Lore-Roman 171 - Sabine Stephan - E-Book

Lore-Roman 171 E-Book

Sabine Stephan

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Beschreibung

Wieder und wieder liest Helena Prinzessin von Kleesfurt den hässlichen Zeitungsartikel, den sie in ihrem Zimmer gefunden hat. Auf unschöne Weise wird hier die Wahrheit mit beleidigenden und unbewiesenen Vorwürfen vermischt.
Es stimmt ja, dass es immer wieder zu Brandanschlägen gekommen ist, seit der verarmte Graf Robert von Kalmsbüttel im Schloss zu Besuch ist. Aber das ist schließlich kein Grund, ihm diese Brandstiftung auch anzulasten. Helena kann sich nicht vorstellen, dass sie sich in Robert so sehr getäuscht haben soll. Er hat ihr Herz im Sturm erobert, und sie weiß, dass er für sie die große und einzige Liebe ihres Lebens ist. Seufzend legt Prinzessin Helena die Zeitung aus der Hand und beschließt, ihren Gefühlen zu vertrauen und sich von nichts und niemandem in ihrer Liebe zu Graf Robert beeinflussen zu lassen. Doch schon bald darauf ist der Graf spurlos verschwunden ...


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Inhalt

Cover

Als alle ihn schuldig sprachen

Vorschau

Impressum

Als alle ihn schuldig sprachen

Schicksalsroman um einen verarmten Grafen

Von Sabine Stephan

Wieder und wieder liest Helena Prinzessin von Kleesfurt den hässlichen Zeitungsartikel, den sie in ihrem Zimmer gefunden hat. Auf unschöne Weise wird hier die Wahrheit mit beleidigenden und unbewiesenen Vorwürfen vermischt.

Es stimmt ja, dass es immer wieder zu Brandanschlägen gekommen ist, seit der verarmte Graf Robert von Kalmsbüttel im Schloss zu Besuch ist. Aber das ist schließlich kein Grund, ihm diese Brandstiftung auch anzulasten. Helena kann sich nicht vorstellen, dass sie sich in Robert so sehr getäuscht haben soll. Er hat ihr Herz im Sturm erobert, und sie weiß, dass er für sie die große und einzige Liebe ihres Lebens ist. Seufzend legt Prinzessin Helena die Zeitung aus der Hand und beschließt, ihren Gefühlen zu vertrauen und sich von nichts und niemandem in ihrer Liebe zu Graf Robert beeinflussen zu lassen. Doch schon bald darauf ist der Graf spurlos verschwunden ...

Nach dem Abendessen hatte Herbert Fürst von Kleesfurt das Personal zu Bett geschickt. Es würde sich in Zukunft nicht vermeiden lassen, dass seine Angestellten von dem schrecklichen und schmerzlichen Schritt des Schlossherrn erfuhren, doch niemand sollte Zeuge des Familienrates werden.

Irmgard Fürstin von Kleesfurt betrat ahnungslos den Rittersaal. Ausnahmsweise hatte sich ihr Gemahl nicht mit ihr abgesprochen, und das ließ auf schlimme Neuigkeiten schließen. Der Fürst und die Fürstin führten seit siebenundzwanzig Jahren eine mustergültige Ehe voll Liebe und gegenseitigem Vertrauen. Sie hatten keine Geheimnisse voreinander.

Dass der Fürst sich diesmal nicht mit ihr ausgesprochen hatte, deutete auf eine einsame Entscheidung hin, die er als Herr des Hauses Kleesfurt fällen musste. Fürstin Irmgard versuchte, ihre Nervosität und Sorge zu verbergen, als sie auf einem der kostbaren, alten, handgeschnitzten Stühle Platz nahm.

Auch ihre erwachsenen Kinder, Prinz Holger und die Prinzessinnen Helena und Silvia, fühlten die Wichtigkeit der Stunde.

Nur Manfred von Kleesfurt, der Neffe des Fürstenpaares, lächelte unbekümmert und ein wenig arrogant, wie sie das von ihm gewohnt waren.

»Ich vermisse die Kerzen auf dem Tisch Seiner Durchlaucht«, sagte er und erntete für den unpassenden Scherz einen ärgerlichen Blick seines Vetters Holger.

»Lieber Himmel«, seufzte Manfred. »Mach kein so bitterböses Gesicht! Was wird schon los sein? Bestimmt steht ein wichtiges Problem zur Entscheidung! Verpachten wir das dritte Kornfeld von links an den Bauern Holzklotz oder an den Bauern Fleißig!«

Irmgard von Kleesfurt wandte sich hastig zu ihrem Neffen, doch sie brauchte nichts mehr zu sagen. Die Tür des Rittersaals öffnete sich.

Der Fürst trat ein und sah seine Familienmitglieder der Reihe nach an. Zuletzt blieb sein Blick an Manfred hängen.

Es war ein langer, ernster, trauriger und strenger Blick.

Manfred von Kleesfurt wurde blass. Jetzt verspürte er kein Verlangen mehr, Witze zu machen und seine Verwandten mit seinen Bemerkungen aus der Fassung zu bringen.

Zwischen ihm und seinem Onkel herrschte schon lange ein gespanntes Verhältnis. Bisher waren ihre Aussprachen stets unter vier Augen erfolgt. Doch nun hatte der Fürst den Familienrat einberufen. Diesmal wurde es sehr ernst.

Fürst Herbert von Kleesfurt trat vor seine Familie, die in einem Halbkreis an der Stirnwand des Rittersaales saß. Er blickte nachdenklich zu den Gemälden, die seine Ahnen darstellten. Sekundenlang schien er Zwiesprache zu halten und sie um Rat, Beistand und Weisheit zu bitten.

Endlich räusperte sich Fürst Herbert und wandte sich entschlossen an die Familie. Seine klugen, grauen Augen richteten sich auf Manfred. Schwarze Haare umrahmten das edle und gütige Gesicht des Fürsten. Obwohl Anfang fünfzig, durchzogen nur wenige silbergraue Fäden sein Haar an den Schläfen. Trotz seiner kräftigen Gestalt wirkte der Fürst an diesem Abend müde.

»Meine Lieben«, begann er leise. Seine Stimme wurde jedoch immer lauter. »Ich spreche zu euch zu dieser ungewöhnlichen Stunde, weil ich bis jetzt Zeit zum Überlegen brauchte. Andererseits will ich so schnell wie möglich einen Schlussstrich ziehen, damit auf Schloss Kleesfurt endlich wieder Friede einziehen kann.«

In der kurzen Pause hörte man keinen Atemzug, so angespannt lauschten die Fürstin, der Prinz, die Prinzessinnen und auch Manfred von Kleesfurt den Worten des Fürsten.

»Ein Familienrat soll für gewöhnlich dazu dienen«, fuhr der Fürst fort, »ein schwerwiegendes Problem zu besprechen, das die ganze Familie betrifft. In diesem Fall gibt es jedoch nichts zu besprechen. Ich habe euch lediglich meine Entscheidung als Chef des Hauses Kleesfurt mitzuteilen. – Manfred!« Der Fürst sah zwar seinen Neffen an, schien jedoch durch ihn hindurch zu blicken. »Mein Bruder und seine Gemahlin, deine Eltern, starben vor zwanzig Jahren in der Nähe dieses Schlosses in ihrem Wagen.« Seine Stimme schwankte für einen Moment, als er weitersprach. »Ich selbst zog dich damals aus den Armen deiner toten Mutter, und ich gelobte in diesen schmerzlichen Minuten, alles zu tun, damit aus dir ein guter Mensch wird, ein würdiger Sohn meines toten Bruders und seiner Gemahlin, die ich ebenfalls sehr schätzte. Ich ... ich habe versagt!«

Der Fürst stand wie eine Statue inmitten des Rittersaales. Trotz der gedämpften Beleuchtung sahen alle, wie es in seinem Gesicht zuckte, wie sehr ihn dieses Geständnis mitnahm und wie schwer ihm die nächsten Worte fielen.

»Meine Frau und ich, wir haben stets versucht, dir die Eltern zu ersetzen. Unsere Kinder waren wie deine Geschwister. Ich glaube nicht, dass es dir an etwas mangelte. Und doch hast du uns alle bitter enttäuscht. Wie oft habe ich dich ermahnt, nicht nächtelang durch zweifelhafte Lokale zu wandern und das Geld mit beiden Händen für Alkohol und lasterhafte Vergnügen auszugeben. Wie oft habe ich dich vor dem Spielteufel gewarnt. Ich möchte dir und uns ersparen, alle deine Verfehlungen aufzuzählen. Ich hatte Nachsicht, bezahlte deine Schulden und verhinderte Skandale.«

Prinz Holger und seine Schwestern blickten betreten zu Boden. Sie mochten ihren Vetter. Und doch sahen sie ein, dass ihr Vater nur allzu berechtigte Klage führte.

Der Fürst straffte sich. »Ich bezahlte vor drei Tagen deine letzte Spielschuld! Ich darf gar nicht an diesen abstoßenden Mann denken, der in unverschämtester Weise von mir das Geld verlangte. Es waren bittere zehn Minuten, die du mir verschafft hast. Es geht jetzt auch nicht einmal mehr um die vierzigtausend Mark, die ich für dich bezahlte.«

Überraschte und empörte Blicke flogen Manfred von Kleesfurt zu, der vergeblich versuchte, eine selbstsichere Haltung zu bewahren. Hätte der Fürst getobt und ihn angeschrien, wäre es ihm leicht gefallen, den Arroganten und Überlegenen zu spielen. Dieser kalte, endgültige Ton ließ jedoch einen Schauer über seinen Rücken laufen. Seine Lider flatterten. Sein Atem ging stoßweise.

»Diesmal, Manfred«, sagte der Fürst mit schwerer Betonung, »diesmal hast du den Bogen überspannt. Du hast in zweifelhaften Lokalen den Namen derer von Kleesfurt in den Schmutz gezogen. Wenn ich dir nicht Einhalt gebiete, wirst du uns finanziell ruinieren und zum Gespött machen. Du wirst alles zerstören, wofür das Haus Kleesfurt immer einstand. Deshalb fordere ich dich auf, Schloss Kleesfurt zu verlassen! Ich verbiete dir, das Schloss oder ein anderes Besitztum der Familie Kleesfurt wieder zu betreten! Ich verbiete dir, unsere Familie in Zukunft als Bürge für deine Schulden anzugeben. Unser Familienanwalt wird die nötigen Schritte unternehmen! Ich setze dir eine monatliche Apanage aus, die es dir erlauben wird, sorgenfrei zu leben. Dies geschieht aus unserem Vermögen, da du das Erbteil deiner Eltern schon längst durchgebracht hast. Von unserem Geld wirst du jedoch kein Lasterleben bezahlen können. Ich möchte mir nur keinen Vorwurf machen müssen, wenn ein Träger des Namens von Kleesfurt in Armut endet. Ich gestatte dir, so lange in diesem Schloss zu bleiben, bis du deine Angelegenheiten geregelt und deine Sachen gepackt hast. Danach wünsche ich keinerlei Verbindung mehr zu dir. Wir werden für dich nur noch über unseren Rechtsanwalt zu erreichen sein.«

Der Fürst holte tief Luft. In der atemlosen Stille klang sein Seufzer besonders laut.

»Glaube mir, Manfred«, sagte er leise. »Um deiner toten Eltern willen schmerzt es mich, aber du lässt mir keine andere Wahl!«

Mit raschen Schritten verließ der Fürst den Rittersaal. Der Familienrat war beendet. Es war die kürzeste Zusammenkunft gewesen, so weit die Chronik von Schloss Kleesfurt zurückreichte ...

***

Erschüttert stützte Irmgard Fürstin von Kleesfurt ihren Kopf in beide Hände. Sie hatte den damals Dreijährigen nach dem schrecklichen Tod ihres Schwagers und ihrer Schwägerin zu sich genommen und wie ein eigenes Kind aufgezogen. Es schmerzte sie, dass ihr Gemahl Manfred jetzt verstieß, und doch sah sie die Notwendigkeit ein. Manfred würde sie alle zugrunde richten, falls man keinen Riegel vorschob.

Er musste aus dem Schloss. Die Fürstin stimmte ihrem Gemahl voll und ganz zu. Und doch blutete ihr Herz.

»Mama«, sagte Prinzessin Silvia, ihre Jüngste, leise. »Komm!«

Die Fürstin nickte, stand auf und straffte ihre schmale, schlanke Gestalt.

Noch einmal blickte sie zu Manfred, der nach dem Weggang des Fürsten wieder sein arrogantes Lächeln aufgesetzt hatte. Als sich die Augen der Fürstin auf ihn richteten, erlosch dieses Lächeln. Ein kurzer Ruck ging durch Manfreds Gestalt. Er schien aufspringen und zu ihr laufen zu wollen, wie er es als kleiner Junge getan hatte. Doch er ließ sich wieder zurücksinken und schlug den Blick nieder. Die Lippen presste er so fest aufeinander, dass sie nur noch einen schmalen Strich bildeten und sich seine Wangenmuskeln scharf unter der Haut abzeichneten.

Die Fürstin verließ, von ihren beiden Töchtern begleitet, den Saal, blieb aber in der Tür noch einmal stehen und drehte sich um.

»Manfred«, sagte sie mit erstickter Stimme. »Gib auf dich Acht und ...«

Sie konnte nicht weitersprechen und wandte sich ab. Die Tür fiel hinter ihr ins Schloss.

Holger Prinz von Kleesfurt, ein fünfundzwanzig Jahre junger, sportlicher Mann mit den dunklen Haaren und dunklen Augen seiner Mutter, war der Einzige, der sich noch einmal zu einem Gespräch mit dem Vetter aufraffte.

Er schob die Hände in die Taschen seiner Jacke und betrachtete kopfschüttelnd seinen um zwei Jahre jüngeren Vetter.

»War das nötig, Manfred?«, fragte er ohne jeden Vorwurf. Die beiden hatten sich früher gut verstanden. »Kannst du mir wenigstens erklären, warum du es so weit getrieben hast?«

»Ach, lass mich doch in Ruhe!«, fuhr Manfred ihn an. Sein sonst so hübsches Gesicht, das von gewellten schwarzen Haaren umrahmt wurde, verzerrte sich in maßloser Wut. Seine großen schwarzen Augen flammten hasserfüllt auf. »Hör auf, mir eine Predigt zu halten! Das kann ich auf den Tod nicht ausstehen!«

»Du weißt genau, welchen Unsinn du da sagst«, erwiderte der junge Prinz ruhig.

Manfred sprang wütend auf; doch es gelang ihm nicht, Prinz Holger noch weiter zu beschuldigen. Er sah ein, dass Holger recht hatte. Aber er musste seiner Empörung und Enttäuschung Luft machen.

»Ich gratuliere dir zu diesem Vater, Holger!«, fauchte er ungezügelt. »Ein Fürst wie aus dem Bilderbuch! Stolz, eigensinnig, verbohrt und kurzsichtig!«

»Manfred!«, rief Prinz Holger scharf.

»Er sieht nur bis zur Grundstücksgrenze und nicht weiter!«, ereiferte sich Manfred von Kleesfurt. »Die Familie! Immer nur die Familie! Mein Gott, wie oft habe ich das in meinem Leben schon gehört! Die geheiligte Familie des Fürsten von Kleesfurt!«

»Manfred, du versündigst dich!«, rief Prinz Holger entsetzt.

»Eines Tages wirst du einsehen, dass die Familie ein wertvolles Gut im Leben ist! Sie bietet Halt! Damit eine Familie jedoch gesund und stark ist, muss man sie klug führen! Genau das hat mein Vater immer getan!«

»So!« Manfred lachte spöttisch auf und trat dicht vor den Prinzen. Die beiden Männer waren gleich groß. Ihre Blicke verfingen sich ineinander. »So, dein Vater hat die Familie klug geführt! Diese wertvolle Familie! Ich werde dir sagen, was wertvoll ist! Ein großes Bankkonto, weil man sich damit Vergnügen kaufen kann! Vergnügen ist das Einzige, was man anfassen kann! Sei es ein Bündel Banknoten, eine schöne Frau, ein schnelles Auto, eine Roulettekugel! Das hält man in den Händen, das kann man befühlen! Aber eine Familie? Das sind eine Menge Namen in einem Standesamtregister und eine Menge Leute, mit denen man nichts anfangen kann und die einem nur auf die Nerven gehen!«

Prinz Holger hatte Mühe, seine Selbstbeherrschung zu bewahren.

»Wenn du so denkst, Manfred«, sagte er eisig, »ist es wirklich besser, du verlässt uns für immer!«

»Genau das habe ich auch vor!« Manfred versetzte unbeherrscht einem der wertvollen Stühle einen Fußtritt, dass er quer durch den Saal flog und gegen die Wand krachte. »Aber ich gehe nicht erst in einigen Tagen! Diese Genugtuung gönne ich deinem Vater nicht! Der Herr Fürst hat sich wohl gedacht, er könne sich noch einige Tage an meinem niedergeschlagenen Äußeren weiden! Er wollte mich wohl noch einige Tage lang seine Verachtung spüren lassen! Oh nein, Durchlaucht, nicht mit mir! Ich gehe jetzt! Auf der Stelle! Und ihr alle ... ihr werdet ... ach was, spielt meinetwegen Familie! Ihr werdet schon sehen, wohin das führt! Eines Tages gibt es für euch ein böses Erwachen! Und darauf freue ich mich schon heute!«

Er wirbelte herum und rannte aus dem Saal. Die Tür krachte so hart ins Schloss, dass es wie ein Schuss durch die Gänge hallte.

Mit versteinerter Miene holte Prinz Holger den Stuhl zurück, den Manfred so unsanft behandelt hatte. War in ihm bis jetzt noch ein leiser Zweifel geblieben, ob sein Vater nicht doch zu hart handelte, so hatte Manfred diesen Zweifel restlos ausgelöscht.

Entsetzt erkannte der junge Prinz, dass in seinem langjährigen Spielkameraden, Vetter und Jugendfreund zwei Seelen wohnten, eine liebenswerte und eine schreckliche. Die Letztere hatte Prinz Holger eben erst kennengelernt, und er fürchtete sie.

Vielleicht war er der Einzige, der Manfreds Rache fürchtete, weil er auch als Einziger die hasserfüllten Augen des Vetters gesehen hatte.

Diesen Blick würde Prinz Holger nicht vergessen. Das war der Blick eines Menschen gewesen, der zu allem fähig war.

***

Die entscheidende Aussprache auf Schloss Kleesfurt hatte Anfang Februar stattgefunden.

Einen Monat später saß in einer Nobelbar in Schwabing ein junger Mann allein in einer Nische. Sonst war er umschwärmter Mittelpunkt des Nachtlebens gewesen. Jetzt stierte er aus glasigen Augen in sein leeres Whiskyglas, in dem langsam die Eiswürfel schmolzen.

Ein Gast schlenderte langsam durch das Lokal und betrachtete aufmerksam die Anwesenden. Vor der Nische blieb er stehen.

»Manfred!«, rief er überrascht und setzte sich. »Ich wusste gar nicht, dass du hier bist! Wie geht es denn, fürstliche Gnaden, oder wie man in euren Kreisen sagt?«

»Willst du dich auch noch über mich lustig machen?«, fuhr Manfred von Kleesfurt seinen Bekannten an.

Frank Hofer hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, schon gut! Ich dachte, wir sind Freunde!«

»Das dachte ich auch«, erwiderte Manfred wütend. »Aber wo warst du im letzten Monat? Nichts von dir zu sehen! Niemand in München wusste, wo du dich aufhältst.«

Frank Hofer beugte sich vor und senkte seine Stimme zu einem vertraulichen Flüstern.

»Ich war in der Türkei ... geschäftlich ... Stoff holen! Du verstehst schon!«

Manfred seufzte und zuckte nur die Schultern.

»Mann, dich hat es wirklich schwer erwischt«, meinte Frank Hofer und gab der leicht bekleideten Bedienung ein Zeichen, Manfred noch einen Whisky zu bringen. »Nimm eine Prise«, riet er. »Danach fühlst du dich besser.«

Das weiße Pulver, das er anbot, war kein Schnupftabak, auch wenn es geschnupft wurde ...

Eine halbe Stunde später hatte Frank Hofer den jungen Adeligen so weit, wie er wollte. Manfred schilderte seine Verbannung von Schloss Kleesfurt in allen Einzelheiten.

»Ich könnte dem Fürsten den Hals umdrehen«, sagte er zähneknirschend. »So eingebildet, dass ... dass ... mir fehlen die Worte! Du kannst dir das nicht vorstellen!«

»Muss ja schlimm gewesen sein.« Frank Hofer hieb in die Kerbe. »Wo wohnst du denn jetzt? Wieder im Hotel?«

Manfred von Kleesfurt hatte ein bitteres Lachen als Antwort. Er nannte seine Adresse.

»Ein kleines Appartement!«, fügte er wütend hinzu.

»Das ist ja wirklich die letzte Gegend«, schürte Frank Hofer. »Da kann kein Mensch wohnen!«

»Der Fürst hält mich so kurz.« Manfred merkte gar nicht, wie viel er ausplauderte. »Der Fürst schwimmt in Geld, und mir gibt er ein Trinkgeld!«

»Wirklich unglaublich!« Frank Hofer betrachtete Manfred lauernd von der Seite. »Du müsstest den Fürsten zwingen, mehr herauszurücken. Vor allem müsste er diese niederträchtige Zeitungsanzeige zurücknehmen.«

»Was für eine Anzeige?« Trotz seines umnebelten Verstandes wurde Manfred hellhörig. »Davon weiß ich gar nichts!«

»Wirklich nicht?« Frank Hofer wusste, dass er gewonnen hatte.

»Nun, es stand in allen großen Tageszeitungen. Der Fürst Kleesfurt gibt bekannt, dass er in Zukunft in keiner Weise mehr für deine Schulden aufkommen wird. Besuche bei ihm sind sinnlos, und so weiter, und so weiter! Du kannst es dir schon denken.«

Manfred wurde abwechselnd blass und rot im Gesicht.

»Deshalb schneiden mich alle«, flüsterte er mit bebenden Lippen. »Deshalb borgt mir keiner was! Ich habe nicht mal mehr an den Spieltischen Kredit. Früher genügte dort meine Unterschrift. Frank, kannst du dir das vorstellen?«

»Der Fürst hat sich wirklich schäbig verhalten.« Frank Hofer gab ihm noch eine Prise, ohne Geld dafür zu nehmen. Das hätte Manfred warnen müssen, denn Frank Hofer war dafür bekannt, dass er nichts verschenkte.

»Aber dein Onkel kann sich so etwas ja erlauben. Er ist unantastbar!«

»Ich würde es ihm gern heimzahlen«, knirschte Manfred von Kleesfurt. »Wenn ich könnte, ich ...! Der sollte an mich denken!«

»Na, vielleicht gibt es eine Möglichkeit«, lockte Frank.

»Wozu sind wir alte Freunde? Du könntest dich ganz leicht an deinem Onkel rächen.«

»Wie denn?«, fragte Manfred. Er wurde trotz seines rauschähnlichen Zustandes hellhörig. »Was hast du vor?«

Doch Frank gab keine genaue Auskunft.

»Überlass nur alles mir, Manfred! Ich kenne die richtigen Leute, die das in die Hand nehmen. Du brauchst nichts weiter zu tun, als mir ein wenig von Schloss Kleesfurt zu erzählen. Wie es angelegt ist, wie viele Leute dort leben, wo die Dienerschaft wohnt. Na, du verstehst schon!«