Liebe on Stage - Alexandra Fischer - E-Book
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Liebe on Stage E-Book

Alexandra Fischer

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Beschreibung

Wenn dir die ganze Welt zu Füßen liegt …
Die neue Rockstar-Romance für Fans von Kylie Scott

Miami, London, München – Almond ist überall auf der Welt zuhause. Als Tochter eines Musikproduzenten war sie schon an vielen Orten, von denen andere nur träumen. Die Musik ist Almonds Leben und als sie Burnside Close, die neue Band ihres Vaters, kennenlernt, verliebt sie sich sofort in den Leadsänger Morris. Mehr denn je ist Almond daraufhin überzeugt, dass ihr Platz in der Musikwelt liegt. Ihre Mutter hingegen hat ganz andere Pläne und stellt sich ihr in den Weg. Und plötzlich weiß Almond selbst nicht mehr, was sie will. Wird Morris ihr auf der Suche nach dem richtigen Weg helfen können?

Erste Leserstimmen
„Eine Rockstar-Lovestory zum Mitlachen, Mitweinen und Mitfühlen!“
„zwei beeindruckende Hauptfiguren und eine Liebesgeschichte zum Dahinschmelzen“
„Musik und Leidenschaft – was will man mehr? Fantastischer Young-Adult-Roman!“
„Es hat sehr viel Spaß gemacht, Almond auf ihrem Weg zu begleiten. Dank des flüssigen Schreibstils sind die Seiten nur so dahingeflogen!“

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Seitenzahl: 467

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Über dieses E-Book

Miami, London, München – Almond ist überall auf der Welt zuhause. Als Tochter eines Musikproduzenten war sie schon an vielen Orten, von denen andere nur träumen. Die Musik ist Almonds Leben und als sie Burnside Close, die neue Band ihres Vaters, kennenlernt, verliebt sie sich sofort in den Leadsänger Morris. Mehr denn je ist Almond daraufhin überzeugt, dass ihr Platz in der Musikwelt liegt. Ihre Mutter hingegen hat ganz andere Pläne und stellt sich ihr in den Weg. Und plötzlich weiß Almond selbst nicht mehr, was sie will. Wird Morris ihr auf der Suche nach dem richtigen Weg helfen können?

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe März 2020

Copyright © 2022 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-015-2 Taschenbuch-ISBN: 978-3-96817-081-7 Hörbuch-ISBN: 978-8-72644-247-2

Copyright © August 2015, Selfpublishing Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits August 2015 bei Selfpublishing erschienenen Titels Rockherz (ISBN: B014HDIQSI).

Covergestaltung: Saga | Lindhardt Ringhof A/S unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © -strizh-, © 99Art Korrektorat: Astrid Rahlfs

E-Book-Version 27.07.2022, 14:38:55.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Liebe on Stage

Für meinen Mann und die Band, der wir unseren Song verdanken ♥

Chapter 1

Do you see me fade away in the eye of the silent storm?

(Burnside Close, »Silent Storm«)

Unsere erste Begegnung wird für immer in mein Herz tätowiert sein. Es war an einem vierten Juli. Ich war gerade erst in Miami gelandet, wo mich mein Vater mit ziemlicher Verspätung vom Flughafen abholte. Er behauptete, die Maschine aus London wäre nie pünktlich, allerdings war das an diesem Tag nicht der Fall. Deshalb wartete ich.

Überall wimmelte es von Menschen und ich stand mir in der Ankunftshalle über eine Stunde die Beine in den Bauch. Doch dann erkannte ich meinen Vater mit einer Treffsicherheit, die man stets an den Tag legt, wenn man jemanden vermisst hat und es kaum erwarten kann, ihn wiederzusehen.

Ich fiel ihm um den Hals und bemerkte sofort den vertrauten Geruch von Zigaretten und schalem Bier. Nicht dass mein Vater ein ungepflegter Mann war, ganz und gar nicht. Er war perfekt. Zumindest für mich. In seinen Adern floss Rock ’n’ Roll und das liebte ich so an ihm. Seit ich denken konnte, war er Manager und Produzent von Rockbands. Er lebte die Musik. Dunkle Hallen und muffige Übungsräume brachten sein Blut in Wallung.

Er hielt mich eine Armlänge von sich entfernt, um mich zu mustern, und ich sah, dass seine Wangen ein wenig eingefallener und seine Augenringe ein wenig ausgeprägter waren als bei unserem letzten Treffen vor gut einem Jahr.

Er trug sein Haar in gewohnter Manier zu einem Pferdeschwanz gebunden und ich entdeckte, dass sich inzwischen graue Strähnen unter das glänzende Schwarz mischten. Der Ohrring mit der silbernen Adlerfeder baumelte wild an seinem linken Ohr, während er mich schüttelte und mir versicherte, dass ich noch hübscher geworden war.

Ich grinste verlegen, denn ich merkte, dass uns die Leute anstarrten. So war das immer. Das verblichene Metallica T-Shirt und die tätowierten Unterarme meines Vaters bildeten einen zu krassen Gegensatz zu meiner dunkelblauen Schuluniform. Unsicher strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und schulterte meinen Rucksack.

»Es ist so schön, dich zu sehen, Al!« Er drückte mir einen Kuss auf die Stirn.

Ich wand mich und genoss es dennoch. Nur Dad nannte mich Al. Mein voller Name war Almond Elizabeth, doch für meinen Vater war ich seit jeher Al. Wenn er meinen Spitznamen aussprach, klang es, als stünde ihm der dickbäuchige Inhaber eines Harley-Shops gegenüber. Mit Lederweste und ZZ-Top-Bart. Ebenso lässig und gefährlich fühlte ich mich dann.

»Lass uns gehen, Dad«, forderte ich ihn auf.

Er ließ mich los, schnappte sich meinen Koffer und ging voraus in Richtung Parkplatz. Wie gewöhnlich unterhielten wir uns während des Weges in einer Mischung aus Deutsch und Englisch. So seltsam dieses Gebrabbel in den Ohren anderer anmuten mochte, für uns war es ein Zeichen unserer bunten Herkunft.

Als sich die Schiebetüren des Flughafengebäudes öffneten, empfing mich Florida mit dem schwülen Wetter, das ich vermisst hatte. Ich konnte es kaum erwarten, meine Uniform abzulegen und die nächsten Wochen nur das anzuziehen, worauf ich Lust hatte. Den englischen Regen und mein Internatsleben hinter mir zu lassen, war, als falle eine tonnenschwere Last von meinen Schultern. Die Luft um mich herum war abgasgeschwängert und voll von Kerosindämpfen, aber ich hatte plötzlich das Gefühl, endlich befreit atmen zu können.

Erleichtert lächelte ich meinen Vater an. Wir hatten sechs Wochen. Mehr hatte mir meine Mutter nicht zugestanden, obwohl ich erst im September wieder zur Schule musste.

Ich sah Dad dabei zu, wie er meine Sachen in seinem schwarzen 67er Chevi Camaro SS verstaute, den er bereits seit Jahren fuhr und den er hütete wie seinen Augapfel. Wir stiegen ein und Dad ließ den Motor aufheulen, bevor er aus der Parklücke schoss. Ich wurde in den Sitz gedrückt und angelte nach dem Anschnallgurt. Dabei versuchte ich, so entspannt wie möglich zu wirken.

»Es ist schön, wieder bei dir zu sein«, bemühte ich mich um gespielte Fröhlichkeit. Meine Finger krallten sich in den Stoff meines Blazers. So ging es mir jedes Mal, wenn ich nach längerer Zeit zu Dad ins Auto stieg. Es lag nicht nur daran, dass ich in England Linksverkehr gewohnt war, sondern vor allem an Dads rasanter Fahrweise.

Ich sah ihn von der Seite an und fragte mich nicht zum ersten Mal, was meine Eltern einst dazu bewogen hatte, zu heiraten. Meiner Ansicht nach gab es kaum unterschiedlichere Menschen.

Meine Mutter war eine typische englische Lady. Sie entstammte einer angesehenen Familie, die neben einem Stadthaus in London auch ein ansehnliches Anwesen auf dem Land besaß. Eine Tatsache, auf die man sich in England etwas einbilden konnte, wie ich wusste.

Die Familie meines Vaters dagegen schien einem modernen Roman von Karl May entsprungen zu sein. Mein Großvater, Hokee Grey Wolf, war Navajo-Indianer gewesen und einer der berühmten Code Talker, die im Zweiten Weltkrieg einen bestimmten Code funkten und entschlüsselten, der von den Deutschen nicht dechiffriert werden konnte. Er hatte an der Invasion in der Normandie teilgenommen und später an der Besetzung Berlins. Dort hatte er meine Großmutter kennengelernt, die damals noch Schülerin gewesen war und gegen den Willen ihrer Familie provokante anti-deutsche Texte verfasst hatte. Sie war nur durch viel Glück und den Einfluss ihres Vaters nicht aufgeflogen und hatte sich angeblich sofort Hals über Kopf in meinen Großvater verliebt. Die beiden hatten geheiratet und waren in die USA gezogen, wo mein Vater als einziges Kind geboren wurde.

Nach dem Tod meines Großvaters Hokee war meine Granny, wie ich sie liebevoll nannte, zurück nach Deutschland gezogen. Sie ließ sich in München nieder und lebte seither in einer Altbauwohnung in Schwabing mit Blick auf den Englischen Garten, wo sie handschriftlich mit Tintenfass und Feder bis heute ihre Bücher schrieb.

Ich war mir nicht sicher, ob es an meinem Aussehen lag, dass ich mich der Familie meines Vaters verbundener fühlte als der meiner Mutter oder ob es schlicht die Ehrlichkeit war, die ich an Dad und Granny so sehr schätzte. Fest stand, dass ich äußerlich mehr Navajo als englische Lady war. Ich hatte mandelförmige braune Augen und glatte schwarzbraune Haare. Meine Haut war olivfarben und nicht vornehm blass, meine Statur drahtig und großgewachsen anstatt kurvig und dem englischen Gardemaß entsprechend. All das, so glaubte ich, waren Gründe, warum meine blonde und stets bis in die Fingerspitzen gepflegte Mutter mich auf ein Internat geschickt hatte, kaum dass sie und mein Vater sich getrennt hatten.

Manchmal beschlich mich das Gefühl, als wollte sie all das Schlechte, das Dad mir augenscheinlich vererbt hatte, aus mir vertreiben. Dabei waren die geheimen Partys des Lord Wandsworth Colleges legendär und beinhalteten mehr Alkohol und Zigaretten als ich bei Dad je im Umkleideraum seiner Rockbands vor einem Konzert gesehen hatte.

»Bist du bereit, meine Jungs kennenzulernen?«, fragte mein Vater in diesem Augenblick. »Diese Band hat Klasse! Sie wird die Charts stürmen, das garantiere ich dir. Ihr erstes Album wird ein Knaller.«

Ich sah den Schlagbaum auf uns zurasen, doch Dad bremste rechtzeitig. Ich atmete aus.

»Wie heißt die Band?«, versuchte ich, das Gurgeln des V8-Motors zu übertönen, als Dad das Fenster runterkurbelte, um den Parkschein in den Automaten zu schieben.

»Burnside Close.« Dad gab Gas, bevor sich die Schranke vollständig geöffnet hatte.

»Burnside Close«, wiederholte ich und sah mit Beruhigung, dass der abendliche Verkehr den Dolphin Expressway lahmgelegt hatte. Das zwang Dad dazu, langsam zu fahren.

Eine Schimpftirade, die meiner Mutter die Schamesröte ins Gesicht getrieben hätte, kam daraufhin aus seinem Mund. Er sah mich entschuldigend an.

»Sorry Al, ich muss mich erst daran gewöhnen, dass meine sechzehnjährige Tochter wieder bei mir ist.«

»Siebzehn, Dad! Ich hatte vor einem Monat Geburtstag.« Wie konnte er das vergessen haben?

Er lachte und mir wurde klar, dass er mich zum Narren halten wollte.

»In meinem Alter kann man froh sein, wenn man überhaupt ein Jahr älter wird«, sagte er und kniff mir in die Wange. Dann sah er mich neugierig an. »Was macht die Liebe?«

Ich schwieg. Das war ein schwieriges Thema.

»Ich bin nicht deine Mutter«, erinnerte er mich. »Wir haben keine Geheimnisse voreinander, habe ich recht?«

Er hatte recht, doch ich war es nicht gewohnt, über Schwärmereien mit jemand anderem als meinen Freundinnen zu sprechen. Schließlich gab ich nach: »Es gab da einen Jungen im letzten Schuljahr. Nigel.«

Dad lachte übertrieben. »Nigel! Was ist das für ein Name? Das klingt nach einem adligen Snob.«

Ich war sauer über seine Bemerkung und verschränkte die Arme vor der Brust.

»Hat euch deine Mutter bekannt gemacht?«, hakte Dad nach und man hörte deutlich seine Abscheu heraus. Er verachtete englische Hochnäsigkeit. Die betuchte Oberschicht hielt er ganz allgemein für snobistisch und weltfremd.

»Nein, das hat sie nicht. In ihren Augen bin ich noch nicht reif genug für einen Freund.«

»Das ist gut.« Er warf mir einen erleichterten Seitenblick zu.

Ich musste grinsen. »Keine Sorge Dad, Nigel ist einfach nur ein Junge aus dem College. Er ist okay.« Ich verstummte.

Es widerstrebte mir, Dad zu erzählen, dass wir in betrunkenem Zustand weitergegangen waren, als ich das eigentlich vorgehabt hatte und er später allen erzählt hatte, ich sei wie eine läufige Hündin auf ihn losgegangen. So gesehen war Nigel ein Volltrottel und weit davon entfernt, okay zu sein, aber das konnte ich Dad nicht beichten.

In den nächsten Wochen würde unser Verhältnis wieder vertrauter werden, doch momentan musste ich mein englisches Wesen erst ablegen, um mein wahres Ich neu zu entdecken. Und um meinen Vater wieder kennenzulernen. Es war nicht einfach, ein Scheidungskind zu sein und in zwei verschiedenen Kulturkreisen mit derart unterschiedlichen Elternteilen zu leben.

»Wohin fahren wir?«, wollte ich wissen und sah auf die Blechkolonne, die sich vor uns durch den Abendverkehr schob.

»Wir treffen die Jungs beim Videodreh. Später gehen wir dann auf die Party von meinem Kumpel Stuffy. Wir müssen den Unabhängigkeitstag schließlich ein wenig feiern, oder?«

»Dad!«, rief ich empört. »Vorher muss ich mich umziehen. So kann ich unmöglich länger herumlaufen!«

Dad sah mich an, als ob ihm erst jetzt auffallen würde, was ich anhatte.

»Warum hast du dich nicht umgezogen, bevor du in den Flieger gestiegen bist?«

Ich schüttelte den Kopf. Von meinem Internatsleben hatte mein Vater nicht den geringsten Schimmer!

»Weil ich nicht in Jeans und T-Shirt zu meiner Verabschiedungszeremonie gehen konnte und Mom mich anschließend sofort zum Flughafen gefahren hat.«

»Dann zieh dich jetzt um!«

»Was, hier? Mitten auf dem Highway?«

»Al, du wirst immer englischer! Ich habe getönte Scheiben, wer sieht dich denn außer mir?«

Mir verschlug es die Sprache. Hatte Dad recht? Wurde ich wirklich immer englischer?

Er machte eine Kopfbewegung in Richtung Kofferraum. »Hol dir deine Sachen, wir stehen sowieso im Stau.« Entspannt drehte er die Stereoanlage auf und der bekannte Hardrock Sound schoss aus den unzähligen Lautsprechern im Innenraum. Der Bass ließ meinen Sitz vibrieren.

»Dad!«, flehte ich. Er verstand mich manchmal nicht. Dabei lag es auf der Hand, dass man über mich lachen würde, wenn ich mitten auf dem Highway in Schuluniform aus einem dröhnenden Camaro stieg.

»Burnside Close«, übertönte Dad das Gitarrensolo und schlug den Rhythmus lässig auf dem Lenkrad mit. »Gefällt’s dir?«

Ich musste zugeben, dass ich das Lied auf Anhieb mochte. Es war metallisch, rockig, hart und doch melodisch. Nicht die Musik der Boybands, die sich meine Freundinnen anhörten, sondern guter, bodenständiger Rock mit einem Schuss Blues. Genau meine Art von Musik, auch wenn ich mich daheim in England nicht öffentlich dazu bekannte.

Dank Dad war ich mit dem Sound von Led Zeppelin, Metallica, Iron Maiden, Manowar, Guns N’ Roses und anderen legendären Bands aufgewachsen. Er war mir ins Blut übergegangen. Meine Mutter sagte immer, Dad hätte mich verdorben. Die Art, wie sie das sagte, zeugte davon, dass sie Hardrock nicht leiden konnte. Ich nahm es hin und vervollständigte heimlich meine beachtliche Albensammlung an Hardrock und Heavy Metal Bands. Für jede Stimmungslage hatte ich ein anderes Lied parat, das ich mir in einer enormen Lautstärke anhörte, wenn ich alleine war. Es war, als könnte ich über die Musik Kontakt mit meinem Vater halten.

»Erzähl mir mehr über die Band«, forderte ich ihn auf und vermied bewusst das Wort Jungs. Dad hatte bisher alle Bandmitglieder seine Jungs genannt, unabhängig von ihrem Alter.

Doch dieses Mal beharrte er auf der Bezeichnung und das zu Recht: »Die Jungs sind alle Anfang zwanzig und kommen aus Chicago, Pittsburgh und Miami. Matt Tormani ist der Gründer der Band. Du kennst ihn vielleicht noch? Er hat bei Battlefield Six gespielt. Hervorragende Band! Haben sich leider vor zwei Jahren getrennt. Gemeinsam mit Brad Mayfield und Sean Pitt hat er dann an neuen Liedern gearbeitet und sie haben Morris Kyle als Leadsänger gewonnen. Ein unglaublicher Junge! Gibt den Texten Tiefe und spielt Gitarre wie der Teufel persönlich. Ich liebe ihn!«

Ich lächelte über seine Begeisterung. Er sprach von seinen Bands stets mit der Leidenschaft, die man auch dieses Mal heraushörte. Er liebte nicht nur seine Jungs, sondern vor allem seinen Job. Ich fand, das war etwas ganz Besonderes.

Meine Mutter war Rechtsanwaltsgehilfin und sie hasste es. Nicht umsonst wurde der Zug um ihren Mund jedes Jahr verkniffener. Ich dagegen wünschte mir, eines Tages einen Job zu finden, der mich ebenso erfüllte wie Dad der seine.

»Ich kann mich an Matt erinnern. Wir waren auf einem Battlefield Six Konzert vor etwa drei Jahren. Mom ist ausgerastet, als sie davon hörte«, sagte ich.

Dad zwinkerte mir verschwörerisch zu und wir mussten lachen. Es tat gut.

»Matt wird sich freuen, dich zu sehen«, versicherte er, doch ich bezweifelte, dass Matt sich überhaupt an mich erinnern konnte.

Ich selbst wusste kaum noch etwas von dem Konzert. Mir war nur der Hausarrest im Gedächtnis geblieben, den ich bekam, als ich wieder zu Hause in England war. Meine Mutter hatte getobt und meinen Vater einen verantwortungslosen Nichtsnutz genannt, weil er mich zu einer verruchten Veranstaltung mitgenommen hatte, wie sie es nannte. Ich war durch das Haus gerannt, hatte geheult und die Türen geknallt. Tagelang sprach ich kein Wort mit ihr. Ich verstand nicht, warum ich bestraft wurde, obwohl ich ihr lediglich die Wahrheit gesagt hatte. Dieses Erlebnis ließ mich vorsichtiger werden. Inzwischen erzählte ich Mom kaum noch etwas über die Zeit, die ich mit meinem Vater verbrachte.

»Endlich!« Dad gab Gas und riss mich aus meinen Gedanken. Sportlich nahm er die Ausfahrt, ohne das Hupen um sich herum zu beachten. Einige Minuten später parkte er vor einem in die Jahre gekommenen Hafengebäude, sprang aus dem Auto und sperrte den Kofferraum auf.

»Zieh dich um, Al!« Er warf mir die Autoschlüssel zu. Ich fing sie auf und beobachtete, wie er fröhlich pfeifend im Gebäude verschwand.

Lächelnd öffnete ich meinen Koffer und durchwühlte den Inhalt. Schließlich zog ich eine alte Jeans, ein T-Shirt und ein Paar Flip-Flops heraus, schlug den Kofferraumdeckel zu und setzte mich wieder ins Auto. Doch schnell stellte ich fest, dass es mir dort unmöglich war, mich umzuziehen. Umständlich zwängte ich mich aus Blazer, Rock und Bluse, aber die enge Jeans wollte nicht über meinen Hintern. Ich fluchte so laut, dass Dad sicher stolz auf mich gewesen wäre. Dann gab ich auf und stieg aus dem Auto.

Einige Hafenarbeiter pfiffen, als sie mich sahen. Ich zeigte ihnen den Mittelfinger, was sie zu weiteren Rufen und stürmischem Applaus animierte. Genervt zog ich die Jeans hoch und spürte, dass mir der Schweiß aus allen Poren schoss. Was hätte ich für eine Dusche gegeben! Seit Stunden hatte ich kein Wasser mehr gesehen und in der schwülen Luft fühlte sich meine Haut klebrig an. In Gedanken beklagte ich mich bei Dad, der mich in seiner gewohnt chaotischen Art sofort hierhergebracht hatte, anstatt mir die Möglichkeit zu geben, mich frisch zu machen.

Ich schlüpfte in meine Flip-Flops, schlug die Autotür zu und sperrte ab. Vor mir lag das düstere, Graffiti verschmierte Gebäude, das einem Horrorfilm entsprungen zu sein schien. In Gedanken hörte ich meine Mutter schimpfen. Wie kannst du das Kind nur immer an solche Orte bringen, sagte sie vorwurfsvoll. Ich schüttelte den Kopf, um ihre Stimme zu verdrängen, und ging hinein. Es war nicht schwer, Dad zu finden. Man musste nur der Musik folgen.

Do you see me fade away in the eye of the silent storm?, hallte es durch die Flure des verlassenen Hauses.

Ich summte mit, um vor den leeren, dunklen Räumen, die ich passierte, nicht in Panik zu geraten. Es war dasselbe Lied, das Dad mir im Auto vorgespielt hatte. Es gefiel mir immer besser. Der Leadsänger, sein Name war mir entfallen, hatte wirklich eine beeindruckende Stimme! Langsam verstand ich Dads Begeisterung für Burnside Close.

Angezogen von der stetig lauter werdenden Musik bog ich schließlich um eine Ecke. Gerade rechtzeitig, um die letzten Gitarrenklänge und das verebbende Trommelinferno zu vernehmen. Ich sah mehrere Kameras und Stehlampen, die den Raum erhellten.

»Ich denke, wir haben’s im Kasten«, rief jemand.

Ich sah meinen Vater in die Hände klatschen und mein Blick wanderte weiter zu seinen Jungs, auf die ich neugierig geworden war. Aufgrund der tief stehenden Sonne, deren Strahlen durch ein Fenster hinter ihnen fielen, erkannte ich nur schemenhafte Gestalten.

Ich trat zu Dad. Er legte mir den Arm um die Schultern und ich sah erneut zu den Musikern hinüber, die gedämpft miteinander redeten und ihre Instrumente ablegten.

»Hey Chief, neue Freundin?«, fragte einer von ihnen und alle lachten.

Ich zog eine Grimasse und der Spaßvogel hob abwehrend die Hände. Ein breites Grinsen zog sich über sein Gesicht.

»Halt die Klappe, Matt!«, schoss mein Vater zurück.

Dann schob er mich nach vorne, drückte aufmunternd meine Schultern und sagte mit väterlichem Stolz: »Jungs, das ist meine Tochter Almond. Sie wird in den nächsten sechs Wochen immer an meiner Seite sein. Und damit auch an eurer. Gewöhnt euch daran.«

Der gut gelaunte Gitarrist trat heran und gab mir entspannt die Hand. »Hi, Almond! Schöner Name, schöne Tochter. Ich bin Matt.«

Er bekam Grübchen, wenn er lachte. Ich fand das sympathisch und merkte, dass meine vermeintliche Coolness bröckelte. Vorsichtig schenkte ich ihm ein Lächeln. Seine kurzen dunklen Haare standen wild von seinem Kopf ab und ein Schlangen-Tattoo wand sich an seiner rechten Halsseite in Richtung Nacken. Er hatte sanfte braune Augen, die mich interessiert musterten.

»Wir kennen uns«, stellte er fest.

»Ja, wir haben uns auf einem Battlefield Six Konzert gesehen. Vor drei Jahren«, erwiderte ich so gelassen wie möglich und hoffte, nicht rot zu werden. Es schmeichelte mir, dass er sich an mich erinnerte.

In diesem Moment drängte ein weiteres Bandmitglied heran, das ich glaubte an der Bassgitarre gesehen zu haben. Es war ein durchtrainierter Kerl, der sich seine verschwitzten braunen Haare aus dem Gesicht strich.

»Brad Mayfield.« Er nickte mir zu und grinste meinen Vater an. »Danke für unser erstes Groupie, Chief!«

Dad holte zu einer Ohrfeige aus und Brad ging in Deckung.

»Sean Pitt. Ich bin der Drummer.« Sean trug trotz der Wärme eine Strickmütze auf seinen halblangen rotblonden Locken und sah mich misstrauisch an. »Wir sind mitten in der Arbeit für unser erstes Album, Chief«, bemerkte er mit vorwurfsvollem Unterton und es war offensichtlich, dass er mich für eine unwillkommene Ablenkung hielt.

Ich warf Dad einen verunsicherten Blick zu, doch er brummte nur beruhigend und schlug Sean freundschaftlich auf die Schulter. Selbst als dieser seine Drumsticks in die Ecke feuerte, blieb Dad gelassen und sagte an mich gewandt: »Darf ich dir Morris Kyle vorstellen? Er ist die Stimme von Burnside Close.«

Ich wandte mich um und da stand Morris. Er erwischte mich eiskalt.

»Hi«, begrüßte er mich und streckte mir die Hand hin.

Ich ergriff sie und die kurze Berührung brachte mir eine Gänsehaut ein. Er war einen Kopf größer als ich. Sein Kinn war markant, seine Augen dunkel wie die eines Schwarzbären. Bunte Tattoos zogen sich über seine sehnigen Arme und seine Handgelenke zierten schwere Lederarmbänder. Als ich nichts erwiderte, strich er sich seine schulterlangen dunkelblonden Haare hinter die Ohren, bevor er die Hände in den Hosentaschen vergrub.

»Hi«, krächzte ich und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Alles flatterte. Mein Magen, meine Augenlider. Ich bekam kein Wort mehr heraus.

»Al spricht britisches Englisch, aber sie versteht uns«, scherzte Dad und ich hörte Gelächter, während ich Morris anstarrte. Dieser senkte kurz den Kopf, hob ihn dann wieder und lächelte mich an. Das Blut rauschte in meinen Ohren.

Ich hatte Erfahrungen mit Jungs. Wer hatte das nicht mit siebzehn? Als Junior auf dem College schmachtete man die Seniors an und als Senior die Studenten. Man verliebte sich, man entliebte sich, man litt und heulte und am Ende begann man wieder von vorne. Doch nichts, absolut nichts, hatte mich darauf vorbereitet, wie es war, wenn man vom Blitz getroffen wurde. Morris war der Blitz. Und ich der wehrlose Baum. Ich sah ihn an und fragte mich, ob er spürte, dass ich gerade in Flammen aufging. Meine Gesichtsfarbe gab bestimmt Aufschluss darüber.

»Räumt auf, Jungs! Wir haben uns einen schönen Abend verdient. Es ist der vierte Juli, lasst uns den amerikanischen Unabhängigkeitstag feiern!« Dad tätschelte mir den Rücken und beugte sich vor, um nach seiner Lederjacke zu greifen. »Komm, Al!«

Ich versuchte, nicht zu schwanken. Morris sah mir nach und auch ich ließ ihn nicht aus den Augen. Erst als wir an der Tür ankamen, drehte er sich um und schlenderte zurück zu den Instrumenten. Wie in Trance folgte ich meinem Vater durch die verworrenen Gänge in Richtung Ausgang. Das Gebäude machte mir auf einmal keine Angst mehr.

»Tolle Jungs, was?« Dad trat hinter mir ins Freie. Mein Herz klopfte. Sechs Wochen waren eine lange Zeit. Sie musste ausreichen, um Morris kennenzulernen. Ich lehnte meinen Kopf an Dads Schulter und seufzte.

»Müde, Al?« Er sah mich an und ich konnte mir ein Gähnen nicht verkneifen. »Möchtest du, dass wir nach Hause fahren?«

Ich verneinte, obwohl ich mich tatsächlich erschöpft fühlte. Meine Zimmergenossinnen und ich hatten die halbe Nacht geredet, heimlich geraucht und einige Alcopops gezwitschert. Wir sahen uns zwei Monate nicht, was eine ausgiebige Verabschiedung erforderlich gemacht hatte. Diese Feier, der lange Flug und die Zeitverschiebung hätten mich Dads Vorschlag normalerweise dankbar annehmen lassen. Aber die Umstände hatten sich geändert.

»Mir geht’s prima«, versicherte ich und rutschte neben ihn auf den Beifahrersitz.

»Das freut mich.« Dad startete den Motor und fuhr rückwärts aus der Parklücke.

Durch das abgedunkelte Fenster sah ich, dass Morris mit den anderen aus dem Gebäude trat und zu uns hinübersah. Mein Herz schlug noch einige Takte schneller. Am liebsten hätte ich Dad mit Fragen über den Leadsänger seiner Band gelöchert, doch ich schwieg. Ich wollte meine Begeisterung nicht zu offensichtlich kundtun. Mein Vater besaß ohnehin einen siebten Sinn für meine Stimmungen. Es war besser, ihm keine zusätzliche Fährte zu legen.

Als wir eine Dreiviertelstunde später bei Dads Kumpel Stuffy ankamen, verschlug es mir die Sprache. Die Party fand in einem lang gestreckten Gebäude statt, das wie eine Lagerhalle anmutete. Bereits vor dem Eingang hörte man das Wummern der Bässe und das Kreischen der E-Gitarren. Eine Frau in einem tief ausgeschnittenen Kleid öffnete uns die Tür, küsste Dad auf die Wangen und musterte mich ungeniert. Sie wies uns den Weg und wir stiegen eine eiserne Treppe in die erste Etage hinauf. Je weiter wir nach oben kamen, desto ohrenbetäubender wurde die Musik. Am Treppenende blieb ich wie angewurzelt stehen.

Hier bist du fehl am Platz, junge Lady, hörte ich die Stimme meiner Mutter und bemühte mich, den Mund zu schließen. Ich kam mir vor, als wäre ich in einem Musikvideo gelandet. Ungläubig sah ich mich um.

Die Mitte des weitläufigen Raumes wurde von einem elektrischen Bullen eingenommen, auf dem zwei Bikini-Schönheiten saßen, die sich dem Rhythmus des wilden Ritts hingaben. Eingerahmt wurde das Gerät von weißen Ledersofas, auf denen sich die Gäste räkelten. Ich glaubte, das eine oder andere prominente Gesicht unter ihnen zu erkennen, kam aber nicht dazu, mich darauf zu konzentrieren, weil es so viel mehr zu entdecken gab. An den Wänden hingen Bildschirme, die das passende Video zu den Songs abspielten, und als Raumteiler fungierten zu Pyramiden aufgestapelte Champagnerflaschen. Ich blinzelte in die Laserstrahlen, die durch den Raum flogen und wirre Muster an die Decke zauberten. Überall standen Leute beieinander, lachten und redeten und bemühten sich, den Lärmpegel der Musik zu übertönen. Halb nackte Frauen knutschten mit Typen in Lederjacken und Bikerstiefeln. An einem durchsichtigen Schlagzeugturm in der Ecke tobte sich ein langhaariger Drummer aus und Models mit perfekten Gesichtern und Figuren tranken Cocktails in grellen Farben.

»Ich gehe einige Freunde begrüßen. Bin gleich wieder da«, hörte ich Dad sagen, bevor er verschwand.

Nervös sah ich ihm hinterher. Wie konnte er mich einfach alleine lassen? Ich bahnte mir einen Weg durch die Gäste und stieß dabei gegen halb leere Whiskey- und Rumflaschen, die achtlos auf dem Boden lagen. Ich bemerkte eine Gruppe Feiernder, die sich an den mannshohen Kerzenleuchtern ihre Joints entzündeten und im Vorübergehen erkannte ich Reste eines weißen Pulvers auf einem der verspiegelten Stehtische. Ich schluckte und flüchtete mich in eine einsame Ecke. Es war zu viel. Wie jeder Teenager feierte ich gerne. Ich ließ es krachen, um meine Mutter zu provozieren und gegen die Enge meines Lebens in England anzukämpfen. Ich wollte cool sein, meinen Freunden in nichts nachstehen, doch das hier war eine andere Welt. Es war Dads Welt. Und diesen Teil davon kannte ich nicht.

Eine Zeit lang beobachtete ich das Treiben, hoffte, dass Dad zu mir zurückkam und fühlte mich immer unwohler. Ich sah an mir herunter, betrachtete meine Jeans und das alte T-Shirt und befand, dass ich völlig fehl am Platz wirkte. Ich war nicht Miami und ich war nicht London. Wer war ich eigentlich?

»Hi!« Plötzlich stand Morris neben mir. Er musste mich anbrüllen, damit ich ihn überhaupt bemerkte.

»Was für eine Party!« Er ließ den Blick schweifen. »Ich glaube, ich habe Duff McKagan gesehen. Unglaublich!«

Ich war so froh, ein bekanntes Gesicht auszumachen, dass ich übertrieben lachte und mit den Armen herumfuchtelte, weil ich nicht wusste, was ich sonst mit ihnen anstellen sollte.

Morris runzelte die Stirn. »Alles in Ordnung?«

»Na klar!« Ich verschränkte die Hände hinter dem Rücken und spürte, wie sich mein Gesicht verspannte. Hektisch blinzelnd rang ich nach weiteren Worten. Bestimmt sah man mir an, dass ich niemals zuvor auf einer Party wie dieser gewesen war.

»Wo ist der Chief?«

Ich zuckte mit den Schultern.

»Komm mit, wir gehen irgendwohin, wo es ruhiger ist. Du siehst ein wenig verstört aus.« Er nahm wie selbstverständlich meine Hand und zog mich mit sich. Ich folgte ihm. Es war mir egal, wohin er mich brachte, Hauptsache, ich entkam dieser Party-Überdosis.

Geschickt manövrierte er uns durch die Menschenmenge, schlug Brad auf den Rücken, der mit einer Blondine knutschte, und deutete schließlich auf eine Wendeltreppe, die nach oben führte. Ich ging voran und gelangte ins Freie. Eine riesige Dachterrasse tat sich vor uns auf, die mit weißen Sitzsäcken und bunten Partylichtern geschmückt war. Nur wenige Gäste hatten bisher den Weg hinauf gefunden und ich war dankbar, das Getümmel hinter mir zu lassen.

»Besser?« Morris sah mich an, als wir uns gegen das Geländer lehnten.

»Ja, danke. Viel besser.«

»Ob du’s glaubst oder nicht, aber auf so einer Party war ich auch noch nie.«

»Ehrlich?«

Mein offenkundiges Erstaunen brachte ihn zum Lachen. »Im Ernst! Der Chief hält uns an der kurzen Leine.«

Ich atmete tief durch und wusste nicht, was ich von diesem Teil von Dads Leben halten sollte.

»Er ist nicht so«, sagte Morris.

»Was meinst du?«

»Dein Dad. Er ist nicht so ein Typ.«

»Was für ein Typ ist er denn deiner Meinung nach?«

»Er ist auf seine Art verantwortungsbewusst. Er ist immer ehrlich zu uns, passt auf uns auf und setzt sich für uns ein. Ich glaube, er knüpft hier nur Kontakte, das ist alles. Du solltest nicht schlecht über ihn denken.«

Ich wollte protestieren, aber dann wurde mir bewusst, dass Morris mich bereits durchschaut hatte. Das war ein verwirrender Gedanke. Ich sah zu Boden.

»Du kannst stolz darauf sein, einen Dad wie ihn zu haben«, hörte ich seine Stimme.

Ich nickte und wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Was war nur los mit mir? Normalerweise war ich nicht gerade auf den Mund gefallen.

In diesem Moment erschienen die anderen Bandmitglieder, allen voran Matt.

»Hey, ya«, rief er und drückte Morris und mir jeweils eine Dose Bier in die Hand. »Wartet ihr auf das Feuerwerk?«

»Ja«, antworteten Morris und ich wie aus einem Mund.

Ich lief rot an und war froh, dass Brad lachend herandrängte. An seinem Arm hing die Blondine von vorhin. Sie war aufgedreht und sprang so heftig auf und ab, dass ihre üppige Oberweite beinahe ihr silbernes Paillettentop zu sprengen drohte.

»Hi, ich bin Stacy«, quietschte sie und gab Brad einen intensiven Zungenkuss.

Ich hielt mir spontan eine Hand vor den Mund, um nicht laut loszuprusten, und fing dabei Matts amüsierten Blick auf. Neben ihm kippte Sean mit ausdruckslosem Gesicht sein Getränk hinunter.

»Cheers!« Morris stieß mit mir an.

Ich war froh über die Ablenkung und nahm einen großen Schluck. Die ganze Situation kam mir unwirklich vor. Heute Morgen war ich noch in England gewesen, hatte mein Abschlusszeugnis entgegengenommen und Tee geschlürft und nun stand ich auf einer wahnsinnigen Party und trank Bier mit den Mitgliedern einer Rockband.

»Du weißt, wie man feiert, was?« Matt stieß mich belustigt in die Seite. Ich fühlte mich ertappt und setzte rasch die Dose ab. Er schmunzelte über meine Reaktion.

»Darf ich fragen, woher du deinen Namen hast? Almond ist nicht gerade alltäglich.«

»Meine Eltern hatten diese großartige Idee«, erwiderte ich. »Vielleicht waren sie betrunken, als er ihnen einfiel.«

Morris’ Arm berührte aus Versehen den meinen und ich war bemüht, ihn nicht anzustarren.

»Mir gefällt der Name«, sagte Matt und betrachtete mich interessiert. »Seit wann sind deine Eltern denn geschieden?«

»Seit zehn Jahren.«

»Das tut mir leid.«

»Sie sind sehr verschieden«, erklärte ich und bemühte mich um einen neutralen Gesichtsausdruck.

Matt nickte. Dann begrüßte er einige Leute, die an ihm vorbeigingen.

»Wenn sie sich auf einen so außergewöhnlichen Namen einigen konnten, scheinen sie nicht so verschieden zu sein«, bemerkte Morris neben mir.

Unsere Blicke begegneten sich erneut und ich staunte. Dieser Gedanke war mir noch nie gekommen. Es war seltsam, wie feinfühlig Morris war. Wir kannten uns schließlich kaum.

»Cheers!« Ich hob ein weiteres Mal meine Dose, um mit den anderen anzustoßen. Morris’ Nähe und meine intensiven Gefühle für ihn brachten mich ganz durcheinander.

Matt lachte. »Ganz der Vater! Das werden ja aufregende sechs Wochen.«

»Das will ich hoffen.« Dad tauchte auf einmal hinter Matt auf und nahm ihn in den Schwitzkasten. Sie rangelten miteinander, dann ließ Dad ihn los und wandte sich mir zu.

»Amüsierst du dich?«, fragte er mit besorgtem Unterton.

Ich grinste, ging zu meinem Vater und hielt ihm mein Bier unter die Nase. »Ich weiß wie man feiert, Dad«, lallte ich gespielt und quietschte, als er mich ebenso packte wie zuvor Matt.

Ich deutete eine Reihe Boxschläge gegen ihn an und er drückte mir einen Kuss auf die Stirn. Dabei roch ich, dass er keinen Alkohol getrunken hatte. Ich war erleichtert. Vielleicht hatte Morris doch recht gehabt. Vorsichtig sah ich zu ihm hinüber. Es war, als hätte er nur darauf gewartet und zwinkerte mir zu. Mein Herz tat einen Sprung.

Es fiel mir schwer, mich auf die nachfolgenden Gespräche zu konzentrieren. Dad berichtete von seinen neuen Kontakten und die Jungs lauschten gespannt. Dann ging es um belanglosere Dinge und wir lachten und scherzten, bis um Mitternacht das Feuerwerk losging und sich die Dachterrasse bis zum Bersten mit Gästen füllte. Als die ersten Raketen emporstiegen, legte Dad beschützend seinen Arm um mich und ich kuschelte mich zufrieden an ihn. Der Nachthimmel erstrahlte in einem Meer aus rot-weiß-blauen Sternschnuppen und ich johlte mit den anderen. Bis mein Blick zu Morris wanderte. Er sah nicht nach oben, sondern er sah mich an. Das Feuerwerk spiegelte sich in seinen Augen und mein Herz schien plötzlich mitsamt den Raketen am Himmel zu explodieren.

Da wusste ich es. Ich hatte mich verliebt! Unverhofft, mit aller Macht und mit allen Konsequenzen.

Chapter 2

The wings of loneliness carry me away from you

(Burnside Close, »Wings Of Loneliness«)

Die Leute jubelten und ich fiel in ihre Anfeuerungsrufe mit ein. Der Club in Orlando war bis auf den letzten Platz besetzt. Kurz vor dem Auftritt hatte ich noch mit den Jungs im Hinterhof eine Zigarette geraucht und nun befand ich mich inmitten der tobenden Menge, um die Live-Premiere ihres ersten Albums mitzuerleben. Obwohl sie erst am Anfang ihrer Karriere standen, hatten Burnside Close bereits eine kleine Fangemeinde, die es kaum erwarten konnte, die neuen Songs zu hören.

Ich ließ mich von der ausgelassenen Stimmung anstecken und klatschte, um die Jungs auf die Bühne zu locken. Es war aufregend, sie endlich einmal vor Publikum und nicht im Übungsraum zu erleben.

Die Fertigstellung des Albums war harte Arbeit gewesen und ich hatte gestaunt, wie viele Nächte sich die Band um die Ohren geschlagen hatte, um die Songs einzusingen, die Instrumente einzuspielen und alles optimal aufeinander abzustimmen.

Ich hatte Dad schon mit einigen Bands erlebt, aber diese absolute Hingabe sah ich bei ihm zum ersten Mal. Des Öfteren erwachte ich zwischen Lederjacken und schmutzigen Kaffeebechern, nur um festzustellen, dass wir wieder einmal nicht nach Hause fahren würden, um zu schlafen. Freilich erzählte ich meiner Mutter nie etwas davon, wenn wir miteinander telefonierten. Ich wollte Dad schützen, denn ich bewunderte ihn und jedes einzelne Bandmitglied für die Ausdauer und pure Leidenschaft für die Musik. Die Sonne Floridas bekam ich nur selten zu Gesicht, verbrachte ich doch die meiste Zeit im Studio. Es war sicher nicht der Urlaub, den ich mir vorgestellt hatte, aber ich vermisste nichts. Dads Arbeit zog mich bald vollständig in ihren Bann.

Als Burnside Close endlich auf die Bühne kam, verstummten die Fans und ich hielt den Atem an. Die ersten Takte von Silent Storm erklangen und frenetischer Jubel setzte ein. Ich jauchzte und konnte meinen Blick nicht von Morris abwenden. Es erfüllte mich mit Stolz, dass ich ihn besser kannte als die meisten um mich herum. Auch wenn in den letzten fünf Wochen zu meinem großen Bedauern nichts zwischen uns geschehen war. Das enorme Arbeitspensum ließ keinen Raum für Freizeitaktivitäten. Obwohl ich darüber zunächst betrübt war, entdeckte ich rasch, dass es Spaß machte, mit den Jungs abzuhängen. Es war lehrreich, sie über Musik reden zu hören. Anfangs verstand ich nicht viel, aber ich hörte zu, lernte und wurde mit der Zeit Teil ihrer verschworenen Gemeinschaft. Selbst Sean legte sein Misstrauen mir gegenüber ab und oft saßen wir morgens um vier mit Augenrändern so dick wie Stahlseile um einen Tisch herum, auf dem sich der Müll des Tages häufte, aßen Reste kalter Pizza und führten die Art von Gesprächen über das Leben, die man nur im übermüdeten Zustand kurz vor Sonnenaufgang führen konnte. Nie hatte ich mich lebendiger gefühlt.

Und doch lastete der Abschied auf mir und wurde jeden Tag schwerer. Mir blieb nur noch eine Woche. Eine Woche mit Dad. Eine Woche mit Burnside Close. Eine Woche mit Morris. Ich hatte meine Mutter bereits um Verlängerung gebeten, aber sie hatte abgelehnt. Sie bestand darauf, mit mir nach Cornwall zu Verwandten zu fahren.

Mir graute davor, meine alte Welt wieder zu betreten. Sie war bedeutungslos im Vergleich zu dem, was ich in Florida erlebt hatte. Mein Innerstes rebellierte gegen meine Heimkehr. Die Vorstellung, mein gewohntes Leben weiterzuführen, ließ Übelkeit in mir aufsteigen. Alles, was ich wollte, war hier. Dad war hier. Und natürlich Morris, der mir so wichtig geworden war, dass es schmerzte, wenn ich daran dachte, ihn verlassen zu müssen.

Ich bewunderte Morris. Er lebte, was er sich erträumte. Er sang mit einer Intensität, die mir Gänsehaut bereitete und schrieb gemeinsam mit Matt Songs, die ich einfach wundervoll fand. Er besaß eine einzigartige Begabung und ich wusste, dass die Band am Anfang von etwas ganz Großem stand. Doch ich würde nicht dabei sein können, ihre Entwicklung verpassen. Ich musste studieren und mich den Regeln meiner Mutter unterwerfen. Für mich fühlte es sich an, als stutze man mir die Flügel, die mir gerade erst gewachsen waren.

Ich sah Dad an und rief spontan: »Lass mich hierbleiben, Dad, bitte!«

Er blinzelte verdutzt. »Deine Mutter hat das Sorgerecht.« Hilflos strich er mir über die Wange. »Wir sehen uns doch bald wieder. Weihnachten besuchst du Granny und mich in München.«

Ich nickte und bekam ein schlechtes Gewissen. Es war Morris, den ich nicht verlassen wollte, aber das konnte ich meinem Vater nicht anvertrauen. Meine nächsten Ferien standen erst im Herbst an. Das erschien mir wie eine Ewigkeit. Bis dahin würde Burnside Close viele Konzerte geben und Morris unzählige weibliche Fans kennenlernen. Der Gedanke schmerzte. Wehmütig verfolgte ich jede seiner Bewegungen auf der Bühne.

Wir hatten viel geredet und ich spürte, dass er mich mochte, obwohl er keinerlei Annäherungsversuche gemacht hatte. Mir lief die Zeit davon. Ich wollte nicht nach Hause fahren, ohne ihn wenigstens einmal geküsst zu haben. Wie konnte es sein, dass wir fünf Wochen hatten verstreichen lassen?

»Wow!« Dad riss die Arme hoch und bejubelte Matts Gitarrensolo. Die Jungs machten sich gut. Bereits nach dem ersten Lied hatten sie den Club im Griff.

Ich bemühte mich, der Musik mehr Aufmerksamkeit zu schenken und verlor mich schließlich in ihr. Gemeinsam mit Dad sang ich jeden Song mit und genoss die Begeisterung, die die Fans Burnside Close entgegenbrachten.

Gegen Ende des Konzerts schnappte sich Morris einen Stuhl und performte die wundervolle Ballade Wings of Loneliness. Dabei saß er allein auf der Bühne und begleitete sich selbst mit seiner Gitarre. Ich schmolz dahin. Er war erstaunlich gut, die Fans wirkten beinahe verzaubert. Beim Refrain hob Morris den Kopf und sah genau in meine Richtung. Mir wurde heiß und kalt.

The wings of loneliness carry me away from you, sang er und mir wurde plötzlich bewusst, wie viel Bedeutung in den Zeilen dieses Songs lag.

»Sie haben’s gerockt!« Am Ende des Liedes sah ich meinen Vater beide Daumen in die Höhe strecken und fragte mich, ob Morris mich wirklich angesehen hatte. Oder ob er im Scheinwerferlicht überhaupt einzelne Personen im Publikum ausmachen konnte.

Ohne dass ich es wollte, schossen mir Tränen in die Augen. Sich zu verlieben war etwas Wunderbares, aber die Zweifel und das Warten darauf, dass diese Gefühle erwidert wurden, brachten mich völlig aus dem Konzept. Jagte ich womöglich einem Hirngespinst hinter? Der Gedanke verunsicherte mich.

Die Menge jubelte und ich war froh, dass niemand meinen ungewollten Gefühlsausbruch bemerkte. Rasch blinzelte ich die Tränen fort.

Nach der dritten Zugabe drängten Dad und ich hinaus und verschwanden über einen Seiteneingang hinter der Bühne, wo wir Burnside Close in die Arme fielen. Matt tanzte ausgelassen mit mir und Dad reichte eine Flasche Whiskey reihum. Mein Magen brannte von dem harten Getränk, aber es beruhigte meine Nerven. Als ich dabei war, einen zweiten Schluck zu nehmen, schlug Dad mir jedoch auf den Hinterkopf.

»Genug«, brummte er.

Ich wollte protestieren, doch in diesem Moment vollführte Brad einen waghalsigen Sprung von einem der Sofas auf den Rücken meines Vaters und beide gingen zu Boden. Alle lachten und redeten durcheinander. Den Jungs war die Euphorie über ihren gelungenen Auftritt anzumerken. Sie standen völlig unter Strom.

»Chief!« Matt nahm mich in den Schwitzkasten und ich knurrte. »Lass uns mit dieser kleinen Raubkatze ein wenig um die Häuser ziehen.«

Dad schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Zeit. Ich treffe mich mit einem Vertreter der WWE, den ich auf Stuffys Party kennengelernt habe. Vielleicht kann ich einen Song bei den Kämpfen unterbringen.«

»Was ist WWE?«, fragte ich und blies mir die Haare aus dem Gesicht.

»World Wrestling Entertainment. Viele bekannte Wrestler suchen sich für die Saison Eröffnungshymnen aus. Keine schlechte Werbung, bei den Zuschauerzahlen.« Morris stellte sich neben uns.

Matt ließ mich los. »Nur ein paar Stunden«, bettelte er.

»Ohne mich geht Al nirgends hin.«

»Komm schon, Dad!« Ich ließ nicht locker und klimperte mit den Wimpern. Die Jungs grinsten. Selbst Dad konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen.

»Du bist nicht einundzwanzig und darfst deshalb in den USA weder Alkohol trinken noch in eine Bar gehen«, erklärte er in pflichtbewusstem Tonfall, der nicht zu ihm passen wollte.

»Wir kennen den Barkeeper. Er war mal Polizist. Ich meine, damit stehen wir ja quasi unter Beaufsichtigung«, warf Sean ein und das Grinsen der anderen wurde stetig breiter. Ich setzte nun meinen Dackelblick ein, mit dem ich normalerweise immer Erfolg hatte.

Dad kapitulierte. »In Ordnung, Al, geh mit diesen gottlosen Jungs zum Feiern. Aber …«, seine herrische Handbewegung stoppte den aufkeimenden Jubel, »… wenn ihr sie mir betrunken nach Hause bringt oder ich sie vom Polizeirevier abholen muss, dann war ich die längste Zeit euer Manager und ihr könnt euch schon mal einen schweren Stein aussuchen, mit dem ich euch in den Everglades versenken werde!«

Sein Blick heftete sich auf jeden einzelnen von uns. Alle versuchten, ernst dreinzublicken, aber mein Grinsen kehrte als erstes zurück.

»Ich bin deine Tochter, Dad. Ich würde doch nie etwas trinken.«

Totenstille legte sich über den Raum, bevor Dad losprustete und uns hinausscheuchte. Gerade als die Tür hinter uns ins Schloss fiel, hörte ich noch die leere Whiskeyflasche an der Wand neben uns abprallen. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen.

Es war ein milder Abend und wir sprangen ausgelassen über die Straße. Vor Brads altem GMC Van wartete bereits Stacy mit einigen Freundinnen und diversen Kumpels, die lässig begrüßt wurden. Wir zwängten uns alle in den Transporter und ich landete auf Matts Schoß. Er legte sein Kinn wie selbstverständlich auf meine Schulter und philosophierte mit den anderen über den Gig. Sie analysierten verschiedene Passagen, überlegten, ob sie diese in Zukunft schneller oder gemäßigter spielen sollten, lästerten über einen verpatzten Einsatz von Morris und ärgerten Sean wegen seines verkniffenen Gesichtsausdrucks, den er bei einem Trommelsolo gezeigt hatte.

Ich suchte Morris’ Blick und fand ihn prompt. Zwei von Stacys Freundinnen bemühten sich um seine Aufmerksamkeit, doch er ignorierte sie und lächelte mir zu. Ich erwiderte sein Lächeln und wünschte mir, mit ihm alleine zu sein.

Die Bar, in der wir bald darauf landeten, war bis zum Bersten gefüllt. Fans und Freunde applaudierten, als wir eintraten und sofort wurden Getränke über die Köpfe der Anwesenden gereicht. Abgedrängt fand ich mich nach einer Weile zwischen lauter Fremden wieder, die sich bemühten, mit Burnside Close ins Gespräch zu kommen. Ich betrachtete das Geschehen aus der Ferne, fühlte mich ausgeschlossen und bereute rasch, mitgekommen zu sein. Ein Typ mit Glatze drückte mir irgendwann ein leeres Glas in die Hand, weil er dachte, ich sei die Bedienung. Da hatte ich genug. Ich beschloss, ein Taxi zu nehmen und zu Dad ins Hotel zu fahren. Doch kaum drehte ich mich um, stand ich Matt gegenüber.

»Al!« Er schüttelte lachend den Kopf. »Bitte sag mir, dass du dieses Zeug nicht getrunken hast.«

Ich schnupperte an dem Glas und verzog angewidert das Gesicht. »Nein, keine Sorge. So verzweifelt bin ich noch nicht.«

»Brav!« Matt nahm es mir ab, legte mir den Arm um die Schultern und dirigierte mich durch den überfüllten Raum.

»Hey, da ist ja unser Glücksbringer.« Sean hob einen gut gefüllten Becher in die Höhe und wollte mit mir anstoßen, aber Matt zog mahnend eine seiner gepiercten Augenbrauen nach oben.

»Na klar ist das Alkohol, Mann!«, rief Sean empört. »Keine anständige Rockband hat ihre Konzerte je mit Wasser gefeiert.«

»Hier.« Matt reichte mir sein Bier und schirmte mich vor den Blicken der Umstehenden ab. Ich grinste und stieß mit Sean an. Kaum hatte ich getrunken, drängte Brad heran.

»Babe, du bist die Beste!« Er küsste mich mitten auf den Mund und ich ließ vor Schreck beinahe Matts Bier fallen.

»Party!« Stacys schrille Stimme an seiner Seite war unüberhörbar. Lasziv sprang sie um uns herum und ermunterte uns, mitzutanzen.

Der Trubel nahm zu, die Musik wurde lauter, die Stimmung heißer. Bald wusste ich nicht mehr, mit wem ich redete oder wessen Bier ich gerade trank. Ich war die Band. Ich war ihr Glücksbringer. Ich fühlte mich großartig. Die Zeit verschwamm zwischen all den Menschen und ich tanzte, als gäbe es kein Morgen.

Irgendwann wirbelte ich herum und stand vor Morris. Seine Augen waren glasig und ich hielt mich instinktiv an ihm fest, um nicht umzufallen. Vorsichtig zog er mich zu sich heran. Ich spürte die Hitze seines Körpers. Er senkte den Kopf und ich dachte, er wollte mich küssen, doch er drückte nur seine Wange gegen die meine, während er mir ins Ohr flüsterte: »Dein Dad hat mir angedroht, mich zu Hackfleisch zu verarbeiten und meine Seele zu verfluchen, wenn ich dich anfasse, aber ich fürchte, ich kann mein Versprechen nicht halten.«

Ich stellte mir nicht die Frage, warum Dad das getan hatte, sondern hielt den Atem an. Morris war da. Er war bei mir. Fünf Wochen hatte ich mich danach gesehnt und nun glaubte ich, meine Knie würden unter mir nachgeben. Seine Hand wanderte über meinen Rücken und er zog mich noch enger zu sich heran. Träge bewegten wir uns im Takt der Musik. Mein Magen kribbelte. Ich spürte die Muskeln seiner Oberarme und roch die Zigaretten, die er heute bereits geraucht hatte. Er war all das, was meine Mutter verabscheute, doch ich war verrückt nach ihm.

Sein Körper drängte gegen den meinen und ich genoss es, dass er mich in die Richtung dirigierte, in die er mich haben wollte. Raus aus dem Trubel, an den Rand der Tanzfläche, an den Tischen vorbei und in eine Nische der Bar, wo kaum Licht hinfiel. Der Lärm um uns herum verschwand und für einen Moment spürte ich die kalte Wand in meinem Rücken, bevor ich nur noch ihn spürte. Er lehnte sich gegen mich und griff meinen Kopf mit beiden Händen. Dann küsste er mich. Endlich.

Er schmeckte nach Bier und Nikotin, nach harter Musik und salzigem Schweiß. Er schmeckte nach Rock’ n’ Roll. Seine Zunge liebkoste mich und mein Körper stand in Flammen. Kein Junge, den ich je zuvor geküsst hatte, hatte diese Gefühle in mir freigesetzt. Seine Berührungen waren bestimmt und mir wurde bewusst, dass er kein Junge mehr war. Er war ein Mann.

Ich war dabei, mich völlig zu verlieren, als plötzlich Matt neben uns auftauchte. Sein Blick war undurchdringlich. Ich blinzelte und merkte, dass sich meine Hände in Morris’ T-Shirt krallten. Rasch lockerte ich meinen Griff. Morris wich keinen Zentimeter von mir.

»Zeit zu gehen, Mann.« Matt schlug ihm auf die Schulter, bevor er sich abwandte. Ich realisierte, dass keine Musik mehr zu hören war.

»Sperrstunde.« Morris umfasste meine Hände und küsste mich erneut. Dann zog er mich mit sich.

Mir war, als könnte ich keinen klaren Gedanken mehr fassen. Unsicher stolperte ich hinter Morris her. Als er abrupt stehen blieb, lief ich ungebremst in ihn hinein. Er fing mich auf und lächelte.

»Triff mich nachher am Hotelpool«, flüsterte er mir zu. Ich nickte und folgte ihm zu Brads Van.

Die Heimfahrt im Transporter bekam ich nur vage mit. Ich saß auf Morris’ Schoß und spürte seine Hand, die zart meinen Unterarm streichelte, während er mit den anderen lachte und redete, als hätte sich nichts verändert. Doch für mich hatte sich alles verändert. Jeder Nerv meines Körpers schien explodiert zu sein und schrie nach Erlösung. Ich wollte Morris so sehr und ich wusste, die Zeit spielte gegen mich. Hilflosigkeit machte sich in mir breit, denn ich erkannte, dass ich nicht Herr über mein Leben war. Noch bestimmte meine Mutter, was ich zu tun und zu lassen hatte. Ich wurde wütend, weil das Schicksal so grausam zu mir war. Es zeigte mir meine große Liebe in einem Moment, in dem ich sie nicht halten konnte.

Vor dem Hotel stieg ich aus dem Transporter. »Bis gleich«, raunte Morris mir zu und ich lief zu dem Zimmer, das ich mit Dad teilte.

Wir wohnten in einem einfachen Motel an der Hauptverkehrsstraße. Die Zimmer gingen nach hinten in einen Park hinaus und der Pool befand sich laut Plan, der im Fahrstuhl aushing, auf dem Dach. Ich wusste nicht, wann Morris mich dort treffen wollte, deshalb entschied ich, nachzusehen, ob Dad noch wach war. Kaum hatte ich aufgeschlossen, hörte ich auch schon sein sonores Schnarchen. Ich machte ein wenig Lärm und ging ins Bad, um mir die Zähne zu putzen. Dann zerwühlte ich mein Bett. Aus Dads Richtung kam keinerlei Reaktion und so schlich ich mich schließlich wieder hinaus und zog die Tür sachte hinter mir ins Schloss. Alles war ruhig. In der Ferne war eine Polizeisirene zu hören, doch der Verkehr hielt sich um diese Zeit in Grenzen. Ich schlenderte zurück zum Fahrstuhl und fuhr in das oberste Stockwerk. Kaum war ich ausgestiegen, hörte ich leise Gitarrenklänge. Neugierig bog ich um die Ecke und sah ihn.

Morris saß am Rand des beleuchteten Pools und spielte mit geschlossenen Augen auf einer Akustikgitarre. Ich blieb stehen, um ihn zu beobachten. Er berührte das Instrument so zärtlich, dass ich mir wünschte, ich sei die Gitarre. Als er mich bemerkte, setzte er zu einem dramatischen Akkord an, bevor er mit der eingängigen Melodie fortfuhr. Ich ließ mich mit gekreuzten Beinen neben ihm nieder und fuhr mit der Hand durch das kühle Wasser.

»Was ist das für ein Song?«

Morris antwortete nicht sofort. Er war in dem Lied gefangen und ich spürte, dass die Spannung, die vorher zwischen uns geherrscht hatte, abgeklungen war. Enttäuschung machte sich in mir breit.

»Dusk Tales«, erwiderte er endlich und sah mich an. »Ich komponiere gerne ruhigere Stücke. Eigentlich bin ich ein absoluter Jazz-Fan, aber das wissen nur die Wenigsten. Wenn es irgendwann einmal klappen sollte, werde ich ein Soloalbum mit all den Liedern rausbringen, die von den Momenten in meinem Leben handeln, die mich geprägt haben.«

Ich nickte und wünschte mir, dass dieser Abend ebenfalls ein prägender Moment in seinem Leben sein würde. Morris studierte mein Gesicht. »Spielst du ein Instrument?«, wollte er wissen.

»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin nur gut darin, mir die Musik anzuhören, die die Instrumente hervorbringen.«

»Dein Dad sagt, du hättest sein Talent geerbt. Du bemerkst Dinge in einem Song, die anderen entgehen.«

»Sagt er das?« Ich fühlte mich geschmeichelt.

Morris lächelte. »Ja, das sagt er. Er hält große Stücke auf dich. Was hast du in meinem Lied gehört?«

»Hm.« Die Frage verunsicherte mich, weil ich mit meinen Gedanken ganz woanders gewesen war. Trotzdem wollte ich sie nicht unbeantwortet lassen: »Das Akustik-Intro klingt ruhig, fast schwermütig. Dann ändert sich das Tempo und die Intensität des Songs nimmt zu. Die Melodie wird emotionaler, bevor sich das Ganze zu einem Epos ausweitet und den Refrain in eine andere, sehr bedrückende Tonlage zieht …« Ich stockte, denn Morris hob eine Augenbraue und ich wusste nicht, was das zu bedeuten hatte.

»Wow«, murmelte er beeindruckt. »Du hast es auf den Punkt gebracht. Genau das wollte ich beim Hörer erreichen. Dusk Tales handelt von meiner toten Schwester. Sie starb mit nur wenigen Monaten am plötzlichen Kindstod. Ich war eifersüchtig, als sie auf die Welt kam, aber als sie wieder ging, da war es, als nehme sie ein Stück von mir mit. Meine Eltern konnten ihren Tod nicht verarbeiten und ließen sich bald darauf scheiden. Da war ich neun Jahre alt.«

Er schlug weitere Akkorde an. Friedlich hallten sie in den Nachthimmel über uns, während das Licht des Pools unruhige Schatten auf Morris’ unrasiertes Gesicht warf.

»A taste of peace«, erklärte er die Melodie. »Diesen Song habe ich geschrieben, als meine Mutter wieder geheiratet hat. Ich mag meinen Stiefvater. Er ist ein guter Kerl.«

Ich lauschte dem Text sowie Morris’ klarer, tiefer Stimme und fragte mich, warum wir nicht dort weitermachen konnten, wo wir vor mehr als einer Stunde aufgehört hatten. Endlich ließ er die Saiten verklingen, stützte sich auf seiner Gitarre ab und sah in die Ferne.

»War es schon immer dein Traum, Musiker zu werden?«, wollte ich wissen, um seine Aufmerksamkeit zurückzuerlangen.

»Ja.« Er nickte. »Musik ist mein Leben. Ich weiß nicht, wann es anfing, aber ich atme sie. Während der Schulzeit habe ich mir mein Geld als Gitarrenlehrer verdient. Später habe ich in einigen Bands gespielt, doch erst jetzt, mit Burnside Close, weiß ich, was es heißt, richtige Musik zu machen. Matt und ich sind ein gutes Team. Durch ihn habe ich das Komponieren gelernt. Viele Songs auf unserem Album entstanden wie ein Puzzle. Wir liefern nur selten komplette Ideen ab, sondern sammeln Teilstücke. Wenn wir unabhängig voneinander unterwegs sind, archivieren wir unsere Einfälle und fügen dann alles zusammen. Oft sprudeln Töne und Melodien einfach aus uns heraus und man erreicht gemeinsam ein Level, das man sich vorher nicht vorstellen konnte. Das ist immer ein sehr aufregender Prozess. Man weiß nie, was am Ende dabei rauskommt. Musik ist nicht planbar, ebenso wenig wie das Leben.«

Ich war fasziniert von seinen einfühlsamen Worten. Niemals zuvor hatte ich jemanden derart über Musik reden hören.

»Du lebst also deinen Traum«, stellte ich fest.

»Vermutlich ist es mehr als ein Traum. Irgendwie sehe ich es als meine Bestimmung an. Was sind deine Träume?«

Mir fielen auf Anhieb sehr viele ein, die nur mit ihm zusammenhingen. Stattdessen antwortete ich: »Irgendwann möchte ich mit dem Rucksack um die Welt reisen.«

»Im Ernst?«

»Ja, ich stelle es mir als die ganz große Freiheit vor. Ein einziges, wunderbares Abenteuer.«

»Dann wirst du es tun müssen. Ich fühle mich frei, wenn ich ehrliche Musik machen kann. Dein Vater war der Erste, der das erkannt hat. Er versteht mich.«

Ich wollte ihm sagen, dass ich ihn auch verstand, aber dann fiel mir ein, dass die Geschichten, die er mir gerade erzählt hatte, neu für mich waren. Ich wusste noch so wenig über ihn. Andererseits, war das in diesem Moment so wichtig? Ich rutschte näher zu ihm heran und Morris strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Was willst du eines Tages werden?«

»Keine Ahnung«, antwortete ich wahrheitsgemäß. »Eure Managerin?«

Er grinste und ich fuhr fort: »Die Zeit bei euch hat mir gezeigt, welche Möglichkeiten es gibt. Ich war Teil des ganzen Entstehungsprozesses eures Albums. Das hat mich total begeistert. Ich würde wirklich gerne einmal in die Musikbranche einsteigen, aber da wird mir meine Mutter wohl einen Strich durch die Rechnung machen.«

»Wie ist sie so?«

»Anders als Dad.« Ich lächelte wehmütig.

»Ich bewundere deinen Vater und nehme ihn ernst«, flüsterte er. »Wenn er dich in meinem Bett erwischt, dann weiß ich nicht, was er tun wird.« Er küsste meine Nasenspitze. »Ich will das Risiko nicht eingehen. Burnside Close ist auf dem Weg nach oben. Wir arbeiten seit über einem Jahr unglaublich hart für unser Album und ich will mir das Vertrauen deines Vaters nicht verspielen.«

»Aber vorhin …«, begann ich und hörte mich plötzlich selber reden. Ich klang wie ein winselnder Welpe, der um Zuneigung bettelte. Erschrocken schloss ich meinen Mund. Ich wollte ihn nicht anflehen. Noch nicht. Das ließ mein Stolz nicht zu. Mein Herz pochte schmerzhaft in meiner Brust.

»War es echt?«, fragte ich.