Linder - Torsten Thoms - E-Book

Linder E-Book

Torsten Thoms

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Beschreibung

Noch gestern saß Harry im Gefängnis. Doch heute findet er sich in einem alten Zug nach Harvor wieder, jenem trostlosen Ort im Norden des Landes, dessen einzige Existenzberechtigung die Fähre nach Linder ist. Auf dieser einsamen Insel weit ab vom Festland findet ein Experiment statt, das so geheim ist, dass selbst die 20 Teilnehmer nicht wissen, worum es eigentlich geht. Schon auf der Fähre geschehen merkwürdige Dinge. Harry, der von Natur aus vorsichtig, aber auch neugierig ist, geht ihnen auf den Grund. Doch immer, wenn er sich den Geheimnissen nähert, kommt etwas dazwischen. Auf der Insel angelangt, muss sich Harry mit der Gruppe auseinandersetzen, die aus völlig normalen und somit höchst anstrengenden Menschen besteht. Das langweilt ihn. Auch die Übungen für das Experiment von Doktor Albrecht und seiner Assistentin Lisa Stomröd helfen nicht, ihn abzulenken, so dass er schon nach kurzer Zeit damit beginnt zu forschen, warum sie eigentlich auf Linder sind. Das ist nicht leicht, denn die klimatischen Bedingungen auf der Insel lassen es kaum zu, sich draußen aufzuhalten. Und der Zutritt zum Teil des Gebäudes, in dem sich die Lösung befinden könnte, ist verboten, alle Türen sind mit Schlössern versehen. Genau das Richtige für einen Ex-Häftling, um wieder einige seiner früheren Fähigkeiten anzuwenden, die ihn erst in diese Lage gebracht haben. Doch er kann nicht in Ruhe arbeiten, denn immer stärker verheddert er sich in dem Beziehungsgeflecht der Gruppe im Haus. Bis die Situation eskaliert. Wird Harry entkommen und doch noch herausbekommen, Noch gestern saß Harry im Gefängnis. Doch heute findet er sich in einem alten Zug nach Harvor wieder, jenem trostlosen Ort im Norden des Landes, dessen einzige Existenzberechtigung die Fähre nach Linder ist. Auf dieser einsamen Insel weit ab vom Festland findet ein Experiment statt, das so geheim ist, dass selbst die 20 Teilnehmer nicht wissen, worum es eigentlich geht.

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Seitenzahl: 244

Veröffentlichungsjahr: 2016

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Linder

von Torsten Thoms

www.torsten-thoms.de

Harry fielen beinahe die Augen zu. Das eintönige Geräusch des Zuges, die vorbeifliegende Landschaft und die Tatsache, dass er heute Morgen so früh aufgestanden war, forderten jetzt ihren Tribut. Doch Harry wollte nicht schlafen. Wie konnte er? Nach vielen Jahren war er endlich in Freiheit. Der Gedanke war verlockend. Und beängstigend zugleich.

Aber Harry schlief ohnehin nicht gern, schon gar nicht in der Öffentlichkeit. Seit er vor Jahren einmal am helllichten Tag ausgeraubt worden war, vermied er es, seine Augen zu schließen, wann immer er beobachtet werden konnte. Damals war er nur kurz auf einer Parkbank eingenickt. Dass seine Brieftasche fehlte, hatte er nach dem Aufwachen sofort bemerkt. Das Gewicht der vielen unnützen Münzen auf der linken Seite seines Mantels war nicht mehr da gewesen. Harry hatte diese Lektion gelernt.

Als er kurz darauf ins Gefängnis gekommen war, hatte er es zu vermeiden gelernt, fest einzuschlafen. Stattdessen war er auf die Idee gekommen, sich eine besondere Art des Ruhens anzugewöhnen. Er hatte sich an eine Dokumentation über Afrika erinnert. Und über die ständigen Gefahren, die in der Wildnis auf jedes Lebewesen lauerten. Löwen taten es, Zebras, Giraffen. Eigentlich gönnte sich kein Tier in den Savannen einen tiefen Schlaf. Sie ruhten die meiste Zeit des Tages, schlossen nur für Sekunden die Augen, nur um sie kurze Zeit später wieder aufzuschlagen. Auf diese Weise konnten sie verhindern, dass sich ein Feind unentdeckt näherte. Harry machte es genauso. Nur wenige Sekunden Ruhe gönnte er sich, bevor er wieder die Augen öffnete. Die Umstellung seiner Schlafgewohnheiten hatte aus Harry einen nervösen Menschen gemacht. Ständig war er wie aufgedreht und doch immer irgendwie müde. Eigenschaften, die Harry auf die Tatsache zurückführte, dass er seinen Sekundenschlaf nicht oft genug am Tag bekam. Anders als die Tiere Afrikas konnte er sich nicht erlauben, ständig zu dösen. Sogar im Gefängnis hatte er arbeiten müssen. Ausgerechnet in der Gefängnisküche, wo der Stress am größten und der Ton am rauesten war. Er hatte jede Sekunde hellwach sein müssen, laufend auf der Hut, um sich nicht den Zorn des Küchenchefs zuzuziehen, einem Choleriker, der wegen seiner Wutausbrüche schon zwei Menschen erschlagen hatte. Einen davon in der Gefängnisküche selbst, so zumindest beschrien es die Knastgerüchte, von denen Harry nie ganz sicher gewesen war, ob sie stimmten oder nicht. Der Küchenchef jedenfalls hatte nichts unternommen, um sie zu entkräften. In jedem Fall hatte er lebenslang mit der besonderen Auflage, nie wieder einen Fuß in die Freiheit setzen zu dürfen. Das hatte ihn noch gefährlicher gemacht, denn jemand, dessen Leben auf diese Weise vorbestimmt war und der sich nicht die geringste Hoffnung auf Änderung machen konnte, war schlimmer als das schlimmste Raubtier.

Ein eigenartiger Vergleich. Denn Tiere waren nicht dazu in der Lage, das zu machen, was Menschen sich gegenseitig antun konnten. Natürlich, sie jagten und fraßen andere Tiere. Aber sie quälten sie nicht. So wie Menschen es taten. Erst jahrhundertelang körperlich, jetzt seit einigen Jahrzehnten geistig. Harry war nicht sicher, was von beidem schlimmer war.

Das Abteil war leer. Trotzdem weigerte sich Harry einzuschlafen. Man konnte nie sicher sein, wer doch noch zusteigen würde.

Aber wer sollte schon zusteigen?

Die letzte große Stadt hatten sie vor einer halben Stunde passiert. Selbst dort war niemand auf dem Gleis gewesen.

Kein Wunder. Die Reise ging ins Nirgendwo. Zumindest nicht dorthin, wo irgendwer hinfahren würde. Außer Harry, doch er musste. Sie hatten ihm gesagt, wo er sich melden sollte. Der Zug ging bis Harvor am äußersten Rand des Landes. Harry hatte nicht einmal gewusst, wo Harvor lag, bevor er mit dem Krankenhausarzt gesprochen hatte. Es war ihm auch völlig egal, dass es am Ende der Welt lag, solange er aus der Knasthölle entfliehen konnte.

Der Zug raste an der öden Landschaft vorbei. Hier war es flach wie Fladenbrot, wie seine Tante immer gesagt hatte. Nicht einmal Bäume gab es hier, von Menschen ganz zu schweigen. Ab und zu tauchte ein mickriger Busch auf, der jedoch so schnell am Zugfenster vorbeihuschte, dass er kaum auffiel. Noch eine Stunde sollte die Fahrt dauern und Harry fragte sich, wer überhaupt auf die Idee gekommen war, in dieser Gegend eine Stadt zu gründen. Harvor lag so weit entfernt von jeder anderen Siedlung, dass es sich kaum lohnen konnte, hier zu leben. Aber vielleicht war das der besondere Reiz, dem Harry sogar etwas abgewinnen konnte. Vielleicht würde er hier wieder normal schlafen können. Wenn er das überhaupt je wieder lernen konnte. Aber er sollte gar nicht dort bleiben, denn eine Fähre würde ihn auf eine der weit entfernten Inseln mit dem Namen Linder bringen. Nur einmal im Monat fuhr sie und Harry befürchtete schon, dass er sie verpassen könnte. Wie üblich hatte der Zug im Laufe der Reise gehörig an Zeit verloren, hier eine Minute, dort fünf, auch mal eine Viertelstunde an einem Haltesignal, so dass insgesamt mehr als eine Stunde zusammengekommen war. Aber das war völlig normal und der Mann am Bahnschalter hatte ihm versichert, dass die Fähre in jedem Fall warten würde. Sie tat es immer, weil nur die Fähre der eigentliche Grund für eine Reise nach Harvor sein konnte. Selbst der Kapitän mutete niemandem zu, auch nur eine Minute länger in diesem Ort zu bleiben als nötig. Geschweige denn einen ganzen Monat. Sogar der Zug fuhr nur einmal die Woche, so dass sich die Gefängnisbehörden hatten beeilen müssen, ihn rechtzeitig in das Programm aufzunehmen.

Wieder verfiel Harry in seinen Sekundenschlaf. Er träumte, was selten geschah. Wirre Bilder schossen an ihm vorbei. Der bullige Gefängniskoch kam wutschnaubend auf ihn zu und Harry beeilte sich, wieder aufzuwachen, bevor dieses Stinktier ihn erreichen konnte. Als er sich erholt hatte, nickte er wieder kurz ein. Doch es war nicht viel besser. Dieses Mal drohte ihm eine gewaltige Spritze vom Gefängnisarzt, der er wieder durch sein Erwachen entging.

„Ich glaube, ich lasse es“, brummte er leise zu sich. Stattdessen starrte er wieder nach draußen, doch der Anblick ging ihm bereits nach wenigen Sekunden auf die Nerven. Harry seufzte, streckte seine Beine. Um sich die Zeit zu vertreiben, betrachtete er zum wiederholten Male seine nähere Umgebung. Es war eines dieser uralten Abteile in einem Waggon, der auf normalen Strecken schon seit Jahrzehnten aussortiert worden wäre. Nicht jedoch hier. Es roch streng nach Putzmitteln, ein Geruch, den Harry nicht ausstehen konnte, an den er sich aber nach kurzer Fahrt bereits gewöhnt hatte. Ihm war auch nichts anderes übrig geblieben, denn er wusste, dass er zehn Stunden unterwegs sein würde. Die Holzbank, auf der er saß, verursachte Rückenschmerzen, so dass er gezwungen war, alle 30 Minuten aufzustehen, um sich zu strecken. Mit jedem Mal hatte er größere Probleme dabei, so dass er jetzt am liebsten sitzen geblieben wäre. Er zwang sich jedoch, hievte seinen Körper nach oben und kam sich dabei alt vor. Mit 38 bewegte er sich gerade wie ein doppelt so alter Mensch, sagte er sich. Ohne ganz geradezustehen hielt er inne, ließ seiner Rückenmuskulatur Zeit, sich auf das Unvermeidliche vorzubereiten. Dann drückte er seinen Rücken durch. Ein Schmerz durchfuhr ihn, es knackte hörbar und Harry atmete tief durch. Das Schlimmste war wieder überstanden.

Er gab der unbequemen Bank einen Tritt, denn sie allein war für die Schmerzen verantwortlich. Beinahe verlor er seinen Halt, weil der Zug ruckelte. Sein Kopf stieß leicht gegen den gusseisernen Kofferhalter, auf dem Harrys kleine Tasche lag. Harry fluchte. Keine Minute länger würde er es in diesem Abteil aushalten, das er seit dem Beginn der Reise nicht mehr verlassen hatte.

Vorsichtig schob er die alten Türen zur Seite und trat auf den Gang. Keine Menschenseele hielt sich hier auf, wie überhaupt der ganze Zug völlig leer zu sein schien. Nicht einmal ein Schaffner hatte sein Ticket kontrolliert, aber vielleicht hatte sich das in seiner Gefängniszeit geändert. Wer wusste das schon so genau?

Harry versuchte, eines der Fenster auf dem Gang zu öffnen. Es klemmte genauso wie das in seinem Abteil. Er probierte jedes einzelne auf dem Gang, erst das letzte ließ sich einige Zentimeter bewegen. Ein eisiger Wind wehte Harry entgegen. Ob das die Temperatur der Freiheit war? Er schloss es wieder und wandte sich den anderen Abteilen zu. Sie waren leer, nur in einem waren die Vorhänge zugezogen, so dass Harry den Eindruck hatte, im Waggon nicht der Einzige zu sein. Ihm konnte es eigentlich egal sein, doch diese Frage interessierte ihn jetzt brennend, obwohl er keine elegante Möglichkeit sah herauszufinden, ob sich jemand hinter den Vorhängen aufhielt. Er horchte kurz, aber außer dem rhythmischen Geräusch des Zuges hörte er nichts.

Also ging er zurück in sein Abteil und schloss die Schiebetüren hinter sich. Auf der unbequemen Bank versuchte er sich erneut im Sekundenschlaf.

Beinahe verpasste Harry die Einfahrt des Zuges auf dem Bahnhof. Wie so oft, wenn keine Zeit mehr war, gelang ihm eine ausgedehnte Ruhephase, die ihm die Möglichkeit bot, für mindestens eine Stunde erfrischt zu sein. Erst als das laute Signal und die kaum verständliche Durchsage, die eher an ein Knistern von Alufolie als an eine menschliche Stimme erinnerte, aus einem unsichtbaren Lautsprecher ertönten, schreckte er hoch. Ohne zu zögern sprang er auf, zog seine Tasche von der Ablage und ging schnellen Schrittes in Richtung Ausgang.

Auf dem Bahnsteig herrschte gähnende Leere.

Entweder waren die übrigen Reisenden bereits im kleinen Bahnhofsgebäude verschwunden oder er war tatsächlich der Einzige, der es bis Harvor ausgehalten hatte. Ein eisiger Wind wehte Harry entgegen. Er schlug den Kragen seiner viel zu dünnen Jacke hoch, die ihn kaum gegen das Wetter schützte. Als sie ihn damals abgeholt hatten, war sein Griff zur Garderobe kein glücklicher gewesen und er wünschte jetzt, dass er seinen dicken Wintermantel erwischt hätte, der auch im Frühling immer neben den Übergangskleidern gehangen hatte. Aber das war jetzt lange her, beinahe zu lange, um sich noch daran zu erinnern.

Das Bahnhofsgebäude war genauso leer wie der Zug und der Bahnsteig. Überall blätterte die Farbe ab, große dunkle Flecken wiesen darauf hin, dass das Dach schon lange nicht mehr dicht war und das Wasser sich Wege ins Innere des Gebäudes suchen konnte. Es war genauso, wie Harry es sich vorgestellt hatte.

Der kleine Kartenschalter war geschlossen, doch würde er in einer halben Stunde öffnen, wahrscheinlich pünktlich zur Abfahrt des Zuges. Harry überlegte, ob er wirklich an diesem unwirtlichen Ort bleiben oder den Zug in die andere Richtung nehmen sollte. Doch wie lange würden sie sich täuschen lassen? Dass sie ihn kriegen und zurück ins Gefängnis bringen würden, stand außer Frage. Das System bekam jeden, der sich außerhalb seiner engen Grenzen bewegte. Ohne Ausnahme. Für Harry stand ohnehin fest, dass er die Sache jetzt zu Ende bringen würde. Aber eine kurze Fantasie über Ausbruch und Flucht gönnte er sich trotzdem.

Ohne einen Blick zurück durchquerte er die verrottete Halle. Als er auf die Straße trat, dämmerte es bereits.

„Wie früh es hier oben dunkel wird“, dachte er sich. Die Nächte waren für Harry am schlimmsten, denn in der Dunkelheit misslang ihm sein Sekundenschlaf am ehesten, weil sein Körper sich gegen das ständige Aufschrecken wehrte. Was er meist damit beantwortete, dass er gar nicht schlief.

In der kleinen Stadt leuchteten einige Neonröhren, das erste halbwegs zählende Lebenszeichen seit einer Stunde. Die kerzengerade Straße, sicher die Einzige im ganzen Ort, führte auf den Hafen zu. Das düstere Meer konnte Harry bereits sehen.

Doch der Hafen war leer. Nicht ein einziges Schiff befand sich dort, schon gar keine Fähre. Hatte er sie doch verpasst?

Harry schulterte seine Tasche und ging wenige Schritte, bis er die Anlage erreicht hatte. Der Hafenbereich war tatsächlich leer, der kurze Steg verwaist. Im einzigen Gebäude hing ein unscheinbares Schild, das Harry beinahe übersehen hätte.

„Fähre nach Linder am 28.08. wegen schlechter Wetterbedingungen auf unbestimmte Zeit verschoben. Bitte wenden Sie sich wegen weiterer Informationen oder den Ersatz der Tickets an die Hafenbehörde, geöffnet Mo bis Fr zwischen 8 und 10 Uhr.“

Da stand er nun. Es kam Harry nicht besonders stürmisch vor, doch vielleicht sah es auf See anders aus. In jedem Fall schaute er sich um, denn er fragte sich, wo er jetzt hin sollte. Er erinnerte sich, eines der Neonschilder war defekt gewesen, das zuckende Aufleuchten der Buchstaben war ihm deshalb im Gedächtnis geblieben. „B & B“, also gab es so etwas wie ein Hotel in dieser Stadt.

Harry lief den Weg zurück, bis er vor dem Gebäude stand. Es erinnerte ihn an die Art von Spelunken, in denen er früher seine Zeit verbracht hatte. Viel zu viel Zeit, würde er heute sagen.

Das Gebäude war zwar alt, doch strahlte es nicht den Charme einer gereiften Persönlichkeit aus, der bisweilen von antiken Häusern ausgeht. Es handelte sich eher um ein zu schnell gealtertes Wesen, das nie wirklich schön gewesen war. Der stumpfe Beton war an manchen Stellen aufgeplatzt und offenbarte die Sicht auf verrostete Eisenstangen, die das Gebilde zusammenhielten. Die Neonwerbung vollführte ein blitzendes Gewitter, summte dabei wie eine asthmatische Biene.

Ohne lange zu überlegen trat Harry ein. Eine Wolke aus schimmliger Feuchtigkeit und kaltem Nikotinrauch kam ihm entgegen. Der alte Teppich war ausgetreten und doch sank Harry einige Zentimeter ein. Das synthetische Gewebe sog ihn förmlich auf, knisternd hielt es die Gummisohlen fest. Als Harry das schmutzige Pult der Rezeption erreicht und die fleckige Klingel betätigt hatte, entlud sich eine gewaltige Spannung, die einen sichtbaren Funken an Harrys Hand erzeugte. Der hätte beinahe aufgeschrien, doch im Knast hatte er gelernt, niemals seine Schmerzen zu zeigen.

Aus einem Nebenzimmer hörte Harry jemanden, der sich räusperte. Es folgten schlurfende Schritte, bis ein alter Mann auftauchte, der viel zu dünn und klapprig aussah. Seine Gebrechlichkeit wurde durch die Tatsache übertönt, dass seine Nase und Ohren viel zu groß waren, denen somit sofort jegliche Aufmerksamkeit zuflog.

„Sie wünschen?“

Die heisere Stimme eines Kettenrauchers kratzte durch den Raum.

„Ich brauche ein Zimmer, bis die Fähre wieder fährt.“

Der Alte starrte Harry mit großen Augen an.

„So, so. Geschieht öfter. Vielleicht fährt sie morgen wieder. Name?“

Harry antwortete.

„Sie haben sogar eine Reservierung. Jemand hat vorhin angerufen und eigentlich das ganze Hotel ausgebucht. Ihr Name ist auch dabei.“

Dann wussten sie also vom Ausfall der Fähre. Eines musste man der Bande lassen, sie waren immer und überall genauestens informiert und vorbereitet. Es war beinahe beängstigend.

„Wie viele sind denn noch da?“

„Genau 20. Sie sind alle schon im Haus, mit dem gleichen Zug angekommen wie Sie.“

Das wunderte Harry allerdings. Er hatte niemanden aussteigen sehen, so dass er angenommen hatte, dass er der Einzige war, der die Fähre hatte nehmen sollen. Doch es musste noch mehr Teilnehmer geben, denn es war ausdrücklich von einem Gruppenexperiment die Rede gewesen.

„Ach, noch etwas. Auch für Sie ist ein Umschlag abgegeben worden. So wie für alle anderen. Sie sollen ihn sofort öffnen.“

„Warum denn?“

„Was weiß ich denn?“, der Rest des Satzes ging in einem schüttelnden Hustenanfall unter.

Harry hatte genug von dem Alten, der jetzt damit begonnen hatte, seine Lungen vom Teer der Jahrzehnte zu befreien. Angeekelt machte er sich auf den Weg in die erste Etage, wo er sein Zimmer vorfand. Es passte zum Gesamteindruck des Hotels, altmodische Möbel, vergilbte Tapeten und ein Geruch, von dem Harry lieber nicht wissen wollte, wo er herstammte. Die Matratze des Bettes war durchgelegen und viel zu weich, was für Harry einen kaum zu vereinbarenden Gegensatz zu den letzten Jahren im Gefängnis darstellte. Dort hatte er immer viel zu hart gelegen. Doch es interessierte ihn nicht sehr, denn er entschied sich, seinen Sekundenschlaf aufrecht im abgewetzten Sessel zu halten. Er setzte sich und sank tief ein. Beinahe hatte er das Gefühl, dass das Möbelstück ihn voll und ganz verzehren wollte. Doch es fühlte sich gut an, so dass Harry eine ganze Stunde damit verbrachte, kurz einzunicken, um dann sofort wieder die Augen aufzuschlagen. Wie selten gelang es ihm hervorragend. Für Stunden würde er nun munter sein. Doch was sollte er hier unternehmen?

Die Wände waren wie in allen Gebäuden dieser Art sehr dünn, so dass Harry die anderen Gäste hören konnte. Fernsehgeräusche, Toilettenspülungen, Schritte, das waren noch die harmlosesten Geräusche. Er meinte ein Paar hören zu können, das sich liebte. Nicht zu wild, aber dennoch gut vernehmbar.

Sein Blick fiel auf den Umschlag, den er auf den klobigen Schreibtisch geworfen hatte. Er verspürte nicht die geringste Lust, ihn zu öffnen. Überhaupt hatte er keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Er machte sich kurz frisch und ging dann wieder nach unten, wo er den Portier wieder aus seinem Zimmer klingelte. Zur Strafe erhielt er wieder einen Schlag, so dass er sich schwor, nie wieder auf diese Klingel zu drücken, sondern stattdessen zu rufen.

Der Alte kam langsam auf ihn zu, hob seine überwucherten Augenbrauen, die Harry erst jetzt auffielen. Danach fiel sein Blick auf die krumme Nase, die wie ein beachtlicher Erker im Gesicht thronte.

„Gibt es hier eine Bar? Ich würde gerne etwas trinken gehen.“

Als wenn man in einer Bar etwas anderes machen würde.

„Sie können es im „Eberhardter“ probieren, obwohl ich nicht weiß, ob er schon aufhat. Wissen Sie, es gibt hier kaum Gäste und die wenigen Einwohner gehen selten aus. Aber heute Abend könnte es sich lohnen, denn Sie haben ja alle Kredit.“ Kredit? Diese Halunken hatten wirklich an alles gedacht.

„Wo finde ich das „Eberhardter“?“

„Können Sie nicht verfehlen. Direkt an der Hauptstraße, ungefähr 20 Häuser nach links.“

„Aber es gibt doch nur die Hauptstraße...“

Der Alte grinste und zeigte seine gelben Zähne.

Harry fuhr fort.

„Also fast am Bahnhof?“

„Genau. Gleich das erste Haus.“

Harry bedankte sich und ging rasch aus dem Hotel. Es wirkte unheimlich.

Der Ort schien noch ausgestorbener als bei seiner Ankunft. Kein Mensch zeigte sich, genauso wie vorhin, aber in der Dunkelheit wirkte Harvor noch einsamer als vorher. Einige Laternen leuchteten schwach, die meisten waren bereits ausgefallen. Niemand schien sich die Mühe zu machen, sie zu reparieren. Warum auch? Es war ohnehin niemand unterwegs.

Auch in den Wohnhäusern brannte kaum Licht. Ab und zu huschte ein Schatten an den beleuchteten Fenstern vorbei, so dass Harry zumindest den Eindruck hatte, nicht völlig allein in dieser Stadt zu sein. Langsam ging er auf den Bahnhof zu, der kaum 100 Meter von ihm entfernt war. Alles schien hier alt und abgerissen. Dabei musste Harvor vor vielen Jahren einmal eine regelrechte Blüte erlebt haben. Wahrscheinlich hatte es mit dem Hafen zu tun, aber Harry erinnerte sich nicht mehr. Es war auch egal, denn der schäbige Zustand des Ortes jetzt lohnte keinen weiteren Gedanken daran.

Vor der Bar blieb er stehen. Es hatte den Anschein, dass auch sie geschlossen war, so wie alles andere in Harvor, aber eine schwache Funzel leuchtete im Innern, ein klares Zeichen dafür, dass jemand da war, der zur Not ausschenken konnte. Harry versuchte die Tür zu öffnen, doch weiter als einen Spaltbreit wollte diese sich nicht bewegen. Von innen ertönte eine Stimme:

„Etwas mehr Gewalt. Sie klemmt.“

Harry zog jetzt kräftiger und tatsächlich, ohne viel Gegenwehr öffnete sich die Tür, die eingesehen zu haben schien, dass sie gegen Harrys kräftige Arme keine Chance haben würde.

Drinnen war es geradezu gemütlich. Jemand hatte sich viel Mühe mit der Einrichtung gegeben, die gut und gerne in die Szenebars von Großstädten gepasst hätte. Viele alte Gegenstände von Booten zierten den Raum, die meisten davon aus Bronze oder Kupfer, Harry wusste das nicht genau. Jedenfalls spielten sie dem Besucher einen antiken Eindruck vor, auch wenn alles blitzte und glänzte. Warum machte sich jemand in einem Ort wie diesem so viele Umstände?

Harry war wie erwartet der einzige Gast. An der Theke stand eine für die Bar zu billig aussehende Blondine, die ihre besten Jahre schon lange hinter sich zu haben schien. Ein Hauch von miesem Parfüm und Mentholzigaretten wehte Harry entgegen, der eigentlich die Absicht gehabt hatte, sich an die Theke zu setzen, doch nun davon Abstand nahm. Stattdessen suchte er sich unweit des Ausgangs einen großen Tisch aus. Überhaupt waren alle Tische für mindestens sechs Personen gedacht. Die halbe Einwohnerschaft Harvors hatte hier sicher Platz. Doch an diesem Abend war er der einzige Gast, zumindest bis jetzt.

Wie immer in diesen Fällen dauerte es eine Weile, bis die Blondine ihren Weg zu ihm fand. Sie warf mit Schwung die Speisekarte auf den Tisch und fragte, was Harry trinken wolle.

Früher, vor der ganzen Geschichte, hätte Harry Wein bestellt. Doch diese Zeit war vorbei. Bier, zu mehr hatte er es nicht gebracht.

Die Speisekarte stellte sich als übersichtlich heraus, doch das hieß nichts. Harry genoss es, das erste Mal seit Jahren seine Mahlzeit selbst auszusuchen. Dass er trotzdem das Schweinekotelett wählte, das typische Freitagsgericht im Gefängnis, machte ihm nichts aus, denn der Unterschied bestand in seiner Freiheit, auch das essen zu können, was ihm in der Unfreiheit geschmeckt hatte. Doch die Blondine ließ auf sich warten, die Bestellung würde er erst aufgeben können, wenn sie das Bier servierte.

Harry war es egal.

Er hatte Zeit.

Er schaute aus dem Fenster auf die verlassene Straße. Plötzlich rüttelte es an der Tür. Harry, der mit dem Rücken zum Ausgang saß, brüllte:

„Kräftig ziehen. Die will nicht immer.“

Es war, als gehörte er bereits zum Inventar.

Gerne hätte Harry sich umgedreht, um den neuen Gast unter die Lupe zu nehmen, doch schien es ihm unhöflich. Außerdem würde er den Besucher sehen, sobald dieser an die Theke ging. Wenn er denn an die Theke gehen sollte und sich nicht in den hinteren Bereich der Bar setzen würde.

Plötzlich erschien die Blondine mit dem Bier. Harry bestellte und erfuhr, dass es einen Augenblick dauern würde mit dem Essen, denn der Koch mache gerade Inventur. Harry zuckte mit den Schultern. Er konnte den Koch verstehen. Wer rechnete auch in Harvor mit Gästen?

Der neue Besucher hatte sich inzwischen an der Theke platziert. Es handelte sich um eine Frau Anfang dreißig. Keine Schönheit, aber auch nicht unattraktiv. Ihre dunkelbraunen Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, in der unsymmetrischen Anordnung des Gesichts lag ein Charme, den Harry mochte. Die Frau wirkte nervös, ließ ihre Handtasche vom Sitz rutschen, die mit einem lauten Knall auf dem blank gewienerten Boden landete. Die Blondine hinter der Theke beobachtete sie geringschätzig. Harry ergriff seine Chance und sprang von seinem Sitz auf. Mit drei großen Schritten erreichte er die Frau, um sich nach der Handtasche zu bücken, bevor sie daran dachte.

Schüchtern schaute sie Harry an, lächelte betreten und bedankte sich höflich, doch hielt sie seinem Blick nicht stand.

Harry lächelte ebenfalls. Er wollte nicht aufdringlich sein, also nickte er nochmals kurz, bevor er sich umdrehte und wieder an seinem Tisch Platz nahm.

Das Bier schmeckte hervorragend.

Eines musste man der billigen Blondine lassen, sie verstand es zu zapfen. Auf seiner ewigen Werteskala stieg sie um einen Punkt nach oben.

„Entschuldigen Sie, ich möchte nicht unhöflich sein. Aber erlauben Sie mir, dass ich mich zu Ihnen setze?“

Harry drehte sich und hob seinen Kopf. Die Frau mit der Handtasche, die sich erst in die andere Ecke der Bar begeben hatte, stand hinter ihm.

Er war überrascht, so dass es nur zu einer Geste reichte. Das „Bitteschön“ blieb ihm im Hals stecken.

„Ich mache das normalerweise nicht, wer weiß schon, ob Leute sich überhaupt unterhalten wollen. Aber es ist so einsam in diesem Ort. Meine letzte Unterhaltung mit einem Lebewesen scheint schon tagelang her zu sein.“

„Sie sind mit dem Zug angekommen? Oder wohnen Sie hier?“ Harry mochte es nicht, lange um ein Thema herumzupalavern.

„Mit dem Zug. Es hat mich gewundert, dass niemand anderes ausgestiegen ist.“

„Das hatte ich auch gedacht, als ich ausgestiegen bin. Dachte, ich hab die Fähre verpasst. Das heißt, sie fuhr ja gar nicht.“

„Sie wollen auch auf die Fähre?“

„Also wenn Sie sie auch erreichen wollten, dann gehören Sie ebenfalls zu dem Experiment.“

Harry wusste gar nichts davon, aber eine andere Erklärung gab es nicht, wenn jemand nach Linder wollte.

„Ja, aber sprechen Sie nicht weiter. Haben Sie denn nicht in den Umschlag geschaut?“

Den Umschlag hatte Harry völlig vergessen.

„Der liegt noch in meinem Zimmer im Hotel.“

Die Frau lachte.

„Na, Sie sind gut.“

„Ich werde ihn noch früh genug aufmachen. Warum eigentlich? Habe ich schon etwas falsch gemacht?“

Die Frau lächelte.

„Nein, noch nicht. Nur steht dort als erste Regel, den anderen Teilnehmern nichts über sich mitzuteilen.“

„Das wird unsere Unterhaltung heute Abend aber gewaltig einschränken.“

„Vielleicht finden wir doch ein Thema.“

Wenn die Frau lächelte, sah ihr Mund noch schiefer aus, als er ohnehin schon war.

„Sicher. Haben Sie schon bestellt?“

„Nur den Weiswein hier. Ich kann um diese Zeit nichts essen.“

Wie auf Bestellung tauchte die Kellnerin mit Harrys Kotelett auf. Dem war jetzt gar nicht mehr nach Essen zumute, denn er hasste es, dabei beobachtet zu werden. Doch die Frau mit der Handtasche machte keine Anstalten, ihn zu stören. Stattdessen schaute sie auf die Straße, während Harry sein Fleisch zerteilte. Das Kotelett war zart und saftig und von außergewöhnlicher Qualität. Es passte zur Bar. Jemand gab sich wirklich Mühe. Hier, am Ende der Welt.

Als Harry fertig war, schob er den Teller zur Seite, als Zeichen, dass er bereit war, die Unterhaltung fortzusetzen. Die Frau gegenüber schaute ihn an, schien aus einer anderen Welt wieder zurück zu ihm zu kommen.

„Wir haben uns noch nicht vorgestellt“ ,sagte sie.

„Wie unaufmerksam. Harry. Harry K., um genau zu sein.“

„Jeanette. Bei mir reicht der Vorname.“

„Nach Ihren Ausführungen, Jeanette, darf ich Ihnen nichts weiter über mich erzählen. Hoffentlich stimmt wenigstens Ihr Name.“

Harry lächelte, doch in seinen Worten schwang eine gehörige Portion Misstrauen mit.

Jeanette erwiderte das Lächeln nicht, schien von seiner Vermutung getroffen.

„Mein Name stimmt. Aber Sie haben recht, mehr kann ich Ihnen nicht sagen.“

„Über was wollen wir uns unterhalten? Das Wetter? Da haben wir nicht viel zu erzählen.“ Harry überlegte angestrengt.

„Es ist nicht leicht, ein Gespräch zu führen, wenn man nichts von sich preisgeben darf.“ Jeanette schien nachdenklich.

„Alles, was wir erzählen, reflektiert einen Teil von uns. Sobald wir kommunizieren, verraten wir uns, ob wir wollen oder nicht.“

„Dann wäre es jetzt unmöglich, sich mit Ihnen zu unterhalten. Nahezu verboten, denn wir dürfen ja nichts mitteilen. Im Grunde müsste ich aufstehen und zurück ins Hotel gehen.“ Jeanette war sehr ernst geworden, wirkte wieder unsicher. Im Grunde kam sie Harry vor wie ein kleines Mädchen, wenn da nicht noch die andere Seite an ihr gewesen wäre. Die Frau in ihr war stark. Aber das Mädchen kam immer wieder zum Vorschein.

„Lassen Sie mal. Vielleicht enthält mein Umschlag ja etwas ganz anderes. Vielleicht dürfen nur Sie nichts erzählen?“

Jeanette schwieg unsicher.

Harry beobachtete sie. Es gab Momente, in denen sie ihm gefiel. In anderen Augenblicken wünschte er, dass sie nicht da wäre. Einen Reim aus diesem Widerspruch konnte er sich nicht machen. In jedem Fall stockte ihre Unterhaltung. Jeanette wollte oder konnte nicht und auch er wusste nicht, was er sagen sollte, denn selbst wenn er sich einen Dreck um die Regeln scherte, waren diese Jeanette offensichtlich sehr wichtig.

Er fuhr fort.

„Haben Sie schon jemand von den anderen getroffen?“

„Wie gesagt, nein. Auf dem Bahnhof war niemand. Im Hotel habe ich nur den einen oder anderen Gast gehört. Sonst nichts.“

„Es ist, als wenn sie uns voneinander getrennt haben. Schon vor Beginn des Experiments.“

„Das hieße aber auch, dass es bereits begonnen hat, denn dann wäre unser Treffen kein Zufall.“

„Wieso? Haben Sie denn die Aufforderung erhalten, hier in die Bar zu gehen?“

„Nein. Sie etwa?“

„Natürlich nicht.“ Für Harry war das eine merkwürdige Vorstellung.

„Trotzdem könnte es bereits zu der Veranstaltung gehören. Ich weiß ja nicht, worum es geht. Hat Ihnen jemand etwas gesagt?“

Harry schüttelte langsam mit dem Kopf. „Nein.“ Er überlegte. Mehr durfte er eigentlich nicht sagen. Von seinem Aufenthaltsort vor dieser Geschichte hätte er sowieso nichts erzählt, was ihm jetzt gerade recht kam. So musste er sich keine Geschichte ausdenken.

Die Unterhaltung erstarb schon wieder. Jeanette überlegte sichtbar, was sie erzählen könnte, doch immer, wenn sie etwas gefunden zu haben schien und ansetzen wollte, zögerte sie. Ständig war da etwas, das eine Winzigkeit von ihr preisgab.

Harry hingegen war das Spiel langsam leid. Zum Glück klapperte die Blondine bereits mit den Stühlen, ein untrügliches Zeichen für den bevorstehenden Feierabend. Obwohl es gerade einmal zehn Uhr war, doch weitere Gäste erwartete man hier anscheinend nicht.

Auch Jeanette schien den Versuch der Blondine erleichtert wahrzunehmen.

„Ich glaube, sie wollen, dass wir gehen.“

Harry winkte der Kellnerin zu, rieb mit den Fingern, um ihr anzudeuten, dass er die Rechnung verlangte.

Die brüllte laut durch den Raum: „Schon gut, alles bezahlt.“

Harry hatte es vermutet, doch wunderte ihn das Verhalten dieser ominösen Veranstalter des Experiments immer mehr.

Schneller als notwendig stand er auf, zog sich die Jacke an. Jeanette schien wegen der Eile überrascht, folgte aber seinem Beispiel. Harry wollte jetzt so schnell es ging wieder zurück ins Hotel. Die ganze Situation langweilte ihn zunehmend.

Er dachte kurz daran, Jeanette die Tür aufzuhalten, ging dann aber selbst zuerst durch. Er war kein Gentleman, auch wenn er mit dieser Geste gerade etwas über sich verraten hatte. Auch Jeanette schien dieser Gedanke durch den Kopf zu gehen, denn er spürte ihren Blick, der Vorwürfe ausdrückte. Er sah es nicht, aber er fühlte es.

Ohne weitere Worte liefen sie die Straße entlang. Nichts hatte sich geändert, alles wirkte tot und ausgestorben.

Im Hotel angekommen, verharrten sie kurz im Eingangsbereich.

„Ich habe meinen Schlüssel vorhin abgegeben“ ,sagte Jeanette. Harry spürte seinen in der Tasche. Er holte ihn hervor und spielte damit.