Lieber Leo - Hansjörg Schneider - E-Book

Lieber Leo E-Book

Hansjörg Schneider

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Beschreibung

Bea hat ihn nach zehn Jahren ohne Adieu verlassen. Die Suche nach ihr führt den Erzähler zu den Schauplätzen ihrer Liebe und seiner Biographie: ins Tessin, nach Basel, nach Paris im Mai 1968, nach San Francisco, nach Berlin ... Als der Erzähler Bea wiederfindet, muss er erfahren, dass sein bester Freund Leo etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatte. Er schreibt ihm einen langen Brief: Lieber Leo ...

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Seitenzahl: 394

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Hansjörg Schneider

Lieber Leo

Roman

{5}Lieber Leo, ich sitze in meinem Zimmer, Holsteinische Straße 18, Hinterhaus, 5. Stock, West-Berlin. Ich sitze an einem ovalen Tisch, der nicht mir gehört, und schreibe dir. Das Büchergestell an der Wand gegenüber, das mir auch nicht gehört, ist leer. Die Matratze am Boden habe ich bei Wertheim gekauft. Sie ist aus Schaumgummi, auf ihr verbringe ich meine Tage.

Lieber Leo, du liegst im Grab. Deine Kleider sind verfault, die Erde drückt auf dich, zerdrückt dein nasses Fleisch, erdrückt die Hohlräume in deinem Leib, die die Ärzte hinterlassen haben, als sie nach den Ursachen deines Todes suchten. Einzig deine Nickelbrille wird noch ganz sein, die dir Claire auf die Nase gesetzt hat, bevor dein Sarg geschlossen wurde. Durch diese Brille hast du die Welt zur Kenntnis genommen, bis du dich hingelegt hast und starbst.

Lieber Leo, mein Fleisch ist trocken, der Raum, in den ich geflohen bin, ist voll Luft. Ich atme, ich sitze, ich schaue durch das Fenster auf die leere Krone des Kastanienbaumes im Hinterhof. Ich versuche, deinen Tod zur Kenntnis zu nehmen. Warum bist du gestorben? Das alles ist doch nicht so schlimm.

Lieber Leo, als ich im letzten Herbst Bea nachfuhr, weil ich meinte, nicht ohne sie leben zu können, wusste ich nicht, dass du es warst. Woher hätte ich es wissen sollen? Von dir?

{6}Bea war wie jeden Morgen nach Lugano gefahren, um einzukaufen. Als sie nach drei Stunden nicht zurück war, ahnte ich, dass ich sie verloren hatte.

Kennst du das? Du liegst noch im Bett, weil du bis spät in die Nacht gearbeitet hast, du gibst dich den hellen Morgenträumen hin, du weißt undeutlich, dass es außerhalb des Bettes kühl ist, und plötzlich spürst du in deinen Handtellern kalten Schweiß. Ich wusste genau, dass es unsinnig war. Aber ich sprang auf, zog mich an und raste mit meinem Auto nach Lugano hinunter. Ich parkte vor dem Supermarkt, rannte hinein, drängte mich durch die vor der Kasse wartenden Frauen und setzte mich wieder ins Auto. Auf der Fahrt durch die Leventina hatte ich den einen unsinnigen Gedanken: Das ist mein letzter Herbst, und es ist mein schönster Herbst. Der Himmel war blau, die Lärchen waren bereits gelb, das Licht war weiß.

Lieber Leo, ich glaubte noch nicht daran, dass Bea weg war. Sie fährt über den Gotthard, dachte ich, sie will die hell bestrahlte Steinwüste oben sehen, sie parkt ihren blauen VW neben dem See auf der Passhöhe, sie steigt aus und reibt sich ihr Gesicht mit dem letzten Schnee ein. Ich verlud meinen Wagen auf die Eisenbahn, um schneller drüben zu sein. Im Tunnel dachte ich daran, wie oft wir uns in dieser Schwärze geliebt hatten und wie schön wir uns geliebt hatten. Ich hielt mich am Steuerrad fest. Vor mir war ein Opel. Seine Innenbeleuchtung war eingeschaltet. Ich sah ein älteres Ehepaar. Ich konzentrierte mich auf ihre Hinterköpfe. Sie blieben unbeweglich, bis der Zug ins Tageslicht fuhr.

In Göschenen wartete ich eine halbe Stunde. Sie wird {7}kommen, redete ich mir ein, gleich biegt der blaue VW um die Ecke, drin sitzt Bea mit frischem Gesicht und hellen Augen.

Der blaue VW kam nicht. Ich raste die Autostraße hinunter. Die letzten niederländischen Touristen waren unterwegs. Ich überholte ihre Wohnwagen, dachte nur an mein Ziel: Bea.

Bea war nicht in Basel. Ihre Mutter wusste von nichts. Ich saß in ihrem Wohnzimmer auf dem Kanapee, auf dem ich Bea zum ersten Mal zu lieben versucht hatte, ich ließ mir Kaf‌fee einschenken, rührte zwei Zuckerwürfel hinein und wusste, dass ich Bea verloren hatte.

Ich fuhr zurück ins Tessin, fast behutsam, als ob etwas zerbrechen könnte. Oben auf der Passhöhe stieg ich aus. Der See war noch nicht zugefroren, aber es hatte geschneit. Ich nahm eine Handvoll frischen Schnee und drückte ihn gegen meine Stirn.

Wasser rann über meine Augen, ich fing es mit der Zunge auf. Vor dem Hospiz standen drei Cars. Ich schaute zu, wie die Leute auf den Felsbrocken herumkletterten, Schweizerfähnchen schwenkten und lachten. Rechts ging die Sonne unter. Ich fuhr weiter, ins Tal hinab.

Lieber Leo, du kennst das Dorf, in dem ich mein letztes halbes Jahr mit Bea verbracht hatte, du hast uns ja besucht. Auf dem Dorfplatz gackern Hühner, und morgens um drei krähen die Hähne. In dieses Dorf fuhr ich zurück, allein.

Ich parkte mein Auto auf dem Dorfplatz. Es war fast dunkel, der Himmel war violett. Der Platz war so beleuchtet, wie du ihn gekannt hast: Er schimmerte. Die Tür des Coop-Ladens öffnete sich, Olga kam heraus. Ich schaute {8}ihr zu, wie sie abschloss und gebückt an mir vorbeiging. Plötzlich blieb sie stehen, zeigte mit dem Stock zum Himmel und sagte: Che bel ottobre.

Ich ging in das Haus, das unser Haus gewesen war. Im Küchenkamin machte ich Feuer. Ich stieg in mein Arbeitszimmer hinauf und öffnete den Schrank mit den Ordnern. Bea hatte sie nach Jahreszahlen eingereiht, ihre grauen Rücken waren beschrieben mit Beas runder, kindlicher Schrift. Ich trug die Ordner in die Küche und warf sie ins Feuer. Ich öffnete eine Flasche Wein, trank und schaute zu, wie sie verbrannten. Erst loderte ihr Inneres auf, dann zog sich ein rötlicher Schein über die grauen Pappdeckel und ließ sich krümmende Asche zurück. Übrig blieben die metallenen Halter.

Lieber Leo, du warst mein einziger Freund, der meine Arbeit nicht lächerlich fand. Du hast gewusst, wie schwierig es ist, sich nicht zu kompromittieren. Das hast du durch deine Nickelbrille fünfzehn Jahre vor mir erkannt, damals, als du auf Kunst verzichtet hast. Du hast Geld verdienen wollen, um angenehm zu leben, und du hast in der Agentur Geld verdient.

In jener Nacht habe ich nicht geschlafen. Ich wusste nicht, was geschehen war, ich konnte es mir nicht erklären. Um halb drei krähte der erste Hahn. Ich öffnete die Balkontür und schaute auf den Platz, den du so geliebt hast. Mein Auto stand grau unter der Laterne. Der Himmel war völlig schwarz, der Platz schimmerte.

Als es dämmerte, ging ich hinunter. Ich betrachtete mein Auto. Es kam mir sehr fremd vor, die graue Farbe, die versenkbaren Scheinwerfer, die Windschutzscheibe mit {9}den ruhenden Scheibenwischern (warum drehen die nicht, dachte ich), seltsam waren vor allem die zwei Ledersitze, zurückklappbar, belegbar mit zwei Menschenleibern, die sich zu umschlingen und sich zu helfen suchen. Ich ging durch das schlafende Dorf, zwischen den finstern Mauern hindurch, über den Posta-Platz mit der Gartenwirtschaft. Hier hatten wir jeden Abend gesessen, lieber Leo, als du bei uns warst, mitten im Sommer, als die Tage zu heiß waren und die Abende in diesem Garten angenehm kühl. Hier hatten wir gejasst, zu dritt, Bea, du und ich, Bea nur uns zuliebe.

Ich stieg den Fußweg nach Melide hinunter, zum ersten Mal. Komisch, dachte ich, mit Bea bin ich nie diesen Weg gegangen. Es war ein schöner Weg, zu Beginn durch Gärten und an neuen Ferienhäusern vorbei, an einer Weide mit zwei grauen Pferden drauf, die kurz die Köpfe nach mir drehten und weiterästen (Bea würde sie jetzt herbeilocken und über ihre kühlen Nüstern streicheln, dachte ich), dann in Kehren steil abfallend durch den Kastanienwald. Ich ließ mich von Stufe zu Stufe fallen, fing die Stöße in den Knien auf, wie ich es früher auf den Bergtouren getan hatte, ich erreichte schwitzend den See.

Über dem Wasser lag ein leichter Nebel. Der Generoso gegenüber war nur der Gratlinie nach erkennbar. Ich schaute auf den Wasserspiegel. Es spiegelte sich nichts darin. Ich blickte auf den Grund, sah die wenigen Steine und Blechbüchsen, die sich in der Tiefe verloren. Ein See zum Hineinspringen, dachte ich, aber ich kann ja schwimmen.

Wie ertränkt sich ein Schwimmer, lieber Leo, wie bist du {10}gestorben? Ich müsste mir die Taschen mit Steinen füllen, müsste mir eine Eisenkette um den Leib binden und mit einem Vorhängeschloss verschließen, ich müsste mit einem Boot hinausfahren und mich über Bord kippen lassen. So könnte ich sterben.

Über den Seedamm rasten die ersten Autos in den San-Salvatore-Tunnel hinein, die Motoren auf achtzig Stundenkilometer hinuntergeschaltet, hinein ins Innere der Erde. Aus einer Bäckerei duf‌tete es nach frischem Brot, der Laden war noch geschlossen. Ich ging auf der Hauptstraße, vorbei an den leeren Hotels, die um die Jahrhundertwende in Palmengärten hineingestellt worden waren, vorbei an einem roten Haus, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren. Ein Abbruchobjekt, dachte ich und schaute zu den Bergen hinauf, die jetzt klar zu erkennen waren. Der Himmel darüber war rot, die Sonne dahinter nicht mehr weit weg. Neben dem Haus lag ein Park. Er war leer, nur mit Gras bewachsen. Dicht an der Ufermauer standen Pilze. Sie sahen aus wie Plastikpilze.

Natürlich dachte ich gleich an dich, lieber Leo. An die Stielaugen, die du auf unseren Pilztouren im Emmental bekamst, wenn du von weitem einen Pilz sahst, an die Behutsamkeit, mit der du dich niederkauertest, an deine festen Hände, die plötzlich zart wurden, wenn du einen Pilz aus seiner Wurzel drehtest, an dein konzentriertes Misstrauen, mit dem du den Pilz vor deine Nickelbrille hieltest, an deinen Stolz, mit dem du sagtest: Jetzt zeige ich dir einen echten Wiesenchampignon. Und ich dachte an die zutrauliche Sorglosigkeit, mit der Bea deine Pilze aß und sie lobte.

Das dort unten, lieber Leo, mussten Pilze aus Plastik {11}sein, sie waren zu groß und zu schön. Aber ich blieb stehen. Der Hag, der den Park von der Straße trennte, war nicht zu übersteigen. Ich ging die paar Schritte bis zu seinem Ende. Hier rann ein Bächlein zum See hinunter. Ich folgte ihm. Das Bächlein verlor sich im See. Die Parkmauer war zwei Meter ins Wasser hinausgebaut und mit Stacheldraht bewehrt. Ich sah Lücken in der Mauer, Löcher, in denen vor Jahren Granitblöcke gelegen hatten. In sie schob ich meine Füße, klammerte mich mit den Händen fest und umkletterte die Mauer. Ich hing am rostigen Eisengeländer, das in den See zu kippen drohte, und zog mich hoch.

Die Pilze waren nicht aus Plastik. Sie sahen unberührbar aus, hingestellt nur für die Sonne, gewachsen im Nebel, der langsam zerfloss. Ich riss einen mit breitem Schirm aus und roch daran. Er duf‌tete nicht nach Anis. Ich versuchte, mich zu erinnern. War Anisduft ein Zeichen für Champignons oder nicht? Es kam mir nicht in den Sinn. Ich riss einen anderen aus, einen mit noch geschlossenem Schirm. Auch er duf‌tete nicht nach Anis. Ich riss alle Pilze aus, roch an jedem und ließ sie ins Gras fallen. Dann kletterte ich zurück.

Als ich wieder auf der Straße war, ging die Sonne auf. Zuerst war es ein heller Punkt am Generoso oben, dann ein waagrechter Halbmond, dann konnte ich nicht mehr hinsehen. Unten lagen die nackten Pilze, hell beleuchtet, mit weißen Beinen und dunklen, abgetrennten Bäuchen.

Dein roter Pullover kam mir in den Sinn, lieber Leo, in den du die Pilze eingewickelt hättest, wenn du keinen Korb bei dir gehabt hättest, ich dachte an die fröhliche Heimkehr mit einem roten Pullover voll herrlicher Champignons, an das sanf‌te Brutzeln in der Bratpfanne und an das sorglose {12}Lächeln der Bea, mit dem sie sich zwei, drei Gabeln voll zwischen die Lippen schieben würde. Und ich dachte an die Bea, die nicht mehr da war.

Ich weiß nicht, was ich suchte, aber ich ging weiter Richtung Morcote. Der See war jetzt hell, der Nebel war weg, das Wasser glänzte. Die Berge erhoben sich daraus wie schwere, liebe, traurige Tiere. Ich war nicht traurig, ich ging einfach weiter, ich schaute meinen Füßen zu, wie sie gingen, einer hinter dem andern oder einer vor dem andern, das wechselte ab.

In Morcote kauf‌te ich eine Zeitung und setzte mich in ein Café, das von der Sonne beschienen war. Ich las sie wie durch Glas, las jeden Titel und jeden Untertitel und verstand nichts. Die Sonne schien mir ins Gesicht, die Enten quakten in unverständlichen Intervallen.

Hier in Morcote, lieber Leo, hatte ich oft mit Bea gesessen, in einem der Restaurants, die in den See hinausgebaut sind und die jetzt leer auf ihren Pfählen standen. Bea hatte diese Restaurants ausgesucht, an regnerischen Sommernachmittagen oder an lauwarmen Abenden. Sie hatte sich an eines der weißgedeckten Tischchen an der Brüstung gesetzt, sie ließ Brotstücke ins Wasser fallen, und sie freute sich über das aufgeregte Quaken der Enten, die über das Wasser herbeirannten. Bea strahlte in diesen Restaurants, sie leuchtete, ihr feines Haar bewegte sich, sie schüttelte leicht den Kopf, um eine Haarsträhne nach hinten zu bringen, sie schaute mich auf‌fordernd an. Das Leben ist schön, sah ich in ihren Augen, das Leben ist leicht wie eine Flaumfeder, die auf das Wasser schwebt.

Ich erhob mich und ging dem Quai entlang. Hier war {13}das Wasser stumpf, undurchsichtig. Dort, wo es auf die Betonmauer traf, hing grüner Schlamm. Ich stieg die Treppe hinunter zur kleinen Plattform, auf der ich mit Bea gelegen hatte. Ich zog mich aus bis auf die Unterhosen und sprang hinein. Die Kälte machte mir nichts, aber etwas anderes, Neues spürte ich. Nach einigen Zügen überfiel mich eine merkwürdige Angst. Ich wusste, dass sie unbegründet war, aber sie war da. Ich merkte, wie ich mechanisch schwamm, ich schaute mir zu, wie meine Füße vom Körper wegstießen, wie meine Hände nach vorn drängten und nach hinten gezogen wurden. Sich nur nichts anmerken lassen, dachte ich, ruhig bleiben und nicht zittern, es ist völlig normal, dass ich hier bade. Ich drehte mich auf den Rücken, um mich zu entspannen. Ich schaute nach oben zur Kirche, die ich genau kannte und die doch wunderschön ist. Sie kam mir nicht schön vor, sondern seltsam, völlig fehl am Platz. Der ganze Hügel über dem Dorf, die Dorf‌fassade und das Wasser, in dem ich lag, waren plötzlich unwirklich, waren Attrappen, die sich gleich verflüchtigen würden. Mein eigener Körper war eine Puppe, ein Roboter, der Schwimmbewegungen ausführte. Meine Gedanken konzentrierten sich auf etwas wie ein Loch, in das ich gleich hineinfallen würde, auf eine Leere, in die man nicht einmal mehr hineinfallen konnte. In plötzlicher Panik schwamm ich zurück, unsicher, ob mein Körper je das Ufer erreichen würde, obschon es höchstens fünfzig Meter waren.

Am Ufer musste ich mich setzen. Ich zitterte. Vor Kälte, redete ich mir ein, aber ich wusste, dass da noch etwas anderes war.

Ich zog mich an und stieg zur Straße hoch. Oben musste {14}ich stehen bleiben, ich stand da, in der einen Hand meine nassen Unterhosen, die andere Hand um das Geländer gekrampft, ich glaubte nicht mehr zu atmen, mein Herz stand sicher still.

Nach einer Weile ging es wieder, ich konnte Fuß vor Fuß setzen, unsicher zwar, aber es waren wieder meine Füße. Ich durchquerte das Dorf. Der Weg stieg an, unterbrochen durch niedere Granitstufen. Ich ging mechanisch, voller Angst, dass es wiederkam.

Bei einer dieser Stufen brachte ich den rechten Fuß nicht mehr hoch. Ich schaute den fünfzehn Zentimeter hohen Granitbalken an, der quer vor mir in den Weg eingelassen war, und dachte: lächerlich. Ich griff mit der rechten Hand an mein linkes Handgelenk. Der Puls war normal. Ich bin normal, dachte ich und hef‌tete meine Augen auf ein gelbes Ahornblatt, das auf dem Kopfsteinpflaster lag. Kopfsteinpflaster, dachte ich, warum Kopfstein? Das Ahornblatt war außerordentlich gelb, es strahlte eine solche Gelbe aus, dass ich mich auf die Stufe setzte, ganz langsam, behutsam, um nicht durch eine plötzliche Bewegung alles zu zerstören, ich saß da, versuchte zu atmen und bewegte mich nicht. Sehen konnte ich außer dem Ahornblatt nicht viel, der Weg war eingefasst von meterhohen Mauern. Nach einer Weile legte ich mich hintüber, ich spürte die noch kühlen runden Steine in meinem Rücken.

Ich wurde weggehoben, lieber Leo, ich hob einfach ab von mir, ich spürte das genau, ich sah mir zu, wie ich wegglitt, bevor ich einschlief.

Plötzlich wurde ich heraufgerissen, ich stieg hoch, viel zu schnell, das schmerzte fast. Es gab einen Punkt, wo ich {15}dachte: Jetzt explodiere ich. Aber mein Herz (oder was auch immer) hielt stand, ich staunte vor dieser Standhaf‌tigkeit, ich kam an und öffnete die Augen. Ich sah einen blauen Himmel, eingerahmt von meterhohen Mauern. Vor mir stand eine Frau mit zerknittertem Gesicht. Ihre Augen sah ich kaum, sie waren zu schwarz. Come va?, fragte sie. Das ist Italienisch, erinnerte ich mich. Ich sah, dass die Frau schwarz gekleidet war und ein Bündel dürrer Zweige am Boden liegen hatte. Ich merkte, dass ich eine Witwe vor mir hatte, die im Wald Holz geholt hatte und auf dem Heimweg auf mich gestoßen war, und ich sagte: Gut, es geht mir gut. Dann sah ich das Ahornblatt vor mir auf dem Boden liegen, ein gewöhnliches gelbes Herbstblatt, heruntergefallen von einem Baum vor meine Füße. Si sente male?, fragte die Frau und wollte meine Hand nehmen. Nein, nein, sagte ich, ich bin in Ordnung. Sie schaute mich immer noch besorgt an. Of‌fenbar war sie zu jeder Hilfe bereit, zum Heimnehmen, zum Betten auf dem Kanapee in der Stube, zu einem Glas Grappa und zu einem hilf‌losen Gespräch. Ich musste aufstehen, das war mir klar, und ich stand auf. Es ging ohne weiteres. Ich fühlte mich leicht. Of‌fenbar hatte ich tief geschlafen, war dann sehr schnell erwacht und fühlte mich jetzt wie eine Flaumfeder, die auf das Wasser schwebt. Che bel ottobre, sagte ich. Sì, sagte die Frau, fa bel tempo, und dann fiel mir Bea ein, Bea, die mir fortgelaufen war, Bea mit den feinen Kraushaaren, Bea, die jetzt sagen würde: Wach endlich auf, du Kobold. Ich musste lachen, denn das Wort Kobold fand ich lustig.

Was heißt das eigentlich, Kobold, lieber Leo, warst du ein Kobold?

{16}Ich lachte, oder ich lächelte eher über die feine Bea, die mich Kobold nennt, und die alte Frau war beruhigt. Sie wünschte mir einen guten Tag, nahm ihr Holzbündel auf und ging weiter. Ich sah ihr nach, bis sie hinter dem ersten Haus verschwand. Dann war ich allein.

Ich realisierte auf jener Treppe in Morcote vor einem gelben Ahornblatt, dass ich allein war. Ich war noch nie allein gewesen, lieber Leo, ich hatte immer jemanden um mich gehabt, meine frühere Frau und das Kind, irgendein Mädchen oder eben Bea. Möglicherweise ist es anders. Möglicherweise war ich früher dauernd allein gewesen und hatte es nur nicht gemerkt, weil ich es für normal hielt. Aber jetzt begriff ich nicht nur, dass ich etwas verloren hatte, sondern ich begriff, was ich verloren hatte: Mir war nicht mehr zu helfen. Und ich beschloss, Bea zu suchen.

Ich stieg den steilen Weg hoch, ich keuchte, ich schwitzte, das Herz hämmerte gegen meine Schläfen. Ich sah die im braunen Laub schimmernden Kastanien, sah unten den See und das Gelb der Lärchen am Generoso oben, aber diese ganze Natur war mir egal. Ebenso gut hätte ich durch die Sahara laufen oder mich mit einem langen Messer durch einen Dschungel schlagen können. Mein Ziel wäre auch in der Sahara oder im Dschungel mein graues Sportcoupé gewesen, mit dem ich in der Welt herumfahren und Bea suchen konnte.

Ich begriff das genau, damals beim Aufstieg vom See zu meinem Haus, das jetzt ein leeres Haus war, und ich merkte voller Schrecken, dass es gut war, dass Bea mich verlassen hatte.

{17}Kurz nach Mittag kam ich ins Dorf zurück. Ich ging ins Restaurant Posta und setzte mich an den Tisch neben dem Flipperkasten. Werner, der schon zwölf Jahre hier wohnt und nur von Bier lebt, stand daran und ließ nachlässig die Kugel herumrollen. Als er aufblickte, hörte er auf. Was ist los?, fragte er.

Da kamen mir die Tränen. Ich weiß nicht, lieber Leo, wie lange ich nicht mehr geweint hatte. Ich merkte nur, wie schwierig dieses Weinen war und wie gut es war. Du weinst, sagte Werner. Er setzte sich zu mir. Bea ist weg, sagte ich.

Er schwieg, und ich spürte, wie er mich anschaute. Guido!, rief er dann und erhob sich. Nach einer Weile kam er wieder mit einer Flasche Grappa und zwei Gläsern. Er schenkte ein. Trink, sagte er. Ich trank. Es war kein guter Grappa, das merkte ich trotz der Tränen, er war zu hef‌tig, zu aggressiv, nicht samtig und weich. Werner schenkte nach. Die kommt wieder, sagte er. Ich will mich jetzt nicht betrinken, sagte ich, trink du. Er leerte die Gläser und schaute mir zu, wie ich mir das Gesicht trocknete.

Guido, der Wirt, kam. Was ist denn los?, fragte er. Bea ist weg, sagte Werner. Diese Frauen, sagte Guido, diese Frauen sind wie die Katzen. Sie kommen und gehen, man kann ihnen nicht befehlen. Iss etwas, dann geht’s dir besser.

Er brachte mir einen Teller Spaghetti. Ich aß und schaute {18}auf die Fotos an der Wand, die alle die Judomannschaf‌ten des Dorfes zeigten, die Schülermannschaft und die Junioren, die Elitemannschaft und die Senioren, alle im selben weißen Gewand und alle trainiert von Guido. Ich schaute diese Bilder an, als ob ich sie noch nie gesehen hätte, ich staunte vor der gesunden Schönheit dieser Buben und Männer. Was schaust du so?, fragte Guido, pass auf, dass dir nichts passiert, betrink dich, bis es vorüber ist. Nein, sagte ich, ich fahre nach Basel.

Ich ging in den Laden zu Olga und verabschiedete mich. Viel Vergnügen, sagte sie, und Grüße an die Signorina. Ich schloss das Haus ab, brachte den Schlüssel in die Posta und fuhr los.

Dieses halbe Jahr im Tessin, lieber Leo, war meine schönste Zeit. Ich war dort ruhig, ich war wohl erwachsen geworden in diesem Dorf, ich lebte in einer Einheit mit den Menschen und mit der Natur, es gab keine Risse. Selbst der Stumpfsinn meiner Arbeit störte mich nicht mehr, es war eine Arbeit wie jede andere, von irgendetwas musste ich ja leben, ich hatte immerhin für Bea zu sorgen und Alimente für mein Kind zu bezahlen, und die deutschen Fernsehprogramme konnte man hier oben zum Glück nicht empfangen. Ich war der Scrittore, der Erfolg hatte und eine schöne junge Frau ins Dorf gebracht hatte, ich war den Leuten sympathisch. Ich schrieb meine Fernsehfolgen, wie ein Bäcker das Brot backt oder Guido die Spaghetti kocht. Dass meine Texte kein Brot und auch keine Spaghetti waren, sondern Stumpfsinn, störte niemanden. Und mir selbst war schon längst klargeworden, dass nur sehr wenige Menschen Brot und Spaghetti machen können, die {19}andern müssen Stumpfsinn machen. Ich machte wenigstens gutbezahlten Stumpfsinn.

Hatte mich Bea deshalb verlassen?

Sie war hier oben aufgeblüht wie ein Schmetterling, lieber Leo, sie hatte Farben bekommen, Musterungen, die sich veränderten, von jeder Seite war sie anders anzuschauen und anders erlebbar, aber sie schloss sich ab von mir, sie zog sich zurück. Dieser Rückzug traf mich jeden Tag schmerzlicher, ich verstand ihn nicht und wollte ihn nicht akzeptieren.

Als sich Bea immer mehr von mir entfernte, erwachte meine Liebe. Meine Liebe begann an ihr zu arbeiten, es wurde eine verzweifelte Liebe, die nichts erreichte.

Bea schien gern zu leben, ihre Lust zu leben wuchs mit jedem Tag. Oder veränderten sich bloß meine Augen? Sie war freundlich zu mir, sogar lieb, sie schaute mich gescheit an, sie strich mir übers Haar, und in den Nächten überließ sie mir ihren Körper. Ich nahm sie, ich suchte Bea in ihren Lippen, in ihrem Bauch und in ihren Kniekehlen, ich fand sie nicht.

Jeden Morgen ging sie einkaufen, sie brachte in ihrem blauen VW sorgfältig ausgewählte Lebensmittel heim und die Zeitungen, sie stellte mir um elf die Kanne Tee hin und legte eine halbierte Zitrone daneben. Wie viele Schnitze hat eine Zitrone?, fragte sie einmal. Ich wusste es nicht. Dann zähl mal, sagte sie. Ich zählte. Neun, sagte ich. Das ist schön, sagte sie, dass eine Zitrone neun Schnitze hat. Warum ist das schön?, fragte ich. Sie schwieg. Sie schwieg immer häufiger. Sie, die mir früher die Ohren vollgeschwatzt hatte, die mir über die Tage, die wir nicht zusammen {20}verbracht hatten, genau Bericht erstattete, die von Röcken und Schuhen, die sie eben gekauft hatte, redete, die einfach immer redete und Wörter im Mund hatte, sie schwieg.

Sag was, sagte ich. Sie blieb reglos im Liegestuhl liegen. Was soll ich erzählen, sagte sie. Irgendetwas, sagte ich, ich mag deine Stimme, ich mag deine Wörter. Du bist lieb, sagte sie. Das war alles.

Sie kauf‌te sich Gummistiefel und fing an, den verwilderten Garten zu säubern. Sie stand in der Wiese, sie hatte eine Sense in den Händen, sie schwang sie, und es gelang ihr tatsächlich, die Wiese zu mähen. Sie, die nie frische Kuhmilch getrunken hatte, die bei Regen immer herumgefahren werden wollte, die jedem Kuhfladen auswich und jedem Grasbüschel, sie ging zum Bauer unterhalb des Dorfes und kam mit sechs Schafen zurück. Eines der Tiere kam nur mühsam voran, es hatte viel zu lange Vorderhufe, sie wuchsen fast waagrecht nach vorn. Die feine Bea holte die Rebschere und versuchte, dem Tier die Hufe zu stutzen. Das kannst du doch nicht, sagte ich von meinem Liegestuhl aus, warum spielst du Bäuerin? Komm her, sagte sie, setz dich drauf. Ich ging hin und setzte mich auf den Schafrücken. Das Fell stank fürchterlich. Pack es, sagte sie. Ich schaute sie an, dann gehorchte ich. Bea mit der Rebschere in der einen Hand, in der andern das linke Vorderbein eines Mutterschafes, das bald werfen würde, Beas feine, schmale Hand, die plötzlich Kraft entwickelt und einen verfetteten Vorderhuf beschneidet, ich verstand sie nicht mehr. Was willst du eigentlich?, fragte ich. Halt fest, sagte sie, jetzt kommt das andere Bein dran. Das Tier wollte nicht, es wehrte sich, versuchte zu fliehen, und es hatte Kraft. Ich musste mir alle {21}Mühe geben, ich packte es an den Ohren, riss seinen Kopf hoch, ich presste meine Schenkel in seine Flanken, ich hielt es zurück. Siehst du, sagte Bea, es geht ja, du hast Kraft. Wieso sollte ich keine Kraft haben?, sagte ich, schließlich bin ich ein Mann. Eben, sagte Bea und drückte die Schere zusammen. Der waagrechte Teil des rechten Vorderhufes fiel zu Boden, und das Schaf rannte weg. Bea bückte sich, nahm die beiden Huf‌teile auf und stieg die Stufen zum Haus hoch.

Sie begann, an den Nachmittagen Spaziergänge zu machen. Sie zog sich ihre Gummistiefel an, sie beugte sich über den Liegestuhl, in dem ich die Zeitungen las, und küsste mich aufs Haar. Dann war sie für drei Stunden weg. Zuerst war ich froh, dass sie gegangen war, ich ließ die Zeitung sinken und schaute zum Generoso hinüber, ich fuhr mit meinen Augen der Linie nach, die ihn vom Himmel trennte, ich verfolgte das Wachsen der Schatten in seinen Schrunden und fühlte mich wohl. Aber nach zwei Stunden wurde ich unruhig. Wo war sie? Wo trieb sie sich herum? Warum allein? Warum forderte sie mich nicht zum Mitkommen auf? Selbstverständlich hätte ich abgelehnt, ich bin kein Wandervogel, das wusste sie. Aber fragen hätte sie mich können. Wenn sie zurückkam, war ihr Gesicht frisch, und ihre Augen strahlten hellgrau. Manchmal konnte ich mich nicht beherrschen und fragte sie, wo sie gewesen sei. Im Wald, sagte sie dann, in Melide, in Morcote oder in Figino.

Wo sonst, lieber Leo, wo hätte sie denn sonst gewesen sein können?

Einmal, an einem Regentag, sie hatte sich eine {22}durchsichtige Plastikpelerine übergezogen, sagte ich: Es regnet ja, bleib zu Hause. Regen gefällt mir, sagte sie und ging. Als sie zurückkam, erzählte sie von Feuersalamandern, die sie gesehen hatte. Sie hatte sie gezählt, es waren dreizehn gewesen. Die mögen den Regen auch, sagte sie, die kommen jetzt aus ihren Löchern, sie gehen ganz merkwürdig. Salamander kriechen, sagte ich, sie gehen nicht. Doch, sie gehen, sagte sie, sie haben ihre Wege.

An den Abenden, wenn ich mich in mein Arbeitszimmer zurückgezogen hatte, um meine idiotischen Kriminalstorys zu schreiben, hörte ich, wie sie fernsah. Ich wusste nicht, was sie sich für Fernsehprogramme aussuchte, meine Kriminalfolgen konnten es jedenfalls nicht sein. Vielleicht schaute sie sich ähnlichen Stumpfsinn von einem italienischen Kollegen an, vielleicht auch alte Filme, in dieser Hinsicht war sie wohl nicht wählerisch.

Oder täuschte ich mich? Schaltete sie auf Diskussionssendungen, wenn ein Film kam, auf Gespräche über modische Frauenprobleme, auf die Selbstdarstellungen verklemmter Emanzen, die Unfähigkeit zur Liebe mit männlicher Unterdrückung verwechseln?

Habe ich Bea vielleicht unterdrückt?

Aber nein, lieber Leo, ich habe sie verwöhnt.

Was tat sie dann vor dem Fernsehschirm? Warum bin ich nie hinuntergegangen, warum habe ich nie gefragt: Ist der Film gut? Ich hätte mich zu ihr setzen und mitschauen können, ich hätte vielleicht ihre Hand genommen, und sie hätte mir zugelächelt. Aber das wäre doch Stumpfsinn gewesen, lieber Leo, wie hätte ich mir den Stumpfsinn anschauen können, den ich selber machte?

{23}Hin und wieder wollte sie in Morcote auf der Seeterrasse essen gehen. Anfangs ging ich nur widerwillig mit. Sie saß dann da, sie leuchtete, sie schwieg und ließ Brotstücke ins Wasser fallen, die Enten kamen herangerannt, und sie quakten.

Fehlt dir etwas?, fragte ich. Es ist so ein schöner Abend, sagte sie. Vielleicht bist du zu isoliert hier, sagte ich, mir macht es nichts, ich habe meine Arbeit und dich, das genügt mir. Ich bin deine Sekretärin, sagte sie. Nein, sagte ich, du bist meine Geliebte. Auch, sagte sie. Wollen wir wieder in die Stadt ziehen?, sagte ich. Warum denn, sagte sie, hier ist es schön. Und dann sagte sie: Ich gehe eine Woche zu Marlies.

Ich erschrak, lieber Leo. Denn seit jenem Sommer vor fünf Jahren, als wir uns ins Emmental zurückgezogen hatten, hatte sie nicht mehr von ihrer Schwester geredet. Ich hatte geglaubt, das sei erledigt, die Geschichte mit ihrem Dreihexenhaus sei vorbei. Diese beiden Frauen, ihre Mutter und ihre Schwester, hatte ich jahrelang bekämpft, diese Reihenhäuschenatmosphäre, die aus Bea eine Frauenzeitschrif‌tenabonnentin gemacht hatte, dieses Gerede über neue Kleider und neue Schuhe, das aus Beas Mund unerträglich war. Diese beiden Hexen hassten mich mit Recht, sie spürten meine Verachtung, meinen Stolz, sie mochten meine Nähe nicht und ich die ihre nicht. Aber warum versuchten sie, Bea von mir zu trennen?

Ich liebte sie doch, und Bea liebte mich.

Oder weißt du es anders, lieber Leo?

Nach meiner Scheidung hatte mir Bea gesagt, sie wolle jetzt bei mir bleiben, für immer. Sie hatte versprochen, ihre {24}Schwester nie mehr zu sehen. Warum wollte sie jetzt zu Marlies fahren?

Ich schaute sie an, wie sie dasaß und sich ein Stück Rindfleisch abschnitt, sie sah genau hin, ob nicht etwa ein Stück Sehne oder Fett dran war, denn Sehnen und Fett aß sie nicht.

Ich wartete eine Weile. Sie steckte sich das Stück Fleisch in den Mund. Dann schaute sie mich an, ruhig, schön, plötzlich unberührbar. Ich sagte: Soll ich dich nach Lugano bringen?

Nein, sagte sie, ich fahre mit dem VW.

Es war fast dunkel, die Lichter spiegelten sich im Wasser. Willst du?, fragte Bea und hielt mir ein Stück Brot hin. Ich nahm es und warf es hinunter. Du hast mir versprochen, sagte ich, nie mehr zu Marlies zu fahren. Man kann nichts für ein ganzes Leben versprechen, sagte sie, das weißt du. Kommst du wieder?, fragte ich. Ich wohne ja bei dir, sagte sie, und schließlich ist es meine Schwester.

Auf der Heimfahrt legte ich die Hand auf ihren linken Schenkel. Sie nahm sie nicht weg, sie ließ sie liegen, und in den Kurven spürte ich, wie sich ihr Körper verschob. Warum schaltest du nicht herunter?, fragte sie.

Am andern Morgen hörte ich, wie Bea aufstand und ins Badezimmer ging. Ich ließ meine Augen geschlossen, denn gewöhnlich erwachte ich nicht, wenn sie aufstand. Ich hörte zu, wie sie sich duschte, ich wusste, dass sie das sehr sorgfältig tat, erst kamen die Zehen dran, dann die Beine bis über die Knie. Dann nahm sie die Seife, sie ließ das warme Wasser auf die fast rötlichen Haare zwischen ihren Beinen rauschen und rieb behutsam mit der Seife darüber. Dann {25}richtete sie die Brause auf ihren Bauch und nahm sie hoch bis zu den Brüsten. Sie fuhr sich mit der linken Hand erst über die linke Brust, dann über die rechte. Sie schaute sich die Brüste genau an, und ich wusste, dass sie ihr gefielen. Dann hielt sie sich die Brause in den Nacken, sie ließ das Wasser über ihren etwas zu schmalen Körper hinunterfließen und stand reglos. Sie genoss das, sie hatte Freude an ihrem Körper unter dem warmen Wasser. Ich hörte, wie sie das Wasser abstellte.

Sie kam ins Schlafzimmer und begann, sich anzuziehen. Ich atmete schön regelmäßig, so wie ein guter Schläfer atmet. Du kannst deine Augen aufmachen, sagte sie plötzlich, ich weiß, dass du wach bist. Ich setzte mich auf, ich kam mir ziemlich dumm vor und schaute zu, wie sie sich das rosa Kleid anzog. Als ihr Gesicht wieder zum Vorschein kam, sagte sie: Den Tee musst du dir selber machen, und schau bitte zu den Schafen. Soll ich aufstehen?, fragte ich. Nein, sagte sie, bleib ruhig im Bett. Sie ging hinaus und schloss die Tür. Ich hörte ihre Füße auf der Holztreppe.

Ich blieb im Bett und versuchte zu schlafen. Es ging nicht, ich brachte meine Augen nicht zu. Ich hörte Bea unten hantieren, hörte, wie sie in die Küche ging, aus der Küche kam, dann vernahm ich nichts mehr. Jetzt trinkt sie Kaf‌fee, dachte ich, und raucht eine Zigarette. Wieso trinkt sie am frühen Morgen drei Tassen Kaf‌fee, wie verträgt sie das?

Nach einer Weile kam sie wieder hoch und fing an, ihren kleinen Kof‌fer zu packen. Warum packst du nicht mehr ein?, fragte ich, sonst brauchst du doch immer drei große Kof‌fer? Es ist ja nur für eine Woche, sagte sie, und im {26}Übrigen kann sich ein Mensch ändern. Ich dachte nicht nach über diesen Satz, lieber Leo, damals konnte ich es nicht, ich schaute ihr nur zu, wie sie packte und wie wenig sie einpackte. Du brauchst doch mindestens sechs Kleider, sagte ich, du bist sechs Tage weg. Das ist mein Lieblingskleid, sagte sie, du hast es mir in Pavia gekauft. Meinst du, sagte ich, das weiß ich nicht? Werd bitte nicht böse, sagte sie, ich wollte dir nur sagen, dass das mein Lieblingskleid ist. Ich werde überhaupt nicht böse, sagte ich, aber ich schrie diesen Satz fast.

Sie hatte fertig gepackt, sie kam zu mir und küsste mich auf den Mund, kühl, aber lieb. Schlaf gut, sagte sie, und ruf einmal an. Dann ging sie hinaus.

Nach einer Weile hörte ich den VW-Motor anspringen, sie gab kurz Gas, um ihn auf Touren zu bringen. Dann fuhr sie an. Ich sprang auf und rannte zum Fenster. Der Platz war leer, einige Hühner pickten drauf herum.

Warum hatte sie gesagt: Ruf einmal an? Warum hatte sie nicht gesagt: Ich rufe dich einmal an oder zweimal oder jeden Abend? Fuhr ich weg oder sie? Und zu wem fuhr sie?

Jene Woche war schrecklich für mich, lieber Leo. Ich hatte nicht gewusst, wie sehr ich an Bea hing, wie sie meine Welt war, in der ich atmete und außerhalb welcher ich nicht atmen konnte, und diese Erkenntnis war ein Schmerz. Warum hatte ich es nicht vorher gemerkt? War es vielleicht jetzt zu spät?

Ich ließ meine Arbeit liegen. Jeden Abend, wenn es dämmerte, ging ich in die Posta und setzte mich zu Werner. Er sagte kaum ein Wort, er saß vor seinem Bier und schwieg. {27}Möglicherweise störte ich ihn, aber das war mir gleich. Mir gefiel sein Schweigen. Ich redete auch nicht, ich trank mit, zwar nicht Bier, sondern Wein. Jede Nacht ging ich ins Haus zurück und legte mich ins leere Bett. Ich hatte Beas seltsamen Duft in der Nase, ich nahm das Kissen, das voll war von Beas Geruch, und schlief bis gegen Mittag. Dann stand ich auf. Ich machte mir meinen Tee nicht selber, ich ging in die Posta, trank einen lauwarmen Beuteltee und stellte mich an den Flipperkasten. Es war ein Royal Flush von Gottlieb, eine sanf‌te, ausgeleierte Maschine, bei der man zehn Buchstaben abschießen musste: links außen das Ass, dann zwei K, dann drei Q, dann zwei J und rechts außen eine Zehn. Man durf‌te nicht aggressiv spielen, man musste behutsam sein, man durf‌te die Kugel nur antippen, sie rollte dann nach oben und schickte einen Buchstaben oder die Zehn hinab, sie kam träg zurück und ließ sich woanders hinschicken. Die hektischen Kontakte, die Reaktionsschnelligkeit erforderten, waren bei dieser Maschine selten, es gab nur Gefühl und sanf‌ten Widerstand.

Um vier ging ich heim, ich sah nach den Schafen, die sich inzwischen mit mir angefreundet hatten, ich streckte ihnen altes Brot hin und freute mich, wenn sich ihre Leiber an mich drängten. Einmal hielt ich es nicht mehr aus. Ich rief an. Marlies kam an den Apparat. Ich will mit der Bea reden, sagte ich. Das kannst du haben, sagte sie. Dann kam Beas Stimme. Komm heim, sagte ich. Geht’s dir gut?, fragte sie. Nein, sagte ich, komm. Ich komme in drei Tagen, wie abgemacht, sagte sie, sei doch vernünf‌tig, mach’s gut. Sie hängte ein.

Sie kam nach drei Tagen. Ich hatte im Garten gewartet, {28}hatte den Schafen die Hufe untersucht, sie waren in Ordnung. Ich hatte mit den zwei Lämmern gespielt, die neu hinzugekommen waren, hatte mir von ihnen die Finger lecken und die Hosen anknabbern lassen, ich hatte eines auf die Arme genommen, und zwar so, dass es ganz ruhig wurde, als ich ihren VW-Motor hörte. Ich stellte das Tier auf seine schmalen Beine zurück, ging durch das Haus und trat auf den Platz hinaus. Bea stieg aus dem blauen Auto. Sie trug beige Jeans. Sie, die ich mir nur in einem hellen Kleid, das über ihre schmalen Beine fiel, vorstellen konnte, die stundenlang in irgendeiner Boutique zu stehen pflegte und rote, hellgrüne und himmelblaue Röcke anprobierte, sie hatte über ihre etwas zu schmalen Hüf‌ten einen groben Baumwollstoff gezogen. Wie stehen sie mir?, fragte sie und drehte sich vor mir. Ich sah den idiotischen Namen Levi’s auf ihrer rechten Hinterbacke, die rund und schön den Stoff füllte, und ich nahm meine Bea in die Arme, presste sie an mich und küsste sie auf den Hals. Sie nahm mein Gesicht und schaute es an. Du siehst nicht gut aus, sagte sie. Ich trug ihren kleinen Kof‌fer ins Schlafzimmer. Sie öffnete ihn und nahm einen Stoß sorgfältig zusammengelegter Jeans heraus, alle beige oder dunkelblau. Zuunterst lag das rosa Kleid aus Pavia. Sie zog den Reißverschluss ihrer Hose herunter, stieg mühsam aus ihr heraus, stand da in ihren Unterhosen, über die eine weiße, bestickte Bluse fiel. Sie nahm ein Paar blaue Jeans, stieg hinein, riss den Bund nach oben und versuchte, den Reißverschluss zu schließen. Es gelang ihr nicht. Hilf mir, sagte sie, sie sind noch zu neu. Sie atmete aus, zog den Bauch ein, und ich schloss ihre Hose. Jetzt war Bea abgeschlossen, geschützt vor meiner Hand, {29}fiel mir ein, die sich bei Autofahrten auf ihr Knie legte, dann unter ihren Rocksaum nach oben schob, zugedeckt vom feinen, über die Haut gleitenden Stoff, geschützt vor ihrer Schamhaf‌tigkeit, bis sich Beas Beine ein bisschen verschoben und mir Platz gaben.

Warum packst du dich ein, fragte ich, hast du Angst vor mir? Was hast du denn, sagte sie, gefallen sie dir nicht? Nein, sagte ich. Ich ziehe an, was ich will, sagte sie, und dann, etwas versöhnlicher: Sie sind praktisch.

Als wir im Garten saßen und Kaf‌fee tranken, sagte ich: Und Marlies? Sie ist dumm, sagte Bea, sie hat ihre zwei Kinder, sonst interessiert sie nichts.

Das beruhigte mich wieder, lieber Leo, ich schaute meine Bea an, wie sie in blauen Jeans dalag, den Kopf leicht zur Seite, zu den äsenden Schafen geneigt, und ich hörte ihr zu, wie sie sagte: Auf dem Gotthard oben war so weißes Licht, ich habe noch nie so weißes Licht gesehen. Sie war schön, wie sie so dalag, ein Mädchen von fast dreißig Jahren, nicht sehr attraktiv vielleicht, die Brüste ein bisschen zu klein, besonders in dieser Bluse, die ihre Konturen wegwischte, das Gesicht ein wenig zu fein, der Mund eine Spur zu schmal. Aber es war eben Bea, auch wenn sie Jeans trug. Weißt du was, sagte ich, wir laden Leute ein. Wir laden Leo ein.

Sie schaute mich an, verwundert, wie es schien, und sagte: Warum gerade Leo? Weil Leo mein bester Freund ist, sagte ich, und du magst ihn doch auch. Ja, sagte sie, aber ich weiß nicht, ob das gut ist. Warum nicht?, fragte ich. Ich weiß nicht, sagte sie, vielleicht will er gar nicht kommen. Ich rufe ihn an, sagte ich, jetzt gleich.

{30}Ich ging hinein und rief dich an, lieber Leo, du saßest in Frankfurt in der Agentur, vor einem Kunden vielleicht oder vor einem Blatt Papier, das du füllen musstest mit Sätzen über irgendeine Automarke, eine Zahnpasta oder über ein Speiseöl, du nahmst den Hörer ab, unwillig wahrscheinlich, weil Telefonanrufe immer stören, und du hörtest meine Stimme. Was sagt Bea dazu, fragtest du. Sie ist natürlich einverstanden, sagte ich, sie freut sich. Du wartetest eine Weile, wahrscheinlich schobst du dabei deine Nickelbrille nach oben, dann sagtest du: Gut, ich komme für eine Woche, allein.

Du kamst am folgenden Samstagabend an, lieber Leo. Du warst gegen Mittag in Frankfurt gestartet, du hattest Claire und die Kinder zurückgelassen, du hattest dein Auto eingereiht in die Kolonnen der Ferienreisenden, warst allein durch die Schwärze des Gotthardtunnels gerollt, vor und hinter dir Pkws voller Familien, du fuhrst die Kehren zu unserem Dorf hoch, als es schon dunkel war, du stelltest deinen Wagen auf den Platz vor unser Haus. Ich sah ihn gleich, als ich dir öffnete, und ich freute mich, dich zu sehen.

Bea erwartete dich im Gang, ihr umarmtet euch wie immer, es fiel mir bloß auf, dass Bea unter deinem Kuss ihre Lippen ein bisschen öffnete, aber warum sollte sie das nicht tun, schließlich warst du mein Freund.

Wir aßen zu dritt auf dem Sitzplatz. Der Generoso war hell im zunehmenden Mond. In den Pausen zwischen unseren Sätzen hörten wir die äsenden Schafe, und ich merkte, wie du mich beneidetest. Wie es Claire gehe, wollte Bea wissen, was die Kinder machten. Was, schon so alt sind {31}sie?, sagte sie, und es ist noch gar nicht lange her, dass ich ein Kind gewesen bin, findest du, ich habe mich verändert? Ich weiß nicht, sagtest du, du trägst jetzt eben Jeans.

Ich merkte, dass du auswichst, aber ich wusste nicht, wovor. Vielleicht waren es deine Kinder, überlegte ich, vielleicht beneidetest du uns um unsere Kinderlosigkeit, darum, dass wir diese ganzen Scherereien nicht hatten, die dich zwangen, viel Geld zu verdienen, und die deine Liebe zu Claire verbraucht hatten, und ich sagte: Was ich mache, ist auch Stumpfsinn. Dieser Garten, sagtest du, lieber Leo, diese Landschaft und die Schafe sind nicht Stumpfsinn. Du sagtest das ganz ruhig, genau, und ich merkte, wie sehr du Bea mochtest.

Es war Bea, die nach dem Essen vorschlug, in den Posta-Garten zu gehen. Sie, die die vielen Leute mied, die das Eindringen der Fremden in das Dorf als persönliche Beleidigung empfand, sie wollte an diesem Abend im Touristengarten sitzen.

Wir spazierten durch das dunkle Dorf, stiegen die drei Stufen zur Gartenwirtschaft hoch, gingen über den Kiesweg zwischen den vollbesetzten Tischen hindurch, zuvorderst ich, dann ihr zwei, wir fanden hinten an der Mauer einen freien runden Tisch, der im spärlichen Licht rot schimmerte. Wir setzten uns, und ich merkte, dass wir uns zu dritt nichts mehr zu sagen hatten. Erzähl mir von deiner Arbeit, sagte ich. Warum, fragtest du, ich schreibe, und du weißt ja, was ich schreibe. Ihr solltet euch schämen, sagte Bea (sie sagte ihr zu uns beiden), ihr verdient viel Geld, ihr habt dadurch Freiheit, das haben wenige. Was habe ich für eine Freiheit?, fragtest du und schautest Bea sehr direkt, {32}fast herausfordernd an. Bea legte die linke Hand auf deinen nackten Unterarm, sie tat das souverän wie eine Katze, die sich für ein Weilchen auf einen Menschenschoß setzt, weil sie es dort schön findet, ihre Hand lag auf deinem Arm, als ob sie nirgends sonst hingehörte. Es ist so ein schöner Abend, sagte sie.

Ich fand das normal, lieber Leo, und ich sagte: Was habe denn ich für eine Freiheit? Du hast, was du willst, sagtest du, und du zogst deinen Arm zurück. Nein, sagte ich, ich habe nicht, was ich will, ich möchte Gedichte schreiben. Dann schreib doch Gedichte, sagte Bea.

Ich bestellte einen Liter Wein, auch Bea wollte ein Glas und keinen Kaf‌fee, dann sagte ich: Ich werde noch einmal in meinem Leben Gedichte machen. In unserem Alter, sagtest du, verändern wir uns nicht mehr, wir sind, wie wir sind, und wir bleiben, wie wir sind.

Ich schaute dich an, lieber Leo, dein langes Gesicht unter dem schütteren Haar, deine Augen hinter den Brillengläsern, von denen ich wusste, dass sie grau waren, die jetzt aber kaum zu erkennen waren, deinen merkwürdigen, etwas kurzen Mund, der trotzdem volle Lippen hatte. Ich bin froh, sagte ich, dass du da bist, es ist uns in letzter Zeit oft langweilig hier oben. Was redest du da?, fragte Bea, mir ist es nie langweilig.

Wir tranken viel Wein an jenem Abend, und als Bea um elf heimgegangen war, nahmen wir noch Grappa. Gegen Mitternacht redeten wir plötzlich wieder miteinander, so wie früher, nur in anderen Sätzen, und du betteltest um mich. Ich verstand das nicht, ich sagte: Du bist noch wie früher. Du zogst den linken Mundwinkel nach unten, so {33}wie du das immer getan hast, wenn du etwas Dummes hörtest, und ich sagte: Jetzt verziehst du den Mund, genau das meine ich, das hast du immer getan, wenn du etwas Dummes hörtest. Der Unterschied ist nur, sagtest du, dass das nicht dumm ist, was du eben gesagt hast.

Auf dem Heimweg bliebst du vor unserem Haus stehen, wir setzten uns auf die Steinbank unter dem Küchenfenster, wir schwiegen. Dann sagtest du: Der Platz schimmert. Das Wort fiel mir auf, weil es stimmte, und ich sagte: Zum Teil schimmert er jetzt im Mondlicht.

Am nächsten Nachmittag stiegen wir zu dritt durch den Wald zur alten Kirche hinunter. Wir beide waren verkatert, das ergab Gesprächsstoff. Ihr solltet eben nicht trinken, wenn ihr es nicht vertragt, sagte Bea, ihr seid nicht mehr die Jüngsten. Du auch nicht, sagtest du, du bist bald eine alte Vettel und bekommst eine Glatze. Dann ziehe ich ein Kopf‌tuch an, sagte Bea, meinst du, ein Kopf‌tuch steht mir? Sicher, sagtest du, dir steht alles, sogar Jeans. Bea lachte.

Wir gingen zu dritt, Bea in der Mitte, wir schwitzten, du zogst den roten Pullover aus und gingst mit nacktem Oberkörper. Muskeln hast du noch, sagte Bea, sie strich dir kurz über den Rücken. Ich spiele Tennis, sagtest du, man muss schließlich etwas tun für die Linie. Wir lachten, und ich schaute an mir und meinem ziemlich dicken Bauch herunter. Man hat die Wahl, sagte ich, entweder gutes Essen und alten Burgunder oder eben eine Linie.

Die Kirche stand of‌fen, wir gingen hinein, es war kühl drinnen. Aus einem Nebenraum hörten wir eine Flöte. Das sind die Hippies, sagte Bea, sie wohnen im Nebengebäude und leben biologisch. Idioten, sagte ich und betrachtete {34}einen roten Christophorus, dem ein lächerlich kleines Jesuskind auf der Schulter saß. Das Wasser reichte dem Mann bis über die Knie, er stützte sich auf einen eleganten Prügel. Merkwürdig, dachte ich, er will dem Kind helfen, er nimmt es auf seine Schultern und trägt es über den Fluss, und zum Dank drückt ihm der Knirps den Kopf unter Wasser.