sybille nichts davon hielt, Menschen in unzurechnungsfähigem Zustand zu filmen, fand sie es darüber hinaus höchst fahrlässig, den Alkoholkonsum dermaßen zu glorifizieren. Nein, es musste andere Wege geben, eine interessante Staffel zusammenzustellen. »Ich habe Spezialitäten gesagt, Erwin. Nicht Alk. Also sieh zu, dass du ein paar Hersteller von schmackhaften, regionalen Lebensmitteln findest. Käse, Schinken, Brot und so was.«
»Natürlich.« Ihr Assistent nickte beflissen, doch Sybille sah das mutwillige Funkeln hinter seinen Brillengläsern aufblitzen. Sie beschloss daher, sich auch um diese Aufgabe lieber selbst zu kümmern.
Lukas blickte skeptisch an dem Gebäude mit der verglasten Front hoch, in dem sich der Sender befand. Die ganze Zugfahrt über hatte er sich selbst dafür verteufelt, Ja zu diesem Deal gesagt zu haben. Mehr als einmal war er kurz davor gewesen, den Zug zu verlassen und ein Rückfahrticket zu kaufen – Schadensersatz für den Vertragsbruch hin oder her. Er fühlte sich nicht wohl bei der Sache. Er und Fernsehen! Das passte nicht zusammen.
Und trotzdem war er weitergefahren, weg von den Bergen, die ihm Halt gaben und in denen er verwurzelt war, in die große Stadt, die ihn mit ihrem Getöse und ihrer Hektik verunsicherte und ermüdete. Am Bahnhof hatte er sich ein Taxi genommen, obwohl die Frau ihm genau erklärt hatte, welche Verkehrsmittel er nutzen konnte. Er hatte Angst, die Orientierung zu verlieren, sich hoffnungslos zu verirren, und fürchtete, sich im Sender zum Affen zu machen; sich gleich zu Beginn als der dumme Bauer zu präsentieren, den sie der Welt vorführen wollten.
Wenn er doch nur schon wieder zu Hause wäre. Zu Hause, wo seine Geschwister an seiner Stelle das Vieh versorgten und für ihn das Heu machten. Zusammen mit Alex, dem vierten Teil des Kleeblatts, welches die Glücksalm zu dem gemacht hatte, was sie heute war. Sie standen ihm bei, und das, obwohl die Wandersaison begonnen hatte und alle Hände in der Almwirtschaft gebraucht wurden. Er hatte ein ganz schlechtes Gewissen, weil er sich dafür verantwortlich fühlte, dass sie seinetwegen nun noch mehr Arbeit hatten. Nein, er musste schnellstmöglich wieder nach Hause.
Lukas wollte sich eben wieder von dem Gebäude abwenden, um ein Taxi zurück zum Kölner Hauptbahnhof zu rufen, da rammte ihn etwas von der Seite. Er wankte, doch das Etwas, das sich als Frau entpuppte, wankte noch stärker und drohte zu Boden zu gehen. Lukas ließ geistesgegenwärtig die Lederhose fallen, die er über dem Arm trug, und packte zu. Er riss die Frau an sich und bewahrte sie so vor ihrem Sturz auf den harten Asphalt. Da er selbst das Gleichgewicht noch nicht wiedergefunden hatte, ging er nun seinerseits zu Boden und riss dabei die Frau mit sich.
»Hoppala«, hörte er, und irgendwie kam ihm die Stimme bekannt vor. Und dann noch mal »Hoppala!«. Dieses zweite Hoppala klang bewundernd.
Jetzt erst schaffte er es, die Frau, die auf ihm lag und keine Anstalten machte, von ihm herunterzuklettern, anzusehen. Sie hatte braunes, langes Haar, das sie offen trug und das ihn nun am Hals kitzelte. Ihre Augen waren von einem dunklen Blau, und die vielen feinen Fältchen darum herum verrieten, dass sie oft lachte.
Lukas erkannte, dass ihr Gesicht von Sommersprossen übersät war, die sie jedoch unter Puder zu verstecken versuchte. »Sie sind mein Bauer.«
Und plötzlich wusste er, woher er diese Stimme kannte. »Und Sie sind die Frau, die meinen Untergang besiegelt.« Er verzog schmerzhaft das Gesicht.
Ihre Wangen färbten sich rot. »Wenn überhaupt, dann gehen wir zusammen unter«, sagte sie. Dann sah sie hoch, und Lukas folgte ihrem Blick.
Sie waren von Neugierigen umringt, einige hatten ihre Handykameras gezückt und hielten sie auf das am Boden liegende Paar.
»Wollen wir ihnen was bieten?«, fragte sie.
Noch bevor er ihre Frage verstanden hatte, geschweige denn seine Meinung dazu beisteuern konnte, hatte sie ihre Lippen auf seine gesenkt und küsste ihn. Er fühlte eine heiße Welle in sich aufsteigen, und ohne eine bewusste Entscheidung legten sich seine Hände um sie, und er drückte sie an sich.
Er hörte weder die Ah!- und Oh!-Rufe, noch das Klingeln der vorbeifahrenden Räder. Der Motorenlärm der dröhnenden Stadt wurde von dem lauten Pochen seines Herzens in seinen Ohren übertönt, und er ließ sich ganz in diesen Kuss fallen. Doch dann waren ihre Lippen weg, und gleichzeitig war auch ihr Gewicht auf seiner Brust fort. Mit einem Mal fühlte sich sein Körper kalt und unvollständig an.
»Das war nur ein kleiner Ausblick auf das, was ihr sehen könnt, wenn ihr in vier Wochen bei Wanted: Bäuerin einschaltet. Dieser junge Mann ist unser nächster Kandidat. Ich selbst bin die Produktionsleiterin und sozusagen die Stellvertreterin für eine der drei Kandidatinnen, die das Glück haben werden, diesen Bauern an Land zu ziehen. Wer dieses Video mit dem Hashtag #wantedbaeuerinstaffel13 postet, springt in den Lostopf und kann bei der finalen Show live dabei sein, wenn Lukas seine Bäuerin wählt. Und küsst.«
Applaus ertönte. Vor Lukas’ Gesichtsfeld erschien eine ausgestreckte Hand. Er ergriff sie und ließ sich von ihr auf die Beine ziehen.
»Ich bin Sybille, die Produktionsleiterin. Wir haben telefoniert.«
Verdattert starrte er erst in die Runde, dann diese Naturgewalt von einer Frau an, die ihn zuerst in einen Liebessturm versetzt und dann für Werbezwecke missbraucht hatte – oder beides gleichzeitig. Er hasste es, dass er ihr auf den Leim gegangen war, und verwünschte die Stadtmenschen, die mit den Gefühlen ihrer Mitmenschen spielten, als wären sie gar nichts wert.
Sybille konnte an der Miene ihres Besuchers ablesen, was ihm durch den Kopf gehen musste, und schämte sich dafür. Sie schämte sich, dass sie ihn in der Öffentlichkeit bloßgestellt und so getan hatte, als wäre ihre Begegnung ein Werbegag, sie schämte sich für den Kuss, der einfach passiert war, ohne dass sie auch nur einen Augenblick darüber nachgedacht hatte, und auch dafür, dass dieser verdammte Kuss ihr tatsächlich nicht egal war. Im Gegenteil. Sie hatte seinen Duft noch immer in der Nase, diese betörende Mischung aus Wald, Harz und Heu, und das Gefühl seiner warmen Lippen auf ihren. Während sie neben ihm her in das Gebäude ging, musste sie sich mit aller Macht zurückhalten, ihn noch einmal an sich zu ziehen und zu küssen, diesmal richtig.
»Sorry«, sagte sie. »Und gleichzeitig entschuldige ich mich nicht. Das hätte nicht besser laufen können.«
»Hm.«
»Ich meine, dass die Leute schon vor der Show über dich zu reden beginnen. Mundpropaganda ist die beste Werbung, verstehst du? Und diese Videos werden jetzt viral gehen, das weiß ich. Die Einschaltquoten werden alles toppen, was bisher für dieses Format bekannt war.« Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. Seine Miene wirkte verschlossen, beinahe grimmig. Trotzdem sah er überwältigend gut aus. Diese markanten Züge, der Bartschatten auf seinen Wangen, sein Haar … Wie es sich wohl anfühlte, die Finger darin zu vergraben? »Du siehst gut aus«, sagte sie und verbesserte sich sofort. »Brauchbar, wollte ich sagen. Du hast ein gutes Filmgesicht. Das kann ich jetzt schon sagen. Da kann man was draus machen.« Sie wusste, dass sie schwafelte. Die Leute in ihrem Team waren Profis. Sie konnten aus jedem ein Supermodel machen oder den schönsten Menschen wie eine Vogelscheuche aussehen lassen. Alles eine Frage des Handwerks. Im Falle von Wanted: Bäuerin war meist Letzteres der Fall. Da wurde die Haut nicht abgedeckt, damit sie glänzte, was den Kandidaten und Kandidatinnen ein unprofessionelles, naives Erscheinungsbild verlieh, oder sie wurden zu stark geschminkt, was denselben Effekt hatte. Wenn die Chefetage es so wünschte, würde Lukas wie ein dummer Bauer aussehen, rotwangig, glänzend und einfältig. In diesem Moment beschloss Sybille, dass sie das nicht zulassen wollte.
»Komm«, sagte sie. »Wir gehen gleich in die Maske. Während die Visagistin dich abpudert, erkläre ich dir die Abläufe.«
Die Zeit in Köln durchlebte Lukas wie in einem Nebel. Ein Wirbel aus Farben, Bemerkungen und Eindrücken – zu viel, um alles zu verarbeiten.
Das Fotoshooting war ein Albtraum. Die grellen Lichter, die Menschen, die um ihn herumwuselten, an ihm zupften, ihn in Positionen zwangen, die sich für ihn falsch anfühlten, und dann von ihm verlangten, dass er natürlich in die Kamera lächelte. Er bekam es einfach nicht hin, dieses Lächeln. Nicht, bis sich Sybille neben die Kamera stellte und ihm ermutigend zunickte.
Ihre blauen Augen funkelten warm, ihre Wangen überzogen sich mit einem leichten Rosaton, und als sich die Fältchen neben ihren Augen vertieften, verzog sich sein Mund wie von selbst zu einem Lächeln. Da war etwas zwischen ihnen, das spürte er genau.
»Perfekt!«, rief der Fotograf, der wohl Rick hieß und dessen Haar wild in alle Richtungen abstand. Er war Kettenraucher, ein Nervenbündel und wirkte wie ein Hase auf der Flucht. Allein ihn anzusehen, verursachte Stress bei Lukas, und er begann, sich nach der Ruhe seines Hofes zu sehnen. Wieder erdete ihn Sybilles Blick, und endlich ertönte das erlösende »Wir haben die Bilder im Kasten«.
Lukas dachte schon, dass er nun endlich entlassen wäre, doch nein, Rick fuhr fort: »Jetzt noch sein Teaser, und wir können Feierabend machen.«
Das Gesicht der Produktionsleiterin wurde wieder geschäftsmäßig. Als hätte sie die Energie nicht wahrgenommen, die zwischen ihnen hin- und hergeströmt war, und Lukas spürte einen kleinen Stich in seinem Herzen.
Sie blätterte durch die Zettel auf ihrem Clip-Board, runzelte die Stirn und brüllte in den Raum: »Erwin! Ich hoffe, du hast den Text für den Teaser fertig. Wir brauchen ihn. Jetzt!«
»Kommt sofort«, kam eine Männerstimme aus dem Dunkel, und gleich darauf erschien ein Mann etwa in Lukas’ Alter und streckte ihr einen Zettel hin. Sie schenkte dem Text keine Aufmerksamkeit, nickte bloß und ging auf Lukas zu.
»Die paar Sätze müsstest du schnell auswendig lernen. Das ist der Teaser, der möglichst viele Mädels dazu bringen soll, sich zu bewerben. Du kannst es ruhig in deinem Dialekt sagen. Den finden sicher viele Frauen süß.« Sie wandte sich wieder diesem Erwin zu.
Lukas stand mit dem Zettel in der Hand im Raum wie bestellt und nicht abgeholt. Er warf einen Blick auf die Zeilen.
Willst du mit mir ins Heu springen? Ich, Lukas, suche eine Bäuerin, die Lust hat, die höchsten Gipfel (bitte hier denken: der Lust) zu erklimmen. Ein Leben auf dem Knottnhof bedeutet deftiges Essen und guter Wein an der Seite von einem strammen Naturburschen wie mir. Geh, komm mit mir ins Heu. (Bitte an dieser Stelle zweideutig lachen)
Er schluckte. Dieser Text war der Beweis. Man wollte einen Affen aus ihm machen. Wer auch immer sich auf diesen Teaser hin als Kandidatin bewarb, war eindeutig keine Frau, die er an seiner Seite wollte.
Er wollte sich eben an Sybille wenden und ihr erklären, dass er diesen Text auf keinen Fall vor laufender Kamera sagen würde, da erkannte er, dass sie in ein Gespräch mit ihrem Assistenten vertieft war, und soviel er verstand, ging es um den Kuss.
»… geht gerade viral. Ein geschickter Schachzug«, lobte er sie gerade. »Die Chefetage lässt ausrichten, dass sie entzückt ist.«
»Danke. Ich hoffe, das war es wert.«
»Wieso? Küsst er so schlecht?«
»Ich spreche von den Einschaltquoten …« Sybille sah sich um und fing Lukas’ Blick ein. Augenblicklich röteten sich ihre Wangen. »Lukas, mein Lieber, brauchst du was? Gefällt dir der Text nicht, den Erwin für dich geschrieben hat?«
»Nein, nein … schon in Ordnung«, stammelte er. Er fühlte sich, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Sie hatte ihn nur der Quoten wegen geküsst? Gut, dann wusste er wenigstens, woran er bei ihr war. »Alles in Ordnung. Können wir weitermachen? Ich möchte ins Hotel.«
»Natürlich.« Sybille nickte ihrem Assistenten zu, dann klatschte sie laut in die Hände. »Alle Mann auf Position. Es geht weiter mit dem Teaser. Frank? Bist du so weit?«
Frank, das hatte Lukas inzwischen verstanden, war der Regisseur. Er war der Älteste im Raum, sein Bart wies bereits einige graue Stellen auf, und er war bieder gekleidet. Hemd, Pullunder, Jeans. Bislang hatte er sich herausgehalten, aber als es jetzt um den Teaser ging, wurde er aktiv. Er erklärte Lukas, wie er die Worte zu betonen habe, wann er in die Kamera lachen und wann zwinkern solle, machte es vor und ließ ihn üben.
Bald rann Lukas der Schweiß von der Stirn, und das hatte nichts mit den Scheinwerfern zu tun, die ihm ins Gesicht leuchteten. Immer wieder musste er an Evi denken, die Schwester von Alex, die Theaterschauspielerin war und bei der solche Proben zum Alltag gehörten. Sie hatten sie immer belächelt, hatten das, was sie da leistete, als Hobby abgetan, für das sie auch noch bezahlt wurde. Erst jetzt verstand er, dass es Schwerstarbeit war. Und wieder verfluchte er sich, dass er nicht mehr Widerstand geleistet hatte, als Trixi ihn zu dieser Sache überredet hatte.
»Gut. Wir sind reif für die Kamera«, meinte Frank irgendwann zufrieden. »Sybille? Schaust du zu?«
Sybille, die in eine geflüsterte Unterhaltung mit Erwin vertieft gewesen war, fuhr wie ertappt herum und eilte an Franks Seite.
Der nickte zufrieden und befahl: »Kamera ab!«
»Kamera läuft«, kam es von Rick.
»Ton?«
»Läuft«, kam es von einem anderen Mitarbeiter mit großen Kopfhörern, der ein Mikro an einer Angel hielt.
»Und … bitte!«
Lukas atmete noch einmal durch, wie Frank es ihm geraten hatte, dann zwang er sich ein Lächeln ins Gesicht, das Frank für sympathisch befunden hatte, und legte mit seinem Text los. Dabei hielt er den Blick gerade auf die Kamera gerichtet – zumindest fast, denn gleich daneben stand Sybille, die mit jedem Wort, das er sagte, blasser wurde.
»Willst du mit mir ins Heu springen? Ich, Lukas, suche eine Bäuerin, die Lust hat, die höchsten Gipfel …«
»Cut«, rief der Regisseur. »Hör mal, Lukas, du willst doch die Frau deiner Träume finden, oder nicht?«
Lukas öffnete den Mund. Das war die Gelegenheit, um zu erklären, dass dieser Text eindeutig nicht die Frau seiner Träume auf den Plan rufen würde, sondern eher die Frau seiner Albträume, doch Frank war auf seine Antwort gar nicht erpicht. »Dann musst du da ein bisschen mehr Gefühl reinlegen. Herzschmerz, als würdest du sie schon vor dir sehen. Liebe, Sehnsucht, Zärtlichkeit. Verstehst du? Keine Frau verliebt sich in einen Holzklotz.«
Lukas biss die Zähne zusammen und nickte knapp.
»Dann los. Kamera?«
»Läuft.«
Und das Spiel wiederholte sich, bis Frank erneut an derselben Stelle abbrach. »Lukas!«
»Ja, Frank?«
»Was haben wir gerade über Holzklötze gesagt?«
Ich habe überhaupt nichts gesagt. Ich habe nur geschwiegen und mir anhören müssen, dass ich einer bin, dachte er grimmig. Doch laut sagte er: »Dass sich keine Frau in einen Holzklotz verliebt.«
»Genau.« Frank nickte. »Und was stellst du gerade dar?«
»Einen Holzklotz.«
»So ist es. Ich möchte Wärme. Feuer. Kriegst du das hin? Sonst sind wir heute noch um Mitternacht hier.«
Jetzt erwachte der Trotz in Lukas. »Ich bin eben, wie ich bin. Wieso soll ich den Frauen einen Mann vorspielen, der ganz anders ist als das, was sie am Ende erwartet?«
Frank starrte ihn einen Moment lang an, dann polterte er los. Er maulte und schimpfte – meistens direkt an Sybille gewandt, die mit blassem Gesicht danebenstand. Lukas verstand nur einzelne Brocken aus diesem Monolog.
»Aus Steinen Schauspieler machen … große Kunst … und dann bin immer ich der Prügelknabe für die Chefetage, dabei schicken sie mir solches …«
Lukas ließ den Mann schimpfen. Er hatte ja recht. Er war ein Holzklotz. Ein Holzklotz, der in die Berge gehörte, auf den Knottnhof, wo die Luft nach Harz roch und nach Heu, wo duftende Kräuter in der Wiese blühten, Bienen summten und Schafe blökten und die Welt noch in Ordnung war. In Ordnung, bis auf den Umstand, dass es keine Frau gab, die diese Idylle als das Paradies erkennen wollte, das sie war. Er seufzte und ließ sich auf einen Klappstuhl sinken.
Rick zwinkerte ihm von hinter der Kamera zu. Franks Donnerwetter hielt weiter an, und Lukas schloss die Augen und träumte sich auf seinen Hof. Noch vierzehn Stunden, dann ging sein Zug. Weitere acht Stunden, dann wäre er dort, wo er hingehörte.
Als eine Hand sich auf seine Schulter legte, schrak er zusammen, riss die Augen auf und sah direkt in Sybilles Gesicht. Ihre dunkelblauen Augen blickten ihn warm und besorgt an.
»Nimm’s nicht persönlich. Frank ist ein Choleriker. Der beruhigt sich schon wieder. Ich hab dir den Text umgeschrieben. Vielleicht passt er so besser?«
Lukas nahm den neuen Zettel entgegen und las: