Der liebe Augustin - Hansjörg Schneider - E-Book

Der liebe Augustin E-Book

Hansjörg Schneider

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Beschreibung

Die Pest ist nur noch eine Tagesreise entfernt. Die Bewohner der Stadt schwanken zwischen Vorsicht, Panik und Leichtsinn. Im Wirtshaus wird gelacht, geweint, geliebt, gelogen – gelebt also. Bis das große Sterben anfängt. In diesem lebenshungrigen Totentanz scheint nur Augustin, der melancholische Vagant und Musikant, immun gegen die Seuche.

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Hansjörg Schneider

Der liebe Augustin

Schauspiel in sechs Bildern

Diogenes

Zum Stück

Im Herbst 1974 reiste ich mit der Absicht, ein Stück über den Schweizer Pionier General Sutter zu schreiben, nach Kalifornien. Die Pro Helvetia hatte mir das Billet Basel–Sacramento retour bezahlt. Ich saß zuerst mutterseelenallein zehn Tage in der Kongress-Bibliothek von Washington und las alles, was über den seltsamen General geschrieben worden war. Dann setzte ich mich in den Bus und fuhr drei Tage und drei Nächte, bis ich dort ankam, wo Sutter sein Fort gebaut hatte. Ich wusste schon im Bus, dass mir zu Sutter nichts einfallen würde, und es ist mir, außer einem Zeitungsartikel, auch nichts eingefallen. Hingegen fing in meinem Hinterkopf ein alter Theaterplan an zu rotieren: die Geschichte nämlich vom lieben Augustin, der im Pestjahr von 1679 in Wien gelebt, getrunken und gesungen hatte, der in eine Pestgrube gefallen und darin übernachtet hatte und dem die Pest nichts anhaben konnte. Ich erinnere mich, wie auf der Fahrt durch das ehemalige Cheyenne-Land ein schwarzer Adler mit rotem Kopf etwa hundert Meter neben dem Bus herschwebte, und dieser Aassucher bestärkte mich im Entschluss, den lieben Augustin vom Hinterkopf in mein vorderes Gehirn zu zerren.

Ich übernachtete drei Nächte in einem seltsamen Motel in Sacramento. Es war November, die Zeit, in der mein Heimatstädtchen Zofingen unter schwerem Nebel liegt, die Zeit, in der sich meine Mutter entschlossen hatte zu sterben. Von meinem Motelzimmer aus sah ich Palmen: seltsame Gewächse, die wie Plastik in einer fremden Sonne schimmerten. Meine nächtlichen Biere trank ich in einem Billardklub, der gleich neben dem Motel lag. Vor diesem Billardklub stand eine rote Limousine, die offenbar für 200 Dollars zu kaufen war. Ich hätte sie kaufen und damit beispielsweise nach Guatemala fahren können. Aber ich blieb drei Tage in meinem Zimmer und schrieb den lieben Augustin von Anfang bis zum Ende durch.

Natürlich habe ich das Stück seitdem überarbeitet, ich habe die Lieder geschrieben und den Schluss erweitert. Denn die Kraft ging mir damals aus, ich beseitigte wie ein grimmiger Charles Bronson sämtliche Figuren Knall auf Fall, bis nur noch Augustin übrig war, und dieser Augustin war ich. Also gab ich ihm eine Pistole in die Hand und ließ ihn sich erschießen.

Den Selbstmord habe ich später aus dem Stück herausgenommen, er wäre zu unverständlich, zu wenig begründet durch das Stück, weil man ja meine persönliche Geschichte nicht erfährt. Aber der Grundton des Stückes ist geblieben. Es ist ein trauriges Stück, ein Novemberstück, ein hermetisches Stück, weil es ja um mich geht, ohne dass ich mich erkläre, es ist ein Mutterstück, und ich widme es meiner Mutter.

H.S., 1983

Der liebe Augustin

Personen

AUGUSTIN

BEATRICE

ISABELLE

SUSANNE

WIRT

RATSHERR

SCHMIED

POLIZIST

die beiden PestlerMICHAELundGABRIEL

Ort:

Eine Wirtschaft, die zunehmend verfällt und zum Sterbeort wird.

Zeit:

Das Stück stützt sich auf die Figur des lieben Augustin, der 1679 in Wien während der großen Pest gesungen, getrunken, in einer Pestgrube geschlafen und überlebt hat. Das Stück spielt aber nicht 1679 in Wien, sondern irgendwann und irgendwo.

Erstes Bild

Die Wirtschaft ist leer. Auf treten Augustin und Beatrice. Beatrice mit einem Schellenbaum, Augustin z.B. mit einer Ziehharmonika.

AUGUSTIN

Hier ist der Augustin. Er steht da. Er setzt sich. Jetzt sitzt er. Er steht auf. Linkes Bein, rechtes Bein. Zwei erstklassige Beine. Er geht. Ein Finger, zwei Finger, drei, vier, fünf Finger. Fingerln. Zeherln. Beinerln. Da klopft was. Wer klopft? Der Augustin klopft nicht. Das Herz klopft. Da schnauft was. Es schnauft. Zu Beatrice Los, schellen.

BEATRICE

Es hat keinen Sinn, Augustin.

AUGUSTIN

Jetzt bin ich hier, aus dem Nirgendwo, wo nichts ist außer das Nirgend, und kein besonderes Nirgend, sondern irgend ein Nirgend, und aus einem Wo, von dem man nicht weiß wo. Ich will sagen, dass ich nichts will, außer sagen, dass ich nichts will, außer Sätze sagen:

Der Mensch meint

sein Leben sei wichtig.

Richtig ist:

Es ist nicht wichtig.

Das sind gute Sätze. Und ich mache weiter Sätze:

Der Mensch meint

er sei wichtig.

Richtig ist:

Er ist nicht wichtig.

Und das Gegenteil stimmt auch:

Das Leben ist darum wichtig

weil es nicht wichtig ist.

So ist es richtig.

Weiter. Beatrice ist eingeschlafen.

AUGUSTIN

Schlaf nur, schlaf. Stimmt, das Leben macht müde.

Es ist ermüdend zu leben. Singt.

Schlaf, mein Kind,

der Wind

streicht durch dein Haar.

Träum, mein Kind

der Wind

macht deine Träume wahr.

Susanne tritt auf. Augustin wendet sich an sie.

AUGUSTIN

Tanz, mein Kind,

der Wind

tanzt durch dein Haar.

SUSANNE

Was machen Sie?

AUGUSTIN

Die Zeit vertreiben.

SUSANNE

Möchten Sie Kaffee?

AUGUSTIN

Nein, Wein.

SUSANNE

Rot oder weiß?

AUGUSTIN

Rot oder weiß.

BEATRICE

Für mich Kaffee, bitte, und Semmeln.

SUSANNE

Ich hole Ihnen gleich welche. Bringt Wein und Kaffee.

AUGUSTIN

Die Wirtschaft ist sehr leer.

SUSANNE

Immer am frühen Morgen. Die Leute arbeiten.

AUGUSTIN

Was arbeiten die Leute?

SUSANNE

Arbeiten Sie nichts?

AUGUSTIN

Nein.

SUSANNE

Aber Sie machen Musik.

AUGUSTIN

Manchmal.

SUSANNE

Das ist auch eine Arbeit. Ich hole Ihnen die Semmeln.

Ab

BEATRICE

Im Grunde glaubst du die Sätze nicht, die du sagst.

AUGUSTIN

Und?

BEATRICE

Warum sagst du sie denn?

AUGUSTIN

Irgendeiner muss etwas sagen.

BEATRICE

Im Grunde willst du gar nicht leben.

AUGUSTIN

Ich muss nicht unbedingt leben.

BEATRICE

Du musst dich gegen das wehren.

AUGUSTIN

Gegen was?

BEATRICE

Du bist auf der Welt, und du musst leben.

AUGUSTIN

Man muss gar nichts.

BEATRICE

Du willst nichts mehr.

AUGUSTIN

Ich will hier sitzen, Wein trinken und ein bisschen Musik machen.

BEATRICE

Das, worauf du wartest, gibt es nicht.

AUGUSTIN

Stimmt nicht. Du wartest auf etwas, was es nicht gibt. Du wartest auf mich, und mich gibt es nicht.

BEATRICE

Der Wind macht die Träume nicht wahr.

AUGUSTIN

Geh doch, wenn du nicht bei mir bleiben willst.

BEATRICE

Du weißt, dass ich dich liebe.

AUGUSTIN

Ich dich auch.

BEATRICE

Ach lass das.

AUGUSTIN

Doch, ich glaube tatsächlich, dass ich dich liebe, Beatrice.

BEATRICE

Du liebst nicht einmal dich selber richtig.

AUGUSTIN

Ich bin so, wie ich bin, und nicht so, wie du willst, dass ich bin.

BEATRICE

Im Grunde bist du anders, als du jetzt bist.

AUGUSTIN

Wie bin ich denn?

BEATRICE

Hör mit dem Wein auf.

AUGUSTIN

Warum?

BEATRICE

Weil du so zugrunde gehst. Und ich auch. Du lebst, Augustin, du bist lebendig. Man muss das Leben, das man hat, leben.

AUGUSTIN

Ich mache nichts anderes.

BEATRICE

Ich kann nicht so leben wie du.

AUGUSTIN

Das musst du auch nicht.

BEATRICE

Warum willst du mich nicht verstehen?

AUGUSTIN

Ich verstehe dich sehr gut. Du willst gehen, weil du genug hast von mir.

BEATRICE

Ich habe nie einen Menschen so geliebt wie dich, und ich werde nie mehr einen Menschen so lieben wie dich. Auch wenn ich gehe, lebe ich nur durch dich. Verstehst du das?

AUGUSTIN

Du willst gehen. Also gehe.

BEATRICE

Komm mit, sonst gehst du kaputt.

AUGUSTIN

Ich gehe ohnehin kaputt.

BEATRICE

Es geht alles kaputt. Aber es kommt drauf an, wie etwas kaputt geht.

AUGUSTIN

Es schillert, es leuchtet, es stinkt, es verändert sich. Das ist Leben.

BEATRICE

So schöne Sätze sagst du.

AUGUSTIN

Geh bitte nicht.

BEATRICE

Soll ich bleiben?

AUGUSTIN

Ach geh zum Teufel.

BEATRICE

Du hast keine Ahnung von Liebe. Du hast keine Ahnung, was ein Mensch ist. Ich kann auch ohne dich leben.

AUGUSTIN

Ich brauche dich nicht.

BEATRICE

Ich will leben.

AUGUSTIN

Ein Stein lebt nicht, und es gibt nichts Schöneres als einen Stein, der in der Sonne liegt. Oder auch im Regen, wenn er leuchtet.

BEATRICE

Du bist kein Stein.

AUGUSTIN

Nein.

BEATRICE

Du bist wie porös. Manchmal denke ich, alles geht durch deine Haut in dich hinein. Deshalb liebe ich dich.

AUGUSTIN

Du hast eine Haut wie Wasser, eine Wasserhaut. Manchmal ist sie wie Pfirsich.

BEATRICE

Du hassest das Leben.

AUGUSTIN

Du hast eine Pfirsichhaut, und du schnaufst.

BEATRICE

Warum hassest du das Leben?

AUGUSTIN

Ich liebe alles, was schnauft. Alles geht kaputt.

BEATRICE

Komm mit.

AUGUSTIN

Wohin?

BEATRICE

Ich lasse dich jetzt.

AUGUSTIN

Es ist erst Morgen.

BEATRICE

Ich gehe. Sie geht

AUGUSTIN singt

Liebe ist, wenn man liebt.

Liebe ist, wenn man geht.

Es regnet

auf meine Träume.

Sie werden nass.

Ich bleibe trocken.

Die Sonne

brennt meine Gedanken.

Sie werden dürr.

Ich werde warm.

SUSANNE kommt mit den Semmeln

Wo ist Ihre Frau?

AUGUSTIN

Gegangen.

SUSANNE

Kommt sie nicht zurück?

AUGUSTIN

Nein.

SUSANNE

Das Leben ist zu kurz, um traurig zu sein.

AUGUSTIN