Lore-Roman 27 - Katja von Seeberg - E-Book

Lore-Roman 27 E-Book

Katja von Seeberg

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Beschreibung

Malte Persson ist ein Mann, dem alle Mädchen nachschauen. Doch für ihn gibt es nur eine: Kerstin Jacoby. Gewiss, Kerstin ist ein armes Mädchen und Malte Persson ein reicher Fabrikant. Aber er liebt Kerstin nun einmal und will sie zu seiner Frau machen. Kerstin kann ihr Glück kaum fassen, und ihre schönen Augen strahlen, wenn sie an ihre gemeinsame Zukunft denkt.

Aber dann ist eines Tages alles vorbei: Malte Perssons Vater betritt Kerstins Haus, und als er wieder fortgeht, liegt ihr Glück in Scherben. Leer ist ihr Herz seit dieser Stunde, aber stolz verbirgt sie ihr Leid. Und sie ahnt nicht, wie sehr auch Malte leidet. Denn seine Ehe mit der schönen Elli ist eine Hölle ...

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EPUB

Seitenzahl: 132

Veröffentlichungsjahr: 2018

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Inhalt

Cover

Impressum

Arm – aber stolz

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Anastasiya Domnitch/shuttertock

eBook-Produktion: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-6473-6

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Arm – aber stolz

Ergreifender Roman um ein tapferes Mädchenherz

Von Katja von Seeberg

Malte Persson ist ein Mann, dem alle Mädchen nachschauen. Doch für ihn gibt es nur eine: Kerstin Jacoby. Gewiss, Kerstin ist ein armes Mädchen und Malte Persson ein reicher Fabrikant. Aber er liebt Kerstin nun einmal und will sie zu seiner Frau machen. Kerstin kann ihr Glück kaum fassen, und ihre schönen Augen strahlen, wenn sie an ihre gemeinsame Zukunft denkt.

Aber dann ist eines Tages alles vorbei: Malte Perssons Vater betritt Kerstins Haus, und als er wieder fortgeht, liegt ihr Glück in Scherben. Leer ist ihr Herz seit dieser Stunde, aber stolz verbirgt sie ihr Leid. Und sie ahnt nicht, wie sehr auch Malte leidet. Denn seine Ehe mit der schönen Elli ist eine Hölle …

Kerstins Augen leuchteten, als sie das Bürohaus verließ, in dem sie als Sekretärin arbeitete. Beschwingt ging sie die Straße hinunter, ohne sich Zeit zu nehmen, die lockenden Auslagen der Schaufenster zu betrachten.

Für all die Herrlichkeiten, die dort angeboten wurden, besaß sie ja doch kein Geld, obwohl sie nicht schlecht verdiente.

Die Krankheit der Mutter verschlang den größten Teil ihres Einkommens, aber nie war Kerstin Jacoby auf den Gedanken verfallen, die vielen Geldausgaben für Arzt und Medikamente als Opfer zu betrachten. Sie hing an ihrer Mutter, einer feinen, stillen Frau, die mit dem Leben nicht recht fertigwurde. Solange der Vater noch lebte, hatte er sie sozusagen vor jedem Windhauch beschützt, und nach seinem plötzlichen Tod vor etwa vier Jahren hatte Kerstin versucht, seine Stelle bei der Mutter einzunehmen.

Keine Falte trübte die Klarheit ihrer schönen Stirn, als sie sich durch das Gewühl der Menschen schob. An einer Straßenkreuzung musste sie stehen bleiben, das rote Licht leuchtete auf.

Ihre Aktenmappe an sich gepresst, wartete sie ungeduldig auf Grün und ging bei Gelb als Erste, auf die Fahrbahn. Sie sah den Wagen nicht, der sich auf der Kreuzung befunden hatte und nun sehr schnell näher kam, sie hörte nur die Bremsen kreischen und bekam einen heftigen Stoß in die Seite, der sie der Länge nach auf das Pflaster warf.

Im Nu waren sie und der Wagen von Neugierigen umringt. Hilfreiche Hände bemühten sich um sie, stellten sie auf die Füße und klopften an ihrem Mantel herum, um den Straßenstaub zu entfernen.

„Wo haben Sie denn Ihre Augen!“, herrschte ein Mann mit einer dunklen, befehlsgewohnten Stimme sie an.

„Sie tragen die Schuld!“, behauptete Kerstin mit zuckenden Lippen. Erst jetzt fühlte sie das Brennen der Hautabschürfungen, die sie sich bei dem Sturz zugezogen hatte.

„Ich hätte nicht übel Lust, diesen Fall polizeilich klären zu lassen.“

Der Fahrer des großen Wagens schaute sich suchend um, aber er fand keinen Polizisten.

„Haben Sie sich verletzt?“, fragte der Mann kalt. „Kommen Sie in den Wagen, ich bringe Sie nach Hause. Sie sind bei Gelb über die Straße gerannt. Nächstes Mal sperren Sie gefälligst Ihre Augen auf!“

„Was für einen Ton erlauben Sie sich, mein Herr!“, empörte sich Kerstin. „Sie tragen die Schuld. Wie können Sie nur so rasen!“

„Steigen Sie endlich in den Wagen, oder ich lasse Sie hier einfach stehen“, drohte der Mann. „Machen Sie kein Theater.“

Er öffnete die Tür und stieß die junge Dame fast auf den Vordersitz. Sein grimmiges Gesicht ließ ihren Protest im Halse stecken bleiben.

„Wohin soll ich Sie bringen?“, fragte der Fremde. „Selbstverständlich ersetze ich Ihnen Ihr Kleid und den Mantel.“

„Stürzen Sie sich meinetwegen nur nicht in Unkosten“, gab sie schnippisch zurück. „Ich wäre untröstlich, müssten Sie meinetwegen den Konkurs anmelden. Ich brauche keine Almosen.“

Hatte sie sich getäuscht, als sie zu sehen glaubte, wie es um seinen hartgeschnittenen Mund belustigt zuckte? Er nahm sie offensichtlich nicht ernst, dabei stellte sie durchaus etwas vor, war trotz ihrer jungen Jahre schon Chefsekretärin und stand ganz auf eigenen Füßen.

„Halten Sie an, ich ziehe es vor, zu Fuß zu gehen!“, fuhr sie ihn mit blitzenden Augen an. „Sie gehen mir auf den Wecker, mein Lieber.“

„Ach, wirklich?“, fragte der Mann spottend. „Seien Sie unbesorgt, meine Liebe, das beruht ganz auf Gegenseitigkeit. Aber ich denke nicht daran, Sie mit Ihrem Kindskopf durchzulassen. Wer weiß, was für Dummheiten Sie sonst noch anstellen? Auf Ihrem Heimweg liegen noch mehr Verkehrsampeln.“

Der Fremde warf ihr nur einen Blick zu, den man mitleidig nennen musste. Offensichtlich war sie in seiner Achtung tief gesunken. Und Kerstin begriff, dass sie unsachlich gewesen war, was ihr sonst gar nicht lag.

„Entschuldigen Sie, mein Herr“, sagte sie zerknirscht. „Ich weiß, dass Sie recht haben, mir misstrauisch gegenüberzustehen, aber Sie können mir glauben, dass es sonst nicht meine Art ist, mit geschlossenen Augen über die Straße zu gehen. Ich hatte es heute nur besonders eilig.“

Der Mann musste den Wagen an einer Kreuzung stoppen und hatte deshalb Zeit, sie in Ruhe zu betrachten. Selbst mit ihrem verschmierten Gesicht und dem zerrissenen Kleid war sie eine ausgesprochene Schönheit, und er musste die Offenherzigkeit bewundern, mit der sie bereit war, einen Fehler zuzugeben.

„Sprechen wir nicht mehr davon“, bat er und lächelte ihr zu.

Erstaunlich, wie dieses Lächeln sein kantiges Gesicht weich machte. Man konnte kaum noch glauben, er sei der gleiche Mann, der sie eben noch so hart angesprochen hatte.

„Würden Sie so gut sein und mir den Weg zeigen?“, bat der Mann. „Ich kenne mich in dieser Gegend nicht mehr aus.“

„Wenn Sie nach hundert Metern anhalten würden“, bat Kerstin. „Das Haus mit dem roten Erker dahinten.“

Sie wies mit der Rechten nach vorn, stieß unwillkürlich ein halblautes Stöhnen aus, weil der Mantelstoff an der aufgesprungenen Haut ihres Ellenbogens scheuerte.

Sie kletterte etwas steifbeinig aus dem Wagen und zögerte, ob sie ihm die Hand geben sollte oder nicht. Der Fremde enthob sie der Qual der Wahl, denn er nahm ihre Hand und drückte sie fest und männlich.

„Ich werde mir erlauben, mich morgen nach Ihrem Befinden zu erkundigen“, verabschiedete er sich.

Kerstin schüttelte ablehnend den Kopf, aber Malte Persson wusste, was sich gehörte.

***

„Kind, wie siehst du denn aus!“, rief Frau Julia entsetzt, als Kerstin das Wohnzimmer betrat. „Hast du einen Unfall erlitten?“

Das Mädchen zwang ein Lächeln in ihr bleiches Gesicht.

„Ich bin gestürzt, Mutsch. Wenn ich mich gewaschen und umgezogen habe, ist wieder alles in Ordnung. Mach dir, bitte, keine Sorgen.“

„Wie oft habe ich dir schon gesagt, lass dir auf dem Nachhauseweg Zeit. Ich bin doch kein kleines Kind, du brauchst dich meinetwegen nicht abzuhetzen …“

„Du weißt doch, wie gern ich bei dir bin“, gab Kerstin ernst zurück. „Bei dir fühle ich mich so richtig wohl, Mutsch. Bleib, bitte, sitzen, ich suche mir meine Sachen schon selbst aus dem Schrank.“

„Es ist schlimm, dass ich dir nicht helfen kann“, klagte Frau Julia. „Ich bin nur eine Last für dich.“

„Ist gar nicht wahr. Was täte ich ohne dich, Muttchen? Ich habe doch nur noch dich, und rede dir um keinen Preis ein, ich brächte dir Opfer. Warte, in zehn Minuten bin ich fertig.“

Sie lief hinaus, bevor die alte Dame die Tränen sehen konnte, die ihr in die Augen gestiegen waren. Hätte sie doch nur etwas mehr Geld, um sich ein Häuschen auf dem Lande mieten zu können, denn dort, das hatte ihr der Arzt versichert, würde ihre Mutter sich wahrscheinlich wieder erholen.

Alles hätte Kerstin gegeben, um ihre Mutter wieder gesund zu machen, aber es reichte nicht, was sie besaß, es reichte gerade für diese kleine Wohnung im dritten Stock des Mietshauses.

Wie das kalte Wasser erfrischte! Kerstin fühlte sich wie neugeboren, als sie Minuten später in neue Kleider schlüpfte.

In der kleinen Küche setzte sie das Wasser auf den Herd und bestrich die Schnitten für ihre Mutter und sich. Es war wie jeden Tag, und doch konnte Kerstin sich heute nicht von der Erinnerung an ein kantiges braungebranntes Männergesicht lösen, das solch einen zwiespältigen Eindruck auf sie gemacht hatte.

„Nicht einmal Essen kochen, kann ich“, jammerte Frau Julia. „Manchmal wünschte ich tatsächlich, ich wäre tot. Du musst mich versorgen wie ein kleines Kind.“

„Schweig bitte, du weißt, dass es nicht stimmt.“

Kerstin goss der Mutter dünnen Tee in die Tasse, und dabei fiel ihr Blick auf einen großen gelben Umschlag, der einen geschäftsmäßigen Eindruck machte.

„Ach, richtig, Post für dich.“ Frau Julia war der Richtung ihres Blickes gefolgt. „Kein Absender, nur ein Postfach angegeben. Wahrscheinlich irgendeine Reklame.“

„Sicher“, bestätigte Kerstin nickend.

Wer sollte ihr schon schreiben? Ohne Neugierde ließ sie den Brief auf dem kleinen Tischchen liegen. Sie erzählte der Mutter ein paar heitere Episoden aus dem Büro und verstand es, sie so drollig zu schildern, dass Frau Julia mehrfach herzlich auflachen musste.

Dann erst schlitzte Kerstin den großen gelben Umschlag auf.

„Von einem Notar …!“, rief sie verblüfft aus. „Wir sollen uns bei ihm einfinden. Was mag das zu bedeuten haben?“

***

Frau Julia war aufgeregt wie ein Kind, als sie mit ihrer Tochter zusammen das Büro des Notars betrat.

„Ich freue mich, dass Sie so schnell den Weg zu mir gefunden haben“, begrüßte Dr. Schnitzler die Damen herzlich.

„Um was handelt es sich, Herr Doktor?“, überfiel ihn Frau Julia.

„Herr Ludwig Krause ist gestorben und hat Sie und Ihr Fräulein Tochter in seinem Testament großzügig bedacht. Ich werde Ihnen am besten den Wortlaut des Testamentes vorlesen und Sie dann fragen, ob Sie bereit sind, die Erbschaft anzunehmen.“

„Natürlich wollen wir die Erbschaft annehmen“, warf ihm Frau Julia zappelig zu. „Mein Gott, was für ein Glück! Vielleicht brauchst du jetzt nicht mehr zu arbeiten, Kerstin. Onkel Ludwig war nicht ganz arm.“

„Ich werde jetzt das Testament verlesen.“

Der Notar setzte sich eine Brille auf, die ihn, wie Kerstin feststellte, sehr gut kleidete. Auch seine Stimme war angenehm, und sie hatte Mühe, sich auf das Vorgelesene zu konzentrieren.

„Er hinterlässt uns sein Haus“, stieß Frau Jacoby atemlos hervor, als der Notar geendet hatte. „Mit einem großen Garten dabei, sagten Sie?“

„Um was für ein Haus handelt es sich?“, fragte Kerstin nüchtern, obwohl auch ihre Wangen sich jetzt gerötet hatten. Ein Haus im Grünen – sollte ihr alter Traum sich durch einen Zufall doch noch erfüllen?

Dr. Schnitzler rieb sich mit der flachen Hand nachdenklich das Kinn, während seine Augen scheu ihrem Blick auswichen.

„Ein sehr schönes Haus“, erklärte er.

„Hab ich mir doch gleich gedacht“, warf Frau Julia eifrig ein. „Er hatte ja auch Geld genug, um sich was Schönes leisten zu können.“

„Wie groß?“, fragte Kerstin.

Der Notar wiegte den Kopf hin und her.

„Im Ganzen sind es dreizehn Räume, und dann natürlich noch die große Halle und der Wintergarten. Alle Zimmer übrigens mit fließend Wasser.“

„Herrlich!“, stieß Frau Julia überwältigt hervor. „Und sicherlich auch gut instand gehalten?“

„Es geht so, man müsste noch etwas hineinstecken, gnädige Frau. Der Garten ist auch recht verwildert. Herr Krause fühlte sich in den letzten Lebensjahren gesundheitlich nicht mehr auf der Höhe. Er hat praktisch nur zwei Zimmer bewohnt und ein weiteres Zimmer dem Gärtner überlassen. Aber der ist auch alt. Er hat sich um alles Mögliche gekümmert, aber nicht um den Garten. Herr Krause hat ihn im Testament übrigens mit einer Geldsumme bedacht.“

„Ich weiß, es sind dreißigtausend Mark.“ Frau Jacoby war beeindruckt von der Höhe der Summe.

„Ist Bargeld vorhanden?“, erkundigte sich Kerstin beklommen, denn sie fragte sich natürlich sofort, was ihre Mutter und sie mit solch einem großen Haus anfangen sollten.

„Sein gesamtes Bargeld hat der Erblasser einem Tierasyl hinterlassen, von den Legaten abgesehen. Er war leider nicht zu bewegen, sein Testament zu ändern, obwohl ich es ihm mehrfach nahegelegt habe.“

„Aber das Haus und den Garten haben wir jedenfalls.“

Frau Julia hatte sich mit Ludwig Krause niemals verstanden, denn sie war eine großzügige Natur, ihr Vetter dagegen ein ausgesprochener Geizhals, der sich nichts gönnte und jeden Pfennig sparte.

„Ich möchte Ihnen gleich die Schlüssel des Hauses übergeben und bitte Sie, mir den Empfang zu quittieren. Es ist wohl nur eine Formsache, wenn ich frage, ob Sie bereit sind, die Erbschaft anzunehmen?“

„Natürlich freuen wir uns über das Haus“, versicherte Frau Julia, die plötzlich um Jahre verjüngt schien. „Wir fahren gleich hin, Kerstin. Ruf doch im Büro an, dass du heute Vormittag nicht kommst. Vielleicht brauchst du ja nie wieder dorthin zurück.“

„Ich wünsche Ihnen viel Freude an Ihrem neuen Besitz“, sagte der Mann warm, als die beiden Damen sich verabschiedeten.

***

Von der Endstation der Straßenbahn aus mussten sie noch eine Viertelstunde weit gehen. Das Haus lag in halber Höhe eines Hanges. Und es war ein sehr schönes, sehr großes Haus. Allerdings auch vernachlässigt. An einzelnen Steinen war der Verputz abgeblättert, und etliche Dachziegel lagen schief, wahrscheinlich hatte der Wind sie verschoben.

So sah Kerstin das Haus, das Ludwig Krause ihnen hinterlassen hatte.

„Was für ein wundervoller Blick über die Stadt!“, rief ihre Mutter überwältigt aus. „Und dann dieser riesige Garten. Sogar ein Bach fließt hindurch. Und die alten Eichen, die im Sommer schönen Schatten spenden … Ach, ich bin so glücklich, Kerstin. Wo hast du die Schlüssel?“

Ihrer Tochter wurden die Augen feucht, als sie ihre Handtasche öffnete und die Schlüssel herausnahm. Das Haus mit dem Grundstück war wirklich ein herrlicher Besitz.

Den Hang hinauf zog sich ein dichtes Wäldchen, und ganz oben auf der Spitze sah sie ein weißes, außerordentlich gepflegt wirkendes Gebäude herübergrüßen.

„Beeil dich doch“, drängte Frau Julia, der es plötzlich nicht schnell genug gehen konnte. Als Erste hastete sie über die Schwelle, sie hatte ihr krankes Herz ganz vergessen. Besorgt hörte Kerstin ihr lautes, keuchendes Atmen. „Was für eine Halle!“, rief ihre Mutter überwältigt.

„Wirklich schön!“, äußerte Kerstin gepresst.

Aufs Geratewohl öffnete sie eine Tür. Sie schaute in einen kostbar möblierten Raum, der allerdings sehr altmodisch wirkte. Die Wände waren getäfelt, die Fenster nur klein, dafür aber bestanden die Vorhänge aus schwarzem Samt. Man roch, dass hier lange nicht gelüftet worden war.

„Ein Salon!“, hörte sie ihre Mutter rufen. „Und die Küche, du musst dir unbedingt die Küche ansehen!“

Frau Julia wusste gar nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. Ihre Freude tat Kerstin förmlich weh, denn sie hatte inzwischen Zeit genug gehabt, um sich auszurechnen, dass es ihnen nicht möglich war, die Erbschaft anzunehmen.

Es war ein Witz des Schicksals. Jahrelang sehnten sie sich nach einem Haus, nun bekamen sie es quasi geschenkt und konnten es nicht einmal geschenkt annehmen. Sie mussten schätzungsweise zweihundert Mark monatlich an Hypothekenzinsen aufbringen, von den anderen Kosten ganz zu schweigen.

„Hierhin werde ich mich bei schönem Wetter setzen“, hörte Kerstin die jung gewordene Stimme ihrer Mutter. „Sieh nur, was für einen herrlichen Blick man von hier aus hat! Ob du es glaubst oder nicht, ich fühle mich schon sehr viel besser als sonst.“

„Ja, Mutter“, sagte Kerstin automatisch.

Der Ausblick war wirklich herrlich. Vielleicht gelang es ihnen ja, das Haus zu verkaufen, obwohl sie es bezweifelte. Sie beschloss, sich einmal umzuhören. Fest stand jedenfalls nur, dass sie es nicht behalten konnte.

***

„Was für eine Laus ist dir denn über die Leber gelaufen?“, fragte Tina Wellhausen ihre Freundin und Kollegin Kerstin übermütig. „Erleichtere dein Herz, altes Mädchen, das tut immer gut.“

Mit bitterem Lächeln setzte sich Kerstin an ihren Schreibtisch und nahm die Wachstuchhülle von der Maschine.

„Wir haben geerbt“, verkündete sie, „ein wunderschönes Haus mit dreizehn Zimmern und einem Rittergut von Garten dabei.“

„Und? Wo ist der Haken?“ Tina, im Gegensatz zu Kerstin schwarzhaarig und äußerst temperamentvoll, setzte sich ungeniert auf die Schreibtischkante und baumelte vergnügt mit ihren schlanken, wohlgeformten Beinen. „Dreizehn Zimmer, es wird Zeit, dass ich gnädiges Fräulein zu dir sage!“, blitzte sie Kerstin an.