Little Dove - Layla Frost - E-Book

Little Dove E-Book

Layla Frost

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Beschreibung

Wo soll ich anfangen? Ach ja. Es war einmal ... Ist das nicht der Beginn aller guten Märchen? Maximo und ich – wir waren definitiv ein Märchen. Aber nicht die harmlose Art, in der alle Probleme mit einem Lächeln und einem Lied verschwinden. Nein, wir gehörten eher zur düsteren Sorte. Die Märchen, die voller Gier, Gewalt und tragischer Anfänge stecken. Maximo war mehr Bösewicht als Prinz. Unheimlich attraktiv, teuflisch charmant. Kontrollierend, besitzergreifend und gefährlich. Er legte mir die Welt zu Füßen. Im Gegenzug verlangte er das, was er am meisten begehrte: Mich. Ganz und gar. Ich war seine kleine Taube. Und wehe dem, der versuchen sollte, mich aus meinem goldenen Käfig zu befreien. Empfohlen für Leser ab 18 Jahren. Diese Slow-Burn-Romance enthält eine explizite Sprache, Sex, Gewalt und einen Daddy, der besessen ist von seiner little Dove. Wenn das nicht nach deinem Märchen klingt, ist dieses Buch vielleicht nichts für dich.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 589

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Layla Frost

© Die Originalausgabe wurde 2023 unter dem

Titel Little Dove von Layla Frost veröffentlicht.

© 2025 Romance Edition Verlagsgesellschaft mbH Bachgasse 55, 8700 Leoben, Austria

[email protected]

Aus dem Amerikanischen von LoveLine Books Covergestaltung: © Sturmmöwen

Redaktion & Korrektorat: Romance Edition

ISBN-Taschenbuch: 978-3-903519-37-4

ISBN-EPUB: 978-3-903519-38-1

www.romance-edition.com

Inhalt

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

26. Kapitel

27. Kapitel

28. Kapitel

29. Kapitel

30. Kapitel

31. Kapitel

32. Kapitel

33. Kapitel

34. Kapitel

35. Kapitel

36. Kapitel

37. Kapitel

38. Kapitel

Epilog

Danksagung

Über die Autorin

Until Us: Sadie

1. Kapitel

Our White Castle

Juliet

»Rein da.«

»Wie bitte?«, fragte ich, während ich versuchte, mit den Schritten meines Vaters mitzuhalten, als er mich an den Schultern packte und nach hinten schob. Ich stolperte, wäre fast gefallen, aber er machte immer weiter.

Er riss die kleine Speisekammertür auf und schob mich hinein. »Komm nicht raus, egal, was du hörst. Verstanden?«

Ich hatte keine Ahnung, was los war, aber ich wusste, dass man Shamus McMillon besser nicht infrage stellt, besonders wenn er in so einem Zustand war.

Sein rötlich ergrautes Haar war zerzaust, und seine wilden Augen huschten immer wieder hin und her. Jeder Atemzug, den er ausstieß, roch nach billigem Whiskey und einem Fass Guinness.

Anstatt also die zig Fragen zu stellen, die mir auf der Zunge lagen, murmelte ich einfach ein Okay.

»Ich meine es ernst, Jule-Bug. Öffne die Tür erst, wenn ich es dir sage.« Er musterte mein Gesicht, sein Ausdruck angespannt und ängstlich. Mit einem Seufzen schloss er die Tür und ließ mich im Dunkeln zurück, umgeben von abgestandenen Crackern, Dosenfleisch und vermutlich ein paar Mäusen.

Ich war gerade von Erledigungen und Einkäufen nach Hause gekommen, als Dad sich von der Couch hochgerafft hatte, um etwas zu essen zu holen. Sein Blick war zum vorderen Fenster gewandert, bevor er das Glas mit Erdnussbutter fallen ließ und mich in die Speisekammer drängte.

Ich hatte keine Ahnung, was er gesehen hatte, das ihn so ausflippen ließ. Wir wohnten am Ende einer langen, staubigen Straße hinter Dads Fitnessstudio, und die einzigen Besucher, die bei uns vorbeikamen, waren seine Kumpel. Wenn sich jemand über diese Art von Gesellschaft aufregen sollte, dann ich. Seine Freunde waren Arschlöcher, die mir jedes Mal eine Gänsehaut bescherten.

Was auch immer los war, ich hoffte, es würde schnell vorbeigehen. Ich hatte mir heute Eis gegönnt, und in Vegas scheinen die Leute nicht zu verstehen, dass auch der Februar Winter ist. Mein kostbares Cookies-and-Cream-Eis schmilzt wahrscheinlich gerade dahin.

Vielleicht ist es ein Essen auf Bestellung und ich muss ausnahmsweise mal nicht kochen. Oder vielleicht sind es ein paar nette Leute aus dem Fitnessstudio, die Kuchen mitgebracht haben, den ich zu meinem Eis genießen kann. Und vielleicht, nur vielleicht, hat mein Vater meinen siebzehnten Geburtstag doch nicht vergessen und versucht, mich zu überraschen.

Und vielleicht finde ich einen Regenbogen in dieser alten Packung No-Name-Lucky-Charms und reite ihn bis zu einem Topf voller Gold.

Ich wusste es besser, als solche Träumereien zu haben. Es war nicht das erste Mal, dass Dad meinen Geburtstag vergessen hatte. Allein die Tatsache, dass er am Valentinstag war, hätte ihm eigentlich eine Erinnerungshilfe sein können – aber dazu müsste es ihm auch wichtig genug sein, sich daran zu erinnern.

Dem war nie so.

Es klopfte laut an der Haustür, bevor sie mit einem Knall gegen die Wand aufgestoßen wurde.

»Jungs!«, begrüßte Dad die Ankömmlinge, seine Stimme drang leicht durch die dünnen Wände. »Was führt euch in mein Schloss?«

Ich unterdrückte ein Lachen.

Wenn das hier ein Schloss ist, dann gehört es dem Burger King.

Und seiner Dairy Queen.

Es ist ihr bescheidenes White Castle.

Ich habe so einen Hunger.

»Wenn ihr mich buchen wollt«, sagte Dad, »müsst ihr meine Managerin anrufen. Sie plant meine Kämpfe.«

Ich verdrehte die Augen. Diesen Spruch brachte er immer, als hätte er irgendeine großartige Agentin, die seine Kämpfe koordinierte.

In Wahrheit war ich seine Managerin. Nur ich und ein alter Schreibtischkalender im Hinterzimmer seines Fitnessstudios.

»Wir hatten heute ein Treffen vereinbart«, brummte eine tiefe Stimme – ruhig, kühl und gefasst.

Währenddessen klang mein Vater nervös, fahrig und gezwungen. »Oh! War das heute? Muss mir wohl entgangen sein. Was braucht ihr?«

»War eine bittere Niederlage am Samstag«, sagte die Stimme.

Moment mal. Ich dachte, er hätte gewonnen.

Er hatte nichts gesagt, aber er war auch nicht völlig betrunken oder noch Schlimmeres gewesen, wie er es immer nach einer Niederlage war.

»Ja, der Sp... äh, Junge«, sagte Dad und fing sich gerade noch, bevor er das Schimpfwort benutzte, »hat einen verdammt guten rechten Haken.«

Es gab vieles, was man an Shamus McMillon verabscheuen konnte, und sein beiläufiger Rassismus stand ganz oben auf der Liste.

»Das ist interessant«, sagte der unbekannte Mann in einem Ton, der deutlich machte, dass er nichts Lustiges daran fand. »Denn ich habe mit Josés Trainer gesprochen. Er meinte, sein rechter Haken sei schwach. Nicht nur das, er setzt seinen linken Fuß immer ein. Jeder weiß das. Sie versuchen, ihm das abzugewöhnen.«

»Muss ich wohl übersehen haben. Ich werde alt, bin nicht mehr so scharf wie früher.«

»Ach ja?«

»Ja, ich denke schon länger darüber nach, die Handschuhe an den Nagel zu hängen und mich darauf zu konzentrieren, die jungen Kerle im Fitnessstudio zu trainieren.« Das war neu für mich. Dad lachte auf. »Aber wenn du daran interessiert bist, meinen Abschiedskampf zu buchen, Max, dann ...«

»Maximo«, ertönte die tiefe Stimme.

»Wie bitte?«

»Mein Name ist Maximo. Nicht Max.«

Der Name kam mir nicht bekannt vor. Wenn ich an die Leute dachte, mit denen mein Vater zu tun hatte, stellte ich mir einen Möchtegern mit Bierbauch und fettigem Gesicht vor, der glaubte, er wäre Teil des Rat Pack. Ich hoffte nur, dass dieser Maximo endlich sagte, was er wollte. Ich hatte Hunger, und nach dem ganzen Tag unterwegs taten mir die Füße weh.

»Richtig, richtig, Maximo«, sagte Dad. »Ich gebe dir die Nummer von meinem Mädchen, sie kann dir weiterhelfen.«

»Nachdem ich mit Josés Trainer gesprochen habe, habe ich noch jemanden aufgesucht«, fuhr Maximo fort, als hätte mein Vater nichts gesagt.

»Wen?«

»Carmichael. Er hatte eine Menge über dich zu erzählen, Shamus.«

»Ja?« Dads Stimme bekam einen nervösen Unterton. »Wir sind alte Freunde. Hab ihn schon eine Weile nicht gesehen. Bestimmt ein Jahr oder so.«

Das war gelogen. Mugsy Carmichael war einer dieser Möchtegern-Gangster, mit denen Dad gerne rumhing. Er war ständig im Fitnessstudio und jagte mir jedes Mal eine Heidenangst ein. Er war erst letzte Woche dort gewesen.

»Weißt du, was ich hasse, Ash?«, fragte der Mann – Maximo.

»Was, Boss?«, antwortete eine neue Stimme.

»Lügner. Ich hasse verdammte Lügner.« Etwas krachte gegen die Wand, und ich zuckte zusammen. »Du hast absichtlich verloren«, zischte Maximo, seine Stimme war zwar leise, doch ich konnte die Wucht seiner Worte fast körperlich spüren.

»Ich würde nie ...«, setzte Dad an, aber das Geräusch von Faust auf Fleisch – der Soundtrack meines Lebens – verriet, dass ihn jemand schlug, bevor er den Satz beenden konnte.

»Belüg mich nicht noch einmal«, warnte Maximo. »Du hast absichtlich verloren, nachdem du auf José gesetzt hast.«

Mein Vater war vieles. Ein Säufer. Ein Spieler. Ein Rassist. Ein lausiger Vater. Und gierig. Aber ein Betrüger? Das hatte ich nicht erwartet. Sein Name, sein Titel und sein Ruf in der Boxwelt waren das Wichtigste für ihn. Er schätzte sie höher als alles andere – einschließlich seiner einzigen Tochter.

»Deine Niederlage hat den Leuten eine Menge Geld gekostet, Shamus. Leute, die alles andere als erfreut sind. Leute, die mich beschuldigen, manipulierte Kämpfe zu veranstalten. Ich mag keine Lügner oder Betrüger, und ich lasse mich ganz bestimmt nicht als einen von beiden bezeichnen.«

»Ich habe nicht manipuliert«, behauptete Dad. Aber das war gelogen. Und das Geräusch der Schläge verriet, dass sie es wussten. Ich griff nach dem Türknauf, hielt aber inne. Es war nicht das erste Mal, dass jemand gekommen war, um Dad zu verprügeln. Er hatte viele Feinde. In der Boxwelt. In den Casinos. Überall in den USA. Es würde mich nicht wundern, wenn die Schwestern von Mother Mary’s in New York ausspucken würden, wenn sie seinen Namen hörten. Zumindest hatten die Typen da draußen diesmal direkt Dad aufgesucht, anstatt mich in seiner Abwesenheit zu verprügeln. Das wäre auch nicht das erste Mal gewesen.

Mein Vater war ein professioneller Boxer. Er konnte auf sich selbst aufpassen. Es gab nichts, was ich tun konnte, außer mich selbst unnötig in Gefahr zu bringen.

Ich ließ meine Hand vom Türknauf sinken.

»Ich kann das wiedergutmachen!«, rief mein Vater, und die Unruhe draußen ließ nach.

»Ich glaube, du unterschätzt, wie wütend die Leute sind. Sie wollen ihr Geld zurück.«

»Ich brauche nur ein wenig Zeit, aber ich werde bezahlen.« Die Panik meines Vaters wuchs, und er versuchte nicht einmal, sie zu verbergen. »Ich werde einen Weg finden. Ich verkaufe das Fitnessstudio. Irgendetwas.«

Oh, Dad. In was hast du dich dieses Mal nur hineingeritten?

»Lass mich gegen einen deiner neuen Leute kämpfen«, flehte mein Vater. »Ich mache alles. Gewinnen oder den Kampf verlieren, was immer du willst. Ich mache es so glaubhaft, dass niemand etwas merkt.«

»Meinst du das ernst?«, donnerte Maximo, seine Stimme dröhnte in meinen Ohren. »Was versteht der nicht an Ich hasse Lügner?«

»Keine Ahnung, Boss«, sagte jemand.

»Lasst uns das hinter uns bringen.«

»Hey, Leute ... Max...imo, Maximo, Mann, Sir, komm schon.« Mein Vater senkte seine Stimme, sodass ich mein Ohr an die dünne Wand pressen musste, um ihn zu hören. »Das Fitnessstudio, das Auto, alles. Du kannst es haben. Nimm es.«

»Ich will deinen Mist nicht, Shamus. Es ist genauso wertlos wie du.«

»Komm schon, Mann, ehrlich. Ich verstehe es. Ich habe Mist gebaut. Ich finde einen Weg, alles zurückzubezahlen, und dann gehe ich in den Ruhestand. Ich werde die Casinos meiden. Aber wenn du mich umbringst, kriegst du das Geld nicht wieder. Tote Männer können nicht zahlen.«

Umbringen?

Hat er gerade gesagt umbringen?

Ich riss die Tür auf und stürmte in unsere kleine Küche. Ich drehte mich in Richtung Wohnzimmer, gerade als ein lauter Knall das winzige Haus erfüllte. Der Schall hämmerte in meinen Kopf und hallte nach, bis nur noch ein Klingeln in meinen Ohren blieb.

Doch ich bemerkte kaum das Echo, das der Knall hinterließ.

Weil mein ganzer Fokus – wirklich alles – auf meinen Vater gerichtet war.

Mein toter Vater mit dem Loch im Kopf, dessen Gehirn auf unser schäbiges Sofa gespritzt war.

Ich werde diesen Fleck nie mehr rausbekommen.

Ich dachte, das hätte ich nur in meinem Kopf gesagt, aber ich musste es laut ausgesprochen haben, denn alle Blicke richteten sich auf mich.

Na ja, alle außer der meines Vaters.

Mir wurde übel, und ein Würgen stieg in meiner Kehle hoch.

»Scheiße«, knurrte ein schwarzhaariger Mann.

Der Mann links von ihm hob seine Waffe und richtete sie auf mich.

Genau.

Auf.

Mich.

Ich hatte keinen Ausweg. Es gab keinen Weg, wie ich an den drei Schlägern und diesem riesigen Kerl vorbeikommen konnte. Die alte Hintertür hinter mir ließ sich nicht mehr öffnen. Wenn ich den Flur entlangrennen würde, könnte ich vielleicht eines der verriegelten Fenster einschlagen, aber es war wahrscheinlicher, dass ich einen Schuss in den Rücken bekäme.

Wenn ich sterben muss, dann wird Rennen nicht das Letzte sein, was ich auf dieser Welt tue.

Wie eine wehrlose Maus, umzingelt von Raubtieren, blieb ich, wo ich war. Ich straffte meinen Rücken und hob das Kinn.

Ich wartete auf den Tod.

»Warte«, sagte der schwarzhaarige Mann und drückte den Arm des anderen Mannes nach unten. Er musterte mich mit dunklen Augen, fuhr sich mit einer tätowierten Hand durch die Haare und über seinen stoppelig-bärtigen Kiefer. Nachdem er anscheinend eine Entscheidung getroffen hatte, nickte er kurz. »Sie kommt mit uns.«

Oh nein.

In dem Moment drehte ich mich um und rannte.

Es gibt Schicksale, die schlimmer sind als der Tod.

Und wenn ich vor so einem stand, würde ich lieber eine Kugel in den Rücken nehmen.

Ich überraschte sie und gewann etwas Abstand, aber meine kurzen Beine hatten keine Chance gegen die viel längeren Beine des Schlägers.

Starke Arme schlangen sich um meine Taille, und ich wehrte mich. Ich schrie. Ich biss. Ich trat, schlug und kratzte.

Ich würde kämpfen.

Ich würde sterben.

Aber ich würde niemals mit ihnen gehen.

»Verdammte Scheiße«, fluchte der Mann und drückte mich an sich, als wäre ich das Kaninchen, das Lennie zu fest gestreichelt hatte.

Mit einem Glückstreffer erwischte ich ihn mit einem Tritt in die Weichteile. Sein Griff lockerte sich gerade so weit, dass ich mich loswinden und ihm einen Schlag gegen die Kehle verpassen konnte.

Ich drehte mich um, bereit, was auch immer hinter mir war, anzugreifen, aber bevor ich reagieren konnte, verschob sich plötzlich alles. Die Welt kippte zur Seite.

Und dann wurde alles schwarz.

2. Kapitel

Pretty Broken Girl

Maximo

»Was machen wir nur mit ihr?«

Das war die Millionen-Dollar-Frage.

Ich warf einen Blick in den Rückspiegel, obwohl ich die bewusstlose junge Frau, die auf dem Rücksitz meines Navigators lag, nicht sehen konnte.

Shamus’ Tochter.

Beim letzten Mal, als er seine Spielschulden nicht zurückzahlen konnte, hatte er es darauf geschoben, dass er alleinerziehender Vater sei und keine weiteren Angehörigen hätte, die ihm helfen könnte. Ich hatte es als eine seiner vielen Lügen abgetan.

Ich hatte mich geirrt.

Sie war ein zierliches, hübsches Ding. Mutig dazu. Vielleicht hatte sie das Kämpfen von Shamus gelernt, aber ihr stählerner Mut kam definitiv nicht von diesem Feigling.

Gerade noch rechtzeitig fokussierte ich mich wieder auf die Straße, um einem betrunkenen Idioten auszuweichen, der beschlossen hatte, mitten über die belebte Straße zu laufen.

Ash zeigte ihm den Mittelfinger. »Deshalb fahre ich.«

»Nein, du fährst, damit ich arbeiten kann.«

»Ah, richtig, und außerdem siehst du wie ein verdammter VIP aus, wenn dein Leibwächter dich herumfährt.«

Ich zog eine Augenbraue hoch. »Dafür brauche ich deine Hilfe nicht.«

»Ebenfalls korrekt«, stimmte er zu. »Also, was ist der Plan?«

Ich hätte ihm gerne geantwortet, aber ich hatte keinen.

Keine Idee. Keinen verdammten Plan.

Und ich war ein Mann, der alles akribisch plante.

Shamus’ Tod.

Das Zusammenpacken von genug Dingen, um es so aussehen zu lassen, als wäre er vor seinen Problemen weggelaufen.

Sogar bis hin zu dem genauen Ort, an dem ich seine Leiche begraben wollte, damit sie niemand finden würde.

Ich hatte an alles gedacht. Außer an das Mädchen.

Sie war eine unvorhergesehene Wendung.

»Wir können sie nicht einfach am Straßenrand absetzen«, sagte Ash. »Sie hat uns gesehen und deinen Namen gehört.«

Das stimmte. Ich hatte Freunde bei der Polizei, aber diese Unterstützung kannte Grenzen. Besonders, wenn sie zur Presse ging. Die Medien liebten eine hübsche, gebrochene junge Frau. Und Shamus’ Tochter – mit ihren großen grünen Augen, den Sommersprossen und den langen, erdbeerblonden Haaren – wäre ein Magnet für hohe Einschaltquoten. Mehr noch: Wenn wir sie einfach aussetzten, wäre sie dem gesamten Wolfspack ausgeliefert.

»Zu jung, um auf sich allein gestellt zu sein.« Ich fuhr mir durch die Haare. »Ich bezweifle, dass dieser Mistkerl irgendwelche Ersparnisse hatte. Sie wäre auch ohne die Leute, die Shamus’ Schulden eintreiben wollen, am Arsch.«

Und sie würden kommen. Gierig. Begierig darauf, ihren Teil von dem hübschen, gebrochenen Mädchen einzufordern.

Ich wusste nur zu gut, wie es sich anfühlte, für die Sünden des Vaters zu leiden. Ich würde sie nicht in Shamus’ Chaos zurücklassen.

»Also behältst du sie«, folgerte Ash, ohne Frage oder Urteil in seiner Stimme.

»Ja, ich behalte sie.«

***

Juliet

Ich könnte zwanzig Stunden schlafen.

Noch im Halbschlaf ließ ich die Augen geschlossen, streckte mich und rollte mich in die Kissen und Decken ein. Ich musste erschöpfter gewesen sein als gewöhnlich, denn statt eines flachen Kissens mit einem abgenutzten Bezug und einer klumpigen Matratze mit gebrochenen Federn fühlte es sich an, als würde ich auf einer Wolke schlafen. Sauber, frisch und weich.

Und genau das weckte mich. Denn in meinem Leben war nichts sauber, frisch oder weich.

Meine Gedanken rasten in die Realität zurück, die Erinnerungen blitzten wie Szenen aus einem Horrorfilm vor meinem inneren Auge auf.

Mein Vater war tot.

Erschossen.

Ermordet.

Ich war entführt worden. Und betäubt?

Dieser Gedanke ließ mich plötzlich aufrecht sitzen. Ich trug noch immer meine Kleidung, und es fühlte sich nichts ungewöhnlich an. Keine Schmerzen oder Wunden, die diesen Albtraum in einen Höllentrip verwandeln würden.

Ich sprang aus dem Bett und überflog den Raum, während ich nach einem Ausgang suchte. Drei Türen. Ich versuchte die erste, aber sie führte in ein Badezimmer. Die zweite Tür führte in einen begehbaren Kleiderschrank.

Dann sehen wir mal, was sich hinter Tür Nummer drei verbirgt.

Hektisch drehte ich den Griff der letzten Tür, aber statt in einen Flur führte sie in einen weiteren Raum. Auf der gegenüberliegenden Seite gab es noch eine Tür, und ich rannte darauf zu, riss am Griff.

Sie bewegte sich nicht.

Panik stieg in mir auf, und ich hämmerte immer wieder mit der Faust dagegen. »Lasst mich raus! Lasst mich hier raus!«

Niemand kam.

Ich presste mein Ohr an das dicke Holz und hoffte, Stimmen oder Bewegungen zu hören, aber es war still.

Okay.

Okay, ich brauche einen Plan.

Zuerst brauchte ich eine Waffe. Dann einen Ausgang. Und dann würde ich so schnell wie möglich abhauen.

Und dann ...

Nun, das würde ich herausfinden.

Ich drehte mich um, um das Schlafzimmer gründlicher zu durchsuchen.

Oh Toto, wir sind nicht mehr in Kansas.

Es gibt keinen Ort wie zu Hause ... und das hier ist definitiv nicht wie zu Hause.

Mein echtes Zimmer war kaum größer als ein Schrank, und ein kleiner noch dazu. Es passte kaum mein Einzelbett hinein, und ich musste meine kaputte Kommode im Badezimmer aufbewahren. Die Wände hatten ein verblasstes Pissgelb, voller Flecken und wahrscheinlich mit Blei verseucht. Und der rostfarbene Teppich war abgenutzt, rau und fleckig – ein Muster, das sich durchs ganze Haus zog.

Wo auch immer ich war, es war das komplette Gegenteil von all dem.

Das Zimmer war riesig. Größer als unser Wohnzimmer und die Küche zusammen. Die Wände hatten einen hübschen graublauen Ton, ohne die geringsten Anzeichen von Verfärbungen oder Flecken. Das weiße Himmelbett war überdimensioniert, bedeckt mit flauschigen Kissen und einer weichen Bettdecke, die dieselbe Farbe wie die Wände hatte.

Es gab auch einen weißen Kleiderschrank, zwei Nachttische und eine lange Bank vor dem Bett, die perfekt zum Rest des Zimmers passte.

Bei uns zu Hause hatte nie irgendetwas zusammengepasst – nicht einmal zwei Möbelstücke, geschweige denn das ganze Zimmer. Alles war billige Secondhandware oder noch billigere Dinge, die wir am Straßenrand gefunden hatten.

Ich überprüfte den Schrank und die Schubladen der Nachttische, aber sie waren leer. Als Nächstes durchsuchte ich das Badezimmer und hoffte, dort etwas Nützliches zu finden – vielleicht ein Rasiermesser, chemischen Reiniger oder sogar einen Pümpel –, aber da war nichts.

Ich versuchte, das Milchglasfenster hochzuschieben, doch es bewegte sich nicht – und das lag nicht daran, dass es wie zu Hause zugeklebt war.

Verdammt.

Ich ging zurück ins Schlafzimmer und entschied mich, das Fenster hinter dem Bett auszuprobieren. Ich kletterte auf die weiche Matratze und schob die hellblauen Vorhänge so gut es ging zur Seite, obwohl das Kopfteil des Bettes im Weg war.

Der umzäunte Hof – wenn man ihn überhaupt so nennen konnte – erstreckte sich weit und war voller Pflanzen, mehr als ich jemals in Vegas gesehen hatte, abgesehen von den Gärten einiger Casinos. Sie sahen gesund und lebendig aus, was in der trockenen Hitze schwer zu erreichen war. Seitlich konnte ich einen Teil eines Pools erkennen. Jenseits des hohen Holzzauns erhoben sich wunderschöne Bäume und ferne Berge, die eine atemberaubende Kulisse für diese malerische Landschaft bildeten.

Es sah aus wie etwas direkt aus einem Magazin.

Eigentlich sah es aus wie ein Luxusresort.

Ich bin in einem Hotel. Das ergibt Sinn.

Irgendwie.

Abgesehen davon, warum ich hier bin, ergibt es Sinn.

Ich probierte die Fenster aus und war wenig überrascht, als ich feststellte, dass sie verschlossen waren. Ich hätte eines zerbrechen können, aber mich am Glas zu verletzen, würde mich nur noch verwundbarer machen. Ganz zu schweigen davon, dass ich im zweiten Stock war. Ein Sprung würde fast sicher mit einem gebrochenen Knochen oder Schlimmerem enden.

Zurück im Wohnzimmer durchsuchte ich den Raum mit der gleichen Akribie – als hinge mein Leben davon ab, denn das tat es vermutlich. Es war genauso groß wie das Schlafzimmer, allerdings spärlicher möbliert. Eine weiche Couch war auf einen an der Wand hängenden Fernseher ausgerichtet, davor stand ein langer Couchtisch. Aber das war alles. Kein Schreibtisch oder Stuhl. Kein kleiner Kühlschrank. Kein Notizblock mit einem Hotellogo. Kein Telefon an der Wand, eine altmodische Einrichtung, die in allen Hotelzimmern zu finden ist – oder zumindest in den Motels, in denen Dad und ich übernachtet hatten.

Eine Welle von Gefühlen stieg in mir auf, die ich nicht zulassen wollte, also unterdrückte ich sie.

Ich musste klug vorgehen.

Wenn sonst nicht viel, hatte Shamus mir beigebracht, auf mich aufzupassen.

Es gab keine Fenster und nur zwei Türen – die ins Schlafzimmer und die verschlossene. Ich untersuchte den Griff der verschlossenen Tür auf eine versteckte Verriegelung, aber da war nichts.

Hotelzimmer sind von innen verschlossen.

Alles Selbstvertrauen, das ich gesammelt hatte, schwand, als Angst mein Herz ergriff. »Lasst mich raus! Bitte!«, schrie ich. Ich klopfte immer wieder, bis meine Knöchel schmerzten, und wechselte dann zum Schlagen mit den Handflächen gegen das dicke Holz. »Bitte, bitte, bitte!«

Gerade als ich aufgeben wollte, um meine Knöchel auszuruhen, hörte ich es.

Schritte.

Ich hastete von der Tür weg, als sich der Knauf drehte.

Das ist, wie ich sterbe.

Ich bin das klischeehafte Cheerleader-Mädchen im Horrorfilm des Lebens, das schreiend in sein frühes Grab rennt.

Ich wünschte mir verzweifelt, ich hätte eine Waffe gefunden, während ich mich darauf vorbereitete, dass die Tür sich öffnete.

Zum Glück war es weder der Boss noch einer seiner Handlanger. Stattdessen kam eine ältere Frau mit einem Tablett herein. Mein Blick huschte sofort hinter ihr zur Tür, aber bevor ich mich bewegen konnte, fiel die Tür wieder ins Schloss.

Sie stellte das Tablett ab und lächelte. »Hübsches Mädchen«, sagte sie mit einem Akzent. »Iss. Du bist zu dünn.«

»Ich habe keinen Hunger«, log ich.

Mit einem leisen Tsk-Laut schüttelte sie den Kopf. »Er mag keine Lügner. Du hast seit deiner Ankunft gestern nichts gegessen, du musst verhungern.«

Ich lehnte mich zurück. »Ich bin seit gestern hier?«

Das bedeutete, dass ich tatsächlich seit zwei Tagen nichts gegessen hatte, da ich vor meinen Besorgungen am Tag davor auch nichts zu mir genommen hatte.

»Ja, du warst müde.«

»Ich wurde betäubt«, zischte ich.

Kein Schock in ihrem Gesicht. Keine Verwirrung. Kein Dementi.

Sie zuckte nur mit den Schultern. »Das hält nur ein paar Stunden an. Du hast die restlichen sechzehn Stunden geschlafen, weil du erschöpft warst.«

Sechzehn Stunden?

»Wie spät ist es?«

»Zehn Uhr. Man hat mir gesagt, dich erst um zwölf zu wecken, aber die Männer meinten, du wärst schon wach.« Sie deutete auf das Essen. »Iss.«

»Ich habe keinen Hunger«, wiederholte ich, doch mein knurrender Magen verriet mich sofort.

»Er hasst Lügner«, betonte sie mit einem ernsten Unterton. Ihre Stimme wurde wieder leichter, als sie sich mit der Abdeckung des Tabletts beschäftigte. »Das Essen ist gut. Mr Freddy verwendet nur die besten Zutaten. Besser als Brei oder mikrowellengefertigter Matsch.«

Ich wollte nicht essen. Ich wollte stur und auf der Hut sein. Aber der Geruch der Mahlzeit war so verlockend, dass meine Entschlossenheit schnell nachließ.

Es wäre dumm, nicht zu essen. Ich kann nicht entkommen, wenn ich zu schwach bin. Ich brauche meine Kraft.

Mit zögernden Schritten, als würde sie mich gleich mit einer Nadel in den Nacken stechen, fragte ich: »Es ist nicht vergiftet, oder?«

Sie sah mich an, als wäre ich verrückt. »Wenn Mr Freddy das hört, wird er nie wieder für dich kochen. Nie.«

»Verstanden«, murmelte ich. Ich setzte mich auf die Couch und nahm die Metallabdeckung ab, um einen Berg von Essen zu enthüllen. Auf dem großen Teller türmten sich Eier, ein Haufen Bratkartoffeln, Toast und ein Stapel Bacon. Neben dem Teller stand eine separate Schale mit Obst und kleine Behälter mit Butter, Marmelade, Honig und einer dicken Creme. Außerdem gab es kleine Gläser mit Orangensaft, Apfelsaft und Milch.

Das war mehr, als ich an einem ganzen Tag essen würde, geschweige denn bei einer Mahlzeit.

Trotzdem fehlte mir etwas Wesentliches – Koffein. Wenn ich einen Weg finden wollte zu entkommen, brauchte ich einen Energieschub. »Wäre es möglich, einen Kaffee zu bekommen?«, fragte ich daher zögerlich.

Zum Glück nannte sie mich nicht gierig und nahm mir auch nicht das Tablett weg. Sie lächelte mich nur mütterlich an – oder was ich für ein mütterliches Lächeln hielt, da ich keinen wirklichen Vergleich hatte. »Nein, Kaffee ist schlecht für junge Mädchen.«

Erzähl das mal den Hauptkunden von Starbucks: Highschool-Mädchen, die ohne ihren täglichen Frappuccino oder PSL nicht leben können.

»Er hemmt dein Wachstum«, fügte sie hinzu.

Ich bin seit zwei Jahren eins fünfundsechzig groß.

Mein Wachstum ist abgeschlossen.

Ich behielt meine Gedanken für mich und begann zu essen.

»Hast du irgendwelche Nahrungsmittelallergien?«, fragte sie.

»Nein, Ma’am.«

»Nenn mich Ms Vera«, korrigierte sie.

»Juliet«, sagte ich, weil es in dem Moment richtig erschien. Kaum hatte ich es ausgesprochen, wünschte ich, ich hätte einen falschen Namen verwendet.

Ich bin nicht besonders gut in so etwas.

»Schöner Name für ein hübsches Mädchen. Gibt es Lebensmittel, die du nicht magst?«, wollte sie wissen.

»Frühstückswurst, Kürbis und Thunfisch. Oh, und Oregano und Rosmarin, aber das war’s.«

Sie hob eine Augenbraue. »Sachen, die du nicht magst?«

Ich nahm ein perfekt gebratenes Stück Bacon auf, knusprig, aber nicht zu knusprig. Es war dick und nicht das billige, dünne Zeug, das wir normalerweise in der Mikrowelle zubereiteten. Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Ma’am. Ich bin nicht wählerisch.«

Sie gab ein leises zustimmendes Geräusch von sich, ließ mich aber ansonsten in Ruhe essen, während sie damit beschäftigt war, Kissen zu richten und Oberflächen abzuwischen, die bereits makellos waren.

Ich konnte nur etwa ein Viertel des köstlichen Frühstücks essen, bevor ich satt war.

Als die Frau – Ms Vera – aus dem Schlafzimmer zurückkam, musterte sie mein Tablett missbilligend.

»Ich esse den Rest zum Mittag«, sagte ich automatisch, um niemanden zu verärgern. Doch mir wurde sofort bewusst, dass meine Antwort so klang, als ob ich noch in ein paar Stunden hier sein würde. Also fügte ich hoffnungsvoll und beiläufig hinzu: »Ich nehme es mit nach Hause.«

Meine Hoffnung wurde schnell zerschlagen. »Du gehst nicht nach Hause«, sagte Ms Vera.

»Wie lange muss ich bleiben?«

»Bis Mr Maximo es erlaubt.«

Ich wollte eigentlich klug handeln, aber ich konnte nicht verhindern, dass ich laut rief: »Das ist Entführung!«

Wieder zuckte sie nur mit den Schultern, als wäre es nichts Besonderes, dass sie Komplizin bei einer Entführung und eines unrechtmäßigen Festhaltens war oder was auch immer das hier war.

»Ich werde schreien, bis jemand die Polizei ruft.«

»Das wird niemand tun.«

Enttäuschung breitete sich wie ein schwerer Stein in meinem Bauch aus. »Die anderen Hotelgäste?«

»Mr Maximo besitzt vier Hotels, aber das hier ist keins davon.« Ihre Stimme klang weder wütend noch spöttisch oder giftig. Es war einfach eine Feststellung. »Und niemand wird dir helfen.«

Er besitzt Hotels?

Und das hier ist keins?

Wo zur Hölle bin ich dann?

Sie zog eine kleine Schublade im Couchtisch auf, nahm eine Fernbedienung heraus und schaltete den Fernseher ein, bevor sie mir die Fernbedienung reichte. »Ich komme in ein paar Stunden mit deinem Mittagessen zurück.«

»Warte!« Ich sprang auf. »Was soll ich denn tun?«

Sie deutete mit dem Kopf auf den Fernseher. »Es gibt Hunderte von Kanälen, du wirst schon etwas finden.«

Als sie zum Ausgang ging, machte ich mich bereit loszustürmen. Aber als die Tür sich öffnete, standen zwei Schläger draußen.

Vielleicht hätte ich eine Frau umrennen können, aber gegen die beiden hatte ich keine Chance.

Zusammenzuckend, als die Tür ins Schloss fiel, ließ ich meinen Blick durch den Raum schweifen und konzentrierte mich auf die kleinen Schubladen, die ich bei meiner ersten Inspektion übersehen hatte.

Ich zog alle drei Laden heraus, drehte sie um, als wäre ich in einem Escape Room, und suchte nach Hinweisen. Was gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt war. Nur dass ich nicht gegen die Zeit kämpfte, sondern um mein Leben. Ich ging zurück ins Schlafzimmer, untersuchte den Schrank und die Nachttische und tastete die Rückseiten und den Boden der Schubladen ab.

Leer.

Verdammt.

Ich war wirklich gefangen.

Um meine Energie zu sparen und bereit zu sein, wenn sich eine Gelegenheit ergab, ging ich zurück ins Wohnzimmer, nahm die Fernbedienung und schaltete durch die Kanäle.

Hunderte und Aberhunderte von Kanälen.

3. Kapitel

And the Oscar Goes To…

Juliet

»Hat er gesagt, wann ich gehen kann?«

Ich sprach seinen Namen nicht aus. Das tat ich nie.

Zwei volle Tage.

Ich war jetzt schon seit zwei langen, langweiligen Tagen hier. Das mag nicht nach viel klingen, aber wenn man gefangen gehalten wird und darauf wartet, sein Schicksal zu erfahren, fühlt es sich wie eine Ewigkeit an.

In meinem echten Leben arbeitete ich im Fitnessstudio. Ich hielt den Haushalt am Laufen, erledigte alles, was anfiel, machte Besorgungen und arbeitete dann wieder im Fitnessstudio.

Ich saß nicht stundenlang vor dem Fernseher. Ich hielt keine Nickerchen. Und ich aß nicht dreimal am Tag riesige Gourmet-Mahlzeiten.

Sie spielten ein Spiel mit mir, das wusste ich. Sie wollten mir eine trügerische Sicherheit vorgaukeln, mich in Entspannung und Schönheit wiegen, bevor sie mir den Boden unter den Füßen wegzogen.

Was könnte es sonst sein?

Jedes Mal, wenn ich Ms Vera sah, fragte ich, ob er gesagt habe, wann ich gehen könne. Jedes Mal war die Antwort dieselbe.

»Nein«, antwortete Ms Vera schlicht.

Verdammt.

Ich wägte meine Worte sorgfältig ab, aus Angst, das bisschen Unterhaltung, das ich hatte, zu verlieren. »Kann ich etwas anderes bekommen? Ein paar Bücher oder Zeitschriften?«

»Ich werde fragen.«

»Hat er gesagt, ob ich richtige Kleidung haben kann?«

Als sie mir am Tag zuvor das Frühstück brachte, hatte sie mir auch Toilettenartikel und eine neue Garnitur Kleidung gegeben. Leider waren es übergroße Pyjamahosen und ein T-Shirt, das wie ein Kleid wirkte. So bequem sie auch waren, es gab keine Möglichkeit, darin zu rennen.

Und ich musste in der Lage sein zu rennen.

»Ja«, sagte sie.

Das war schon mal etwas.

»Jetzt iss.« Sie nahm die Abdeckung von meinem Frühstückstablett.

Es waren nie meine Reste. Ganz egal, wie oft ich darauf bestand, sie zu essen, sie brachte mir immer etwas anderes.

Diesmal war es eine dicke Scheibe Brot, belegt mit Avocado und einem pochierten Ei mit frischen Kräutern. Wie immer gab es eine große Schüssel mit frischem Obstsalat, aber nur ein Glas Orangensaft.

Jemand beobachtete genau, was und wie viel ich aß.

Ich setzte mich und begann, den Obstsalat zu essen. Ms Vera schüttelte den Kopf und murmelte, dass ich zu dünn sei, aber ansonsten ließ sie mich in Ruhe, während sie ihre täglichen Aufgaben erledigte und das reinigte, was bereits blitzblank war.

Ich hörte Geräusche aus dem Schlafzimmer und verdrehte die Augen. Wie am Tag zuvor hatte ich das Bett gemacht, nur damit sie es wieder aufdeckte und neu machte.

Anders als am Vortag jedoch klopfte es an der Tür.

Mein Herz raste, als ich aufsprang und mich fragte, wer da war, was sie wollten und vor allem, ob ich endlich gehen durfte.

Ms Vera kam eilig herein, als die Tür aufging, aber es war nur der Goon, der mich immer ignorierte. Soweit ich gesehen hatte, wechselten sich drei verschiedene Goons ab.

Der braunhaarige Typ im Türrahmen war kleiner als die beiden anderen, aber trotzdem ein Goon. Er würdigte mich nie eines Blickes, was mir nur recht war.

Der große, massige Muskelprotz mit den dunklen Haaren starrte mich immer an, als wollte er mich wie ein Streichholz entzweibrechen.

Der Letzte schien netter – der gut aussehende Goon mit dem Grübchenlächeln. Er war groß, tätowiert und kräftig, mit kurzem Haar und blondem Bart. Er sah mich nicht oft an, aber wenn er es tat, schenkte er mir zumindest ein Lächeln. Das war besser als die tödlichen Blicke.

Und dann war da noch er, aber seit jener ersten Nacht hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Er hatte schwarzes Haar, das an den Seiten kurz rasiert und oben länger war, Bartstoppeln, jede Menge Tattoos und böse, schwarze Augen.

Monsteraugen.

»Oh gut«, sagte Ms Vera und streckte die Hände aus, um die Tüten entgegenzunehmen, die mir erst jetzt auffielen.

Der Goon, der mich immer ignorierte, sprach kein Wort und würdigte mich keines Blickes, bevor er wieder ging – keine Überraschung.

Ms Vera zog sich mit den Tüten in das Schlafzimmer zurück. So neugierig ich auch war, was sich darin befand, widerstand ich hartnäckig dem Drang, zu fragen. Ich setzte mich wieder hin, schnitt ein paar Bissen von dem leckeren Avocado-Toast ab, aber mein Magen war bereits voll vom Obst.

Als Ms Vera zurückkam, sagte sie nichts zu meinen Resten, sondern räumte das Tablett ab. »Es gibt neue Seifen im Bad und frische Kleidung auf dem Bett.«

»Danke«, sagte ich und blieb brav; ich biss die Hand nicht, die mich fütterte. Zumindest noch nicht.

Als sie gegangen war, ging ich ins Schlafzimmer, um zu sehen, was sie gebracht hatte. Tatsächlich war das Bett neu gemacht, jede Falte und Linie exakt. Auf dem Bett lagen eine graue Leggings, ein weißes Crop-Top, einfache Unterwäsche und ein BH.

Als ich nach Kleidung gefragt hatte, hatte ich etwas in Richtung Gefängnisoverall oder Secondhandware erwartet. Niedliche, weiche Sachen standen nicht auf meiner Liste.

Im Badezimmer sah ich, dass das eingebaute Regal ebenfalls aufgefüllt worden war. Am Morgen zuvor hatte ich bereits Seife, Shampoo, Conditioner, eine Zahnbürste und Zahnpasta bekommen, aber nun gab es noch mehr: Badeschaum, Gesichtsreiniger und eine dicke Haarbürste.

Ich war versucht, ein Bad zu nehmen, entschied mich jedoch für eine schnelle Dusche. Ich trocknete mich ab, putzte mir die Zähne, zog mich an und wartete.

Ich hatte einen Plan.

Zum Glück enthielt mein Mittagessen ein paar Stunden später als üblich eine Wasserflasche. Trotz der Nerven und der Spannung in meinem Magen zwang ich mich, alles aufzuessen, aber ich versteckte die Flasche neben mir, damit Vera sie nicht mitnahm. Ich wartete noch eine angespannte Stunde, bevor ich meine abgetragenen Schuhe anzog.

Ich war satt und hatte Wasser.

Ich war ausgeruht.

Ich trug Kleidung, die Bewegungen zuließ.

Es war Zeit.

In der Dunkelheit der Nacht war es vielleicht einfacher, sich zu verbergen, es bedeutete aber auch, dass ich mich in der Dunkelheit zurechtfinden müsste.

Der Tag war meine beste Chance.

Ich ging zur Haupttür und klopfte kräftig. »Ich brauche Hilfe! Mein Bauch tut so weh. Ich glaube, etwas stimmt nicht.« Als keine Antwort kam, fügte ich ein halb gespieltes Schluchzen hinzu. »Bitte, helft mir.«

Die Tür klickte, bevor sie sich öffnete. Ich dankte meinem Glück, dass es wieder der Goon war, der mich ignorierte, und nicht der fiese Typ.

»Was ist los?«

»Mein Bauch«, stöhnte ich.

Er machte einen Schritt herein.

Und ich ergriff meine Chance – buchstäblich. Wie einer von Dads Boxern duckte und wand ich mich, schlüpfte an dem Mann vorbei und rannte zur Tür hinaus, bevor ich sie hinter ihm zuschlug und ihn darin einschloss.

Das Zimmer lag am Ende eines Flurs, also gab es nur eine Richtung. Ich rannte, vorbei an einer Tür nach der anderen, bis ich um eine Ecke bog und sie sah.

Treppen.

Beinahe wäre ich auf den glatten Holzstufen gestürzt, als ich in meinem Eifer einige Stufen übersprang. Unten angekommen, achtete ich nicht darauf, vorsichtig zu sein oder meine Umgebung zu prüfen, und es war mir egal. Mein Blick war nur auf mein Ziel gerichtet – die Haustür.

Ich riss sie auf und sprintete über die Veranda in Richtung Straße.

Wie bei einem Hinterhof war das ganze riesige Anwesen von einem hohen Zaun umgeben. Ein Eisengitter versperrte die Einfahrt zur langen Auffahrt. Ich wusste, dass es leichter zu erklimmen war als der Zaun, also rannte ich darauf zu.

Nach einem schnellen Blick, um sicherzugehen, dass es keinen versteckten Knopf gab, der das Tor leicht öffnen könnte, warf ich die Wasserflasche auf die andere Seite und klemmte meine Füße zwischen die Gitterstäbe, um das ratternde Metall zu erklimmen. Die dekorativen Spitzen oben kratzten an meinem Bauch und meinen Beinen, als ich mich hinüberzog, aber das war mir egal.

Ich war fast frei.

Ich landete auf der anderen Seite, hob die Flasche auf und nahm mir einen Moment, den ich nicht hatte, um mich umzusehen.

Nichts.

Nur weites, offenes Land, ohne Gebäude oder Häuser, zu denen ich hätte laufen oder hinter denen ich mich hätte verstecken können. Die Straße war leer – nicht einmal ein entferntes Verkehrsgeräusch war zu hören.

Ich wählte eine Richtung und rannte los, so schnell ich konnte, trieb meine Beine an, bis sie schmerzten. Steine bohrten sich in meine Fußsohlen, und meine dünnen Stoffschuhe boten kaum Dämpfung. Aber ich hielt nicht an.

Ich lief, bis meine Lungen brannten und mein Blick langsam verschwamm. Erst als ich fast das Bewusstsein verlor, verfiel ich in ein schnelles Gehen.

Das Stück Wüste, das sich vor mir ausbreitete, war viel größer, als ich es erwartet hatte. Keine markierten Wege, keine Menschen. Ich lief weiter, wartete darauf, Gebäude oder eine Straße am Horizont zu sehen, aber jeder Schritt führte mich tiefer ins Nichts.

Da ich nichts hörte, was auf eine Verfolgung hindeutete – und es war unmöglich, dass diese großen Kerle sich leise anschleichen konnten –, verlangsamte ich mein Tempo weiter. Selbst bei meiner geringeren Geschwindigkeit trieb mir die sengende Sonne den Schweiß auf die Stirn. Ich hielt kurz an, um mich im Schatten eines Felsens auszuruhen, aber die Sorge, dass mein Schweiß Insekten oder Schlimmeres anlocken könnte, ließ mich unruhig werden.

Mit jedem vergehenden Moment wuchs meine Unruhe. Ich schaute über meine Schulter, aber es war nichts zu sehen – kein Haus, keine Straße.

Vor mir, zu den Seiten, hinter mir – nur Wüste.

Ich hätte zur Straße gehen sollen.

Doch umkehren war keine Option mehr.

***

Maximo

Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und starrte den Mann an, der mir gegenüber am Schreibtisch saß.

Mugsy Carmichael.

Oder Ronald Carmichael, wie es auf seiner Geburtsurkunde und seinem Führerschein stand.

Ein dämlicher Namenswechsel für einen dämlichen Mann.

Je länger wir in Schweigen dasaßen, desto mehr Schweiß rann ihm von seinen dicken Backen, und desto schneller schwand meine ohnehin begrenzte Geduld.

Ich hatte vier Resorts zu führen – Moonlight, Sunrise, Star und Nebula. Dazu Meetings, E-Mails und einen Haufen Probleme, die mit dem Betrieb dieser Resorts einhergingen. Und ich hatte eine kleine Taube zu beobachten.

Mein Blick wanderte zu den leeren Überwachungsmonitoren, die hinter ihm an der Wand hingen, gerade als er den Mut fand, zu sprechen.

»Seit unserem Gespräch ist Shamus McMillon, ähm, verschwunden.«

»Okay.« Mein Gesicht und meine Stimme verrieten nichts.

Er suchte nach einer Bestätigung, dass die beiden Ereignisse miteinander verbunden waren. Eine Bestätigung, dass ich ihn getötet hatte.

»Seine Tochter ist auch weg.«

Wieder zeigte ich keine Reaktion. »Okay.«

Mugsy fuhr sich mit der Hand durch sein schwarz gefärbtes Haar, seine fettigen Haarsträhnen taten wenig, um seine zunehmende Glatze zu verbergen.

»Ich weiß, dass Shamus Mist gebaut hat. Er hat dich betrogen ...«

»Hat er?«

»Gut, wir haben dich betrogen. Ich habe ihm geholfen, aber nur, weil er kurz davor war, alles zu verlieren. Er hatte ernste Probleme ...«

»Mir sind seine Probleme egal. Mich interessiert nur, dass ich von einem Betrüger und Lügner verarscht wurde.«

»Ich hab gesagt, ich mach’s wieder gut. Ich bin deine Augen und Ohren. Du wirst als Erster von neuen Kämpfern erfahren. Was auch immer du willst, ich mach’s.«

Er atmete tief ein, als er seinen Mut sammelte.

Was für ein Feigling.

»Juliet«, begann er und sprach das Einzige an, was mich interessierte.

Ich spielte den Ahnungslosen.

»Wer?«

»Shamus’ Tochter. Sie ist ein nettes, kleines Kind. Ein gutes Mädchen.«

Sie war klein, ja, aber weit entfernt von dem Zopf-tragenden Schulmädchen, als das er sie darzustellen versuchte.

»Was ist mit ihr?«

Mugsy sah nervös aus, und ich dachte, dass ich den Stuhl desinfizieren musste, sobald er gegangen war. Oder ihn einfach wegwerfen. Der Gestank von Schweiß und Körpergeruch würde nie verschwinden.

»Sie hat nichts mit Shamus’ Taten zu tun. Sie verdient es nicht, bestraft zu werden.«

»Was willst du damit andeuten?«, fuhr ich ihn an.

»Nichts, nichts. Ich sage nur, dass sie auch verschwunden ist.«

»Wenn sie nur einen Funken Verstand im Kopf hat, dann ist sie so weit weg wie möglich von Shamus’ Scheiß.«

Er zögerte, rang offenbar mit sich selbst.

»Sie hat keine andere Familie. Es waren nur sie und Shamus. Sie ist erst siebzehn.«

Das wusste ich bereits. Cole fand nach und nach alles über Juliet heraus, aber es war ein langsamer Prozess. Shamus hatte keine ordentlichen Unterlagen geführt. Keine Geburtsurkunde, keine Schulakten, nicht einmal eine Steuererklärung.

Ich hatte Mugsys Bitte um ein Treffen nur in der vagen Hoffnung zugestimmt, dass er ausnahmsweise mal etwas Nützliches zu sagen hatte.

Ich hätte es besser wissen müssen.

Ich stand so schnell auf, dass mein Stuhl gegen die Wand hinter mir krachte, und legte die Hände flach auf meinen Schreibtisch.

»Ich weiß nicht, für wen du mich hältst, aber ich würde mir gut überlegen, was du hier andeutest.«

»Nein, nein. Da ist keine Andeutung.« Er ruderte zurück.

»Ich bringe nur meine Sorge vor, damit du ein Auge offenhalten kannst, falls sie jemand gesehen hat.«

Lügner.

Ich fixierte ihn mit meinem Blick, meine Stimme blieb ruhig.

»Wenn du mich noch einmal hintergehst, werde ich dich dafür bezahlen lassen. Ich scheiße auf deine edlen Absichten, ich werde dich wünschen lassen, tot zu sein.«

»Das wird nie wieder passieren.«

Mein Handy klingelte, aber ich drückte den Anruf weg, ohne hinzusehen. »Und wenn du jemals wieder in mein Büro kommst und auch nur andeutest, was du eben angedeutet hast, schneide ich dir die Zunge raus und lass dich sie selbst fressen. Haben wir uns verstanden?«

Bevor er antworten konnte, steckte Ash den Kopf zur Tür herein. »Geh ans Telefon.«

Kaum hatte er gesprochen, klingelte es erneut.

Es war Cole. Ich nahm ab. »Ja?«

»Sie ist weg.«

Mein Magen zog sich zusammen.

»Was hast du gesagt?«

»Sie ist rausgerannt. Die Kameras zeigen, dass sie nach Osten abgehauen ist.«

Ich schaffte es, ruhig zu bleiben, aber nur knapp. Am liebsten hätte ich mein Handy Mugsy in den Hals gestopft, um gleich zwei Probleme auf einmal zu beseitigen.

»Ich ruf dich später zurück«, sagte ich und richtete meine Aufmerksamkeit auf Mugsy. Ich musste ihn loswerden. »Sind die Dinge klar zwischen uns?«

»Glasklar«, würgte er heraus.

»Verschwinde aus meinem Büro.«

Er sprang auf, und tatsächlich hinterließ sein Rücken einen Schweißfilm auf dem Stuhl. Marco wartete bereits, um unseren ungebetenen Gast hinauszubegleiten.

Ash kam herein. »Ich bin schon ...«

Aber ich war bereits aufgestanden und schnappte mir meine Sachen.

Ash und ich verließen das Büro, während Marco und Carmichael den öffentlichen Aufzug nahmen. Ich legte meinen Daumen auf den Scanner für den privaten Aufzug.

Sobald wir in der Kabine standen, rief ich Cole zurück. »Wie zum Teufel ist sie rausgekommen?«

»Sie hat geschrien, dass sie Bauchschmerzen hat und Hilfe braucht.«

»Und du hast einfach die Tür geöffnet und sie rausgelassen?«, knurrte ich.

»Nein, ich hab nach ihr gesehen, aber ... Marco hatte recht, sie ist schnell. Sie ist mir ausgewichen und hat mich eingeschlossen. Ich musste Freddy anrufen, damit er mich rausholt.«

»Verdammter Mist.«

Dass Juliet Marco in ihrem Haus eins übergebraten hatte und es jetzt nicht nur geschafft hatte, Cole auszuweichen, sondern ihn auch noch einzusperren, war irgendwie amüsant. Oder es wäre amüsant gewesen, hätte ich mir nicht solche Sorgen gemacht.

Eigentlich sollte ich mir Gedanken um mich selbst machen, schließlich hatte ich jetzt Entführung auf der Liste der Dinge, die sie mir anhängen könnte, zusätzlich zum Mord.

Aber meine Sorge galt allein Juliet.

Mein Haus lag abgeschieden, umgeben von nichts als Ödland. Wenn sie nach links abgebogen war, hätte sie etwas Schatten durch Felsen, Büsche oder Joshua-Bäume gehabt, aber es gab keine markierten Wege oder Pfade. Was es allerdings gab, waren Kojoten, Klapperschlangen und ab und zu einen Skorpion.

»Ich bin unterwegs. Fangt an zu suchen«, sagte ich, bevor ich auflegte.

Ich hatte geahnt, dass ihre Schüchterne-Maus-Nummer nur eine Show war. Ich hatte darauf gewartet, dass sie versucht zu fliehen oder sich zu rächen.

Aber ihr Timing und ihr Überlebensinstinkt waren grottenschlecht.

Wenn ich nicht das Haus verlassen hätte ...

Wenn ich die Monitore nicht abgeschaltet hätte, um mich um diesen Arsch zu kümmern ...

Wenn ich sie nicht von Anfang an mitgenommen hätte ...

4. Kapitel

The Predator

Juliet

Was habe ich mir nur dabei gedacht?

Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, aber es war definitiv spät.

Und dunkel.

Und kalt.

Und verdammt gruselig.

Das Stück Wüste, durch das ich mich bewegte, war kein kleiner Fleck. Es war endlos – eine Weite aus Sand, die sich bis zum Horizont erstreckte, umgeben von noch mehr Wüste.

Mein Körper schmerzte bis in die Knochen, weit über jede Erschöpfung und jeden Schmerz hinaus, den ich jemals erlebt hatte. Jeder Schritt fühlte sich an, als würde ich eine Meile laufen. Obwohl ich jeden noch so kleinen Schatten genutzt hatte, den ich finden konnte, war meine Haut schmerzhaft verbrannt. Und ich war durstig. So unbeschreiblich durstig.

Ich wollte umkehren.

Aber ich musste weitergehen, weil ich irgendwann auf Zivilisation stoßen musste.

Zumindest hoffte ich das.

In der Dunkelheit konnte ich kaum sehen, wohin ich lief, und mein Fuß verfing sich an einem scharfen Stein. Ich stolperte vorwärts, blieb aber mit meinem Schuh hängen und verdrehte mir schmerzhaft meinen Knöchel, als ich fiel.

»Scheiße«, zischte ich, während mir die Tränen vor Schmerz und Frustration in die Augen stiegen. »Aua, aua, aua.«

Mein Schuh riss, und ein stechender Schmerz durchzuckte meinen Knöchel, sodass ich mich fragte, ob ich ihn gebrochen hatte.

Mithilfe eines Felsbrockens schaffte ich es, aufzustehen, aber sobald ich mein Gewicht auf den Fuß verlagerte, durchfuhr mich ein heftiger Schmerz, der sich mein Bein hinaufzog und mich wieder zu Boden zwang.

Da lag ich nun, auf dem Boden, und mir wurde klar, wie sehr ich es vermasselt hatte. Ich war allein. Kein Telefon. Keine Waffe. Kein Essen. Und obwohl ich das Wasser sparsam getrunken hatte, war es schon längst aufgebraucht.

Und niemand würde nach mir suchen, weil ich niemanden hatte.

Der Kerl und seine Handlanger wussten wahrscheinlich, dass ich mich verlaufen und sterben würde, wodurch sich ihr Problem ganz von allein erledigen würde – ohne dass sie einen Finger rühren mussten.

Ich war hier, mitten in der Wüste, umgeben von Insekten, wilden Tieren und Gott weiß was noch.

Nach ein paar Minuten fand ich heraus, was dieses was noch war. Denn während ich dort saß, bewegte sich etwas über meinen Fuß.

Nein, es bewegte sich nicht einfach.

Es schlich.

Langsam.

Gezielt.

Und lautlos.

Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass es mich umkreist hatte, bis es zu spät war. Bis ich von seiner Länge umschlungen war.

Ich erstarrte, mein Atem stockte, während ich die Zähne zusammenbiss, um keinen Schrei loszulassen.

Selbst wenn ich unverletzt wäre, wäre es unwahrscheinlich, dass ich dem Angriff der Schlange entkommen könnte. Doch verletzt? Keine Chance. Wie sollte ich rennen, wenn ich nicht einmal stehen konnte?

Ich konnte es nicht.

Langsam und vorsichtig tastete ich hinter mich, nach dem scharfen Stein, der mich in dieses Schlamassel gebracht hatte. Als ich ihn endlich in der Hand hatte, tastete ich nach der schärfsten Kante. In der Dunkelheit strengte ich mich an, um etwas zu erkennen, und als ich den Kopf der Schlange erahnte, ließ ich den Stein darauf krachen.

Die Schlange stieß ein schreckliches, schmerzvolles Zischen aus, und ich schrie unter Tränen auf, während ich den Stein erneut hinuntersausen ließ. Und noch einmal. Mein Herz schmerzte, aber ich schlug ein letztes Mal zu, um sicherzugehen, dass sie tot war.

Ich ließ den Stein fallen und kroch schnell weg, bevor Aasfresser uns beide entdeckten. Nachdem ich genügend Abstand zwischen mich und das reptilische Opfer gebracht hatte, beruhigte ich mich langsam und dachte angestrengt nach.

Ich konnte nicht einfach hier sitzen und warten. Es würde keine Rettung kommen. Eine Stunde Ruhe würde meinem Knöchel nicht helfen, aber meine Chancen erhöhen, von einem anderen Raubtier entdeckt zu werden.

Und beim nächsten Mal hatte ich vielleicht nicht so viel Glück.

Es blieb nur eine Option: Ich musste kriechen.

Langsam bewegte ich mich vorwärts, ignorierte den groben Sand, der sich in meine Handflächen bohrte, die Insekten, die mich unermüdlich attackierten, und den Schmerz in meinem Knöchel. Ich kam nicht schnell voran, aber ich bewegte mich, und das war alles, was zählte.

Immer weitermachen.

Immer kämpfen.

Immer ums Überleben ringen.

Ich war so verdammt müde davon.

Warum bin ich überhaupt weggelaufen?

Verloren, verängstigt und voller Schmerzen schluchzte ich auf, als Reue an meiner Brust kratzte.

Ich hatte ein wunderschönes Zimmer, drei köstliche Mahlzeiten am Tag und keine Verantwortung hinter mir gelassen... Wofür? Um wieder auf mich allein gestellt zu sein, wie immer? Um kaum zu überleben?

Weil ich nicht freiwillig dort war, war Obdachlosigkeit irgendwie besser?

Ich schüttelte den Kopf und erinnerte mich daran, dass ich nicht wusste, was sie mit mir vorhatten. Sie hätten Menschenhändler oder Zuhälter sein können – ein riesiges Geschäft in Vegas. Ich war mir nicht sicher, warum sie mich gefüttert und in einem schönen Zimmer untergebracht hatten, aber wer wusste schon, wie Monster funktionierten?

Und er war ein Monster. Ein Mörder.

Es spielte keine Rolle, dass mein Dad ein Arschloch war, das mir gegenüber grausam gewesen war.

Es spielte keine Rolle, dass er mehr verdient hatte als einen schnellen Tod.

Alles, was zählte, war, dass Maximo zum Mord fähig war, und das bedeutete, dass ich wegmusste.

Oder?

Ich kam nur ein kurzes Stück auf Händen und Knien voran, bevor sich mein Magen verkrampfte und mir den Atem und die Fähigkeit raubte, mich zu bewegen. Ich rollte mich auf den Hintern und behielt meine Umgebung im Auge.

Ich werde hier draußen sterben.

Allein.

Immer allein.

Als der Krampf nachließ, begann ich wieder zu kriechen.

Aber nicht vorwärts.

Nein, ich kroch in die Richtung zurück, aus der ich gekommen war. Dorthin, wo ich eigentlich sein wollte. Vielleicht irrte ich mich und bewegte mich nur tiefer in die Wüste, aber das war mir egal.

Meine Arme zitterten von der Anstrengung, mein Gewicht zu tragen. Meine Wunden waren mit Sand bedeckt, was die ohnehin schmerzhaften Stellen weiter reizte. Meine Haut juckte von den Insektenstichen. Meine Seiten schmerzten, meine Knie fühlten sich an, als würden sie zerbrechen, und mein knurrender Magen schien nie zur Ruhe zu kommen.

Für eine von Mr Freddys Mahlzeiten würde ich alles tun.

Das Bild von einem fluffigen Omelett und einer heißen Tasse Kaffee trieb mich weiter an, bis ich die kleine Gruppe von Joshua-Bäumen erreichte, bei der ich mich zuvor ausgeruht hatte.

Ich bin auf dem richtigen Weg. Vielleicht werde ich die Nacht tatsächlich überleben.

Doch mein Fortschritt wurde abrupt gestoppt, als mein Knie auf etwas Scharfes stieß. Es bohrte sich in meine ohnehin rohe Haut, so tief, dass es sich anfühlte, als würde es den Knochen durchdringen.

»Scheiße«, zischte ich. Ich versuchte, stark zu bleiben, aber jedes Mal, wenn ich Gewicht auf das Knie legte, wuchs der Schmerz. Ich setzte mich auf den Boden und zog meine schlammigen Leggings hoch. Ohne Licht konnte ich nichts sehen, also fuhr ich mit der Hand über mein Knie, aber es war nichts zu spüren. Das hieß jedoch nicht, dass da nichts unter der Haut war.

Ich konnte nicht gehen.

Ich konnte nicht kriechen.

Ich konnte gar nichts tun.

Nur eine kleine Pause. Dann finde ich einen Weg, weiterzumachen. Ich werde mich zur Not schleppen, wenn es sein muss.

Mit angezogenen Beinen legte ich meinen Kopf auf mein nicht verletztes Knie und schloss die Augen, um ihnen eine Pause zu gönnen.

Und weil ich so still war, hörte ich es.

Ein Brüllen.

Es verklang, aber die Stille dauerte nicht lange.

Das Knacken eines Zweigs.

Das Rascheln von Gebüsch.

Etwas ist hier.

Mein Magen zog sich zusammen, und ich erstarrte in panischer Unentschlossenheit. Sollte ich kriechen? Sollte ich versuchen zu rennen, und damit mein ohnehin schon verletztes Fußgelenk weiter schädigen, während ich vermutlich eine Menge Lärm machte, der den Jäger auf mich aufmerksam machen würde? Oder sollte ich einfach still sitzen bleiben und dem Räuber da draußen erlauben, meine Spur aufzunehmen und die Sache zu beenden?

Ich wusste es nicht, aber ich musste etwas versuchen. Irgendetwas.

Mit den Händen auf dem Boden versuchte ich, mich hochzudrücken, aber ich bekam nicht einmal die Gelegenheit, mein schmerzendes Fußgelenk zu belasten, weil meine Beine sofort nachgaben.

Mit Mühe unterdrückte ich einen schmerzerfüllten Schrei.

Die Geräusche kamen näher, und meine Augen durchsuchten die Dunkelheit nach dem Jäger.

Überraschung und Erleichterung durchströmten mich, als ich ein schwaches Licht erkannte, das die Schatten durchdrang.

Maximo.

»Du bist gekommen«, brachte ich heiser über den Kloß in meinem Hals hervor.

»Jesus, kleine Taube«, flüsterte Maximo rau und kam auf mich zu. Seine teuren Hosen und das weiße T-Shirt waren noch makellos, als ob der Dreck es nicht wagen würde, ihn zu berühren. Nur seine eleganten Lederschuhe zeigten Spuren der Wanderung, das glänzende Schwarz war verkratzt und mit Staub bedeckt. Er hockte sich vor mich und strich mir das verfilzte Haar aus dem Gesicht. Seine wachsamen Augen wechselten zwischen mir und unserer Umgebung hin und her. »Bist du verletzt?«

Ich deutete auf meinen Fuß. »Ich habe mir den Knöchel verstaucht.«

»Lass mich mal sehen.« Er packte meine Wade und begann, mein Bein zu strecken, doch der Schmerz schoss durch den Muskel, und ich zog es sofort wieder an mich. »Juliet.«

Ich wusste nicht einmal, dass er meinen Namen kannte.

Bei seinem entschiedenen Ton biss ich mir auf die Lippe und ließ ihn mein Bein ausstrecken, während er vorsichtig den geschwollenen Knöchel abtastete. »Was hast du dir nur angetan?«, tadelte er mich. Sein Gesichtsausdruck war finster, doch seine Stimme war sanft.

»Es tut mir leid«, sagte ich reflexartig.

Er stand auf und reichte mir die Taschenlampe. Ich wartete darauf, dass er mir aufhalf, doch stattdessen hob er mich hoch.

Da ich nicht wollte, dass er stolperte, während er mich trug – ganz zu schweigen davon, dass ich dreckig und verschwitzt war – protestierte ich: »Ich kann laufen.«

Dachte ich jedenfalls.

Er sagte nichts, sondern warf mir einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder auf den Weg vor uns konzentrierte.

»Wirklich, ich brauche nur ein bisschen Hilfe«, versuchte ich es erneut.

»Nein.«

»Aber ...«

»Juliet.« Sein Tonfall war erneut eine Warnung, als wäre das die einzige Art, wie er meinen Namen sagen konnte.

Ich hielt so lange wie möglich den Mund, bevor ich murmelte: »Ich hätte wirklich den Weg zur Straße nehmen sollen.«

Maximo blieb stehen, und ich hatte Angst, dass er mich fallen lassen würde. Da er mehr als einen Kopf größer war als ich, wäre das kein kleiner Sturz gewesen. Doch stattdessen verstärkte er seinen Griff und richtete einen finsteren Blick auf mich. »Dieser Weg ist noch härter. Du hättest Meilen zurücklegen müssen, ohne Bäume oder Felsen, die dir Schatten bieten. Du wärst nicht weit gekommen, bevor du wegen eines Hitzeschlags zusammengebrochen wärst.« Er justierte mich in seinen Armen, während er weiterging. »Oder Schlimmeres.«

»Oh.«

Er grummelte nur.

Nach ein paar Minuten in angespanntem Schweigen erreichten wir einen wartenden Quad. Er stellte mich ab, griff nach der Seitentasche und reichte mir zwei Sandwiches und eine Flasche Wasser. »Iss.«

Er musste es mir nicht zweimal sagen. Ich stürzte mich auf das Erdnussbutter-und-Marmeladen-Sandwich, als wäre es das Beste, was ich je gegessen hatte – und in dem Moment war es das auch. Innerhalb weniger Minuten hatte ich beide Sandwiches und das köstliche Wasser vertilgt.

Mein Magen schmerzte, weil ich zu schnell gegessen hatte, aber es war besser, als wenn er vor Hunger oder Angst schmerzte.

Als ich fertig war, nahm er den Müll und stopfte ihn zurück in die Tasche.

»Wie spät ist es?«, fragte ich.

»Fast Mitternacht.«

Gott, ich bin so dumm.

Ich hatte mich verirrt, einen Sonnenbrand bekommen, mich zweimal so schwer verletzt, dass ich handlungsunfähig war, und eine Schlange töten müssen.

Und das alles innerhalb eines halben Tages.

Was wäre passiert, wenn er nicht gekommen wäre? Hätte ich den nächsten Tag überlebt? Oder überhaupt die Nacht?

Aber das musste ich nicht mehr herausfinden, denn Maximo war gekommen, obwohl er mich genauso gut hätte dort draußen sterben lassen können.

»Danke, dass du nach mir gesucht hast«, platzte es aus mir heraus, unfähig, meine Dankbarkeit zu unterdrücken.

»Juliet.«

»Ich dachte ... Ich war nur ...«

»Halt den Mund.«

»Halte den Mund«, flüsterte ich, bevor er es sich anders überlegen und mich doch noch zurücklassen könnte.

Maximo kletterte hinter mir auf den Sitz, und kurz darauf heulte der Motor des Quads auf. Ein Scheinwerfer erhellte den Weg, doch er schien genau zu wissen, wohin er fuhr, in zügigem Tempo, bis sein Haus schließlich in Sicht kam. Er hielt neben dem Tor und schaltete den Motor ab, bevor er aufstand. Er holte sein Handy aus der Tasche und drückte ein paar Mal auf den Bildschirm. »Ruft sie zurück, ich habe sie«, sagte er. Ich zuckte zusammen, als er seine Hand auf meinen Kopf legte, aber er streichelte nur abwesend mein Haar, während er zum Haus starrte. »Ja. Hol den Wagen, triff mich auf der Straße.«

Der Wagen?

Natürlich würden sie mich nicht zurück ins Haus bringen.

Natürlich nicht.

Ich war Zeugin gewesen und dann eine Gefangene. Der Fluchtversuch hatte ihnen gezeigt, dass ich ein loses Ende war, das abgeschnitten werden musste, bevor ich alles aufdecken konnte. Vielleicht hatte er mich nur gerettet, um sicherzugehen, dass ich wirklich sterbe.

Die Angst, die nach meiner Rettung verschwunden war, kam mit hundertfacher Stärke zurück.

Ich wehrte mich nicht, als er mich erneut aufhob. Ich stellte keine der Millionen Fragen, die mir durch den Kopf gingen. Ich sprach meine Ängste nicht aus.

Denn nichts davon schien noch von Bedeutung.

In Gedanken versunken blieb ich still, als ein SUV aus der Auffahrt fuhr und vor uns anhielt. Der gut aussehende Goon stieg aus und sah uns an. Ich erwartete, dass er mich anstarren würde wie der andere, der immer so wütend schaute, aber das tat er nicht. Wenn überhaupt, sah er erleichtert aus, mich zu sehen. Er öffnete die hintere Tür, und Maximo setzte mich auf den Sitz.

Als die Tür geschlossen wurde, schnallte ich mich automatisch an, benommen und mechanisch.

Doch anstatt zu fahren oder auf dem Beifahrersitz Platz zu nehmen, öffnete Maximo die andere hintere Tür, stieg ein und rückte näher, bis er in der Mitte saß. Er griff nach meiner Sicherheitsgurtschnalle, öffnete sie und zog mich auf seinen Schoß.

Vielleicht wird es wie in den alten Gangsterfilmen sein, wo er mich aus einem fahrenden Auto wirft.

Wie gut kann ich mich abrollen?

Der gut aussehende Goon stieg ein und fuhr los.

»Ist alles vorbereitet?«, fragte Maximo ihn.

»Alles bereit und wartet.«

Während ich mich von meiner Panik und dem Schmerz distanzierte, starrte ich aus dem Fenster.

Da draußen war nur Leere. Genau wie Maximo gesagt hatte, war der Weg über Meilen hinweg Wüste, ohne Häuser, Gebäude, Felsen oder auch nur Gestrüpp.

»Hab ich dir doch gesagt«, flüsterte er, als hätte er meine Gedanken gelesen.

Ich nickte, brachte aber kein Wort heraus.

Je weiter wir fuhren, desto mehr ergriff die Panik von mir Besitz. Statt sinnlosem Betteln entschied ich, meine Zeit damit zu verbringen, meinen verlogenen Vater innerlich zu verfluchen. Wenn er nicht so viel gelogen und betrogen hätte, wäre das alles nicht passiert. Ich würde jetzt in meinem schäbigen Bett in meinem schäbigen Zuhause in meinem schäbigen Leben schlafen.

Sicher wäre ich auch dort nicht gewesen – das war ich nie –, aber ich war daran gewöhnt. Es war einfacher, sich gegen Betrunkene und Creeps zu verteidigen als gegen die Elemente, Insekten und Schlangen.

»Alles okay?«, fragte Maximo und legte seine Hand an meine Stirn. »Du zitterst.«

Es war vor Wut, aber das sagte ich ihm nicht. »Mir geht’s gut.«

Er sah dem Fahrer in den Rückspiegel.

Der Goon nickte ihm zu. »Ich könnte viel schneller fahren, wenn du sie loslässt und sie sich anschnallt.«