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Dass er mit diesem Mann nicht zusammenarbeiten kann, war dem erfahrenen Lieutenant Matt Holden direkt klar, als er den draufgängerischen Dean zum ersten Mal in Action erlebt hatte. Ein Mann, der seine Befehle nicht befolgte, der sich und andere in Gefahr brachte, der anscheinend unbedingt etwas beweisen wollte. Bis es zu einem folgenschweren Zwischenfall kommt, der das Leben von Matt ins Wanken bringt. Plötzlich ist Dean nicht mehr nur der Draufgänger, sondern ausgerechnet der Mann, der für Matt zu einer wichtigen Stütze wird. Wäre nicht die Regel, dass man nichts mit einem Mann im selben Team anfangen darf ... und dann auch noch als befehlshabender Lieutenant. Warum hatte er sich auch ausgerechnet von der ersten Sekunde an zu diesem Draufgänger hingezogen gefühlt, obwohl er ihn auf jeden Fall meiden wollte? Abgeschlossener Einzelband! Das Buch kann unabhängig von der Reihe gelesen werden.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
1. Matt
2. Dean
3. Matt
4. Dean
5. Matt
6. Dean
7. Matt
8. Dean
9. Matt
10. Dean
11. Matt
12. Matt
13. Dean
14. Matt
15. Dean
16. Matt
17. Dean
18. Matt
19. Dean
20. Matt
21. Dean
22. Matt
23. Dean
24. Matt
25. Dean
26. Epilog - Matt
27. Epilog - Dean
The Monarch Hill University - 2024
Copyright © Velvet Morgan 2022
Velvet Morgan c/o TEXTWERKSTATT
Sabrina Cremer, Körfken 80, 44227 Dortmund
Cover: Shutterstock
Korrektorat: Textwerkstatt - Sabrina Cremer
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Eine Vervielfältigung oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autoren gestattet. Sämtliche Handlungen und Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt. Orte, Markennamen und Lieder werden in einem fiktiven Zusammenhang verwendet. Örtliche Begebenheiten wurden teilweise dem Storyverlauf angepasst. Alle Markennamen und Warenzeichen, die in dieser Geschichte verwendet werden, sind Eigentum der jeweiligen Inhaber.
Da war er also. Der Moment, in dem mir klar wurde, dass meine Müdigkeit ein neues Rekordlevel erreicht hatte.
O mein Gott ... wie konnte man nur so fertig sein? So unglaublich erschöpft. Nicht physisch, sondern auch psychisch. Klar, es war nicht meine erste anstrengende Schicht gewesen, schließlich arbeitete ich schon seit vielen Jahren in diesem Job. Allerdings waren diese vierundzwanzig Stunden unendlich aufreibend gewesen. Zwei Großbrände, einer mit unzähligen Opfern, die wir nicht mehr retten konnten ... Das zehrte. Selbst an mir. Obwohl ich eigentlich bestens dafür bekannt war, stahlharte Nerven zu haben.
Heute war es einfach zu viel.
Deshalb würde ich mich jetzt auch nur noch auf meine Couch sinken lassen und durch die Kanäle zappen, bevor ich endlich ins Bett gehen konnte.
Tolle Aussicht, wenn man bedachte, dass es gerade einmal zehn Uhr morgens war. Vielleicht sollte ich mich einfach sofort hinhauen, doch dafür war ich ebenfalls viel zu aufgekratzt. Was ein Scheiß.
Ich stand mir selbst im Weg. Eine Eigenschaft, die ich von mir sonst eigentlich gar nicht kannte. Vielleicht hätte ich auch mal mit jemandem reden sollen, statt meinen Jungs ein offenes Ohr zu bieten. Doch genau das war meine Aufgabe als Lieutenant. Ich musste nicht nur dafür sorgen, dass sie alle sicher nach Hause kamen, sondern auch, dass es ihnen mental gut ging. Dass ich dabei selbst auf der Strecke blieb, wurde mir erst in Momenten wie diesem bewusst.
Es fiel mir schwer, vor den Jungs Schwäche zu zeigen. Auch wenn das bescheuerter Scheiß war, denn es ging bei uns im Team immer um Offenheit und Ehrlichkeit.
Etwas, das ich meinen Jungs andauernd predigte, auch wenn ich selbst wirklich schlecht darin war, meine eigenen Ratschläge zu befolgen.
Ein Klopfen an der Tür lenkte mich von der Entscheidung ab, welche Fernsehserie es wohl am ehesten schaffen würde, mich einzuschläfern. Ich musste nicht raten, wer auf der anderen Seite stand. Sammy. Mein Ein und Alles. Die einzige Frau in meinem Leben. Und auch die einzige Frau, die es jemals in mein Leben schaffen würde.
»Ach du scheiße. Du siehst aus, als würdest du jeden Moment im Stehen einschlafen«, sagte sie sofort. Natürlich entging ihr mein aktueller Zustand nicht. Ihr entging nie irgendetwas. Schließlich kannte sie mich länger als jeder andere Mensch auf der Welt. Der kleine Bruder, den sie nie haben wollte. Aber eine Schwester hatten meine Eltern nicht hingekriegt ...
Wenigstens würde ich ihr den Wunsch nach einem Schwager erfüllen. Vielleicht. Irgendwann. Wenn ich denn jemals einen Mann treffen würde, mit dem ich es auch aushalten konnte. Oder er mit mir. Doch das war definitiv nicht in Sicht. Seit meiner Trennung von Jasper hatte es einfach kein Kerl mehr geschafft, mich von sich zu überzeugen. Ihnen allen fehlte das gewisse Etwas, auch wenn ich selbst nicht so genau wusste, wonach ich eigentlich suchte.
Damals bei Jasper hatte ich es einfach gewusst. Ich hatte ihn angesehen und war von ihm mitgerissen worden. Wahrscheinlich wartete ich genau darauf, doch wie wahrscheinlich war es bitte, dass so etwas noch einmal passierte?
»Warst du bei dem großen Brand auch dabei?« Sammy verfolgte gerne die Nachrichten, wenn ich auf der Arbeit war. Sie hasste meinen Job und alles, was damit zu tun hatte. Nicht weil sie es nicht gut und sinnvoll fand, was ich dort machte, sondern weil sie unendliche Angst um mich hatte, und darum, dass ich irgendwann vielleicht nicht mehr nach Hause kommen würde.
Wir hatten schon unsere Eltern viel zu früh verloren. Vielleicht waren wir deshalb so unzertrennlich, dass wir sogar im selben Apartmentkomplex wohnten. Weil wir uns einfach nicht weiter voneinander entfernen konnten.
»Klar war ich dabei.«
»Scheiße. Gehts dir gut? Okay nein, vergiss es. Das war eine dumme Frage. Also, du weißt, dass ich auch morgens um zehn schon dafür bereit bin, tief ins Glas zu blicken, falls es das ist, was du jetzt brauchst.« Ich lachte auf bei ihren Worten, denn ich wusste, dass ich sofort mit Sammy durch die Bars ziehen könnte, wenn ich das wollte. Doch Alkohol war jetzt eigentlich das Letzte, wonach mir der Kopf stand. Ich musste diese Dinge fühlen, die ich gerade fühlte. Wenn ich sie betäubte, würden sie irgendwann nur noch schlimmer. Ein Rat, den ich meinen Männern auch immer gab.
Alkohol war schlicht und ergreifend keine Lösung, obwohl sich dieser Satz wie eine verdammt abgedroschene Floskel anhörte. Er war so viel mehr als das.
»Musst du eigentlich gar nicht arbeiten?«
»Hast du einen gegen den Kopf gekriegt?« Ich hob fragend die Augenbrauen, bis mir selbst klar wurde, dass heute Wochenende war. Bei den Vierundzwanzig-Stunden-Schichten konnte man schon mal den Überblick verlieren. »Okay, also kein Alkohol und nicht um die Häuser ziehen. Dann lass uns reden.« Sammy schob sich an mir vorbei und warf sich auf die braune Ledercouch, die in meinem viel zu kleinen Wohnzimmer stand und definitiv zu viel Platz einnahm. Eine typische New Yorker Wohnung halt. Zu wenig Platz, zu viel Miete, keinerlei Ausblick.
»Sammy, ich bin einfach nur müde und komplett im Arsch.«
»Oh, soll das in der Übersetzung so was wie ein Rausschmiss sein? Tja, Brüderchen, da muss ich dich leider enttäuschen. Ich gehe erst hier weg, wenn du dir die Last von der Seele geredet hast. Ich sehe dir nämlich an, dass du nicht nur müde bist.«
Ich hasste es, dass sie mich in- und auswendig kannte.
»Wir konnten nicht alle rausholen.«
»Fuck.« Ich nickte und setzte mich ebenfalls hin, wobei ich meinen Kopf gegen die Couch lehnte.
»Wem sagst du das. Ich weiß, es sollte mich nicht so mitnehmen und ich weiß auch, dass es nicht der erste Einsatz dieser Art war, aber ... fuck, es war einfach hart.«
»Dieser Job ist hart. Das alles, was du dort tust und was du in jeder Schicht sehen musst, ist hart. Aber da erzähle ich dir wohl nichts Neues, oder?« Sie hatte schon unendlich viele Male mit dieser Leier begonnen. Nicht weil sie mir etwas Böses damit wollte, sondern weil sie sich darum sorgte, wie es mir ging. Mit ihrer mütterlichen Art, die ich ihr wahrscheinlich auch niemals abgewöhnen konnte.
»Ich muss einfach nur schlafen. Ich bin seit vierundzwanzig Stunden ununterbrochen auf den Beinen. Ich hatte nicht mal die Chance, mich zwischen den zwei Großbränden auch nur eine Sekunde auszuruhen. Also eigentlich kein Wunder, dass ich vollkommen im Arsch bin, oder? Nach einer ordentlichen Nacht voller Schlaf wird alles gleich ganz anders aussehen. Dann lasse ich die Dinge auch nicht mehr so nah an mich heran, wie es jetzt durch die Erschöpfung halt einfach unwillkürlich der Fall ist.«
»Dann hau dich doch jetzt ein bisschen hin. So wirst du den Tag bis heute Abend nicht überstehen. Wie wäre es, wenn wir später etwas Leckeres zusammen kochen und den Abend zusammen verbringen?«
»Hast du kein Date heute? Ich meine, es ist schließlich Wochenende.« Ich konnte mir weder diese spitze Bemerkung noch das Grinsen verkneifen.
»Ach halt doch die Klappe, du Arsch! Man sollte nicht so laute Töne spucken, wenn man selbst nichts vorzuweisen hat, oder?«
»Wir haben halt beide nicht so das Händchen für Männer.«
»Ja, aber im Gegensatz zu dir versuche ich es wenigstens und gehe zu Dates.«
»Das ist mir viel zu anstrengend.«
»Wahrscheinlich glaubst du auch immer noch mit vollkommener Ernsthaftigkeit daran, dass dein Mister Right eines Tages einfach an deiner Tür klopft, was?«
»Wäre mir jedenfalls lieber, als meine freien Wochenenden bei irgendwelchen schlechten Dates zu verbringen.«
»Ja, ja, ja ...« Ich wusste, dass ich sie mit meinen Worten ärgerte. Meine Schwester war schon seit Jahren auf der Suche nach dem richtigen Mann fürs Leben, allerdings bislang absolut ohne Erfolg. Bis auf ein paar One-Night-Stands war einfach nichts dabei rausgekommen. Umso bemerkenswerter fand ich es, dass sie sich immer noch regelmäßig mit irgendwelchen Männern traf.
»Dein Plan hört sich übrigens gut an. Ich glaube, ich haue mich jetzt wirklich hin. Ich hab keine Ahnung, was ich noch im Kühlschrank habe.« Sammy und ich kochten oft zusammen. Immer bei mir, denn in ihrer Wohnung herrschte stets das totale Chaos. Als unsere Eltern damals die Lektion in Sachen Ordentlichkeit vollzogen hatten, war meine Schwester definitiv abwesend gewesen, denn sie hatte nicht einen Funken Sinn für diese Dinge. Ganz im Gegensatz zu mir.
»Kein Problem, ich gehe einkaufen. Hast du Lust, mal wieder Grandmas Bolognese zu machen?«
»Verdammt, ja! Darüber habe ich gerade ebenfalls nachgedacht. Das wäre ein Traum.«
»Gut, hätten wir das schon mal geklärt. Ich kaufe ein. Und du siehst zu, dass du eine Portion Schlaf bekommst. Ich empfehle eine Dröhnung klassische Musik. Dabei kann man einfach immer schlafen.«
»Du vielleicht.« Sammy grinste, bevor sie sich erhob. Es bedeutete mir viel, dass wir heute Abend zusammen kochen und essen würden, denn ich wollte wirklich nicht alleine sein. Auch wenn ich genau das natürlich nie zugeben würde. Nach außen hin hatte ich schließlich eine harte Schale.
Ich erhob mich ebenfalls, um direkt ins Schlafzimmer zu gehen, damit ich nicht erst weiter durch das vollkommen sinnlose Fernsehprogramm zappte.
Ob ich Schlaf finden würde, stand auf einem ganz anderen Blatt, aber wenigstens hatte ich es dann versucht.
Fünf Stunden später erhob ich mich aus meinem Bett und konnte nicht abstreiten, mich wirklich besser zu fühlen. Entgegen all meiner Erwartungen war ich sofort eingeschlafen und das sogar richtig fest.
Wie erwartet war ich jetzt deutlich sortierter, da es nicht mehr die Emotionen waren, die mich regierten. Ich würde mir mein Sportzeug anziehen und eine Runde joggen gehen, obwohl mein Körper nach der Schicht wahrlich keine zusätzliche Auspowerung brauchte. Doch mir selbst würde es guttun. Dafür kannte ich meinen Körper einfach zu gut. Fitness stand bei mir an erster Stelle. Schließlich setzte mein Job ein hohes Maß an körperlicher Fitness bereits voraus.
Wenn die Schicht nicht gerade so verlief, wie es bei der letzten der Fall war, nutzten wir im Team oft die Chance, unsere Körper in Form zu bringen. Sei es durch Trainingseinheiten im Fitnessraum oder durch Arbeitseinheiten und Übungen, die uns dabei halfen, noch besser und routinierter zu werden in dem, was wir taten.
Dabei waren wir in der Station 64 echt ein verdammt eingeschworener Haufen. Ich hatte damals, bevor ich zum NYFD gegangen war, immer davon geträumt, dass es sich anfühlen würde wie eine große Familie. So wie in den Fernsehserien, die ich schon als kleiner Junge verschlungen hatte. Mittlerweile wusste ich, dass es genau so war.
Und ich war der Papa Schlumpf, der Lieutenant dieser verrückten Meute, die mich einfach genau so akzeptierte, wie ich war.
Schwul zum Beispiel.
Scheiße, es war damals genau die richtige Entscheidung gewesen, sofort offen mit dem Thema umzugehen, obwohl ich ehrlich gesagt Angst gehabt hatte, nicht akzeptiert zu werden. Doch das genaue Gegenteil war der Fall. Natürlich akzeptierten die Jungs mich. Für sie spielte es wahrscheinlich auch gar keine Rolle, ob ich schwul war oder nicht. Sie mussten mir als Führungskraft vertrauen und das taten sie.
Obwohl ich schon einmal so unfassbar versagt hatte ...
An meinen Händen klebte Blut. Doch darüber wollte ich nicht nachdenken. Nicht eine Sekunde lang, denn ich wusste, dass es mich sonst zerbrechen würde.
Vielleicht hatte es auch nie aufgehört, mich zu zerbrechen ...
»Warum?«, stöhnte ich, als das Handy neben meinem Bett einfach nicht damit aufhören wollte, zu vibrieren. Verdammte scheiße, war mir denn jetzt nicht mal mehr an meinem freien Wochenende ein bisschen Schlaf vergönnt?
Als wäre die letzte Schicht nicht anstrengend genug gewesen.
Ein Blick auf das Display verriet mir, dass das Headquarter anrief. Die Schaltzentrale des NYFD, wo schon mehr als einmal über mein Schicksal entschieden worden war. Ich hatte keine Lust, zu erfahren, wo ich jetzt wieder eine Woche einspringen musste. Fuck, was hatte ich mir diesen Job doch toll vorgestellt. Bis ich dann die Realität kennenlernen durfte.
Da war nichts mit Zusammengehörigkeit. Nichts mit der großen NYFD-Familie. Nichts. Ich war ein bescheuerter Springer. Ein Mann, der überall und nirgends gebraucht wurde. Ich war der Lückenbüßer. Der Mann, der kam, wenn irgendjemand ausfiel. Und das schon seit drei Jahren.
Was hatten sie mir anfangs noch das Blaue vom Himmel erzählt, wie toll es doch wäre, in diesem Pool zu arbeiten und nicht fest in einem Haus. Natürlich auch mit einem entsprechend höheren Entgelt. Alles schön und gut und für den ein oder anderen vielleicht auch genau das Richtige. Nur eben nicht für mich. Ich sehnte mich nicht danach, jede Woche in einem anderen Haus zu arbeiten. Ich war zum NYFD gegangen, um endlich Anschluss zu finden. Um endlich irgendwo dazuzugehören. Irgendwo zu Hause zu sein. Doch selbst das war mir wohl einfach nicht vergönnt.
Ich sollte es längst gewohnt sein ...
»Spencer«, brachte ich hervor, auch wenn ich mich am liebsten gar nicht am Telefon gemeldet hätte. Ich war diese scheiß Anrufe so leid.
»Hallo, Mister Spencer, hier ist Cynthia Porter.« Immer die gleiche Frau, die mich anrief, um mir wieder einmal einen neuen Posten zuzuweisen. Witzigerweise war gerade sie so etwas wie eine Konstante in meinem Leben.
»Misses Porter, Sie haben mich gerade ganz schön unsanft aus dem Land der Träume gerissen«, sagte ich ehrlich und lauschte dem tiefen, donnernden Lachen der Frau, die nichts für ihre Aufgabe im HQ konnte.
Sie war wirklich sehr nett. Vor meinem geistigen Auge konnte ich sie mir bereits wieder hinter ihrem Schreibtisch vorstellen. Mit der Uniform, in die sie kaum noch passte, ihren kurzen roten Haaren und den leuchtenden Wangen. Sie war ein echtes Unikat, nur schade, dass sie bald in Rente ging. Wer auch immer dann dafür zuständig sein würde, mir ständig ein neues Haus zuzuteilen.
»Glauben Sie mir, Mister Spencer. Für diesen Anruf darf ich Sie auf jeden Fall aus dem Bett holen.«
»Ach wirklich?« Ich konnte mir die Ironie in meiner Stimme nicht verkneifen, denn ich bezweifelte, dass es gute Nachrichten waren. Oder besser gesagt kannte ich ihre Art von guten Nachrichten. Sie freute sich nämlich schon darüber, wenn sie mich zum zweiten Mal in Folge in irgendeinem Haus unterbringen konnte. Oder wenn sie mir sagen konnte, dass meine Anstellung in einem Feuerwehrhaus verlängert wurde. Wahrscheinlich konnte sie nicht ahnen, dass sie mir damit keinen Gefallen tat, denn ich hasste es, mich an die Leute zu gewöhnen, die ich danach doch nicht mehr wiedersah.
Außerdem stank es zum Himmel, immer der neue Springer zu sein, dem keiner etwas zutraute. Doch das war dann wohl mein Schicksal. Auch heute wieder.
»Wirklich! Und ich bin mir sicher, dass Sie das auch so sehen werden. Ich habe heute die außerordentlich gute Nachricht einer Festanstellung für Sie.« In tiefem Glauben, mich entweder verhört zu haben oder noch zu schlafen, setzte ich mich in meinem Bett auf. »Na, was sagen Sie jetzt?«
»Ich weiß nicht ... ich bin mir gerade nicht so ganz sicher.« Sie lachte wieder. Ich liebte ihr Lachen, es war einfach mitreißend, selbst in Momenten, in denen einem nicht zum Lachen war.
»Na, da habe ich jetzt aber mit mehr Jubel gerechnet. Es ist eine Anstellung im 64. Soweit ich weiß allerdings keine Station, mit der Sie Erfahrung haben.«
Ich konnte es mittlerweile gar nicht mehr nachvollziehen. Ganz im Gegensatz zu Cynthia, die immer genau Bescheid wusste. Über alles. Sie war einfach unglaublich und mit Sicherheit vollkommen unterfordert in ihrem Job, den sie jetzt allerdings noch bis zur Rente durchziehen wollte.
»Ich glaube, dass ich jubele. Jedenfalls werde ich damit anfangen, sobald ich verstanden habe, dass das wirklich passiert. Es passiert doch wirklich, oder?«
»Allerdings. Ich habe immer gesagt, dass ich erst gehe, wenn ich Sie untergebracht habe, oder?«
»Ich dachte, das wäre ein Witz gewesen.«
»Kein Witz, nein. Eine Mission. Die mir jetzt Gott sei Dank gelungen ist. Dann steht meiner Rente wohl nichts mehr im Weg.«
»Dann kann ich Sie auch ganz beruhigt in Rente gehen lassen, denn dann brauche ich ja nicht mehr wöchentlich mit dem HQ telefonieren, hoffentlich.«
»Das hoffe ich auch. Kommen Sie am Montag in mein Büro, dann können wir alle Formalitäten klären, okay?«
»Okay. Das hört sich nach einem guten Plan an. Haben Sie nicht Montag eigentlich immer frei?«
»O ja, eigentlich schon. Meine Woche geht von Mittwoch bis Sonntag, aber an diesem Montag mache ich einmal eine große Ausnahme, denn das möchte ich doch auf gar keinen Fall verpassen, wenn Sie endlich Ihre Papiere unterschreiben.«
Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen, denn ich wusste, dass Cynthia das vollkommen ernst meinte.
»Ich weiß Ihren Einsatz zu schätzen. Das wusste ich immer.«
»Und ich Ihr Durchhaltevermögen. Ich hatte wirklich immer Angst, dass Sie irgendwann hinschmeißen.«
»Ich doch nicht«, sagte ich lachend, denn vermutlich wollte ich mir selbst nicht einmal eingestehen, wie oft ich schon kurz davor gewesen war, eben doch alles hinzuschmeißen.
»Die Wache ist übrigens in Staten Island. Also genau dort, wo Sie auch wohnen. Damit entfällt sogar der lästige Fährweg für Sie.« Noch eine weitere gute Nachricht. Obwohl selbst das wäre mir egal gewesen, wenn ich dafür endlich irgendwo ankommen konnte.
»Wunderbar. Cynthia, ich danke Ihnen für die guten Nachrichten. Sie wollen aber jetzt nicht wirklich in Rente gehen, oder?«
»In drei Wochen ist mein letzter Tag beim NYFD. Und ganz ehrlich gesagt kann ich es kaum abwarten, endlich mehr Zeit mit meinen Enkelkindern zu verbringen.« Ich lächelte, denn genau so hatte ich sie auch eingeschätzt. »Wir sehen uns Montag, Mister Spencer.«
»Bis Montag, Misses Porter.« Kopfschüttelnd legte ich das Telefon zur Seite und ließ mich wieder zurück in meine Kissen sinken. Fuck! Wie lange hatte ich von diesem Tag geträumt und jetzt schien er wohl wirklich endlich gekommen zu sein.
Noch war der Vertrag nicht unterschrieben. Doch das war kein Grund, nicht zu feiern. Ich würde gleich heute Abend in die Bar fahren, um die Neuigkeiten mit Alex zu teilen. Meinem einzigen Freund, auf den ich mich Gott sei Dank immer verlassen konnte. Er war über die Jahre zu einem wirklich wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden. Vom Barbesitzer und Typen, der mir immer die Gläser füllte, zu einem echten Freund.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich ruhig auf den Weg unter die Dusche machen konnte. Wenn ich mit dem Motorrad noch eine gemütliche Runde drehte, würde ich genau zur besten Zeit in der Bar ankommen, um mit Alex kurz anzustoßen.
Für mehr war an einem Samstagabend eh keine Zeit, denn die Bar boomte, was mich verdammt freute für Alex. Er hatte hart dafür gearbeitet und war zwischendurch kurz davor gewesen, alles hinzuschmeißen. Gott sei Dank war genau das nicht passiert, sodass er seinen großen Erfolg jetzt in vollen Zügen auskosten konnte.
Noch immer vollkommen ungläubig stieg ich in meine Badewanne, um mich abzuduschen. Für eine separate Dusche war kein Platz gewesen. Genauso wenig wie für mehr als eine einzige Herdplatte. Aber egal, ich aß eh meist auf der Wache, auf der ich gerade war, oder holte mir etwas.
Kochen hatte mir nie jemand beigebracht.
Wer auch?
Dafür wäre ja ein gewisses Maß an Interesse für mich vonnöten gewesen und das hatten meine Eltern definitiv nicht besessen. Der komische Junge, der stets ein Außenseiter gewesen war. Immer anders – und jetzt natürlich schwul, das hatten sie ja schon immer geahnt. Vielleicht hatte ich ihnen nach ihrem Tod deshalb auch keine Träne nachgeweint. Wobei es mir bei meiner Mutter nähergegangen war als bei meinem Vater, was wahrscheinlich daran lag, dass sie sich noch ein wenig Mühe gegeben hatte, sich für mich zu interessieren.
Warum dachte ich gerade jetzt eigentlich darüber nach? Vermutlich weil ich mir wieder Gedanken dazu machte, wie sie es wohl finden würden, dass aus ihrem sonderbaren Verliersohn ein echter Feuerwehrmann geworden war.
Ein Feuerwehrmann mit einer festen Anstellung beim NYFD und einer festen Wache. Vielleicht würde es ja dann sogar noch etwas mit den Aufstiegschancen. Mindestens bis zum Captain wollte ich es schaffen. Ich musste es einfach schaffen!
Für niemand anderen, außer für mich. Das war das Gute daran, wenn man niemanden in seinem Leben hatte: Man musste keinem etwas beweisen.
Nachdem ich mich angezogen hatte, ging ich in das Wohnzimmer, das gleichzeitig als Esszimmer und Küche fungierte. Alles wild durcheinandergewürfelt, Hauptsache man bekam die Sachen überhaupt irgendwie alle unter. Willkommen in New York. Wenigstens waren die Preise in Staten Island noch ein wenig erträglicher als in der Stadt selbst.
Ich schwang mich auf mein Bike und fuhr einen verlängerten Weg durch Staten Island rüber zur Brücke nach New York. Eine weitere Sache, die ich einfach liebte. Ich fuhr nie mit der Fähre, sondern schlängelte mich lieber mit meinem schwarzen Bike durch den dichten Verkehr. Der Ausblick war einfach phänomenal. Wenn die Gebäude am Horizont immer näher kamen, gemischt mit dem Blau des Hudsons. Ich mochte diese Stadt, egal wie überlaufen und oberflächlich sie auch war. New York war meine Stadt. Ganz anders als mein Geburtsort Denver, wo ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht hatte.
Bis mein Vater beruflich mit uns hatte hierherziehen müssen. Als Lehrer hatte er eine Stelle in dem College seiner Träume bekommen. Doch er hatte nicht eine Stunde dort unterrichtet. Kurz nach dem Umzug war er in eine Schießerei verwickelt worden und gestorben. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Hätte ich damals schon gewusst, dass es der Anfang vom Ende für das war, was ich Familienleben nennen musste. Es war vorher mit meinem Vater schon nicht schön gewesen, doch alles, was danach kam, war der wirkliche Horror.
Ich musste jetzt aufhören, über diesen ganzen Scheiß nachzudenken. Das Cruisen mit dem Bike hatte es bis jetzt immer geschafft, mir einen klaren Kopf zu verschaffen und so auch heute. Und wenn ich dafür noch stundenlang durch die Gegend fahren würde. Das war mir scheißegal. Die Bar war eh noch bis in die frühen Morgenstunden geöffnet. Wann ich Alex also von den guten Nachrichten erzählte, spielte keine Rolle.
Als ich in der Bar ankam, war es schon fast Mitternacht und der Laden platze beinah aus allen Nähten. Gut, dass ich hier bekannt war, sodass ich mich einfach am dicken Eddy, wie der Türsteher wegen seiner breiten Schultern immer genannt wurde, vorbeischieben konnte.
An der Bar erblickte ich Alex schnell. Er schenkte gerade eine Runde Tequila an die feierwütige Meute vor dem Tresen aus. Mit einem Grinsen auf den Lippen. So wie immer. Wahrscheinlich würde ich auch grinsen, denn jedes Schnappspinnchen bedeutete für ihn bares Geld.
»Jooh, Dean, ich hab dich schon vermisst!«, sagte er direkt, als er mich erblickte, und zog mich über den Tresen in eine kurze Männerumarmung.
»Ich weiß, es ist Samstagabend und du hast einen Arsch voll zu tun, aber ich muss dir kurz etwas erzählen.«
Er deutete mit dem Kopf in Richtung Hinterzimmer, wo sich sein Büro befand. Wie immer nahm er sich die Zeit. So kannte ich ihn. Genau so.
»Dann schieß mal los!« Er ließ sich auf seinen Lederstuhl sinken, der noch vom Vorbesitzer der Bar in diesem Büro stand und seine besten Jahre schon ewig hinter sich hatte. Aber er war Kult, genau wie Alex selbst und wie das, was er aus dieser alten, heruntergekommen Bar gemacht hatte, ohne ihr den Charme zu nehmen. Genau deshalb kamen auch vor allem alteingesessene New Yorker hierher. Es war kein cooler Touristenhotspot, sondern ein Stück New Yorker Geschichte. Und entgegen aller Behauptungen wussten die New Yorker genau das eben doch zu schätzen.
»HQ hat angerufen.«
»Fuck, wohin wollen sie dich jetzt wieder verfrachten?« Er war bestens im Bilde darüber, wie es bei mir in den letzten vier Jahren seit dem Ende meiner Ausbildung verlaufen war.