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A couple who slays together, stays together A couple who slays together, stays together Für Krankenschwester Aly gibt es nichts Besseres als die maskierten Männer, deren Videos sie online von ihrem Alltag ablenken. Ein Account hat es ihr besonders angetan: perfekte Choreographien, heiße Musik, und der Typ ist echt sexy. Wie könnte sie da anders, als verführerische Kommentare zu schreiben? Als Josh diese liest, beschließt er, ihre Fantasie wahr werden zu lassen. Und was mit leichtem Stalking beginnt, wird bald richtig heiß. Gemeinsam leben sie ihre dunkelsten Sehnsüchte aus, doch sie ahnen nicht, dass Aly die Aufmerksamkeit von jemandem erregt hat, der weit finsterere Fantasien hat … Perfekt für Leser:innen von Brynne Weavers »Butcher and Blackbird«: Humorvoll, spicy und düster! Über die Autorin: Navessa Allen lebt mit ihrem Mann und ihren Katzen in Neuengland. Ursprünglich war ihre Idee für »Lights Out« nur ein kurzer Pitch für ein TikTok-Video, das jedoch unerwartet so viral ging, so dass sie die Geschichte tatsächlich aufschrieb! Und die Fans feiern es. Freu dich auf Band 2: RUSH IN der »Lights Out«-Reihe!
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Text bei Büchern ohne inhaltsrelevante Abbildungen:
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Aus dem amerikanischen Englisch von Vanessa Lamatsch
© Navessa Allen 2024
Titel der amerikanischen Originalausgabe: »Lights Out«, Zando, USA 2024
Translation rights arranged by The Sandra Dijkstra Literary Agency
All Rights Reserved
© der deutschsprachigen Ausgabe:
everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2025
Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)
Covergestaltung: zero-media.net, München nach einem Entwurf von Christopher Brian King
Covermotiv: Shutterstock.com
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Cover & Impressum
Contentwarnung
Widmung
1 Aly
2 Josh
3 Aly
4 Josh
5 Aly
6 Josh
7 Aly
8 Josh
9 Aly
10 Josh
11 Aly
12 Josh
13 Aly
14 Josh
15 Aly
16 Josh
17 Aly
18 Josh
19 Aly
20 Josh
21 Aly
22 Josh
23 Aly
24 Josh
25 Aly
26 Josh
Epilog
Aly
Danksagung
Anmerkungen
Inhaltsübersicht
Cover
Textanfang
Impressum
Lights Out ist eine Dark-Stalker-RomCom mit bedrückenden Themen und enthält potenziell triggernde Inhalte. Um euch das bestmögliche Leseerlebnis zu ermöglichen, findet ihr deshalb hier[1] eine Contentwarnung.
Euer everlove-Team
For everyone brave enough to ride the handle.
Der Neuen ging es nicht allzu gut. Als ich den Pausenraum betrat, saß sie auf einem der billigen, ungemütlichen Plastikstühle und starrte ins Leere. Ihre Krankenhauskleidung war verknittert, ihr unordentlicher Dutt verrutscht, und es standen einige Strähnen heraus, als hätte sie sich die Haare gerauft. Im Schein der Neonlampen wirkte ihre Haut bleich und wächsern.
Die beiden anderen Krankenschwestern im Raum machten einen großen Bogen um die Neue, warfen aber immer wieder besorgte Blicke in ihre Richtung, als fürchteten sie, sie könne sich übergeben oder in Ohnmacht fallen. Oder noch schlimmer, kündigen, wie es schon so viele getan hatten.
Nur über meine Leiche.
Wir brauchten sie. Ich konnte nicht weiterhin ständig Fünfzehn-Stunden-Schichten fahren, sonst würde ich einen Burn-out erleiden.
Ich atmete einmal tief durch, dann ging ich zu ihr und sank in die Hocke – neben ihr, damit ich nicht getroffen wurde, falls sie sich tatsächlich übergab. Sie schien mich nicht zu bemerken. Das war nicht gut.
»Hey. Brinley, richtig?«, fragte ich leise. In dem beruhigenden Tonfall, den ich auch einsetzte, wenn ich mit kranken Kindern sprach.
Sie blinzelte und wandte sich mir zu, ihre blauen Augen glasig und leer, als würde sie mich gar nicht richtig wahrnehmen. Das grenzte schon an einen Schockzustand. Ich musste es wissen; ich sah das in jeder Schicht bei mindestens einem meiner Patienten.
Ich neigte mich leicht zur Seite, ohne Brinley aus den Augen zu lassen. »Eine Decke?«
Ein Schlurfen verriet mir, dass jemand der Bitte Folge leistete, also drehte ich mich wieder nach vorne und schenkte der neuen Krankenschwester meine volle Aufmerksamkeit. Ich hatte den Tratsch über sie von meinen Kolleginnen gehört. Laut ihnen war Brinley seit drei Jahren Krankenschwester und vor Kurzem aus einer kleinen Notaufnahme auf dem Land zu uns gewechselt. Das war das erste Mal, dass sie in einem Trauma-Krankenhaus arbeitete.
Einige Leute kamen in normalen Notaufnahmen wunderbar klar, zerbrachen aber, wenn sie zu uns anfingen. Wir lagen in der Innenstadt, in einer Metropole, die für ihre hohen Kriminalitätsraten bekannt war. Es verging keine Schicht, in der wir nicht das Schlimmste vom Schlimmen sahen: Stichwunden, Vergewaltigungen, Schusswunden, Misshandlungsopfer, Überlebende grauenhafter Autounfälle … egal, was.
Der heutige Abend war besonders hart gewesen, selbst für mich, dabei hatte ich schon so viel Schreckliches gesehen, dass mich nur wenig aus der Bahn warf. Für jemanden, der wie Brinley neu im Trauma-Zentrum war, konnte das schwer sein … Was für ein verfluchtes Pech, dass sie ausgerechnet heute ihre erste nicht betreute Schicht hatte absolvieren müssen.
Aus dem Augenwinkel erblickte ich eine Decke. Ich nahm sie, ohne die hilfsbereite Person zu beachten, und legte den Stoff um Brinleys Schultern. Sie bewegte sich wie ein Roboter, zog mit fahrigen Bewegungen die Decke enger um sich.
»Seine Brust«, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstand. »Die ganze Mitte war einfach … weg.«
Ah, also hatte sie die Schussverletzung behandelt. Jemand hatte aus nächster Nähe abgefeuert. Es war erstaunlich, dass der Mann bei seiner Ankunft noch gelebt hatte – und gleichzeitig unglaublich traurig, weil wir in solchen Fällen quasi nichts tun konnten. Zu große Teile des Herzens, der Lunge und anderer wichtiger Organe waren beschädigt, um das zu überleben. Ich hatte gehört, dass er kurz nach seiner Ankunft im Krankenhaus gestorben war. Sie musste blutverschmiert gewesen sein, nachdem sie sich um ihn gekümmert hatte. Kein Wunder, dass sie andere OP-Kleidung trug als vorhin und ihr Haar feucht wirkte. Sie hatte wahrscheinlich duschen müssen, um alles abzuwaschen.
»Es gab nichts, was du hättest tun können«, erklärte ich ihr.
Sie schniefte, und zum ersten Mal schien sie mich wirklich zu sehen. »Ich weiß, aber … Gott. Ich glaube nicht, dass ich diesen Anblick je vergessen werde.«
Keine Sorgen, morgen wirst du etwas ähnlich Traumatisches sehen, und das wird dieses Bild überlagern, erklärte eine finstere Stimme in mir. Aber niemals hätte ich das laut ausgesprochen.
»Hat jemand dir von den Therapeuten erzählt?«, fragte ich sie.
»Dritter Stock, richtig?«
»Und wenn du Nachtschicht hast und mit jemandem reden willst, gibt es eine 24/7-Hotline.«
Unser Krankenhaus mochte uns Überstunden abverlangen, aber die Verantwortlichen räumten der geistigen Gesundheit der Angestellten eine hohe Priorität ein. Wir sahen täglich genauso viele schreckliche Dinge wie Soldaten an der Front, daher waren die Burn-out- und PTBS-Raten unglaublich hoch.
Ich sprach regelmäßig mit einem der Therapeuten. Das gehörte zu den wenigen Dingen, die mich halbwegs stabil hielten, während das Gesundheitssystem um uns herum zusammenbrach und so viele Leute die Branche verließen, dass wir auf allen Stationen notorisch unterbesetzt waren.
»Ich habe die Nummer der Hotline nicht«, sagte Brinley, und eine einzelne Träne lief über ihre Wange.
Das war ein Fortschritt. Mit Tränen konnte ich arbeiten. Tränen bedeuteten, dass der Verarbeitungsprozess begonnen hatte und das Risiko eines Schockzustandes sank.
»In welchem Spind sind deine Sachen?«, fragte ich. »Ich werde dein Handy holen und die Nummer einspeichern.«
Zwanzig Minuten später war Brinley wieder auf den Beinen, die Hände um eine Tasse dampfenden Kamillentee geschlossen. Ich hatte die Hotline in ihr Handy eingespeichert, sie zitterte nicht mehr, und langsam kehrte ein wenig Farbe in ihre Wangen zurück. Im Moment hielt sich nur noch eine andere Krankenschwester mit uns im Raum auf – statt der zwei anderen, wenig hilfreichen Schwestern von vorhin. Diese Krankenschwester war Tanya, eine schlanke Schwarze Mitte vierzig, die schon fast so lange in Trauma-Krankenhäusern arbeitete, wie Brinley am Leben war. Tanya war meine liebste Kollegin. Sie behielt unter Druck immer einen kühlen Kopf, konnte gut mit Patienten umgehen und wusste mehr über die Behandlung in Notfallsituationen als die meisten Ärzte, mit denen wir arbeiteten.
Im Moment stand sie mit Brinley am Fenster und sprach leise mit ihr, eine Hand auf der Schulter der jüngeren Frau. Ich hörte nur mit halbem Ohr zu, als ich meine und Brinleys Sachen einsammelte, weil ich darauf vertraute, dass Tanya die richtigen Worte fand, um Brinley zu beruhigen.
»Du hast dich wirklich gut geschlagen«, hörte ich sie sagen. »Und ich blase dir hier keinen Zucker in den Arsch, nur damit du dich besser fühlst. Ich habe Krankenschwestern mit viel mehr Erfahrung in solchen Nächten erstarren sehen … aber du hast dich zusammengerissen und getan, was du tun musstest.« Sie wandte sich an mich. »Unterstütz mich, Aly.«
Ich warf mir Brinleys Tasche über die Schulter und schloss mich den beiden an. »Sie sagt die Wahrheit«, meinte ich. »Soweit ich es gesehen habe, warst du mega. Und es ist absolut normal, danach ein bisschen zusammenzubrechen. Zu viel Adrenalin. Und deine Cortisol-Werte sind wahrscheinlich durch die Decke gegangen. Es liegt keine Schande darin, sich in ein kurzes Stresskoma zurückzuziehen. Ich mache das auch immer noch ab und zu, in wirklich schlimmen Nächten.«
Brinley wurde bleich. »Ich dachte, heute war schlimm.«
Ups. Zeit für einen Rückzieher.
»War es«, sagte ich. »Ich wollte damit nur sagen, dass ich heute Nacht nicht das Schlimmste abgekriegt habe. Ich glaube, diese Ehre gebührt dir und Mallory.«
Sie stieß zitternd den Atem aus. »Oh. Okay.«
Tanya wandte sich wieder an sie. »Hey, Aly wird dich nach Hause bringen. Ihre Schicht ist auch vorbei.«
Brinley sah zwischen uns hin und her. »Aber mein Auto steht hier.«
Tanya nickte. »Sicher, aber unserer Meinung nach solltest du jetzt nicht fahren.«
Brinley schien die Weisheit dieser Worte zu erkennen. »Ja, da habt ihr wahrscheinlich recht.«
»Keine Sorge«, meinte ich. »Ich habe mir deinen Dienstplan angesehen. Wir fangen morgen um dieselbe Zeit an, also werde ich dich auch zurückbringen. Du stehst auf dem Angestelltenparkplatz?«
Sie nickte.
»Dann sollte dein Auto sicher sein. Brauchst du noch irgendwas aus dem Wagen?«
Sie runzelte die Stirn. »Ich glaube nicht.«
Tanya nahm ihr die Tasse aus den Händen. »Dann solltet ihr von hier verschwinden, solange es noch geht.«
»Danke«, formte ich lautlos mit den Lippen in ihre Richtung.
Sie nickte erneut.
Es kam durchaus häufig vor, dass man nach seiner Schicht noch mal zu ein paar Stunden Arbeit verdonnert wurde, wenn man zu lange verweilte und irgendwer ein zusätzliches Paar Hände brauchte. Oder mehr Leute nötig waren, um zu helfen, einen Patienten zu stabilisieren. Aber dazu war Brinley gerade wirklich nicht fähig, und ich hatte sowieso schon ein paar Stunden länger gearbeitet. Es war Zeit zum Aufbruch.
Ich lenkte Brinley aus dem Krankenhaus. Wir nahmen die Hintertür, um niemandem mehr zu begegnen. Sie schwieg auf dem Weg, sah aber viel besser aus als vorhin, was ich als gutes Zeichen deutete.
»Lebst du mit jemandem zusammen?«, fragte ich sie.
»Mit meinem Freund.«
»Ist er gerade zu Hause?« Die Vorstellung von ihr allein zu Hause – sollte er nicht da sein – begeisterte mich nicht gerade.
Sie nickte. »Ist er. Ich habe ihm am Ende meiner Schicht geschrieben, bevor ich mich hingesetzt habe und … Nun ja. Du hast es ja gesehen.«
»Darüber reden hilft«, erklärte ich ihr. »Ich weiß nicht, wie empfindlich dein Freund ist, aber du könntest das alles besser verarbeiten, wenn du ihm erzählst, was du heute Abend durchgemacht hast.«
»Ich bin mir nicht sicher«, meinte sie, offensichtlich verunsichert.
»Du musst nicht ins Detail gehen. Nur eine grobe Erzählung. Und ich habe zusätzlich zur Therapeuten-Hotline meine Nummer in dein Handy gespeichert, also kannst du jederzeit auch mich anrufen.«
Sie schenkte mir einen erleichterten Blick. »Danke. Ich glaube nicht, dass er es nachvollziehen könnte, verstehst du?«
Ich nickte. Ich verstand in der Tat, wovon sie sprach. Anders als Brinley war ich Single. Oder etwas in der Art. Aber selbst, wenn ich mich gerade in einer Beziehung befunden hätte … Ich redete nicht mit Partnern über die Arbeit. Ich führte eigentlich nie ernsthafte Beziehungen – dafür war ich im Moment zu sehr auf meine Karriere konzentriert – und über einen schlechten Tag zu sprechen oder über meine Trauer, weil ich einen Patienten verloren hatte, fühlte sich an wie etwas, was man nur mit einem richtigen Partner tat. Deshalb kotzte ich mich überwiegend bei den Therapeuten oder anderen Krankenschwestern aus. Der Ausdruck auf Brinleys Gesicht verriet mir, dass sie es ähnlich halten würde. Zivilisten – wie wir Leute nannten, die nicht im Gesundheitssystem oder in der Notaufnahme arbeiteten – verstanden unsere Probleme meist einfach nicht.
Auf der Heimfahrt unterhielten wir uns über unwichtige Themen wie die neueste Serie, die aktuell alle schauten, um uns von der Nacht abzulenken, die wir gerade durchgestanden hatten. Als ich Brinley bei ihrem kleinen Häuschen absetzte, ging die Sonne auf. Sie glänzte auf den Hochhäusern in der Ferne und tauchte den Himmel in Farbtöne, die vom tiefen Purpur eines frischen Blutergusses bis zum Rot von sprudelndem, arteriellem Blut reichten.
Gott, bin ich heute Morgen morbide, dachte ich, als ich den Blick vom Himmel losriss.
Ich hatte so viel Zeit damit verbracht, Brinley erst zu helfen und im Anschluss abzulenken, dass ich meine eigene Drecksschicht noch gar nicht richtig verdaut hatte. Da war der Kerl gewesen, der drei Messerstiche abbekommen hatte. Und eine Frau mit gebrochenem Handgelenk, blutiger Nase und einem schuldbewusst wirkenden Ehemann, der ihr nicht erlaubte, für sich selbst zu sprechen. Gefolgt von einem Zweijährigen mit so schlimmem RSV, dass wir ihn mit dem Hubschrauber in ein Kinderkrankenhaus hatten schicken müssen.
Am härtesten hatte mich der Obdachlose mit den Erfrierungen getroffen. Nicht, weil es ein besonders schlimmer Fall gewesen wäre – es waren relativ leichte Erfrierungen und er würde all seine Zehen behalten –, sondern weil niemand in meiner Schicht seinen Raum hatte betreten wollen, da er stank, und alle sich so laut darüber beschwert hatten, dass er sie wahrscheinlich gehört hatte. Das brach mir das Herz und machte mich gleichzeitig wütend, also hatte ich alle weggeschickt und mich selbst um ihn gekümmert.
Dies waren inzwischen die Fälle, die mich nicht mehr losließen – nicht die übermäßig blutigen, sondern die traurigen. Ich konnte einfach nicht anders, als darüber nachzudenken. Wo war die Familie dieses Mannes? Suchten sie nach ihm? Was war mit der Frau, die von ihrem Ehemann misshandelt wurde? Würde sie es schaffen, ihm zu entkommen, bevor er sie erneut verletzte?
Die Heimfahrt verging in einem Nebel aus solchen Gedanken. Bevor ich wusste, wie mir geschah, bog ich auch schon in meine Einfahrt ab. Die Straße war dunkel genug, dass mein Haus von funkelnden Lichterketten beleuchtet wurde. Wir hatten zwar schon die zweite Januarwoche, aber ein paar meiner Nachbarn hatten ihre Weihnachtsdekorationen noch draußen, also hatte auch ich es nicht eilig, sie abzunehmen. Das fröhliche Blinken dieser Lichter in der Morgendämmerung war genau der Stimmungsaufheller, den ich brauchte – Hauptsache, ich konnte die Dunkelheit in Schach halten.
Ich schaltete den Motor ab und stieg aus. Mein Haus war nichts Besonderes, nur ein kleines Cottage im Craftsman-Stil mit zwei Schlafzimmern in einem mittelsicheren Viertel. Aber es gehörte allein mir, und ich war verdammt stolz darauf, wie ich das Haus hergerichtet und ihm meinen Stempel aufgedrückt hatte. Die Verkleidung war in einem altertümlichen Blaugrün gehalten, die Zierleisten waren weiß, und die kleine vordere Veranda wirkte dank des weihnachtlichen Willkommensschilds und des Weihnachtsbaums, auf dem Lametta und Kugeln glänzten, sehr festlich.
Das Innere war genauso fröhlich. Ich hatte keine nennenswerte Familie mehr. Damit, dass ich mein Haus von oben bis unten dekorierte, lenkte ich mich von der deprimierenden Tatsache ab, dass ich die Feiertage jedes Jahr entweder allein oder auf der Arbeit verbrachte.
Ein lautes Jaulen durchschnitt die Luft, während ich die Tür hinter mir schloss und die Schuhe abschüttelte.
Nun, ganz allein war ich nicht. Ich hatte Fred zur Gesellschaft. Er musste auf meinem Bett tief und fest geschlafen haben, als ich eingetreten war, weil das Jaulen in der Ferne begann und immer lauter wurde, während er auf mich zukam – fast wie ein Krankenwagen auf dem Highway.
Mann, er ist wirklich laut, wenn er sauer ist. Wenn er so weitermachte, würden meine direkten Nachbarn denken, ich hätte ihm etwas angetan.
»O mein Gott, Fred«, sagte ich, als mein schwarz-weißer Langhaarkater um die Ecke gesaust kam. »Es ist alles gut. Ich komme diesmal nur ein paar Stunden zu spät.«
Sobald er mich erreicht hatte, hob ich ihn hoch und drehte ihn, sodass ich mein Gesicht in seinem weichen Bauchfell vergraben konnte. Meine Mom hatte das in meiner Kindheit immer »Fell-Therapie« genannt. Wenn sie nach einem langen Tag auf der Arbeit nach Hause kam, begrüßte sie weder Dad oder mich, sondern ging direkt zu einer unserer Katzen und kuschelte mit ihr, bis diese sich ihr entzog. Sie hatte sich danach immer besser gefühlt, also hatte ich dasselbe mit Fred gemacht, schon einen Tag, nachdem er als vollkommen durchnässtes Kätzchen, das irgendwie dem Gewitter entkommen wollte, in meinem Garten aufgetaucht war. Keine Ahnung, ob es daran lag, dass ich so früh damit begonnen hatte, aber er tolerierte die Fell-Therapie ziemlich gut, schnurrte und machte Milchtritte an meinem Kopf.
Wahrscheinlich wirkte ich auf Leute, die selbst keine Katze besaßen, wie eine Irre … Aber das war mir vollkommen schnurz. Ich vertraute schon rein prinzipiell niemandem, der keine Katzen mochte, also wäre nie eine solche Person in meiner Nähe, um über mich zu urteilen.
Sobald ich genug gekuschelt hatte, setzte ich Fred auf den Boden. Er trottete hinter mir her, als ich ins Schlafzimmer ging, um mich umzuziehen. Man sollte meinen, nach einer solch langen Schicht wäre ich müde, aber ich war hellwach. Wahrscheinlich, weil ich gelernt hatte, innerhalb von Sekunden einzuschlafen, und immer einen Ort fand, um mir ein erholsames Fünf-Minuten-Nickerchen zu gönnen, wenn es mal ruhig war. Zwischen Mitternacht und ein Uhr war seltsam wenig los gewesen, also hatte ich eine ganze Stunde geschlafen. Tanya hatte mir erzählt, dass eine der Stationsschwestern – jemand, der in einem höheren Stockwerk auf einer der Fachstationen arbeitete – beim Abholen von Laborproben erwähnt hatte, wie ruhig es war … und uns damit quasi verflucht hatte. Krankenschwestern in der Notaufnahme waren klug genug, so etwas nicht laut auszusprechen.
Ich duschte, schlüpfte in meinen bequemsten Pyjama, goss mir ein riesiges Glas Weißwein ein und kuschelte mit Fred auf der Couch. Fast war ich in Versuchung, den Fernseher anzuschalten und für eine Weile einfach nur abzuhängen, aber ich hatte während meiner Schicht nicht einmal auf mein Handy gesehen, daher riefen die Social-Media-Benachrichtigungen förmlich nach mir.
Ich ergab mich ins Unvermeidliche, öffnete meine Lieblings-App und fing an zu scrollen. Es gab die erwarteten Videos von süßen Tieren, die putzige Dinge taten, Leuten, die sich wie Idioten benahmen und sich damit Ärger einhandelten, Storys über Ex-Freunde und muskulöse Leute, die vor Spiegeln posierten. Aber vor allem gab es Thirst Traps. Vor allem Thirst Traps von Männern, die irgendeine Art von Maske trugen. Meine Besessenheit von diesen Videos hatte im Herbst angefangen, als dieses Unter-Genre von Videos groß wurde, dank geiler Bücherliebhaber und lüsterner Zuschauender wie mir.
Mit einer Hand kraulte ich Fred die Ohren. Der Daumen der anderen Hand war eifrig damit beschäftigt, den Like-Button für Videos von Männern in vollem Cosplay zu drücken. Sie waren in futuristische Militäruniformen gekleidet, ein paar sogar in Horrorfilmkostüme. Besonders liebte ich die Kerle mit Geistermasken. Bei den Männern mit nacktem Oberkörper lief mir das Wasser im Mund zusammen. Wenn dann noch ein Messer und ein bisschen Kunstblut dazukam, folgte ich ihnen sofort.
Mein absolut liebster Content Creator war ein Nutzer mit dem Usernamen the.faceless.man, weil er alles hatte, was ich besonders liebte: eine speziell angefertigte Maske, die anders war als alle anderen, sinnlich und beängstigend zugleich, dazu Muskeln, gute Ausleuchtung, eine tolle Musikauswahl und ein instinktives Verständnis dafür, wie man seine Follower fesselte und dafür sorgte, dass sie um mehr bettelten. Ich hatte eine Menge seiner Videos als Favoriten markiert und sah sie mir immer mal wieder an, wenn ich nach einer schlimmen Schicht Abwechslung brauchte.
Wie heute.
Ich leerte mein Weinglas – verdammt, ich hatte beim Scrollen jedes Zeitgefühl verloren – und stand auf, um mir mehr zu holen. Fred sprang von der Couch und rollte sich in seinem Plüschhaus neben dem Fernseher zusammen, was bedeutete, dass er genug Streicheleinheiten gehabt hatte. Ich kontrollierte seine Futter- und Wasserschüssel – beide immer noch gut gefüllt – und kippte den Rest des Weins in mein Glas. Wenn ich das getrunken hatte, hätte ich eine halbe Flasche intus.
Jap, bald wäre ich angetrunken und hoffentlich müde. Mir blieben nur zehn Stunden, bevor ich die nächste Schicht antreten musste, und ich musste dringend den ganzen Schlaf nachholen, den ich während des üblichen Feiertagswahnsinns in der Klinik verpasst hatte.
Ich setzte mich wieder, zog die Decke über mich und rief die Videos des Gesichtslosen auf, wie ich ihn inzwischen nannte. Es fiel mir schwer, ein Lieblingsvideo zu nennen – aber wenn jemand mir eine Waffe an den Kopf gehalten und erklärt hätte, ich müsste es tun, wäre es wohl das, wo er mit nacktem Oberkörper auf der Couch lag. Sein Kopf ruhte auf der Armlehne, und rotes Licht beleuchtete die Szene. Er war nur von den Rippen aufwärts sichtbar, seine Haut mit Tätowierungen übersät. Seine Muskeln zuckten rhythmisch, auf eine Weise, die andeutete, dass er sich gerade einen runterholte, aber nicht so deutlich, dass er deswegen gesperrt worden wäre.
Ich wusste nie, was ich anstarren sollte, wenn ich das Video ansah. Seinen Bizeps, der sich bei jeder Bewegung spannte? Oder seine Brust, die sich in schweren Atemzügen hob und senkte, als er sich dem Höhepunkt näherte? Oder sollte ich mich darauf konzentrieren, mir einfach vorzustellen, wie seine Hand seinen harten Schwanz umfasste?
Am Beginn des Videos starrte der Gesichtslose an die Decke, aber gegen Ende drehte er den Kopf, um direkt in die Kamera zu schauen. Und obwohl ich wusste, dass eine Maske keine Miene haben konnte, fühlte es sich doch so an. Es war, als schauten diese leeren schwarzen Augen direkt in meine Seele, als riefe dieser grinsende Mund meinen Namen, während er kam. Das Video brach ab, sobald er den Kopf gedreht hatte. Und es war schon fast peinlich, wie oft ich das Video in diesem Moment angehalten hatte, damit ich noch ein paar Sekunden länger in diese Augen blicken konnte.
Wie wäre es, mit ihm im Raum zu sein, wenn er solche Videos drehte? Diejenige zu sein, an die er dachte, während er sich berührte? Oder noch besser, eines Tages nach Hause zu kommen und festzustellen, dass er genau auf dieser Couch auf mich wartete, in der Dunkelheit, überzogen mit Blut, während ein Lichtstrahl auf der Klinge seines Messers schimmerte?
Der Gedanke ließ mich vor Erregung und Angst erschaudern. Die Art, wie ich mich danach sehnte, war wahrscheinlich nicht gesund, aber bei all dem scheußlichen Zeug, das ich im Traum-Zentrum sah – und dank meiner kranken Jugend – war es vermutlich nur natürlich, dass meine sexuellen Fantasien eher finster waren.
Vielleicht würde Tyler so eine Maske für mich tragen, dachte ich.
Genau, Tyler. Der Kerl, mit dem ich inzwischen seit fast einem Jahr regelmäßig in die Kiste sprang.
Ich hatte in letzter Zeit kaum an ihn gedacht. Es war nicht so, als wäre er so leicht zu vergessen – er sah gut aus und war nicht schlecht im Bett –, aber wenn im Krankenhaus viel los war, neigte ich dazu, mich in der Arbeit zu verlieren. Und das war wegen des Personalmangels in letzter Zeit oft geschehen.
Wann hatten wir uns das letzte Mal getroffen? Es musste mindestens vor Weihnachten gewesen sein. Was bedeutete, dass es Zeit für eine Verabredung zum Sex wurde. Morgen war die letzte Schicht für diese Woche, und dann hatte ich zwei wunderbare Tage frei. Gab es eine bessere Art, sie zu verbringen, als unter einem Mann, der tatsächlich wusste, was eine Klitoris war?
Ich leerte mein Weinglas, euphorisiert von der Vorstellung, im wahren Leben einen maskierten Mann zu erleben. Bevor ich es mir noch mal anders überlegen konnte, machte ich einen Screenshot von meinem Lieblingsvideo und schickte es Tyler, zusammen mit einer Nachricht.
Aly
Ich habe ab Freitag zwei Tage frei. Willst du an diesem Abend vorbeikommen und eine solche Maske mitbringen? Ich verspreche, es wird auch für dich interessant.
Seine Antwort erreichte mich erst am nächsten Tag, nachdem ich bereits ein paar Stunden gearbeitet hatte – weil er wie jeder normale Mensch geschlafen hatte, als ich die Nachricht geschickt hatte.
Mein Herz wurde schwer, als ich seine Antwort las.
Tyler
Verdammt, Mädel. Du lebst noch? Ich dachte, du hättest mich geghostet. Das letzte Mal habe ich vor zwei Monaten von dir gehört. Was die Maskensache angeht: nein, danke. Auf so was stehe ich nicht, und ich gehe sowieso gerade mit jemandem aus.
Zwei Monate? War das wirklich schon so lange her? Ich scrollte durch unseren Textthread und Scheiße, es stimmte. Vielleicht wurde es Zeit für eine weitere Therapiesitzung, in der ich um Tipps bat, wie man neben der Arbeit noch ein Privatleben aufrechterhielt.
Denn in diesem Punkt versagte ich offensichtlich total.
»Bei dir alles okay, Mann?«, fragte ich meinen Mitbewohner. Wir hatten unser Videospiel vor fünf Minuten angehalten, damit er jemandem schreiben konnte, und mir wurde langsam langweilig.
Tyler ließ sich wieder neben mir auf die Couch fallen. »Sicher. Ich musste nur die Sache mit diesem Mädel, Aly, beenden, mit der ich hin und wieder Sex hatte.«
Ich runzelte die Stirn. »Ich dachte, das wäre seit Monaten vorbei.«
Er schüttelte den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch sein dunkelblondes Haar, wobei er den Bizeps anspannte und den Kopf drehte, um seine eigenen Muskeln anzustarren.
»Hör auf mit der Scheiße«, lag mir schon auf der Zunge, aber ich hielt die Klappe. Hier gab es niemanden, den Tyler beeindrucken musste, aber er war schon immer eitel gewesen, seitdem ich ihn kannte. Und er posierte tatsächlich, ohne es selbst zu merken. Inzwischen hatte sich das fast zu einem nervösen Tick ausgewachsen, also musste ihn die Aly-Situation mehr stören, als er sich anmerken ließ.
»Ich dachte, sie hätte mich geghostet«, sagte er. »Aber wahrscheinlich hatte sie einfach wieder viel Arbeit.«
Ich wandte mich dem Fernseher zu und versuchte, mich natürlich zu geben. »Sie ist Krankenschwester in der Notaufnahme, richtig?«
Das wusste ich eigentlich bereits, genauso wie mehrere andere Informationen – ihre Adresse, welche Krankenschwesternschule sie besucht hatte, wie ihre Noten gewesen waren und wie ihr momentaner Schichtplan aussah. Ihr wisst schon: Ganz normale Dinge, die Leute über die Ex-Aufrisse ihrer Mitbewohner eben so in Erfahrung bringen.
»Ja«, meinte Tyler. »Ich habe zwei Monate nichts von ihr gehört. Und schau dir an, was für einen Dreck sie mir dann geschickt hat.«
Er zog das Handy aus der Tasche, entsperrte es und warf es mir zu. Ich fing es in der Luft auf und senkte den Blick, nur um kurz zu erstarren, als ich das Display sah.
O verdammt.
Es war so weit. Jetzt war der Tag gekommen, vor dem ich mich fürchtete, seitdem ich vor zwei Jahren diesen geheimen Social-Media-Account gestartet hatte. Mein Onlineleben kollidierte mit meinem realen Leben. Ich würde auffliegen.
Immer cool bleiben, Mann, ermahnte ich mich selbst. Tyler beobachtete mich, und ich durfte mir nicht anmerken lassen, wie viel Panik ich gerade empfand. Aber, verdammt, Aly hatte einen Masken-Kink! Und von all den Screenshots, die sie meinem Mitbewohner hätte schicken können, hatte sie ausgerechnet diesen gewählt.
Ich räusperte mich. »Du hast nie erwähnt, dass sie auf so was steht.« Was seltsam war, weil Tyler die Angewohnheit hatte, mir jedes Detail seines Sexlebens zu berichten, obwohl ich ihn häufig angefleht hatte, den Mund zu halten.
Er schnaubte. »Ich wusste nicht, dass sie darauf steht. Also ist es gut, dass ich gerade mit Sarah ausgehe, weil das echt nicht mein Ding ist. Ich will einfach nur rein, kommen, raus und verschwinden. Ich stehe nicht auf Spielchen.«
Wie traurig für die Leute, mit denen er schlief.
»Verstehe ich«, log ich, dann drehte ich das Handy, als wollte ich das Bild genauer ansehen … und ups, da rutschte doch mein Daumen ab. »Mist. Ich habe die Nachricht gerade aus Versehen gelöscht.«
Tyler zuckte mit den Achseln. »Ist okay. Ich brauche kein Bild von irgendeinem halb nackten Kerl auf meinem Handy.«
Irgendein halb nackter Kerl, dachte ich, als ich ihm sein Telefon zurückgab. Also hatte er das Bild nicht allzu genau angeschaut. Denn wenn er das getan hätte, hätte er die Tätowierungen erkannt. Meine Tätowierungen. Eine Frau, mit der er geschlafen hatte, hatte ihm einen Screenshot aus einem meiner Videos geschickt … Hätte ich nicht fast gezittert vor Adrenalin und Angst, entdeckt zu werden, hätte ich gelacht.
»Bist du bereit?«, fragte er und hob den Controller.
»Klar.«
Er ließ das Spiel weiterlaufen, und wir machten uns wieder daran, auf alles zu schießen, was sich bewegte. Ich versuchte wirklich, mich auf den Splitscreen vor mir zu konzentrieren, aber ich konnte nur an diese Nachricht denken. Aly wollte von jemandem gefickt werden, der eine Maske trug.
Ich hatte sie nur einmal getroffen, aber sie hatte Eindruck hinterlassen. Das war im Sommer gewesen, an einem frühen Morgen, nachdem sie die Nacht in Tylers Bett verbracht hatte – nicht, um zu schlafen. Ich war ebenfalls wach gewesen und hatte die seltsame Akustik in unserer Wohnung verflucht, bis ich meine Noise-Cancelling-Kopfhörer gefunden und die Geräusche mit Musik übertönt hatte.
Ich schlief immer schlecht, also hatte ich nicht damit gerechnet, dass sonst irgendwer wach war, als ich mehrere Stunden später aufgegeben hatte und aufgestanden war, um Kaffee zu kochen. Tylers Tür öffnete sich langsam, gerade als die Maschine piepte, um mich wissen zu lassen, dass der Kaffee fertig war. Ich hatte mich halb umgedreht, weil ich mit meinem Mitbewohner gerechnet hatte … nur um stattdessen eine Frau zu entdecken. Eine große Frau – was ungünstig war, weil das Hemd, das sie trug – eines von Tylers –, kaum ihre Intimzone bedeckte. Mein Blick war sofort nach unten gesunken, um ihre langen Beine zu betrachten. Tyler hatte sie im Fitnessstudio getroffen, und sie sah aus wie jemand, die regelmäßig Gewichte stemmte: breite Oberschenkel, definierte Unterschenkel. Und das, was ich von ihren Armen sehen konnte, wirkte genauso muskulös.
Ich hatte den Blick wieder gehoben, sobald mir auffiel, dass ich starrte … nur um es sofort zu bereuen. Aly war heiß. Nicht, dass ich etwas anderes erwartet hatte; Tyler ging immer mit attraktiven Menschen aus. Aber sie war eher eindrucksvoll als schön, mit spitzem Kinn, vollen Lippen, die aussahen, als wären sie in der letzten Nacht ausgiebig benutzt worden, einer Nase, die meine Mutter als eindeutig italienisch beschrieben hätte, und großen, dunklen Augen. Ihr braunes Haar war zerzaust und fiel ihr in unordentlichen Locken bis tief in den Rücken.
Das Lächeln, das sie mir schenkte, als unsere Blicke sich trafen, ließ mich fast erblinden. »Bitte sag mir, dass du genug Kaffee für zwei gekocht hast.«
Ich gab ein zustimmendes Brummen von mir und wandte ihr den Rücken zu.
Sie hatte versucht, mit mir zu plaudern. Ich war nicht direkt unhöflich gewesen oder irgendwas, aber ich hatte Abstand gewahrt, den Kopf abgewandt gehalten und nur einsilbige Antworten gegeben, sodass sie relativ schnell verstummte. Um das auszugleichen, goss ich ihr zuerst einen Kaffee ein und stellte die Tasse so auf die Arbeitsfläche, dass sie sie mühelos erreichen konnte. Dann hatte ich auch meine Tasse gefüllt und war eilig verschwunden.
Tyler hatte ihr nicht erzählt, wer ich war. Er hütete sich davor, das zu tun. Aber ich konnte nicht riskieren, dass sie mir zu lange ins Gesicht schaute und sich fragte, an wen ich sie erinnerte. Ich sah meinem gottverdammten Vater einfach zu ähnlich … und zu diesem Zeitpunkt war gerade diese Netflix-Doku über ihn herausgekommen. Bei meinem Pech hatte Aly sie wahrscheinlich gesehen.
Dank dieser Dokumentation war der ganze Sommer schrecklich gewesen, sodass ich kaum die Wohnung verlassen hatte. Wann immer mein toller Vater in den Nachrichten war, hielten mich Leute auf der Straße oder im Supermarkt an und erklärten: »Ich weiß nicht, ob Ihnen das schon mal jemand gesagt hat, aber Sie sehen genau aus wie der Kerl, über den ich gerade einen Artikel gelesen habe.« Oder sie hatten einen Podcast über ihn gehört. Oder eine True-Crime-Episode geschaut, die sich mit seinen vielen Missetaten beschäftigte.
Mit der Dokumentation kam eine neue Welle des öffentlichen Interesses. Ich hatte Monate damit verbracht, die Leute davon abzuhalten, mich oder meine Mom und meinen Stiefvater zu finden. Alle waren scharf auf ein Exklusivinterview mit den überlebenden Familienmitgliedern von George Marshall Secliff … und manchmal nutzten sie auch illegale Methoden, um uns aufzuspüren. Deswegen hatte ich noch in der Highschool mit dem Hacken angefangen. Ich hatte uns dreien helfen wollen, aus dem Internet zu verschwinden. Und um das zu erreichen, hatte ich so viel gelernt, wie ich nur konnte.
Letztendlich hatten sich diese Fähigkeiten bezahlt gemacht. Jetzt arbeitete ich für eine exklusive Cybersecurity-Firma und schrieb Codes, die andere Hacker davon abhielten, Fortune-500-Firmen zu infiltrieren und das Geld ihrer Kunden zu stehlen. Das erlaubte mir, von zu Hause zu arbeiten, mit flexiblen Arbeitszeiten und genug Freiraum, mich auch anderen Hobbys zu widmen.
Wie Thirst Traps für all die anderen Maskenenthusiasten dort draußen zu filmen.
Der Grund, warum ich kaum das Haus verließ, war auch der Grund, warum ich so gut wie keine Dates hatte. Obwohl mein Haar dunkler und kürzer war als das meines Dads, sahen wir uns einfach verdammt ähnlich. In meiner Jugend war mein Gesicht noch schmaler und es demnach noch nicht so schlimm gewesen. Der Look des dürren Jungen hatte mich gerettet. Aber jetzt, wo ich zum Mann herangewachsen war und langsam in das Alter kam, das Dad gehabt hatte, als man ihn erwischt hatte, war ich quasi eine Kopie seines Verbrecherfotos.
Eine der ersten Fragen, die ich den Frauen stellte, die ich über Dating-Apps fand, war, ob sie auf True Crime standen. Wenn sie Ja sagten, blockierte ich sie und suchte weiter. Ich traf mich immer nur mit denjenigen, die erklärten, dass sie »all dieses eklige Zeug« nicht ertragen konnten. Und bei den seltenen Gelegenheiten, wo ich mich tatsächlich mit Frauen traf, hielt es nie länger als ein paar Wochen. Ich trennte mich, sobald ich das Gefühl hatte, dass sie Gefühle entwickelten oder diesen Gesichtsausdruck bekamen, als versuchten sie verzweifelt, sich zu erinnern, wo sie mich schon mal gesehen hatten.
Selbst Spiegel waren inzwischen ein Problem, weil ich meine Reflexion nicht betrachten konnte, ohne mir mein eigenes Gesicht vor Wut verzerrt vorzustellen, während Fäuste auf mich herabsausten. Ich hatte andere Dokumentationen über gewalttätige Männer gesehen, und es verblüffte mich immer wieder, wenn ihre Familienmitglieder steif und fest behaupteten, sie hätten keine Ahnung gehabt, was ihr Vater/Ehemann/Onkel in seiner Freizeit getrieben hatte.
Mein Dad war ein verdammtes Monster gewesen … und das ließ sich nicht verbergen. Er war so lange mit seinen Verbrechen durchgekommen, weil er Frauen am Rand der Gesellschaft ins Visier genommen hatte, attraktiv aussah und für kurze Zeiträume gut schauspielern konnte. Gerade lang genug, um die Prostituierten, zu denen er ging, davon zu überzeugen, zu ihm ins Auto zu steigen.
Fast wie sein Idol, Ted Bundy.
Der einzige frei zugängliche Spiegel in unserer Wohnung war der in unserem kleinen Bad und ich senkte jedes Mal den Kopf, wenn ich den Raum betrat, um mich nicht ansehen zu müssen. Also ja, mein Gesicht war ein Problem … was wiederum den Gedanken, eine Maske zu tragen, so attraktiv machte. Ich hatte jahrelang darüber nachgedacht und endlich eine Ausrede gefunden, mir wirklich eine zu besorgen, nachdem in meinem Newsfeed eine Story über Thirst Traps von Leuten mit Masken erschienen war. Der hochgestochene Artikel beschäftigte sich mit den psychologischen Motivationen hinter dem Trend, aber ich hatte all diesen Bullshit ignoriert und mich stattdessen auf die Videos konzentriert, die damit verlinkt waren.
Das könnte ich machen, wurde mir klar. Und der Gedanke traf mich wie ein Blitz. Das war mein Weg, endlich auch die sozialen Medien zu benutzen, stolz den Körper zu zeigen, für den ich so hart gearbeitet hatte, und so das natürliche Bedürfnis nach Interaktion mit anderen Menschen zu befriedigen. Außerdem hatte ich doch ein paar Dinge von meinem Vater geerbt, und dazu gehörte der Wunsch, bewundert zu werden. Den Großteil meines Lebens hatte ich diesen Impuls unterdrückt, aber in letzter Zeit hatte mein Therapeut versucht, mich davon zu überzeugen, dass es normal war, nach Ruhm und Anerkennung zu streben. Unsere primitiven Hirne verzehrten sich danach – weil Beliebtheit damals, als wir uns noch gegenseitig die Schädel mit Mammutknochen eingeschlagen hatten, Sicherheit und Schutz in der Höhle bedeutet hatte.
Nachdem ich beschlossen hatte, dass es zur Abwechslung einmal akzeptabel war, meinem Verlangen zu folgen, hatte ich online eine teure Videoausrüstung bestellt, Stunden damit verbracht, eine maßgefertigte Maske zu entwerfen und mit einem 3-D-Drucker auszudrucken. Danach hatte ich viel zu viele YouTube-Tutorials über das Drehen von Filmen geschaut, bevor ich endlich einen Social-Media-Account eröffnete.
Und ich erzählte absolut niemandem davon. Nicht mal Tyler, der mein bester Freund war, seitdem ich denken konnte.
»Kumpel, du bist heute wirklich scheiße«, sagte er, als wir auf dem Bildschirm beide starben. Schon wieder.
»Shit, tut mir leid. Bin in Gedanken bei der Arbeit«, log ich.
Er schmiss den Controller heftiger als nötig auf den Couchtisch. »Was auch immer. Ich bin damit durch. Ich muss noch ins Fitnessstudio, bevor es dort zu voll wird.«
Damit stand er auf und verließ den Raum.
Tyler konnte ein Arsch sein und er war definitiv ein Aufreißer, aber er war auch die einzige Person, die sich nicht sofort von mir abgewandt hatte, als mein Dad verhaftet worden war. Unter seinem idiotischen Auftreten war er ein guter und unglaublicher loyaler Freund. Es war seine Idee gewesen, in diese Stadt zu ziehen und neu anzufangen, als die Leute am College spitzbekommen hatten, wer ich wirklich war. Seine genauen Worte lauteten: »Zum Teufel mit ihnen. Lass uns abhauen!« Zuerst hatte ich ihn nicht ernst genommen – bis er die Papiere für einen Collegewechsel ausgefüllt und mir Anzeigen für Wohnungen geschickt hatte.
Ich hatte das Studium geschmissen, statt mit ihm die Uni zu wechseln. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich bereits das Gefühl, dass das College nichts für mich war, weil keiner meiner Professoren mir noch etwas Neues über das Hacken beibringen konnte. Den Rest meiner Ausbildung absolvierte ich online und übte so lange, bis ich endlich das Gefühl hatte, bereit zu sein für den Arbeitsmarkt. Ich bewarb mich genau auf eine Stelle – die, die ich momentan hatte –, indem ich ein riesiges Medien-Konglomerat hackte und dann der Firma, für die ich jetzt arbeitete, zeigte, wie ich die Abwehrmaßnahmen geknackt hatte.
Mein Arbeitgeber zahlte mir ein Höllengeld, um zukünftigen Cyber-Bedrohungen immer einen Schritt voraus zu sein – genug, dass ich, ohne mit der Wimper zu zucken, die teuerste Amateurkamera auf dem Markt kaufte und unsere Miete für die nächsten zwei Monate trotzdem bereits bezahlt war.
Ich hörte, wie in Tylers Zimmer eine Schublade knallte und deutete das als Zeichen, mich ebenfalls zu erheben. Mein Handy lag auf meinem Arbeitsschreibtisch, und es juckte mir in den Fingern, es zu holen. Ich musste das Video aufrufen, das Aly geschickt hatte, und schauen, ob ich sie in der Kommentarspalte finden konnte. Sie hatte einen Masken-Kink. Oder zumindest stand sie genug darauf, um sich zu wünschen, dass jemand eine Maske für sie trug.
Bisher hatte ich jede einzelne Nachricht ignoriert, in der mich jemand gebeten hatte, mich IRL zu treffen, um ihre Fantasien auszuleben. Wir sprachen von Fremden im Internet. Das konnte jede sein … Und ich wollte auf keinen Fall mit einer Frau in ihren Achtzigern konfrontiert werden, obwohl ich eigentlich eine scharfe Frau Mitte zwanzig erwartet hatte.
Aber Aly war keine Fremde. Ich kannte sie. Besser, als ich sollte, aber dank Dads genetischen Spenden fiel es mir schwer, die Grenzen anderer zu respektieren.
Sie war in meiner Wohnung gewesen, dem einzigen Rückzugsort, der mir geblieben war. Das Bedürfnis, meine Identität sowie Tyler und mich zu schützen, war stark genug, dass ich jeden, den Tyler einlud, einer FBI-würdigen Durchleuchtung unterzog. Glücklicherweise verstand mein Freund dieses Bedürfnis und informierte mich vorher, wenn er vorhatte, jemanden mit nach Hause zu bringen. Gewöhnlich beachtete ich sie nicht mehr, sobald mir klar wurde, dass die Leute keine Gefahr für einen von uns darstellten, aber mein Interesse an Aly reichte viel tiefer, als es wahrscheinlich normal war.
Ich schnappte mir mein Handy vom Schreibtisch und setzte mich auf die Bettkante, bevor ich meinen Account aufrief. Das Video, das Aly gewählt hatte, war mein Beliebtestes, mit über 3,4 Millionen Views. Der Nachteil war, dass ich Tausende von Kommentaren durchsuchen musste, wenn ich sie wirklich finden wollte – obwohl das unwahrscheinlich war. Die meisten Leute bewegten sich anonym im Internet. Wäre typisch für mich, wenn Aly dazugehörte. Ich wünschte mir, ich könnte ein Programm schreiben, um sie aufzuspüren, aber diese Arbeit konnte ich nur persönlich erledigen, also lehnte ich mich gegen das Kopfende und fing an zu scrollen, scannte die Namen und Avatare, um einen Hinweis auf sie zu finden.
Eine Stunde verging, bevor ich mich abrupt aufrichtete, mit dem Daumen über dem Usernamen aly.aly.oxen.free. Heilige Scheiße, war sie das? Ich klickte auf ihr Profil, aber natürlich war es auf privat gestellt. Ich lehnte mich mit zusammengekniffenen Augen vor. Der Avatar war eine Nahaufnahme einer dunkelhaarigen Frau. Ich machte einen Screenshot, dann nutzte ich die AI-Software, die ich auf mein Handy geladen hatte, um es zu vergrößern und die Auflösung zu verbessern, bis ich ein glasklares Bild von Aly vor Augen hatte. Das war sie.
Nur um wirklich auf Nummer sicher zu gehen, loggte ich mich in meinen Computer ein und hackte ihren Account, wobei ich jeden Trick in meinem Repertoire verwendete, um meine Spuren zu verwischen und zu verhindern, dass sie geflagged wurde. Die IP-Adresse, die sie verwendet hatte, um ihren Account zu erstellen, stammte aus dieser Gegend, und weitere Nachforschungen ergaben, dass sie aus der Straße stammte, in der sie lebte.
Ich hatte sie gefunden. Aly hatte nicht nur einen Masken-Kink, sondern sie hatte eines meiner Videos so sehr gemocht, dass sie einen Kommentar hinterlassen hatte:
Sir, ich bin auf der Arbeit. Wie können Sie es wagen?
Hatte sie noch mehr Kommentare geschrieben?
Ich loggte mich in meinen Account ein und schrieb ein paar Zeilen Code, der in der Kommentarspalte nach ihr suchen würde. Es gab so viele Treffer, dass mir der Kopf schwirrte. Sie hatte fast jedes einzelne Video gelikt, gespeichert und kommentiert.
Das gesamte Blut in meinem Körper schoss in meinen Schwanz, sodass meine Trainingshose sich wölbte. Das war nicht gut. Ich sollte nicht hier sitzen und mich nach der Ex meines Mitbewohners verzehren … Oder was auch immer sie gewesen sein mochte. Nicht seine Freundin. Zwischen ihnen war es nie ernst genug geworden, um der Beziehung ein Label zu verpassen, und Tyler hatte sich außer mit Aly auch noch mit anderen getroffen. Das bedeutete, dass ich nicht gegen den Bro-Code verstieß, richtig? Nur gegen mehrere Datenschutzgesetze und eine ganze Menge soziale Normen. Aber so was hatte mir nie viel bedeutet. Tyler war mein einziger Freund. Ich wollte ihn nicht wegen einer Frau verlieren – selbst wenn diese Frau mich in meine Träume verfolgte, seitdem ich sie zum ersten Mal gesehen hatte.
Was er nicht weiß, macht ihn nicht heiß, dachte ich. Und es war ja nicht so, als hätte ich schon irgendetwas getan. Wo lag das Problem bei ein bisschen mildem Onlinestalking? Sie hatte dasselbe mit mir gemacht.
Mein Blick fand den ersten Kommentar, den mein Suchprogramm ausgespuckt hatte.
Ist dieses Video der Grund, wieso ich um zwei Uhr morgens aufgewacht bin? Wurde ich hierher beschworen?
Ich schüttelte grinsend den Kopf. Natürlich war sie auch noch witzig. Als wäre es nicht schon schlimm genug, dass sie scharf war und wahrscheinlich tabu.
Ich las weiter. Ihre Kommentare reichten von locker bis zu richtig anzüglich.
Ich möchte dem Algorithmus dafür danken, dass er mich hierhergeführt hat.
Ich bin in Staffel sechs dieses Videos.
Nun, das sorgt viel zu früh am Morgen dafür, dass ich mich wild fühle.
Wie ich zu ihm KRIECHEN würde.
Bumm. Da gehen meine Eierstöcke dahin.
Das ist der Horrorfilm, in dem ich sterben möchte. Alle anderen würden weglaufen, während ich stattdessen direkt auf die Gefahr zulaufen würde.
Ich schob den Stuhl vom Schreibtisch zurück. Oh, das war schlimm. Denn dieser letzte Kommentar traf mich härter als die anderen. Und jetzt konnte ich an nichts anderes mehr denken, als sie zu jagen und zu ficken, wenn ich sie endlich erwischt hatte.
Fing es so an? Mit einer fast unschuldigen Fantasie darüber, eine Frau an einem Ort zu nehmen, wo niemand sie schreien hören konnte? Würde es immer schlimmer werden, bis ich mir wünschte, sie gleichzeitig zu ficken und dabei ein bisschen zu würgen? Und würde ich danach noch fester zudrücken wollen, bis das Licht in ihren Augen erlosch, während ich in sie stieß?
Meine Erektion verschwand sofort, was ich als gutes Zeichen deutete. Die Idee, Aly ernsthaft zu verletzen, machte mich nicht an – also war ich vielleicht nicht so krank, wie ich immer gefürchtet hatte.
Ich rollte wieder nach vorne und las den Rest ihrer Kommentare, was eine Weile dauerte, weil mein Programm über hundert davon gefunden hatte.
Schon nach weniger als einer Minute hatte sie mich wieder hart. So viele ihrer Kommentare drehten sich darum, nach Hause zu kommen und festzustellen, dass ich auf sie wartete. Bald schon begann ich, darüber nachzudenken, ob ich ihr diesen Wunsch nicht erfüllen könnte.
Was würde passieren, wenn ich tatsächlich in ihr Haus einbrach?
In der Realität würde sie mich Volltrottel wahrscheinlich erschießen. Oder losrennen und die Cops holen. Und dann, wenn ich verhaftet wurde und alle Schlagzeilen in die Welt hinausschrien, dass ich genauso war wie mein Dad, würde mein gesamtes Leben in Flammen aufgehen.
Aber im Moment lebte ich nicht in der Realität. Ich gab mich einfach nur Fantasien hin, also konnte ich mich nicht davon abhalten, mir vorzustellen, wie ich bei ihr einbrach und Aly genauso reagierte, wie sie in ihren Kommentaren angedeutet hatte. Ich stellte mir vor, wie sie auf allen vieren auf mich zukroch. Mich anflehte, sie zu ficken, während ich ihr ein Messer an die Kehle presste.
Dieser Mann kommt immer auf meiner FYP und nie auf mich und das ist wirklich eine Tragödie
Das war wahrscheinlich mein neues Lieblingszitat. Ich stöhnte, dann presste ich durch die Jogginghose die Hand auf meinen Schwanz. Was ich nicht alles mit dieser Frau anstellen würde, wenn sie es zuließe. Ich würde jede dunkle Fantasie wahr werden lassen, die sie je gehegt hatte. Und ich würde mir keine Gedanken machen müssen, dass ihr Verlangen unter mir in Entsetzen umschlug, weil dieses Risiko durch die Maske gebannt wurde, die ich trüge. Einmal in meinem Leben könnte ich frei von der Angst sein, entdeckt oder erkannt zu werden.
Dieser Gedanke machte mich fast genauso sehr an wie Aly.
Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und schob die Hand in meine Boxershorts, um meine Schwanzwurzel zu umfassen. Wie wäre es, in ihr Haus einzubrechen? Ich wusste, dass ich es schaffen konnte. Ich war nicht nur ein guter Hacker, ich konnte auch ziemlich gut im Dunkeln herumschleichen. Ich war immer ein Nachtmensch gewesen. Und in letzter Zeit hatte sich diese Tendenz noch verstärkt, weil die Gefahr, erkannt zu werden, nachts viel geringer war als tagsüber. Ich kaufte in einem Vierundzwanzig-Stunden-Supermarkt ein. Ging um zwei Uhr nachts in den Fitnessraum unseres Apartmentkomplexes, um ihn für mich allein zu haben.
Ich bewegte meine Hand an meiner Erektion, als ich mir vorstellte, Alys Türschloss zu knacken. Das hatte ich mir als Teenager beigebracht, um in das Büro meines Therapeuten zu schleichen und herauszufinden, was er über mich geschrieben hatte – ein Fehler, weil ich wirklich nicht bereit gewesen war für das, was ich gefunden hatte. Aber zumindest hatte ich eine neue Fähigkeit gelernt. Die konnte ich jetzt wieder reaktivieren und nutzen, um mitten in der Nacht in Alys Haus zu schleichen, während sie im Krankenhaus arbeitete.
Ich rieb mit dem Daumen über die Spitze meines Schwanzes, befeuchtete sie mit der Flüssigkeit, die sich dort bereits gesammelt hatte, bevor ich die Hand wieder senkte. Ich schloss die Augen, als ich mir Aly vorstellte, die verknittert und müde nach einer langen Schicht im Türrahmen erschien, nur um die Augen ängstlich aufzureißen, als ihr klar wurde, dass sie nicht allein war.
»Wer ist da? Was wollen Sie?«, hörte ich sie mit zitternder Stimme rufen.
In meiner Vorstellung richtete ich als Antwort das Messer auf sie.
Dich.
Sie hob die Hände. »Nehmen Sie einfach, was Sie wollen und verschwinden Sie. Bitte, tun Sie mir nicht weh.«
Ich schüttelte den Kopf und deutete mit der Messerspitze in einem klaren Befehl auf den Boden. Sie sank sofort auf die Knie, wie ein braves Mädchen. Ich ging auf sie zu, beobachtete, wie sie schwer atmete, als ich näher kam. Ihre Augen huschten vom Messer zu meinem nackten Oberkörper, der über und über mit Blut beschmiert war, und ihre Pupillen wurden so groß, dass das Braun ihrer Augen fast nicht mehr wahrzunehmen war, als ihre Furcht in Erregung umschlug.
Ich blieb vor ihr stehen, starrte in ihr Gesicht und genoss die Verletzlichkeit ihrer Position. Unendlich vorsichtig legte ich die Messerspitze an ihr Kinn und hob ihren Kopf, als ich meinen Hosenstall öffnete und meinen Schwanz hervorspringen ließ. Ihr Blick huschte für einen Moment zu den dunklen Augenlöchern meiner Maske, dann öffnete sie den Mund und lehnte sich vor, schloss diese sinnlichen Lippen um die Spitze meiner Erektion und …
O verdammt, gleich würde ich kommen.
Ich riss ein paar Taschentücher aus der Kiste auf meinem Schreibtisch und schob sie gerade noch rechtzeitig in meine Hose, um sie zu durchtränken. Der Anblick von Aly vor mir, verängstigt und erregt gleichzeitig … Ich wollte das. Dringend. Mehr, als ich seit langer Zeit etwas gewollt hatte.
Jetzt musste ich nur noch einen Weg finden, diese Fantasie wahr zu machen, ohne dass sie mit meiner Verhaftung endete.
Alys Nachbarschaft war immer noch weihnachtlich dekoriert, und zu meiner Überraschung stellte sich das als größte Herausforderung in der Planung meines kleinen Stunts heraus. Es war eine Woche vergangen, seitdem ich ihre Nachricht an Tyler gesehen hatte. Sieben Tage, in denen ich versucht hatte, mir selbst diesen Wahnsinn auszureden, während ich gleichzeitig Schlösserknacken geübt und recherchiert hatte, ob Aly eine Alarmanlage hatte – hatte sie nicht, was wirklich inakzeptabel war. Ich war nachts durch ihr Viertel gefahren, um alles auszukundschaften.
Offensichtlich war es dem rationalen Teil meines Hirns kläglich misslungen, den Rest von mir zur Vernunft zu bringen, denn hier stand ich nun, in den Schatten neben Alys Hintertür, und versuchte, wieder zu Atem zu kommen, nachdem ich einen kleinen, straßenweiten Stromausfall ausgelöst hatte und dann hinter ihr Haus gerannt war, um die Birnen aus den Flutlichtern zu drehen, bevor der Strom wiederkam.
Ich presste die Stirn gegen die Hausverkleidung aus Vinyl und schloss die Augen. Man würde mich erwischen. Ich würde verhaftet werden und es in die internationalen Nachrichten schaffen – und wenn man bedachte, wer mein Vater war, würde mir keine Jury der Welt glauben, dass es mein erster Einbruch war. Sie würden davon ausgehen, dass ich etwas viel Übleres im Schilde geführt hatte, und ich würde für diese dämliche Aktion den Rest meines Lebens im Gefängnis verbringen.
Alles nur, weil ich eine hübsche Frau ficken wollte, während ich eine Maske trug.
Ich hätte nach Hause gehen sollen. Hätte mich von der Wand abstoßen, in mein Auto steigen, wegfahren und Alys Masken-Kink einfach vergessen sollen. Ein normaler Mann hätte das getan. Ein Mann, der alle Tassen im Schrank hatte. Aber anscheinend traf nichts von dem auf mich zu, denn sobald der Gedanke an einen Rückzug in mir aufstieg, wurde er mit einem lauten »Nein!« abgelehnt.
Vielleicht wurde es Zeit zu akzeptieren, dass ich nicht normal war und es auch niemals sein würde. Ich wollte Dinge, an die die meisten Leute nicht mal dachten, sehnte mich nach Dunkelheit und Verdorbenheit statt nach Licht und Liebe. Ich hatte gegen meine eigene Natur gekämpft, seit ich mich erinnern konnte … und ich war es leid.
Es war so verdammt anstrengend.
Es wäre viel einfacher, zur Abwechslung einmal nachzugeben. Eigentlich sogar eine Erleichterung. Ich hatte so hart daran gearbeitet, alles zu unterdrücken und in Ordnung zu bringen, was man mir als anormal präsentiert hatte, aber diese Gedanken und Sehnsüchte, die ein Großteil der Gesellschaft problematisch fand, bestanden auch nach einer Dekade Therapie und Medikamente.
Und das hier war meine Chance, diese Fantasien einmal auszuleben. Ich hatte mich so gut vorbereitet, wie es nur möglich war. Meine Haut war von Kopf bis Fuß bedeckt, also würde ich keine Hautzellen zurücklassen, die ein forensisches Team finden konnte. Nur einer von Alys direkten Nachbarn hatte eine Alarmanlage, und ich hatte mich in das System gehackt, um herauszufinden, ob die Kameras den Garten abdeckten. Taten sie nicht. Nur für den Fall, dass ich etwas übersehen hatte, trug ich eine Sturmmaske über dem Gesicht. Die Stiefel, die ich angezogen hatte, waren eine Nummer zu groß, und ich hatte Klebeband über die Sohlen geklebt, um keine erkennbaren Profilspuren zu hinterlassen. Jetzt ging es nur noch darum, ins Haus einzudringen, zu tun, was ich tun musste, und wieder zu verschwinden.
Ich atmete einmal tief durch, dann wandte ich mich der Tür zu. Das Licht des Halbmonds schien nur schwach, aber zusammen mit den Weihnachtsdekorationen in der Umgebung reichte es für mich aus, um den Türknauf mühelos zu erkennen. Ich ließ meinen Rucksack von den Schultern gleiten und zog mein kleines Dietrich-Set heraus. Die Stahlwerkzeuge glänzten im Mondlicht, als ich sie in die Hand nahm und mich an die Arbeit machte.
Ich neigte von der Persönlichkeit her zu zwanghaftem Verhalten und hatte diesen Vorgang so oft geübt, dass es mich nur eine Minute kostete, die Tür zu öffnen. Ich drehte den Knauf, während ich gleichzeitig betete, dass es nicht so einfach wäre. Dann stieß ich erleichtert den Atem aus, als die Tür sich nicht rührte, weil es noch einen Riegel gab. Das reichte allerdings immer noch nicht, um mich oder einen professionellen Einbrecher abzuhalten. Aly brauchte definitiv bessere Sicherheitsmaßnahmen.
Ich schrieb mir ein internes Memo, eine anonyme Bestellung für sie aufzugeben, als ich das Dietrich-Set wegsteckte und die teuren Magnete hervorzog, die ich online gekauft hatte. Den Riegel zu öffnen würde länger dauern, als das Schloss zu knacken. Ich hätte die Tür natürlich auch eintreten oder mir auf andere gewaltvolle Weise Zutritt verschaffen können, aber ich wollte Alys Besitz nicht beschädigen oder es anderen zu leicht machen, in meine Fußstapfen zu treten – was bedeutete, die Sache auf langsamere, kompliziertere Art anzugehen.
Schweißtropfen klebten auf meiner Stirn, als die Minuten vergingen. Jedes Mal, wenn irgendwo in der Nähe ein Geräusch erklang, erstarrte ich mit rasendem Herzen, erfüllt von der Angst, erwischt zu werden. Ich wäre fast abgehauen, als ich das plötzliche Heulen einer Sirene hörte, aber statt näher zu kommen, bewegte sie sich parallel zu Alys Straße und wurde wieder leiser.
Danach verbrachte ich eine ganze Minute damit, einfach nur zu atmen.
Das war absolut verrückt. Total durchgeknallt. Und doch konnte ich mich einfach nicht davon abhalten, die Magnete zu heben und mich wieder dem Riegel zu widmen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit packten die Magnete den Riegel, und das Schloss öffnete sich. Ich lehnte die Stirn gegen die Tür und atmete tief durch. Durch meine Adern floss so viel Adrenalin, dass mein gesamter Körper zitterte. Ich fürchtete immer noch, dass dieser Ausflug in einem Desaster enden würde, aber allein der Nervenkitzel, etwas so Gefährliches, Illegales zu tun, war berauschender als alles, was ich je erlebt hatte – inklusive Fallschirmspringen.
Hatte mein Dad sich so gefühlt? Hatte ihn dieser Nervenkitzel genauso sehr angespornt wie seine sadistischen Triebe?
Mit einem Kopfschütteln richtete ich mich auf. Über all diese Scheiße konnte ich später nachdenken. Jetzt musste ich ins Haus.
Ich drehte den Knauf und öffnete vorsichtig die Tür einen Spaltbreit. Die eine Sache, die ich online nicht herausfinden konnte, war, ob Aly irgendwelche Haustiere besaß. Ich hatte kein Bellen gehört, als ich das Schloss geknackt hatte, aber das bedeutete noch lange nicht, dass nicht im Inneren ein Kampfhund auf mich wartete, dem man beigebracht hatte, still zu lauern. Sicher, ich hätte meinen Mitbewohner fragen können, um meine Sorgen zu vertreiben – Tyler hatte Aly ein paarmal besucht, also würde er die Antwort wissen –, aber ich wollte nicht, dass er dachte, ich wäre an irgendeinem seiner Ex-Aufrisse interessiert. Und besonders nicht an Aly.
Der hintere Teil des Hauses war dunkel. Nur ein sanfter Lichtschein drang aus dem Wohnzimmer, wo Alys Weihnachtsbaum fröhlich leuchtend im Fenster stand. Das reichte aus, um die Umgebung zu betrachten und festzustellen, dass keine Hunde darauf warteten, mich anzufallen.
Eilig schloss ich die Tür hinter mir und schob den Riegel vor.
Ein entsetzliches Jaulen durchschnitt die Luft.
Verdammt! Aly besaß doch einen von Dämonen besessenen Hund, der mir wahrscheinlich jeden Moment das Hosenbein zerfetzen und mein Blut im ganzen Haus verteilen würde, sodass die Polizei es finden konnte.
Ich packte erneut den Türknauf und wollte gerade abhauen, als eine kleine, pelzige Kreatur in den Raum eilte und abrupt anhielt.
Eine Katze. Aly hatte eine Katze.
Wir beäugten uns in der Dunkelheit. Trotz des langen schwarz-weißen Fells war die Katze ziemlich kümmerlich. Wenn es hart auf hart kam, würde ich mich gegen sie wehren können.
»Leg dich nicht mit mir an«, warnte ich das Tier.
Wie als Antwort drehte sie mir die Seite zu und stellte sich auf die Zehenspitzen, wobei sie ihr Fell sträubte wie ein Stinktier.
Fast gegen meinen Willen musste ich grinsen. Die Katze mochte klein sein, aber sie war eine Kämpfernatur … und das konnte ich anerkennen.
Ich hatte nie ein Haustier gehabt. Serienkiller waren dafür bekannt, dass sie ihre ersten Taten an kleinen Haustieren begingen. Ich hatte die Versuchung vermeiden wollen, für den Fall, dass ich Dad doch ähnlicher war als gedacht. Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass ich, wenn ich mir denn ein Haustier besorgte, entweder nichts für das Tier empfinden würde – also weder diese Beschützerinstinkte noch die allumfassende Zuneigung, die anscheinend die meisten Haustierbesitzer erfüllten. Oder es könnten sich meine schlimmsten Ängste bestätigen, weil ich nach dem ersten Blick aufs Tier nur noch »Beute« denken konnte.
Die Sekunden vergingen, und ich stand wie angewurzelt hinter der Tür, in der Erwartung, dass mich irgendein gewalttätiger Impuls überwältigte. Aber ich empfand nur leise Beklemmung. Katzen hatten Krallen, richtig? Was, wenn sie mich ansprang und heftig genug kratzte, dass ich blutete? Selbst ein Tropfen reichte aus, um jemanden zu identifizieren.
Ohne Vorwarnung entspannte sich die Katze und schlenderte auf mich zu.
O Scheiße. Was hatte sie jetzt vor?
Ich trat zurück und presste mich gegen die Tür, seltsam fasziniert von der Art, wie die Katzenaugen in der Dunkelheit leuchteten. Dieses kleine, flauschige Wesen wäre so leicht zu töten, doch ich verspürte keinerlei Drang, ihm etwas anzutun. Das musste ein gutes Zeichen sein, richtig? Oder war diese Erfahrung gerade einfach so neu, dass meine eventuelle, schreckliche Reaktion dadurch blockiert wurde?
»Nicht kratzen«, erklärte ich der Katze.
Es bestand immer noch das Risiko, dass in mir unerkannt eine monströse Gier nach Blut brodelte. Und wenn das Tier mich attackierte, könnte es sein, dass diese mörderischen Instinkte ausbrachen und mich dazu brachten, etwas Schreckliches zu tun. Mir war beigebracht worden, mir selbst nicht zu vertrauen … und das hier schien die perfekte Situation, um ein für alle Mal herauszufinden, wie ähnlich Dad und ich uns wirklich waren.
Die Katze schlenderte lässig bis vor meine Füße. Ich blieb wie erstarrt stehen und wartete darauf, dass etwas Schlimmes geschah. Aber statt mich zu beißen, schnupperte die Katze an meinem Hosenbein, um dann den Kopf an meinem Schienbein zu reiben und dabei so laut zu schnurren wie ein Automotor.
Ich stieß erleichtert die Luft aus und ging in die Hocke, um mir das Tier genauer anzusehen. Es war irgendwie … süß, mit den weißen Flecken über den Augen, sodass es aussah, als hätte sie Augenbrauen. Im Moment lagen sie nah nebeneinander, weil die Katze mich aus zusammengekniffenen Augen ansah und sich erneut an meinem Bein rieb, als wolle sie gestreichelt werden. Hatte ich schon mal irgendein Tier süß gefunden? Oder vielleicht lautete die bessere Frage: Hatte ich mir je erlaubt, so etwas zu empfinden?
»Tut mir leid, wenn ich mich dumm anstelle«, sagte ich, als ich die Hand hob, um die Katze erst zwischen den Ohren zu kraulen und die Hand dann über ihren Rücken gleiten zu lassen, wie ich es oft im Fernsehen gesehen hatte. Das war das allererste Mal, dass ich ein Tier streichelte, und meine Finger zitterten. Glücklicherweise vom Adrenalinstoß, nicht vom aufsteigenden Verlangen, Alys Fellbaby zu erwürgen.
Krise abgewendet. Zumindest für den Moment.
