Lore-Roman 200 - Gitta van Bergen - E-Book

Lore-Roman 200 E-Book

Gitta van Bergen

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Beschreibung

In einer Zeit, in der ein uneheliches Kind "... die Moral verdirbt, jawohl, die Moral!" hat Übersetzerin Regina mit ihrem süßen Töchterchen Uschi keinen leichten Stand. Wie glücklich ist sie, als das Schicksal es endlich einmal gut mit ihr zu meinen scheint und ihr den jungen Naturwissenschaftler Dr. Christian Wilken über den Weg führt. Der aufrichtig und ehrlich wirkende, vom Leben ebenfalls bisher nicht verwöhnte Mann ist der Erste, dem Regina wieder Vertrauen und sogar Liebe entgegenbringen kann.
Doch das junge Eheglück wird auf eine harte Probe gestellt, als Christian zu einer langen Expedition nach Südamerika aufbricht. Denn von dort erreichen Regina Post und Fotos, bei deren Anblick ihr schwindlig wird: Ihr geliebter Christian in den Armen einer anderen! Doch ist wirklich alles so, wie es scheint?

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Seitenzahl: 149

Veröffentlichungsjahr: 2024

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Inhalt

Cover

... und niemand sieht ihre Tränen

Vorschau

Impressum

... und niemand sieht ihre Tränen

Üble Verleumdungen vergiften ihr Herz

Von Gitta van Bergen

In einer Zeit, in der ein uneheliches Kind als Schande und moralisches Vergehen angesehen wird, hat Übersetzerin Regina mit ihrem süßen Töchterchen Uschi keinen leichten Stand. Wie glücklich ist sie, als das Schicksal es endlich einmal gut mit ihr zu meinen scheint und ihr den jungen Naturwissenschaftler Dr. Christian Wilken über den Weg führt. Der aufrichtig und ehrlich wirkende, vom Leben ebenfalls bisher nicht verwöhnte Mann ist der Erste, dem Regina wieder Vertrauen und sogar Liebe entgegenbringen kann.

Doch das junge Eheglück wird auf eine harte Probe gestellt, als Christian zu einer langen Expedition nach Südamerika aufbricht. Denn von dort erreichen Regina Post und Fotos, bei deren Anblick ihr schwindlig wird: Ihr geliebter Christian in den Armen einer anderen! Doch ist wirklich alles so, wie es scheint?

An einem sonnendurchglühten Augusttag bog ein kleiner grauer Sportwagen in die breite Allee von Gut Eichen ein. Der junge Mann im hellen Sportanzug hatte kaum einen Blick für die Schönheiten der Natur rings um sich, um seine Lippen lag Bitternis. Erst als er die letzte Toreinfahrt passiert hatte und seinen Wagen in dem weiträumigen Innenhof abstellte, gingen seine Augen überrascht in die Runde.

»Das ist ja ein richtiges Schloss!«, murmelte er vor sich hin. »Und da hat Georg stets nur von Gut Eichen gesprochen!« Er strich sich die dunkelblonde Haarsträhne aus der Stirn. »Es muss schön sein, wenn man so ein Vaterhaus besitzt, wenn man weiß, wohin man gehört und – woher man kommt. Erst jetzt verstehe ich Georgs selbstsichere Art und weiß sein Verständnis mir gegenüber doppelt zu schätzen. Nie hat er mich den Unterschied fühlen lassen, der zwischen seinen und meinen Lebensverhältnissen besteht – und ich möchte wetten, dass er unsere letzte Expedition selbst finanziert hat und der reiche Geldmann im Hintergrund gar nicht existiert, von dem er gesprochen hat.«

Seine Gestalt straffte sich, als er auf die Freitreppe zuschritt. Man merkte seinem Gang nichts von der Beklommenheit an, die auf ihm lastete.

Ein grauhaariger Diener kam ihm entgegen.

»Bitte melden Sie mich dem Grafen Georg von Eichen. Mein Name ist Christian Wilken.«

»Bitte – treten Sie ein, Herr Wilken. Ich werde Sie dem Grafen melden.«

Die hohe Halle mit den altertümlichen Möbeln und kostbaren Wandbehängen beeindruckte den Besucher abermals, aber er kam nicht weiter mit seinen Gedanken, denn von der breiten, gewundenen Holztreppe, die von den oberen Räumen in die Halle mündete, klang ihm die Stimme des Freundes entgegen.

»Christian! Das ist eine Überraschung! Sei mir herzlich willkommen!« Graf von Eichen streckte ihm beide Hände entgegen und wandte sich dann an den Diener: »Alfons! Herr Doktor Wilken ist mein bester Freund und hat mich im vergangenen Jahr auf unserer Expedition durch Afrika begleitet. Ich stünde nicht hier, wenn er mir auf einer Löwenjagd nicht unter Einsatz seines eigenen Lebens beigestanden wäre ... Ich freue mich über seinen Besuch und bin gewiss, dass Sie ihn währenddessen umsorgen und verwöhnen werden.«

»Gewiss, Herr Graf«, entgegnete der Alte. »Herrn Doktor Wilken soll es an nichts fehlen ... Darf ich das Gepäck von Herrn Doktor besorgen?«

»Ich möchte heute noch weiter«, warf dieser unschlüssig ein, aber Georg von Eichen ließ das nicht gelten.

»Über deine Weiterreise sprechen wir in den nächsten Tagen, Christian. Zunächst bist du unser Gast – und ich möchte wetten, dass Alfons längst beschlossen hat, dich in unser reizvollstes Fremdenzimmer, das Turmzimmer, einzuquartieren. Stimmt es?«

Der Diener nickte und begab sich hinaus an den Wagen, um das Gepäck zu holen. Er verehrte seinen jungen Herrn, und seit er erfahren hatte, wie hoch dieser den Fremden schätzte, würde er auch ihm seine ungeteilte Fürsorge angedeihen lassen.

Graf Georg geleitete den Freund selbst zu dem ihm zugedachten Turmzimmer und weidete sich an dessen ungläubigen Blicken, als sie den wohnlichen Raum, der keinen Komfort vermissen ließ, betraten.

»Wahrlich, hier lässt es sich aushalten, Georg!«, befand Christian.

»Mein alter Herr hat Spaß an vielerlei Dingen«, erklärte der junge Graf lachend. »Und du wirst noch oft staunen, wenn du Schloss Eichen erst kennenlernst.« Er öffnete eine Tapetentür. »Hier ist dein eigenes Bad, du findest zu jeder Tageszeit heißes Wasser vor.«

»Donnerwetter! So würde ich jetzt sagen, wenn wir irgendwo in der Wildnis wären«, scherzte Christian. »Aber hierher passt es doch nicht ganz.«

Auch der Freund lachte herzlich.

»Fall mir nur nicht zu sehr in Ehrfurcht, lieber Freund! Auf Schloss Eichen kannst du reden, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Mein Vater und ich haben es noch alle Tage so gehalten. Meine Braut ist allerdings anderer Meinung – sie liebt das Konventionelle.«

»Du bist verlobt?«

»Ja ... seit vier Wochen. Mit Sigrid Baroness von Waldenberg ... Allmählich kommen wir in die Jahre, Christian, wenn man auf die dreißig zugeht. Wie ist es mit dir?«

Es klang ruhig und gelassen, und der Freund meinte, von seiner zukünftigen Frau müsse man in ganz anderen Tönen sprechen.

Aber er erwähnte seine Gedanken nicht, sondern sagte nur: »Meinen herzlichsten Glückwunsch! Ich werde noch etwas warten. Vorläufig habe ich keine Zeit zum Heiraten.«

»Das ist wahrscheinlich auch vernünftiger. Sigrid bringt unserer geplanten Expedition sehr wenig Verständnis entgegen. So ähnlich werden wohl die meisten Frauen empfinden.« Georg nickte ihm zu. »Und nun überlasse ich dich dir selbst, und sobald du dich erfrischt hast, werde ich dich meinem alten Herrn vorstellen.«

»Georg«, rief ihm Christian nach. »Ich habe aber keinen Gesellschaftsanzug bei mir.«

»Um Gottes willen! Komme so, wie du bist. Bei dieser Hitze machen wir es uns ebenfalls so bequem wie möglich. Und ...«, er zwinkerte ihm zu, »... meine Braut kommt erst in den nächsten Tagen.«

Ein Weilchen verharrte Christian Wilken noch sinnend, und die Gedanken, die ihn während seiner Autofahrt bedrückt hatten, wollten wieder Macht über ihn gewinnen. Aber er schüttelte sie entschieden von sich.

Ich werde mit Georg darüber sprechen, sagte er zu sich selbst. Er ist ein Mann mit vernünftigen Ansichten und wird mir raten können ... Ich bin es ihm schuldig, dass er endlich erfährt, wie meine Privatverhältnisse liegen ... Und was seine Anspielung auf das Heiraten betrifft, war diese gar nicht so unrecht. Vielleicht sollte ich auch wirklich bald eine Familie gründen? Dann hätte die Ruhelosigkeit ein Ende, und ich würde wissen, wohin ich gehöre.

Er entnahm seinem Koffer ein frisches Hemd, legte es bereit und ging ins Bad.

Etwa eine halbe Stunde mochte vergangen sein, als Christian Wilken von einem Diener zu Georg geleitet wurde.

Abermals verschlug es ihm vor Staunen beinahe die Rede, denn das Plätzchen, das er vorfand, war malerisch schön. Hoch über den Parkanlagen, die das Schloss umgaben, erhob sich eine vorgebaute überdachte Terrasse, von grünen Gewächsen umwuchert, die bei der glühenden Hitze angenehme Kühle spendeten.

»Nun, was habe ich dir bei deiner Ankunft gesagt?«, empfing ihn Graf von Eichen fröhlich. »Du wirst hier täglich neue Überraschungen erleben. Wie gefällt dir diese Veranda?«

»Wenn ich ein Junge wäre, würde ich sagen: entzückend! Als erwachsener Mann finde ich keinen passenden Ausdruck.«

Graf von Eichen deutete auf einen Sessel.

»Und nun fühle dich wie zu Hause, Christian.«

»Gerne.« Der Freund lächelte und setzte dann ernster hinzu: »Du hast mich noch nicht einmal nach dem Grund meines Besuches gefragt, Georg.«

»So? Ich nehme an, dass du gekommen bist, um mir die Antwort auf meinen Brief persönlich zu bringen und mir zu sagen, dass du mich auch auf meiner nächsten Expedition nicht im Stich lassen wirst?«

Über Christian Wilkens gebräuntes Gesicht flog ein heller Schein.

»Ich kann es nicht leugnen. Die grüne Hölle des Gran Chaco reizt mich ungemein, und das Naturwissenschaftliche Institut in Heidelberg hat meine Beurlaubung bereits bewilligt.«

»Wunderbar! Ich habe auch fest mit deiner Zusage gerechnet, denn nach unseren gemeinsamen Erlebnissen in Afrika möchte ich dich auch bei dem nächsten Unternehmen an meiner Seite wissen. Hast du den Vertrag dabei? Bist du mit den Bedingungen zufrieden?«

»Ein doppeltes Ja ... Das Angebot ist fantastisch!«, bestätigte der junge Wissenschaftler. »Aber ich unterschreibe erst, wenn du mir ehrlich gesagt hast, wer diese Expedition finanziert. Ich habe gewisse Vermutungen und möchte unbedingt klarsehen.«

Man merkte es Georg von Eichen an, dass er mit seiner Verlegenheit kämpfte. Aus reiner Freundschaft hatte er über diesen Punkt bisher geschwiegen, um dem Freund seine Unbefangenheit ihm gegenüber zu erhalten. Aber nun musste er sprechen.

»Gut! Wenn du es unbedingt wissen willst ... schließlich sind wir ja keine Kinder mehr: Christian Graf von Wangen und mein Vater haben uns die Forschungsreise nach Afrika ermöglicht und richten auch die bevorstehende Expedition nach Südamerika aus.«

»Ich dachte mir, dass du, beziehungsweise dein Vater dahintersteckt ... und zwar in dem Augenblick, als ich Schloss Eichen betrat«, erwiderte Wilken gepresst. »Und warum nimmst du ausgerechnet mich jedes Mal mit?«

»Entschuldige ... das ist eine dumme Frage! Weil du mein bester Freund bist und ich neidlos anerkenne, dass du befähigter bist als ich selbst.«

»Das ist nicht wahr! Du bist genauso weit wie ich!«

Graf von Eichen lachte belustigt auf.

»Und gerade du müsstest am besten wissen, dass ich das alles ohne deine Hilfe nicht so glatt geschafft hätte.«

»Georg, ich ...«

Doch der Freund unterbrach ihn spontan.

»Willst du mich kränken, Christian? – Nein! Und weil ich ahne, was du jetzt sagen möchtest ... und dass es dir, der du mit irdischen Glücksgütern nicht so reich gesegnet bist wie ich, peinlich ist ... darum lasse deine Einwände ungesagt. Schätzt du mich und die Freundschaft, die ich dir entgegenbringe, so gering ein, dass du sie von Geld abhängig machen willst?«

Sie sahen einander in die Augen, und jeder las im Blicke des anderen Aufrichtigkeit.

In diesem Augenblicke erschien der Diener Alfons und bat um Erlaubnis, den Teetisch bringen zu dürfen. Kurz darauf fand sich auch Georgs Vater, Friedrich Graf von Eichen, ein, ein stattlicher Mann Ende fünfzig. Er begrüßte den Freund seines Sohnes mit solcher Herzlichkeit, dass Wilken gar nicht dazu kam, sich wegen seines unangemeldeten Besuches zu entschuldigen.

»Ich freue mich sehr, Doktor Wilken, Sie endlich persönlich kennenzulernen. Sie werden uns doch die Freude machen und einige Zeit unser Gast auf Eichen sein?« Er wartete eine Antwort nicht ab und sprach eifrig weiter: »Morgen werde ich Ihnen mit Georg zusammen unsere Kunstsammlung und das naturwissenschaftliche Museum zeigen, das wir im Ostflügel eingerichtet haben. Sie werden dort unter anderem Ihre eigenen Funde aus Afrika wiederfinden.«

»Herr Graf sind sehr gütig.«

»Bitte, lieber Doktor, tun Sie mir den Gefallen und seien Sie nicht so förmlich«, bat der alte Graf schmunzelnd. »Wir geben nicht viel auf das Drum und Dran, das in vielen Adelshäusern noch heute Brauch ist. Ich schätze ein offenes und ehrliches Wort ... na, und meinen Sohn kennen Sie wohl zur Genüge ... Feierlich wird er erst wieder, wenn meine zukünftige Schwiegertochter Sigrid hier auftaucht. Dann müssen wir uns wohl für die Abendtafel ins Frackhemd zwängen. Georg tut es aus Liebe und ich ... na ja, sagen wir aus Höflichkeit vor dem zarten Geschlecht.«

Es wurde ein schöner Abend, und Christian Wilken bereute nicht, seiner Eingebung gefolgt zu sein und Schloss Eichen aufgesucht zu haben.

***

Die Tage gaben einander die Hand. Der junge Wissenschaftler genoss die gehaltvollen Stunden, die er in Gesellschaft seines Freundes und dessen Vater verbrachte, mit tiefer innerer Befriedigung.

Christian Wilken strich sich über die Augen. Er hatte in dieser frühen Morgenstunde ein stilles Plätzchen im blühenden Schlosspark aufgesucht und hielt noch immer das geschlossene Buch in der Hand, das er lesen wollte. Er erinnerte sich:

Christian Wilken hatte harte Jahre hinter sich. Für ihn, der sich sein Studium und den Doktortitel unter schwersten Entbehrungen erkämpft hatte, hatte es nur den einen Gedanken gegeben: ohne Aufschub sein Ziel zu erreichen.

Eine trostlose Kindheit im Waisenhaus war sein Los gewesen. Er hatte als Kind zwar nie zu hungern oder zu frieren brauchen, aber sein Herz war leer geblieben. Mit brennenden Augen hatte er bei Spaziergängen hinter gleichaltrigen Kindern hergesehen, die neben ihren Eltern gegangen waren. Einmal eine liebende Mutterhand zu spüren, einmal das Wort »Mutter« zu sagen und mit den ungezählten Fragen, die sich dem aufgeweckten Knaben aufgedrängt hatten, zum Vater laufen zu dürfen ...

Mit vierzehn Jahren schlossen sich die Tore des Waisenhauses für immer hinter ihm. Er kam in eine Familie, und anfangs schien es, als habe er wirklich das große Los gezogen. Baron von Schirben, ein alter Herr, und seine junge Gattin, deren Ehe kinderlos war, nahmen sich des elternlosen Knaben an und boten Christian in ihrem Hause eine für ihn gänzlich neue Umgebung. Er durfte das Gymnasium besuchen und bestand sein Abitur mit Auszeichnung.

Aber ein Elternhaus sollte er auch auf dem Gut des Barons nicht finden, obwohl es ihm an nichts fehlte. Denn es trat ein Ereignis ein, das den Neunzehnjährigen zutiefst erschütterte und zur Flucht veranlasste. Nur knappe zehn Jahre war die Frau älter, die in den letzten Jahren Mutterstelle an ihm vertreten hatte. Die junge Baronin, die an der Seite des betagten Gatten ein unbefriedigtes Leben führte und genusssüchtig und leidenschaftlich veranlagt war, ließ ihren Schützling wissen, warum sie ihn ins Haus genommen hatte. Er sollte vor der Welt den angenommenen Sohn spielen, Schirben wollte ihn adoptieren, und in Wirklichkeit der raffinierten Frau hinter dem Rücken des Gatten das geben, was ihrer Ehe fehlte.

Das saubere Empfinden des jungen Mannes hatte sich gegen diese Zumutung aufgelehnt. Voll Abscheu hatte er das Gutshaus verlassen und war mit den bescheidenen Ersparnissen, die er von seinem Taschengeld zurückgelegt hatte, kurzerhand nach Heidelberg gegangen.

Baron von Schirben mochte die Gründe geahnt haben, denn das Tun seiner Gattin war kein Geheimnis für ihn. Er hatte dem Pflegesohn, den er wie ein eigenes Kind lieb gewonnen hatte, angeboten, sein Studium zu bezahlen. Aber Christian brachte es nicht über sich, auch nur einen Pfennig von dem alten Herrn anzunehmen. Er schlug sich mit gelegentlichen Aushilfsarbeiten, Übersetzungen und Nachhilfestunden kümmerlich durch und betrieb nebenbei sein Studium der Naturwissenschaften mit solcher Besessenheit, dass man an der Universität auf ihn aufmerksam wurde. Man bewilligte ihm Stipendien und empfahl ihn weiter. So traf er vor Jahren mit Georg von Eichen zusammen, dem in dieser Zeit noch der notwendige Ernst zum Studium fehlte und der dies mehr seinem Vater zu Gefallen betrieb.

Es war nicht zuletzt Christians Einsatz zu verdanken, dass der junge Graf von Eichen seine Prüfungen bestand. Dieser hatte bald herausgefunden, welch aufrichtigen Freund er an dem jungen Wilken besaß. Ohne es ihn merken zu lassen, trug er seinen Dank an den Freund ab, indem er ihm wissenschaftliche Ausarbeitungen verschaffte, die sehr gut bezahlt wurden, und Christian ahnte nie, wie die Zusammenhänge lagen.

Noch bevor er seinen Doktor gemacht hatte, stand er sich so gut, dass er es sich leisten konnte, sich eine bessere Wohnung zu nehmen, regelmäßig zu essen und sich wieder so zu kleiden, wie er es aus der Zeit bei Baron von Schirben her gewohnt war. Nach vollendetem Studium bot man dem begabten jungen Mann eine gut bezahlte Stellung im Heidelberger Naturwissenschaftlichen Institut an. Er griff mit beiden Händen zu. Nun war er so weit und hatte das Ziel erreicht, für das er sich Jahre hindurch geplagt hatte.

Als er zwei Jahre später von seinem Freund Georg von Eichen aufgefordert wurde, an einer Expedition teilzunehmen, sagte er freudig zu. Die Bedingungen waren großartig, und bei seiner Rückkehr nach sechs Monaten war es ihm mit Leichtigkeit möglich, sich seinen Herzenswunsch zu erfüllen und sich ein eigenes Auto zu kaufen.

Fortan lief das Leben des Achtundzwanzigjährigen in geordneten Bahnen, die Zeit der Entbehrungen war endgültig vorbei. Er gab sich ganz seinem geliebten Beruf hin, und die wenigen Stunden, die er sich zur Erholung gönnte, verbrachte er draußen in der Natur. Er war glücklich und zufrieden mit dem Leben, das er sich geschaffen hatte.

Auf dem schmalen Kiesweg näherten sich Schritte, und plötzlich stand Georg von Eichen vor ihm.

»Hier finde ich endlich unseren Frühaufsteher!«, begrüßte er Wilken fröhlich und ließ sich neben ihm nieder.

»Guten Morgen, Georg«, gab Christian zurück. »Ich wollte mich in eine Abhandlung über den bolivianischen Urwald vertiefen, aber ... Du wirst es nicht für möglich halten, dass ich schon länger als eine Stunde hier sitze und nur vor mich hin geträumt habe.«

»Das tut auch manchmal gut, Christian, wenn man sein Innenleben erforscht«, erwiderte Eichen heiter. »Oder hat es einen besonderen Grund ... bist du etwa verliebt?«

Er bereute die leicht hingeworfenen Worte schon in dem Augenblick, als er sie aussprach, denn im Gesicht des Freundes zuckte es schmerzhaft.

»Leider ... nein«, gab dieser gepresst zur Antwort. »Es sind ganz andere Dinge, die mich bewegen.« Dann blickte er entschlossen auf und suchte Georgs Blick. »Georg, du hast mich in all den Jahren, die wir zusammen waren, nie nach meinen Privatverhältnissen gefragt, und ich habe dir diese Zurückhaltung gedankt. Doch nun drängt es mich, mit dir darüber zu sprechen.«

»Ich weiß dein Vertrauen zu würdigen ... sprich dich aus, Christian.«

Georg von Eichen nickte ihm aufmunternd zu und hörte erschüttert, was der Freund ihm zu berichten hatte.

»Eigentlich müsste ich das alles nun als abgetan hinter mir lassen, Georg, ...«, fuhr Christian am Ende seiner Erzählung fort, »... und zufrieden sein, dass ich trotz allem zu dem geworden bin, der ich heute bin, und in meinem Beruf so viel erreicht habe. Aber die Vergangenheit lässt sich leider nicht einfach abtun ... An dem gleichen Tag, als mich in Heidelberg dein Schreiben erreichte, traf auch eine Nachricht vom Gut Schirben ein. Die Baronin teilte mir mit, dass ihr Gatte schwer erkrankt sei und mich noch einmal zu sprechen wünsche. Was blieb mir übrig, als um sofortigen Urlaub zu bitten. Ich fuhr also nach Gut Schirben.«

Er machte eine Pause, und es fiel ihm nicht leicht, weiterzusprechen.

»Christian ...«, setzte Graf Georg zu einem Trostversuch an.

Aber sein Freund hatte sich gefangen und sprach weiter: »Ich war erschüttert über das Vertrauen, das der alte Herr mir entgegenbrachte. Er teilte mir mit, dass er mich in seinem Testament zum Miterben eingesetzt hätte, und eine Ablehnung von meiner Seite wollte er nicht gelten lassen. In Anbetracht seiner Erkrankung gab ich schließlich den Widerstand auf und widersprach nicht mehr.