Little White Lies - Jennifer Lynn Barnes - E-Book

Little White Lies E-Book

Jennifer Lynn Barnes

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Beschreibung

Wenn alle lügen ... Wer kennt dann noch die Wahrheit?

Seit Sawyers Geburt vor achtzehn Jahren sind sie und ihre Mom sehr gut ohne ihre reiche Südstaatenfamilie ausgekommen. Doch als Sawyers Großmutter plötzlich vor ihr steht und ihr eine halbe Million Dollar bietet, wenn sie an der diesjährigen Debütantinnensaison teilnimmt, kann sie nicht ablehnen. Das ist ihre Chance, endlich herauszufinden, wer ihr Vater ist! Und schon befindet sich Sawyer mitten in einer Welt voller Geld, Perlenschmuck und Intrigen. Schnell merkt sie, dass hier jeder ein Geheimnis hat und wer zu viel nachfragt leicht in Gefahr gerät.
Südstaatenglamour, Intrigen und Spannung vom Feinsten aus der Feder von Jennifer Lynn Barnes, Bestsellerautorin der The-Inheritance-Games-Reihe

Die Little-White-Lies-Reihe
Little White Lies (Band 1)
Deadly Little Scandals (Band 2) erscheint im Herbst 2025

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 468

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Jennifer Lynn Barnes

Little White Lies

Aus dem Amerikanischen von Ivana Marinović

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Erstmals als cbt Ebook Mai 2025 

© 2018 by Jennifer Lynn Barnes

Die Originalausgabe erschien 2018 unter dem Titel »Little White Lies« bei Freeform, einem Imprint der Disney Book Group, New York

© 2025 für die deutschsprachige Ausgabe

cbj Kinder- und Jugendbuchverlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

produktsicherheit@penguinrandomhouse.de

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR)

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Übersetzung: Ivana Marinović

Umschlaggestaltung: Carolin Liepins

Umschlagmotiv: © 2024 by Katt Phatt

unter Verwendung von Adobe Stock (Mysterylab, ArtBackground, eliosdnepr)

Innengestaltung unter Verwendung der Bilder von: © Adobe Stock (iiierlok_xolms)

skn · Herstellung: DiMo

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

ISBN 978-3-641-32348-6V002

www.cbj-verlag.de

Für meine Mom, die die Einladungen sämtlicher Debütantinnen-Events aufbewahrt hat.

Wer ist die beste Mama? Du.

15. April, 16:59 Uhr

»Die hast du jetzt an der Backe, Rodriguez.«

»Von wegen. Ich hatte schon den Besoffenen nach der Bison-Tag-Parade.«

»Bison-Tag? Probier’s mal mit dem Oktoberfest drüben im Seniorenheim.«

»Und an wem blieb am nächsten Tag der Beißer hängen?«

Officer Macalister Dodd – für seine Freunde nur Mackie – hatte den Eindruck, dass es nicht klug wäre, sich in die Debatte zwischen den beiden älteren Magnolia-County-Polizisten einzumischen, die sich im Flur vor der Arrestzelle zankten. Rodriguez und O’Connell waren immerhin schon fünf Jahre bei der Truppe.

Für Mackie war es die zweite Woche.

»Da hab ich genau vier Worte für dich übrig, Rodriguez: Lehrer-Eltern-Ausschuss-Prügelei.«

Mackie verlagerte ganz leicht das Gewicht von seinem rechten Bein aufs linke. Großer Fehler. Rodriguez und O’Connell drehten sich gleichzeitig zu ihm um.

»Du da, Frischling!«

Noch nie waren zwei Polizisten so erfreut gewesen, einen dritten zu sehen.

Mackie presste die Lippen zu einem grimmigen Strich und schob die Schultern zurück. »Womit haben wir’s zu tun?«, ­erwiderte er mürrisch. »Ruhestörung unter Alkoholeinfluss? Hausfriedensbruch?«

Zur Antwort klopfte O’Connell ihm auf die Schulter und führte ihn Richtung Zelle. »Wird schon, Frischling.«

Als sie ums Eck bogen, erwartete Mackie, einen Proll hinter den Gitterstäben zu sehen: kräftig gebaut und womöglich auf Krawall gebürstet. Stattdessen standen da vier Teenie-Mädchen. Sie trugen Handschuhe bis zu den Ellbogen und lange Kleider, die wie Ballroben aussahen.

Weiße Ballroben.

»Was zum Henker ist das denn?«, entfuhr es Mackie.

Rodriguez dämpfte die Stimme. »Das ist, wo wir hier in den Südstaaten G. B. D. sagen.«

»G. B. D.?« Mackie schaute wieder zu den Mädels. Eine von ihnen stand stocksteif da, die behandschuhten Hände affektiert vor dem Oberkörper verschränkt. Das zierliche Mädchen neben ihr weinte leise, wobei sie etwas nuschelte, das verdächtig nach dem Vaterunser klang. Die dritte im Bunde taxierte unverhohlen Mackie; die Winkel ihrer Rosa-Lipgloss-Lippen verzogen sich langsam nach oben, während sie den Blick gemächlich über seinen Körper wandern ließ.

Und das vierte Mädchen?

Das machte sich am Schloss zu schaffen.

Die beiden anderen Officer wandten sich zum Gehen.

»Rodriguez?«, rief Mackie ihnen nach. »O’Connell?«

Keine Antwort.

»Was heißt G. B. D.?«

Das Mädchen, das ihn taxiert hatte, machte einen Schritt nach vorn. Sie klimperte mit den Wimpern und schenkte ihm ein zuckersüßes Lächeln. »Also wirklich, Officer«, sagte sie. »Gott behüte dich, natürlich.«

Neun Monate zuvor

Kapitel 1 

Mir hinterherpfeifen war ein Fehler, den die meisten Kunden und Automechaniker der Big Jim’s Garage nur einmal machten. Leider gehörte der Besitzer dieses Dodge Ram zu jener Sorte Mensch, der seinen Gehaltsscheck komplett in das Aufmotzen eines prolligen Dodge Ram steckte. Die dicke Karre – in Kombi mit dem pinkelnden Strichmännchen auf der Heckscheibe – war die einzige Vorwarnung, die ich brauchte, um zu wissen, wie das hier ablaufen würde.

Menschen waren so was von vorhersehbar. Sobald man aufhörte, Überraschungen von ihnen zu erwarten, konnten sie einen auch nicht mehr enttäuschen.

Apropos Enttäuschung … Ich wandte meine Aufmerksamkeit vom Motor des Dodge zu seinem Fahrer, der anscheinend ein anzügliches Pfeifen als Kompliment für ein Mädchen und einen Kommentar zur Form ihres Hinterns als höchste Form der Flirtkunst betrachtete.

»Es sind Momente wie diese«, begann ich, »in denen Sie sich fragen müssen: Ist es klug, jemanden sexuell zu belästigen, der nicht nur eine Drahtschere, sondern auch Zugriff auf Ihre Bremsleitungen hat?«

Der Mann blinzelte. Einmal. Zweimal. Ein drittes Mal. Dann beugte er sich vor. »Süße, du darfst jederzeit auf meine ­Bremsleitungen zugreifen.« Wenn du weißt, was ich meine, ergänzte ich stumm. In genau drei … zwei …

»Wenn du weißt, was ich meine.«

»Es sind Momente wie diese«, sagte ich bedächtig, »in denen Sie sich fragen müssen: Ist es klug, seinen Piephahn jemandem anzubieten, der offenkundig kein Interesse hat, dafür aber eine Drahtschere in den Händen hält?«

»Sawyer!«, schaltete sich Big Jim ein, bevor ich viel mehr tun konnte, als die Drahtschere in Richtung seines Schritts zuschnappen zu lassen. »Ich übernehme.«

Mit zwölf Jahren hatte ich angefangen, Big Jim zu bearbeiten, mir meine Hände mit Motoröl dreckig machen zu dürfen. Er wusste daher, dass ich den Dodge bereits repariert hatte, aber dass die Sache, wenn er sie mir überließ, nicht gut enden würde.

Für den Kunden.

»Scheiße, Mann, Big Jim«, beschwerte sich der Typ. »Wir hatten doch nur Spaß.«

Ich hatte den Großteil meiner Kindheit damit verbracht, von einem obsessiven Interesse zum nächsten zu wechseln. Automotoren waren eines davon gewesen. Davor waren Telenovelas dran gewesen, und danach hatte ich ein Jahr damit verbracht, alles über mittelalterliche Folterinstrumente zu verschlingen.

»Du hast doch nichts gegen ein bisschen Spaß, oder, Schätzchen?« Mister Fette-Karre klopfte mir mit der Hand auf die Schulter und setzte seinem Sündenkatalog eins drauf, indem er gleich noch meinen Nacken drückte.

Big Jim stöhnte, während ich mich nun ganz dem Charmeur neben mir zuwandte.

»Erlauben Sie mir«, begann ich staubtrocken, »Ihnen einen Auszug aus der Sayforther Enzyklopädie altertümlicher Foltermethoden zu zitieren.«

*

Einer der feineren Vorzüge von Ritterlichkeit in meiner Ecke der Südstaaten war der, dass Männer wie Big Jim Thompson Mädchen wie mich nicht feuerten – ganz gleich, wie detailliert sie kastrationswilligen Kunden die Funktionsweise von Alligatorscheren erklärten.

Nachdem ich mir sicher sein konnte, dass der Besitzer des Dodge den gleichen Fehler kein drittes Mal machen würde, fuhr ich auf dem Heimweg beim Holler vorbei, um das Trinkgeld meiner Mutter vom Vorabend abzuholen.

»Na, was macht der Ärger?« Moms Chef wurde Trick genannt. Er hatte fünf Kinder, achtzehn Enkelkinder, drei gut sichtbare Narben von Kneipenschlägereien, die er angezettelt hatte – und wahrscheinlich noch ein paar mehr unter seinem verlotterten weißen T-Shirt. Seit meinem fünften Lebensjahr begrüßte er mich jedes Mal mit exakt demselben Spruch.

»Alles super, danke der Nachfrage«, erwiderte ich.

»Kommst wohl das Trinkgeld von deiner Mom holen?« Diese Frage kam von Tricks ältestem Enkel, der gerade die Alkoholvorräte hinter dem Tresen aufstockte. Die Bar war ein familiärer Betrieb in einem familiären Örtchen. Die Gesamteinwohnerzahl belief sich auf knapp über achttausend. Man konnte keinen Schritt tun, ohne gleich über drei miteinander verwandte Personen zu stolpern.

Und dann gab es da noch Mom und … meine Wenigkeit.

»So sieht’s aus«, bestätigte ich.

Mom war nicht gerade bekannt für ihr finanzielles Gespür oder die Standfestigkeit, mit der sie nach einer Spätschicht nach Hause torkelte. Daher war ich es, die unser Haushaltsgeld verwaltete, und das, seit ich neun war – was in etwa auch das Alter war, in dem ich nacheinander mein Interesse für das Knacken von Schlössern, die Westminster Dog Show und das Mischen eines perfekten Martini entdeckt hatte.

»Da hast du’s, Schätzchen.« Trick reichte mir einen Umschlag, der dicker war als erwartet. »Hau’s aber nicht gleich an einem Abend weg.«

Ich schnaubte. Das Geld würde für Miete und Essen draufgehen. Ich war nicht unbedingt der Typ für Partys. Tatsächlich hatte ich bisschen einen antisozialen Ruf weg.

Siehe auch: meine Bereitschaft, mit Kastration zu drohen.

Bevor Trick mich zum Abendessen bei seiner Schwiegertochter einladen konnte, entschuldigte ich mich rasch und schlüpfte aus der Bar. Home sweet home befand sich nur zwei Straßenblöcke weiter und einen Block hoch. Unser Haus hatte theoretisch bloß ein Schlafzimmer, aber als ich neun geworden war, hatten wir zwei Drittel des Wohnzimmers mit Duschvorhängen aus dem Ein-Dollar-Laden für mich abgetrennt.

»Mom?«, rief ich, als ich durch die Tür kam.

Es hatte was von einem Ritual, nach ihr zu rufen, auch wenn sie nicht zu Hause war. Auch wenn sie gerade auf Sauftour war oder sich in einen neuen Kerl verschossen hatte, sie wieder mal eine religiöse Wandlung durchmachte oder dem spirituellen Bedürfnis folgte, sich unter den wachsamen Augen einer fahrenden Wahrsagerin mit ihrem besseren Ich zu beratschlagen.

Ich hatte meine Angewohnheit, von einem schrägen Hobby zum nächsten zu hüpfen, mittlerweile in den Griff bekommen, wohingegen Moms Rastlosigkeit weniger zielgerichtet, dafür aber deutlich selbstzerstörerischer blieb.

Fast wie aufs Stichwort klingelte mein Handy. Ich ging ran.

»Kleines, du wirst nicht glauben, was gestern Nacht passiert ist.« Mom machte sich nicht viel aus Begrüßungen.

»Bist du noch in den USA, brauchst du Geld für eine Kaution, oder habe ich einen neuen Daddy?«

Mom lachte. »Du bist mein Ein und Alles. Das weißt du doch, ja?«

»Ich weiß, dass die Milch fast alle ist«, erwiderte ich, schnappte mir die Packung aus dem Kühlschrank und nahm einen Schluck. »Und ich weiß, dass irgendwer gestern ein exzellenter Trinkgeldgeber war.«

Am anderen Ende der Leitung entstand eine längere Pause. Diesmal hatte ich richtig getippt: Es ging um einen Typen, und sie hatte ihn gestern Abend im Holler kennengelernt.

»Du kommst doch klar, oder?«, fragte sie sanft. »Nur für ein paar Tage?«

Ich glaubte ganz stark an absolute Ehrlichkeit: Sag, was du denkst, denk, was du sagst, und stell keine Fragen, wenn du die Antwort nicht hören willst.

Aber bei meiner Mom war das anders.

»Ich behalte mir das Recht vor, die Symmetrie seiner Gesichtszüge und die Kitschigkeit seiner Anmachsprüche zu bewerten, sobald du zurück bist.«

»Sawyer.« Mom klang ernst – zumindest so ernst, wie es ihr möglich war.

»Ich komm klar«, sagte ich. »Tu ich immer.«

Sie schwieg ein paar Sekunden. Ellie Taft war vieles, aber vor allem anderen war sie ein Mensch, der sich immer größte Mühe gegeben hatte – so sehr sie konnte, so lang sie konnte –, und zwar für mich.

»Sawyer«, wiederholte sie leise. »Ich hab dich lieb.«

Ich kannte meinen Text, kannte ihn seit meiner Besessenheit für die schmissigsten Filmzitate aller Zeiten, als ich fünf war. »Ich weiß.«

Ich legte auf, bevor sie es tun konnte. Ich war gerade dabei, den Rest Milch zu leeren, als die Haustür, die dringend Schmieröl und ein neues Schloss benötigte, mit einem Quietschen aufging. Langsam drehte ich mich um, während ich einen Algorithmus durchlaufen ließ, wer da wohl unangekündigt vorbeigeschneit kommen könnte.

Doris von nebenan verlor durchschnittlich 1,2 Mal pro Woche ihre Katze.

Big Jim und Trick pflegten beide die Angewohnheit, regelmäßig nach mir zu schauen, so als wäre ihnen entfallen, dass ich achtzehn war, nicht acht.

Der Typ mit dem fetten Dodge Ram. Vielleicht ist er mir gefolgt. Das war weniger ein Gedanke, mehr ein Instinkt. Meine Hand schwebte schon über der offenen Messerschublade, als jemand das Haus betrat.

»Ich hoffe ja, deine Mutter kauft Wüsthof«, bemerkte der Eindringling mit einem Blick auf die Position meiner Hand. »Wüsthof-Messer sind einfach so viel schärfer als die gewöhnlichen Modelle.«

Ich blinzelte, doch als meine Lider sich wieder hoben, stand die Frau immer noch da – das Haar zu einem Helm totfrisiert und bekleidet mit einem blauen Seiden-Blazer zu einem passenden Rock, bei dem ich mich unwillkürlich fragen musste, ob sie unser abgewracktes Haus mit einem Wohltätigkeitslunch verwechselt hatte. Die Fremde machte keine Anstalten, sich für ihr Eintreten zu rechtfertigen oder zu erklären, wa­rum die Vorstellung, meine Mutter könne sich Billigmesser zugelegt haben, sie mehr zu schockieren schien als die Aussicht, dass ich eines zücken könnte.

»Du ähnelst deiner Mutter«, lautete ihr Kommentar.

Ich war mir nicht sicher, was für eine Erwiderung sie auf diese Aussage erwartete, also antwortete ich frei Schnauze. »Und Sie sehen aus wie ein Bichon Frisé.«

»Verzeihung?«

Das ist eine Hunderasse, die wie eine sehr kleine, sehr starre Puderquaste ausschaut. Aber da absolute Ehrlichkeit nicht erforderte, dass ich jeden Gedanken, der mir in den Sinn kam, laut aussprach, verlegte ich mich auf eine leicht abgemilderte Wahrheit. »Sie sehen aus, als ob Ihre Frisur mehr gekostet hat als mein Auto.«

Die Frau – ich schätzte sie alterstechnisch auf Anfang sechzig – neigte den Kopf zur Seite. »Ist das ein Kompliment oder eine Beleidigung?«

Sie hatte einen Südstaatenakzent – weniger näselnd, aber dafür gedehnter als mein eigener. Kohm-plie-mehnt ohder eine Be-leeeih-di-guung?

»Das kommt wohl mehr auf Ihren Blickwinkel an als auf meinen?«

Sie zeigte den Anflug eines Lächelns, so als hätte ich etwas ganz Reizendes, aber nicht wirklich Amüsantes gesagt. »Dein Name ist Sawyer.« Nachdem sie mich über meinen Vornamen in Kenntnis gesetzt hatte, legte sie eine Pause ein. »Du weißt nicht, wer ich bin, nicht wahr?« Das war ganz klar eine rhetorische Frage, da sie keine Antwort abwartete. »Warum spare ich uns nicht das Theater?« Ihr Lächeln wurde breiter, ungefähr so wie eine Dusche, die schön warm wird, bevor jemand die Klospülung betätigt. »Mein Name«, fuhr sie in einem Tonfall fort, der zum Lächeln passen sollte, »ist Lillian Taft. Ich bin deine Großmutter mütterlicherseits.«

Meine Großmutter, schoss es mir durch den Kopf, während ich versuchte, die Situation zu verarbeiten, sieht aus wie ein Bichon Frisé.

»Deine Mutter und ich hatten vor deiner Geburt ein kleines Zerwürfnis.« Lillian gehörte offenbar zu jener Sorte Mensch, der einen Hurrikan der Kategorie fünf als kleinen Nieselschauer bezeichnen würde. »Ich finde ja, es ist höchste Zeit, diesen Teil der Vergangenheit zu den Akten zu legen, du nicht auch?«

Ich war nur eine rhetorische Frage davon entfernt, wieder zur Messerschublade zu greifen, daher kam ich gleich zum Punkt. »Du bist nicht wegen meiner Mutter hergekommen.«

»Dir entgeht nicht viel, kleine Miss Sawyer.« Lillians Stimme war weich und feminin. Ich hatte den Eindruck, dass auch ihr nicht viel entging. »Ich möchte dir gern ein Angebot unterbreiten.«

Ein Angebot? Plötzlich wurde mir wieder bewusst, mit wem ich es hier zu tun hatte. Lillian Taft war keine Puderquaste. Sie war die gnadenlose, herrische Matriarchin, die meine schwangere Mutter im reifen Alter von siebzehn auf die Straße gesetzt hatte.

Und so marschierte ich zur Haustür und zog den Post-it-Zettel ab, den ich neben die Klingel geklebt hatte, nachdem unser Haus zwei Wochen am Stück von Missionaren heimgesucht worden war, die von Tür zu Tür gingen. Ich drehte mich um und reichte die handgeschriebene Notiz der Frau, die meine Mutter großgezogen hatte. Ihre tadellos manikürten Fingerspitzen zupften mir den Zettel aus der Hand.

»Betteln und Hausieren verboten«, las meine Großmutter.

»Außer für den Pfadfinderinnen-Keksverkauf«, ergänzte ich zuvorkommend. Ich selbst war zwar während meiner morbiden True-Crime-und-Obduktionsfakten-Phase aus der örtlichen Pfadfindergruppe geflogen, hatte aber immer noch eine Schwäche für Thin-Mint-Cookies.

Lillian schürzte die Lippen und berichtigte ihre vorherige Aussage. »Betteln und Hausieren verboten, außer für den Pfadfinderinnen-Keksverkauf.«

Ich konnte den exakten Moment sehen, in dem sie begriff, was ich sagte: Ich hatte kein Interesse an ihrem Angebot. Was auch immer sie feilbot, ich kaufte nichts.

Eine Sekunde drauf war es, als hätte ich rein gar nichts gesagt. »Ich will offen sein, Sawyer«, begann sie, womit sie eine mit Zuckerguss überzogene stählerne Seite offenbarte, die ich bei meiner Mom nie gesehen hatte. »Deine Mutter hat sich für diesen Weg entschieden. Du nicht.« Sie presste nur kurz die Lippen aufeinander, bevor sie weitersprach. »Ich für meinen Teil denke, dass du mehr verdienst.«

»Mehr als Billigmesser und Milch direkt aus der Packung?«, gab ich zurück. Wir konnten das Rhetorische-Fragen-Spiel gern auch zu zweit spielen.

Unglücklicherweise war die große Lillian Taft offenbar nie auf eine rhetorische Frage gestoßen, die sie nicht zur Gänze hätte beantworten können. »Mehr als einen zweitklassigen Schulabschluss, eine Berufslaufbahn ohne Aufstiegsmöglichkeiten und eine Mutter, die heute noch weniger Verantwortung an den Tag legt als damals mit siebzehn.« Wäre sie nicht eine alternde Südstaatenschönheit gewesen, die einen Ruf zu verlieren hatte, hätte meine Großmutter die Retourkutsche genauso gut beenden können, indem sie triumphierend die Hände in die Luft warf und »Ätsch!« rief. Stattdessen legte sie sich die flache Hand aufs Herz. »Du verdienst Möglichkeiten, die du hier nie haben wirst.«

Die Menschen in dieser Stadt waren gute Menschen. Das hier war ein guter Ort. Aber es war nicht mein Ort. Selbst zu den besten Zeiten hier hatte ein Teil von mir immer das Gefühl gehabt, nur auf Durchreise zu sein.

Ich spürte einen Muskel an meinem Hals verspannen. »Du kennst mich nicht.«

Das entlockte ihr nun doch eine Pause – und zwar keine kalkulierte. »Das könnte ich«, erwiderte sie schließlich. »Ich könnte dich kennenlernen. Und du, du könntest dich in der Position wiederfinden, jedes College deiner Wahl zu besuchen und schuldenfrei einen Studienabschluss zu machen.«

Secrets on My Skin

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ICHSAHMEINEERZFEINDINNACKT,

UNDICHSAHNICHTWEG.

Kapitel 2 

Es gab einen Vertrag. Einen waschechten, in Juristenlatein verfassten Bitte-auf-der-gepunkteten-Linie-unterzeichnen-Vertrag.

»Echt jetzt?«

Lillian winkte meinen Einwand ab. »Lass uns jetzt nicht mit Details aufhalten.«

»Aber natürlich nicht«, erwiderte ich, während ich durch den neunseitigen Anhang blätterte. »Warum sollte ich mir auch die Mühe machen, die Bedingungen zu lesen, bevor ich meine Seele verkaufe?«

»Der Vertrag dient vornehmlich deinem Schutz«, beharrte meine Großmutter. »Was würde mich sonst davon abhalten, meinen Teil der Vereinbarung nicht einzuhalten, sobald du deinen erfüllt hast?«

»Etwas Ehrgefühl und jedweder Wunsch nach einer Art andauernden Beziehung?«, schlug ich vor.

Lillian hob eine Augenbraue. »Bist du gewillt, bei deiner akademischen Bildung auf mein Ehrgefühl zu setzen?«

Ich kannte haufenweise Leute, die studiert hatten. Ich kannte auch haufenweise Leute, die es nicht getan hatten.

Ich las den Vertrag. Ich wusste auch nicht so recht, wa­rum. Ich würde nicht bei ihr einziehen. Ich würde nicht von zu Hause weggehen und mein Leben und meine Mutter verlassen für läppische …

»Fünfhunderttausend Dollar?« Womöglich hatte ich diese Summe mit ein, zwei Kraftausdrücken unterstrichen.

»Hörst du etwa Rap-Musik?«, wollte meine Großmutter wissen.

»Du hast gesagt, du würdest fürs College zahlen.« Ich riss meine Augen von dem Vertrag los. Allein die Zahl zu lesen, gab mir das Gefühl, als hätte ich dem Typen mit dem Dodge Ram gerade erlaubt, mir ein paar Dollarscheine ins Bikini-Höschen zu stecken. »Du hast nichts davon gesagt, dass du mir einen Scheck über eine halbe Million Dollar aushändigst.«

»Es wird kein Scheck«, korrigierte mich meine Großmutter, als wäre das hier das eigentliche Problem. »Es wird ein Fonds. College, Promotion, Lebenshaltungskosten, Auslandsstudienaufenthalte, Transport, Tutoren … diese Dinge summieren sich.«

Diese Dinge.

»Sag es«, verlangte ich, da ich nicht fassen konnte, dass irgendwer einen solchen Haufen Kohle lockermachen konnte. »Sag, dass du mir fünfhunderttausend Dollar bietest, damit ich neun Monate bei dir wohne.«

»Geld ist nichts, worüber wir reden, Sawyer. Geld ist etwas, das wir haben.«

Ich starrte sie an, wartete auf die Pointe.

Aber es gab keine.

»Du bist hierhergekommen in der Erwartung, dass ich Ja sage.« Ich formulierte das nicht als Frage, weil es keine war.

»Ja, das bin ich wohl«, räumte Lillian freimütig ein.

»Wieso?«

Ich wollte, dass sie sagte, dass sie davon ausgegangen war, dass ich käuflich sei. Ich wollte, dass sie zugab, dass sie eine so geringe Meinung von mir – und Mom – hatte, dass sie keinerlei Zweifel gehegt hatte, dass ich mich umgehend auf ihren teuflischen Handel einlassen würde.

»Es ist wohl so«, sagte Lillian schließlich, »dass du mich ein wenig an mich selbst erinnerst. Und wäre ich in deiner Lage, mein liebes Mädchen …« Sie legte eine Hand auf meine Wange. »… würde ich mich gewiss auf jede Chance stürzen, meinen leiblichen Vater zu identifizieren und ausfindig zu machen.«

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ICHHABEGELOGEN.

Kapitel 3 

Meine Mutter, die ständig zwischen Phasen wechselte, in denen sie entweder so tat, als wäre ich das Produkt einer unbefleckten Empfängnis, oder in denen sie die männliche Spezies verfluchte, beziehungsweise angetrunken in Nostalgie über ihr erstes Mal schwelgte, hatte mir exakt drei Dinge über meinen geheimnisvollen Vater erzählt.

Sie hatte nur einmal mit ihm geschlafen.

Er hasste Fisch.

Er wollte keinen Skandal.

Das wars. Mit elf hatte ich ein Foto gefunden, das sie versteckt hatte: eine Aufnahme von vierundzwanzig Teenager-Jungs im Frack, die unter einem Marmorbogen standen.

Symphony-Kavaliere.

Diese Bildunterschrift war in silbernen Lettern unter das Foto geprägt gewesen. Die Jahreszahl – sowie mehrere Gesichter – waren weggekratzt worden.

Geld ist nichts, worüber wir reden, dachte ich Stunden, nachdem Lillian wieder gegangen war. Während ich fortfuhr, äffte ich im Geist ihren Tonfall nach. Und ja, die Tatsache, dass der Mann, der deine Mutter geschwängert hat, mit großer Sicherheit ein Spross der High Society ist, gehört zwar nicht zu den Dingen, die ich so direkt aussprechen würde, aber …

Ich griff erneut nach dem Vertrag. Diesmal las ich ihn von Anfang bis Ende durch. Lillian hatte, praktischerweise, vergessen, einige der Bedingungen zu erwähnen.

Wie die Tatsache, dass sie meine gesamte Garderobe auswählen würde.

Oder die verpflichtende Maniküre einmal die Woche.

Oder ihre Forderung, dass ich gemeinsam mit meiner Cousine und meinem Cousin eine Privatschule besuchte.

Mir war noch nicht einmal klar gewesen, dass ich so was hatte. Ja, Tricks Enkelkinder hatten Cousins und Cousinen. Die Hälfte der Mädchen in meiner Pfadfindergruppe hatten Cousinen in eben dieser Gruppe. Aber ich?

Ich hatte eine Enzyklopädie mittelalterlicher Foltertechniken.

Ich zwang mich weiterzulesen und erreichte das Sahnehäubchen auf der Torte: Ich erkläre mich bereit, am alljährlichen Symphony-Ball sowie sämtlichen Symphony-Debütantinnen-Veranstaltungen im Vorfeld meiner feierlichen Einführung in die Gesellschaft teilzunehmen.

Debütantinnen … Einführung in die Gesellschaft …

Nein, eine halbe Million Dollar reichte da nicht.

Trotzdem blieb die Vorstellung jener hypothetischen Cousinen und Cousins in meinem Kopf hängen. Eine meiner weniger wahllosen Kindheitsobsessionen war Genetik gewesen. Cousins und Cousinen teilen sich grob ein Achtel ihrer DNA.

Halbgeschwister teilen sich ein Viertel. Ich erwischte mich dabei, wie ich das Schlafzimmer meiner Mutter ansteuerte, die unterste Schublade ihrer Kommode öffnete und nach dem Foto tastete, das sie an die Rückseite geklebt hatte.

Vierundzwanzig Teenager.

Vierundzwanzig potenzielle Produzenten des Spermiums, das meine Mutter befruchtet hatte.

Vierundzwanzig Symphony-Ball-Kavaliere.

Als mein Handy vibrierte, zwang ich mich, die Schublade zu schließen, und sah mir die Nachricht an, die Mom soeben geschickt hatte.

Ein Foto von einem Flugzeug.

Könnten mehr als nur paar Tage werden, las ich stumm den Text unter dem Foto. Und dann noch ein zweites Mal laut. Meine Mutter liebte mich. Das wusste ich. Das hatte ich immer gewusst.

Und eines Tages würde ich aufhören, zu erwarten, dass sie mich überraschte.

Es verging eine weitere Stunde, bevor ich mich wieder dem Vertrag zuwandte. Ich schnappte mir einen Rotstift. Ich nahm ein paar Korrekturen vor.

Dann unterschrieb ich.

15. April, 17:13 Uhr

Mackie massierte sich die Stirn. »Sicher, dass keine von euch ihre Eltern anrufen will?«

»Nein, besten Dank.«

»Wissen Sie eigentlich, wer mein Vater ist?«

»Meine Stiefmutter täuscht eine Schwangerschaft vor und braucht absolute Ruhe.«

Mackie hatte nicht vor, dieses Thema auch nur mit der Kneifzange anzurühren. Er wandte sich dem letzten der Mädchen zu – diejenige, die nur Sekunden nach seinem Eintreffen erfolgreich das Schloss geknackt hatte.

»Was ist mit dir?«, fragte er hoffnungsfroh.

»Mein biologischer Erzeuger hat mir buchstäblich gedroht, mich umzubringen, falls ich ihm lästig werde«, sagte das Mädchen, das an der Zellenwand lehnte, als würde es gerade keine Designer-Robe tragen. »Und sollte irgendwer herausfinden, dass man uns verhaftet hat, bin ich fünfhunderttausend Dollar los.«

Achteinhalb Monate zuvor

Kapitel 4 

Ich traf zum vertraglich festgelegten Datum, zur vertraglich festgelegten Uhrzeit am Wohnsitz meiner Großmutter ein – keine Dreiviertelstunde Autofahrt, dafür aber dreieinhalb Universen entfernt von dem Ort, wo ich aufgewachsen war. Basierend auf dem, was ich über die Familie Taft und die Vorort-Märchenwelt wusste, die sie bewohnten, erwartete ich, dass das Haus meiner Großmutter eine Mischung aus Tara und dem Taj Mahal wäre. Aber 2525 Camellia Court war weder pompös noch historisch. Es war eine Neunhundert-Quadratmeter-Villa, die sich als Durchschnittshaus verkleidete – das architektonische Pendant zu einer Frau, die zwei Stunden damit zubrachte, sich zu schminken, nur um so auszuschauen, als würde sie kein Make-up tragen. Das alte Ding?, hörte ich das großzügige Anwesen sagen. Das hab ich doch schon ewig.

Rein objektiv betrachtet war das Haus riesig, aber die ruhige Straße wurde von anderen Häusern gesäumt, die genauso groß waren, und von Rasenflächen, die genauso weitläufig waren. Es war, als hätte jemand eine normale Nachbarschaft genommen und alles um ein paar Größen hochskaliert – einschließlich der Einfahrten, der SUVs und der Hunde.

An der Tür wurde ich mit einem Stupser seines Riesenschädels vom größten Vierbeiner begrüßt, den ich je gesehen hatte.

»William Faulkner«, tadelte ihn die Frau, die die Tür geöffnet hatte. »Benimm dich gefälligst.«

Sie war das Ebenbild von Lillian Taft. Ich war immer noch damit beschäftigt, die Tatsache zu verdauen, dass a) der Hund die Größe eines kleinen Ponys hatte und b) besagter Hund William Faulkner hieß, als die Frau, bei der es sich vermutlich um meine Tante handelte, erneut das Wort ergriff.

»John David Easterling!«, erhob sie lautstark die Stimme. »Wer ist der beste Schütze in dieser Familie?«

Es kam keine Antwort. William Faulkner knuffte mich wieder mit dem Kopf, diesmal gegen meinen Schenkel, und schnaubte.

Ich bückte mich ein klein wenig, um ihn zu tätscheln, und bemerkte da ein rotes Pünktchen, das auf meinem Tanktop aufgetaucht war.

»Wenn du diesen Abzug drückst, werde ich dir bei lebendigem Leib das Fell über die Ohren ziehen!«, rief meine Tante mit verstörend fröhlicher Stimme.

Was für ein Abzug?, dachte ich. Das rote Pünktchen auf meinem Oberkörper geriet leicht ins Schwanken.

»Nun, junger Mann, ich denke, ich habe dich gerade etwas gefragt: Wer ist der beste Schütze in dieser Familie?«

Es folgte ein hörbares Seufzen von oben, dann setzte sich ein etwa zehnjähriger Junge auf dem Dach auf. »Du bist das, Ma’am.«

»Und benutze ich etwa deine Cousine als Zielübung?«

»Nein, Ma’am.«

»Ganz genau, Sir, das tue ich nicht«, bestätigte meine Tante. »William Faulkner, sitz!«

Der Hund gehorchte, und der Junge verschwand vom Dach.

»Bitte sag mir, dass das eine Nerf Gun ist«, sagte ich.

Meine Tante brauchte eine Weile, um die Frage zu verarbeiten, dann stieß sie ein perlendes Lachen aus – geübt und gekonnt. »Echte Waffen darf er ohne Aufsicht nicht benutzen«, versicherte sie mir.

Ich starrte sie an. »Das klingt nicht so beruhigend, wie du meinst.«

Das Lächeln rutschte ihr keine Sekunde aus dem Gesicht. »Du siehst in der Tat wie deine Mutter aus, nicht wahr? Das Haar. Diese Wangenknochen! Als ich in deinem Alter war, hätte ich für diese Wangenknochen getötet.«

In Anbetracht der Tatsache, dass sie die beste Schützin der Familie war, war ich nicht sicher, ob sie übertrieb.

»Ich bin Sawyer«, stellte ich mich vor, während ich versuchte, die Begrüßung einzuordnen, die ich gerade von der Frau bekommen hatte, die meine Mom immer nur als »Eiskönigin« bezeichnet hatte.

»Aber natürlich bist du das«, kam umgehend die Antwort mit einem Tonfall so warm und weich wie Whiskey. »Ich bin deine Tante Olivia und das hier ist William Faulkner. Eine reinrassige Berner Sennenhündin.«

Die Rasse hatte ich erkannt. Was ich jedoch nicht bemerkt hatte, war, dass es sich bei William Faulkner um ein Weibchen handelte.

»Wo ist Lillian?«, fragte ich mit dem Gefühl, dass ich hier in eine Art schräges Wunderland hineingeraten war.

Tante Olivia hakte die Finger ihrer rechten Hand um William Faulkners Hundehalsband und glättete mit der Linken reflexartig ihre eigene Perlenkette. »Komm doch herein, Sawyer. Bist du hungrig. Du musst hungrig sein.«

»Ich hab gerade gegessen«, erwiderte ich. »Wo ist Lillian?«

Meine Tante ignorierte die Frage. Sie befand sich bereits auf dem Weg ins Innere. »Los komm, William Faulkner. Braves Mädchen.«

*

Die Küche meiner Großmutter war so groß wie unser gesamtes Haus. Halb erwartete ich schon, dass meine Tante nach dem Koch rufen würde, doch recht schnell wurde klar, dass sie das Verköstigen von anderen Menschen nicht nur als Zeitvertreib, sondern als echte Berufung betrachtete. Nichts, was ich sagte oder tat, konnte sie davon abbringen, mir ein Sandwich zu machen.

Den Brownie abzulehnen wäre wohl als Kriegserklärung aufgenommen worden.

Ich war eine große Anhängerin persönlicher Grenzen, aber ich war auch eine große Anhängerin von Schokolade, daher ignorierte ich das Sandwich, nahm einen Bissen von dem Brownie und fragte – erneut –, wo meine Großmutter sei.

»Sie ist mit der Partyplanerin hinten im Garten. Kann ich dir was zu trinken bringen?«

Ich legte den Brownie auf meinen Teller zurück. »Partyplanerin?«

Bevor meine Tante antworten konnte, kam der Junge, der mich vorhin im Fadenkreuz gehabt hatte, in die Küche spaziert. »Lily sagt, es gehört sich nicht, mit Fratrizid zu drohen«, verkündete er. »Und deswegen würde sie nicht mit Fratrizid drohen.«

Er hockte sich auf den Platz neben mir und beäugte mein Sandwich. Wortlos schob ich es ihm hin, und sofort macht er sich dran, es mit dem Elan eines kleinen Tasmanischen Teufels in blauem Polo-Shirt zu verschlingen.

»Mama?«, fragte er, nachdem er geschluckt hatte. »Was ist Fratrizid?«

»Ich nehme an, das ist genau das, womit eine Schwester nicht droht, wenn jemand versucht, sie mit einer Nerf Gun zu erschießen.« Tante Olivia wandte sich wieder der Arbeitsfläche zu. Ich brauchte glatte drei Sekunden, um zu kapieren, dass sie ein neues Sandwich machte. »Stell dich bitte vor, John David.«

»Ich bin John David. Es ist mir eine Freude, Sie kennenzulernen, Madam.« Für einen schießwütigen Knirps war er, was Begrüßungen anging, ausnehmend höflich. »Bist du wegen der Party hier?«

Ich kniff die Augen zusammen. »Was für eine Party?«

»Schon da!« Ein Mann kam in den Raum gerauscht. Er hatte eine Präsidentenfrisur und ein Gesicht, das wie geschaffen war für Golfplätze und Vorstandsetagen. Ich hätte sofort auf Tante Olivias Ehemann getippt, selbst wenn er sich nicht vorgebeugt hätte, um sie auf die Wange zu küssen. »Kleine Vorwarnung: Auf dem Weg ins Haus habe ich Greer Richards die Straße runterkommen sehen.«

»Greer Waters seit Neuestem«, erinnerte ihn meine Tante.

»Ich wette zehn zu eins, Greer Waters kommt, um die Vorbereitungen für den heutigen Abend zu überprüfen.« Er bediente sich bei dem Sandwich, das Tante Olivia gerade für mich gemacht hatte.

Mir war schon klar, dass es vergebens war, aber ich konnte nicht anders: »Was steht denn heute Abend an?«

Tante Olivia machte sich ungerührt daran, ein drittes Sandwich zu belegen. »Sawyer, dieser Tunichtgut ist dein Onkel J. D. Schatz, das ist Sawyer.« Sie sagte den Namen in einem Tonfall, der verriet, dass sie wahrscheinlich mehrfach über mich diskutiert hatten – und zwar vermutlich als einem Problem, das eine delikate Handhabung erforderte.

»Ist das der Teil, wo du sagst, dass ich wie meine Mutter aussehe?«, fragte ich staubtrocken.

Mein Onkel betrachtete mich auf genau die Art, wie seine Frau und meine Großmutter mich betrachtet hatten. »Das«, erwiderte er feierlich, »ist der Teil, wo ich dich in der Familie willkommen heiße und dich aufrichtig fragen muss, ob ich dir gerade dein Sandwich geklaut habe.«

Es klingelte, und John David düste los wie eine Rakete. Meine Tante musste lediglich eine Augenbraue heben, und schon folgte ihr Mann ihrem kleinen Sohn auf dem Fuß.

»Greer Waters ist die Vorsitzende des Symphony-Ball-Komitees«, murmelte Tante Olivia, während sie John Davids Teller wegräumte und Sandwich Nummer drei vor mir abstellte. »Das bleibt jetzt unter uns, aber ich denke, sie hat sich da etwas mehr ­aufgehalst, als sie tragen kann. Erst vor Kurzem hat sie den Vater einer der Debütantinnen geheiratet. Sich bemühen ist eine Sache, aber zu bemüht sein ist eine andere.«

Und das von einer Frau, die mir, seit ich durch die Tür spaziert kam, drei Sandwiches gemacht hatte.

»Wie auch immer«, fuhr Tante Olivia mit gedämpfter Stimme fort. »Ich bin mir sicher, dass sie einige sehr dezidierte Meinungen zu den Arrangements deiner Großmutter hat.«

Arrangements für was? Dieses Mal machte ich mir gar nicht erst die Mühe, es laut auszusprechen.

»Mir ist bewusst, dass du einige Fragen haben musst«, sagte meine Tante und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht – offenbar hatte sie nicht mitbekommen, dass ich diese bereits gestellt hatte. »Bezüglich deiner Mama. Und dieser Familie.«

Mit dieser Art von Empfang hatte ich nicht gerechnet. Ich hatte keinerlei Zuneigung, Wärme oder Gebäck von einer Frau erwartet, die die letzten achtzehn Jahre damit zugebracht hatte, meine Mutter – sowie die Existenz meiner Wenigkeit – komplett zu ignorieren. Eine Frau, die meine Mutter nie auch nur namentlich erwähnt hatte.

»Fragen …«, wiederholte ich leicht stockend. »Zu meiner Mom und zu dieser Familie und den Umständen meiner höchst unpassenden und skandalösen Zeugung?«

Tante Olivias Lippen verspannten sich über dem perlweißen Lächeln, doch bevor sie etwas erwidern konnte, betrat Lillian Taft den Raum. Sie trug einen Strohhut und Gartenhandschuhe und hatte im Schlepptau eine blasse, dürre Frau mit strengem braunen Dutt im Nacken.

»Deine Rosen pflegst du am besten immer selbst«, riet meine Großmutter mir ohne einleitende Worte. »Manche Dinge delegiert man nicht nach außen.«

Freut mich auch, dich wiederzusehen, Lillian.

»Manche Dinge delegiert man nicht nach außen«, wiederholte ich. »Party-Vorbereitungen zum Beispiel?«, schob ich spitz hinterher, wobei ich die Frau beäugte, die hinter ihr reingekommen war. »Oder die verlorene Enkeltochter begrüßen, wenn sie zu Hause eintrifft?«

Lillian blickte mir in die Augen, wobei die ihren sich weder verengten noch blinzelten. »Hallo, Sawyer.« Sie sagte meinen Namen so, als wäre es einer, den die Menschen kennen sollten. Nach einem ausgedehnten Moment wandte sie sich der Partyplanerin zu. »Könnten Sie uns wohl einen Moment geben, Isla?«

Wie es aussah, konnte Isla das.

»Du siehst dünn aus«, informierte Lillian mich, als die Partyplanerin den Raum verlassen hatte. Sie wandte sich an meine Tante. »Hast du ihr ein Sandwich angeboten, Olivia?«

Sandwich Nummer drei thronte buchstäblich noch auf dem Teller vor mir. »Lasst uns da­rauf einigen, dass ich genug besandwicht wurde.«

Lillian ließ sich nicht beirren. »Möchtest du etwas trinken? Limonade? Tee?«

»Greer Waters ist da«, warf meine Tante mit gedämpfter Stimme ein.

»Schreckliche Frau«, erklärte Lillian mir in liebenswürdigem Tonfall. »Gut nur …« Sie zog die Handschuhe ab. »… dass ich noch viel, viel schlimmer bin.«

Dieser Spruch – mehr noch als der Tipp mit den Rosen – hörte sich an wie eine typische Lebenslektion à la Lillian Taft.

»Nun denn«, schloss Lillian, als das Klackern von Absätzen auf Parkett die drohende Ankunft der berüchtigten Greer Waters ankündigte. »Sawyer, wie wäre es, wenn du hochgehst und deiner Cousine Hallo sagst? Lily ist im Blauen Zimmer. Sie wird dir helfen, dich für heute Abend zurechtzumachen.«

»Heute Abend?«

Tante Olivia übernahm es, mich aus der Küche zu scheuchen. »Blaues Zimmer«, wiederholte sie heiter. »Zweite Tür rechts.«

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ICHHABEIHNDAFÜRBEZAHLT, MICHZUKÜSSEN.

Kapitel 5 

Während ich die große Treppe hochging, zählte ich die Stufen und kam bis elf, bevor ich stehen blieb, um die Fotos an der Wand in Augenschein zu nehmen. Auf einem Bild blies ein blondes kleines Mädchen Pusteblumen in die Luft, auf dem nächsten saß es auf einem Pony. Ich sah ihr beim Wachsen zu – ein mahagonigerahmtes Bild nach dem anderen –, bis ein kleiner Junge sich als Baby zu den jährlichen Porträtaufnahmen dazugesellte, die Outfits farblich aufeinander abgestimmt. Ihr Lächeln niedlich und einstudiert, während seines zunehmend frecher wurde.

Als ich das obere Ende der Treppe erreichte, stand ich vor einem großen Familienporträt: Tante Olivia und Onkel J. D., das blonde Mädchen, mittlerweile eine Teenagerin, neben John David sitzend, während die elegante Lillian hinter ihnen stand, eine Hand auf der Schulter ihrer Tochter, die andere auf der ihres Enkelsohnes abgelegt. Rechts neben dem Familienporträt hing eines von Tante Olivia in einem weißen Kleid. Erst dachte ich, es sei ein Hochzeitskleid, aber dann fiel mir auf, dass meine Tante auf dem Bild nicht viel älter war als ich. Die jugendliche Olivia trug weiße Handschuhe bis zu den Ellbogen.

Mein Blick huschte zur linken Seite des Familienporträts, wo ein kleines, kaum merkliches Loch die Wand zierte. Hatte hier mal ein weiteres Porträt gehangen?

Sagen wir, beispielsweise, eins von meiner Mom?

»Ich stehe kurz davor, einige sehr undamenhafte Worte zu benutzen.« Die Stimme, die das gesagt hatte, war honigsüß.

»Lily …«

»Undamenhaft und höchst kreativ.«

Während ich auf die zweite Tür rechts zuging, erklang die Stimme, die den Namen meiner Cousine gesagt hatte, erneut, dieses Mal zaghafter. »Auf einer Skala von eins bis schrecklich – ist das denn so schlimm?«

Die Antwort kam sittsam und fein. »Ich schätze, das kommt ganz da­rauf an, wie man zu Schwerverbrechen steht.«

Ich räusperte mich, und zwei Köpfe drehten sich zu mir um. Meine Cousine Lily erkannte ich von den Porträts: helles Haar, dunkle Augen, schmale Taille, kräftige Statur. Jedes Haar saß an seinem Platz und die sommerliche Bluse schien frisch gebügelt. Das Mädchen neben Lily war umwerfend schön und, angesichts ihrer Miene, kurz davor, sich schwallartig zu erbrechen.

Aber andererseits wäre mir auch speiübel gewesen, wenn ich auf meinem Bauch gelegen und den Rücken so durchgebogen hätte, dass meine Zehen meinen Hinterkopf berührten.

»Hallo.« Cousine Lily bot eine bewundernswerte Vorstellung von jemandem, der gerade ganz bestimmt nicht über Schwerverbrechen gesprochen hatte. Für ein Mädchen, das aussah, als wäre es gerade aus einem Zeitschriftenartikel mit dem Titel »Geschmackvolle florale Muster für jungfräuliche Hoffnungsträgerinnen mit Privatschulbildung« getreten, schien sie ganz schön Mumm zu haben.

Dieses Mädchen und ich teilen ein Achtel unserer DNA.

»Du musst Sawyer sein.« Lily klang ganz wie ihre Mutter, als sie das Wort musst sagte: zwei Teile Nachdruck, ein Teil Befehl.

Die Schlangenfrau auf dem Boden entknotete sich. »Sawyer«, wiederholte sie mit großen Augen. »Die Cousine.« Sie klang dabei so entsetzt, dass ich mich fragte, ob Cousine für sie gleichbedeutend war mit Axtmörderin.

»Unsere Großmutter hat mich hochgeschickt«, erklärte ich an Lily gewandt, da ihre Freundin bloß stocksteif dastand, so als wäre ich ein Bär, der jede Körperregung als Anlass zur Attacke nehmen könnte.

»Ja, ich soll dir helfen, dich für heute Abend fertig zu machen«, sagte Lily. Sie fing den Blick des rehäugigen Mädchens neben sich auf, das nun merklich die Hände knetete. »Ich soll ihr helfen, sich für heute Abend fertig zu machen«, wiederholte Lily. Offenbar versuchte sie, ihrer Freundin eine Botschaft zu verklickern.

»Ich kann auch gehen, falls ihr beide hier was zu erledigen habt«, imitierte ich Lilys Betonung.

Meine Cousine richtete ihre dunkelbraunen Augen wieder auf mich. Sie hatte eine Art, einen anzuschauen, so als würde sie überlegen, ob sie einen sezieren oder umstylen sollte – oder vielleicht beides.

Die Vorstellung gefiel mir nicht.

»Sei nicht albern, Sawyer.« Lily machte einen Schritt auf mich zu. »Du störst uns nicht. Sadie-Grace und ich haben nur etwas geplaudert. Habe ich dir schon Sadie-Grace vorgestellt? Sadie-Grace Waters, darf ich vorstellen: Sawyer Taft.« Lily hatte offenbar Großmutter Lillians Faible für rhetorische Fragen geerbt. »Du heißt doch Taft, oder nicht?« Sie fuhr fort, bevor ich antworten konnte. »Ich entschuldige mich, dass ich nicht nach unten gekommen bin, um dich zu begrüßen. Du musst denken, ich wäre in der Gosse groß geworden.«

Mit dreizehn hatte ich ganze sechs Monate damit zugebracht, mir alles über Wetten und Glücksspiele beizubringen. Und ich war bereit, meinen Hintern zu verwetten, dass meine ach so entzückte Cousine nicht besonders begeistert gewesen war, plötzlich eine Blutsverwandte von der falschen Seite der Stadt aufs Auge gedrückt zu bekommen. Nicht, dass sie die mangelnde Begeisterung je zugegeben hätte.

Das, so dachte ich, wäre nämlich fast genauso ungehobelt, wie mit Fratrizid zu drohen.

»Tja, ich bin praktisch in einer Kneipe groß geworden«, erwiderte ich, als klar war, dass Lily endlich eine Atempause eingelegt hatte. »Solange du also da­rauf verzichten kannst, mit Barhockern auf deine Mitmenschen einzuprügeln, kommen wir klar.«

Dr. Knigge hatte offenbar weder Lily noch Sadie Grace auf spontane Gespräche über Kneipenschlägereien vorbereitet. Während die beiden nach einer angemessenen Antwort suchten, schlenderte ich zum Fenster rüber. Es ging zum Garten raus, wo gerade schwarze seidige Tischtücher über runde Bistrotische gebreitet wurden. Da unten waren gut ein halbes Dutzend Angestellte zugange – an mindestens dreimal so vielen Tischen.

Und es gab einen Laufsteg.

»Bist du wirklich in einer Kneipe aufgewachsen?« Sadie -Grace stellte sich neben mich. Sie war groß und gertenschlank und hatte verblüffende Ähnlichkeit zu dieser gewissen Sorte klassischer Schönheiten, die dafür bekannt waren, in Königsfamilien einzuheiraten. Ihre zarten Finger zupften an den Spitzen ihres unfassbar dichten, glänzenden braunen Haars.

Große Rehaugen. Nervös. Hang zu Yoga. Ich katalogisierte alles, was ich über sie wusste, bevor ich ihre Frage beantwortete. »Meine Mom und ich wohnten über dem Holler, bis ich dreizehn war. Theoretisch durfte ich nicht runter in die Bar, aber ich betrachte Theorien ganz gerne als Herausforderungen.«

Sadie-Grace nagte an ihrer Unterlippe und sah unter unglaublich langen Wimpern auf mich herab. »Wenn du so aufgewachsen bist, musst du bestimmt über viele Dinge Bescheid wissen«, sagte sie sehr ernst. »Du musst Leute kennen. Leute, die über bestimmte Dinge Bescheid wissen.«

Ein kurzer Blick zu Lily verriet mir, dass ihr die Richtung, die dieses Gespräch nahm, nicht gefiel.

Ich wandte mich wieder Sadie-Grace zu. »Willst du zufällig gerade ausloten, wie meine persönliche Haltung zu Schwerverbrechen aussieht?«

»Sawyer, wir müssen dir ein Kleid für heute Abend besorgen!« Lily zeigte mir ein strahlendes Lächeln und schoss einen laserscharfen Blick in Sadie-Grace’ Richtung – eine Warnung, nicht einmal daran zu denken, diese Frage zu beantworten. »Wir gehen shoppen. Und, ach du liebe Güte, aber wir könnten auch gleich etwas gegen diese Augenbrauen unternehmen.«

Ich verstand das so, dass Lily sich nun doch für umstylen statt sezieren entschieden hatte – hatte aber das ungute Gefühl, dass die Entscheidung ganz knapp gewesen war.

Sadie-Grace wich tunlichst meinem Blick aus, während ihre Zähne weiterhin ihre Unterlippe malträtierten.

Ich will’s gar nicht wissen, beschloss ich. In was auch immer meine Cousine sich da reingeritten hat, was auch immer ich da mitangehört habe, ich will’s ehrlich nicht wissen.

15. April, 17:16 Uhr

»Ich sage ja nicht, dass es Sawyers Schuld ist«, begann das Etepetete-Mädchen geziert. »Aber.«

Mackie wartete da­rauf, dass sie mehr sagte. Die junge Dame jedoch schien das als vollständigen Satz zu betrachten.

»Es war ein Unfall! Man kann niemanden für einen Unfall verhaften!« Das kam von derjenigen, die buchstäblich aussah wie eine zum Leben erwachte Disney-Prinzessin.

»Offenbar, Sadie-Grace, kann man das.«

»Aber das waren bloß vielleicht zehn Prozent Absicht!«

»Mädels«, schaltete sich Mackie mit, wie er hoffte, autoritärer Stimme ein. »Eine nach der anderen. Und beginnt bitte am Anfang.«

»Der Anfang.« Die Kokette in dem Grüppchen – die, die Gott behüte dich zu ihm gesagt hatte – kam nach vorne stolziert. »Ich für meinen Teil könnte nicht ansatzweise sagen, wo das Ganze seinen Anfang nahm. Du etwa, Lily?«

Die Ruhige, Wohlerzogene nahm den Angriff erwartungsgemäß ruhig und wohlerzogen auf.

»Jetzt, wo ich darüber nachdenke«, fuhr die kokette Anstifterin fort, »fällt mir da wohl doch etwas ein …«

Die Schlossknackerin trat vor. Ihre weiß behandschuhten Finger ballten sich langsam zu Fäusten.

Oh nein, dachte Mackie. Das könnte jetzt hässlich werden.

Achteinhalb Monate zuvor

Kapitel 6 

»Wie würden Sie Ihren persönlichen Stil beschreiben?« Die Verkäuferin – Verzeihung, persönliche Einkaufsberaterin – hatte die Haltung einer Schönheitskönigin und den machtgeilen Blick eines Politikers.

Das ließ nichts Gutes ahnen.

Nachdem ich feststellen musste, dass meine liebe Cousine Lily mir den Ausgang versperrte – kluges Mädchen –, sah ich mich gezwungen, die Frage zu beantworten. »Geht ›Motoröl-Flecken‹ für Sie als Stil durch?«

Sadie-Grace’ Mund formte ein perfektes O. Es folgte ein Moment peinlicher Stille.

»Sie sucht etwas Klassisches«, warf Lily aalglatt ein. »Nicht zu festlich, aber förmlicher als Business-Casual. Meine Großmutter sagte etwas von einem gewissen Blauton?«

»Ja.« Die persönliche Einkaufsberaterin dehnte ihr Blinzeln so lang aus, dass ich mich schon fragte, ob sie über der Farbe Blau meditierte. »Himmelblau. Wahlweise Saphir. Förmlich, aber nicht zu festlich. Cocktail?«

»Sehr gern«, murmelte ich.

»Ein Cocktail-Kleid«, stellte Lily klar und warf mir einen mahnenden Blick zu, »könnte funktionieren. Denken Sie aber daran, dass das Event im Freien stattfindet.«

»Was Sommerliches also«, schlug die persönliche Einkaufs­beraterin umgehend vor. »A-Linie, ein Stoff, der atmet …«

Ich war noch nie gut im Shoppen gewesen. »Motoröl-Flecken« waren tatsächlich das, was meinem persönlichen Stil am nächsten kam. Außerdem hatte ich bisher definitiv keine Zeit im Miss Coulter’s verbracht – dem einzigen Kaufhaus weit und breit, wie Lily mich informiert hatte, das gewisse Marken führte …

Vielleicht, wenn ich ganz langsam rückwärts …

Lily machte einen Schritt zur Seite, um mir den Weg abzuschneiden. Die persönliche Einkaufsberaterin merkte nichts davon. »Wenn die Damen sich etwas umschauen wollen«, sagte sie zu Lily. »Ich suche derweil ein paar Modelle für Ihre Freundin zusammen.«

»Cousine.« Lily schien die Richtigstellung zu bereuen, kaum dass sie diese geäußert hatte, was sie jedoch nicht daran hinderte, das Kinn zu recken und es zu wiederholen: »Sie ist meine Cousine.«

Ich konnte den exakten Augenblick sehen, in dem die Frau vor uns ihr mentales Archiv von Familienstammbäumen durchforstete und kapierte, zu wem genau mich das machte.

Das hier war eine Großstadt, kein Kaff, aber von den Erzählungen meiner Mutter über das Aufwachsen hier wusste ich, dass die Kreise, in denen die illustre Familie Taft verkehrte, sehr eng gesteckt waren. Mom sprach von der Country-Club-Gesellschaft, wie ein Mensch mit Platzangst von einem Aufenthalt im Sturmkeller berichten würde.

»Ihre Cousine!«, flötete die Frau. »Wie reizend. Jetzt, wo Sie es sagen, erkenne ich da durchaus eine familiäre Ähnlichkeit.«

Ich war eher schmächtig veranlagt. Lily war größer, breiter und definitiv besser in Form. Sie hatte ein herzförmiges Gesicht, einen blassen Teint, und ihre Wimpern waren beinahe genauso hell wie ihr seidenglattes Haar. Ich hingegen war sonnengebräunt, hätte, wenn Sommersprossen sich zu Geld machen ließen, ein ­Vermögen machen können und hatte schlammig-braunes Haar, das sich noch weniger zu benehmen wusste als ich.

»Vielleicht«, sinnierte Sadie-Grace, nachdem die Frau abgezogen war, »liegt eure Ähnlichkeit in eurer Aura.«

Drei Stunden, eine Platin-Kreditkarte und nur zwei kleinere Nervenzusammenbrüche später – Dank an dieser Stelle an unsere persönliche Einkaufsberaterin und den Ersatz unserer persönlichen Einkaufsberaterin – hatte ich ein Kleid. Und Schuhe. Eine geschmackvolle Handtasche. Und eine Mordslaune.

»Fast fertig!«, verkündete Lily fröhlich.

Ich wäre ja auch fröhlich gewesen, hätte ich meine Gegnerin irgendwie mürbe machen können, bis besagte Gegnerin sich bereit erklärt hätte, nackt auf die Fete zu gehen, wenn das nur hieße, lebend aus diesem Kaufhaus herauszukommen. Doch Lily Taft war eine Naturgewalt. Eine feine, sittsame, nur scheinbar zurückhaltende Naturgewalt, die Mode beinahe genauso ernst nahm wie die richtigen Manieren im Angesicht jeglicher Widrigkeit.

Und diese Widrigkeit war ich.

Ich hatte Kleid um Kleid abgelehnt. Und mich rundweg geweigert, noch was anzuprobieren. Ich erinnerte mich ganz genau, wie ich mich weigerte, ihr auch nur meine Schuhgröße zu verraten.

Und doch …

»Ich schaue nur mal kurz in der Kosmetikabteilung vorbei«, fuhr Lily unbekümmert fort, »während du und Sadie-Grace einander kennenlernt.«

Ich hätte an Ort und Stelle meinen Abgang eingefädelt, wäre da nicht das hoffnungsfrohe Lächeln auf Sadie-Grace’ Gesicht gewesen. Noch nie hatte ich jemanden getroffen, der dem gesellschaftlichen Ideal von Schönheit so nahekam und dabei so unsicher war. Hätte ich zwei Adjektive verwenden dürfen, um sie zu beschreiben, hätte ich mich für sensibel und frohsinnig entschieden, knapp gefolgt von einem dritten: naiv.

Verdammt, Lily, dachte ich. Als ich noch klein war, hatte ich zu den Kindergartenkindern gehört, die Viertklässler verprügelten, die Zweitklässler zum Weinen brachten. Das hatte mich bei den Zweitklässlern zwar auch nicht beliebter gemacht, aber ich hatte nicht nichts tun können – genauso wenig wie ich jetzt das Mädchen neben mir stehen lassen konnte.

»Also«, begann ich etwas lustlos, was mir ein strahlendes Lächeln von Sadie-Grace einbrachte, »kann man hier in der Gegend auch noch was anderes tun als shoppen?«

Sadie-Grace dachte lang und angestrengt nach, bevor sie den Mund zu einer Antwort öffnete, doch statt Worten kam ein Laut heraus, der sich stark wie ein Fiepen anhörte. Lily, die in der Kosmetikabteilung in ein angeregtes Gespräch mit jemandem vertieft war, bekam nichts mit von Sadie-Grace’ Versuch, sich hinter einem Ständer mit Designer-Clutches zu verstecken.

»Sadie-Grace?«

Sie machte Psst, bevor sie vorsichtig hinter den Clutches hervorlugte. Und beinahe wie von selbst fing ihr linker Fuß an, anmutige kleine Halbkreise auf den Boden zu zeichnen.

»Was tust … Tanzt du?«, fragte ich.

Mit großer Mühe brachte Sadie-Grace den abtrünnigen Fuß zur Ruhe. »Wenn ich nervös bin, mache ich ronds de jambe«, raunte sie. »Es passiert einfach so – wie Schluckauf –, nur dass es Ballett ist.«

Diese Aussage war mehr als nur schräg, aber ich kam nicht dazu, ihr das mitzuteilen, da ihr schon wieder ein Fieep entfuhr und sie sich dieses Mal hinter mir duckte. Ich folgte ihrem Blick quer durch die Kosmetikabteilung an den Designer-Schals vorbei direkt zu einem Ehepaar, das sich Manschettenknöpfe anschaute. Die beiden waren etwa Mitte vierzig, also eher in Tante Olivias Alter als in dem meiner Mutter. Irgendwas an dem Mann kam mir vage bekannt vor.

»Senator Sterling Ames«, wisperte Sadie-Grace hinter mir. »Mit seiner Frau, Charlotte.«

Der Senator blickte von den Manschettenknöpfen auf. Er sah sich mit gelassener Präzision im Raum um, und sein Blick blieb an Lily hängen.

»Deine Cousine war mit Walker, dem Sohn des Senators, zusammen«, erklärte Sadie-Grace flüsternd. »Er ist ja nett. Aber die Tochter vom Senator …« Beinahe begann sie wieder mit einem rond de jambe, konnte sich aber noch fassen.

»Seine Tochter?«, hakte ich nach, während der Senator und seine Frau meine Cousine ansteuerten.

Sadie-Grace bekreuzigte sich, auch wenn ich mir ziemlich sicher war, dass sie nicht katholisch war. »Die Senatorentochter ist der Teufel in Menschengestalt.«

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ICHBINDIE, DIEDEINENBADEANZUGGEKLAUTHAT, BITCH.

Kapitel 7 

Den Großteil der vierten Klasse hatte ich damit zugebracht, mir Porträtzeichnen beizubringen. Ich verkaufte die Porträts für zwei Dollar das Stück auf dem Spielplatz, aber es gelang mir nie, mein eigenes Gesicht zu zeichnen. Es war, als würde irgendwas fehlen – irgendein Verhältnis in den Zügen, das ich nie ganz einfangen konnte, weil ich die Details, die mein Gesicht von dem meiner Mutter unterschieden, nie zu ihrem Ursprung zurückverfolgen konnte.

Vielleicht war das der Grund, wa­rum ich automatisch anfing, die Züge des Senators zu inspizieren, auch wenn er mir zu alt schien, um im Debütanten-Jahrgang meiner Mutter Kavalier gewesen zu sein.

»Campbell Ames ist Luzifer höchstpersönlich«, bekräftigte Sadie-Grace neben mir in dramatischem Flüsterton. »Beelzebub. Mephistopheles. Der Höllenfürst. Der Leibhaftige.« Sie seufzte schwer. »Lass es uns hinter uns bringen.«

»Was hinter uns bringen?«, wollte ich wissen.

Sadie-Grace sah mich verdutzt an. Sie schaute von mir zur Kosmetikabteilung, wo die Frau des Senators gerade Lily auf die Wange küsste, dann wieder zu mir. »Was meinst du mit was? Wir müssen rübergehen und Hallo sagen.«

»Tatsache ist: Müssen wir nicht.«

»Aber …« Sadie-Grace war sichtlich sprachlos. Ihr Körper neigte sich in Richtung des Senatorenpärchens, als wären sie ein schwarzes Loch, das sie unerbittlich ansog. Anscheinend war es völlig unerheblich, dass sie sich eben erst vor ihnen versteckt hatte und dass sie die Tochter des Senators mit nicht weniger als fünf Namen für Satan höchstpersönlich tituliert hatte. In Sadie-Grace’ Welt galt: Wenn ein Erwachsener in einen Drei-Meter-Radius kam, hieß es entweder höflich plaudern oder untergehen.

Ich folgte ihr ins Gefecht, wobei ich den dankbaren Blick ignorierte, den sie mir zuwarf. Ich hatte meine eigenen Gründe, brav mitzuspielen – und die hatten rein gar nichts mit Anstand oder Etikette zu tun.

»Wir vermissen es, dich bei uns zu haben, Lily.« Die Senatorengattin hatte eine durchdringende Stimme – hoch, klar und karies-süß. »Ich bin mir ja ganz sicher, dass Walker dieser Tage wieder zur Vernunft kommen wird.«

Salz in die offene Wunde, schoss es mir durch den Kopf, als ich neben Lily stehen blieb. Ich hatte zwar keine Ahnung von der Beziehung meiner Cousine mit ihrem Ex, aber so viel kapierte ich allmählich schon über Lily: Je schlimmer der Schmerz, desto unerschütterlicher ihr Lächeln.

Und das hier schmerzte sehr.

Womöglich hätte mich das nicht jucken sollen, aber ich war noch nie gut darin gewesen, tatenlos dazustehen und zuzusehen, wie andere Menschen litten. Sadie-Grace war es wohl ebenfalls nicht egal, denn sie überwand ihre Nervosität so weit, um die Aufmerksamkeit des Senators – und viel wichtiger, die seiner Ehefrau – von Lily abzulenken. »Darf ich Ihnen Sawyer vorstellen?«

Es funktionierte. Im einen Augenblick noch stand ich da und freute mich des Lebens, im nächsten hatte Charlotte Ames meine Hände gepackt und hielt sie mit ihren Griffeln fest.

Wenn du auch nur ein Wort zu meinen Wangenknochen sagst, dachte ich, kann ich für nichts mehr garantieren.

»Wir helfen Sawyer gerade dabei, eine Kleinigkeit für heute Abend auszusuchen.« Lilys Power-Lächeln saß noch immer an Ort und Stelle.

»Deine erste Debütantinnen-Veranstaltung!« Die Senatorenfrau quetschte meine Finger zusammen. »Wie aufregend! Du hast natürlich ein, zwei Anproben verpasst, aber ich bin mir ja sicher, mit Miss Lillian an deiner Seite hast du das im Handumdrehen aufgeholt. Diese Frau kann Berge versetzen.«

Der Subtext kam mit dem Vorschlaghammer und war klar: Du bist eine unerwartete und wahrscheinlich ungewollte Nachzüglerin! Deine Großmutter hat mächtig die Strippen gezogen, damit man dich noch aufnimmt!

Glücklicherweise hatten die gleichen Erfahrungen, die mich dazu inspiriert hatten, die Fachhochschulreife zu erlangen, statt auf der Highschool zu bleiben, mich vollkommen immun gegen Subtexte gemacht.

»Dann dürfen wir davon ausgehen, Sie beide heute Abend zu sehen?«, erkundigte sich Lily höflich beim Senator und dessen Gattin. Ich war mir nicht sicher, ob sie das Gespräch mir oder ihnen zuliebe in eine andere Richtung lenkte. »Mit Campbell?«

Sadie-Grace entfuhr erneut ein leiser fiepender Laut.

»Sterling« – Charlotte Ames legte eine Hand auf den Arm ihres Ehegatten – »wir sollten dir wirklich ein neues Paar Manschettenknöpfe besorgen.«

»Wir werden da sein«, sagte der Senator an Lily gewandt. Er zögerte – nein, dachte ich, das ist nicht das richtige Wort. Männer wie Senator Sterling Ames zögern nicht. Sie halten inne.

Sie sondieren die Lage.

»Ich kann nicht behaupten, dass ich deine Mutter gut gekannt hätte«, sagte der Senator an mich gewandt. Er hatte blaue Augen, schwarzes Haar und ein Gesicht, dem man trauen könnte, es jedoch keinesfalls sollte. »Aber die Taft-Frauen, die ich kenne, sind nicht zu unterschätzen.« Er bedachte Lily mit einem kleinen, kontrollierten Lächeln, bevor er die volle Intensität seines Blicks erneut auf mich richtete. »Falls du also von dieser Seite deines Familienstammbaums etwas geerbt hast, dann wirst du den Symphony-Ball heute Abend – samt Auktion – ganz hervorragend meistern.«

Und was ist mit der anderen Seite meines Familienstammbaums?, dachte ich bei mir, als ich ihnen nachsah.

»Sawyer?« Lily berührte meine Schulter mit mehr Nachdruck, als ich ihr zugetraut hätte. »Alles in Ordnung?«

Es war lange her, seit ich von irgendwem erwartet – oder irgendwem erlaubt – hatte, sich um mich zu kümmern. Erwarte von Menschen keine Überraschungen, und sie können dich nicht enttäuschen.

»Auktion«, sagte ich, als ich meine Stimme wiederfand, und löste mich mit einem Schritt von Lilys Berührung. »Was für eine Auktion?«

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ER

ICHSAGTEJA

NIEMAND

DARFES

WISSEN

Kapitel 8 

Die Pearls-of-Wisdom-Wohltätigkeitsauktion gehörte anscheinend zu den Traditionen im Vorfeld des Symphony-Balls. Eine Stunde später, und mir war immer noch unklar, wer oder was hier versteigert wurde.

Ich war nur recht sicher, dass ich es nicht wissen wollte.

»Halt still, Sawyer.« Lilys Tonfall war liebenswürdig, doch der Blick ihrer Augen hätte einer eiskalten Assassine alle Ehre gemacht.

Einer Assassine mit Pinzette.

Ich klatschte ihre Hand vor meinem Gesicht weg. »Herrgott noch mal, ich würde mich lieber in einen Sizilianischen Bullen einsperren lassen, als dich weiter an meinen Augenbrauen he­rumfuhrwerken zu lassen.«

»Hast du gerade den Namen des Herrn gelästert?«

»Im Ernst?«, gab ich zurück und hob meine nun wohlgeformten Augenbrauen in ungeahnte Höhen. »Das ist es, was dich interessiert? Nicht etwa: Was ist ein Sizilianischer Bulle?«

»Ich würde vermuten«, erwiderte meine Cousine pikiert, »dass es sich um einen Bullen handelt, der auf der größten Insel des Mittelmeers gezeugt wurde.«

Ich widerstand dem Drang, sie darüber aufzuklären, dass es sich beim Sizilianischen Bullen um ein mittelalterliches Folter­instrument handelte, das dazu genutzt wurde, das Opfer bei lebendigem Leib schmoren zu lassen.

»Du hast eine wirklich hinreißende Knochenstruktur«, schaltete sich Sadie-Grace vorsichtig ein. »Wenn du uns nur erlauben würdest …«

Ich stand auf. »Ich denke, ich übernehme ab hier.«

Lily hätte nicht skeptischer blicken können, wenn ich verkündet hätte, dass ich die Reinkarnation von Kleopatra sei.

»Auf dem Bett liegt das von Lily abgesegnete Kleid«, merkte ich an. »Neben dem Kleid sind Schuhe. Ich bin mir zu neunzig Prozent sicher, dass ich beides anziehen kann, ohne die Apokalypse loszutreten.«



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